Wenn Finsternis das Licht berührt von Luthien-Tasartir (Eine Geschichte, die von dem ständigen Schwarz-Weiß-Denken abweicht) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die ersten Sonnenstrahlen sickerten gerade erst durch die Vorhänge ins Zimmer auf das Gesicht des 17-jährigen, als ein lautes, forderndes Klopfen den Jungen aus dem Schlaf riss. Leise seufzte er und drehte sich, anstatt auf das Hämmern zu achten noch einmal in seinem Bett um. Der Tag hätte so schön werden können... Wieder dieses Klopfen; diesmal begleitet von der tiefen, sonoren Stimme seines Vaters. Leise seufzte er, als dieser schon zum dritten Mal seinen Namen rief und ihm drohte, er würde, wenn der Junge die Tür nicht öffnete, sein Zimmer in Brand stecken. Es hatte keinen Sinn die Stimme weiter zu ignorieren – vor allem, da er seinem Vater zutraute, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Noch immer schlaftrunken kämpfte er sich schließlich aus dem Bett und trat zu besagter Tür, die – so schien es zumindest – bei noch längerer Belastung, aus den Angeln springen würde, öffnete sie und sah augenblicklich in das zornfunkelnde Gesicht seines Erziehungsberechtigten. Er wusste, was jetzt kam. Es war immer wieder das Gleiche. Kaum, dass er in die nachtschwarzen Augen blickte begann es auch schon. Die Standpauke. Warum er so lange gebraucht habe, wollte er wissen. Weil er geschlafen hatte. Diese Antwort brachte das Fass nur noch zum Überlaufen. Während er mehr oder minder interessiert seinem Vater zu hörte, dachte er über den letzten Tag nach; überlegte, ob er seine Hausaufgaben gemacht hatte; sinnierte, was er an diesem Tag machen würde. Zuhören, hatte er nicht nötig. Hätte man es von ihm gefordert, könnte er den Monolog des Mannes inhaltlich ohne Lücken rezitieren: Zuerst warf er ihm vor, dass er zu lange schlief – was stimmte; dann ging er über, dass er sich auf mehr auf seine Studien konzentrieren müsse, wenn er seine Gaben perfektionieren wollte – was auch stimmte und schließlich würde der Vergleich zu seiner Schwester erbracht werden, die in so jungen Jahren, so viel besser war als er – was nur bedingt der Wahrheit entsprach. Sicher, sie konnte Dinge, von denen er in ihrem Alter nur geträumt hatte, doch das hing auch mit ihrer Rasse zusammen. Sie war ein vollwertiger Dämon, er nur ein Halber. Ein ungewolltest Kind – darüber war er sich sehr wohl bewusst – aber ein Notwendiges. Beides ließ ihn sein Vater Morgen für Morgen spüren, wenn er ihn – seiner Meinung nach viel zu früh – aus dem Bett holte, um ihm zuerst besagte Standpauke zu halten und ihn dann vor dem Unterricht, dem schulischen und seiner Meinung nach unwichtigen Unterricht, selbst in einigen Kampfkünsten zu unterweisen. Fehlte eigentlich nur noch... Nais Blick wandte sich zur Treppe, die ein Stockwerk höher führte, als er die helle Stimme seiner Schwester hörte, die immer wieder seinen Namen wiederholend die Stufen hinuntereilte. Der Junge lächelte leicht, als Yanin – sie war ausnahmsweise, nun, eigentlich wie jeden Morgen, in ihrer menschlichen Gestalt – ihm um die Taille fiel und ihm ganz stolz berichtete, was sie heute neues an ihrer Gabe herausgefunden hatte. Ja, alles wie immer. Das Gebrüll des Vaters, das bestimmt bis in den letzten Winkel des vierstöckigen Wohnhauses gedrungen war, hatte mit dem Auftreten seiner geliebten Tochter augenblicklich ein Ende gefunden. Kurz warf er seinem Jungen einen missbilligenden Blick zu, als dieser seine jüngere Schwester hoch hob, bevor er ein „Komm essen“ brummend, die Treppe hinunterstieg; Nai mit Yanin auf dem Arm dicht auf den Fersen. Das Haus war zwar geräumig, jedoch ebenso langläufig. Das Erdgeschoss beherbergte eine geflieste Küche mit Esszimmer und ein kleines, mehr oder weniger geräumiges, Wohnzimmer, von dem man in den Garten kam, sowie ein kleines Badezimmer, das gegenüber der Vorratskammer an die Küche anschloss. Wollte man zu den oberen Stockwerken gelangen musste man durch den Flur, der an beide Räume angrenzte und einen kleinen Putzschrank enthielt zu der Holztreppe, die sich von dort aus nach oben schraubte, sodass man, wenn man an der richtigen Stelle neben der Treppe stand und nach oben schaute, bis unter das Dach blicken konnte. Der erste Stock – konnte man ihn denn als solchen bezeichnen – enthielt ein einziges Zimmer. Nais. Stand man vor dessen Tür konnte man sich nur nach links wenden, um eine Etage höher zu kommen, oder sich umdrehen und diese zu verlassen. Der zweite Stock gehörte Yanin, die – neben ihrem Zimmer – auch ein eigenes Bad als ihr Eigen nennen konnte, bevor man, auf die gleiche Weise wie bei Nai erneut ein Stockwerk höher gehen konnte, um auf das Zimmer der Eltern, das Arbeitszimmer des Vaters und eine kleine Bibliothek treffen konnte. Diese Etage war für Nai, wie für seine Schwester Tabu, da beide noch nicht das 6. Dämonenlevel erreicht hatten. Dämonenlevel waren Stufen, die jeder Dämon in seinem Leben durchlaufen musste, bevor er als erwachsener Unterwellter anerkannt wurde. Insgesamt gab es 7 Stadien, die man erreichen konnte, wobei man jede Etappe mit einer Prüfung abschließen musste. Nai war gerade dabei sich für das „Examen“ zum fünften Grad vorzubereiten, während Yanin gerade das dritte Niveau erreicht hatte und nun zielstrebig auf das vierte zusteuerte. Gerade diesem Umstand, dass die kleine Schwester den älteren Bruder einzuholen schien, war es zu verdanken, dass Nai sich seit mittlerweile gut einem halben Jahr allmorgendlich zurechtweisen lassen musste, er sei zu faul. Vielleicht stimmte es; er wusste es nicht. Aber es war ihm eigentlich auch egal. Als Halbdämon hatte er nie wirklich das Bedürfnis gehabt, als „vollwertiger Dämon“ zu gelten. Er war dazu bestimmt, ein Wächter zu werden, das wusste er bereits seit er denken konnte. Ein Wächter für den oder die Auserwählte, die das Juwel der Zeit in sich trug. Diesem Juwel war es zu verdanken, dass in der Altvorderenzeit so häufig zu Kämpfen zwischen Gut und Böse – wie es die Menschen nannten – beziehungsweise zwischen Schwarz und Weiß – wie es die betroffenen Gruppen bezeichneten – gekommen. Ein Stein, so mächtig, dass er dem Besitzer die Macht gab, alles zu seinen Gunsten zu wenden. Ein Stein, an dessen bloßer Gedanke die Wesen, die von ihm wussten, vor Gier um den Verstand kommen ließ. Gerade dieser Umstand brachte die verfeindeten Parteien vor Urzeiten dazu, ein zeitweiliges Bündnis zu schließen, da sie kurz zuvor in ihrer Wut beinahe ihren Planeten ausgelöscht hatten. Es war zur Zeit der ersten intelligenten Menschen, als sich Vertreter der polemischen Gruppen auf neutralem Boden trafen und zur Übereinkunft kamen, den Juwel in einem der Erdbewohner zu verstecken, sodass keiner den Kristall an sich reißen konnte. Zur Sicherung der Vereinbarung wurden die Wächter erschaffen. Gleich an der Zahl, sollten sie über den Auserwählten wachen und leiten, damit er für keine der zwei Fraktionen von Nutzen sein könnte. Die Wächter – halb Mensch, halb anderes Wesen – nannten sich bald daraufhin die „Grauen“, um ihre Unabhängigkeit und Neutralität zu verdeutlichen. Jede Wächterfamilie war seit dem verpflichtet mindestens einen Wächter ins Leben zu setzen, der den Anforderungen – ein Halbwesen, das zum einen Teil Mensch war – der Übereinkunft entsprach. Ein solches Kind war Nai. Lustlos biss der Junge in sein Frühstück, während er seiner Mutter – nein! - Stiefmutter dabei zuschaute, wie sie seine Schwester für das neu erlernte lobte. Er selbst hatte keine Mutter mehr. Sie war bei seiner Geburt gestorben, was nur allzu natürlich für Selbige war. Die Körper der Menschen waren einfach nicht dafür gebaut Dämonen zu gebären. An sich war dies vollkommen widernatürlich, jedoch – wie bereits erwähnt – notwendig, um den Fortbestand der Wächterart zu gewährleisten. Sein Vater, wollte man den bulligen Mann, der ihn gezeugt hatte, denn als solchen bezeichnen, war kein Wächter, da es jenen verboten war, Kinder zu zeugen. Das dämonische Blut verringere sich sonst mit jeder neuen Geburt, wodurch sie gegenüber den Weißen immer mehr im Nachteil sein würden. Was für ein Unsinn... Als ob Wächter jemals Interesse daran gehabt hätten, die gegnerische Partei zu bekämpfen. Für sie gab es keine Gegner. Ob sie nun zur Hälfte von Weiß, oder von Schwarz abstammten, war ihnen vollkommen gleich. Sobald sie ein Wächter wurden, waren sie Grau. Nicht mehr und nicht weniger. Das wollten die Radikalen jedoch nicht einsehen, weswegen Gesetze zur Wahrung des Mächtegleichgewichts in der Grauzone aufgestellt worden waren. Zwar sinnfrei, jedoch beließ man es dabei. Kurz schweifte sein Blick auf sein Essen, bevor er sich wieder seiner Schwester zuwandte. Sie würde den nächsten Wächter gebären. So war es schon immer gewesen. Der Bruder, oder die Schwester des Wächters war für den Fortbestand dessen Art verantwortlich. Es war wirklich der einzige Grund, weshalb Nai überhaupt geboren worden war. Für gewöhnlich ließen sich Dämonen nicht dazu herab, sich mit Menschen zu verbinden, aber das war eine andere Sache. „Hörst du mir überhaupt zu?“ Die knurrende Stimme seines Vaters riss Nai aus seinen Gedanken, sodass er sich zu diesem hinwandte. „Was gibt es?“, fragte er nach, wodurch er einen erneuten missbilligenden Blick seitens des Älteren erntete; jedoch verfehlte er gänzlich seine Wirkung. Nai war dieser Augenausdruck in keiner Weise fremd, weswegen er sich schon lange nichts mehr aus Selbigen machte. Ein Knurren, dann wiederholte der Schwarzhaarige seine Information: „Dein Onkel will, dass du nach der Schule zu ihm kommst. Er hat irgendetwas scheinbar wichtiges“, er wedelte abwertend mit der Hand, um zu verdeutlichen, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass sein Bruder jemals etwas von Belang sagen könnte, bevor er weiter sprach: „Dass er dir erzählen möchte. Wenn er fertig ist, kommst du sofort wieder hierher, klar?“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Er hielt nichts von seinem Blutsverwandten; hasste ihn mehr oder weniger, weswegen Nai es vorzog seinem Vater diesmal – nicht, dass er es sonst je tat – nicht zu widersprechen. Seine Antwort bestand aus einem einzigen Nicken, bevor er aufstand, seine Tasche nahm und Anstalten machte das Haus zu verlassen, als er plötzlich einen Druck um die Hüfte spürte. Er musste nicht hinunterschauen, um zu wissen, was die Ursache dieser Behinderung war. Seine kleine Schwester hatte sich – wie jeden Morgen – um ihn geworfen und bettelte nun, er möge sie doch mit in die Schule nehmen. Kurz schaute er hilfesuchend nach seiner Stiefmutter, eine Succubus der edelsten Art, bevor er etwas in die Hocke ging, um der Kleine in Augenhöhe sagen zu können, dass dies nicht möglich war, als er von seinem Vater unterbrochen wurde. Verwundert blickte er auf, als dieser meinte, dass Nai sie ruhig einmal mitnehmen könnte. So würde sie schon einmal ersten Kontakt mit Menschen machen. Dass es von der Bürokratie der Menschen, den Lehrern und dem Schuldirektor allerdings eigentlich nicht möglich war, schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Typisch Dämonen. Sie fühlten sich gegenüber der menschlichen Rasse aufgrund ihrer Fähigkeiten überlegen. Sicher waren sie es auch, allerdings schadete zumindest ein wenig Toleranz für gewöhnlich nie... Es seufzte, ehe er zustimmte, worauf Yanin vor Freude jauchzend nach oben eilte, um sich fertig zu machen. Fünf Minuten später standen beide Hand in Hand auf der Straße und blinzelten ins Licht der aufgehenden Sonne. Die Stadt erwachte gerade erst aus ihrem Schlaf, während Nai sich endlich in Bewegung setzte; die tänzelnde kleine Schwester neben sich. Nur vereinzelnd fuhren Autos die Straße entlang, hier und dort wurden Fenster zum Durchlüften aufgeschlagen, in einer Seitengasse sah man, wie ein Mann sich leise durch die Hintertür davonschlich, während auf der Hauptstraße, die die Beiden gerade passierten, der Hausherr die Wohnung betrat. Schmunzelnd schüttelte Nai den Kopf. Auch wenn der Kampf schon seit Jahren nicht mehr wirklich wütete, versuchten beide Parteien immer noch die Menschen auf ihre Seite zu locken. Es gelang – natürlich – jedoch konnten die Schwarzen mit fortschreitender Zeit immer mehr kleine Siege für sich verbuchen. Menschen waren so einfach zu manipulieren, dass es geradezu lachhaft war. Vor allem reichten schon die kleinen Siege aus um die weiße Seite zu schwächen. Mittlerweile waren selbst die Kirchen, die bis vor einiger Zeit noch die absoluten Machtmonopole der Weißen darstellten nicht mehr frei von Sünde, wie es die Menschen nannten. Anders gesagt, hatte Schwarz diese mit der Zeit infiltriert. Es war gerade zu erschreckend, wie leicht gerade die Kirchenmänner zu verführen waren. Die Tugenden, die sie vermitteln sollten, schienen für sie selbst keinerlei Wert zu haben. Normale Menschen beließen es oft bei kleinen Sünden, wie zeitweises Lügen oder Fremdgehen. Die Kirche war mittlerweile so sehr in ihr Intrigenspiel und dem – man konnte fast schon sagen – Handel mit Todsünden verstrickt, dass Schwarz mit Fug und Recht behaupten konnte, dieses Monopol von Weiß erobert zu haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)