Ich bin! von Schneefeuer1117 (Sein oder nicht sein - das war nie die Frage!) ================================================================================ Kapitel 5: Gegenwart - Three ---------------------------- Ja, das waren wohl zwei der wichtigsten Gründe gewesen, warum er jetzt hier in einer heruntergekommenen Bar saß und sich betrank. Dass nichts in seinem Leben klappte. Als Kind war er viel alleine gewesen. Seine Eltern hatten arbeiten müssen um das große Haus zu finanzieren und andere finanzielle Sicherheit hatten sie nicht. Keine Großeltern, reiche Tanten und Onkel oder gute Freunde, die aushelfen konnten, wenn es mal schlecht stand. Seine Eltern waren genauso einsam gewesen, wie John selbst, aber hatten es nie zugeben wollen. Ihr falscher Stolz hatte die Familie zu Grunde gerichtet. Und durch mangelnde Unterstützung hatte John selbst den Anschluss verloren. Freunde? Nein. Gute Noten? Fehlanzeige. Er war schon in der dritten Klasse sitzen geblieben, hatte sich durch die folgenden mehr schlecht als recht durchgemogelt und hatte den Sprung aufs Gymnasium nur schwer geschafft. Dort gingen die Probleme weiter – er musste wieder einmal wiederholen. Neue Klassenkameraden, altes Spiel. Niemand, der ihn mochte, niemand, dem er sich verbunden fühlte. Er war zu normal, zu herkömmlich, zu alltäglich. Wie eine Band, die zwar jeder hörte, aber eigentlich keiner mochte. Wie Wurst, die man halt aß, aber die nicht besonders schmeckte. Jemand, von dem man eben schnell genug hatte. Und dann hatte er Jane kennengelernt. Eine der wenigen, die sich mit ihm eingelassen hatte. Sie hatten sich angefreundet und John hatte sich schnell in sie verliebt. Aus Dankbarkeit? Hm. Möglich. Jedenfalls hatte sie nach einer Woche Schluss gemacht. John wusste noch immer nicht wieso. Aber er wollte es auch gar nicht mehr wissen. Es war nicht mehr wichtig. Hm. Gelogen. Wegen diesem Gefühl hatte er nie wieder eine Frau anschauen können. Hatte er sich nie wieder binden können. Er hatte Angst, wieder allein gelassen zu werden, wieder verlassen zu werden. Deshalb hatte es nie wieder eine Frau in seinem Leben gegeben. Nicht einmal so etwas, was man eine Chance hätte nennen können. John trank sein drittes Bier, als Liz ihn an stupste. Sie nickte zur Tür und flüsterte leise: „Na? Willst du es nicht mal versuchen?“ John schaute über die Schulter und schüttelte den Kopf. „Wozu?“ „Na, du bist einsam.“ Er lächelte matt. Ja, das war er wirklich, aber das war noch lange kein Grund, sich gleich jedem Busen an eben diesen zu werfen. Das war … arm. Obwohl John zugeben musste, dass ein kleines, erotisches Abenteuer doch eine nette Abwechslung zum staubigen Alltag eines Steuerberaters war. Aber er schüttelte diesen Gedanken ab, als die hübsche Frau sich neben ihn an den Tresen setzte und mit hoher Stimme ein Bier bestellte. John hob überrascht beide Brauen. Welche Frau trank denn Bier? Aus den Augenwinkeln musterte er die Fremde. Lange, braune Haare, die sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden hatte. In der dunklen Atmosphäre konnte er ihre Augenfarbe nicht ausmachen, aber viel wichtiger war der strenge Hosenanzug, der keinen Aufschluss auf ihren Körper gab. Sie gab sich mysteriös, hochgeschlossen. Als sie zu John schaute, schaute er in dunkle Augen und sah sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Jane schaute ihn mitleidig an, als sie sagte: „Tut mir leid, John, aber ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein.“ Dunkle Augen. Sein Herz setzte einen Moment aus. Konnte es denn möglich sein? Konnte es wirklich sie sein? Das war doch … Nein. Das war unmöglich. Sie war weggezogen, auf irgendeine Universität gegangen, hatte bestimmt jemanden geheiratet. Aber … „John?“ Das kleine, verkümmerte Ding in seiner Brust krampfte und erstrahlte plötzlich in den hellsten Farben. Es hüpfte, donnerte, sprang, sang – sie war es! Es war Jane! Ohne es wirklich beeinflussen zu können, bildete sich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen. „Jane…“, antwortete er auf ihren Namen und beobachtete, wie auch auf ihren Lippen ein Lächeln entstand. „Es ist lange her. Wie geht es dir?“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Sprechen wir über etwas Erfreulicheres. Du siehst gut aus. Als was arbeitest du?“ „Sprechen wir über etwas Erfreulicheres.“ Sie lachten. Irgendwie war es John, als wären sie nie getrennt gewesen. Natürlich hatte die Trennung damals sehr an ihm genagt. Ach, was dachte er, er hatte geheult wie ein Schlosshund, hatte getobt, gekämpft und doch verloren. Er war von zu Hause ausgezogen, hatte sich irgendwie mit kleinen Jobs durchgeschlagen und hatte dann von seinem jetzigen Chef eine Stelle bekommen. War innerhalb der ersten Jahre zwei Mal befördert worden. Doch all diese Erfolge täuschten nicht über seine innere Verletzung hinweg. Er war nie richtig darüber hinweg gekommen. Und dennoch. Er fühlte sich wie neugeboren. Im Angesicht ihres Gesichts, ihrer Anwesenheit, ihrer Stimme wurde all das, was er durchlebt hatte, unwichtig. All die Enttäuschungen, die einsamen Stunden… Vollkommen egal. Wichtig war, dass er sie wiederhatte. Nun ja. Dass er sie zumindest mal wiedergesehen hatte. Er lächelte, während er sagte: „Was hast du die ganze Zeit über getrieben? Ich dachte, du seist schon längst verheiratet und weggezogen.“ Jane schüttelte den Kopf und wirkte ein wenig verwirrt. „Warum dachtest du das?“ „Du erschienst mir irgendwie immer wie eine emanzipierte und durchsetzungsstrake Frau.“ „Und vor denen haben Männer am meisten Angst“, sagte sie mit einem bedächtigen Lächeln und trank das Bier aus. John nickte nach kurzem Nachdenken. Stimmte. Die meisten Männer wollten doch eh nur eine Frau, die hinter ihnen her räumte, wusch und saugte. Am besten noch ein paar Kinder zeugen, zu Hause sitzen und ja und amen sagen, wenn er mal länger wegblieb, angeblich zu einem Meeting, in Wahrheit wegen einer Affäre. „Aber ich habe keine Angst vor dir“, wagte er einen leichten Vorstoß und Jane lachte herzhaft. „Nein, das stimmt. Das wusste ich vom ersten Moment an.“ Nun legte sich die heitere Stimmung ein wenig und wurde von schlechtem Gewissen und bösen Erinnerungen gedrückt. John fixierte den Tresen vor sich und fragte sich, ob er sie darauf ansprechen sollte, warum sie damals Schluss gemacht hatte. Aber wozu jetzt noch? Das war doch vollkommen unwichtig. Er schaute zu ihr und ahnte, dass sie wohl ähnliche Gedanken hatte. Sein Herzschlag beschleunigte sich leicht, als er ihre Hand zögerlich mit seiner überdeckte. Es war als Trost gemeint, als Vergebung, als Halt, als so viel und doch war es nicht genug. John war ihr noch nicht nahe genug. Er wollte mehr, näher. Zweifelnd biss er sich auf die Unterlippe. Rührten diese Gefühle jetzt von der starken Zuneigung, die er für sie (immer noch) empfand, oder daher, dass er einer Frau seit Jahren nicht mehr so nahe gewesen war, ohne gleich eine dafür zu kassieren? Jane schaute zweifelnd zu seiner Hand, dann in sein Gesicht. John lächelte unsicher. „Es ist okay. Alles was du getan hast“, raunte er leise und urplötzlich fiel sie ihm um den Hals. Ein heftiges Schluchzen durchtrennte ihre schweren Atemzüge. Erschrocken und überfordert tätschelte er ihren Rücken, presste sie schließlich nahe an sich. Was war los? Warum war sie so aufgelöst? John verstand die Welt nicht mehr. „Lass mich nie mehr los“, flüsterte Jane, die ihre Fingernägel tief in seinem Anzug vergrub, doch John verzog keine Miene. Er realisierte die Bedeutung, die Schwere des Inhalts noch nicht und als er es tat, rieselten von überall her eisige Schauer über seinen Körper. Er wusste gar nicht, was er zuerst denken sollte, geschweige denn sagen! Verdattert schob er Jane ein paar Zentimeter von sich, schaute sie lange Zeit an. „Heißt das … wir gehen in die zweite Runde?“ Sie wischte sich die Tränen aus den tiefbraunen Augen und nickte. „Ich habe dich immer geliebt, John. Damals schon und heute auch. Es hat sich nichts geändert.“ Nun drängte die Frage trotzdem an die Oberfläche. „Warum dann also…?“ „Warum ich dich verlassen habe?“, unterbrach Jane ihn. „Ich hatte keine Wahl, leider. Die Schule, danach die Universität. Ich stand ständig unter dem Druck, die besten und höchsten Leistungen zu erbringen, egal wo. Und egal, ob ich es wollte. Ich wollte dich nie verlassen, beim besten Willen nicht. Es hat mir das Herz zerrissen, diese Entscheidung zu fällen, aber … Ich weiß nicht, hattest du schon einmal das Gefühl, dass alles viel zu schnell geht?“ „Ja! Ja, sogar mehr als einmal!“, erwiderte John hektisch, der das Gefühl hatte, dass Jane ihn ganz genau verstand. Sie nickte zustimmend und fuhr fort: „Das Leben ohne dich war furchtbar einsam und trostlos. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange ich auf der Suche nach jemandem war, aber ich blieb alleine. Heute weiß ich nicht einmal, ob es nicht vielleicht Absicht war, weil…“ John unterbrach sie aufgeregt: „… weil ich dich immer noch liebe.“ Jane blinzelte und schien einen Moment verwirrt, doch dann legte sie ihren Kopf auf seine Schulter. Das Bier war vergessen. Die Bar war vergessen. All die Jahre waren vergessen. John fühlte sich wie der Neunzehnjährige. Die höchsten Glücksgefühle von damals prasselten auf ihn ein und er suhlte sich in der Liebe Janes. Wieder bestätigte sie ihn nicht, aber das brauchte sie gar nicht. Sie hatte es schon längst, indirekt. „Dass ich einmal im Leben Glück habe…“, murmelte John leise und zog sie an sich, dass sie beinahe das Gleichgewicht auf ihrem Stuhl verlor. Sie lächelte zu ihm auf. „Und ich hatte immer das Gefühl, du hättest das Glück mit Löffeln gefressen. Ich kam mir immer wie der größte Unglücksrabe vor…“ „Hm, nein, nicht wirklich. Es laufen immer alle vorbei, das Glück ist da keine Ausnahme.“ „Man kommt sich einsam vor?“ „Und allein gelassen, ja.“ „Ungesehen?“ „Von allen zurückgelassen, richtig.“ „Das ist … unheimlich.“ Jane lächelte matt, als sie sich aufrichtete und John anschaute, der sich von ihren Einwürfen eigentlich nicht hatte beirren lassen, aber jetzt bemerkte er, wie sehr sie mit gefiebert hatte. Und wie sehr sie überein stimmten. Er war verwirrt, doch Jane murmelte leise: „Ich habe mich genauso gefühlt. Die Welt entwickelt sich so schnell. Sie dreht sich und dreht sich und hört nicht damit auf, um Zurückgelassenen eine helfende Hand zu reichen. Ihr ist es egal, ob man hinterherkommt. Sie kümmert sich nur um jene, die mitlaufen können. Wie im Krieg: Verletzte werden zurückgelassen.“ Ihre Worte bereiteten ihm Magenschmerzen. So drastisch hatte er es nie sehen wollen, hatte sich irgendwie immer erhofft, dass es Möglichkeiten für ihn gab, aber zu hören, wie Jane von der Hoffnungslosigkeit sprach, machte ihn traurig. Wütend. Das wollte er nicht. „Vielleicht sollten wir langsam anfangen, mitzulaufen?“, flüsterte John und Jane lächelte sanft. „Was stellst du dir dabei vor?“ Das wusste er nicht, aber konnte es unmöglich zugeben. Er musste ihr die Hoffnung zurückgeben, die in ihm wucherte, seitdem er sie wiederhatte. Er legte ein paar Dollar auf den Tisch, nahm sie bei der Hand und gemeinsam verließen sie die Bar. Eine unglaubliche Selbstsicherheit hatte ihn ergriffen und er drückte seine Lippen auf die ihren, sobald die Tür ins Schloss gefallen war. Sie ließen die graue, versiffte Spelunke hinter sich und ihre Wege führten sie in einen frisch erblühten Park. John lächelte. „Reicht dir das als neues Leben? Ein neues Leben mit … mit mir?“ Jane schaute ihn an, biss sich auf die Unterlippe und suchte bei einem Kuss seine Lippen. „Ja. Ja, John, ein neues Leben. Und dieses Mal beweisen wir alle, dass wir Massenkompatibel sind, hm?“ Er lachte über ihre Wortschöpfung und strich ihr das dickte dunkle Haar aus dem Gesicht. „Ich kenne da wen… Der wird uns bestimmt helfen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)