Rewind And Reflect von 4FIVE ([Caleb x Cornelia | canon-sequel | enemies to lovers]) ================================================================================ Kapitel 19: With Guard Of Nights -------------------------------- … In a world as fast as this You did calm down a bit To see what we had and will never have again … N E U N Z E H N Will dachte ja gar nicht daran, nun bereits das Bett auszusuchen. Sie bediente sich nicht einmal an dem bereitgelegten Nachtgewand – das nicht gerade nach Prêt-à-porter und schon gar nicht nach Haute Couture aussah – sondern schlich sich ein paar Stunden später wieder aus dem Zimmer, um Cornelia einen Besuch abzustatten. Allerdings musste sie schnell erkennen, dass sie nicht die einzige war, der das veränderte Verhalten zwischen Cornelia und Caleb aufgefallen war. Die enorme Beherrschtheit und Distanz konnte ja auch gar nicht unauffällig sein! "Vier Dumme, ein Gedanke", scherzte Hay Lin lachend. Sie war bereits ein Teil des Kreises, der sich auf dem bequemen Doppelbett gebildet hatte und machte nun Platz für die Anführerin. "Wir waren gerade dabei, unserer lieben Cornelia aus der Nase zu ziehen, was der Grund für das eigentümliche Verhalten der beiden Turteltauben sein mag." "Lasst euch nicht stören, ich bin gespannt." "Ihr könnt von mir aus alle so gespannt sein, dass es euch zerreißt, ich verhalte mich ganz normal – und er auch", wandte die Betroffene ein. Sie fuchtelte aufgeregt mit den Händen umher, doch glaubwürdiger wurde die Aussage dadurch nicht gerade. "Ja. Klar", sagte Irma sarkastisch. "Erst heulst du jahrelang wegen ihm, dann streitet ihr euch, dass die Fetzen fliegen, danach tut ihr, als wärt ihr flüchtige Bekannte und jetzt wagt ihr es nicht einmal mehr, euch anzusehen. Da ist was faul und ich habe auch eine Vermutung, was das ist." "Dann sag es uns doch bitte, Irma", fauchte Cornelia mit verschränkten Armen. "Ich habe nämlich keinen blassen Schimmer. Erklär mir bitte mein Verhalten, ich bin ganz Ohr." "Du hast ihm gesagt, dass du ihn liebst!", meinte Irma mit erhobenem Zeigefinger. Und hätte sie die arrogante Nase nicht so hoch getragen, dann hätte sie gesehen, wie bleich die Angesprochene mit einem Schlag wurde. Die anderen jedoch sahen den Wechsel des Blutdrucks sehr gut und überschwemmten sie deshalb mit so vielen verschiedenen Fragen auf einmal, dass ihr gar nichts anderes überblieb, als mit der Wahrheit herauszurücken. "Okay!", rief sie. "Seid doch mal ruhig! Das ist ja grauenhaft! Wenn ihr so wild drauf seid, euch diese Odyssee anzuhören, nein, diese Farce, dann bitte, hier ist sie: Das Kabarettprogramm Cornelia und die Liebe. Caleb und ich haben uns gezankt, wobei es diesmal ziemlich heftig herging. Wir haben uns beide nicht allzu freundliche Sachen an den Kopf geworfen. Jedenfalls sind mir bei dieser Gelegenheit die Nerven durchgegangen. Eines führte zum anderen, schlussendlich habe ich unmissverständlich angedeutet, dass ich ihn noch immer liebe." "Na bitte, ist doch toll", freute sich Hay Lin aufrichtig. Sie verkannte die Problematik der Lage in ihrer romantischen Sichtweise wieder einmal völlig. "Nein, das ist nicht toll", korrigierte Cornelia scharf. "Egal wie die Sache ausgeht, wir werden wieder getrennt werden und ich möchte mir gerne den neuerlichen Trennungsschmerz bei dieser Gelegenheit ersparen." "Und wir wissen alle, dass es genau ein paar Stunden brauchen wird, ehe ihr euch in den Armen liegt", kommentierte Irma trocken. "Gib es zu, du bist total verknallt in ihn. Schlimmer noch als jemals zuvor. Ihr könnt eure Gefühle nicht lange kontrollieren, dazu seid ihr beide zu emotional. Naja", fügte sie hinzu, als sie die zweifelnden Blicke sah, "zumindest wenn es um den jeweils anderen geht." "Ich gebe Irma ja nicht gerne Recht, aber diesmal muss ich ihrer Aussage ein Stück Wahrheit zugestehen", sagte Hay Lin zwinkernd. "Besser wäre es, wenn ihr das schnell klärt, ehe ein großes Missverständnis herauskommt. Ah, meine außerordentlich guten Ohren sagen mir, dass du auch gleich die Möglichkeit haben wirst. Scheinbar ist dein Zimmer das heutige Zentrum allgemeiner Aktivitäten." Sie umarmte Cornelia flüchtig, hauchte ihr einen romantischen Seufzer ins Ohr und drängte die anderen dann schnell aus der Seitentüre hinaus. "Wartet!", rief Cornelia ihnen flehend nach. Mit Caleb zu reden – allein! – war das Letzte, das zu tun sie den Wunsch verspürt hätte. "Kommt zurück, ihr könnt mir das nicht antun! Will!" In dem Moment, als Taranee die eine Türe schloss, klopfte es an der anderen sanft. Cornelia zuckte zusammen, auch wenn sie gewusst hatte, dass sie gleich neuen Besuch bekommen würde. "Oh, Mist!", zischte sie. Ihr Herz klopfte heftiger als jemals zuvor. Aber womöglich war es auch Elyon, die freundschaftlichen Rat brauchte? Das Klopfen war so zaghaft, so sachte, dass es unmöglich Caleb hatte sein können! "Cornelia?" Da ging sie hin, die Hoffnung. So schnell wie Butter in der Mikrowelle, wie ein Blatt in einem reißerischen Fluss, wie eine zarte Pflanze in einem Orkan, wie die Jungfräulichkeit einer irrsinnig attraktiven, frühreifen – nun, jedenfalls schnell. Die Stimme von Caleb war ihr noch niemals so unangenehm wie jetzt gewesen. Natürlich, da gab es Momente, in denen hätte sie ihn töten wollen, wenn er nur einen Piep gemacht hatte, doch Hass war bekanntlich leichter zu ertragen als Scham und Furcht. "Schläfst du?" Da war sie wieder, die Hoffnung! Doch ihr Hirn war nicht schnell genug, die perfekte Vorlage zu nutzen. Stattdessen öffnete sie leichtsinnig die Türe. "Nein, tue ich nicht." "Oh. Gut." Sie standen eine Weile ratlos da, dann trat Cornelia zur Seite. "Willst du reinkommen? Diesmal bin ich sogar noch vollständig angezogen." Der Scherz wurde jedoch nicht aufgegriffen, sondern mit einem nüchternen Nicken lediglich zur Kenntnis genommen. Danach breitete sich wieder eine angespannte Stille aus, die Cornelia nicht aufrechterhalten wollte. Sie schob all ihren Mut zusammen und sagte: "Also sag mir, für welche der beiden Möglichkeiten hast du dich entschieden?" "Was?" Überrascht sah er sie an. "Nachdem ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe, hattest du genau zwei Möglichkeiten: a, es einfach hinnehmen oder b, zu reagieren. Da du hier bist schlussfolgere ich, dass du Zweites gewählt hast, wobei mir diese Tatsache Aufschluss darüber gibt, dass ich dir nicht gleichgültig bin. Nun gilt es also festzulegen, in welcher Form ich dir nicht gleichgültig bin. Insofern kannst du also nur zwei verschiedene Absichten haben, die beide das jeweils andere Extrem einschließen. Entweder, du hasst mich und möchtest mir nun sagen, dass du keinerlei Gefühle außer Abscheu mir gegenüber hegst, oder du liebst mich und möchtest klarstellen, dass eine Beziehung zwischen uns sinnlos ist, obgleich unsere Gefühle Gegenteiliges determinieren. Also?" "Weder noch." Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Schlag ins Gesicht, gefolgt von einem Tritt in die Nieren. "Oh – okay." Sie fasste sich schnell wieder. Dass er sie weder hasste, noch liebte, implizierte eine gewisse Gleichgültigkeit, die sie jedoch nach seinem Auftauchen nicht erwartet hatte. Aber gut, sie musste damit leben. Vermutlich war es ohnehin die beste der Möglichkeiten. Ihn in Gleichgültigkeit zu wissen erleichterte ihr den Schmerz der Trennung zu verkraften, die unweigerlich kommen würde. "Cornelia, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll", begann er. Seine Augen waren fest auf sie gerichtet. "Du weißt, ich bin kein Mann großer Worte, alles andere als das maße ich mir an von mir zu behaupten. Ich kann nicht so gut Dinge erklären wie du, ich kann nicht so gut meine Gefühle formulieren wie du und ich kann gewiss nicht so gut streiten wie du. Deshalb weiß ich nicht, wie genau ich dich das wissen lassen kann, was zu wissen dein gutes Recht ist – mehr noch, deine Pflicht ist, sofern deine Gefühle sich seit dem letzten Gespräch nicht geändert haben." Er machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln. Cornelia sah ihn bloß verwirrt an. "Bitte wie?" Caleb schüttelte unwirsch den Kopf. "Ich kann es dir nicht nur nicht sagen, weil ich es rhetorisch nicht kann, sondern weil ich mir selbst nicht sicher bin, inwieweit ich dich darin eingeweiht haben möchte. Dir alles zu erklären, wäre sicherlich zu viel, aber dir nichts zu sagen, das bringe ich nicht übers Herz." "Um Gottes Willen!", rief sie augenrollend. "Küss mich doch einfach!" Die Gefühle brachen über sie herein ebenso wie der Mut, ihre Arme um Caleb zu schlingen und ihn mit all der Leidenschaft zu küssen, die einer so lange unterdrückten Liebe mehr als gerecht wurde. Er war erst völlig überrumpelt, doch er ließ sich schnell von der Richtigkeit der Idee überzeugen. Und selbst wenn die Idee ein Schild mit der Aufschrift 'Halt!' hochgehoben gehabt hätte, er hätte es zerrissen, auf den Boden geworfen und zertrampelt, so wie er nun Cornelia an sich presste. "Wir sollten das nicht tun", murmelte er, als er ihren Hals küsste. "Kannst du aufhören?" "Nein." "Ich nämlich auch nicht." Unwillkürlich zog sie sich noch enger an Caleb heran, sodass nicht einmal mehr ein Stück Luft zwischen sie gepasst hätte. Doch wer brauchte schon Luft? Jahre der Verzweiflung, der Trauer, des Leids, sollten mit diesem einen Kuss ihre Entschädigung erhalten. Sie war neunzehn, er ein erwachsener Mann – sogar Leute ohne Abschluss in Stochastik konnten errechnen, dass den beiden ein Kuss nicht genügen würde. Cornelia war jedenfalls keineswegs gewillt, dem inneren Drang zu widerstehen, so sehr sie sich auch dieses Fehlers bewusst war. Daher hoffte sie auf Calebs mittelalterliche Einstellung, auf seine Ehre und seine Vernunft. Wie hätte sie in dieser Situation auch daran denken können, dass auch er jedweden Sinn und Verstand verloren hatte; hatte er selbst doch so viele Jahre der Verzweiflung hinter sich. Er wiederum hoffte auf Cornelias Besonnenheit. Beide fehlten weit mit diesem Wunsch. Es sollte in der Vorstellung der beiden mit jeder fortschreitenden Sekunde zu Ende sein. Jeder neue Augenblick sollte das verhasste und erhoffte Schlusswort setzen. Doch es passierte nichts dergleichen. Im Gegenteil: Sie kamen dem Bett bedrohlich näher, sie fielen stöhnend darauf. Cornelia rollte sich auf ihn, verharrte kurz und sah ihn an. Diese kurze Pause brachte plötzlich die Wendung. "Wir sollten wirklich nicht", meinte Caleb endlich. Sie war erleichtert. "Du hast etwas Besseres verdient." Und nun war sie verwirrt. Die Verwirrung stand ihr eindeutig ins Gesicht geschrieben. "Ich meine das hier. In einem kleinen Zimmer, frei von jeglicher Romantik, ohne vorangegangene Zärtlichkeiten; ein Essen, ein Tanz, etwas in der Art." "Oh, ich bitte dich!", lachte sie. "Hätte ich jedes Mal vor dem Sex nach Romantik verlangt, dann wäre ich noch –" Sie brach schlagartig ab, als sie Calebs entgeisterte Miene sah. "Soll das heißen, du bist nicht mehr…?" Wie hätte sie sich gewünscht, in Erdboden zu versinken! So viel Glück und dann so viel Dummheit! "Ich – nun, ehrlich gesagt … bist du etwa … ?" Die Röte schoss Cornelia ins Gesicht. Und ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Er nickte. Und sie fiel für ein paar Sekunden in panische Starre. Natürlich, er liebte ja nur sie, wie sich inzwischen herausgestellt hatte. Also hatte er entweder auf sie gewartet oder er hatte sich geschworen, niemals jemand anderem nahe zu kommen. Beides war schlecht. Sehr schlecht. Abgrundtief schlecht. "Cornelia, geht es dir gut? Du siehst so blass aus." "Nein", hauchte sie, den Tränen nahe. "Nein, nein, nein! Oh, nein!" Ruckartig sprang sie auf und schlug die Hände vor den Mund. "Es tut mir ja so leid! Caleb, ich – du musst verste–" "Schon gut, ich bin dir nicht böse." Er hatte den Grund ihrer Panikattacke richtig erkannt. In Wahrheit verletzte es ihn natürlich schon, doch in welcher Position befand er sich, um ihr Vorwürfe zu machen? "Es war niemals eine Abmachung zwischen uns, enthaltsam zu leben. Ich hatte dir weisgemacht, dich nicht zu lieben, also muss ich mit den Konsequenzen leben. Der Plan war immerhin, dir ein normales Weiterleben zu ermöglichen. Allerdings verstehe ich nicht, wieso–" "Wieso ich mit anderen Männern geschlafen habe, obwohl ich dir versichert habe, dich immer geliebt zu haben?", beendete sie den Satz. Vorsichtig setzte sie sich vor Caleb auf das Bett und nahm seine Hände. Er entzog sie ihr nicht, was ihr Mut gab, weiterzusprechen. "Natürlich kannst du das nicht verstehen, wie auch?" Sie seufzte. "Peter – er war neunzehn, ich war in meiner Eitelkeit gekränkt. Und wir waren bereits ein paar Monate zusammen. Ich suchte die Bestätigung, dass ich doch liebenswürdig war – das war kein Vorwurf an dich, glaub mir. Es ist eine Entschuldigung für mich. Nachdem das mit Peter vorbei war, hatte ich eine leicht rebellische Phase. Das war zwischen sechzehn und siebzehn, als ich mich mit meiner Mutter zerstritt und von Zuhause auszog. Ich will nicht ins Detail gehen, aber es lief alles schief. Meine Familie war nicht länger Teil meines Lebens, meine Freundinnen zerstreuten sich in die Welt, ich hatte keinen Halt und keine Perspektiven. Und dann kamen da die Nächte, in denen der Alkohol floss und die jungen Männer mich umschwärmten. Ich hab mit keinem von ihnen geschlafen. Und glaub mir, nicht einer konnte mir mit der hingebungsvollsten Geste jenes wohlige Gefühl geben, das du mir vermittelst, wenn du nur in meiner Nähe –" "Du brauchst nicht weiterzusprechen", unterbrach er sie. Er stand schweren Herzens auf. Mit gesenktem Blick legte er ihr die Hand auf die Schulter. "Gute Nacht." Arme Cornelia! Sie hatte so viel durchlitten und in dem Moment, in dem sie endlich den Lohn erhalten sollte, musste sie diesen schweren Fehler begehen. Wieso hatte sie es auch so leichtfertig gesagt? Es war ihr klar gewesen, welchen Effekt es haben musste – doch die Unüberlegtheit zog wie so oft auch diesmal siegreich von dannen. Sie ohrfeigte sich in Gedanken, während sie zusammengesunken auf dem Bett saß, die Schultern hängend und sich in den Schlaf schluchzend. Caleb maß sich nicht an, sein Leid zu zeigen. Er war der Stärkere der beiden. Dass seine Ratlosigkeit, seine Hilflosigkeit wie eine Abweisung gewirkt hatte, dessen war er sich nicht einmal ansatzweise bewusst. Für ihn zählte nur, mit sich ins Reine zu kommen. Doch wie sollte er das schaffen? Cornelia in den Armen anderer Männer zu vermuten, hatte ihn schon zu Zeiten der räumlichen Trennung Tag um Tag fertig gemacht. Nun die Gewissheit vor sich zu sehen war mehr, als zu ertragen er die Kraft aufbringen konnte. Dabei war es doch das, was er sich so sehnlich gewünscht hatte! Er hatte gehofft, sie glücklich zu sehen. Und nun, da die Situation so lag, wie sie nun einmal lag, da hätte er für ihrer beider Seligkeit ihrer beider Unglück gehofft. Wieso genau ihn Cornelias Aktivitäten so zusetzen war ihm natürlich klar. Sie war die einzige in seinem Leben – genau denselben Stellenwert wollte er auch in ihrem Leben haben. Das war egoistisch in seiner Position, töricht im Angesicht ihrer Schönheit und dumm, sobald man die Natürlichkeit bedachte, mit der Beziehung nach dem Ende einer anderen eingegangen wurden, egal wie stark man sich der vorangegangenen Liebschaft noch verbunden fühlte. Dass seine Moralvorstellungen in ihrer Welt keinerlei Wert hatten, das wusste er nur allzu gut. Drei Zimmer weiter auf der anderen Seite, genau am anderen Ende des Ganges, fand Cornelia viel leichter Schlaf. Ihre Gedanken waren einfacher: Wieso? Und die Reaktion darauf war ebenso einfach: Sie weinte. Beinahe eine Stunde lang weinte sie unaufhörlich, ohne nachzudenken. Sie wollte auch gar nicht daran denken, was nun geschehen würde. Sie hatte alles verspielt. Die bloßen Gedanken an diese Gedanken taten schon mehr weh, als sie ertragen konnte. Also tat sie das einzige, das ihr übrig blieb. Verzweifeln. Nach einer Stunde, lange bevor Caleb überhaupt daran dachte, einzuschlafen, fand sie unter Erschöpfung den Weg ins Traumland, aus dem sie am nächsten Morgen schreiend erwachte. Schweißgebadet, zitternd und kreischend schlug Cornelia um exakt sieben Uhr acht die Augen auf. Als sie auffuhr, wurde ihr schwarz vor Augen. Sie musste sich rasch wieder hinlegen, um nicht ohnmächtig zu werden. Verwirrt versuchte sie den Traum zu rekonstruieren, als plötzlich beide Türen zu ihrem Zimmer aufgestoßen wurden. Sämtliche Bewohner der umliegenden Räumlichkeiten standen wie aufgescheuchte Hühner im Schlafgewand um ihr Bett herum und bewarfen sie mit einer Menge Fragen. "Was ist los?", "Hast du schlecht geträumt?", "Brauchst du Wasser?", "Cornelia!", "Geht es dir gut?", "Hat dich jemand angegriffen?", "Ich träumte von einem Schwein!", waren nur einige der Sätze, die sie aus der Flut herausziehen konnte. "Alles in Ordnung", antwortete sie schnell. "Ich hatte nur…" Beim Anblick von Caleb brach sie jedoch ab. Er war der einzige, der sie nicht angesprochen hatte. Er stand noch immer im Türrahmen, ohne sich herein zu trauen. Will verstand schnell, was passiert sein musste, wenn auch nur teilweise. Sie reagierte dennoch genau richtig. Mit einer Kopfbewegung schickte sie Caleb fort, der froh war, der Misere entkommen zu sein, die seine Reflexe ihm eingehandelt hatten. "Erzählst du uns, was du geträumt hast, Cornelia?" Die Angesprochene zuckte mit den Schultern. "Kann ich nicht. Ich weiß es nicht mehr. Aber ich denke, es ging um das Übliche. Caleb. Diesmal war alles dunkel, soweit ich weiß. Dunkel und kalt und an mehr kann ich mich nicht erinnern." "Das ist bedenklich", murmelte Will ernst. "Du hast schon lange keine Alpträume mehr gehabt. Ist gestern was passiert, was das erklären konnte?" "Oh, da ist sicherlich was passiert", meinte Irma schelmisch. Sie zwinkerte Cornelia zu, doch diese antwortete nur mit einem mahnenden Blick, der sie schnell abbrechen ließ. "Habt ihr etwa nicht…?" "Nein, wir haben nicht", fauchte Cornelia, Irmas komischen Unterton imitierend. "Wir haben gestritten." "Und da hätten wir auch schon die Lösung", scherzte Will, den Ernst der Situation nun verkennend. Sie wusste ja nicht, dass dieses Streitthema kein Scherzstreit gewesen war. "Diesmal war es anders." Cornelia legte den Kopf in die Hände. "Ich hab unvorsichtigerweise erwähnt, dass ich natürlich auch andere Beziehungen hatte." "Warte, warte!", unterbrach Will. "Soll das heißen, er nimmt es dir übel, dass du andere Bekanntschaften hattest, obwohl er Schluss gemacht hat? Das kann nicht sein Ernst sein!" "Ich weiß nicht, ob er es mir übel nimmt, aber er sah so aus, als könne er nicht damit leben." "Dann müssen wir mal ein paar Takte mit dem feinen Herrn reden, schlage ich vor", rief Irma enthusiastisch. Sie ballte eine Hand zur Faust und streckte diese gen Decke. "Wir können es ihm immerhin nicht durchgehen lassen, dass er von dir erwartet, auf ihn zu warten, wo er doch ganz klar gesagt hat, dass keinerlei Zukunft für euch besteht." "Lass es einfach, Irma. Bitte. Ganz so einfach ist das nicht." Cornelia flehte schon fast, doch sie fand ihre Fassung schnell wieder. "Womöglich ist es so besser. Wer weiß, vermutlich hätte mich unsere zweite Trennung für immer zerstört." Taranee wollte ein paar aufmunternde Worte sagen, doch ehe sie anfangen konnte, wurden sie in ihrem Gespräch unterbrochen. Anne war eingetreten, kreidebleich und abgehetzt. "Königin Elyon! Mit ihr stimmt etwas nicht! Kommt bitte schnell mit!" Dass etwas nicht mit Elyon stimmte, war eine Untertreibung gewesen, das konnte jeder auf den ersten Blick sehen. Als die Wächterinnen in das Zimmer der Majestät eintraten, sahen sie als erstes einen Pulk Menschen, der um Elyons Himmelbett versammelt war. Unter ihnen erkannten sie bloß Eris, die sogleich das Wort übernahm. "Ein Glück, euch endlich hier zu wissen", meine sie mit Panik in der Stimme, obwohl ihre Mimik unberührt aussah. Sie ging auf Will zu und umschloss ihre Hände. "Die Königin lässt sich jeden Morgen um zwei Minuten vor Sieben wecken. Doch heute versuchten die Diener alles Mögliche, ohne sie wecken zu können!" "Soll das heißen, sie…sie wacht nicht auf?", wiederholte Will irritiert. Sie wegen einer verschlafenden Königin rufen zu lassen war ihr neu. Eris erkannte ihre Verwirrung, also trat sie zur Seite, um den Blick auf Elyon freizugeben. Das Bild, das sich den Wächterinnen bot, war ein furchtbares, wenngleich es friedlich wirkte. Elyon lag stocksteif in dem Bett, alle Muskeln angespannt. Die Augen waren geschlossen, der Mund bildete eine gerade Linie. Sie sah aus, als habe man sie kerzengerade hingelegt. Sie trug noch ihre Regentenkleidung und ihre Krone. "Was ist mit ihr geschehen?", hauchte Cornelia. Sie kniete sich neben Elyon, um ihre Hand zu nehmen, doch sie ließ sich keinen Millimeter bewegen. "Ist sie zu Stein erstarrt?" "Wir wissen es nicht genau", meinte Eris besorgt. "Es sieht aus wie eine Art Fluch oder Bann, der sie umgibt. Im Falle ihrer Abwesenheit habe ich die Pflicht, die Regierungsgeschäft weiterzuführen." "Sie will uns schwächen", unterbrach Will sie überlegend. Angestrengt nachdenkend schritt sie mit verschränkten Armen durch das Gemach. "Phoebe hat keine Chance gegen Elyon, egal wie groß ihre Macht auch ist; immerhin hat Elyon nicht nur große Kräfte, sondern auch fünf Wächterinnen und eine schlagkräftige Armee aus zum Teil ausgebildeten Kriegern. Egal wie viele Schattenkreaturen Phoebe auch mobilisieren kann, sie kann gegen uns nicht ankommen. Also schwächt sie unser empfindlichstes Glied." "Das ist ja schön und gut", sagte Cornelia, Elyon immer noch schmerzlich betrachtend, "aber was hilft uns diese Erkenntnis? Ohne Elyon sind wir nicht stark genug. Sie gibt Meridian alle Energie; und ohne die können wir nichts ausrichten." Will grummelte nur vor sich hin, ohne eine befriedigende Antwort geben zu können. Sie hätte auch gar keine Möglichkeit gehabt, denn plötzlich wurde die Türe aufgestoßen. Sie flog mit voller Wucht gegen die Innenwand des Zimmers und verursachte ein lautes Krachen, das alle aufschreckte. Der Übeltäter war ein abgehetzter Caleb, dem Anne gerade auf Eris' Befehl die Nachricht überbracht hatte. Er stand keuchend im Türrahmen, unwillig, das Gehörte für wahr zu halten. Doch die Szene ließ ihm keine andere Wahl, als Annes Worten Glauben zu schenken. Cornelia wandte den Blick sofort ab, als sie ihn erblickte. Wo sie sonst in seiner Gegenwart errötete, wich nun jegliche Farbe aus ihrem Gesicht. Ihre Augen waren fest auf Elyons Hand gerichtet, die sie krampfhaft zu umklammern versuchte. Es wurde sogar noch unangenehmer, als Caleb sich auf der anderen Seite des Bettes niederließ, um ebenfalls die Versteinerte fassungslos anzusehen. Sein Blick weilte weitaus kürzer auf Elyon, denn angesichts Cornelias Anwesenheit hatten seine Präferenzen sich ein wenig anders verteilt. Er suchte Cornelias Blick regelrecht, aber sie wand sich so geschickt aus der stummen Aufforderung, dass ihm die Peinlichkeit über blieb, sich schuldig zu fühlen. "Was gedenkt Ihr nun zu tun, Eris?", fragte er mit einer gewissen Härte in der Stimme. "Wenn ich das wüsste!", stieß sie aus, fasste sich aber sogleich wieder. "Die Königin wieder ins Leben zu holen wird eine schwierige Angelegenheit, für welche unsere verbleibende Zeit kaum ausreichen wird. Nun, da Phoebe unser gesamtes Konstrukt am wichtigsten Punkt schwer verwundet hat, wird ein Angriff nicht lange auf sich warten lassen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns weiterhin so gut als möglich vorzubereiten." "Womit wir wieder beim Ausgangsproblem wären", schaltete sich Will ein. "Wie können wir Phoebe besiegen?" Es folgte ein Moment des einträchtigen Schweigens, in dem jeder seine Möglichkeiten durchdachte. Aber niemand schien Erfolg zu haben – niemand, bis auf Cornelia, der schlagartig etwas einfiel. "Ich hab' die Lösung!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)