sense + sensitivity von inferences (wir wollten helden sein. und glücklich.) ================================================================================ Prolog: fehlerhaft ------------------ Wir sind die neue Generation. Wir sind nicht unsere Eltern. Wir sind anders. Wir sind dunkelblond. Wir haben Sommersprossen. Wir verabscheuen unseren Vater. Wir verabscheuen uns selbst. Wir wollen alles sein. Aber nicht wie unsere Mutter. Wir wollen keine Veränderungen. Wir wollen gefallen. Wir wollen Helden sein. Und manchmal glücklich. Also stehen wir jeden morgen auf, viel zu früh, tragen Primer auf, Concealer, Abdeckstift, Make Up. Immer noch viel zu offensichtlich. Wir streichen Camouflage darüber. Dann nochmal. Concealer, Abdeckstift, Make Up, Puder. Dann den Rest. Sie sagen, wir wären künstlich, aber ihr Lächeln ist pures Saccharin, Natriumcyclamat, Aspartam. So illegal, dass es fast Stevia ist, so ekelhaft künstlich süß sind sie. Wir schlagen die getuschten Wimpern nieder, so lang, dass sie die makellose Scheinhaut streifen, die unglaubliche Reinheit unserer Haut mit schwarzen Tuschepartikeln beflecken. Oh, wie wir es hassen nicht perfekt zu sein. Das sind die Gründe, warum wir wie fasziniert an diesen Lippen hängen, hübsche Lippen, vielleicht ein bisschen dünn, die sich immer zu bewegen, reden, reden, reden, so viel Kluges von sich geben, dann sich schließen, wieder leicht öffnen, schöne weiße Zähne, hattest wohl einen guten Zahnarzt, Kleines?, dann anfangen zu beben, zu zittern, sich dann zu bibbernden Formen verzerren, weinend, zwischen hektischen Atemzügen schießen die Vorwürfe hinaus. Wieso? Wieso? Wieso liebst du deinen Vater so viel mehr als mich? Wir zucken die Schultern. Herzloses Stück, schimpfen wir uns selbst. Hasst du mich so sehr? Oh nein, Mutter, gewiss nicht. Wir haben die gleichen zu dünnen Lippen, die gleichen zu schnell rollenden Worte, Papa sagt, unsere Synapsen wären zu gut verdrahtet, aber wir wissen es besser, stimmt’s?, die gleiche Haarfarbe, ganz ihre Mutter. Aber man will doch man selber sein! Oh, wie wir es hassen wie sie zu sein. Wir haben zu schwache Arme und zu stramme Waden, wir haben eine Nuance zu dunkle Haare, eine ganze Farbpalette zu langsame Reaktionen, eine schlechte Auffassungsgabe, eine verquere Logik und ein viel zu großes Herz. Wir sind anders, sich dafür zu hassen wäre zu einfach, wir rennen. Wir rennen. Wir werfen. Wir arbeiten. Wir weinen nicht, auch wenn uns danach zu Mute wäre. Wir schauen nach oben, da wollen wir hin. Wir wissen, keine Chance. Wir machen weiter. Es tut weh. Unsere Knie sind blutig und geschunden. Unsere Arme blau und grün und lila und gelb. Wir schlafen auf den Boden. Wir sind unserer selbst unwürdig. Und immer noch ist das einzige was von unserem Mantel strahlt, dieser vorwurfsvolle, höhnische leere Platz. Wir wissen, dass er leer bleiben wird. Oh, wie wir es hassen Versager zu sein. Wir sind mehr als nur Versager. Wir sind mehr als nur Verlierer. Wie durften nie mitspielen. Wir warteten. Jahre. Niemand sagte etwas. Wir waren verschwiegen. Wir wurden vergessen. Wir sind verbittert. Wir schreien. Wir tanzen. Wir weinen, wie niemand weinen sollte, ganz ungehörig, laut und dramatisch und betrunken. Wir tragen High Heels und können doch nicht darauf laufen. Wir schlagen uns die Knie auf dem Bordstein auf. Wir bestäuben unser Dekolteè mit Glitzer. Wir wollen gesehen werden. Seht mich an! Seht mich gottverdammt an! Wir streifen unser Top über den Kopf, schmeißen es ihnen entgegen, dann die hautenge Jeans. Seht mich an! Das bin ich! Und sie drehen beschämt den Kopf beiseite. Sie hoffen, dass es vorübergeht. Dass wir vorübergehen. Dass hoffen wir auch. Aber das tun wir nicht. Oh, wie wir es hassen anders zu sein. Wir wollen mehr sein. Wir wollen stolz machen. Wir können es. Wir können alles. Wir sind beliebt. Wir sprechen nicht von Liebe. Manchmal sprechen wir von Gefühlen. Wir können eine Krawatte tragen und nicht spießig wirken. Wir schämen uns. Wir wollen mehr sein. Wir wollen Inperfektion aus unserem Leben streichen. Wir sind entspannt. Wir hassen Hysterie. Und sind es doch selbst manchmal. Wir hassen es, dass Sachen passieren, die alles kaputt machen. Wir hassen, dass man die Summe seiner Herkunft ist. Wir hassen es zu wissen, dass man doch nicht das ist, was man zu sein glaubte, dass man sein wollte, dass man sein wird, wenn man nur diesen winzigen Fehler aus seinem Leben gestrichen hat. Oh, wie wir es hassen, wie das Leben mit uns spielt. Wir tragen Sneakers oder handgearbeitete Schuhe aus feinstem Leder. Wir lieben Blondinen. Und Brünette. Und Schwarzhaarige. Rothaarige nicht zu vergessen. Wir hören gerne Opern. Und gehen auf Rockkonzerte. Wir können zehn Sprachen. Und nur eine fließend. Wir können ‚Happy Birthday’ auf 47 verschiedenen Instrumenten spielen, ungelogen, mehr können wir dann aber auch nicht. Wir wissen noch nicht was wir werden wollen. Wissen noch weniger was wir sind. Wir können alles. So ein bisschen. Aber nichts so richtig. Das macht uns wütend. Wir kriegen alles. Und doch nie was wir wollen. Oh, wie wir es hassen einfach nur irgendwas zu sein. Wir arbeiten hart, wir sind erfolgreich. Wir sind arrogant. Und so verdammt stolz, dass es uns fast umbringt. Wir bewundern, was unsere Familie einst war und verabscheuen was sie geworden ist. Wir wollen besser sein. Und doch nicht in ihre Fußstapfen treten. Wir stehen zwischen Gefühlen und Vernunft. Und dem Stolz. Und dem Streben nach mehr, was uns immer antreibt, dass uns nicht schlafen lässt. Wir haben Angst was zu verpassen. Wir haben Angst die Kontrolle zu verlieren. Wir sind besessen. Wir sind bestimmt. Wir denken, dass wir wissen, was wir wollen. Wir glauben es aber nicht. Wir wollen Macht. Wir wollen Glück. Wir wollen Funken. Wir wollen Gefühl. Oh, wie wir es hassen, nicht zu wissen, was wir wollen. Wir sind jung, wir sind töricht, wir sind anders, als man uns erwartet. Wir sind gezeichnet vom Lachen und Weinen und zaubern und zauberhaft sein. Und auch wenn wir einzeln in unserer Zweifel einsam sind, haben wir doch alle das selbe Problem. Wir sind fehlerhaft. Und wir haben Angst. Vor der Zukunft und vor dem Jetzt, die meisten von uns auch vor der Vergangenheit. Denn was vergangen ist, zeichnet uns zu dem was wir sind und nicht zu dem was wir sein wollen. Wir sollten es akzeptieren. Aber wir sind jung. Und wir haben Träume. Wir bleiben fette Mädchen im Ballettütü. Wahrscheinlich ein Leben lang. . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)