Die Chroniken von Khad-Arza - Das Blut der sterbenden Welten von Linchan (Erstes Buch) ================================================================================ Kapitel 5: Geisterband ---------------------- Karana war erzürnt. Nicht in erster Linie, weil er nicht in das verdammte Lianerdorf gedurft hatte – ihm waren die Bleichgesichter völlig egal und in dem blöden Dorf gab es sicher ohnehin nichts Spannendes zu sehen. Aber es ging ums Prinzip! Er war Karana Lyra, er war der Sohn eines Senatoren und außerdem der Sohn des Herrn der Geister, jemanden wie ihn derartig zu behandeln war absolut unwürdig, fand er. Ob die mit seinem Vater auch so umgingen, wenn er mal kam? Als Senator von Thalurien musste er immerhin in alle möglichen Dörfer hin und wieder, um zu sehen, ob alles in Ordnung war und es dem Volk auch gut ging. „Sowas können sich auch nur die Lianer erlauben, die haben immer ihren Sonderstatus.“, empörte sich der junge Mann grantig, während er einen Kiesel durch die Luft trat und grimmig nebst Hund am Zaun des Dorfes entlang stampfte. „Denen wird niemand je etwas tun, weil sie ja ach so arm dran sind! Was sagst du dazu, Aar? Das ist doch hirnverbrannt, den Lianern hier geht es doch gut! Sie werden weder gejagt noch versklavt, nur, weil sie so eine ethnische Minderheit sind, werden sie von allen mit Samthandschuhen angefasst und denken dann, sie könnten sich alles erlauben!“ Er sah auf seinen schwarzhaarigen Gefährten herunter, der den Kopf hob und ihn zweifelnd ansah. Karana blieb stehen und stemmte die Arme in die Hüften. „Ja, ja, guck mich nur so an, Bruder Hund! Bei mir ist das was anderes, ich darf mir einbilden ich könne alles tun was ich will! - Wozu brauchen die Lianer überhaupt unseren Schutz im System, sie können sich doch wehren! Wozu können sie ihre Lians beschwören? Damit sie für sie Kaffee kochen, oder was? Wobei, das wäre praktisch.“ Aar gab nur ein langes Jaulen von sich, was dem Schamanen wenig weiter half. Manchmal war der Hund aber auch wirklich unkommunikativ. Karana hatte Aar als Welpen gefunden, als er noch ein Junge gewesen war. Das Tier war verletzt gewesen und Karana hatte es von seiner Mutter wieder heilen gelassen; er hatte von Anfang an gespürt, dass der Hund jetzt zu ihm gehörte. Sie waren sofort ein Herz und eine Seele gewesen, und als Karanas Vater versucht hatte, seinen Sohn dazu zu bringen, den Hund wieder auszusetzen, war Aar stur an seiner Seite geblieben. Hier in Thalurien war es sehr ungewöhnlich, dass ein Hund einem Menschen folgte. Karana hatte gehört, in Fann käme es oft vor, in dem Wüstenland im Südosten des Reiches. Er war nie in Fann gewesen... er kannte auch niemanden, der je dort gewesen wäre. Fann war gruselig und seltsam, hieß es. Aber wenigstens wurden da Hunde toleriert... hier sah man ihn argwöhnisch an, weil er angeblich den Geist einer wilden Bestie kontrollieren und ihm seinen Willen aufzwingen konnte. So war es nicht mit Aar... Aar folgte ihm freiwillig, Karana zwang den Hund zu gar nichts. Aber das würden die Menschen ja doch nicht verstehen... es waren Menschen des Fleisches. Sie hatten keine Ahnung von Geistern... das galt auch für viele Magier. Nicht jeder Schamane war automatisch ein Mensch des Geistes, der sich von den normalen anderen unterschied. Nicht jeder Schwarzmagier war dazu bestimmt, einmal dem Rat der Geisterjäger beizutreten. „Das gilt auch für dich nicht zwingend.“, tadelten die Geister ihn, als er mit dem Hund mürrisch am Zaun des Lianerdorfes entlang nach Westen schlenderte. Karana zog die Schultern zusammen. „Mein Vater ist ein großartiger Magier, vielleicht der Beste überhaupt. Wäre es nicht eine Beleidigung für ihn, wenn ich nicht in seine Fußstapfen treten könnte?“ „Nicht jeder, der die mächtigsten Gaben geschenkt bekommt, hat das Zeug zum Geisterjäger, Karana. Ein Mensch des Geistes zu sein bedeutet nicht, Macht zu versprühen, sondern den Aufbau des Kreislaufes zu verstehen. Nicht jeder, der die Geisterwinde rufen kann, kann sie auch beherrschen. Dazu bedarf es einer Stärke, die niemand sehen kann. Dazu bedarf es einer... unerschütterlichen Seele.“ Der junge Mann blieb stehen und seufzte. Das wusste er. Das hatte Saidah ihm auch gesagt. Sie hatte vieles gesagt... Saidah war genauso klug, wie sie schön war, sie hatte den Anmut und die Ausstrahlung einer richtigen Geisterjägerin. Er hatte es immer gespürt, wenn sie ihn angesehen hatte. Sie hatte ihn angesehen und er hatte gespürt, dass sie eine Herrscherin war. Und sie hatte ihn fasziniert. Wie konnte eine einzige Frau so rundum vollkommen sein wie sie? Wie konnte sie zugleich klug, schön und mächtig sein? Vielleicht war ihre fürchterliche Unnahbarkeit der Preis für ihre Vollkommenheit, dachte er sich und setzte den Weg ziellos fort nach Westen. Die Sonne würde bald untergehen. „Ja, du hast mir vieles gesagt, Saidah.“, brummte er dabei apathisch, „Aber es gibt immer noch... Fragen, die du mir nie beantwortet hast... Meisterin.“ Fragen, deren Antwort er wohl erst an dem Tag bekäme, an dem er dem Rat beitrat, wenn er es soweit brachte. Dem Rat, dem sein Vater als Herr der Geister vorstand, in dem auch Saidah Mitglied war. Es war lange her, dass er sie zuletzt gesehen hatte – es musste jetzt mehr als ein Jahr her sein, dass er seine einjährige Lehre der Magie bei ihr beendet hatte und zurück nach Kisara gekehrt war. Es war so lange her und dennoch fühlte er sich mitunter, als wäre er immer noch bei ihr. Als könnte sie ihm immer noch Fragen beantworten, Dinge beibringen... oder unter ihm liegen als Frau, wie in der Nacht, in der sie ihn zum Mann gemacht hatte. Ein lautes Brüllen in knapper Entfernung ließ ihn hochfahren, der Hund bellte in Richtung Zaun. Aus dem Dorf kam wutentbranntes Gezeter, dem das Gackern von Hühnern folgte, die offenbar aufgescheucht wurden. Noch ehe Karana begreifen konnte, was hier los war, sah er aus dem Augenwinkel einen Schatten am unteren Ende des Zauns herauskriechen, schneller als er gucken konnte kam er in seine Richtung geflitzt. Es ging zu schnell, als dass er noch hätte ausweichen können, und er riss noch den Mund auf, um auf sich aufmerksam zu machen, da sprang der Schatten ihn bereits an wie ein wildes Tier – oder rannte vielmehr gegen ihn und war ihn damit unsanft auf den Erdboden. Aar bellte in einem fort und das Gebrüll im Dorf schien sich zu entfernen. Karana spürte ein eher unscheinbares Gewicht auf sich und merkte daran, dass es kein Schatten sein konnte, der da auf ihm lag. Schatten wogen schließlich nichts... er hob stöhnend den Kopf, ehe er das schmutzige Etwas auf sich grimmig von sich weg in den Dreck schubste, wo er selbst auch lag. „Pass doch auf, wo du hinrennst, du Ungeheuer!“, schnaufte er empört, und in de Moment, in dem er das Wesen – es war eindeutig ein Mensch – am Arm zu fassen bekam und es so herum zerrte, dass er das Gesicht sehen konnte, ließ er den Arm vor Verblüffung augenblicklich wieder los, fassungslos auf das starrend, was da plötzlich neben ihm auf der Erde saß. „Moment-... Saidah?!“ Nein, unmöglich. Das war nicht Saidah, die hier saß, das konnte gar nicht sein. Saidah war in Janami, im Nachbarland, und selbst, wenn sie in Kisara wäre, wäre ein Loch im Zaun des Lianerdorfes sicher der letzte Ort auf Tharr, an dem sie herum kriechen würde. Saidah kroch nicht, sie war eine Geisterjägerin, eine Frau von Rang und Ehre! Und sie trug auch nicht so zerfledderte Kleider, die vor Schmutz nur so trieften... und sie klaute ganz sicher keine Hühner, schloss der Schamane seine Gedanken, als er auf die Hände der Frau saß, die ein Wurfmesser und ein totes Huhn umklammerten. Aber sein Blick verharrte nur kurz auf ihren Händen, ehe er sich wieder ihrem Gesicht zu wandte – einem Gesicht, das dem seiner Lehrmeisterin so verblüffend ähnlich sah, dass er sich fragte, ob er sich das nicht einbildete in seinem Wunschdenken. Aber es waren die gleichen, blauen Augen, in denen derselbe Stolz lag, dieselbe Anmut, die auch Saidah inne hatte, und sie zeigten die gleiche Macht... und obgleich der Blick der fremden Frau, die wie Saidah aussah, genauso fassungslos war wie Karana sich fühlte, war etwas Betörendes in ihm, das in ihm das Verlangen auslöste, das auch Saidahs Anblick normalerweise erzeugte. „Nein, nicht Saidah.“, sprach die fremde Frau da kalt, „Ich habe mehrere Namen, aber Saidah hieß ich noch nie.“ Mehr sprach sie nicht, stattdessen erhob sie sich und war im Begriff zu gehen, als Karana schnaubte und sich auch hoch rappelte. „Hey, willst du dich nicht entschuldigen, dass du mich gerade umgerannt hast?“, fragte er forsch, „Das hat wehgetan, wenn mein Rücken jetzt kaputt ist, bist du Schuld.“ „Interessiert mich dein Rücken?“, fragte sie und sah über die Schulter zurück, „Wenn du da so blindlings durch die Gegend torkelst, bist du selbst Schuld, wenn dich jemand umrennt. Als ich ins Dorf gegangen bin, warst du noch nicht da.“ „Gegangen?“, grinste Karana, „Wohl eher gekrochen... wie unwürdig, bei deinem hübschen Gesicht musst du doch nicht kriechen.“ Er hatte es schon gesagt, bevor ihm der Gedanke kam, dass das jetzt unangebracht war – und er fragte sich perplex, was er da machte. Machte er jetzt ein wildfremdes Mädchen an, das Hühner klaute, in Dreckskleidung einher kroch und offenbar nicht mal dem untersten Stand angehörte? Er hatte das gar nicht sagen wollen... eigentlich hatte er es nicht mal denken wollen. Was sollte der Scheiß? Dementsprechend sah die Fremde ihn auch ungläubig an, dann sah sie an sich herunter. „Du hast dir wohl den Kopf angeschlagen bei dem Sturz. Zieh Leine, du Schönling, lass mich in Frieden.“ Damit huschte sie schon davon gen Westen, und Karana starrte ihr verdattert nach. Moment... das musste er jetzt erst mal verarbeiten. Er traf eine komische Frau, die wie Saidah aussah. Er machte sie dumm an, was er gar nicht beabsichtigt hatte – und es war selten, dass er das nicht beabsichtigte bei einer schönen Frau – und wurde abgewiesen. Das passierte auch selten – eigentlich nie. Was für ein merkwürdiger Tag... Er wusste nicht, was ihn zuerst aufschreckte – Aars Bellen und alarmiertes Knurren oder die Warnung seiner Instinkte, dass etwas Schlechtes geschehen würde. Der Schamane fuhr herum, als Aar knurrend und mit gesträubtem Fell nach Westen starrte, ins Gesicht der untergehenden Sonne, die ein feuerrotes, tödliches Licht in den grünlichen Himmel warf... Nein, es war nicht die Sonne, die dieses Licht verursachte. „Das ist Feuer!“, keuchte Karana schon und taumelte zur Seite, im selben Moment ertönte in unmittelbarer Nähe ein ohrenbetäubendes Krachen, ein Donnern, das den Zorn des Himmels einleiten sollte, der dann folgte. Aar jaulte, als Karana durch das Erzittern der Erde von den Beinen gerissen wurde, und ehe der Mann sich versah, ging die Welt um ihn herum in Flammen auf. Das Dorf, das Gras, Himmel und Erde schienen alle gleichzeitig Feuer zu fangen, während es unter ihm bebte und aus dem verhangenen Himmel bösartig donnerte. Wieder kläffte der Hund, während Karana sich hustend auf die Füße rappelte. Aus dem Dorf ertönten panische Schreie – dann erst sah der Schamane eigentlich, was es war, das da aus dem Westen kam. Eine ganze Armee von bewaffneten Reitern näherte sich dem Dorf. Nein, sie war eigentlich schon da – er hörte das Splittern von Holz, das Schreien von flüchtenden Menschen und weit in der Ferne weiterhin das Grollen des Himmels über ihm. „D-das – das sind die Leute aus Kamien?!“, brachte er fassungslos hervor, als er die grölende Barbarenhorde sich auf das Lianerdorf stürzen sah; sie waren mit einfachen Waffen ausgestattet, aber bei der Plötzlichkeit ihres Angriffs dürfte das reichen, um einen Großteil der Dorfbewohner zu schlachten, bevor die sich fangen konnten. Was war hier los, wie hatten sie einfach so die Grenze überqueren können? Hatte das denn niemand bemerkt in Zaria, um Alarm zu schlagen? „Nein...“, sagten die Geister zu ihm, „Zaria ist schon vorher gefallen.“ „Himmel – Himmel!“, schrie der junge Mann und erbleichte, während er nichts weiter tun konnte als auf das zu starren, was da geschah. Das Dorf wurde überrannt, Pferde galoppierten bereits an ihm vorbei, um auch von den Seiten ins Dorf einzudringen. Aar bellte und wich jaulend den Hufen der heran eilenden Pferde aus, um nicht zertrampelt zu werden – Karana rettete sich mehr zufällig vor einem wütend grölenden Bauern, der mit einer Hacke nach ihm schlug, und beim Ausweichen stolperte er wieder und wäre fast vom nächsten Mann zertrampelt worden. Einer schwenkte eine brennende Fackel und versuchte, ihn damit zu enthaupten, und Karana fuhr japsend unter der Flamme weg und riss reflexartig die Hände empor, um den Angreifer seinerseits mit einem Schwall magischen Feuers aus dem Sattel zu werfen. Er hatte jetzt keine Zeit, sich mit denen herum zu schlagen – Neisa! Neisa und Simu waren noch im Dorf, genau wie Tayson und das komische Lianermädchen! Verdammt, was machte er hier, er musste zu seiner Schwester! „Aar!“, brüllte er über das Gemetzel aus Gras fressenden Flammen und galoppierenden Männern hinweg, „Verdammt, Hund, komm auf der Stelle zu mir! Wo ist Neisa, verdammt noch mal?!“ Zurück zum Eingang, war alles, was ihm panisch im Kopf herum spukte, und er wirbelte mit einem Schwung herum, um sich irgendwie lebendig einen Weg zurück zum Tor des Dorfes zu bahnen. Er fand seinen Hund wieder, der zwischen den galoppierenden Kriegern hindurch zu ihm zurück kam, und er schrie nach seiner Schwester, so laut er konnte, um das Getöse zu übertönen – er hörte keine Antwort. Die Schreie im Dorf, das neben ihm lichterloh zu brennen anfing, klangen alle gleich, jeder davon könnte von Neisa stammen... verdammt, er durfte nicht zulassen, dass ihr etwas geschah... sie war seine Schwester, seine Eltern würden ihn umbringen, wenn er sie sterben ließ! War er nicht ursprünglich mitgekommen, um sie vor Taysons lüsternen Absichten zu schützen? Jetzt waren ihm die allemal lieber als eine Horde aus Kamien, die sie sich schnappte – es war kein großes Rätsel, was Männer aus Kamien mit hübschen Frauen und Mädchen machten... und wenn Loron aus Holia auch dabei war... „Nein!“, schrie er hysterisch, in dem Moment wurde er plötzlich von einem vorbei galoppierenden Pferd um geschmissen, etwas Scharfes traf ihn an der Schulter und hätte ihn sicher geköpft, wäre er nicht gerade zur Seite gestürzt. Er schlug hart auf dem Boden auf und rollte sich mit einem perplexen Schrei gerade noch unter dem nächsten Gaul hinweg, ehe er unbeholfen wieder versuchte, auf die Beine zu kommen. Aar kam an seine Seite und zerrte bellend an ihm, um ihn vom Geschehen fort zu lotsen, doch er konnte hier nicht weg, ehe er Neisa und die anderen gefunden hatte. Er spürte einen grässlichen Schmerz an seiner rechten Schulter und fasste mürrisch danach, während abermals zur Seite hechtete, um einem neuen Angriff auszuweichen. Seine Finger waren verklebt von frischem Blut, als er sie von seiner Schulter löste, und er zischte. „Verdammt, ihr Bastarde wagt es, mich aufspießen zu wollen...? Oh, ich werde eure Scheißprovinz dem Erdboden gleich machen, dann habt ihr auch keine Probleme mehr mit eurer nicht vorhandenen Ernte! Ich zerreiße euch, ihr Wahnsinnigen!“ Er fluchte ungehalten und riss erzürnt seinen schmerzenden Arm hoch, um dem nächstbesten Reiter einen Blitz aus seiner Hand entgegen zu schleudern. Getroffen ging der Mann in Flammen auf und stürzte schreiend von seinem Pferd, um von seinem Nachfolger niedergetrampelt zu werden. Karana zischte und hob das verrostete Schwert vom Boden auf, das der brennende Typ fallen gelassen hatte, um sich damit weiter seinen Weg zum Eingang zu bahnen. Doch jäh bebte die Erde mit ungeahnter Heftigkeit – und der Boden öffnete sich mit einem grausamen Dröhnen aus der Tiefe unter Karanas Füßen, gleichzeitig krachte es aus dem Himmel erneut. Sowohl Pferde als auch Reiter stürzten gemeinsam mit Karana und Aar in den gigantischen Spalt in der Erde, der jetzt entstand, ein wütender Riss in der Haut der Mutter Erde, die sie gerade mit dem Blut und der Asche irgendwelcher Unschuldigen beschmutzten. Karana konnte nicht schreien – er fiel nur und suchte vergeblich an irgendetwas Halt, während er fassungslos in den jetzt pechschwarzen Himmel starrte – das war nicht einfach nur irgendein Angriff. Das war das Ende der Welt... das war die Macht der Himmelsgeister, die hier mitspielte. Und da sie sich ganz offenbar gegen sein Heimatland wendete, konnte das nur heißen, dass die Bastarde aus Kamien irgendeinen Magier hatten, der für sie Feuerwerk machte. So auf Anhieb kam ihm nur einer in den Sinn, der die Macht besitzen könnte, so ein grausames Unwetter heraufzubeschwören. „Na warte, Kurzhöschen... wenn ich dich erwische, reiße ich dir die Haut ab dafür... jetzt bist du zu weit gegangen in deinem Wahnsinn!“ Er spürte die Erschütterung der Erde erneut, als er einen heraus stechenden Brocken trockener Erde erwischte, an dem er sich festhalten konnte. Im selben Moment wiederholte sich das ohrenbetäubende Krachen und als Karana empor starrte, sah er gerade noch den monströsen Blitz aus dem Himmel in die Erde schlagen, der augenblicklich wieder alles Land in Brand steckte. Oben bellte sein Hund – er musste sich irgendwie aus dem sich öffnenden Spalt gerettet haben, kam dem Schamanen, und fluchend zog er sich mit aller Kraft hoch, was nicht leicht war mit dem brennenden Schmerz in seiner Schulter. Ein kurzer Schwenk seiner Hand ließ den Wasserzauber Alara einen Teil des Himmelsfeuers löschen, sodass er sich etwas mühsam aus dem bebenden Spalt in der Erde wieder hinauf kämpfen konnte. Viele Reiter samt Pferden waren verschüttet worden, hier und da versuchten auch noch mehr, sich wieder empor zu schlagen. Sobald Karana wieder auf den Füßen stand und herum fuhr, sah er das Ausmaß des Infernos und erstarrte für einen Moment. Das Dorf brannte lichterloh – die Erde war jetzt zerfurcht von den Spalten, die entstanden waren, und das ganze Land schien zu brennen, während der Himmel über ihm unheimlich grollte und bereit zu sein schien, seinen ganzen Zorn auf die Welt zu ergießen. Und aus dem Westen kamen immer noch mehr Reiter über das Grasland auf ihn zu – wie viele waren das denn bitte? Und wo war Zoras, der Bastard, der zweifelsohne für dieses Inferno verantwortlich war? Nicht jeder Schamane war fähig, so ein Unheil mit dem Wetter anzurichten – und erst recht nicht jeder brächte es über sich, das zu tun, um damit Menschen zu schlachten. Seinem ehemaligen Schulkameraden traute er allerdings beides ohne weiteres zu... und in Kamien gab es allgemein nur sehr wenige Schamanen. Dass es zufällig gleich zwei von diesem Kaliber dort geben sollte, bezweifelte er doch stark... wer das Wetter beeinflusste, beherrschte die Gaben. Ein Geschenk, das die Geister nur wenigen machten. Er kam nicht dazu, weiter zu denken oder nach seinem Hund und seiner Schwester zu schreien, weil plötzlich einer der Reiter direkt vor ihm war und ihn auf der Stelle zertrampelt hätte, wäre der junge Mann nicht wieder rechtzeitig zur Seite gehechtet und hätte dem Pferd rein aus Reflex mit dem ergatterten, rostigen Schwert ins Bein geschlagen. Das Tier wieherte panisch, als er stolperte und schließlich zu Fall kam – der Krieger wuchtete sich brüllend vor Zorn von seinem Pferd, ehe es stürzte, und sprang auf Karana zu, einen Speer erhoben, mit dem er nach dem Jüngeren schlug. „Du wagst es, mein Pferd zu töten, du nichtsnutziger, dreckiger...?!“, brüllte er, „Ich zermalme dich, du Elend!“ Karana wich dem Schlag ohne Probleme aus und riss sein rostiges Schwert herum, um es gegen den Speer zu schlagen. „Oh, ja, ich zittere vor Angst.“ Damit schlug er abermals gegen den harten Speer des Bauern – und mit einem Klirren zerbrach das rostige Schwert an dem Schaft, der obere teil der Klinge flog durch die Luft und zu Boden. Karana starrte seine halbes Waffe entsetzt an und der Bauer vor ihm lachte und fletschte die Zähne wie ein geiferndes Raubtier. „Tja... da brauchst du wohl erst mal ein besseres Schwert, bevor du es noch mal versuchen kannst. Schade, dass ich dir keine Gelegenheit dazu gebe!“ Damit riss er bereits die Waffe empor und Karana warf geistesgegenwärtig die abgebrochene Klinge weg, um die Hände für einen Zauber frei zu haben, da flog plötzlich von hinten etwas mit Wucht gegen das Gesicht des Bauern, der durch die überraschenden Angriff schreiend strauchelte und zu Boden stürzte. Karana fuhr herum, da flog dem fragwürdigen Gegenstand ein Messer hinterher direkt in das Gesicht des Mannes, der darauf noch lauter aufschrie, als sein Auge getroffen wurde. Er zappelte wild, schimpfte und fluchte, während er brüllend vor Schmerzen versuchte, das Messer aus seinem Auge zu ziehen – und Karana erkannte neben dem Mann am Boden ein totes Huhn liegen. „Was zum...“, murmelte er perplex, ehe er den Kopf zur Seite drehte und die Frau entdeckte, die Saidah ähnelte. „Nein.“, stöhnte er, „Du hast – du hast ihn mit einem toten Huhn erledigt?!“ „Ich habe dir die Pfirsichhaut gerettet, du Bonze.“, war ihr Kommentar, als sie zu ihm nach vorn sprang und dem Bauern am Boden mit einem gezielten Tritt in den Nacken das Genick brach. Als er sich nicht mehr regte, zog die Frau ihr Messer aus seinem Auge und hob ihr Huhn wieder auf. Karana konnte sie nur fassungslos anstarren. „Na ja.“, machte sie dann, „Der Braten kann nur mürber geworden sein. Fleisch ist Fleisch.“ „Warum bist du zurückgekommen?“, keuchte er, „Doch nicht meinetwegen?“ „Ich hätte es lustig gefunden, zu sehen, wie der Dicke dich schlachtet.“, sagte sie zu ihm, „Aber dann hat mir mein Gewissen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bilde dir nichts darauf ein, Bonze.“ Er starrte noch immer nur – war es unpassend, dass er plötzlich tierische Lust bekam, auf der Stelle mit ihr zu schlafen? „Ja, Karana, das ist mehr als unpassend.“, tadelten ihn die Geister, und er schnappte nach Luft – und dann sah er den nächsten Reiter, der aus dem Westen auf sie beide zu galoppiert kam, in seiner Hand ein weiteres, vermutlich besseres Schwert. Es war reine Instinktsache – es dauerte kaum einen Moment, bis Karana zu der komischen Frau herüber gesprungen war, sich ihr Messer aus ihrer Hand schnappte und sie zur Seite schubste, um die Waffe dem Angreifer entgegen zu schleudern, um noch während die Waffe flog mit jetzt beiden wieder freien Händen und einem grollen aus dem Himmel einen Windwirbel zu erzeugen, den er dem Reiter ebenfalls entgegen warf. Die junge Frau stolperte über die Leiche am Boden und fiel hin, in dem Moment, in dem erst ihr Messer die Hand des Mannes erwischte und dann Karanas Windzauber sowohl ihn als auch sein Pferd mit einem grauenhaften Geräusch in Stücke rissen. Katura war ein nützlicher Zauber... Karana wusste von seinem Vater, dass der Hang zu Windzaubern in seiner Familie lag. Sein Vater war ebenfalls Windmagier, ebenso wie es sein Vater und dessen Vater gewesen waren. Der junge Mann keuchte und spürte, wie die Macht der Windgeister in ihm langsam wieder abflaute, nachdem er den Zauber losgelassen hatte. Es war berauschend, mit Magie zu kämpfen... mitunter etwas zu berauschend, deswegen hob er es sich meistens für Momente auf, in denen er es nicht mehr anders regeln konnte... Die Erde bebte, während die Reste des Pferdes und des Reiters zu Karanas Füßen im Dreck landeten, mit ihnen auch das Messer, das er wieder aufhob. Er spürte die fassungslosen Blicke der schwarzhaarigen, schönen Frau auf sich, die noch immer mitsamt ihrem Huhn am Boden lag. „Wieso fuchtelst du Vollidiot mit einem verrosteten Schwert herum, wenn du Schamane bist?!“, schnappte sie verblüfft, während sie benommen versuchte, sich aufzurappeln – er schenkte ihr einen kurzen, eingehenden Blick. „Wir sind quitt.“, versetzte er, „Dein Leben für meines, Hühnerdiebin.“ Sie wollte antworten – zumindest machte sie den Mund auf – doch da war es etwas anderes, was Karanas Aufmerksamkeit von ihr ablenkte. Ein Schrei aus der Ferne, den er nur zu gut erkannte... jetzt konnte er ihre Stimme von den anderen, sterbenden Maden unterscheiden. „Karana! Um Himmels Willen, Karana!“ Neisa. Sie war am Leben! Ohne die fremde Frau, der er jetzt schon zweimal auf so komische Art begegnet war, noch eines Blickes zu würdigen, fuhr er herum und rannte zurück nach Osten, in die Richtung, in der er seine Schwester sich vor Panik die Seele aus dem Leib schreien hörte. Nur einen Moment später sah er sie – da waren auch Simu, Tayson und das Lianermädchen, das noch blasser geworden war und das im Schein des flammenden Dorfes noch gruseliger wirkte. „Ihr seid wohlauf!“, stöhnte Karana, als er über einen weiteren Erdspalt hechtete und schließlich im Getümmel der panisch fliehenden Menschen und immer noch herum galoppierenden Barbaren seine Kameraden erreichte. Aar war auch bei ihnen, und er bellte alarmiert, während er um Simu herum rannte. Neisa warf sich heulend in seine Arme, als er nahe genug an ihr dran war. „Wo bist du gewesen?!“, schrie sie ihn hysterisch an, „Ich hatte solche Angst, d-du wärst tot! D-diese Barbaren, s-sie kamen aus dem Nichts! Um Himmels Willen, ich habe Arlon Zinca gesehen, sie haben einfach alles niedergebrannt und die Lianer getötet! Sie überrennen einfach alles, es ist so grauenhaft! Wie konnte das denn einfach geschehen?!“ Sie riss ihr Gesicht von seiner Brust und er keuchte, als sie ihn mit tränenden Augen und einem flammenden Blick voll von Verachtung ansah – aber die Verachtung galt nicht ihm. „Töte sie doch, verdammt noch mal, Karana! Jetzt wäre es mal sinnvoll, zu beweisen, dass du der Sohn von Puran Lyra bist! Bring sie um, diese Unholde!“ Er schnappte nach Luft – sie meinte das ernst, das war es, was ihn verblüffte. In ihrer Panik redete sie sicher viel Mist... aber das hier meinte sie völlig ernst. Seine unschuldige Heilerschwester...? „Ich sage doch, sie ist zu giftig.“, hörte er Tayson murmeln, „Wie diabolisch.“ „Wir müssen auf der Stelle hier weg, Karana!“, fiel Simu Neisas Geheule ins Wort, während er seine Schwester von Karana weg zerrte, „Jetzt gleich. Das Dorf ist hinüber, wir können hier nichts tun und die Männer aus Kamien zu töten würde es nur schlimmer machen, Neisa. Wir gehen zurück nach Lorana, und zwar rasch. Ich weiß nicht, wieso die Sagals das nicht wie immer vorher gesehen haben, aber dem Alten Bescheid zu geben wird jedenfalls nicht schaden. Wenn die so weiter wüten und sie keiner aufhält, kommen sie vielleicht auch nach Lorana... wir müssen uns beeilen!“ „Zerreißen sollten wir sie!“, keifte Neisa, „Die Lianer haben niemandem etwas getan! Ich werde Dasan Sagal so lange lieb angucken, bis er macht, was ich will!“ Sie riss sich los, als Karana ihre Hand nehmen wollte, und er schnaubte nur, ehe er um sie herum griff und sie mit einem Arm zärtlich an sich drückte. „Sagal ist zu alt für dich, du dummes Mädchen. Beruhige dich erst einmal... Simu hat recht, wir verschwinden hier. Und zwar so schnell wir können! Lauft, ihr Narren!“ Das ließen sich die anderen nicht zweimal sagen, und sie sahen zu, dass sie weg kamen nach Norden. Neisa ließ sich widerspenstig von ihrem Bruder mit ziehen, fügte sich aber in seine schützende Umarmung, als der Schock sich von ihr löste und sie panisch in Tränen ausbrach. Während sie rannten, fiel Karana verblüfft auf, dass er noch das Messer von der fremden Frau bei sich trug. Die Erde dröhnte. Die junge Frau spürte das Zittern des Bodens unter ihren Füßen, ohne es weiter zu beachten, während sie ihr totes Huhn am Hals umklammerte und dem eigenartigen Kerl zusah, wie er sich mit einer Gruppe von anderen Außenseitern auf den Weg nach Norden machte. Sie konnten nicht von hier sein, sie waren keine Lianer – bis auf die eine Frau, wie sie dann bemerkte. Hier im Dorf durften nur Lianer leben – und wenn man auch nur zur Hälfte etwas anderes war, konnte man das vergessen, das hatte sie am eigenen Leib erfahren, als ihre Mutter gestorben war. Sie umklammerte das gestohlene Huhn fester und wandte den Kopf grimmig zum brennenden Dorf. Die Reiter waren vorbei gerannt, vermutlich waren die meisten jetzt hinter dem Zaun, dort, wo die grausamen Schreie erklangen, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen. Es war nicht so, dass sie den verblendeten Bestienbeschwörern das bittere Los nicht gönnte. Sie mochten zu Unrecht verfolgt und versklavt worden sein, jedoch nicht hier... und hier genossen sie jetzt mehr Rechte als jeder fähige Handwerker der Menschen. Und anderen sagte man Rassismus nach, wo es doch die Lianer waren, die sie und ihren Nichtlianer-Vater aus dem Dorf verstoßen hatten, weil sie keine richtigen Lianer waren. Und in Zeiten, in denen sie ihre Hilfe gebraucht hätten, hatten sie sie ihnen verwehrt. Es war recht so, dass sie jetzt so zu Grunde gingen... Ohne das brennende, sterbende Dorf noch eines Blickes zu würdigen wandte sie sich wieder nach Norden. Sich die Beute unter den Arm klemmend zog sie das Kurzschwert aus ihrem Gürtel, das sie trug, das ihr Vater ihr vermacht hatte, als er gestorben war. Sie konnte nicht sagen, warum sie gerade jetzt das Bedürfnis überkam, die Klinge zu ziehen und eine Weile schweigend zu betrachten, in Erinnerung an ihren lieben Vater. „Es ist ein wertvolles Schwert, das Schattenschwert, Akada.“, hatte er zu ihr gesagt, „Du musst es gut hüten. Vor vielen Jahren bekam ich es von einer Schamanenfrau aus dem Norden. Du hast ein Gesicht, das dem ihren ähnelt... es muss eine Laune der Geister gewesen sein, und es macht mich sicher, dass du es bist, die das Schwert tragen soll, wenn ich es nicht länger ehren kann.“ Das hatte er gesagt und fasziniert betrachtete sie die Klinge ein weiteres Mal, ohne die Runen lesen zu können, die in sie eingraviert worden waren. Das war das einzige Mal gewesen, dass ihr Vater davon gesprochen hatte, aber es hatte sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt – und als sie sich weiter erinnerte, wusste sie plötzlich, warum sie jetzt wieder daran dachte. „Sie war eine Frau von großer Macht... ihr Mann war ein Meister der Himmelswinde.“ Ihr Blick schweifte unwillkürlich erneut nach Norden, wo die Gruppe von Fremden längst nicht mehr zu sehen war. Der Bonze von vorhin hatte Windmagie benutzt, um den Reiter zu zerfetzen. Zum ersten Mal hatte sie wirkliche Windmagie gesehen, aber sie hatte sofort gewusst, was es war... es stimmte sie grantig, daran zu denken. „Du bist verrückt, Iana. Du bist absolut gestört. Aber eine Wahl hast du vermutlich nicht.“ Sie zischte ergrimmt, während sie das Schattenschwert zurück in den Gürtel steckte und sich daran machte, den Weg nach Norden einzuschlagen. Hinter ihr ging das Dorf, das ihr lange als Nahrungsquelle gedient hatte, zu Grunde. Und während im Westen die Flammen verrauchten, spürte sie in der Ferne die Schatten aus dem Osten heranziehen. _____________________________ Yeah, Iana. Karana ist dumm Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)