Rewind And Reflect von 4FIVE ([Caleb x Cornelia | canon-sequel | enemies to lovers]) ================================================================================ Kapitel 10: Remnant Love ------------------------ … 
I can't escape the veil you weaved for me with all my thoughts held tight to you … Z E H N Will war für den Rest der Nacht nicht richtig ansprechbar. Sie nickte zwar brav und murmelte auch manchmal Antworten auf Fragen, doch diese waren immer falsch und bezogen sich zumeist auf eine ganz bestimmte Person, die ihr völlig den Kopf verdreht hatte. Irma, Hay Lin und Taranee gaben es nach einer viertel Stunde auf, mit den anderen über mögliche weitere Vorgehensweisen zu sprechen, denn Will war weggetreten und ohne ihre Autorität fingen auch Cornelia und Caleb wieder an, sich zu zanken. Egal, was er sagte, sie beschwerte sich darüber, wies ihn zurecht oder beleidigte ihn, was er natürlich nicht auf sich sitzen ließ. So entschied man, oder eher die einzigen, die klar denken konnten, dass man, oder eher alle die nicht klar denken konnten, schlafen gehen sollten und man, also alle, am nächsten Tag im Silver Dragon besprechen würden, was nun geschehen werde. So verabschiedeten sich alle mehr schlecht als recht und riefen zwei Taxis, die sie in die beiden Wohnungen brachten, welche als Zweigstellen des Hauptquartiers dienten. Taranee hatte anfangs ein Hotel nehmen, doch Hay Lin davon nichts wissen wollen. Cornelia hatte indes versucht, die Schlafplätze so zu tauschen, dass Taranee statt Caleb in ihrer Wohnung schlief, aber das war schiefgegangen. Zum einen wollte Hay Lin dem ohnehin schüchternen Eric keinen möglichen Konkurrenten vorsetzen, an dem er sich verletzen könnte, zum anderen fürchtete sie, die peniblen Nachbarn könnten Verdacht schöpfen, sie sei in falschen Kreisen unterwegs, denn Calebs Manieren waren nach wie vor nicht richtig gesellschaftstauglich und dem Getratsche wollte sie sich nicht aussetzen. Außerdem, und das war der Hauptgrund, hielt sie weiterhin an ihrer Meinung fest, man solle die beiden, Caleb und Cornelia, einfach beisammen lassen, dann würde die Liebe von alleine wiederkommen. So wurde es erneut eine äußerst unangenehme Heimfahrt mit dem Taxi von der Downtown ans East End. Doch im Gegensatz zur dazu äquivalenten ersten Taxifahrt, in der eine unangenehme Stille geherrscht hatte, herrschte nun eine unangenehme Spannung, die durch bösartiges Zischen regelrecht zerhexelt wurde. "Er ist ein Mensch. Wir dürfen ihn da nicht mit reinziehen." "Und? Du bist eine Blume!" "Man nennt es Flüsterer und das war echt tief, sogar für deine Verhältnisse." "Meine Verhältnisse? Ach, setze ich denn neue Maßstäbe?" "Zumindest erreichst du die gesetzten allemal!" "Argh, ich könnte dich…ich würde so gerne…nein, ich werde dich…argh!" Cornelia ballte die Hand zu einer Drohgebärde und beugte sich nach hinten. "Streitet doch nicht an diesem wundervollen Tag", flötete Will aus ihrer anderen Sphäre. Sie hatte den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe gelehnt und sah gedankenverloren in den Nachthimmel. "Will, reiß dich zusammen! Du bist keine vierzehn mehr", informierte Cornelia sie schnippisch. Dann drehte sie sich wieder um und murmelte: "Führt sich auf wie im Kindergarten." Caleb konnte sich einen ebenfalls gemurmelten Kommentar nicht verkneifen: "Und du etwa nicht?" "Das will ich überhört haben." Damit war die Diskussion beendet, denn Will war eingeschlafen und Caleb dachte nicht daran, Cornelia neuen Brennstoff zu geben, um ihm einzuheizen. Dass sie ihm verbal und somit rhetorisch überlegen war, war keine Kunst. Er war ein Krieger, ein Mann der Fäuste und sie, ein Mädchen, neigte eindeutig dazu, sich in der Kunst der psychologischen Kriegsführung zu profilieren, worin er keine Chance hatte. So hüllte sich auch diese Heimfahrt in totes Schweigen, bis Cornelia den Fahrer bezahlte und Caleb damit beauftragte, die schlafende Will hinauf in den vierten Stock zu tragen. "Du weißt ja, wo alles ist. Leg sie auf ihr Bett und lass sie einfach schlafen. Aber sei vorsichtig, sie hat einen leichten Schlaf. Gute Nacht." Und dann herrschte wieder Totenstille um die drei Personen herum. In dieser Nacht wagte Cornelia es, einzuschlafen, wenn auch nicht gewollt, sondern aus überwältigender Müdigkeit. Sie hatte seit gestern nicht geschlafen und selbst wenn sie sich unwohl fühlte bei dem Gedanken, Caleb könnte von ihren Alpträumen erfahren, wenn sie wieder einmal schreiend und weinend aufwachte, verspürte sie doch auch ein gewisses Wohlgefühl bei dem Gedanken, dass Caleb nur ein Zimmer weiter lag. "Himmel, Schluss damit!", mahnte sie sich selbst. "Keine positiven Gefühle jemandem gegenüber, der mir wehtun könnte. Schwör es dir, Cornelia, schwör es! Los!" Sie sah ihr Spiegelbild an, das ihr auffordern entgegenblickte, aber weder es, noch sie selbst gaben einen Ton von sich. "Schwör dir, dich nicht noch einmal in ihn zu verlieben – besser noch, ihn gar nicht erst wieder zu mögen. Komm, mach endlich!" Aber es blieb still im Raum. Resignierend seufzend ließ sie sich auf ihr Bett fallen und zog sich die Schlafkleidung umständlich im Liegen an. Und noch bevor sie die Decke über ihren Körper ziehen konnte, fielen ihre Augen zu und der Traum begann. Die Kälte in Cornelias Zimmer verlegte den heutigen Traum auf ein riesengroßes Eisschelf, das ihr überhaupt nicht bekannt vorkam. Sie stand alleine dort, ohne eine einzige Menschenseele. Der eiskalte Wind peitschte gegen ihre zarte Haut, die unter dem leichten Kurzpyjama nur wenig Schutz fand. Zitternd schlang sie ihre Arme um sich, doch es half nichts. Sie schrie nach ihren Freundinnen. Der Sturm wurde immer schlimmer, bis das Heulen ihre Stimme übertönte, dann schlugen feine Hagelkörner, vom Wind getragen, auf ihren Körper. Cornelia spürte weder Finger, noch Zehen, und sie wusste nicht, wo sie war, wohin sie gehen sollte. Ein tiefes Gefühl der Verzweiflung und Einsamkeit überrannte sie. Es trieb ihr Tränen in die Augen, die beim Herunterrollen zu Eis gefroren und klirrend auf den Schneeboden fielen. Stehen half nichts. Entschlossen drehte sie ihren steifen Körper um. Sie befahl ihren widerspenstigen Gliedern, sich vorwärts zu bewegen, vom Rand des Schelfs weiter ins Innere. Sie hoffte, auf eine Siedlung oder Ähnliches zu treffen. Unbewusst und unwillkürlich rief Cornelia die Namen ihrer Freundinnen weiterhin, ohne sie zu hören. Und plötzlich lichtete sich der Schneesturm ein wenig. Er gab die Sicht auf eine schemenhafte Gestalt frei, die durch den Schnee auf sie zu watete. Anfangs dachte sie, es wäre Will, doch der Schemen war eindeutig männlich. Und da ging es ihr auf. "Na super", zischte sie. Endlich hatte sie verstanden. Es war wieder ein Traum, einer jener Träume, in denen nichts passierte und man nur hilflos durch eine unbekannte Umgebung irrte, bis man das Gefühl hatte, verfolgt zu werden und begann, zu fliehen. Aber hier war es umgekehrt: Jemand kam auf sie zu. Und sie wusste, wer es war. Wer sonst kam in allen ihren nächtlichen Ausflügen vor – egal in welcher abgelegenen Gegend? Sie hoffte nur, nicht loszuschreien. Doch nun, da ihr klar war, dass sie träumte, wusste sie sich zu beherrschen. Wie angewurzelt verharrte Cornelia auf der Stelle. Ihr Arm legte sich schützend über ihre Augen, aber die Eiseskälte gelangte trotzdem noch an ihr Gesicht. Nun wartete sie. Sie wartete Stunden, bis die Gestalt nur mehr wenige Meter vor ihr war und sie ihr Gesicht zu erkennen glaubte. Und dann, so unerwartet wie nur etwas, tat sich der Abgrund auf. Instinktiv, das Wissen um den Traum über Bord geworfen, rannte Cornelia schreiend auf den Abgrund zu. Sie erwischte das Handgelenk der Gestalt nur mehr ganz knapp. "Caleb!", kreischte sie verzweifelt. Sein lebloser Körper baumelte von ihren schlanken Armen gehalten am Rande der kilometertiefen Schlucht. Langsam, aber sicher, verließen sie die Kräfte. "Hilfe! Hilfe!" Aber es kam niemand. Der Körper wurde immer schwerer, die Last unerträglich. Calebs Handgelenk entglitt ihr mit jeder Sekunde mehr und mehr, bis sich nur mehr ihre Fingerspitzen ineinander verhakt hatten. Und dann fiel er. "Neeeein!" Ihr eigener schriller Schrei ließ Cornelia in ihrem Zimmer erwachen und von dem Lärm erschrocken gellend kreischen. "Cornelia!" Caleb war in ihr Zimmer gestürmt, nur in Unterhose und dem Shirt der Heavymetal Band. "Was ist passiert? Hat dich jemand angegriffen?" Nun erst sah sie das Schwert in seiner Hand. "Nein, niemand, es war –" Sie stockte und sah beschämt zu Boden. "Es war nur ein Alptraum." "Dir geht es also gut?", versicherte er sich. Seine Miene verriet eine Mischung aus Besorgnis und Unbehagen. "Physisch ja." Aber als sie merkte, wie peinlich ihre Antwort war, verbesserte sie: "Ja, mir geht es gut. Es war ja nur ein Traum. Ähm…was habe ich denn geschrien?" Vor der Antwort fürchtete sie sich mehr, als vor dem Traum. "Nichts", meinte Caleb nur schlicht. "Du hast einfach geschrien. Dir geht es wirklich gut?" "Sehe ich etwa nicht so aus?" Cornelia erschrak über ihren feindseligen Ton. "Tut mir leid, ich will nicht schon wieder streiten. Das alles wühlt mich nur ziemlich auf." Er lächelte matt. "Das kann ich verstehen. Die neue Gefahr, der neue Kampf, die neue Unordnung und die erneute Aufgabe, als Wächterinnen die Welt zu beschützen." "Ja. Ja, genau das – und…" Sie brach ab. Es auszusprechen bedeutete, Schwäche zuzugeben. Aber es war sowieso zu spät. Ihr Mund arbeitete ohne ihre Einwilligung. "Und du." Caleb machte einen Schritt auf das Bett zu, ohne wirklich näher zu kommen. Er war nicht sicher, ob er dieses Gespräch weiterführen wollte und vor allem sollte. Es konnte übel ausgehen. "Was meinst du mit ich?" Cornelia holte tief Luft. Es kostete sie einige Überwindung, das auszusprechen, was sie sorgsam vermieden hatte zu denken und zu fühlen. "Damit meine ich, dass mich dein Auftauchen aus der Bahn geworfen hat." "Deshalb hasst du mich?" "Was bedeutet schon Hass?", sinnierte sie. Ihr Herz klopfte schneller, als sie wie von selbst aufstand, zu ihm hinüberging und dicht vor ihm stehenblieb. Es war ihm sichtlich unangenehm. "Stimmt schon, du hast mich verlassen, aber darum hasse ich dich nicht. Ich war im ersten Moment nur enttäuscht." "Cornelia, ich –" Aber sie sprach einfach weiter. "Weißt du, ich dachte die ganze Zeit über, dass mich dein Auftauchen aus der Bahn werfen würde, dabei war es nur der Gedanke daran. Ich hatte Angst, dir wieder zu verfallen. Darum habe ich dich anfangs so geringschätzig behandelt." Caleb war völlig überfordert. Ihre Worte hatten irgendwie keinerlei Logik. Was zum Henker meinte sie bitte? Plötzlich nahm sie seine Hand. Gedanken strömten in seinen Kopf, die zu fassen er nicht fähig war. Was sollte das alles? War das ein abstruser Traum seiner eigenen Wünsche? War es ein verdrehtes Spiel des Traumwandlers? Oder war Cornelia jetzt völlig übergeschnappt? Sie sah ihn ernst an, stellte sich auf die Zehenspitzen und war nur mehr wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, als sie schlagartig stoppte. "Ich mag dich nicht." Der Moment der verqueren Zärtlichkeit war schlagartig vorbei. Sie begann amüsiert zu lachen, machte eine elegante Pirouette und jubelte stumm triumphal. "Ich war so dumm!" Sie sprach mit unangebrachter Erleichterung, gar Euphorie. "Ich dachte allen Ernstes, ich könnte mich wieder in dich verlieben, nach all der Zeit. Aber das werde ich nicht, weil ich es gar nicht kann! Das ist klasse! Ich hab mir die ganze Zeit umsonst Sorgen gemacht!" "Bist du übergeschnappt oder so?", fragte Caleb sie halb ernstlich besorgt, halb fassungslos. Sie machte ihm sogar ein bisschen Angst. "Um das klar zu stellen" – sie wurde wieder ernster – "ich bin dir nicht böse. Ich hab dich so abwertend behandelt, weil ich Angst hatte, dir wieder zu verfallen. Aber das ist vorbei. Ich hab das mit mir geklärt. Da sind keinerlei romantischen Gefühle mehr dir gegenüber. Du bist mir einfach unsympathisch. Wahrscheinlich werden wir weiterhin streiten, aber das hat nichts damit zu tun, dass du mich abserviert hast, sondern damit, dass ich dich einfach nicht leiden kann." Nun, da ihr klar geworden war, dass sie keinerlei Gefahr lief, ihm wieder zu verfallen, war ihr Herz um so viel leichter. Caleb sah das scheinbar nicht ganz so gelassen. Sein Gesicht verriet Verwirrung und Empörung. "Vielen Dank für diese Information", höhnte er ungläubig. "Du konntest das nicht etwas netter formulieren?" "Wozu umschreiben, wenn es so viel einfacher geht?" "Vielleicht, um meine Gefühle nicht zu verletzen? Außerdem habe ich dich nicht verlassen, ich habe meine Pflichten über meine Gefühle gestellt und die negativen Konsequenzen gegen die positiven Belohnungen abgewogen." "Nenn es, wie du willst, jedenfalls bin ich deswegen nicht böse und auch nicht verbittert. Wir können also ganz normal miteinander umgehen. Wie zwei Menschen, die sich einfach nicht leiden können." Caleb wollte schon protestieren, doch er fand keine Worte dafür. Dass sie ihn abfällig behandelt hatte, war verständlich gewesen, das hatte er erwartet – aber das? Sorglosigkeit und Leichtigkeit über ein Thema, das ihn selbst aufgrund der Schuldgefühle zerfraß? Andererseits, wenn sie selbst es so einfach sah, wieso sollte er dann anders darüber denken? Mit ihren Ansichten waren seine Probleme gelöst und das war durchaus zu begrüßen. Er musste sich keine Gedanken mehr machen, ihre Gefühle zu verletzen oder ihren ohnehin schon verletzten Gefühlen einen weiteren Stich zu versetzen oder ihre Seele in Stücke zu zerfetzen. Wenn sie sich nicht länger über diese Sache definierte, war das für ihn nur gut. In Zukunft konnte er sich wehren, denn sie standen nun auf gleicher Stufe. Er war nicht länger der Buhmann, der sie gekränkt hatte und nun im Nachteil war. "Hast du nichts dazu zu sagen?" Cornelia deutete sein Schweigen als Unsicherheit, aber Caleb zerstreute ihre Zweifel schnell. "Nein, du hast alles gesagt, was zu sagen war, denke ich." Er streckte ihr die Hand entgegen. "Freunde?" "Reduzieren wir es auf Mitmenschen", scherzte Cornelia. Einverstanden ergriff sie Calebs Hand und drückte sie als Zeichen ihrer Anerkennung. "Da das nun geklärt wäre, hätte ich gerne ein paar Antworten." Er wartete ein Nicken ab. "Frage Nummer eins: Wieso wohnst du hier? Dein Zimmer war doch sehr schön und vor allem größer als die ganze Fläche hier." "Ah, gehen wir zum Smalltalk über?", fragte Cornelia skeptisch. Ihr erschien das eben Geschehene irgendwie unwirklich. Dass es ihr so leicht gefallen war, sich sicher zu sein, dass sie sich niemals mehr in ihn verlieben würde, war seltsam – beinahe magisch. "Nennen wir es Informationsbeschaffung. Ich möchte mich gerne erfahren, was alles passiert ist." "Wenn du unbedingt willst." Sie warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. "Aber es ist keine allzu schöne Geschichte." "Ich bin gewappnet." Cornelia wollte bereits loslegen, die Wahrheit zu erzählen, doch obgleich es ihr leichter gefallen wäre, ihm zu erzählen, dass sie sich seinetwegen abgekapselt hatte und darum mit ihren Eltern in Konflikt geraten war, besann sie sich doch auf die andere Version. "Nachdem diese ganze Wächtergeschichte vorbei war, haben wir uns alle auseinander gelebt. Wir waren zwar noch befreundet, aber mit der Zeit wurden andere Freunde wichtiger. Ohne diesen ganzen Weltrettungskram konnten wir uns außerdem mehr oder minder gut auf die Schule konzentrieren und darüber nachdenken, wie unsere Zukunft aussehen würde. Meine Mutter ist Restauratorin und sie hatte sich stark dafür eingesetzt, mir ein Praktikum zu verschaffen, über dessen Empfehlung ich an einer teuren Privatschule aufgenommen wäre. Sie arbeitet seit dem Beginn ihrer Karriere an einem alten Schloss mit großen Anbauten und vielen heiklen Statuen. Die Restauration macht sie ganz alleine, da es früher zu unserem Familienbesitz gehörte, aber der Stadt als Museum zur Verfügung gestellt wurde, nachdem mein Großvater dem Aufwand dieses großen Baus nicht mehr gewachsen war. Die wichtigsten Räumlichkeiten sind seit Jahren fertig und auch in Betrieb, aber der Anbau und der Garten, die noch aus der Renaissance stammen, erfordern noch einiges an Arbeit. Darum wollte sie, dass ich die Arbeit fortführe. Aber vor drei Jahren entschied ich mich, nach meinem Schulabschluss doch lieber Psychologie zu studieren, als auf die Architekturfachschule zu gehen. Das hat ihr nicht gepasst. Wir sind aneinander geraten, ziemlich oft und heftig, nicht nur wegen diesem Thema. Es war einfach nicht mehr auszuhalten. Will indes wollte endlich mehr Platz für sich, da ihr Bruder immer größer und vor allem lauter wurde. Also schlossen wir zwei unzufriedenen Seelen uns zusammen und mieteten dieses Appartement. Nun ja, diese winzige Wohnung." "Beeindruckend. Du bist erwachsen geworden." Doch das hätte er besser nicht gesagt. Cornelias Miene verfinsterte sich zu einem Todesblick, der ihn schnell verbessern ließ. "Nicht, dass du damals kindisch gewesen wärst, du warst mit Abstand die Erwachsen–" "Nützt nichts mehr", schnitt Cornelia ihm das Wort ab. "Fällt dir nicht auf, dass du dir ziemliche Frechheiten erlaubst? Ich habe dir gerade Waffenstillstand angeboten, zumindest was die ungerechtfertigten Angriffe angeht und du zerstörst es damit, dass du mich daran erinnerst, wieso du Schluss gemacht hast. Vielen Dank." "Cornelia, ich wollte nicht…ich dachte, das wäre Vergangenheit?" "Ach, lass mich einfach in Ruhe!" Mit einem Satz sprang sie auf und stieß ihn zur Türe hinaus. Diese knallte sie mit so einem enormen Krach zu, dass sie selbst vor Schreck zusammenzuckte. Und dann brach es über sie. Ihre Muskeln versagten ihr den Dienst, sie sank in sich zusammen, die Arme um die Knie geschlungen und weinend. Das Schluchzen drang durch die Walnusstür, doch Calebs Misslaune wegen des Rausschmisses – des ungerechtfertigten Rausschmisses – machte seine Ohren taub für die Hilferufe des Mädchens, das ihn gerade eben mehr als jeden anderen gebraucht hätte. "Was ist bloß mit mir los?", schluchzte Cornelia leise. Ihre Haare verdeckten ihr die Sicht und ihre Lippen zitterten unkontrolliert. "Das ist ja schlimmer als in der Pubertät…verdammt…was geschieht hier?" Ihre Stimme brach. Diese Gefühlschwankungen, diese Mischung aus Manie und Depression, das schlug langsam auf ihre Nerven. Sie war fertig mit sich und der Welt. Dass es noch nicht einmal angefangen hatte, wusste sie ja nicht einmal. Der Morgen brach an, aber niemand reagierte darauf. Will war zwar bereits um acht Uhr wach, doch sie brachte die Zeit der Stille damit zu, Zeitung zu lesen und dem Radio zu lauschen. Sie hatte wunderbar geschlafen! Irgendwann war sie zwar aufgewacht und hatte Cornelia und Caleb streiten gehört – schon wieder –, doch das hatte sie nicht weiter berührt. Es kam ja – unverständlicherweise – sehr häufig vor, dass die beiden sich fetzten. Wieso auch immer, denn ein jeder sah ihnen an, dass sie schlicht und einfach noch Gefühle füreinander hatten. Egal welcher Natur nun genau. Ebenjene beiden waren von dem Streit allerdings anscheinend so erschöpft, dass sie bis in die Mittagsstunden hinein schliefen. "Morgen", murmelte Caleb. Er ließ sich von Will Kaffee anbieten, doch der bloße Gedanke daran schien in ihm Brechreiz auszulösen. Vielleicht war es aber auch nur der Anblick Cornelias, die mit düsterem Gesichtsausdruck fertig angezogen in die winzige Küche kam. "Warte, ich sitze auf deinem Platz." Er machte Anstalten, aufzustehen, doch sie winkte ab. "Bleib sitzen, ich habe nicht die Absicht, mich in diesem Raum aufzuhalten. Es stinkt hier." "Cornelia?" Will sah ihr verwirrt nach. "Ich esse heute im Silver Dragon", ließ Cornelia sie wissen. "Ich brauche frische Luft, also gehe ich schon einmal vor. Bis dann." Mit einem Karacho, das an die heutige Nacht grenzte, schlug sie die Eingangstüre zu. "O je, was hast du denn gesagt?", wollte Will wissen. Dabei wusste sie genau, dass Caleb wahrscheinlich keine Schuld an ihrer schlechten Laune trug. "Sag nichts, ist auch egal. Hier, das ist ein Zwanziger, der sollte bis zum Silver Dragon reichen. Mainstreet. Der Fahrer sollte wissen, wo das ist. Wir treffen uns in einer Stunde dort. Sei pünktlich und lass die Wohnung ganz! Sperr ab!" "Wo willst du hin?" Sie griff nach einer Tasse, die sie für Cornelia gefüllt hatte und leerte den Inhalt in einen Plastikbecher mit Deckel. "Ihr nach und sie aufheitern." Empört sah Caleb ihr nach. "Und was ist, wenn sie mich beleidigt hat? Ich könnte vielleicht auch Aufmunterung gebrauchen!" "Dann gib deine Männlichkeit gleich bei ihr ab! Du bist ein Krieger und kein Weichei, also mach dich nicht lächerlich!" Sie winkte zum Abschied und lief Cornelia so schnell sie konnte nach. "Cornelia! Warte doch!" Will drückte ihr den Becher in die Hand. "Hier, dein kostbarer Was-weiß-ich-was-Kaffee. Was war denn nachts los? Ich habe nur Türen fliegen gehört." "Er hat mich provoziert", sagte Cornelia schnippisch. "Hat er?" Sie sah ihre Freundin durchdringend an, bis diese ertappt zur Seite sah. "Okay, ich gebe zu, ich hätte nicht böse auf ihn werden müssen, aber es ist mein gutes Recht." "Weil du die Ex bist?" "Nein! Das ist vorbei! Weil…nun, es ist…ich weiß es nicht." Resignierend ließ sich Cornelia an der Bushaltestelle nieder. "Keine Ahnung, was mit mir los ist. Am Anfang war es eine Egalität, die ich ihm gegenüber empfunden habe, aber jedes Mal, wenn ich denke, dass ich alles im Griff habe, kommt diese Verachtung wieder hoch. Es ist nicht einmal so, dass ich mich wieder in ihn verlieben könnte, das habe ich heute Nacht gemerkt. Ich finde ihn unsympathisch und mein Herz rast auch nicht, wenn ich ihn sehe. Ich empfinde nur mehr Abscheu." "Ich verstehe zwar nicht, wieso und warum, aber du musst damit klar kommen und das in den Griff bekommen", mahnte Will ernst. "Wenn wir kämpfen und du hast nicht vollkommenes Vertrauen zu uns allen, dann weiß ich nicht, wie wir gewinnen sollen. Versprich mir, ihn normal zu behandeln. Kleine Zankereien sind erlaubt, mehr aber nicht." "Versprochen." Weitaus mehr diskutiert wurde über Wills Vorschläge zwei Stunden später, nachdem sich alle Wächterinnen samt Yan Lin und Caleb im Keller des Silver Dragon eingefunden hatten. Es war, als hätte man sie fünf Jahre zurückgeworfen. Der alte Treffpunkt, die alten Treffenden, die gleichen Charaktere, äquivalente Probleme. "Ich habe mir Gedanken darüber gemacht", eröffnete Will die Kriegsbesprechung. Sie stützte ihre Hände auf den schweren Holztisch, um den sie sich regelmäßig versammelt hatten, um Pläne zu machen. Der Ausblick war immer noch derselbe wie vor Jahren: Hay-Lin an die Wand gelehnt, Irma auf dem alten Sessel, Taranee mit zusammengezogenen Beinen daneben, Cornelia mit überschlagenen Beinen und skeptischen Augen auf der anderen Seite, Caleb als gelassener Krieger mit verschränkten Armen abseits und Yan Lin mit gefalteten Armen vor den Stiegen. "Folgendes: Wir wissen nicht, wie mächtig Phoebe ist. Wir wissen nicht, wo sich ihre Handlanger aufhalten. Wir wissen nicht, was sie als nächstes plant. Wir wissen nicht, auf wen genau sie es abgesehen hat. Wir wissen nur, dass sie in Meridian ist. Ich schlage vor, wir warten den nächsten Angriff ab, überwältigen den Angreifer und zwingen ihn dazu, uns zu Phoebe zu führen. Irma kann ja sehr überzeugend sein, wie wir wissen." "Ich bin völlig aus der Übung", widersprach diese wenig begeistert von dem Vorhaben. "Andernfalls hättest du schon vor einer Minute aufgehört zu sprechen." "Außerdem", ergänzte Caleb, "können wir nicht sicher sein, dass der Angreifer weiß, wo seine Herrin sich befindet. Sie könnte überall sein. Es ist sicherer für sie, niemandem ihren Aufenthaltsort zu offenbaren. Ihre Untergebenen treffen sich mit ihr vermutlich außerhalb ihres Verstecks. Sie weiß, welche Kräfte ihr habt und wie weit diese reichen." "Ich kann nicht glauben, dass ich das sage, aber ich stimme sowohl Irma, als auch Caleb zu – oh, Gott, mein Seelenfrieden ist dahin." Cornelia überschlug die Beine neu. "Wenn wir sie angreifen wollen, müssen wir entweder warten, bis sie sich uns zeigt, oder wir reisen nach Meridian und suchen sie dort, was aber unwahrscheinlich dumm wäre. Wie du korrekt bemerkt hast, wissen wir nichts von ihr. Der Überraschungsmoment geht uns also auch flöten. Insofern können wir nichts anderes tun, als zu warten, bis sie den nächsten Schritt macht." "Oma, hast du vielleicht eine Sage oder eine Geschichte, die uns weiterhelfen kann?" Yan Lin sah zu Boden und schwieg einen Moment. "Leider nicht, meine liebe Hay Lin. In diesem Fall kann ich euch nichts erzählen. Aber ich kann euch etwas über die Kräfte Phoebes erklären." Sie wurde ungeduldig dazu gebeten. "Als Phobos und Phoebe geboren wurden, wurden ihnen der Legende nach ausgleichende Gaben zugeteilt. Um sich nicht gegenseitig bereits im Mutterleib zu vernichten, erhielten sie jeweils konträren Fertigkeiten." "Wenn Phobos also einen Felsen zerstört, kann Phoebe ihn wieder zusammensetzen?", resümierte Will verwirrt. "Im Prinzip ja. In Wahrheit ist es natürlich viel komplexer und was du beschrieben hast, liebe Will, war die Wirkung. Nehmen wir an, Phobos kann tatsächlich Felsen mit seinem bloßen Gedanken daran zerschmettert, so kann Phoebe sie nicht wieder zusammensetzen, aber sie besitzt diese zerstörerische Kraft in der anderen Richtung. Wenn er also mit weiß schießt, schießt sie mit schwarz." "Das bedeutet, wir müssen nur Phobos' Talente rekapitulieren und sie umkehren, dann haben wir Phoebes Repertoire! Wir brauchen einen Stift!" Will wollte bereits loslaufen, aber Yan Lin hielt sie zurück. "Wisst ihr denn, was Phobos' Kräfte sind? Er hat nur einen kleinen Bruchteil davon eingesetzt. Seine wahre Schlechtheit definierte sich seinerzeit durch sein Kalkül, mit dem er alles und jeden manipulierte. Er stürzte Meridian in Dunkelheit, alleine durch sein Geschick und nicht durch seine Macht. Seine Kräfte umzukehren hilft euch also nicht viel, insofern, als dass ihr sie gar nicht wirklich kennt." "Okay, das sieht mir sehr nach einem Problem aus", fasste Hay Lin schlussendlich zusammen. "Also können wir nichts anderes tun, als zu hoffen, dass wir das irgendwie schaffen. Das heißt, wir leben einfach weiter und warten auf den nächsten Angriff." "Leider, meine lieben Wächterinnen, bleibt euch nichts anderes zu tun übrig. Doch bevor ich euch entlasse, möchte ich euch erst noch etwas erzählen. Es betrifft Cornelias Träume." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)