Growing is no requirement of growing-up von Lingo (It should be though.) ================================================================================ Kapitel 1: How could they call us heretic? ------------------------------------------ Out in the darkness Screaming but unheard, Embracing the deception No truth no recollection, My pain has no real word. Blood pours from our bodies Tears pour from our eyes, Love and hate, A twisted fate, Now it's time for us to die. By anonymous »Beeilt euch doch endlich, wir wollen nicht zu spät kommen!« Hastig stolperte sie vor mir und meinem Bruder in übertriebener Eile in Richtung der Kirche. Meine Mutter. Es war wieder einmal so weit; Sonntag, und somit Zeit, der wöchentlichen Messe beizuwohnen. Wenn ich ehrlich war, konnte ich die Kirche nicht leiden. Was auch immer vorne erzählt wurde, ich hatte nicht das Gefühl, dass es wirklich so sein könnte oder dass es genauso gewesen sein musste, sobald einer der Kleriker es erzählte. Damit stand ich nicht alleine da. Auch wenn die anderen Kinder es immer noch zu leugnen pflegten, falls sie die Messe ebenfalls für langweilig hielten, so wusste ich zumindest von meinem Bruder, Alec, dass er meine Meinung teilte. Gott gab es, aber was diese Pater aus ihm machten war aller Wahrscheinlichkeit nach Schund. Dies ist schlichtweg die Meinung, die wir uns geteilt hatten. Andere, wie beispielsweise unsere Mutter und unser Vater, sahen es komplett anders, vor allem engstirniger. »Alec! Jane! Lauft gefälligst schneller oder ihr habt später mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen!« , gellte die Stimme meiner Mutter wieder ungehalten zu uns vor. Deutlich war zu erkennen, welche Mühe sie sich mit dem Laufen geben musste; das Kleid, welches ihr schwer auf die Beine fiel und den Unterrock darunter verbarg, ließ jeden ihrer kleinen, dribbelnden Schritte zu einem wahren Kraftakt werden, während ein unnachgiebiger Wind sekündlich versuchte, ihr den Hut vom Kopf zu fegen, was sie erfolgreich unterband. Regelmäßig flogen ihre beiden Arme in die Höhe und ergriffen die Kopfbedeckung. Wäre es nicht meine Mutter, und somit jemand, den ich wirklich mochte, gewesen, hätte ich mir das Lachen, welches ich mir bei diesem Anblick verkniff, wohl niemals ersparen können. Es sah einfach zu ulkig aus. »Machen wir ihnen keinen Ärger«, hörte ich jedoch, keinen Augenblick später, die ruhige Stimme meines Bruders, die aus winziger Entfernung leise an mein Ohr drang. Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, fühlte ich, wie er meine Hand, die er schon seit dem Verlassen unseres Hauses fest in der Seinen gehalten hatte, etwas stärker drückte, ehe er gezielt sein Schritttempo – und somit meines auch – erhöhte und mit mir Hand in Hand rennend auf unsere Eltern zusteuerte, die bereits an der Kirchenpforte angekommen waren und dort mit mahnenden Blicken auf uns warteten. Leise, aber durchaus verständlich, hörte ich, wie meine Mutter »Jedes Mal das Gleiche...« in ihren nicht vorhandenen Bart nuschelte, wobei sie Alec – eine Hand auf seinem Rücken – in das Innere des Gebäudes schob; genauso, wie mein Vater es bei mir tat. Im Grunde konnte ich Mutter durchaus zustimmen. Es war jedes Mal dieselbe Leier, wenn wir herkamen. Sie und Vater hatten es jedes Mal von Neuem eilig und hetzten uns auf dem Weg ohnegleichen, um später andächtig in einer der vordersten Bänke zu sitzen und mit geschlossenen Augen den fremdsprachigen Worten der Experten vorne am Altar zu lauschen. Dabei kannten sie die Sprache, wie sie mir verraten hatten, genauso sehr, wie ich und Alec. Nämlich gar nicht. Das war einer der größten Gründe, wegen denen ich es nicht leiden konnte, die Kirche zu besuchen. Der Größte jedoch, war es nicht. Die langweilige Andacht war noch erträglich, sofern man wusste, sich selbst zu beschäftigen, doch den bösen Blicken der Leute entkam man nicht und denen war man dort immer wieder von vorne schutzlos ausgesetzt. Man durfte ja nicht einmal seine Stimme erheben! Die gemunkelten Bosheiten verfolgten mich genauso stark, wie sie es bei Alec taten. Wir hatten uns nicht einmal gesetzt, da konnte ich schon das erste Raunen hören. Abartig, pflegten sie uns zu nennen. Als ein böses Omen empfanden sie uns. Dabei hatten wir nichts getan und uns so gegeben, wie immer. Als wir noch kleiner gewesen waren und das erste Mal merken mussten, wie gemein und falsch die Gespräche teilweise waren, die dort in der Kirche, meist in den Reihen direkt hinter uns, kaum hörbar geführt wurden, hatten wir uns dazu aufgerafft und Mutter danach befragt. Von keinem der anderen Kinder hatten wir auch nur Vergleichbares gehört, dort erzählten die alten Frauen nur Gutes. Was für erquickende Benehmen die anderen Kinder doch hätten. Es war ein Unterschied von Tag und Nacht, sodass wir fast schon den Zwang verspürten, endlich zu erfahren, was sie gegen uns hatten. Jedoch mussten wir - na ja; ich weiß es nur von mir selbst sicher, Alec habe ich danach nie gefragt, also ich - es bereuen, danach gefragt zu haben. Kaum hatten wir die Frage gestellt, wurde der Blick Mutters auch schon trüber, als bedrücke sie etwas. Dabei schwieg sie, zwang sich – wie man ihr sehr wohl ansehen konnte – zu einem Lächeln und fuhr damit fort, uns beide ins Bett zu bringen. So gehorchten wir nickend auf den unausgesprochenen Befehl, hakten nicht weiter nach, sondern bequemten uns in die Matratzen. Routiniert beugte sie sich anschließend erst über mein Bett und gab mir einen leichten Kuss auf die Stirn, ehe sie in einer fließenden Bewegung das Bett meines Bruder anstrebte, um dort genau dasselbe zu tun. »Sie können den Gedanken, dass zwei Kinder dazu in der Lage sind, sich so gut zu vertragen, wie ihr beide es tut, nun einmal nicht fassen, diese aufgeschreckten Tratschtanten«, begann Mutter schließlich ruhig. Mittlerweile hatte sie sich erneut aufgerichtet und stand in der kleinen Lücke zwischen unseren Betten. »Von ihren Kindern kennen sie es anscheinend anders. Sogar, dass ihr am selben Tag geboren seid, ist für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Kennen sie etwas nicht, bezeichnen sie es als böse; das dürft ihr niemals ernst nehmen, hört ihr?«, endete sie letztlich, ehrlich und aufmunternd lächelnd. »Ihr seid etwas Besonderes. Dass sie das nicht gern haben, ist ihre Schuld«. Und nach ihrem allabendlichen »Schlaft schön, meine Kleinen«, verließ sie auch schon unser Zimmer. In dieser Nacht hatte ich besser schlafen können, als es sonst der Fall gewesen war. Was meine Mutter uns sagte, stimmte. Immer. Daran gab es nichts zu ändern, es wurde darüber nicht lamentiert und es wurde auch nicht in Frage gestellt. Jedoch war es bereits am nächsten Morgen so weit, dass ich feststellen musste, dass die Tatsache, dass der Fehler aufseiten der bösen Leute lag, nichts daran änderte, wie unausstehlich sie zu uns waren. Sie hielten ja sogar ihre eigenen Kinder davon ab, sich mir und meinem Bruder auf weniger als fünf Meter zu nähern, sobald dies verhindert werden konnte. Als hätten wir eine ansteckende Krankheit. Doch obwohl eine ebensolche durch das Dorf ging und sich die Nachbarn, die auf beiden Seiten unseres Hauses wohnten, diese auch schon zugezogen hatten, waren Alec und ich körperlich noch immer in absolut guter Verfassung. Warum also mied man uns mehr, als die Häuser der Angesteckten? Ich dachte wieder darüber nach, während wir in der Kirche saßen. Immerhin ergab es noch immer keinerlei Sinn. Hin und wieder murmelte ich ein Amen, erhob und setzte mich, um niemandem offen zu zeigen, dass ich ganz und gar nicht bei der Sache war, und verhielt mich, als hörte ich dem Pfarrer genauestens zu, doch verbrachte ich den größten Teil der Messe wieder einmal in Gedanken. Die damalige Messe unterschied sich wirklich in keinster Weise von den anderen. Zumindest anfangs nicht. Der Kleriker vorne am Altar war gerade im Begriff, die Worte zu sprechen, nach denen die kirchliche Messe, wie ich aus Erfahrung wusste, enden sollte, als die schweren Holztüre schwungvoll und ächzend aufgeschlagen wurden. Einige Männer traten ein, der Letzte aus ihrer Gruppe ließ die Tür krachend wieder in ihre Angeln fallen, während seine Begleiter nach vorne, immer näher auf uns zu, kamen. »Wer sind sie?«, fragte ich leise, erntete allerdings nur ein leises »Ich hoffe sie gehen schnell wieder« von Alec, der offensichtlich auch nicht mehr wusste als ich. Meine Eltern hatten mich nicht gehört, oder sie waren schlicht und ergreifend zu beschäftigt damit, um eine gute Ernte zu bitten, als dass sie überhaupt das Eintreten der Fremden bemerkt hatten. Diese bahnten sich ihren Weg und hielten erst, als sie bereits neben den anderen vorne am Altar standen. Angekommen, trat einer der Neuankömmlinge vor, um den vorne stehenden Gläubigen etwas zu erzählen, so leise, dass es selbst von meinem weit vorne gelegenem Sitzplatz aus nicht zu verstehen war. Es dauerte einen Augenblick, nur einen kurzen Wortwechsel, und schon hatte sich der Wortführer der Gruppe wieder an die Kirchengänger gewandt. »Die Kinder der Familie Wheatleigh sind hiermit verhaftet; ihnen wird vorgeworfen, das Dorf einer schrecklichen Krankheit unterworfen zu haben, sowie mit dem Teufel in Kontakt zu stehen.«, verkündete er lauthals, als sei er stolz darauf, so viel über uns zu wissen und uns gefunden zu haben. Ekelerregend. Zudem schrie er, wie es sich – wie ich natürlich wusste – in einer Kirche nicht gehörte. Dennoch schien es niemanden zu stören, denn restlos alle Blicke der Kircheninsassen wanderten in diesem Moment zu unseren Köpfen, denen meines Bruders und mir. Verwundert sah ich mich zu den Seiten um, als die Männer, die gerade ebenfalls herein geschritten waren, auch schon in unsere Bank kamen und mich und meinen Bruder ruppig an den Schultern packten. »Was soll das!«, stieß ich aufgebracht hervor, als einer der beiden mit seinen Pranken nach mir langte. »Lassen sie mich los; weg! Wir haben gar nichts getan!«, fauchte ich ihm weiter entgegen, erreichte damit aber ausschließlich, dass mir der Mund zugehalten wurde. Mit der wohl dreckigsten Hand, die ich mir hätte vorstellen können. Das brachte mich allerdings nicht davon ab, weiter in die Handfläche des Mannes zu kreischen, der mich fort trug, als wöge ich Nichts. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich einer der Kumpanen meinen Bruder auf die Schulter warf, um ihn besser im Griff zu haben. Dabei schlug Alec wie wild mit Armen und Beinen um sich und hämmerte auf die Schulterblätter desjenigen, der ihn trug. Alec verfiel nicht in Panik – niemals – und dennoch hätte ich schwören können, dass er in diesem Moment nichts anderes tat. Wieso unternahm denn keiner etwas?! Hilfesuchend versuchte ich in der Menge die Gesichter meiner Eltern auszumachen. Ich hatte sie aus den Augen verloren, sobald der Kerl, der mich trug, angefangen hatte, die langen Reihen der Bänke abzulaufen. Auf halbem Wege nach draußen entdeckte ich Mutter und Vater endlich, obwohl die Menschen durch meine mittlerweile verweinten Augen alle zu einer unförmigen Masse zu verschwimmen schienen. Da waren sie! Vater, der uns mit vor Entsetzen geweiteten Augen folgte, aber keine Anstalten machte, aufzustehen und aktiv zu helfen, und Mutter, die sich auf der Bank bereits in eine Art Embryonalstellung verkrümmt hatte und unablässig den Kopf schüttelte. Sie saßen keinen Zentimeter verrückt auf ihrem Platz, während wir gewaltsam abgeführt wurden? Ich konnte es nicht glauben. Warum taten sie nichts?! Sie hatten uns doch erzählt, dass es nur Unsinn war, was die anderen erzählten – war das etwa eine Lüge gewesen? Stärker liefen mir die Tränen aus den Augen, auch wenn sich nun eine geballte Wut in mir ausbreitete. Wir konnten gegen diese Schränke von Männern nichts ausrichten und die, die es könnten, taten nichts. Außer vielleicht, dass sie Maulaffenfeil hielten. Unglaublich kräftig hallte das Gemurmel der anderen Menschen von den leeren Kirchenwänden wider, doch keiner half, alle glotzten! Lauthals und ohne Unterbrechung kreischte ich in die auf meinen Mund gepresste Hand und übertönte so die unterstützenden Kommentare der boshaften Leute. Ich wollte nicht hören, wie sie sich gegenseitig beipflichteten, wie richtig diese Tat der Kerle doch sei, ich wollte, dass vielleicht einer von ihnen endlich einmal merkte, dass hier gerade Kinder abgeführt wurden, die nichts getan hatten! So schrie ich unaufhaltsam und wehrte mich, wie ich es zuvor bei meinem Bruder gesehen hatte. Erfolglos. Schließlich kamen wir draußen an und obwohl ich noch immer verheult kreischte und die Schulter des Mannes mit Schlägen bedachte, warf man uns letztlich achtlos auf einen umschlossenen Bereich, hinten auf einen Gefängniskarren; dicht an dicht aneinander gedrängt. Keiner der Leute hatte auch nur einen Finger gerührt, unsere Abführung zu stoppen. Knallend flog die Tür, durch welche wir hineingeworfen worden waren, hinter uns zu und verweigerte uns somit auch noch den letzten Funken Licht, den man in der kleinen Holzkiste hätte haben können. »Lasst uns raus!«, schrie ich aufgebracht und verzweifelte, während ich pausenlos gegen die Wände hämmerte. Solange, bis ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Alec, wer anders sollte es auch sein? »Beruhige dich, Jane.«, murmelte er mir entgegen, wobei ich genau hörte, dass er selbst nicht gerade beruhigt war. »Wir haben nichts getan; sie werden uns... schon laufen lassen. Irgendwie.« Irgendwie war gut. Alle wussten, was mit denen geschah, die zu Hexen deklariert worden waren – und auch, dass die wenigsten diese Vorwürfe wieder dementieren konnten. Kapitel 2: However they did it, they believed in it. ---------------------------------------------------- Offen gestanden, sind meine Erinnerungen an die darauffolgende Fahrt nicht gerade die Klarsten. Der kleine Karren, in den wir gepfercht worden waren, als seien wir Tiere auf dem Weg zum Marktplatz, wackelte – so schien es mir – bei jedem noch so kleinen Kiesel, über den wir fuhren, und jedes mal prallte ich von Neuem gegen die Holzwand, was mir nach einer Weile so sehr schmerzte, dass ich mir sicher war, morgen früh eine Herde blauer Flecken begrüßen zu dürfen. Genauso oft kam es allerdings vor, dass ich gegen meinen Bruder geworfen wurde, welcher ruhig neben mir saß. Da ich ihm keine Schmerzen verursachen wollte, versuchte ich immer wieder, mich in die andere Richtung zu lehnen, sollte der Wagen wieder ungünstig abbiegen. Ich versuchte, ihn schlichtweg nicht mit der vollen Wucht der Kurve zu treffen. Auch wenn ich sicher sagen konnte, dass er sich darüber auf keinen Fall beschwert hätte, niemals. Mein Bruder hätte die Zähne wohl einfach stärker zusammengebissen und gehofft, dass er damit etwas Gutes erreichte; damit, meinen Aufprall immer wieder von Neuem abzufedern. Alec schien es einfach leichter zu fallen, in solchen Situationen die Ruhe zu bewahren. Dass er da war – dass ich nicht alleine war – machte mich heilfroh. Wäre ich alleine gewesen, in diesem scheinbar nur aus Schwärze, Enge und Schmerzen bestehendem Raum, so war ich mir sicher, wäre ich verrückt geworden, noch bevor wir unseren Zielort erreicht hätten. Einzig und alleine mein Bruder schützte mich davor, in Wahn zu verfallen, während wir stundenlang über holprige Landstraßen gefahren wurden. Nun ja. Auf das stundenlang ist dabei kein großer Verlass, da mein Zeitgefühl sich wie in Luft aufgelöst hatte, nachdem wir eine Weile unterwegs waren... Unaufhörlich wimmerte ich leise vor mich hin. Was auch immer auf mich zukam, ich konnte mir denken, dass es nichts Schönes war und... ich fühlte mich dem nicht gewachsen. Wie sollte ich denn auch? Sie hatten bereits damit angefangen, uns nicht mehr wie Menschen zu behandeln, ich wollte mir nicht einmal vorstellen wie es wohl weitergehen könnte. Unerwartet spürte ich plötzlich den Arm Alecs auf meiner Schulter, ehe er mich näher zu sich zog und umarmte. »Denke einfach an nichts, das dir Angst macht, Schwesterchen«, flüsterte er mir leise zu, ehe er mich noch etwas fester an sich drückte, weil ich weiterhin leicht zitterte. Dadurch hörte es auf. Ich schaffte es, zu vergessen, wo ich war, solange ich meine Zeit mit ihm verbrachte. Sachte schloss ich die Augen, vertrieb alles um uns herum aus meinen Gedanken und konzentrierte mich einzig und alleine auf meinen Bruder. Die nächsten fünf Minuten, in denen wir beide so eng an einander in diesem kleinen, dunklen Raum steckten, blieben wir ruhig. Sein regelmäßiger Atem und das Knarren der Holzräder des Wagens, so wie leises Pferdegetrappel, waren diese Zeit über das einzige, was ich hören konnte, bevor mir eine Frage einfiel, dir mir praktisch das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Alec? «, setzte ich leise an. »Was... was sollen wir machen, falls sie uns trennen? «, wollte ich mit fast schon hölzerner Stimme wissen und hoffte, er hätte eine Idee. Ich selbst fühlte mich schlagartig überfordert. Ehe er mir eine Antwort gab, blieb es allerdings noch eine Zeit lang vollkommen ruhig. »Hoffen wir, dass es gar nicht erst so weit kommt «, gab er letztendlich leise von sich und ich sah schwach, wie er den Kopf dabei weiter abwandte und wohl auf einen anderen Punkt der Dunkelheit starrte. »Ich weiß es nicht, aber falls es passieren sollte, bitte ich dich: Bleibe ruhig und bewege dich nicht vom Fleck. Ich werde alles machen, um dich nicht alleine zu lassen, Schwesterchen. Ausnahmslos alles. « Seine Stimme war leise, so ruhig wie immer, aber ein Hauch von Vorsicht war zu hören, wie ich zu merken glaubte. Langsam nickte ich, bis mir einfiel, dass er dies wohl kaum sehen konnte und ich zusätzlich »Ich werde mich zusammenreißen « versprach. All diese Geborgenheit, die mir meine Familie gegeben hatte, die ich überhaupt ausschließlich von meiner Familie kannte, war alles, was mir jetzt wohl geblieben war – wenn auch nicht durch meine Eltern. Wenn sie schon nicht in der Lage waren, dafür zu sorgen, dass wir als Familie zusammenblieben, so würde ich mich trotzdem zu allem durchringen, was nötig war, um zumindest ihn nicht zu verlieren. Solange ich Alec um mich hatte, hatte ich eine Menge, er war nun meine Familie. Er und keiner sonst. Wir waren danach beide noch nicht dazu gekommen, noch etwas zu sagen, als mit einem Mal das Getrappel erstarb. Eine Furcht einflößende Stille entstand, keiner sagte mehr etwas und auch der Karren verblieb geräuschlos, bis schwere Schritte erklangen. Langsam und wuchtig polterte einer der Schränke, der wohl sogar meinen Vater um mindestens einen Kopf an Größe übertraf, wie es alle von diesem Zusammenschluss zu tun schienen, immer weiter auf uns zu, bis er die Klappen aufriss und mit angeekelter Miene, schnaufend auf uns hinabblickte. Die Öffnung stand ungünstig und das Licht der Sonne, welche wohl kurz davor stand unterzugehen, traf gleißend auf den mickrigen, uns zugewiesenen Platz. Vollkommen geblendet brauchte ich so erst einen Moment, um zu merken, dass der Kerl meinen Bruder bereits am Arm hinausgezogen hatte und unerschütterlich festhielt, während sein Kumpane begann, mich an meinem Ellbogen in die Höhe zu ziehen. Angst kam auf. Keine kluge Angst, weil ich etwa überlegte, was nun wohl geschehen würde und wie schlecht unsere Chancen standen, nein, es war die einfache Angst um mein Leben, im Jetzt und Hier. Ich fürchtete mich vor diesen Kraftpaketen, hatte Angst um meinen Bruder und nebenbei wurde meine Stimmung auch noch von der Sorge gekrönt, der Kerl würde meinen Arm jeden Moment ausreißen oder ließe mich zumindest mit dem Kopf gegen die Decke unseres Verschlages stoßen. Wenn sie uns jetzt etwas täten, geschähe ihnen höchstwahrscheinlich nichts. Wie denn auch? Zu gut konnte ich mir ausmalen, wie einer der beiden Bericht darüber erstattete, wie mein Bruder und ich unbarmherzig Seuchen an sie weitergegeben haben und wie wir sie dazu genötigt hätten, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Sie hatten uns mitgenommen, weil sie glaubten wir stünden mit dem Teufel in Kontakt – egal wie klein wir waren, wir waren hier die Monster. »Ein Mucks, eine falsche Handlung oder Ähnliches und ihr könnt mit ansehen, wie es aussieht, wenn man einer von euch Kreaturen die Beine stutzt «, drohte der erste der beiden mit einer vollkommen emotionslosen Stimme; kühl, rau und tief. Reflexartig wandte ich den Kopf in die Höhe und besah die beiden Zorn funkelnd. Die grobschlächtige Mimik und die breite Knollennase des einen, der mich festhielt, und die nicht minder mit reiner Wut gezierten Gesichtszüge des blonden Schönlings, der Alecs Arme gewaltsam hinter dessen Rücken verschränkte. Kurz davor, die beiden anzufauchen, was sie eigentlich dachten, was sie gerade taten, biss ich mir auf die Zunge. Im schlimmsten Fall hatte man uns mit dieser Drohung gesagt, dass sie mich oder meinen Bruder zur Strafe quälen und den jeweils anderen zuschauen lassen würden – etwas, das ich weder Alec noch mir antun wollte. Mein Bruder dachte offensichtlich nicht anders, sodass wir den beiden folgten, wie unsere Eltern den Worten der Priester: Ohne jegliche Widerrede. Die letzten Sonnenstrahlen, die uns wenig zuvor noch begrüßt hatten, drangen nicht durch die dicken Wände des Gebäudes durch, in welches sie uns brachten, und ich fröstelte in meinem schicken, aber unpraktischen Kirchkleid. Mit jedem Schritt wurde ich langsamer, bekam weder mit, was mit meinem Bruder geschah, noch in was für einem Gebäude wir uns befanden, während ich mir immer wieder die Arme rieb. So kalt, wie meine Finger waren, brachte es nichts und kaum bemerkte der Trampel, der meine Schulter umklammert hielt, dass ich nicht mehr so schnell lief, wie noch wenig zuvor, schubste er mich auch schon voran. Einen leisen Aufschrei konnte ich mir nicht verkneifen, während ich stolpernd ein winziges Stück hinter meinem Bruder landete, der sich sogleich besorgt nach mir umwandte, als der nicht einmal so schlecht Aussehende der beiden begann, zu lachen. »Sieh einmal, Eugen, jetzt tun sie schon so, als interessiere es sie, wie es anderen geht! Dabei haben sie erst vor Kurzem für eine kleine Überraschung im Hause ihrer Nachbarn gesorgt! «, giggelte er lautstark an den knollennasigen Eugen gewandt, dieser jedoch schüttelte nur angewidert den Kopf. »Da hast du etwas falsch verstanden, Edmund. Ihre eigene Sippschaft behandeln diese Bastarde schon seit jeher so, als seien sie etwas Besonderes. Untereinander sind diese Hexen die reinsten Engel. «, grummelte er, musste gegen Ende aber über seinen dämlichen Wortwitz glucksen. Unter normalen Umständen hätte ich die Augen verdreht und das Weite gesucht; diese gestörten Leute keines Blickes mehr gewürdigt und wäre notfalls nach Hause gelaufen; jedoch waren die Umstände dieses Mal nicht normal und das Opfer, Alec dafür alleine mit ihnen zu lassen, war mir viel zu groß, um irgendetwas zu riskieren. So blieb ich leise, strengte mich an, um mich – anders als sonst – zurückzunehmen und so schnell zu laufen, dass ich nicht erneut vorangeschoben wurde. Wir schaffen das. formte mein Bruder schweigend mit den Lippen, ehe sein Blick von mir wich und stattdessen zu Eugen wanderte. Die beiden Monster – und ich meinte weder mich noch Alec! - sprachen weiter, während sie uns durch die Flure führten und alles was sie von sich gaben betraf ein und dieselben, sich ständig wiederholenden Themen. Hexen, der Teufel, die dunkle Kunst, Gefahr, Seuche und selbstverständlich, dass es bitternötig sei, dagegen einzugreifen. Eugen, dieser furchtbare Klotz von Kerl, wurde zwischenzeitlich scheinbar von irgendetwas Gigantischem übermannt, denn der unnachgiebig harte Mann griff mich kräftig bei den Schultern und kam mir mit seinem Gesicht näher, als mir recht gewesen wäre, eine ernste Miene aufgesetzt. »Weswegen tut ihr das? «, fragte er mich und ich fühlte mich aus allen Wolken gerissen. War das wahrhaftig Verzweiflung in seiner Stimme? Und weswegen taten wir was? Ich bekam nicht mit, wie und wann es geschah, doch hatte sich sein Gesicht blitzschnell zu einer weinerlichen Fratze verzogen, ehe er fortfuhr und mir jedes seiner Worte vorwerfend entgegenspie. »Wieso rottet ihr vermaledeite Hexenbrut und der ganze Rest eures Packs unschuldige Menschen aus! Was bringt es euch, euch an den Qualen anderer zu laben? Sie war ein Kind! « Es war mir schleierhaft, worüber er sprach, weswegen er sich beschwerte, und doch ahnte ich, was ihn dazu getrieben hatte, bei diesen Leuten mitzumachen, die ohne schlechtes Gewissen das „böse Hexenpack“ aussterben ließen. »Wir sind auch bloß Kinder! «, stieß ich ungehalten hervor, ohne für ihn auch nur einen Funken Mitleid aufbringen zu können. Die Blöße, die er sich gegeben hatte, erkannte er offensichtlich erst dann als eine solche, wurde wieder Herr der Lage und auch seiner Mimik und ließ keine Zeit damit verstreichen, mich noch kraftvoller den Gang entlang zu stoßen. Nun unbarmherzig bis aufs Mark. Edmund klopfte seinem geschätzten Kollegen mitfühlend auf den Rücken, flüsterte etwas, was ich nicht verstehen konnte, und half ihm dabei, uns anzuspornen, bis wir fast schon zu rennen hatten, um von den beiden nicht wieder gestoßen zu werden, die mit ihren langen Beinen keinerlei Probleme damit hatten, den steinernen Gang in einer Hast zu passieren, die für uns schon nicht mehr feierlich war. Schließlich standen wir vor einer großen Tür, welche die Ausmaße unseres Scheunentores zu haben schien, nur überaus prachtvoller und die beiden Schränke klopften gleichzeitig an die verzierten Türflügel. Fast schon zeitgleich musste sie jemand von innen geöffnet haben, zumindest schwangen sie auf und ermöglichten uns den Blick auf einen unglaublich hohen Raum, der mit Holzbänken ausstaffiert worden war. Die Einrichtung war schlicht und doch edler als alles, was ich je zu sehen bekommen hatte – einmal abgesehen von den kunstvoll geschmückten Kirchen. Die Spitzen merkwürdiger Gerätschaften ragten über den Köpfen der wenigen Menschen, die in den ersten Reihen saßen, hervor. Ich wusste nicht, was das war – oder wozu man es brauchte, ob sie planten, es für uns zu benutzen, jedoch hätte es auch keinen Unterschied gemacht, hätte ich es gewusst. Denn schon stieß eine große Hand, ich tippte auf die Eugens, mich barsch in das Zimmer. Die Tür fiel hinter meinem Bruder Alec ins Schloss und augenblicklich trat eine erdrückende Ruhe ein; aller Augen lagen auf uns beiden und die Blicke ließen mir das Blut in den Adern gefrieren. Sie waren nicht überrascht und neugierig, wie die der Kircheninsassen Stunden zuvor; sie waren hasserfüllt, wenn nicht sogar ängstlich. Kapitel 3: False Truth ---------------------- »Eugen Jenkins und Edmund Parker, Richter Ashdown, Sir«, stellte der hübschere der beiden, Edmund, sich und seinen Partner mit einer leicht angedeuteten Verbeugung vor, sobald diese inmitten des Ganges Halt gemacht hatten. Sein Blick war nach vorne gewandt, auf unser Gegenüber. Wir standen vor einem hohen Tisch, an dessen anderer Seite ein Mann saß, der sicherlich bereits vierzig Jahre zählte. Sein Blick war ernst, die Mundwinkel schienen von einer unglaublichen Kraft gen Boden gezogen zu werden und alles in allem schien er ein Mensch der Sorte, die ich nie hatte kennen lernen wollen, zu sein. Er machte dafür einen zu peniblen und unnachgiebigen Eindruck. Auch die Tatsache, dass seine Augen zu kleinen, misstrauischen Schlitzen verzogen waren, und seine Stirn durch einen einzigen Teppich von Sorgenfalten gebildet wurde, trugen dazu bei. Er schien einer höheren Schicht anzugehören. Denn seine Kleidung war feiner als die, die unsere Eltern für die Arbeit je anziehen würden, sie schien sogar noch ein wenig feiner als die Kirchkleidung, die mein Bruder und ich noch immer trugen. Nun, das war jedoch auch nicht schwer, so befleckt wie diese mittlerweile leider war. Unkonzentriert ließ ich meine Hand den Saum meines Kleides entlangfahren und über einen der dunklen Flecken auf dem Stoff reiben; mit der anderen Hand nun fester die meines Bruders drückend. Erschrocken gewahr ich eine Bewegung, als sich der Mann uns entgegen beugte und unterließ augenblicklich jeglichen Versuch, meine Erscheinung zu verbessern. Noch einmal schluckte ich schwer, ehe er zu sprechen begann. »Ihr seid die Kinder der Familie Wheatleigh. Ist das richtig?«, erkundigte er sich zunächst mit tiefer Stimme und einem an unseren Gestalten herab wandernden Blick, woraufhin Alec knapp nickte. Die wortkarge Erwiderung missfiel Richter Ashdown, wie Edmund ihn zuvor genannt hatte, sichtlich und ich war mir sicher zu sehen, wie er für einen kurzen Moment brüskiert die Lippen schürzte. »Ist es ebenfalls richtig, dass die Menschen, die in den eurem Haus nahegelegenen Häusern wohnen, seit neulich an schweren Krankheiten leiden?« Diesmal nickte Alec widerwilliger. »Aber nicht unseretwegen.« »Lüge!«, schrie es schlagartig von einer der anderen Gestalten, die sich um den Tisch herum aufgestellt hatten, und ich kam nicht umhin zu bemerken, dass tatsächlich aller Augen feindselige Blicke uns galten. Unwirsch donnerte Richter Ashdown seine flache Hand auf den Tisch und sorgte mit einem strengen Blick in Richtung des Mannes, der laut geworden war, für erneute Ruhe, bevor er sich wieder uns zuwandte. »Mochtet ihr diese Menschen? Wie gut kanntet ihr sie?«, diesmal ließ er seinen Blick nicht von einem von uns zum anderen schweifen, sondern fokussierte mich. Alec hatte bisher offensichtlich geplant, dies alles zu übernehmen, und ich spürte, wie sich seine Hand verkrampfte, nun, da ihm der Richter einen Strich durch die Rechnung machte. »Hast Du Deine Nachbarn leiden können? Sei ehrlich«, forderte der Mann nun. Eingeschüchtert schüttelte ich den Kopf. »Sie waren uns seit jeher nicht gut gesinnt, haben unsere Familie gemieden und dafür gesorgt, dass wir nie auch nur in ihre Nähe kamen. Wie sollten wir sie mögen?«, entgegnete ich ihm, allen Mut zusammennehmend, den aufzubringen ich in der Lage war. »Dennoch haben wir ihnen nie etwas getan«, fügte Alec hart an. »Sie konnten sie nicht leiden«, murmelte ein hagerer Mann, der sich bisher noch nicht zu Wort gemeldet hatte, kopfschüttelnd, während er augenscheinlich etwas notierte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)