Rewind And Reflect von 4FIVE ([Caleb x Cornelia | canon-sequel | enemies to lovers]) ================================================================================ Kapitel 6: The Revival ---------------------- … Still I keep running desperately
, trying to find what I had ever missed … S E C H S Cornelia wusste auf eine skurrile Art und Weise in dieser Nacht auf den dritten Jänner, dass sie träumte. Sie wälzte sich in ihrem Bett hin und her und doch war sie in ihrer jetzigen Realität kilometerweit von ihrer Wohnung entfernt. Sie befand sich außerhalb der Stadt, zusammen mit Will, Irma, Taranee und Hay Lin. Der Platz schien ihr seltsam vertraut und als Will das Herz Kandrakars von ihrem Hals nahm, erkannte sie die Szene: Sie fünf, verwandelt und am Ufer des breiten Flusses außerhalb von Heatherfield stehend. „Okay“, rief Irma. Sie hob die Hand. Das Wasser fing an, leicht zu vibrieren, dann strömte es, wie an einem dünnen Faden gespalten, auseinander, sodass sich ein Gang bildete, der etliche Meter tief hineinging. „Alles klar, aber macht schnell.“ Die anderen nickten. Will zog aus ihrem Rucksack eine mit Ornamenten verzierte Holzkiste, in die sie das Herz von Kandrakar legte und sorgsam verschloss. „Auf geht’s, beeilen wir uns.“ Sie flog den nassen Erdhang hinunter, Cornelia und Hay Lin folgten ihr. Es war ein beeindruckendes Bild, das sich ihnen bot: Auf drei Seiten von meterhohem Wasser eingezäunt, links und rechts schwammen große und kleine Fische. Doch nun hatten sie keine Zeit, die Aussicht zu bewundern. Will übergab Hay Lin die Holzkiste und diese umfasste sie mit einer Luftblase. „Cornelia, du bist dran“, befahl Will. „Wie tief?“ „So tief du kannst.“ „Na toll, das ist wirklich ekelhaft“, meckerte sie. Trotzdem landete sie sofort auf dem matschigen Grund und legte ihre sauber manikürte Hand auf den Schlamm. Um ihre Hand stob plötzlich der Boden auseinander und bildete ein tiefes, schwarzes Loch. „Das dürften etwa fünfzehn Meter sein. Mehr geht nicht.“ „Perfekt.“ Will nickte Hay Lin zu, welche die Luftblase mit eleganten Fingerbewegungen in das Loch schweben ließ. Es dauerte etwa eine halbe Minute, bis die Kiste unten war. „Du kannst zumachen.“ Cornelia schloss den Erdspalt und sie schossen mit schnellen Flügelschlägen über die Wasserwände hinaus. Gerade, als sie außer Gefahr waren, brach der Wall zu beiden Seiten zusammen und versiegelte die Kette in der Kiste in der Blase in dem Loch unter tausenden Litern Wasser. Die Mädchen spürten nur noch, wie ein Teil ihrer Kraft entwich, dann fanden sich Will, Cornelia und Hay Lin im freien Fall direkt in den Fluss wieder. „Konntest du nicht zwei Minuten warten?“, raunte Cornelia. Wütend wischte sie sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht und folgte den anderen zum Ufer. „Tut mir leid, Miss Zimperlich, aber weißt du, wie schwer das ganze Wasser ist? Ich bin froh, dass ich euch nicht darunter begraben habe!“ „Jetzt hört doch endlich auf zu streiten!“, ging Will dazwischen. „Das ist ein denkwürdiger Augenblick, also führt euch das mal zu Gemüte. Wir sind ab heute keine Wächterinnen mehr. Unsere Kräfte sind mit dieser Minute erloschen. Hoffen wir, dass wir die letzten unserer Sorte waren.“ „Ein Jahr haben wir gegen das Böse gekämpft und jetzt ist alles vorbei“, meinte Taranee wehmütig. „Wir haben wieder ein Leben. – Hey, was macht er hier?“ Sie deutete auf einen großgewachsenen Mann mit khakifarbenem Mantel, der sich im Schatten des großen Abflussrohres versteckt hatte. „Caleb?“, rief Cornelia überrascht. Was machte er hier? Hatte er etwa alles bemerkt? Was würde das für sie bedeuten? Niemand durfte wissen, wo sich das Herz von Kandrakar befand! Er fuhr auf und wollte wegrennen, doch Cornelia sprintete schon los und warf ihn zu Boden. Als ihre beiden Körper auf dem Gras landeten, verzerrte sich die Welt plötzlich. Nein, es war nicht die Welt, es war Calebs Gesicht! Besser gesagt, es war sein Gesicht gewesen. Wo vorhin Caleb unter ihr gelegen hatte, befand sich nun eine überdimensionale, schuppige Kreatur, die keinerlei Ähnlichkeiten mit irgendetwas hatte. Das Wesen starrte sie aus feuchten, seelenlosen Augen an, dann packte es sie an der Hüfte und hob sie hoch. Noch ehe sie reagieren konnte, schlug der glatte, graue Schwanz aus und traf sie mit so einer solchen Wucht in den Magen, dass sie hustend durch die Luft flog und gegen die Steinwände der Pipeline krachte. Als sie die Augen öffnete, traute sie ihnen kaum. Ihre Freundinnen waren weg und auch die Umgebung hatte sich verändert. Wo vorhin noch ein Fluss gewesen war, prunkte nun ein riesengroßes, verlassenes Schloss. Die Kulisse kam ihr so vertraut vor. Das war eindeutig… „Meridian!“, keuchte sie, die Augen wieder zugekniffen angesichts des Schmerzes. „Aber…wie?“ Die Kreatur war inzwischen längst verschwunden und Cornelia rappelte sich wieder auf. Dann beschlich sie wieder dieses skurrile Gefühl, dass es nur ein Traum war und im selben Augenblick, in dem die Erleichterung ihr Herz erfasste, wurde ihr schlagartig etwas Schreckliches klar. Sie musste aufwachen, und zwar schnell! „Mist, irgendwie muss ich hier rauskommen!“ Hektisch sah sie sich um, doch das Schloss war zu weit weg und um sie herum war nichts als schlammige Pfützen und eine Schlucht. „Wieso nicht…? Hoffentlich ist das wirklich nur ein Traum.“ Das erste Mal in ihrem Leben betend, lief sie so schnell sie konnte auf die Klippe zu. Es würden viele, viele Meter werden, bis ihr Körper aufschlagen würde, aber sie sah keinen anderen Ausweg. Die wenigen Sekunden nach dem kraftvollen Sprung waren die schlimmsten ihres Lebens. In Todesangst versuchte sie noch einmal nachzuvollziehen, wieso sie gesprungen war. Wenn man im Traum stirbt, wacht man auf, sagte sie sich schnell im Kopf vor und sie hoffte inständig, dass es tatsächlich stimmte, sonst würde das ein äußerst unangenehmes Erwachen geben. Und dann war der Boden auch schon da. „Aaah!“, kreischte Cornelia und fuhr auf. Ihr Herz raste, Schweiß rann ihr die Stirn hinab, ihr Körper zitterte wegen der Anspannung, unter der ihre Muskeln gestanden hatten. Prüfend tastete sie mit den Handflächen ihren Körper ab. „Alles noch dran“, stellte sie erleichtert fest. Dann stürmte sie aus ihrem Zimmer, warf Irma von der Couch und Will aus ihrem Bett. „Wasn loos?“, murmelte letztere verschlafen. Sie kniff die Augen zusammen, als Cornelia das Licht anmachte. „Ah, was soll das denn jetzt?“ „Wir müssen das Herz von Kandrakar holen!“, rief Cornelia. „Los!“ Grob zerrte sie die Verschlafenen aus deren Nachtlager. „Würdest du uns bitte erklären, was das soll?“, forderte Irma, als sie bereits auf der nächtlichen Straße entlangliefen. Cornelia erzählte keuchend von ihrem Traum und setzte dann noch nach: „Ich habe in einer Bibliothek von Meridian einmal von Traumwandlern gelesen. Sie können sich in das Unbewusstsein von Menschen einschleichen und Erinnerungen wachrufen oder Träume produzieren. In meinem Traum war so ein komisches Vieh, das wie ein Traumwandler aussah. Ich wette, er hat im Auftrag von jemand anderem unsere Träume durchforstet, um das Herz von Kandrakar zu finden! Das ist die neue Bedrohung! Taxi!“ Der gelbe Wagen hielt quietschend. „Zur alten Kläranlage.“ Die nächsten Minuten waren zum Zerreißen gespannt. Sie durften vor dem Taxifahrer nicht über diese Seltsamkeiten sprechen, also schwiegen sie. Auch er schien sich sichtlich unwohl zu fühlen. „Sind das Freunde von euch?“ Er deutete nach hinten. „Die fahren uns schon seit drei Blocks hinterher.“ Die drei wandten den Blick aus der Heckscheibe. „Hay Lin hat ihr eigenes Auto, sie kann es nicht sein“, meinte Will. „Egal, um das können wir uns später kümmern. Los, geben Sie schon Gas!“ „Seid ihr Geheimagenten oder so was in der Art? Mann, oh, Mann, ich hasse Nachtdienste“, murmelte der Fahrer, trat aber trotzdem das Gaspedal durch. So kamen sie in Windeseile zur Lindley Avenue, einer kleinen Querstraße der Schnellstraße, über die seit Jahren kein Auto mehr gefahren war. Cornelia kramte aus ihrem Portemonnaie das letzte Kleingeld heraus, das sie besaß und gab dem Taxifahrer dabei fünf Dollar zu wenig. Doch ehe er Einspruch erheben konnte, waren die Passagiere bereits aus dem Wagen gesprungen und im Sprintschritt über das alte Gelände der Kläranlage gelaufen. Müde den Kopf schüttelnd warf er den Rückwärtsgang ein und erhaschte im Umdrehen einen kurzen Blick auf das zweite Taxi, welches sie die ganze Zeit verfolgt hatte. Die Scheiben spiegelten die Lichtkegel der Scheinwerfer so grell wieder, dass er die Konturen des Mannes nur verschwommen sah, als er aus dem Wagen stieg. Will, Irma und Cornelia standen zögernd vor dem breiten Fluss an der Lindley Avenue. „War es hier?“, fragte Irma. „Ich glaube, ein paar Meter weiter rechts, oder?“, korrigierte Will. „War es nicht eher dort drüben?“, schlug Cornelia vor. „In meinem Traum war es etwas weiter links vom Rohr.“ „Hmm…ohne das Herz von Kandrakar habe ich ohnehin nicht genügend Kraft, um das Wasser zu teilen. Außerdem sind wir nur drei von fünf.“ „Ja, aber ohne Kräfte kommen wir nicht an das Herz“, erklärte Will. „Eine Zwickmühle.“ „Wir könnten tauchen?“ Die anderen beiden sahen Cornelia ungläubig an. Irma schüttelte den Kopf. „Da geht’s acht Meter runter, so tief kann ich nicht tauchen. Und dann haben wir immer noch das Problem, dass die Kiste einige Meter unter der Erde ist. In einer Luftblase, die nur Hay Lin aufbekommt.“ „Sollten wir sie holen?“ „Zwecklos, wir kriegen das Ding sowieso nicht rauf.“ Will legte den Kopf in den Nacken und die Fingerspitzen ans Kinn. „Aber wir müssen das Herz raufholen. Wenn Cornelias Traum wirklich von einem Traumwandler infiltriert wurde, dann weiß er jetzt, wo das Herz von Kandrakar ist und wird nicht lange zögern, bis er es sich holt. Ohne verstärkte Kräfte können wir ihn sicherlich nicht besiegen.“ „Schön und gut“, meinte Cornelia trocken. „Aber darf ich dich daran erinnern, dass wir ohne unsere verstärkten Kräfte ebenfalls nicht rankommen?“ „Vielleicht hilft eine Zauberformel?“, überlegte Will, den Blick auf die glatte Wasseroberfläche gerichtet. Cornelia stemme die Hände in die Hüften. „Ja, na klar“, spottete sie. „So etwas wie: Oh, Herz von Kandrakar, tauch auf, denn es gibt eine neue Bedrohung und wir Wächterinnen waren so dumm und haben dich so tief vergraben, dass wir selbst nicht mehr rankommen? Ich bitte dich, das ist doch lächerli-“ Plötzlich rumorte die Erde, auf der sie standen. Auf der vorhin noch wellenlosen Wasserfläche tat sich ein tosender Strudel auf, aus dessen Auge ein heller Lichtstrahl die Dunkelheit erleuchtete. Wie in Zeitlupe kam eine Kiste herauf geschwebt, frei von jedweder Barriere, die sie ihr vor Jahren auferlegt hatten. Die Truhe blieb ein paar Sekunden vor den sprachlosen Frauen in der Luft stehen, dann schoss sie mit einem Zischen über die Wasseroberfläche auf die Wächterinnen zu. „Fang sie auf!“, kreischte Will und riss Irma mit sich zu Boden. Cornelia, starr vor Schreck, reagierte nicht schnell genug. Die Kiste traf sie mitten in den Bauch und warf sie mit einem Knall rücklings auf das kalte Gras. „Aaah“, stöhnte sie und hielt sich die Hände vor den Bauch. „Wieso immer ich?“ Die Kiste erhob sich nun wieder von Cornelias Körper, schnappte auf und schoss die darin versiegelte Kette in Wills Hände. Nachdem das Herz wieder im Besitz seiner rechtmäßigen Trägerin war, verlor die Kiste die Fähigkeit zu schweben und stürzte polternd auf Cornelia hinab, die sich reflexartig zur Seite rollte. „Das ist so unfair“, ächzte sie und rappelte sich mühsam wieder auf. „Nein, bitte, helft mir nicht, ich habe ja auch keine Schmerzen mehr, weil ich vorgestern eine Kollision mit zwei Bäumen hatte. Aua.“ Doch niemand reagierte auf ihr Gezeter. „Wow, ich dachte nicht, dass es so gut funktioniert“, staunte Will nur und Irma pflichtete ihr bei. „Da das also geklärt wäre, sollten wir Taranee anrufen. Es wird Zeit für ein Revival der Wächterinnen!“ „Wartet!“, hielt Cornelia sie zurück. Sie trat näher an ihre Freundinnen heran und senkte die Stimme. „Der Traumwandler ist sicherlich hier und hat uns beobachtet. Wir sollten die Umgebung absuchen.“ „Nicht nötig“, wandte Irma ein und deutete an Cornelias Ohr vorbei zu der großen Pipeline. „Da!“ Im schützenden Schatten stand jemand, genau dort, wo Cornelia ihn in ihrem Traum auch gesehen hatte. Ohne zu überlegen, spurtete sie los, aber der Mann war bereits mit schnellen Schritten losgelaufen. Hinter ihr aktivierte Will das Herz von Kandrakar. „Wächterinnen, seid vereint!“, rief sie und ein lange nicht mehr gefühlter Strom von Energie und Kraft durchfuhr die Körper der Mädchen. Im Laufen verwandelte sich Cornelia und plötzlich flog sie schwerelos und kontrolliert, als ob sie die letzten Jahre nichts anderes gemacht hatte. Nun hatte der Beobachter keine Chance mehr. Viel schneller als sie es in Erinnerung hatte, flatterten ihre Flügel und trugen sie so rasch zu dem Flüchtigen, dass sie nicht mehr bremsen konnte, als sie ihn erreicht hatte. Mit ausgestreckten Armen umfasste sie seinen Brustkorb und warf ihn zu Boden. Doch er hatte ihre Handgelenkte umfasst und riss sie mit. Durch den Schwung des Stoßes und die enorme Geschwindigkeit, kullerten sie beide einige Meter über die Wiese, ehe sie zum Stillstand kamen. Cornelia lag unten, das Gesicht des Mannes knapp über ihrem. Er hatte ihre Handgelenkte gegen den Boden gepresst, saß auf ihr und blickte sie aus grauen Augen an. Braune Haare, graue Augen und dieser khakifarbene Umhang – unverkennbar. Doch Cornelia ließ die Niederlage nicht auf sich sitzen. Sie zog ihr Knie an, stemmte es Caleb in den Rücken, setzte das zweite Knie nach und warf ihn kopfüber ihren eigenen Körper. Die zwei Jahre Kampfsport hatten also doch Spuren hinterlassen! Blitzschnell rollte sie sich zur Seite und warf sich auf ihn, um ihn an der Flucht zu hindern. Doch es war unnötig, er leistete keinerlei Widerstand. „Odin!“ „Was ist los? Du störst meinen Schlaf.“ Hätten Blicke töten können, der eben angekommene Collin wäre längst im Jenseits gewesen. „Wehe dir, wenn es nichts Wichtiges ist.“ Doch auch Collins Blick verriet eine unausgesprochene Verärgerung. „Du hattest die Aufgabe, Caleb unschädlich zu machen! Und nun gehe ich die Straßen entlang und sehe ihn munter und eindeutig lebendig in ein Taxi springen!“ „Das ist nicht möglich“, erwiderte Odin, doch seine Besorgnis war erweckt worden. „Ich habe mich ausreichend um die Sache gekümmert.“ „Anscheinend ist ausreichend aber nicht ausreichend! Du hättest es sehr gut machen sollen, dann hätten wir jetzt nicht das Problem, dass er den Wächterinnen alles brühwarm auf die Nase bindet!“, fuhr Collin ihn an. „Beruhige dich, es verläuft alles nach Plan“. Odin erhob sich aus seinem pompösen Sessel. „Ich habe dir gesagt, ich würde ihn unschädlich machen. Eben das habe ich getan. Die Ihallasporen haben eine hübsche kleine Nebenwirkung. Vermischt man die Tropfen mit ein paar pulverisierten Sachimsamen, können sie Gefühle ins Gegenteil umkehren.“ „Unser Auftrag lautete, ihn zu töten“, wiederholte Collin. „Stattdessen vergiftest du das Mädchen. Ich frage dich nun, was nützt uns das?“ „Du wirst es schon erfahren, wenn es soweit ist. Mein Plan reicht viel weiter, als du denken kannst.“ Odin setzte sich wieder hin und schloss die Augen. „Du hast den Auftrag auf deine Art und Weise begonnen und bist gescheitert. Das Feuer hat ihn nicht erwischt und Cornelia hat dich versetzt. Nun lassen wir deine aggressive Art außen vor und gehen das ganze taktisch an. Und jetzt lass mich schlafen.“ „Zeig dein wahres Gesicht, Traumwandler!“, keifte Cornelia. Inzwischen hatten Will und Irma sie eingeholt. „Cornelia, ich –“ Aber sie ließ ihm keine Chance, zu antworten. „Los, gib dich zu erkennen!“ Will war die erste, die erkannte, was hier wirklich lief. Sie nickte Irma zu und zusammen zogen sie Cornelia von Caleb herunter, was sich als ziemlich schwierig gestaltete. „Lasst mich los! Er ist der Feind, er ist es!“ „Cornelia, halt die Klappe!“, schrie Will. Mit verschränkten Armen trat sie an Caleb heran, der immer noch flach auf den Rücken lag. Skeptisch sah sie auf ihn herab, während Irma Cornelia davon abhielt, erneut auf Caleb loszugehen. „Hm. Schwierig zu sagen, ob es der echte ist oder nicht.“ Sie stupste ihn mit der Schuhspitze an. Als Cornelia diese Worte erreichten, hielt sie inne. Ein Gefühlschaos brach in ihr aus, das sich hinter den glasigen blauen Augen abspielte. Echt? Sie hatte nicht einen Moment daran gezweifelt, dass Caleb eine Fälschung war, ein Trugbild, wie in ihrem Traum. Doch sollte es nun so sein, dass der echte Caleb vor ihr lag? Mit zitternden Lippen versuchte sie, Ordnung in die vielen Emotionen zu bringen, die über sie hereinbrachen. Da waren Schmerz, Unsicherheit, Schüchternheit, Ratlosigkeit, Unmut, Ärger, aber was sie irritierte war, dass sie keinerlei positive Gefühle verspürte. Keine Freude, Hoffnung, Zuneigung und auch keine Liebe. Sie hatte in den letzten fünf Jahren so viele Gedanken daran verbraucht, wie sie reagieren würde, wenn Caleb ihr gegenüberstehen würde. Alle möglichen Situationen hatte sie durchgespielt, aber nun, da es soweit war, hatte sie nicht mit dieser Möglichkeit gerechnet. „Cornelia? Hey, wo gehst du hin?“ Tonlos hatte sie sich umgedreht, Caleb den Rücken zugewandt und ging nun langsamen Schrittes davon, noch immer von einer Taubheit befallen, die sie sich nicht erklären konnte. „Hast du eine Ahnung, was mit ihr los ist?“ Will schüttelte den Kopf. Indes hievte sich der lädierte, echte Caleb auf. Er hatte sich kaum verändert. Beinahe dieselbe Kleidung, dieselben Gesichtszüge, denselben Ausdruck in den Augen. „Ich denke, du hast uns einiges zu erklären.“ „Das hat ja alles geklappt wie am Schnürchen“, kicherte ein junger Mann. Sein langes schwarzes Haar hob sich kaum von der Dunkelheit ab und auch sein Versteck hinter einem zerschlagenen Fenster der alten Kläranlage bot ihm perfekten Schutz. Er strich sich mit seinen Fingerkuppen sanft über die Lippen und zog danach mit selbigen ein Mobiltelefon aus der Jackentasche. „Armand?“, fragte dieselbe rauchige, dunkle Stimme, die vorhin schon Collin geantwortet hatte. „Was hast du für Neuigkeiten?“ „Die Zielperson ist auf die Wächterinnen getroffen. Wie viel hast du von den Ihalla verabreicht?“ „Zehn Gramm in einem halben Kilo. Wie macht sie sich?“ „Besser, als gedacht. Sie hat ihn für einen Traumwandler gehalten. Denkst du nicht, dass es eine unsichere Sache ist, sie selbstständig handeln zu lassen? Wer versichert uns, dass sie den Kaffee regelmäßig trinkt?“ „Die Monotonie der Menschheit“, sagte Odin. „Ich habe sie beobachtet. Jeden Morgen trinkt sie eine Tasse Kaffee. Ausnahmslos.“ „Hm“, machte Armand. Er schien nicht richtig überzeugt. „Es ist immerhin dein Auftrag, Odin.“ „Wieso unterschätzt bloß jeder die Macht von ein paar winzigen Samen ?“, fragte er rhetorisch, ohne dass ihn der Zweifel seiner Handlanger tatsächlich berührte. „Sie hat dem lieben Dr. Blight erzählt, dass sie den Kaffee gerne trinkt. Und ich habe sie beobachtet, als sie es wirklich tat. Du solltest nicht an meinen Methoden zweifeln, zumal du selbst deinen Auftrag vermasselt hat.“ Armand überging die Bemerkung mit einem Zischen. „Hiermit ist meine Aufgabe erledigt. Ich ziehe mich zurück. Solltest du mich noch brauchen, weißt du ja, wo du mich findest.“ Er legte auf und im nächsten Moment verschwand er durch ein Portal. „Ich werde mich auf keinen Fall im selben Raum aufhalten wie er.“ Zwanzig Minuten später und etliche Kilometer weiter stand Cornelia mit verschränkten Armen vor dem Chinarestaurant an der zweiten Ecke Main Street und weigerte sich, durch die Türe hindurch zu gehen. „Ist das dein Ernst? Du möchtest lieber in deinem dünnen Seidennachthemd in der Kälte stehen, mit nichts als einer Jacke, anstatt da drinnen eine warme Nudelsuppe zu essen? Komm schon!“ Will legte ihre Hand auf Cornelias Arm, doch diese dachte nicht einmal im Traum daran, die Verschränkung zu lösen und ihre Barrikade aufzugeben. „Wir haben Hay Lin um ein Uhr nachts aus dem Bett geklingelt und sie hierher geschleppt, wir haben ihre Großmutter aufgescheucht und schlussendlich haben wir auch noch Taranee mit unserem Anruf so dermaßen in Panik versetzt, dass sie vermutlich einen Autounfall haben wird, weil sie so aufgeregt ist. Und jetzt bist du, gerade diejenige, die immer die Besonnenste und Erwachsenste von uns war, so stur und möchtest allen Ernstes nicht da reingehen, weil ebenjener Mann dort steht, den du noch immer liebst? Ich möchte ja nichts verschreien, aber das könnte eine neue Chance sein!“ Cornelia verzog nur den Mund. „Das ist keine neue Chance. Er kann mir von mir aus sonst wo runterrutschen – ich möchte ihn nicht sehen. Blight hat mir endlich geholfen, ihn nicht mehr zu lieben, da mache ich mir diesen Erfolg doch nicht kaputt!“ „Arrgh…“, stöhnte Will. Sie fuhr sich genervt durch die Haare. „Schau, hör zu und pass auf. Wir haben die Akte Blight bereits besprochen und seine Methoden als unzulänglich erachtet. Außerdem kannst du kaum behaupten, ihn nicht mehr zu lieben, wenn du bei seinem bloßen Anblick Herzklopfen bekommst! Richtig?“ Cornelia fühlte sich ertappt, doch sie blieb stur. „Ist mir egal! Ich gehe jedenfalls kein Risiko ein.“ „Rein verdammt!“ Mit Gewalt riss Will die Türe auf und stieß Cornelia hinein. „Von mir aus, aber ich spreche kein Wort mit ihm!“ Als Will den Blick von ihr abwandte, drehte sie jedoch schon wieder um. „Du bleibst hier! Stell dich nicht an wie ein Kleinkind! Los, gib mir deine Jacke.“ Cornelia tat, wie ihr geheißen, auch wenn ihr nicht ganz wohl dabei war, in einem kurzen, recht betonenden blauen Zweiteiler vor demjenigen zu stehen, der sie nur als Mädchen kannte – was sie nun eindeutig nicht mehr war. Caleb schien gerade genau das zu bemerken, doch er wandte der Höflichkeit halber den Blick ab, als Cornelia an ihm vorbeiging, um sich zu den anderen zu setzen, die ebenfalls im Nachtgewand versammelt um den Tisch saßen. „Ich komme mir mies vor“, raunte Hay Lin. Ihr Kopf rutschte von ihrer Handfläche ab und knallte fast gegen den Tisch. Sie musterte Cornelias Pyjama und sah dann auf ihr eigenes Baumwollhemd hinab, auf dessen Front Harvard stand. „Sagt mir das nächste Mal, dass es einen Dresscode gibt!“ „Willst du nun wirklich darüber diskutieren, dass Cornelia wie frisch aus dem Ei gepellt aussieht, obwohl sie sich im Dreck gesuhlt hat?“, fragte Irma missmutig. „Das ist doch eh nichts Neues. Gehen wir zu den wichtigen Dingen über.“ Cornelia überging die erste Bemerkung. „Du meinst, was er hier macht?“ Sie war über ihren eigenen abfälligen Ton überrascht, ließ sich jedoch nichts anmerken. Auch die anderen taten so, als hätten sie es nicht bemerkt. „Ich meinte eher, wer uns umbringen will – mal wieder“, meinte Irma mit genervtem Unterton. „Langsam wird das ganze nämlich echt langweilig. Ich habe Stephen gesagt, dass ich in ein paar Tagen wiederkomme!“ „Dann ruf an und sag ihm, dass es noch dauern wird?“, schlug Cornelia nicht minder genervt vor. „Das ist wohl derzeit unser geringstes Problem.“ Irma murmelte eine Beleidigung vor sich hin, doch auch diese wurde mit unangenehmem Schweigen übergangen. Glücklicherweise kam Mrs. Lin in den Essbereich und setzte sich zu ihnen an den ungedeckten Tisch. „Wie ihr sicherlich bereits herausgefunden habt, haben sich eure Kräfte reaktiviert.“ Einstimmiges Stöhnen. „Ein wenig mehr Begeisterung bitte, Mädchen!“, forderte Mrs. Lin, aber die Motivation ließ angesichts der müden Mienen zu wünschen übrig. „Jaah, wir sind alle total begeistert“, raunte Cornelia und überschlug die schlanken, nackten Beine. „Was gibt es Schöneres, als um halb zwei in einem Chinarestaurant zu sitzen, festzustellen, dass alle alten Probleme wieder da sind“ – sie warf einen bösen Seitenblick auf Caleb – „und auch noch neue Sorgen zu haben, zusätzlich zu den anderen, die man als Erwachsener sowieso schon hat! Ich brauche bis Ende des Monats noch ein Konzept für meine Diplomarbeit, damit mir niemand das Thema wegschnappt, außerdem habe ich in drei Wochen eine äußerst wichtige Prüfung über psychometrische Intelligenztheorien und eine über Entwicklungstheorien! Ich habe keine Zeit, mich wieder mit Riesenechsen und verrückten Weibern herumzuschlagen, die gibt es auf der Uni nämlich zu Genüge – zumindest die verrückten Weiber.“ „Komm mal wieder runter, Prinzessin“, winkte Irma ab. „Wir wissen alle, was für ein stressiges Leben du hast.“ Sie verdrehte die Augen. „Hört auf jetzt, alle beide!“, ging Will dazwischen. Sie wandte sich Mrs. Lin zu, die amüsiert den Schlagabtausch beobachtet hatte. „Unser primäres Problem ist, dass wir keine Ahnung haben, was hier eigentlich los ist. Wissen Sie etwas, Mrs. Lin?“ „Ich dachte schon, du würdest nie fragen, Will“, schmunzelte die Alte. Sie ließ sich neben ihrer Enkelin nieder. „Ihr habt recht, Wächterinnen. Es ist eine neue Bedrohung aufgetaucht. Wer sie ist und was sie vorhat, liegt außerhalb meiner Erkenntnis, doch ich bin sicher, sobald Caleb seine Informationen mit uns geteilt hat, werde ich euch ein paar Geschichten erzählen können, die euch sicherlich helfen werden.“ Alle Blicke – außer Cornelias – wandten sich Caleb zu, der stumm an der Wand gelehnt dastand. „Du bist uns wirklich eine Erklärung schuldig, Caleb“, sagte Will streng. „Wir hören?“ Nachdenklich und mit ernstem Blick stieß er sich von der Wand ab und machte einen Schritt auf die Wächterinnen zu. Er vermied es sichtlich, Cornelia anzusehen. „Ich hatte gar nicht vor, euch mein Wissen vorzuenthalten. Doch es wird euch nicht gefallen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)