Rewind And Reflect von 4FIVE ([Caleb x Cornelia | canon-sequel | enemies to lovers]) ================================================================================ Kapitel 9: Things More Unexpectedly ----------------------------------- … Now that you have shed your tears like me when I cried my heart out … N E U N "Es tut gut, wieder zusammen zu sein!", schrie Will über die lärmende Musik hinweg. Sie hatten durch Hay Lin, die allem Anschein nach ein echtes Partygirl geworden war, einen Tisch in einem ruhigeren Teil der Tanzbar bekommen. Das Etablissement hätte zu jedem erdenklichen Anlass gepasst. Es war modern gestaltet, mit Neonlichtern versehen, einer Nebelmaschine ausgestattet und beherbergte nicht nur eine pittoresk blinkende Bar am einen Ende, sondern sogar drei Tanzflächen, deren Böden zu jedem neuen Takt in passenden Farben blinkten. Von ihrem Tisch in der hinteren Reihe aus konnten die fünf Wächterinnen in Ruhe beobachten, wie sich halbnackte Körper aneinanderschmiegten, Eifersuchtsszenen noch auf der Tanzfläche ausbrachen und spielend leicht neue Freundschaften geschlossen wurden. Der blonde Mann mit den blauen Augen, der Cornelia an ein männliches Abbild von sich erkannte—wie auch immer sie auf diesen verworrenen, gänzlich unpassenden Gedanken gekommen sein mochte—hatte mittlerweile eine hübsche Brünette erfolgreich angetanzt. Es dauerte nicht lange, bis sie an die Bar torkelten, beide bereits einen leichten Schwips vortäuschend, um am nächsten Tag nicht bereuen zu müssen, was die Nacht noch brachte. Nachdem der Blonde aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, wandte Cornelia sich wieder dem eifrigen Gespräch zu, das sich an ihrem Tisch aufgetan hatte. Bevor sie ihrem Job nachgingen, wollten sie tun, wozu sie offiziell hergekommen waren. Kein Caleb dieser Welt konnte ihnen mit seinem übersteigertem Pflichtbewusstsein diese Abend mies machen. Auch nicht mit dem schlechten Gewissen, das er ihnen versuchen würde einzureden, sobald er merkte, dass sie diese Sache nicht ernst nahmen. Noch nicht. Es dauerte lange, bis die aktuellsten Neuigkeiten ausgetauscht worden waren. Zwei Stunden lang vergaßen sie ihren Auftrag, um zu sein, was sie die letzten fünf Jahre lang gewesen waren: junge Frauen. Taranee erzählte von ihrem heimlichen Verehrer, der ihr vor einiger Zeit Blumen geschickt hatte, sich dann jedoch als Spinner mit Akne und einem Hang zu giftigen chemischen Substanzen herausgestellt hatte, was Irma ihr die nächste halbe Stunde lang mit jeder Silbe vorhielt. Sie selbst hielt mit ihren Errungenschaften kaum hinter dem Berg. Ihr Haus, ihr Auto, ihr Job, ihr Verlobter, die neunzehnjährige Wächterin des Wassers lebte das Leben einer standhaften Frau. "Und wann kommt das erste Kind, meine Dame?", fragte Cornelia spitzbübisch. "Halte dich lieber ran, sonst ist dein Leben in Rente, wenn du so schnelle Schritte machst." "Du bist doch nur neidisch, weil du ein Fach studierst, in dem nur Freaks sitzen, Corny!" "Nenn' mich nicht Corny!", fauchte sie, einen Finger anklagend auf ihre Freundin gerichtet. "Ich bin kein Müsliriegel, und schon gar kein Freak. Dieses Studienprogramm ist angesehen, wissenschaftlich fundiert, faktenbasiert, anwendungsorientiert und nützlich!" Irma unterdrückte lautes Gelächter. "Hokuspokus sage ich!" "Du kannst mich mal, sage ich!" "Mädchen!", rief Will die Streithennen zur Ordnung, ehe jemand an die hohen Decken gehen konnte. Sie übergab das Wort umsichtiger Weise an Hay Lin, die erneut eine Wiederholung dessen wiedergab, was sie bereits vor einer dreiviertel Stunde erzählt hatte. Es dauerte eine weitere dreiviertel Stunde, bis sie wieder endete und nachdem die wichtigsten persönlichen Neuigkeiten endlich ausgetauscht worden waren, wanderten ihre Körper wie automatisch zur Tanzfläche, über welche die übliche House- und Technomusik schallte. Während Will, Irma und vor allem Hay Lin ganz in ihrem Element waren, passten die anderen beiden Damen jedoch recht schnell und verzogen sich mit zwei alkoholfreien Cocktails wieder in das Séparée. "Die haben sich alle nicht verändert", meinte Taranee und nippte an ihrem Glas. Cornelia fingerte an ihrem blauen Strohhalm herum. "Du dich aber auch nicht. Immer noch die engagierte, kluge Streberin. Es ist schön zu sehen, dass manche Dinge gleich bleiben." "Ehrlich gesagt, ich denke nicht, dass wir uns jemals komplett ändern werden. Du warst auch schon immer diese ernste, skeptische Realistin." "So ist das eben mit uns", sagte Cornelia und stützte das Kinn auf den Handrücken. "Ich hätte mir nur gewünscht, dass wir uns unter anderen Umständen wiedersehen. Ich befürchte, wir sind gar nicht mehr in diesem Weltrettungskram drinnen. Und um nun einmal mit der Wahrheit herauszurücken, ich habe überhaupt keine Lust darauf." Sie trank das halbe Glas in einem Zug leer. "Sie sollten aufhören, überall Grenadine hineinzuschütten. Das alles passt mir ganz und gar nicht." Taranee lachte. "Ich habe noch nie jemanden getroffen, den das so nervt." "Ich meine doch nicht den Cocktail", korrigierte Cornelia. "Dieses ganze Verwandeln und Weltretten und so, das bin ich nicht mehr. Eine Wächterin zu sein war vor langer Zeit meine Aufgabe. Da war es cool und aufregend, aber inzwischen habe ich damit abgeschlossen. Ich möchte nicht mehr diese süßen, putzigen Flügelchen auf meinem Rücken haben und auch nicht um fünf Jahre älter wirken. Dann sähe ich aus wie vierundzwanzig und das ist um fünf Jahre näher an der dreißig als meine neunzehn! Außerdem habe ich einen Job, ein Studium, eine Menge Arbeit und nächsten Monat eine extrem wichtige Prüfung, da habe ich nun echt keine Zeit für das Ganze. Zudem trage ich dann diesen lila Rock und lila ist so was von out!" Sie sahen sich kurz an – Cornelia ernst, Taranee fassungslos –, dann lachten sie laut los. "Um ernst zu bleiben, ich sehe die Gefahren viel deutlicher als damals. Als Kinder waren wir unbesorgt, nicht so ängstlich. Wir wussten nicht, was auf dem Spiel stand, haben einfach übersehen, dass wir dabei hätten draufgehen können. Diese ganzen Gefahren erscheinen mir viel schlimmer als früher." Taranee nahm ihre Hand. "Aber sieh' doch einmal die Vorteile. Wir haben viel mehr Wissen als damals, viel mehr Erfahrung und vielleicht auch mehr Macht. Unsere Kräfte wachsen mit unserer mentalen Stärke und da wir alle eigenständig sind, haben wir sicherlich größere Kräfte als mit vierzehn. Außerdem ist lila niemals out." Sie brachen in schallendes Gelächter aus und in diesem Moment war ihnen beiden, denjenigen, die am meisten Angst hatten, so leicht ums Herz, dass sie alle Sorgen für die nächsten Minuten vergaßen und so unbeschwert redeten, als wäre sie noch in der High School. "Hey, wieso habt ihr schon so früh schlapp gemacht?", zog Irma sie auf, als sie mit den anderen wieder zum Tisch kam. Es war inzwischen kurz nach halb zwölf. "Wir sind müde geworden", erklärte Cornelia, doch dann fiel ihr jemand auf. "Ist das Matt da drüben?" Sie deutete auf eine Gruppe junger Männer, die sich um die Bar tummelten. "Was? Wo? Oje, wie sehe ich aus?" Panisch versuchte Will ihr vom Tanzen wirr gewordenes Haar zu ordnen. "Ist doch völlig egal, du kannst da nicht rüber gehen!", verbot Irma es ihr. "Hast du vergessen, warum wir eigentlich hier sind?" "Stimmt." Cornelia nickte. "Ich bin nämlich extrem müde und werde dann mal nach Hause gehen." "Geht's vielleicht noch etwas auffälliger und gespielter?", nörgelte Irma. "Mach du es doch!" Sie wandte den Kopf ab. "Außerdem hört uns hier drinnen sowieso keiner, der nicht unmittelbar bei uns steht. Ich verstehe mein eigenes Wort ja nicht einmal. Also, bis später." Mit stapfenden Schritten durchquerte sie das Tanzlokal und griff etwas rabiat ihren unschuldigen Mantel, dessen Schlaufe sich am Kleiderständer verhakte und sie beim Versuch, wütend wegzugehen, zurückhielt und zu Fall brachte. Sie dachte schon, gleich den dreckigen Boden unter ihrer teuren Hose zu spüren, aber stattdessen fingen schlaksige Arme sie mehr schlecht als recht und richtete sie wieder auf. "Alles in Ordnung?" "Matt! Danke, ja." Verlegen blickte sie in Wills Richtung, doch man sah sie hinter der Ecke nicht. "Schön dich zu sehen. Ich wollte gerade gehen." "Dachte ich mir fast. Ist Will auch hier?" "Will?" Unschlüssig trat sie von einem Bein auf das andere. Sollte sie es ihm sagen? Lügen war immerhin eine Todsünde. "Nein, ich bin mit Studienkollegen hier." Was sollte es, sie glaubte sowieso nicht an Gott. "Aber ich bin total müde, es ist ja auch schon spät. Halb zwölf immerhin. Also, mach's gut!" "Cornelia, warte!" Wäre ja auch zu schön gewesen. "Tut mir leid, dass ich dich das frage, aber ich muss einfach. Wie hat Will meinen Anruf aufgenommen?" Kurz und schmerzlos, Hauptsache kurz, sagte Cornelia sich in Gedanken. "Sagt dir Wolke sieben etwas? Ich denke, das ist mehr Information, als ich dir hätte sagen dürfen. Du bist ein netter Kerl und du wirst sie gut behandeln. Ich hoffe zumindest, dass du aus diesem Grund angerufen hast?" "Nun ja, im Prinzip…", begann er. "Ist ja auch egal, besprich das mit Will. Ich muss jetzt echt los. Man sieht sich!" "Warte! Willst du echt alleine nach Hause gehen? Es ist spät und dunkel. Ich würde ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich dich nicht wenigstens bis zu einem Taxi bringen würde." Er ging lächelnd an ihr vorbei und hielt ihr die Türe auf. "Oh, nein", zischte Cornelia. "Matt, echt, das ist lieb von dir und ich würde wirklich gerne diesen Service in Anspruch nehmen, aber ich bin schon groß. Ich schaff das schon." "Na gut, wie du willst." Er ließ sie passieren und schloss mit unsicherer Miene die Türe hinter ihr. Matt war von Natur aus mit einer gesunden Portion Neugierde ausgestattet, aber er hatte gelernt, diesem kindlichen Drang nicht immer nachzugeben. So auch heute Nacht. Er schwor sich, nicht nachzufragen. Will war nicht hier, also gab es keinen Grund, misstrauisch zu sein. Er schwor sich aufrichtig, der Sache nicht nachzugehen, doch als er Irma und Hay Lin auf die Toilette verschwinden sah, fielen alle guten Vorsätze von ihm ab. Da war etwas im Busch! Die übliche Mädchenrunde wieder vereint, eine davon mit äußerst merkwürdigem Verhalten und auch noch eine Lügnerin. Warum hätte Cornelia ihm nicht sagen sollen, dass sie mit ihren alten Freundinnen hier war, wenn nicht aus einem Grund, den normale Menschen nicht erfahren durften? Doch nun war nicht die Zeit, sich diesen Fragen zu stellen. Er war sich sicher, dass hier etwas vor sich ging. Und er musste wissen, was. Als plötzlich Wills restliche Freundinnen inklusive ihr selbst aus dem Club schlichen, entschied er, dass es Zeit war zu handeln. "Jungs, ich muss mich heute leider früher verabschieden", entschuldigte er sich bei seinen Freunden. "Der Flug war echt anstrengend und ich glaube, ich leide an einem Jetlag. Also, wir sehen uns!" Matt ließ seinen Freunden nicht einmal Zeit, etwas darauf zu antworten, so schnell verließ er das Lokal. Cornelia war natürlich längst weg, also musste er den anderen folgen, die aber vermutlich genau ihre Richtung einschlagen würden. Cornelia fühlte sich äußerst unwohl. Sie wusste, dass ihre Freunde und Caleb – welcher derzeit nicht so richtig zu ihren Freunden zählte – nur wenige Meter hinter ihr waren, doch es beschlich sie trotzdem ein unangenehmes Gefühl. Sie wurde natürlich von ihren Freunden und Caleb – der vermutlich auch nie wieder zu ihren Freunden zählen würde – verfolgt, aber da war noch jemand anderes. Dumm von ihr, wo sie doch wusste, dass die Handlanger Phoebes sie beschatteten. Wann würden sie angreifen? Würden sie es überhaupt? Hatten sie die Falle durchschaut? Und wer kam da vorne aus dem schummrigen Licht der Laternen auf sie zu? Ein Feind? Ein Passant? "Dr. Blight?", rief sie verdutzt. "Was machen Sie denn hier?" "Ich gehe mit meiner Hündin spazieren. Jessica, sitz! Sag hallo zu Miss Hale." Cornelia, zwar tierlieb, aber vorsichtig, beugte sich nur aus Höflichkeit hinunter, um den Collie zu streicheln. Er war äußerst zutraulich und hatte einen sehr klaren Blick, anders als alle anderen Hunde, die sie jemals gesehen hatte. Es war, als würde die Hündin ihr direkt in die Augen schauen, als würde sie jedes Wort von dem verstehen, was gesagt wurde. Beunruhigt durch diese Vorstellung ließ sie schnell von dem Tier ab und wandte sich wieder Dr. Blight zu. "Sie scheinen ein eher nachtaktiver Mensch zu sein. Um beinahe Mitternacht trifft man sonst nicht allzu viele Menschen, die ihren Hund ausführen." "Meine Jess ist es, die von der nachtaktiven Sorte ist. Sie sehen heute übrigens sehr hübsch aus. Kommen Sie von einer Party mit ihren Freundinnen?" "Ja, das tue ich. Ich war eben auf dem Heimweg." Plötzlich raschelte etwas aus dem Hintergrund. Cornelia fasste sich erschrocken ans Herz, doch sie vermutete nur Will und die anderen hinter dem Geräusch. "Es ist für eine junge Dame nicht sicher um diese Uhrzeit", meinte Blight mit einem Blick auf seine Uhr. "Das East End ist beinahe vier Kilometer von hier, ich bringe Sie nach Hause." "Danke, Dr. Blight, aber ich muss ablehnen." "Kommen Sie, ich würde wirklich nicht gut schlafen, wenn ich Sie alleine in den dunklen Gassen wissen müsste, nachdem Sie unsere gestrige Sitzung verabsäumt haben. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, Ihnen sei etwas zugestoßen." "Oh, das tut mir leid", entschuldige sie sich. Sie wollte nur schnell weg, um Blight nicht in Gefahr zu bringen. "Ich hatte einfach furchtbar viel zu tun und dabei habe ich völlig vergessen, abzusagen…" Und da dämmerte es ihr langsam, aber sicher. War das hier wirklich ein Zufall? Die Hündin sah sie noch immer mit diesem durchdringenden Blick an. Blight schien ihre Unsicherheit zu merken. "Was ist los? Fühlen Sie sich nicht wohl? Ich bringe Sie besser nach Hause." "Nein", verneinte sie vehement. Sie machte einen Schritt zurück, doch da war es bereits zu spät. Der Hund sprang mit ohrenbetäubendem Kläffen auf sie zu. Sein Fell wurde im Flug zu einer Vielzahl schimmernder, schwarzer Stacheln und seine Schnauze verformte sich zu einem reißerischen Maul mit überstehenden Eckzähnen. Das Vieh warf sie um und bohrte seine scharfen Zähne in Cornelias Unterarm, mit dem sie versucht hatte, es abzuwehren. Reflexartig stemmte sie ihre Beine in den Bauch des Ungetüms, doch es war zu schwer als dass sie es über sich werfen hätte können. Trotzdem winselte es schmerzvoll auf. "Wächterinnen, seid vereint!", ertönte endlich Wills Stimme in der nächtlichen Stille, die nur durch das Heulen und Knurren des Untiers durchbrochen wurde. Cornelia fühlte, wie die Stärke ihren Körper durchströmte. Sie schlug ihre Hand auf den Boden, der sogleich zerbröckelte, und schleuderte einen Erdbrocken mit voller Kraft gegen das Monster. Es flog johlend gegen einen Baum. "Auf es!", befahl Will. Während die anderen drei mit Feuer, Wasser und einem Wirbelsturm auf das Tier losgingen, flog sie zu der fluchenden Cornelia, die am staubigen Pflastersteinweg des Parks lag, ihren Arm an den Körper gepresst, um die Blutung zu stillen. "Geht's?" Sie wollte ihr aufhelfen, doch Cornelia wich zurück. "Ja, danke, ich werd's überleben, denke ich. So ein Mist! Ich kann den Arm nicht mehr bewegen!" Mühsam raffte sie sich auf. Währenddessen war auch Caleb mit seinem Schwert auf das Vieh losgegangen, doch als er ihre Beschwerde hörte, machte er mit einem eleganten Rückwärtssalto über das Gesicht des Monsters Kehrt. "Gib her." Er riss ihren Arm hoch. "Au! Den könnte ich unter Umständen noch brauchen!", keifte sie und wollte den Arm aus seinem Griff winden, doch sie konnte ihn überhaupt nicht mehr rühren. Caleb reagierte gar nicht erst auf den lautstarken Protest, sondern kniete sich vor sie hin und legte die Lippen über die Bisswunde, die aussah wie eine Kreuzung aus Schlangen- und Raubtiergebiss. "Hey! Was soll –" Doch Will stieß sie in die Seite, um sie zum Schweigen zu bringen. Inzwischen hatten die drei Kämpferinnen das Untier in meterdickes Eis eingeschlossen und überprüften, ob der Käfig stark genug sein würde. Er war es nicht. Es befreite sich in Sekundenschnelle. "Verdammt!", fluchte Irma. "Wir brauchen hier ein bisschen Erde!" "Ich glaube, sie ist gerade beschäftigt." Hay Lin zeigte auf den kleinen Menschenauflauf, der sich um Cornelia herum gebildet hatte. "Wir schweben in Todesgefahr und trotzdem dreht sich alles noch um sie, das gibt's ja nicht! – Pass auf!" Irma feuerte einen Wasserstrahl auf das Vieh, das Hay Lin um ein Haar mit seinen scharfen Reißzähnen verfehlt hatte. "Cornelia! Beeil dich mal ein bisschen!" "Wieso sie auch immer Stress machen muss", zischte diese ein paar Meter abseits des Kampfschauplatzes. "Bist du bald fertig, oder soll ich ihn dir dalassen?" "Wenn du das kannst, ja. Wenn nicht, dann sei ruhig und lass mich meine Arbeit machen, bevor du deinen Arm nie wieder bewegen kannst." "Ist ja schon gut. Dann probieren wir es eben so." Cornelia schloss die Augen und sammelte ihre Kräfte einen Moment. Mit der unversehrten Hand stieß sie so fest sie konnte auf den Boden unter ihr. Dann herrschte Stille. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden, vier Sekunden. Plötzlich vibrierte die Erde. Ein feiner Haarriss zog sich von ihrer Faust weg in Richtung des Feindes, der gerade mit Feuer beschossen wurde. Gespannt sah Will dem Riss zu, der mit jedem Zentimeter näher an sein Ziel kam. Cornelia riss die Augen auf, entfaltete die Faust und riss ihren heilen Arm in die Luft. Es dauerte wieder einen kurzen Moment, bis die Auswirkungen sichtbar wurden. Um das Vieh bildete sich eine Mulde, die sich mit einem mal auftat und ihre Oberfläche auf es schlug. "Gut gemacht", lobte Will, doch es war noch nicht zu Ende. Es durchbrach sein Grab und sprang in die Höhe. Im Sprung nahm es Irma mit, die lauthals schreiend gegen einen Baum krachte. "Caleb, ich will dich ja nicht hetzen, aber beeil dich!" "Ich bin schon fertig. Aber beweg ihn nicht zu viel, sonst könnte sich das Restgift verteilen", warnte er eindringlich. "Kann ich nicht versprechen", erwiderte Cornelia ernst. Sie sah ihn einen Moment lang an, unschlüssig, ob sie ihm danken sollte oder nicht, doch dann entschied sie sich für Letzteres, stand auf und flog zu den restlichen Wächterinnen. "Ich glaube es wird Zeit für eine kleine Landschaftsänderung!" Sie warf die Hände über den Kopf. Ein großer Felsbrocken löste sich vom Gehweg und zertrümmerte auf dem Monster. "Und ein wenig Feuer, um das Ganze zu festigen!" Taranee schleuderte einen gewaltigen Feuerstrahl auf das Trümmerfeld. Das Vieh kreischte und bellte lautstark. "Es widersteht den Flammen! Cornelia, kannst du ein Erdbeben erzeugen, damit Irma Wasser unter der Oberfläche leiten kann?" "Was hast du vor? Willst du etwa…" "Einen Geysir erzeugen, ganz richtig. Irma?" Die Gerufene nickte zuversichtlich und reckte den Daumen empor. Sie verteilten sich; Irma nahm ihre Position genau über dem Feind ein, Cornelia landete hinter einem Busch am Anfang des Parks, um die größtmögliche Spannweite für das Erdbeben zu bekommen und Taranee setzte sich genau neben sie. Aber sie waren nicht alleine. "Matt?", rief Taranee ungläubig. "Was machst du denn hier? Nein, warte, ist gerade unwichtig. Bleib einfach neben mir." Sie gab Cornelia ein Zeichen und diese stemmte die Hände auf den Erdboden. Er bebte unter den Erschütterungen. Weiter vorne zog Irma hunderte Liter Wasser durch die Erde in ihre Richtung. Taranee legte indes ihre Hände auf Cornelias, um Hitze in den Wasserstrom zu leiten. "Cornelia, jetzt!", schrie Taranee. Umgehend machte Cornelia sich daran, das Epizentrum des Erdbebens auf einen Punkt unter dem Monster zu verlegen. Sie verstärkte die Intensität, sodass der Boden sich auftat und Irmas Wasser wie eine Fontäne herausschoss. Durch die Erhitzung war es lange über den Siedepunkt heraus und statt dem eigentlichen Wasser kam heißer Dampf herausgeströmt, den Hay Lin in einen Wirbelsturm verwandelte. Der Wirbel schleuderte das Untier meterweit in die Höhe, verbrannte es und ließ es danach krachend auf den Boden fallen. "Ist es endlich tot?", fragte Irma, die erschöpft auf den Knien landete und die Flügel hängen ließ. "Sieht so aus", meinte Will. Sie stupste den leblosen Körper vorsichtig mit der Schuhspitze an, aber er regte sich nicht. "Na endlich." Sie löste die Verwandlung seufzend auf. "Wo sind Cornelia und Taranee?" "Hier sind wir und wir haben ein Geschenk für dich", rief Cornelia. Sie winkte lächelnd. "Ich hab dir gesagt, du sollst ihn möglichst wenig bewegen!", tadelte Caleb mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Frauen…" "Es ist immer noch mein Arm, Mister –" Doch ihr fiel keine passende Bezeichnung ein, also beließ sie es dabei. Will hatte indes Matt erblickt und trat unruhig mit gefalteten Händen von einem Bein aufs andere. "Hey, hallo, Matt. Schön dich zu sehen." "Auch schön dich zu sehen. Ich konnte es nicht erwarten, dich zu wiederzusehen, also dachte ich mir: 'Geh ihr einfach nach und begrüße sie', aber das ist leider etwas danebengegangen." "Du hast dich gar nicht verändert", meinte Will mit geröteten Wangen. "Neugierig bis aufs Letzte." "Leute? Tante Irma unterbricht ja nur ungern euren Flirt, aber wir haben hier gerade wichtige Dinge zu klären. Zum Beispiel, was dieses Ding da war und was der Kerl damit zu tun hat, dem es gehört!" "Dr. Blight ist sicherlich nicht der Besitzer davon!", wandte Cornelia scharf ein. "Er ist ein äußerst angesehener Psychologe. Wahrscheinlich wurde er benutzt, um an mich heranzukommen! Dieses Ekel hat sich als sein Haustier ausgegeben und als es mutiert ist, ist er vor Angst weggelaufen! Wir müssen ihn finden und sicher gehen, dass ihm nichts geschehen ist!" "Hörst du dir selber zu?", unterbrach Irma. "Es liegt doch auf der Hand, dass der Typ eindeutig was damit zu tun hat!" "So ein Unsinn! Er ist nur eine Marionette!", verteidigte Cornelia ihn weiter. "Ich bin mir sicher, dass er ein Handlanger von Phoebe ist! Wer hat schon einen Hund und merkt nicht, dass es in Wahrheit ein ekelhaftes Monster ist?" "Ein Oruck", meldete sich Caleb. "Ein was?", fragten fünf verwirrte Mädchen und Matt. "Orucks sind sozusagen die Haustiere der Bösen", erklärte er. "Es sind ziemlich intelligente, aber eher schwache Tiere. Sie können und haben von allem ein bisschen. Ihre Zähne enthalten Lähmgift, aber es beschränkt sich auf die injizierte Umgebung. Sie sind recht schnell, aber durchaus einzuholen. Ihr Fell kommt einem Panzer gleich, sehr resistent gegen fast alles, aber der ungeschützte Bauch ist dafür sehr empfindlich. Außerdem hat es sehr scharfe Krallen, aber die brechen leicht ab. Ein Allzweckhaustier eben, das man sich meist nur aus Spaß an der Freude hält. Hätte man euch töten wollen, hätte man kein so schwaches Tier geschickt. Irgendwas ist daran faul. Ich bin Irmas Meinung. Wir müssen auf jeden Fall diesen Blight finden und ihn unschädlich machen." "Ich wiederhole gerne: Dr. Blight ist ein sehr angesehener Wissenschaftler und Dozent. Er hat einen glänzenden Ruf und lebt seit Jahren hier! Er kann nichts damit zu tun haben!" "Bist du wirklich so naiv? Glaubst du echt, dass er zufällig gerade heute und hier auftaucht? Woher wusste er, wo du wohnst? Warum bestand er darauf, dich nach Hause zu bringen?" Calebs Stimme wurde lauter, doch auch Cornelias Ton stand ihm um nichts nach. "Was weiß ich, aber sicherlich nicht aus böser Absicht! Er ist ein guter Mensch!", rief sie wütend. "Er hat dich manipuliert, Cornelia!" "So ein Unsinn!", schrie sie ihn zornig an. "Du hättest nur gerne, dass ich dir weiterhin hinterher heule, damit du dich wie ein toller Hecht fühlst!" "Du solltest dir mal selber zuhören", konterte Caleb nicht minder wütend. Er stieß sie gegen einen dick gewachsenen Baumstamm und stützte seine Arme links und rechts von ihrem Kopf ab, sodass sie gefangen war. "Jetzt hörst du mir gefälligst zu, okay? Ich habe recherchiert, nachdem du den Namen das erste Mal erwähnt hast und Dr. Harvey Blight ist ein vierundachtzigjähriger Mann, der an Alzheimer leidet und sich für einen Mann namens Charly Chaplin hält, wer auch immer das ist! Irgendjemand hat sich als Blight ausgegeben, um an das Herz von Kandrakar heranzukommen. Er hat dein Bewusstsein darauf hingedrängt, nicht an mich zu denken, um deine Träume besser verzerren zu können! Ich weiß nicht wieso es gerade so funktioniert, aber es ist die einzig mögliche Erklärung! Er ist ein Traumwandler!" Caleb wandte den Kopf ab, um sie nicht ansehen zu müssen. "Beeinflusste Verarbeitung", murmelte Cornelia plötzlich mit weit aufgerissenen Augen. Plötzlich war es klar. Sie war so dumm gewesen! Das Kapitel erschien vor ihrem inneren Auge ganz klar und deutlich, als wäre es hier. Wie oft hatte sie diese Seite gelesen auf der Suche nach einer Antwort und die ganze Zeit stand sie schon dort! "Was?" Caleb verstand nicht. Er sah sie nun wieder an, doch Cornelias Blick fixierte einen Punkt, der nicht in der Realität lag. "Träume verarbeiten jene Inhalte, die während des Tages nicht hinreichend aufgeschlüsselt wurden", wisperte sie schnell, ihre Stimme überschlug sich beinahe. "Kontinuierliche Erinnerungen werden innerhalb ihres Kontextes zum Traum, wenn keine suffizienten Lösungsvorschläge gebracht werden. Doch zwingt man das Bewusstsein, ein Problem als bewältigt zu sehen, hören die Traumbilder auf und machen den nächst dringlichen Platz." "Ich blick nicht mehr durch", gab Caleb zu. Hinter ihm sagte Will: "Wenn Cornelia loslegt tut das keiner mehr, aber sie resümiert das ganze am Ende noch mal für uns Normalintelligente, du musst nur abwarten." Währenddessen war Cornelia gedanklich bereits viel weiter. "So konnte er in meine Träume gelangen!" "Könntest du das bitte so erklären, dass auch wir durchblicken?", forderte Irma ungeduldig. Cornelia tauchte unter Calebs Armen hindurch. "Solange mein Bewusstsein damit beschäftigt war, an Caleb zu denken, konnte mein Unbewusstsein nicht auf den nächsten Inhalt zugreifen. Caleb war in meinen Träumen immer noch Caleb, ich sah nur jene Bilder, die tatsächlich passiert waren. Aber sobald ich anfing, meine Gedanken von ihm zu entfernen, so wie in der Nacht vor Weihnachten, als mir Blight seine Karte gab, konnten die Träume vom Traumwandler beeinflusst werden, da ein Inhalt nicht mehr omnipräsent war und die Kapazität eines Traumes einnahm. Mit der Ablenkung hat er sich eine Nische geschaffen, in die er schlüpfen konnte! Ich hätte früher darauf kommen müssen!" "Erklärst du bitte, auf was?" Irma bedachte sie mit einem fordernden Blick. "Jedes Mal, wenn etwas Signifikantes in meinem Leben passiert ist, waren die Träume anders als die üblichen, wenn meine Gedanken voll von Caleb waren. Aber es ist mir nie aufgefallen, weil er entweder nicht vorkam und ich wusste, dass dieselben Träume nicht kontinuierlich wiederkehren, sondern ab und zu aussetzen, oder weil die Abweichungen so minimal waren, dass ich sie auf unbewusste Wünsche oder Ängste schob. Doch sobald Blight in mein Leben trat und meine Träume beeinflusste, war ich gezwungen, über sie nachzudenken, da sie mir abstrus vorkamen!" "Warte mal", warf Will ein. "Ich träume manchmal von fliegenden lila Wildschweinen, das ist auch seltsam und meine Träume hat dieser Traumwandler, oder wie auch immer, nicht beeinflusst." "Das kommt daher, dass deine Träume von deinem Unbewusstsein produziert wurden und sie daher zwar seltsam waren, aber dir nicht seltsam vorkamen", erklärte Cornelia, doch noch immer schien niemand zu verstehen. "Träume, die unseren eigenen Gedanken und Gefühlen entspringen, können uns inhaltstechnisch seltsam vorkommen, aber nicht in der Art und Weise, wie sie sich darbieten. Ein lila Wildschwein kam dir komisch vor, aber kam dir auch die Art komisch vor, in der du geträumt hast? Würdest du sagen, dieser Traum war in seiner Art anders als andere?" "Ähm…nein?" Will war überfordert mit der Frage, doch sie ließ sich nichts anmerken. Cornelia wollte sichtlich auf etwas hinaus. "Eben!", rief sie überzeugt und drehte sich schwungvoll um. "Mir kam der Inhalt komisch vor, ja, aber auch die Art, in der ich träumte. Als wäre ich übergeschnappt. Die Erklärung liegt nun auf der Hand: Blight hat meine Träume infiltriert und mir Bilder gezeigt, die seine Gedanken produziert hatten. Sobald mein Unbewusstsein von Caleb als zentralem Thema abließ und er an Wichtigkeit verlor, fütterte er es mit seinen Bildern, ehe es auf die nächst größere Angelegenheit in meinen Gedanken greifen konnte. Versteht ihr?" Taranee versuchte zusammenzufassen: "Du willst uns also sagen, dass der Traumwandler dir falsche Träume eingepflanzt hat, um dich zu manipulieren. Aber wieso?" Caleb hatte die Antwort. "Um an das Herz von Kandrakar zu kommen. Niemand außer den Wächterinnen weiß, wo es versteckt liegt. Die Kraft war jahrelang inaktiv und Phoebe dachte, ihr hättet eure Macht verloren. Daher erachtete sie diesen Zeitpunkt als den passenden, um nach dem Herzen zu suchen." "Richtig", stimmte Cornelia zu. "Er schlüpfte also in meine Träume, während seine Helfer auf anderen Wegen versuchten, euch die Information zu entlocken." "Aber wieso gerade deine? Er hätte doch genauso gut Wills oder meine nehmen können!", warf Hay Lin ein. Cornelia biss sich auf die Lippe. "Ich bot das leichteste Ziel." Ihre Augen wanderten zu Boden. "Zum einen war ich Blights Studentin und wusste davor nicht, wie er aussah. Zum anderen war es vermutlich am einfachsten, meine Träume umzuformen. Dadurch, dass eine Person konstant vorkam, konnte er die Rolle dieser Person übernehmen. Traumwandler können vermutlich nicht als Manifestation in den Träumen anderer Personen auftreten. Sie müssen Besitz von einer Person ergreifen, die in diesem Traum vorkommt. Und bei mir konnte er sicher sein, dass ich jede Nacht von einer Person träume und so ergriff er Besitz von meinem Traum-Caleb." "Warte, du träumst von mir?", flüsterte Caleb entsetzt. Er wollte Cornelias Handgelenk nehmen, doch sie entzog es ihm schnell wieder, als hätte sie nur zufällig ihr Haar gerade in diesem Moment zurückwerfen müssen. "Bilde dir nichts darauf ein", zischte sie. "Und was machen wir jetzt?", wollte Caleb wissen, um den peinlichen Moment zu überspielen. "Wir machen gar nichts", beschloss Will. "Ich finde, du hast bereits genug angerichtet, Caleb. Nicht nur heute." Ihr ernster Blick verbot ihm jedwede Antwort. "Außerdem können wir heute ohnehin nichts mehr tun. Wir sollten nach Hause fahren und die Sache überdenken. Matt?" "Was?" Er schreckte auf, als man ihn so direkt ansprach. "Ich denke, wir müssen unser Treffen morgen verschieben. Es tut mir wirklich leid, aber du siehst ja: Wir haben wieder einmal eine Menge Ärger." "Wenn ich euch helfen kann, egal wie, ruft mich an." Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und wandte sich zum Gehen. "Das war mal wieder nötig", murmelte Irma. Sie warf Will einen kurzen Blick zu, doch diese war bereits in ihrer eigenen Welt, fernab jeder Sorge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)