Neun A.D. von Voidwalker ================================================================================ Kapitel 2: Arlew ---------------- „Los, Männer, macht euch endlich fertig.“ wies Tulev den kleinen Tross an splitternackten Gesellen an, die sich aktuell noch unter den Duschen befanden und Witze über diverse Offiziere – natürlich nicht ihn – und mehrere Frauen des Lagers rissen. Es war ein befremdliches Gefühl, zuzuhören, wie jemand darüber scherzte, dass die kleine McDermit einem Jungen verdächtig ähnlich sei, befremdlich, zu hören, wie Mister Maywing dadurch die kuriosesten Ambitionen unterstellt wurden und mancher Vorschlug, einer der Anderen solle ihm doch einmal seine Aufwartung machen. Aber sie waren nun einmal seine Untergebenen. Tulev war nicht gerade bekannt dafür, einen sonderlich ausgeprägten Humor zu haben. Nein, geradezu stupide und trocken nahm er jeden Witz her und zerpflückte ihn in all seine unlogischen Einzelteile. Seine Männer hatten das begriffen und scherzten nicht mehr – zumindest nicht mit ihm. Für Tulev eine gute Lösung. Aber er konnte es sich nicht erlauben, seinen Leuten auch noch die Witzeleien untereinander zu verbieten. Was würde das nur der Moral antun! Also ließ er sie scherzen und lästern und sich das Maul zerreißen. Nur fertig werden sollten sie endlich. Der stattlich gebaute Möchtegernrusse verließ den Sanitärbereich und trat in die kleine, kompakte Vorkammer ein. Die Hundemarke um seinen Hals diente als ID-Erkennung und kaum in den Schlitz eingeführt, erinnerte ihn EVAs blechern klingende Stimme daran, dass sein Schrank sich eine Tür weiter links befand. „Danke, Eva.“ mühte Tulev sich, ihr die nötige Höflichkeit entgegen zu bringen. Anders als die meisten Soldaten, hatte der Offizier inzwischen begriffen, dass Evas neurale Bahnen so stark vernetzt waren, unabhängig von ihrer Ausbreitung in den Ziel- und Feuerleitsystemen der Wachtürme, den Energieregulierungseinheiten im Generatorkern oder dem Informationsspeicher in der Kommunikationszentrale, dass sie durchaus über eine eigene Persönlichkeit verfügte. In den Augen des Mannes war das Grund genug, ihr auch die gleiche Höflichkeit und Freundlichkeit zukommen zu lassen. Er hatte mal versucht, seinen Leuten beizubringen, es ihm gleich zu tun. Aber die winkten meist ab. Nur eine Maschine, sagten sie und behandelten Eva weiterhin wie ein Werkzeug. Komm her, tu dies, sag mir das. Man sollte sich nicht mit einer künstlichen Intelligenz anlegen, die siebzig Prozent des Lagers und sämtliche Elektronik darin kontrollierte und überwachte. Sie war es, die die Türen der Container öffnete, wenn einer der Menschen darin den Türknopf drückte. Sie war es, die die Lampen mit Energie versorgte, wenn jemand den Schalter umlegte. Sie kühlte ihre Lebensmittelvorräte, gab ihnen Wärme, hielt die Wachtürme am stetigen Absuchen der Umgebung nach Feinden. Sie hielt den Kontakt zur Heimat, sie analysierte die Daten aus dem Untergrundsensorennetzwerk. Nein – man sollte ihr besser freundlich begegnen. Tulev zog die Tür auf und begann, sich Stück für Stück in die entnommenen Sachen zu kleiden. „Eva, wieviel Zeit haben wir noch?“ erkundigte er sich. Die automatische Sprechanlage war inzwischen in fast jedem Container installiert. „Siebzehn Minuten zwanzig Sekunden bis zum geplanten Ausrücken der Räumeinheit, Major.“ erwiderte Eva befehlstreu. Sie sagte es nie, sie ließ selten zu, dass man es ihr anhörte – aber sie war tatsächlich freundlicher und aussagewilliger gegenüber denen, die sie als eigene Identität anerkannten. Tulev hatte das von Anfang an auszubauen gewusst. Anders als Brìghde oder Illay – die hatten sowieso von Beginn an einen geradezu unauslöschlichen Bonus. Als der Offizier sich wieder in voller Montur seines Kampfanzuges mit den üblichen Tarnfarben befand, verließ er den Sanitärbereich. Draußen erwartete ihn deutlich kühlere und trockenere Luft, die er einen Moment genoss und tief einsog. Er strubbelte sich durch die Haare, bemerkte ein wenig Restfeuchte darin und ignorierte das. Sein Schritt führte ihn zum Fuhrpark. Eine große, halbkugelartige Konstruktion, die sich etwas abseits der restlichen Kolonie erhob. Die amphibischen Transport- und Lastpanzer hatten sich gerade am Anfang beim Aufbau der Einrichtungen als unbezahlbar erwiesen. Auf ihrem flachen Dach konnte man mühelos die schweren Träger und Panzerwände transportieren und nun... nun würden sie endlich ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt werden. Sie waren Truppentransporter. Das hier würde ihr erster Einsatz im Feld werden. Direktes Abladen der Soldaten in einer Kampfzone, in Feindgebiet. Nun würde sich zeigen, wie viel die Erfindungen aus dem Hause Maywing wirklich wert waren – denn das neuartige System basierte auf Entwürfen von Illays Onkel Soren. Andererseits arbeitete der schon seit ihrer Entstehung für die Nordkoalition und hatte sich einigen Ruhm und Ansehen einarbeiten können. Man sollte annehmen, dass alles funktionierte. Trotzdem wurde der Offizier ein mulmiges Gefühl in der Magengegend einfach nicht los. Dem jungen Maywing erging es offensichtlich ganz ähnlich, denn genau den sah er nun hastigen Schrittes und offensichtlich nervös wie immer auf sich zuhalten. „I-I-Ich h-halte das f-f-für keine gute I-Idee!“ stammelte der, kaum dass er bei Tulev ankam. Ein kurzes Seufzen glitt seine Kehle hinauf, doch der Soldat wusste es herab zu schlucken. Natürlich hielt er das nicht für eine gute Idee – er würde diesen Ausflug nicht begleiten, die kleine McDermit hingegen schon. Niemand hatte wirklich etwas gesehen, niemand wusste etwas Genaues, aber inzwischen konnte man die Gerüchte einfach nicht mehr ignorieren, dass zwischen den Beiden irgendetwas war, das weit über kollegiale Freundschaft und gute Zusammenarbeit hinaus ging. Illay stammelte irgendeinen technischen Quark und Brìghde übersetzte völlig problemlos. Sie griff in ihre Arbeit vertieft nach einem Werkzeug und ohne ein Wort der Absprache reichte ihr Illay genau das zur Stelle. Hätte nur noch gefehlt, dass sie einen Satz begann und er ihn beendete... stammelnd wie immer natürlich. „Mister Maywing, sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Das ist ein kleiner Einsatz. Arlew ist laut den alten Karten nur eine kleine, dörfliche Ansiedlung mit moderater Feindzahl. Wir gehen hin, testen gemäß unseren Anweisungen ein paar Spielzeuge im Feldeinsatz und verschwinden wieder. Ihre F-... Kollegin wird nicht einmal den Panzer verlassen müssen, wenn alles reibungslos läuft. Sie sitzt einfach zwischen einer Horde bis über den Kopf gepanzerter, schwer bewaffneter Männer und das schlimmste, was sie ertragen müssen wird, ist vielleicht, dass einer sein Deo vergessen hat.“ erklärte Tulev breit. Er hielt McDermit durchaus für clever, aber er hätte einfach nicht vermutet, dass die kleine Schottin es wirklich drauf hatte, von Illay ein derartiges Maß an technischem Wissen abzuschauen, dass General Greedy und Darla sie einstimmig für fähig befanden, eine Mission allein als technische Aufsicht zu begleiten. „A-A-Aber wenn s-sie nicht n-n-nach P-Plan v-verl-läuft?!“ stotterte der Brite zurecht. Andere hätten mit Illay längst die Geduld verloren. Nicht nur das – viele andere hatten mit Illay längst die Geduld verloren. Es war anstrengend, ihm zuzuhören, das Gestammel zu ignorieren und noch viel schlimmer, wenn er etwas zu erklären versuchte, wovon er etwas verstand. Sein technisches Gebrabbel war zwar stotterfrei, aber dennoch völlig unverständlich. Er erinnerte sich noch gut daran, wie Mister Maywing junior im Auftrag des Generals den Soldaten einen Crashkurs in Generatormechanik gegeben hatte. Nach zehn Minuten Vortrag, in denen niemand etwas verstanden hatte, erhob sich Brìghde mit einem Schmunzeln, trat an die Karte vor, deutete auf einen Chip in der Mitte und sagte einfach „Das steuert, wie viel Energie abgegeben wird“. Illay stimmte ihr zu, leicht beschämt lächelnd, und auf allen Mienen im Raum hellte die Erkenntnis auf. Dieser Mann war ein Genie, keine Frage – aber zum Lehrer taugte er nicht. Gott allein mochte wissen, wie die Schottin von dem auch nur irgendwas hatte lernen können. „Wenn es nicht nach Plan verläuft, hat sie ein Dutzend der besten Soldaten um sich, die mit hochtechnisiertem Equipment sicherlich ihr Leben werden beschützen können. Und vergessen sie nicht unser Baby, das wird schließlich auch dabei sein.“ erwiderte Tulev. Er war geduldig. Verdammt, er war vermutlich der geduldigste Mensch im ganzen Lager. Deshalb stand er noch immer hier, statt Illay abzuwimmeln. Es lag ihm wirklich etwas daran, ihn zu beruhigen, statt ihn von oben herab zu behandeln, wie es die anderen Offiziere taten. Das stand ihnen nämlich, genau genommen, gar nicht zu. Man vergaß es nur zu leicht, aber Illay war neben dem General und Miss Green einer der drei führenden, befehlshabenden Köpfe der Expedition. Vermutlich vergaß er das sogar selber ständig... Einen Moment blickte der junge Maywing ihn geradezu verstört an. 'Baby' hatte ihn irritiert, das wusste Tulev. Dann sah er die zarte Erkenntnis in seinen Augen aufziehen. „Mister Maywing, entschuldigen sie mich bitte, aber ich muss noch Vorbereitungen treffen. Ich kann ihnen versichern, es wird ihrer Assistentin nichts passieren. Ich verspreche ihnen, ich werde persönlich ein Auge auf sie haben und sie wohlbehalten hierher zurück bringen!“ Diese Zusage schien Illay tatsächlich zu beruhigen. Er nickte, zögerlich und unsicher, aber er nickte. Tulev war der Koalition immer treu ergeben gewesen – dennoch irritierte ihn die Gut- und Leichtgläubigkeit dieses Mannes stets aufs Neue. Wie konnte jemand, der so blind war, so wunderbar mir der kleinen Schottin klar kommen? Nun... vielleicht war es genau das, was ihre 'Zusammenarbeit' so gut ermöglichte, wer wusste das schon. Der Major zumindest ließ den Mechaniker nun stehen, setzte seinen Weg zum Fuhrpark fort und schob die kleine Hundemarke in das Kennfeld. Eva las mit dem Scanner seinen ID-Code aus und öffnete ihm daraufhin die Tür direkt neben dem großen Hangartor. Schon als er eintrat, musste der Russe sich einen Moment beherrschen. Es roch nach Schweißarbeiten, nach Metall, Öl, Benzin und Verbranntem. Eine Mischung, die ihm den Magen umzukrempeln versuchte und ihn bedauern ließ, so herzhaft gefrühstückt zu haben. Er kämpfte einen Moment mit sich, bis seine Nase sich an die Mischung gewöhnt hatte. Schließlich begab er sich zu den zwei bereits bereit stehenden Fahrzeugen. „Alles bereit?“ erkundigte er sich und die drei Techniker, die auf Illays Anweisungen die gesamten Verdrahungen, alle Mechanik und Elektronik die ganze Nacht über doppelt und dreifach geprüft hatten, nickten erschöpft. Offensichtlich war er sogar bereit, die Erschöpfung anderer Mitarbeiter zu riskieren, um die sichere Rückkehr Brìghdes zu gewährleisten. Fast stahl sich ein Lächeln auf Tulevs Lippen – fast. Er begab sich zu dem Container mit Militärfracht, Nummer dreizehn von dreiundzwanzig, trat durch die aufgezogene schwere Metalltür ein und begann sich auszurüsten. Eine Handfeuerwaffe, siebzehn Schuss, vollautomatischer oder halbautomatischer Modus, sie wanderte in sein Knöchelhalfter. Eine schwere Handfeuerwaffe, großes Kaliber mit üblem Rückstoß und der Zerstörungskraft eines Sturmgewehres wanderte in seinen Gurt. Das tatsächliche Sturmgewehr legte er sich mit dem Gürtel über Hals und unter den Arm und trug es vor der Brust, zumindest bis zum Operationsbeginn. Dann noch eine Blendgranate in die linke Gürtellasche, eine Plasmagranate rechts und einen der einfachen Helme von der Stange gezogen. So weit, so gut. Sein nächster Gang war der eigentlich Wichtige. Es gab mehrere Interessen, die mit dem Einsatz in Arlew abgedeckt werden sollten. Wie praktisch waren Plasmawerfer im Feldeinsatz? Welche Effizienz erreichten die Sturmgewehre tatsächlich? Erwiesen sich die einstudierten Formationen und Manöver als praktikabel? Das war das, was unbedingt getestet werden sollte. Es gab noch ein paar 'ausprobieren, falls es sich ergibt'-Interessen der Koalition an dieser Mission. Eine dieser Aufgaben sollte er übernehmen. Besser gesagt: Er war einer von fünf Männern, die aufgrund des vorbereitenden Experimentalprogrammes überhaupt fähig waren, diese Aufgabe auszuführen. Aus Container dreiundzwanzig nahm er sich eine kleine, silberne Metallrolle und klemmte sie an seinen Gürtel. Mit drei Gurten sicherte er sie rundum. Dieses Röhrchen war so lang wie sein Unterarm, hatte ungefähr den selben Durchmesser und hatte mehr gekostet als der halbe Fuhrpark samt Innereien. Es durfte also auf keinen Fall einfach irgendwie 'verloren gehen'. Nach und nach trudelten auch endlich seine Kameraden ein. Schon als eine gewisse Geräuschkulisse den sonst recht stillen Fuhrpark zu erfüllen begann, ahnte er es, aber als er dann aus dem Stimmengewirr auch noch einen Witz über Illays Gestotter heraus hörte, wusste er es definitiv. Er trat zu seinen Männern herüber und unterzog alle einer genauen Inspektion. Tulev hatte in einem Einsatz noch nie Verluste hinnehmen müssen, die auch vermeidbar gewesen wären. Er hatte noch nie Fehler gemacht, noch nie die Nerven verloren. Er gedachte nicht, heute damit anzufangen. „Gurt straff ziehen. Hemd rein. Der Schnürsenkel ist offen.“ lauteten seine knappen Kommandos und Hinweise, als er seine Soldaten prüfenden Blickes abschritt. Als er soweit zufrieden war mit dem Anblick der elf Mann, schickte er sie zu den Containern, damit sie sich bewaffnen konnten. Natürlich rissen sie auch darüber wieder ihre Scherze, 'zankten' sich darum, wer wohl das Größere hätte, nur um nach Verlassen der Frachtabteilungen ihre Gewehre auf die Länge zu prüfen. Eine Bande Grundschulkinder hätte nicht lärmender, anstrengender und kindischer sein können, aber zumindest hielt es sie bei Laune. „Los los los, rein mit euch!“ befahl Tulev, nun ganz im gewohnten Offizierston. Die Männer wurden etwas leiser, etwas ernster und trabten im Laufschritt zu den zwei Fahrzeugen. Der Major indes begab sich zum Hangartor und drückte den großen, roten Knopf, der den Öffnungsmechanismus in Gang setzte. Nachdem das Summen der Motoren eingesetzt hatte, begab er sich auf die Seite und wartete. Lautstark hallte das Geräusch im Park wieder, als die Motoren angelassen wurden. Trotz aller neuen, technischen Errungenschaften waren sie wahre Spritfresser. Der erste Wagen, der geradezu gemächlich an ihm vorbei rollte, fuhr auf Ketten. Ein schwerer M2A4-Kampfpanzer. Er konnte nur auf maximal sechzig Kilometer pro Stunde beschleunigen, aber dafür besaß das Ungetüm ein Zwillingsgeschütz, eine kleine Raketenbatterie und zwei seitlich ausfahrbare Gatlinggeschütze in einem Kugellager – dieses Monster klein zu bekommen, war praktisch unmöglich. Der Panzer würde ihre Rückendeckung sein. Verlieren durften sie ihn nur um Gottes Willen nicht – von den Produktionskosten abgesehen, hatten sie von diesen Ungetümen nur zwei Stück. Obwohl der Panzer auch vollautomatisch laufen würde, bevorzugte man es, vier Mann Crew darin unter zu bringen, weshalb die restlichen acht – einschließlich des Majors – in dem Truppentransporter ihren Platz fanden. Als dieser an Tulev vorbei rollte, deutlich leichter und agiler, drückte der Offizier erneut den Knopf und ließ zu, dass die Tore sich wieder zu schließen begannen. Er schlüpfte nach draußen und stieg in die kleine Hinterladeluke des Amphibienfahrzeugs ein. Die würde glücklicherweise nur dieses eine Mal nötig sein. Für den Ausstieg im Feld war ein neues, von Soren Maywing entwickeltes System nötig. Seitliche Luken, breit genug, um einen Mann darin manövrieren zu lassen – so konnten alle Soldaten das Fahrzeug gleichzeitig verlassen und zu beiden Seiten absichern. Zumindest war das der Grundgedanke bei dieser Innovation gewesen. Ob es sich bewährte, würde sich zeigen. Bis vor das Tor der Kolonie rollte der kleine Konvoi. Dort steuerte schließlich auch Brìghde zu ihnen und stieg in den Transporter ein. „Wurde auch Zeit. Sie hätten am Park warten sollen.“ merkte Tulev ein wenig verstimmt an. Die Schottin aber winkte jovial ab und grinste kurz darauf den Soldaten breit zu, die sie mit Handgesten willkommen hießen. Einige von ihnen kannte sie inzwischen sogar mit Namen, mit Wenigen von denen hatte sie zusammen getrunken – natürlich ohne Wissen irgendwelcher Entscheidungsträger. Es würde zweifellos ein großer Skandal werden, sollte irgend ein hohes Tier – außer Tulev –, je davon erfahren, dass ein paar Soldaten eine provisorische Destille zusammengeschraubt hatten. Sichtlich gut gelaunt ließ sich die Technikerin neben ihm auf einen der Sitze sinken, streckte die Beine durch den ganzen, zugegebenermaßen recht unbequemen und beengten Innenraum und machte es sich sichtlich gemütlich – zumindest, bis der Transportpanzer über die Torschwelle fuhr und der Innenraum ein wenig durchgeschüttelt wurde. Die Schottin schlug mit dem Kopf gegen die Panzerwand und spie einen derben, schottischen (und daher praktisch nicht zu verstehenden) Fluch aus, der sogar Tulev unter seinem Helm schmunzeln ließ. Das kam davon... „So, wohin geht's'n, Meister?“ hakte Brìghde fröhlich nach. Der Major dagegen wollte am liebsten den Wagen anhalten lassen und sie absetzen, damit sie brav zurücklaufen konnte. Aber wie hätte er auch erwarten sollen, dass sie die verdammte Akte lesen würde? Vermutlich war sie zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich einen Schuss zu setzen und trotzdem Illay zuzuhören, der nicht einmal begriff, dass das in der Spritze eben kein Insulin war... „Arlew. Schon mal gehört?“ hakte Tulev durchaus ein klein wenig gereizt nach. Er hatte in den vergangenen Monaten gelernt, sich mit Brìghde zu arrangieren, aber das hieß eben noch lange nicht, dass sie beste Freunde geworden waren. Die Schottin schüttelte natürlich freigiebig den Kopf, was dem Major schon verdeutlichte, dass es sogar besser und zum Wohle aller wäre, wenn sie den verdammten Panzer nicht verlassen würde. Die Fahrt über verlief recht ruhig. Es wurde wenig geredet, die meisten Soldaten verfielen nach und nach in eine Art von erwartungsvoller, angespannter Starre. Sie verfolgten auf den kleinen Geräten an ihren Handgelenken, wie die zwei Punkte dem Zielort immer näher kamen. Die Aufklärung war dieser Tage eines der schwierigsten Gebiete geworden, aber mit etwas Glück trafen die Angaben zu. Moderate Feindstärke, also vielleicht zwei, drei Dutzend Feinde. Bisher hatte sich auch kaum ein erkennbares Muster gezeigt. Es gab diese merkwürdigen Maulwurfsviecher, die sich rasend schnell unter der Erde bewegen konnten und es gab das, was wohl früher mal Menschen waren. Mehr hatten sie noch nicht zu Gesicht bekommen und wenn es nach Tulev ging, reichte das auch wirklich vollkommen aus. „Ziel geordet. Feuerleitsystem online, Zielfokus wird ausgerichtet...“ erklang es leise und mechanisch verzerrt aus der Sprechanlage im Innenraum des Transportpanzers. Zwei gewaltige Kanonenschläge donnerten hinter dem Transportpanzer auf, ein kurzes Rauschen markierte den Weg der Geschosse über ihren Panzer hinweg. „Bin ich froh, dass das Ding für uns kämpft.“ merkte einer der Soldaten an. Gott allein mochte wissen, auf welche Entfernung das Ungetüm gerade geschossen hatte. Vermutlich war das halbe Dorf schon vollständig verwüstet und ausgeräuchert, bevor sie begannen, die Truppen abzuladen. Erneut wurden sie in die erteilten Befehle im zweiten Fahrzeug eingeweiht. Das sollte die Kommunikation der Truppen untereinander verbessern. Tulev hatte ein etwas verbessertes Ortungsgerät. Er sah, worauf der Panzer feuerte. Ein paar herum huschende Gestalten hatten das Feuerleitsystem aktiviert und nun donnerten alle paar Minuten die mächtigen Kanonenrohre des Panzers eine todbringende Ladung in das Dorf, dem sie immer näher kamen. „Jungs, bereit machen.“ erteilte er sein Kommando und nahm selbst das Sturmgewehr in Anschlag. Brìghde hatte hier und da mal versucht, ein Gespräch anzufangen, doch die waren rasch im Sand verlaufen. Nicht nur, weil es im Transporter sehr laut war, sondern auch, weil vor Anspannung gerade niemandem danach war, einen kleinen Plausch zu halten. Dass die Schottin dabei durchaus auch mit ihrer eigenen Nervosität fertig zu werden versuchte, kam niemandem in den Sinn – sie war Kriegsgebiet nicht gewohnt. Ihre schlimmsten Begegnungen hatte sie mit der Polizei erlebt, bei aus dem Ruder laufenden Demonstrationen, auf der Flucht nach einem Überfall oder Diebstahl. Hier aber waren keine Polizisten und vertraute Gassen mit all den ihr bekannten Schlupfwinkeln. Hier war fremdes Land, ein Haufen bis an die Zähne bewaffneter, schweigsamer Soldaten und Panzerbeschuss. Dann, mitten im Dorfkern, zog ein kräftiges Ruckeln durch das Fahrzeug und es kam abrupt zum stehen. Es fühlte sich fast an, als würden die Hinterräder des Sechsachsenfahrzeugs den Bodenkontakt verlassen, so plötzlich bremste er ab. „Los, los los, raus!“ wies der Major seine Männer an. Die Seitenluken wurden geöffnet, die Soldaten stürmten aus dem Fahrzeug und schon wenige Sekunden darauf ertönten die ersten Gewehrsalven. Der Offizier bewegte sich mit den drei Mann, die auf seiner Seite des Fahrzeugs ausgestiegen waren. Sie eliminierten mühelos die ersten vier Feinde, die aus den Ruinen frisch zerstörter Häuser heran kamen. Alle trugen sie Handschuhe, schwere Rüstungen – es durfte keinesfalls zu Körperkontakt kommen, so viel hatten sie schon gelernt. „Linke Flanke, linke Flanke!“ warnte einer der Soldaten, die auf der anderen Seite des Panzers ausgestiegen war. Tulev gab Handzeichen, das Fahrzeug zu umrunden, während sich die Seitenklappen wieder schlossen und den Panzer luftdicht versiegelten – mit Brìghde als einziger Passagierin. „Sperrfeuer!“ wies Tulev in sein Mikro an. Vier seiner Männer gingen mit einem Knie auf den Boden, die anderen Vier standen aufrecht hinter ihnen – acht Gewehrläufe, die das Feuer eröffneten und den scheinbar nicht abreißenden Strom an ausströmenden Feinden an einem der Hauseingänge durch einen dezenten Leichenberg zum Versiegen brachten. Dass irgendetwas nicht stimmte, begann der Offizier schon zu diesem Zeitpunkt zu begreifen. Es war nicht die Aggressivität, mit der der Feind vorging. Diese offensive Art hatten sie schon zuvor erlebt, dass diese Gegner sich ohne Rücksicht auf Verluste einfach ihnen entgegen warfen. Nein – es war ihre Anzahl. Zwei, drei Dutzend? Dann müsste der Strom an Feinden eigentlich langsam versiegen. Der Panzer hatte unzählige Häuser in Berge qualmenden Schutts verwandelt, sie hatten bereits mit ihrer Feuerstellung diverse Feinde erledigt und trotzdem schienen aus allen Ecken immer weitere Gegner herbei zu strömen. Wie war das möglich? Und dann lief wirklich alles aus dem Ruder. Schreie erklangen auf ihrem Kanal. Woher? Sie sahen sich um, irritiert. Doch keiner der acht Männer war verwundet oder wurde angegriffen, also- Der Panzer! Tulev riss den Kopf herum und gewahrte mit Schrecken des Anblickes, der sich ihm bot. Die Ketten waren zerrissen, die schweren Stahlräder zerfurcht und zerpflückt, die Flanke des schweren Panzers hing in metallischen Fetzen – und direkt neben dem Ungetüm klaffte ein großes Loch im Boden. Eines dieser maulwurfsähnlichen Viecher hatte sich direkt neben dem Panzer ausgegraben, durch das Metall, durch massive Panzerplatten gewühlt... und zerfleischte gerade die Crew ihrer Rückendeckung. „Brìghde, sofort raus aus dem Transporter!“ wies der Major die Schottin an. Tatsächlich ließ sie sich das nicht zweimal sagen. Eine der Seitenluken sprang auf und die Schottin kam hastig zu ihnen herüber. Dass sie hier draußen, mitten im Feuergefecht, völlig deplatziert war, sah man sofort. „Einheit zerstreuen!“ lautete die nächste knappe Anweisung. Dass dieser Angriff den Panzer außer Gefecht setzte, konnte einfach kein Zufall sein. Diese verschiedenen Arten von Feinden arbeiteten besser und koordinierter zusammen, als sie es bisher vermutet hatten, besser, als die Aufklärung ihnen gesagt hatte. Die Aufklärung. Verdammt, was hatten die eigentlich gemacht? Sich mit einem Fernglas auf den Wachturm gestellt und gesagt, das alles ruhig aussieht? Aufgeklärt wurde hier jedenfalls ein Dreck! Wie erwartet, wurde kurz darauf der erste der Acht überlebenden unter einem brachialen Aufschrei und dem Geräusch reißenden Gewebes in den Erdboden gezerrt, mit ruppigen Bewegungen immer tiefer in den unterirdischen Gang gezogen. Der Anblick, wie ihm Blut aus dem Mund sickerte, wie er die Hand nach seinen Kameraden streckte, brannte sich in Tulevs Gedächtnis ein. Seine Truppe teilte sich auf, versuchte, weniger Angriffsfläche zu bilden, damit diese Untergrundbiester nicht zwei oder drei von ihnen auf einen Streich erledigen konnten. Was jetzt? Sie hatten den Panzer verloren, sie hatten schon fünf Mann verloren und wenn diese Flut an Feinden weiter zunahm, würde man sie bald überrennen. „Plasma!“ rief einer der Soldaten warnend. Seine Kameraden zogen sich ein Stück zurück. Aus einer der Gassen des Dorfes brach ein regelrechter Schwall, eine Flut an Feinden hervor – und sie kamen keinen Meter weiter, kaum, dass sie die Gasse verlassen hatten. Der gleißende, grünliche Strahl des Flüssig-Gas-Gemisches ätzte und brannte einfach schier alles weg. Die Temperaturen ließen sogar den Stein des Gebäudes springen und schmelzen, das Fleisch wurde in Sekundenbruchteilen weggebrannt, die Knochen zerbarsten noch bevor sie schwarz anlaufen konnten. Doch der Plasmawerfer hatte nur einen stark limitierten Munitionsvorrat. Wie sollte es dann weitergehen? Rückzug in den Transportpanzer? Ein einziger Blick erklärte Tulev bereits, dass das eine Todesfalle war. Der zerstörte Panzer blockierte den Rückweg und die von ihm geschaffenen Krater und Haustrümmer blockierten den Weg nach vorne. Sie wären in einer Blechbüchse gefangen – und diese Grubenmonster konnten sich da durchwühlen wie ein Messer durch Butter fuhr. „Granaten!“ wies der Kommandant an. Ein paar kleine Zylinder flogen durch die Luft und verschafften ihnen weitere kostbare Zeit. Sie würden sich frei kämpfen müssen. Zu Fuß die Strecke zu bewältigen, war fast unmöglich. Es sei denn, der Feind hatte kein gesteigertes Interesse daran, ihnen zu folgen. Dann könnten sie es vielleicht schaffen. „Rückzug!“ befahl Tulev seinen verbliebenen sechs Mann. Die kleine Schottin packte er dabei grob am Oberarm, scherte sich einen Dreck um ihr Gezeter darüber, dass das unnötig und ohnehin zu fest sei. Warum auch immer, aber in all dem Chaos und dem Desaster eines Einsatzes hatte Tulev irgendwie sein Versprechen im Kopf, das er Illay gegeben hatte. Er würde sie ihm wohlbehalten zurück bringen. Sie schafften es, ohne Verluste einige Meter weiter zu kommen. Beständig nach vorne die Schneise öffnend, sie breit genug haltend und nach hinten absichernd. Brìghde wirkte, als würde sie sich am liebsten übergeben wollen, als sie an der Gasse vorbei kamen, die zuvor unter Plasmabeschuss gelegen hatte. Doch dafür blieb keine Zeit. Ungnädig zog er die Technikerin weiter bis zu dem Moment, an dem ihnen eine neue Art von Gegner unterkam. Äußerlich war dieses Wesen den verunstalteten Menschen nicht unähnlich, die sie bisher gesehen hatten. Nur, dass die grünlichen Kristalle, die hier und da aus seiner Haut wucherten, größer waren als alle bisher Beobachteten. Und er trug eine Art von... Beule auf der nackten Brust. Einen großen Sack, der verräterisch zuckte und sich bewegte. „Gott, was ist das?“ entfuhr es einem der Soldaten. Der Major dagegen hatte weit weniger Verstörung dafür übrig. Es bewegte sich auf sie zu und gab merkwürdige Geräusche von sich, außerdem war es keiner von ihnen und wurde damit ohne große Überlegungen oder Studien seines Verhaltens zum Feind erklärt. „Abknallen!“ lautete daher die Anweisung. Ein einzelner Schuss aus dem Gewehr eines Soldaten riss die Haut des Sackes auf seiner Brust auf. Ein röhrendes, verdächtig zufrieden klingendes Geräusch drang aus der Kehle dieses Ungetüms. Es hielt sich so lange wie möglich auf seinen zunehmend zittrigen Beinen, ehe es tot zu Boden stürzte. Bis dahin jedoch entkamen durch den zunehmend aufreißenden Spalt in jenem Brustsack unzählige kleiner Kreaturen. Sie erinnerten an Motten – verdächtig grün leuchtende Motten. „Ein Schwarm! Masken auf!“ warnte einer der Soldaten und setzte noch im selben Moment selbst die Atemschutzmaske auf. Sie sollte eigentlich, ursprünglich, gegen ABC-Waffen helfen. Gegen diese Plage jedoch war sie völlig nutzlos, wie sich zeigte – denn den Hautkontakt, den sie zuvor noch so penibel zu vermeiden versucht hatten, der ergab sich nun zwangsläufig. Der Schwarm umkreiste sie, die kleinen Tiere ließen sich auf ihren Panzern und Rüstungen nieder, auf ihren Helmen und Waffen und begannen überall nach Schwachstellen zu suchen. Durch jeden noch so kleinen Spalt konnten sie unter die Rüstungen schlüpfen, wühlten sich durch die Kleidung, bis sie auf Haut trafen. Dort fraßen sie sich durch, schlüpften in den Körper – warteten. Das Immunsystem würde sie angreifen, sie töten, sie zerlegen... und bei dem Versuch, ihre Reste auszuscheiden, den gesamten Kreislauf infizieren. Tulev wusste nicht, was er tat. Bei Gott, er hätte auch nachträglich nicht erklären können, wieso er das tat, aber schon als das erste Flugtier ausgeschlüpft war, packte er Brìghde am Kragen und zerrte sie aus dem sicheren Feuerkreis seiner Männer in die ausgeräucherte Seitengasse. Er hatte es versprochen. Hilflos und machtlos musste er einen Augenblick mit ansehen, wie der Schwarm seine Männer aus dem Konzept brachte. Keine noch so gute Kommandostruktur hätte ihnen jetzt helfen können. Dennoch bedauerte der Major seine Entscheidung. Er hätte nicht gehen dürfen. Er hätte nicht gehen sollen. Verdammt, er sollte eigentlich- Lange bevor er eine möglicherweise fatale Entscheidung zu treffen fähig war, spürte er einen kräftigen Ruck und wurde nun seinerseits von der kleinen, zierlichen Schottin weiter gezogen. „Meister, wenn wir hier bleiben, sin' wir auch bald Futter!“ mahnte sie ihn an und bog mit dem Möchtegernrussen um die nächste Häuserecke. Tatsächlich gelang es der Technikerin, den plötzlich erstaunlich reaktionsstarren Offizier durch das halbe Dorf zu zotteln, immer im Schatten der Häuserruinen zu bleiben, bis sie am Ende der leichten Strecke ankamen. „Wenn wir's über die Strafe schaff'n, sin' wir am Dorfrand und fast sicher! He, hörste mir überhaupt ma' zu?“ fuhr sie Tulev an. Der Offizier rang um Fassung und bemühte sich, die neue Situation zu erfassen. Tatsächlich hatte Brìghde Recht – sie waren direkt am Außenrand des Dorfes, hatten über die Gassen den Panzer und vermutlich auch einen nicht unerheblichen Teil ihrer Feinde geschickt umgangen. Jenseits der breiten Straße, die einem Ring gleich um die meisten Hütten lag, befand sich ein langgezogenes Gebäude. Mehrere Tore und Türen erinnerten auf eigentümliche Weise an den Fuhrpark, den Tulev erst heute Morgen verlassen hatte. Heute Morgen. Ein Zeitpunkt, der plötzlich Jahre zurück zu liegen schien. Er fühlte sich wie betäubt, irgendwie entrückt. Erst McDermits Ohrfeige brachte ihn wieder zurück. Er wollte ihr schon drohen, für diese Frechheit – doch erkannte er zu schnell, dass sie eigentlich genau richtig gehandelt hatte. Ein kurzer Blick über die Straße und sie vergewisserten sich, dass zumindest keine Feinde sichtbar waren. Rasch huschten sie in halb gebückter Haltung über den an zahllosen Stellen aufgesprungenen Asphalt und probierten die Türen durch. Schließlich fanden sie eine, die offen stand – leider aber aus dem simplen Grund, dass das gesamte Schloss herausgerissen worden war. Dennoch besser als nichts. Der Soldat schob die Mechanikerin vor und warf einen letzten Blick die Straße hinab. Dort stand der Panzer und bot nun einen exzellenten Ausblick auf die zerfetzte Seite. Tulev glaubte sogar, das Blut und manche Teile seiner Soldaten im von flackerndem Licht erleuchteten Inneren sehen zu können – dann packte eine schmale Hand seine Weste und zog ihn hinein. Er schloss die Tür, soweit das eben möglich war und knipste die kleine Taschenlampe an, um das Innere ihres vorläufigen Versteckes auszukundschaften. Die knöchernen Überreste eines Menschen lagen am Boden, ein paar Werkzeugkästen standen herum, eine Werkbank, ein von Rost zerfressenes Cabrio. Offenbar handelte es sich um eine Anreihung von Garagenplätzen. An einer der Wände stand eine Reihe spindähnlicher Schränke, vier waren verschlossen, einer offen. „Wird reichen. Müssen.“ erklärte Tulev leise und schritt vorsichtig durch den Raum. Sein Blick fiel immer wieder an Boden und Decke. Wenn diese Viecher sich durch massive Panzerplatten wühlten, hätten sie mit ein wenig Beton sicherlich kein Problem – es ging bei dieser Untersuchung auch mehr darum, mögliche Geräuschquellen zu entdecken. Hingen Werkzeuge von der Decke, die bei einer unvorsichtigen Bewegung herumklimpern könnten? Lag Werkzeug am Boden? Oder Glassplitter, die bei einem unbedachten Schritt knirschen würden? Sie mussten das Risiko, entdeckt zu werden, auf ein Minimum reduzieren. Immerhin würden sie hier vermutlich einige Stunden ausharren müssen und auch, wenn Tulev es ungern eingestand: Die Garage war einerseits das Beste, was sie im Moment hatten und zeitgleich eine Todeszone. Es gab nur einen Ein- und Ausgang und der ließ sich nicht einmal verschließen. Er prüfte den Wagen, die Werkzeugkisten, gab Brìghde auf ihren Wunsch hin seine zweite Taschenlampe. „Wow...!“ entfuhr es der Schottin. Abrupt sah der Major auf und fuhr sie an, sie solle gefälligst leiser sein. „Wow...!“ wiederholte sie daraufhin flüsternd. Tulev kam sich nicht ganz zu Unrecht auf den Arm genommen vor, doch er ignorierte dergleichen einfach, ebenso, wie er ihr Interesse für den Wagen ignorierte. Das Ding wäre völlig nutzlos. Nicht nur, dass es ihnen an Treibstoff fehlte, ein Cabrio war schon taktisch unklug, und dann sah das Ding auch aus, als würde es nur noch von Rost und drei Schrauben zusammen gehalten werden. „Fass nichts an. Das macht Lärm.“ befahl der Soldat der Zivilistin. Zum Glück war es zu dunkel, damit er ihre Miene sehen konnte. Nach der gründlichen Inspektion, in deren Verlauf er manche Gefahrenquellen beseitigt hatte – es lag tatsächlich einiges an Werkzeug herum -, gesellte er sich zu Brìghde, die inzwischen einen kleinen Campingtisch und zwei dazu passende Stühle aus einer von verstaubten Spinnweben überdeckten Ecke hervorgezogen hatte. Skeptisch begutachtete der Pseudorusse, wie sie sich ohne vorbehalte hinsetzte und blickte dann nicht minder kritisch auf den Stuhl, den sie offenbar für ihn angedacht hatte. „Was'n? Die Viecher sin' eh längst tot, Meister. Und im Cabrio sitzen is' sicher zu laut, ne?“ erklärte sie ihm leise. Der Offizier gab sich Mühe, den schnippischen Unterton bei ihrer Frage zu ignorieren und nahm, wenn auch widerwillig, auf dem spinnenwebenverhangenem Stuhl Platz. Nun würden sie warten und hoffen, dass man sie nicht entdeckte. Für den Major war das völlig in Ordnung, er konnte damit leben. Ohnehin musste er sich wieder sammeln, seine Ruhe wiederfinden. Er hatte gerade seine gesamte Einheit verloren, weil die Aufklärung gepfuscht hatte. Dafür würden Köpfe rollen, dafür würde er schon sorgen! Jetzt musste er sich erst einmal überlegen, ob er es hätte besser machen können. Hatte er Fehler gemacht? Wo? Wann? In Gedanken begann Tulev bereits, die Beileidsschreiben an die Familien der Soldaten aufzusetzen. Natürlich ein standardisiertes Schreiben. Er kannte die Männer nicht auf freundschaftlicher Ebene, er war eben 'nur' ihr vorgesetzter Offizier gewesen. Irgendein Schreiben, in dem man Namen und dergleichen personalisierte Angaben einfach austauschen konnte. Während sein Kopf zu rattern begann, drang leise ein befremdliches Geräusch an sein Ohr, das ihn irgendwie... irritierte. Schließlich blickte er zu der Schottin herüber, die in aller Seelenruhe ein Kartendeck durchmischte. „Wo-“ ... zum Teufel hast du das her? Es lag ihm auf der Zunge, aber er sprach es nicht aus. Vielleicht, so dachte sich Tulev, wollte er das besser auch gar nicht wissen. Möglicherweise hatte sie es irgendwo mitgehen lassen. Vielleicht sogar während der Fahrt einem seiner inzwischen toten Männer geklaut. Oder bei einem der Trinkspiele gewonnen, an denen sie manchmal teil nahm. Sie glaubte nach wie vor, er wüsste davon nichts, aber Information war eine Ware, eine Waffe, und Tulev war befähigt, sich dieser gewissenhaft zu bedienen. So, wie er Brìghde als Spitzel einsetzte, als Botin und ausführende Hand des Widerstandes, hatte er auch andere Kräfte für seine Bewegung rekrutieren können. Soldaten, denen Greedys Regime nicht mehr passte, zivile Mitarbeiter, die Miss Greens Launen nicht mehr ertragen wollten, Siedler, die in ihm die Hoffnung sahen, doch noch ein neues, von der Koalition befreites Leben beginnen zu können. Wenn man vorsichtig genug an jemanden heran trat, war es gar nicht schwer, weitere Kräfte für einen Widerstand aufzutreiben. Manche arbeiteten sogar für ihn, ohne es zu wissen. Mittelsmänner, versteckte Geheimnachrichten, alles war möglich. Und so hatte er eben auch jemanden, der Miss McDermit überwachte. Nur zur Sicherheit, verstand sich, damit sie sich nicht irgendwann einen goldenen Schuss setzte. Das war bei ihr tatsächlich sein größtes Bedenken: Das sie die Kontrolle über ihre eigene Drogenabhängigkeit verlor. „Hey Chef, kennst'n gutes Spiel?“ erkundigte sich Brìghde nach einer Weile, während sie das Mischen der alten, muffigen Karten kurz einstellte und seinen skeptischen Blick einfing, „'N Kartenspiel natürlich, brauchst nich' gleich schau'n, als würd' ich dich fress'n woll'n.“ setzte sie mit einem Augenrollen und dennoch amüsiertem Lächeln nach. „Nein.“ lautete die banale Antwort des Majors. Dabei war es kaum glaubwürdig, dass er keine Kartenspiele kannte, also bezog Brìghde es eher darauf, dass er einfach nicht mitspielen wollte. Elender Spielverderber. Stattdessen begann die Schottin, nur für sich selbst zu mischen, hob die in schwere Stiefel verpackten Füße vom aufgeklappten Campingtisch und teilte in völliger Ignoranz des Staubes und des von ihren Stiefeln abgebröckelten Schlamms die Karten aus. Was genau sie da eigentlich spielte, versuchte Tulev zwar einen Moment herauszubekommen, doch dann gab er es auf und widmete sich lieber wieder ihrer aktuellen Situation. Die taktische Analyse sah nicht besser aus, nur weil sie die erste Stunde hatten totschlagen können. Doch seine Gedanken gaben ihm auch einfach keine Idee, wie er die Tür sichern könnte. Er fand bei seinem geistigen Kontrollgang nicht einmal genug Materialien, um für sein Sturmgewehr, oder wenigstens die Handfeuerwaffe, einen Schalldämpfer zu bauen. Dafür hatte er inzwischen jedoch so etwas ähnliches wie einen halbwegs tauglich scheinenden Plan. Sie würden sich bei Einbruch der Dämmerung auf den Weg machen und im Panzer verschanzen. Die Panzercrew hatte dieses Mistvieh vielleicht überraschen können, aber noch einmal würde das wohl kaum passieren. Er würde sie mit gezielten Salven zur Strecke bringen und mit ihren Leichen den Eingang verstopfen. Klang nach einem guten Plan. Und Brìghde würde derweil die Anlagen prüfen. Wenn möglich, würden sie versuchen, den Panzer in Bewegung zu setzen. Materialbergung und Rettungsaktion in einem Zug – das wäre der Idealfall. Ansonsten hatten sie mit dem Waffenaufgebot des Panzers trotz allem noch immer die höchsten Überlebenschancen. „Was ist eigentlich mit dir und Illay?“ erkundigte sich Tulev nach einer halben Ewigkeit, als die Stille und das gegenseitige Anschweigen sogar ihn zu langweilen begannen. Brìghde hielt in ihrem Kartenspiel einen Moment inne, ehe sie unbedarft weiter austeilte. „Was soll'n da sein?“ hakte sie völlig unschuldigen Tones nach, „Wir kommen gut aus.“schob sie hinterher. Eigentlich wusste Tulev alles, was er wissen musste. Es interessierte ihn nicht einmal sonderlich, so lange sie ihm weiter half und ihm Informationen lieferte, ohne dabei auf dumme Ideen zu kommen. Aber irgendwie war er gerade versucht, das Gespräch am laufen zu halten. Warum, das hätte er selbst nicht so recht sagen können. „Da ist doch mehr als das.“ wandte er nach einer Weile schließlich ein. Allein, wie die Schottin den Kopf hob und mit einem zufriedenen Lächeln ihn in seinem vermeintlichen Unwissen schwelgen ließ, sagte ihm im Grunde schon genug. „Un' wie isses bei dir? Die Kleine, wie heißt sie? Roisin?“ Woher zum Teufel wusste sie-...? Einen Moment war Tulev tatsächlich perplex. Sprachlos. Entwaffnet. Dieser kurze, zerbrechliche Moment... war für Brìghde völlig ausreichend. Sie grinste triumphierend, nickte verständig und teilte die nächste Reihe Karten aus. Die Schottin wusste ihn doch immer wieder zu überraschen – eine Eigenschaft, die er ihr zunächst so gar nicht zugedacht hätte. Immerhin war sie nur eines dieser Mädchen, wie man sie verarmt und abgewrackt eigentlich genug in den Gassen und Straßen der größeren Städte fand. Und deren Verhalten glaubte der Pseudorusse bestens zu kennen. „Wir sollten das Thema wechseln.“ schlug er unwillig vor. „Ach, warum denn auf einma', huh? Ist doch grad' lustig!“ wandte Brìghde daraufhin geradezu hämisch grinsend ein. Der Offizier wollte gerade den Ton ein wenig verschärfen und sie zurecht weisen – was zweifellos ein hoffnungsloses Unterfangen geworden wäre –, als ein Geräusch außerhalb sie beide abrupt verstummen ließ. Bewegungen, Schritte, langsam und unrhythmisch. „Wir müssen hier weg...“ flüsterte Brìghde leise. Natürlich mussten sie das, aber es klang, als wäre die Quelle der Schritte bereits verdächtig nahe! Tulev machte erneut einen geistigen Rundgang durch die Garage, oder eher wohl, ein gehetztes Herumgerenne. Ihm fiel nur eine einzige Möglichkeit ein, sich jetzt zu verstecken. „Los, rein da!“ wies er sie hastig an und deutete auf den offenstehenden Spind. Er ignorierte die Widersprüche der Schottin, auch wenn ihr Argument bezüglich Luft- und Platzmangel durchaus berechtigt sein könnte. Der Schrank sah nicht aus, als sei er für das Verstecken von zwei erwachsenen Menschen ausgelegt worden, doch genau dafür würde er nun einmal wohl oder übel herhalten müssen. Die zierliche kleine Schottin konnte sich noch ohne große Mühe hinein drängeln, doch als Tulev sich ebenfalls dazu quetschte, wurde es mit einem mal sehr eng und sehr voll. „He!“ protestierte die Technikerin, doch es blieb keine Zeit, um sonderlich zimperlich zu sein oder auf Bequemlichkeiten zu achten. Tulev drückte und drängelte, bis er die Tür des Spinds schließen konnte. Dicht an dicht und ohne Möglichkeit, vom anderen zurück zu weichen, klebten sie regelrecht aneinander und versuchten, so wenig wie möglich zu atmen. Nicht nur des verräterischen Geräusches wegen – es roch muffig, alt, abgestanden. Zudem hielten sie beide den Kopf zur Seite. Wenn sie einander anschauen würden, wären sie sich auf geradezu verfänglicher Weise erschreckend nahe – nichts, worauf der Offizier oder die Schottin gesteigerten Wert legten. Stille kehrte in die Garage ein. „Verdammt, ich hab' die Karten vergessen!“ fluchte die Mechanikerin leise. Unter reichlich Mühe zog Tulev seine Hand hervor und drückte sie ihr auf den Mund. „Entweder, du bist von allein leise, oder ich sorge daf-“ wollte er ihr klar machen, doch da tat die Schottin kurzentschlossen genau das Selbe. Denn während der Offizier Wert darauf gelegt hatte, sie zur Vernunft zu bringen, hatte Brìghde gleichermaßen konzentriert auf die Geschehnisse außerhalb des Spinds gelauscht. Schritte in der Garage, ein Knipsen, die alte Neonröhre an der Decke flackerte auf und erhellte den Raum mit ihrem Licht und dem unterschwelligen Summen. Der Major hoffte inständig, dass sie sich nicht irgendwie verrieten, dass sie nur oberflächlich das Dorf absuchten, dass sie nicht eine konkrete Spur hatten, die sie hierher geführt hatte. War er verwundet worden? Konnten sie Blut wittern? Oder Schweiß? Hatten sie sie doch flüchten sehen? Ein Grunzen ließ all seine Gedankengänge erstarren. Jemand schlug gegen den Wagen, den Werkzeugkasten. Feinfühligkeit und subtiles Vorgehen schienen die Jäger also nicht für nötig zu halten. Auch gut. Jemand schlug gegen die erste Spindtür. Die Zweite. Gegen Ihre. Beide zuckten sie zusammen, aber sie hielten sich immer noch gegenseitig den Mund zu. Erst als der Offizier sich wieder ihrer zierlichen Finger auf seinem Mund bewusst wurde, nahm er den Geruch war. Maschinenöl, Metall, Treibstoff... er hasste dieses Gemisch, es ließ ihn immer würgen – auch jetzt. Er lauschte bemüht, seinen rebellierenden Magen im Griff zu behalten. Eine kurze Pause, dann wurde auch die vierte und die fünfte Tür abgeklopft. Schritte, die sich entfernten und die Erleichterung, die ihn überkam – ihn, aber nicht seine Innereien. Mühsam zog er ihre Hand von seinem Mund. „Mir ist schlecht...“ merkte er leise flüsternd an und versuchte möglichst kontrolliert Luft zu holen. Brìghde hatte indes ganz andere 'Sorgen'. Sie rutschte ein wenig umher – so sehr, wie der völlig beengte Raum es eben zuließ –, und drückte ihm dabei unabsichtlich das Knie zwischen die Beine. „Vorsicht, verdammt...!“ fuhr er sie leise an. Daraufhin kehrte eine Stille ein, die dem Offizier gleichermaßen vertraut wie unliebsam war. Er seufzte leise. Auch ohne ihr Gesicht sehen zu können, konnte er es sich fast vorstellen. „Das ist meine Waffe.“ merkte er an. „Klar, Chef.“ erwiderte Brìghde leise und staubtrocken, „Sitzt jetzt vorn, was?“ „Der Gürtel ist verrutscht.“ „Hm-hm.“ Es wurde wirklich Zeit, dass sie aus diesem verdammten Spind heraus kamen. Wer immer da war, war ohnehin bestimmt längst weg! Entsprechend öffnete er die Tür und schob sich als Erster wieder hinaus. Er ging leicht in die Knie, stützte sich darauf und sog begierig die Luft ein. Nur langsam beruhigte sich sein Magen wieder. Es war ihm fast unangenehm, als er Brìghdes Hand auf seiner Schulter bemerkte, wie sie ihm darauf klopfte, als hätte sie das alles mit einem leichtfertigen Lächeln überstanden. „Danke, geht schon.“ versuchte er sie abzuwimmeln und wunderte sich, dass sie tatsächlich von ihm abließ. Beide begaben sich zur Tür, die noch einen winzigen Spalt offen stand. Das Licht hatte man nicht wieder ausgeschaltet, weshalb ihnen erst jetzt klar wurde, in welchem Zustand sich die Garage tatsächlich befand. Das Cabrio indes zeigte eindeutige 'Gebrauchsspuren', was im Grunde bedeutete, dass Teile von etwas oder jemandem darin lagen, die bei der Visite im Dunkeln nicht aufgefallen waren. Überhaupt fanden sich an den Wänden, der Tür, dem Tor, überraschend viele Spuren von Kämpfen. Was war hier geschehen? „Wir müssen hier weg.“ konstatierte der Offizier knapp. Wie schon zuvor huschten sie aus der kleinen Tür und hofften, dass sie magere Dämmerung etwas rascher aufziehen und ihre Flucht bald decken würde. Doch jede weitere Minute war potenziell tödlich. Wenn das Licht plötzlich wieder aus wäre, würde sie das verraten – und wenn man ihre Schatten sah, ebenso. Der Plan war simpel. Das Panzerwrack stürmen, seine Waffensysteme nutzen und dort drinnen die Stellung halten, bis Verstärkung anrückte. Vielleicht kein sonderlich guter oder innovativer Plan, aber doch zumindest der Beste, den sie hatten. Sie hielten direkt auf das Wrack zu, waren keine zwanzig Meter mehr entfernt, als plötzlich eine gewaltige Explosion das unglaublich teure Stück Militärtechnik in Stücke riss und Teile von der Größe eines halbierten Autos durch die Luft schleuderte. Der Major reagierte geistesgegenwärtig genug, um einen Arm um Brìghdes Taille zu legen und sie mit sich zu Boden zu reißen, ehe herumfliegende Splitter sie treffen konnten. Danach brach schier die Hölle über das Dorf herein. Wieder strömten die Feinde aus allen Ecken herbei, aus Häusereingängen, die verschüttet schienen, aus Tunneln, die keine Aufklärung der Welt hätte entdecken können. Doch anders als zuvor, war die Flut an Angreifern diesmal völlig machtlos. Jeder Schuss saß präzise und riss eine Horde von Gegnern wie Puppen durch die Luft. „Major Tulev Rosenkow an Verstärkung, bitte melden!“ forderte der Offizier einer Ahnung folgend. Was er dann jedoch zu hören bekam... irritierte ihn mehr als irgendetwas, das er in seiner Karriere je erlebt hatte. „I-I-Ist B-Brìghde d-da? G-Geht es ihr g-gut?“ Was in Gottes Namen... „Illay? Was zum Teufel suchen sie hier?“ fuhr der Major den Zivilisten an. Zivilist – das warf noch ganz andere Fragen auf! Was zum Teufel suchte er in einem Panzer? Denn genau dieses Ungetüm, der Zweite dieser Sorte, kam gerade über den Hügel gerollt, geradezu gemächlich, und zersprengte im wahrsten Sinne des Wortes die Feindesmeute. „I-I-Ich h-h-helfe!“ erklärte der stammelnde Techniker. Rosenkow wollte gerade die nächsten Anschuldigungen laut werden lassen, als Brìghde ihm kurzerhand das Funkgerät aus der Hand riss. „Hey Chef, hat lang' gedauert! Wir sin' hier, sag Bescheid, wenn wir raus kommen können!“ teilte die Technikerin der ungewöhnlichen Verstärkung mit. Als letzte Offensive, um die Feinde völlig unschädlich zu machen, ging ein kleiner Raketenhagel auf die feindlichen Heerscharen nieder. Übrig blieben nur Krater, zersprengte Körperteile und eine wundervoll große, breite Schneise. „Der Zugang sollte nun gefahrlos erfolgen können. Die Evakuierungszone befindet sich siebzig Meter nordöstlich ihrer Position. Feindliches Anrücken registriert, Eile wird angeraten.“ tönte nun schon die zweite Stimme, die Tulev hier niemals zu hören vermutet hätte. Was ging hier eigentlich vor sich? Doch statt lange zu überlegen, setzte er sich in Bewegung. Geschenktem Gaul sollte man ja angeblich nicht ins Maul schauen. Sie erreichten gemeinsam den Panzer, dessen Luke vollautomatisch auffuhr und sie ins Innere ließ. Kaum wieder die Klappe geschlossen, setzte der Panzer sich gemächlich im Rückwärtsgang in Bewegung – die Geschütze weiterhin feuerbereit in Richtung des Dorfes. „Okay, also... was ist hier los?“ verlangte Tulev zu wissen und blickte Illay fordernd an. Der Techniker stammelte irgendetwas haltlos vor sich hin, doch selbst Brìghdes rügender Blick und ihr Kommentar, dass er ruhig ein wenig dankbarer sein könne, gaben ihm keine Ruhe. Es war Eva, die sich schließlich zu Wort meldete und seine Neugier stillte – auch, wenn ihm das letztlich nur noch mehr Kopfzerbrechen bescherte. „Illay hat ein Gerät gebaut, mit dem er die Signale des Störsenders von Brìghdes Fußfessel auffangen konnte. Er hat dadurch die Mission indirekt verfolgt. Als es unvorhergesehenen Zwischenfällen kam, bat er General Greedy um ein Rettungsmanöver, das mit der Begründung abgelehnt wurde, dass kein Notsignal gesendet wurde und man erst nach einem Tag entsprechend reagieren würde. Daraufhin entschied sich Illay, eine gekürzte lokale Kopie meiner Daten in den Speicher des Panzers zu laden. Ich stellte die Verbindung zum Hauptrechner her, übernahm die Systeme und wir... kamen sie retten.“ beendete Eva völlig nüchtern ihren Bericht. Für den Major jedoch war jedes Wort eine kleine Hölle. Es ging dabei nicht einmal so sehr um den verletzten militärischen Stolz – immerhin hatte hier eine verdammte Maschine den ganzen Panzer übernommen und ihn effektiver gesteuert, als es eine vierköpfige Crew konnte. Mehr noch: Sie würde man nicht so einfach 'töten' und den Panzer damit lahmlegen können. Nein, viel schlimmer waren die Verstöße dahinter. Eva war bewusst von der Militärtechnik fern gehalten worden. General Greedy hatte zügig erkannt, dass Eva und Illay sehr vertraut miteinander umgingen und er wollte beiden nicht mehr Kontrolle als nötig zugestehen. Außerdem... befand sich ein Zivilist in einem Militärgerät und hatte es ohne ausdrücklichen Befehl praktisch entführt. Ihm wurde schon ganz schwummrig von dem Gedanken. „Hey Meister, ich bedank' mich später ordentlich...“ flüsterte Brìghde Illay zu, der kurz darauf puterrot anlief. Während die Schottin breit zu grinsen begann, verdrehte der Pseudorusse nur die Augen und begann sich über die Rückkehr in die Kolonie fast mehr Sorgen zu machen, als er sie zuvor in der Garage im Bezug auf ihr eigenes Überleben gehabt hatte. „Wisst ihr, was das für ein Papierkram wird...?“ warf er den Beiden – nun, eigentlich den Dreien – vor. Brìghde jedoch zuckte lediglich mit den Schultern, grinste zufrieden vor sich hin und machte es sich bequem, natürlich mit den Stiefeln auf den Sitzen gegenüber und dem verdammten, muffigen Karten in der Hand. „Das is' ja nich' unser Problem.“ merkte sie amüsiert an. Irgendwann, da war sich der Offizier sicher, würde ihn diese Frau noch zur Weißglut treiben... irgendwann...! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)