My angel & my demon von Rosenmaedchen (It is what it is. [♥]) ================================================================================ Prolog: Long desired end ------------------------ Lang ersehntes Ende Der Himmel, der bis gerade eben noch strahlendblau gewesen war, färbte sich plötzlich in rot-schwarzen Tönen und eine dicke, schwarze Wolkenwand schob sich vor die goldgelbe Sonne. Sie wusste, was passierte, dachte aber, dass es bis zu diesem Zeitpunkt noch dauern würde. „Sie kommen. Früher als gedacht.“ Er stand auf und trat ein paar Schritte nach vorne, um besser sehen zu können. Auch das Mädchen versuchte etwas sehen zu können, doch durch ihre immer noch menschliche Sehkraft konnte sie nichts erkennen. Er drehte sich zu ihr um. „Du musst dich entscheiden, auf welcher Seite du kämpfst.“ Sie nickte, war sich aber immer noch nicht sicher, was sie nun machen soll. Sie wusste, dass das Ende des Krieges von ihr abhing und vor allem, welche Seite gewinnen würde. „Wir sollten uns mit Waffen ausrüsten und dann anfangen zu kämpfen.“ Sie folgte ihm den Hügel hinunter und sie holten sich in seiner Wohnung Waffen. Sie bekam ein Kurzschwert, getränkt mit Lichtenergie, was effektiv gegen ihre Gegner sein würde, und er holte sich sein selbst geschmiedetes Schwert. Draußen auf den Straßen wurde es schon langsam laut und als das Mädchen aus dem Fenster sah, wusste sie auch wieso. Sie waren schon in den vorderen Stadtteil vorgedrungen und übten unter den Leuten eine Massenhysterie aus. „Los, lass uns in den Kampf. Ich will so viele wie möglich morden!“, meinte er und sie folgte ihm mit schnellen Schritten nach draußen. In den paar Sekunden hatte sich die Lage noch weiter verschlechtert. Ein Feuer war einige Häuser weiter ausgebrochen und sie sah auch schon die ersten Gegner. Einige kannte sie vom sehen und auch Kira sah sie dort laufen, und morden. Das Mädchen schüttelte kurz ihren Kopf und bog in eine Gasse ab. Diese war dunkel und sie konnte fast nichts sehen, außer dem plötzlichen Aufblitzen einer Schwertklinge. Sie zückte ihr Kurzschwert, doch sie war zu langsam, denn kurze Zeit später wurde sie an eine Hauswand gedrückt und spürte eine Klinge an ihrem Hals. Ein erschrockenes Keuchen entfuhr ihr. Dann sah sie ihren Gegenüber an und ihr Herz blieb fast stehen. Es gab keinen Zweifel: Er roch so, er sah so aus und seine Hand, die sie festhielt, fühlte sich auch so an. Er war es, ihre große Liebe und gleichzeitig der, der sie am meisten verletzt hatte. Kapitel 1: Guardian Angel I --------------------------- Schutzengel I Die Schulklingel ertönte. Die meisten sprangen sofort auf, packten ihre Sachen und gingen fröhlich in die Pause. Andere ließen sich etwas mehr Zeit und quatschten mit ihren Freunden. Jedoch tat ein braunhaariges Mädchen nichts dergleichen. Sie blieb sitzen, in Gedanken versunken und mit einem Schimmer von Angst und leichter Verzweiflung in ihren Augen. Denn für sie war die Pause nie etwas Erholendes, sondern ein einziges Versteckspiel. Ihr Name war Samantha. Einige ihrer Mitschüler bezeichneten sie einfach auch nur als 'die Einzelgängerin', denn das war sie schon ihr ganzes Leben lang. Ihr bisher einzig nennenswerter Freund war ein Plüschhase, den sie in ihren Kindertagen besaß. Ihre Eltern sind gestorben, als sie sechs war. Der Grund wird ihr bis heute verschwiegen. Es wurde so getan, als hätten sie nie existiert. Als das Jugendamt bemerkte, dass sie keine weiteren Verwandten mehr hatte, steckten sie Samantha ins Heim. Jedoch hat sie, seitdem sie sechzehn, und damit nicht volljährig, ist ihre eigene Wohnung. Das Heim, wo sie war, hatte massiven Platzmangel und deshalb wurden die Jugendlichen ab sechzehn Jahren in Einzelwohnungen in L.A. abgeschoben. Die Betreuer bezeichneten diese Weise auch liebevoll 'betreutes Wohnen'. Das sollte vielleicht darauf hinweisen, dass jeden Samstag Mrs. Bane vorbeikommt und sich nach Samantha erkundete. Doch diese wurde wiederrum von der Braunhaarigen auf Distanz gehalten. Samantha war sehr verschlossen und ließ normal niemanden wirklich an sich ran. Außer die Tiere, zu denen fasste sie vertrauen, und diese auch zu ihr. Seit ein paar Wochen ist ihr auch eine streunende Katze zugelaufen, die sie Suey getauft hatte und fortan bei ihr ein neues Zuhause gefunden hatte. „Mrs. Cameron, es hat soeben zur Pause geläutet. Wenn Sie dann bitte ebenfalls den Raum verlassen würden.“ Samantha musste ein tiefes Seufzen unterdrücken, stand dann unfreiwillig auf, schnappte sich ihre Tasche und verließ langsam vor ihrem Chemielehrer den Raum, der sichtlich genervt war. Als er die Tür schloss und davon schritt, suchten ihre Augen sofort panisch den langen Gang ab. Doch niemand war zu sehen. Sofort entspannten sich ihre Gesichtszüge etwas und sie ging, fast schon erleichtert, den Gang entlang zu den Schließfächern, um sich die Bücher für die letzten beiden Stunden, Deutsch und Englisch, zu holen. Doch es sollte nicht Samanthas Glückstag werden. Nachdem sie ihre restlichen Bücher verstaut und sich die neuen herausgenommen hatte, um sie in den Rucksack zu packen, schlug jemand neben ihr die schwere Blechtür mit einem lauten Scheppern zu. Sie zuckte vor Schreck zusammen. Man bemerkte auch sofort, dass sie Angst hatte und genau wusste, wer es war. „Na, Cameron, immer noch hier?“, konnte man die piepsige und vor Spott triefende Stimme ihrer Anführerin vernehmen. Sie hieß Yessica Alburgh und sie war nur glücklich, wenn sie Samantha jeden Tag fertig machen konnte. Außerdem war sie überall als Schulzicke bekannt und hatte, trotzdessen, eine erstaunliche Anzahl an Untertanen für sich gewonnen. Ihrer Meinung nach, war sie die größte und wollte wie eine Prinzessin behandelt werden. Samantha antwortete auf ihre eingebildete Frage nicht und das ärgerte Yessica sichtlich. Ihr, mit Schminke zugekleistertes, Gesicht wurde zu einer Maske aus Wut. Die Braunhaarige wollte sich gerade ihre Tasche schnappen und abhauen, bis eine der Zicken ihr die Tasche unsanft entriss und Yessica Samanthas Kopf mit voller Wucht an die Schließfächer schlug. Dann zog sie Samantha noch kräftig an den Haaren, sodass diese höllische Schmerzen bekam und ihr heimlich Tränen in die Augen schossen, die sie trotzdem zu unterdrücken versuchte. Denn dieses Zeichen von Schwäche und Entblößung wollte sie sich nicht anmerken lassen. Samantha versuchte leicht ihren Kopf zu heben, gab es jedoch ganz schnell auf, da sich dadurch die Schmerzen nur verschlimmerten. Die Alburgh Zicke ließ ihre Haare los, nahm unsanft ihren Arm und zerrte sie hinter sich her. Dabei wurden sie von ihren Bewunderinnen flankiert, wobei eine Samanthas Tasche mitnahm. Sie schleifte sie in Richtung der Mädchenklos, wie Samantha kurze Zeit später bewusst wurde. Jemand öffnete die Tür und Yessica zog sie zu einer offenen Toilettenkabine, wo sie unsanft davor auf den Boden geschuppt wurde. Samantha blieb jedoch hocken anstatt aufzustehen, sie wollte kein Risiko eingehen, dass sie sahen, wie dreckig es ihr ging. „Pass gut auf, Cameron“, fing Yessica zu reden an, wieder mit einem spöttischen und arroganten Unterton, „dass ich dich nicht leiden kann ist ein offenes Geheimnis und ich habe dich schon oft gefragt, was du eigentlich hier willst. Dich will hier sowieso keiner und du schadest dem guten Ruf unserer Schule. Ich hab es dir ein paar Mal im Guten gesagt, dass du dich verpissen sollst und dir einige Lehren beigebracht. Aber du willst es einfach nicht kapieren, und wer nicht hören will muss bekanntlich fühlen. Ich hoffe du lernst endlich daraus, sonst mach ich dir das Leben noch mehr zur Hölle.“ Nach ihrer langen, und für sie königlichen Rede, drehte sie Samantha den Rücken zu, herum zu ihrem königlichen Gefolge. Sie grinste teuflisch böse dabei. Keine fünf Sekunden später wurde Samantha wieder gepackt und unsanft in eine der Toilettenkabinen gezerrt. Als Samantha es wie Schuppen von den Augen fiel, was sie vorhatten, war es bereits zu spät. Sie nutzten ihre größte Schwäche aus, um sie loszuwerden. Die beiden Mädchen verließen schnell wieder die Kabine, als die Braunhaarige darin war, und drückten sich gegen sie. Solange fuchtelte ein drittes Mädchen mit einem Schraubenzieher herum, bis die Türklinke in ihrer Hand lag. Lachend ging Yessica und ihr Gefolge davon und ließen Samantha allein. In Panik warf sie sich gegen die Tür, in der Hoffnung sie würde aufspringen, aber nichts tat sich. Auch rütteln und dagegen treten brachte nichts, die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Samantha ließ sich an der Tür runter rutschen und vergrub die Hände in den Haaren. Ihr Atem beschleunigte sich um das Doppelte. Sie war total verzweifelt und wusste nicht, wie sie da rauskommen sollte und durch ihre Klaustrophobie konnte sie nicht mehr klar denken. Sie wusste, dass sie versuchen musste, da rauszukommen, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, an dem sie schon verdammt nah dran war. Die Braunhaarige stand plötzlich auf und begann wieder wie verrückt gegen die Tür zu treten und zu schlagen, bis ihr sämtliche Körperteile wehtaten. Doch die Tür bewegte sich immer noch keinen Millimeter. „Ich will hier raus…“, flüsterte sie leise und brach auf die Knie zusammen. Einige Tränen entwichen ihr, die nicht wieder enden wollten. Sie fing an stark zu zittern. Als sie ihren Blick etwas hob dachte sie, die Wände würden näher kommen und sie jeden Moment zerquetschen wollen. Das beruhigte sie überhaupt nicht, im Gegenteil. Sie fing an regelrecht um Atem zu ringen. Nicht mehr lange und die Ohnmacht würde über sie herfallen. Plötzlich tat es einen riesigen Schlag. Erst einige Sekunden später wurde ihr klar, dass dieser laute Knall nur ihrer Fantasie entsprang. Es hatte lediglich jemand die Toilette betreten und die Tür ist ins Schloss gefallen. Man hörte Absätze auf den Fliesen klacken. Für Samantha war jedes dieser Schritte wie ein lauter Donnerschlag. Sie musste irgendein Geräusch von sich gegeben habe, denn die Person hatte sie bemerkt. „Hallo?“, ertönte ihre Stimme, die sich glockenklar und sanft anhörte. Sie klang so schön, dass Samantha kurz wie betäubt war. Sie versuchte zu antworten, nur das gelang ihr nicht. Aus ihrer Kehle wollte kein Laut kommen. „Ist hier jemand?“, fragte dieses Mädchen wieder und schritt im Raum umher. Schließlich wurde sie aufmerksam auf die Tür ohne Klinke und blieb davor stehen. Nun konnte sie auch Samantha leicht wimmern hören. Sie rüttelte an der Tür. „Haben sie dich eingesperrt?“ Samantha nickte, bis ihr einfiel, dass sie es nicht sehen konnte. Dann versuchte sie es wieder und bekam ein knappes „…Ja…“ heraus. „Warte, ich hol dich daraus.“ Die Braunhaarige war verwirrt. Wie wollte sie das anstellen? Hatte sie immer eine Ersatztürklinke zur Sicherheit für solche Fälle dabei? Jedoch wartete sie ab - was blieb ihr groß anderes übrig? Komischerweise hat sie sich etwas beruhigt, seitdem dieses Mädchen hier war. Für einen Moment tat sich nichts. Es war komplett still. Samantha bekam dadurch etwas Angst, dass sie einfach gegangen ist. Bis sich, ohne ersichtlichen Grund, plötzlich die Scharniere der Tür lösten und dieselbe beiseite geräumt wurde. Wo sich vor wenigen Augenblicken noch die besagte böse Tür befunden hatte stand jetzt ein Mädchen, was Samanthas Parallelklasse seit dem zweiten Schulhalbjahr besuchte. Sie war zierlich und klein, hatte langes blondes Haar und war komplett schwarz gekleidet. Ihre Haare stachen sich richtig von dem schwarz ab, aber die Braunhaarige faszinierte das ganze total. Dem Mädchen ihre haselnussbraunen Augen sendeten Besorgnis und Wärme aus. Sie war ihr also friedlich gestimmt, da war sich Samantha hundertprozentig sicher. „Geht’s dir gut soweit?“ Samantha sprang regelrecht auf und flüchtete, an ihr vorbei, aus der offenen Kabine, damit ihr das bloß nicht noch mal passieren konnte. Dann stützte sie sich an einer gefliesten Wand ab, holte tief Luft und nickte auf ihre Frage leicht. „Diese kleine Ratte Yessica bildet sich immer ein, sie wäre sonst wie toll!“, stieß sie sauer hervor und Wut spiegelte sich in ihren Gesichtszügen wieder. In Gedanken stimmte Samantha ihr klangheimlich zu, wagte es aber nicht, sich laut dazu zu äußern. Nachdem sie ihren Atem normalisiert hatte und sich wieder etwas beruhigt hatte, stellte Samantha die erste Frage, die ihr einfiel. „Woher wusstest du, dass mich Yessica hier reingeschleppt und eingesperrt hat?“ Neugierig schaute die Braunhaarige sie an. Es war ja nicht normal, dass sie so genau wusste, dass es die Schulzicke war und gefragt hat, ob jemand hier sei. Als sie die Tür wieder einhing schien sie sich eine Antwort zu überlegen. „Naja, ich war sozusagen Zeuge. Ich beobachte sie schon etwas länger und finde ihre Machenschaften mies. Vor allem da es immer gegen dich geht.“ „Ja, sie hatten es, wie immer, auf mich abgesehen. Danke.“ Sie lächelte. „Ach, kein Ding.“ Dann hielt sie Samantha ihre Hand hin. „Ich bin Lilith.“ Die Braunhaarige ergriff auch ihre Hand, ohne zu zögern. „Samantha.“ Lilith lächelte noch, als sie die Hand ihrer Gegenüber los ließ und zu einem der Waschbecken ging. Jetzt fiel Samantha auch erst auf, dass im gesamten Waschbecken und darum ihre Sachen verstreut lagen. Die Blondine hatte schon angefangen diese einzusammeln und sie half ihr kurzerhand. Dabei mied sie jeglichen Blickkontakt mit dem Spiegel, da sie fand, dass sie nach so einer Panikattacke immer fürchterlich aussah. Nach dem einsammeln von Samanthas Tascheninhalt bemerkte die Blondine, dass Samantha immer noch etwas bleich war und den Blick in den Spiegel mied. Ihr schien es noch etwas schlecht zu gehen. Sie kramte deswegen ein unbenutztes Taschentuch aus ihrer Jackentasche, machte es mit etwas Wasser feucht und reichte es ihr. „Wisch dir mal übers Gesicht. Glaub mir, danach geht’s dir besser.“ Sie nickte und tat, was sie gesagt hatte und Lilith hatte vollkommen Recht, mit dem was sie sagte. Samantha fühlte sich ein ganzes Stück besser, was leicht verwunderlich war. Aber sie dachte nicht weiter darüber nach. „Die nächste Stunde hat übrigens schon längst angefangen“, teilte Lilith der Braunhaarigen mit, als sie auf ihre silberne Armbanduhr schaute. Die Braunhaarige nickte knapp. „Ich bin sowieso nicht scharf drauf, dahin zu gehen“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Samantha hatte jetzt normalerweise Deutsch, ihr absolutes Hassfach, was zuletzt an ihrem Lehrer lag. Der konnte sie kein Stück leiden, weil sie ein Heimkind ist, und hatte sie total auf dem Kicker. Deswegen war dieses Fach auch ihr absolutes Hassfach, obwohl sie in Sprachen sehr begabt war. Aus einem Grund, der Samantha bislang unbekannt war, grinste Lilith sie darauf an. „Gut, dann geh ich jetzt auch nicht mehr zu Physik. Ich kann’s sowieso nicht.“ Sie richtete kurz ihre Haare und schmiss das nasse Taschentuch in den Mülleimer. „Ich wäre ja dafür, dass wir uns nun eine Freistunde genehmigen. Die fünfundzwanzig Minuten bringen es auch nicht mehr.“ Samantha stimmte ihr zu, nahm sich ihre Tasche und gemeinsam mit der Blondine verließ sie das Mädchenklo. „Hast du das gesehen?“ Fragend schaute sie ihn an. Er nickte und ein leises Knurren entfuhr ihm. „Diesmal nicht, Prinzessin. Diesmal gewinnen wir. Ein Vorteil für uns, wenn sie allein hier ist ohne ihn. Vielleicht kommen wir gegen sie an.“ Ungläubig schaute sie ihn an. „Du…du willst sie angreifen? Das ist nicht unsere Aufgabe!“ „Sch!“, zischte er sogleich, als sie lauter wurde. „Es wäre doch gut, wenn sie aus dem Weg geräumt wäre. Dann kannst du dich freundschaftlich dem Mädchen nähern. Solange sie sie unter ihrer Fittiche hat ist das unmöglich.“ „Lass uns erstmal einen anderen Weg überlegen, bitte.“ Sie schaute ihn hoffnungsvoll an. Er seufzte. „Wie du willst. Erst deine Methode und dann meine. Und ich freu mich schon drauf die Prinzessin am Boden zu sehen.“ Er grinste hämisch. Sie schaute ihn nur etwas distanziert an, sagte aber nichts. To be continued. Kapitel 2: Guardian Angel II ---------------------------- Schutzengel II Samantha und Lilith saßen noch in der Cafeteria als es zum Stundenende läutete. Die Blondine seufzte. „Schade, ist das auch schon wieder vorbei. Und jetzt diese dumme Sozialkunde. Kann ich ja noch weniger als Physik.“ Samantha lächelte darauf leicht. Plötzlich ertönte das Geräusch, das ankündigte, dass jeden Moment eine Durchsage gemacht wurde. Gespannt lauschten die beiden den folgenden Worten der Sekretärin: Heute fällt bei den Schülern der zehnten Klassen die letzte Unterrichtsstunde aus. Ich wiederhole, heute fällt bei den Schülern der zehnten Klasse die letzte Unterrichtsstunde aus. Danke. Lilith quietschte erstmal vor Glück. „Ich entkomme diesem dummen Fach doch!“, rief sie und sprang dabei auf. Samantha jedoch hatte sich schon auf die letzte Stunde gefreut, auf Englisch, ihr Lieblingsfach. Deswegen war ihr Blick etwas enttäuscht, als die Durchsage kam. Jedoch wurde sie gleich wieder abgelenkt, da Lilith wieder anfing, mit ihr zu plaudern und Samantha konnte nicht leugnen, dass sie sich in ihrer Nähe wohl fühlte. Erst hatte allein ihre Anwesenheit sie während ihrer Panikattacke beruhigt, dann befreite die Blondine sie aus der Kabine aus unerklärlichem Grund und dann war da noch dieses magische Taschentuch, das all ihre Ängste und Sorgen weggewischt hat. Eigentlich war das ganze schon etwas merkwürdig, aber Samantha wollte über absurde Sachen jetzt nicht nachdenken. Eher musste sie sich darauf konzentrieren, was Lilith sie gerade gefragt hatte. „Entschuldigung, ich war gerade in Gedanken. Was hast du gefragt?“ Leicht entschuldigend schaute sie zu der Blonden hinüber. „Schon okay, sowas passiert mir auch häufig“, fing sie erstmal lächelnd an, „ich hab dich gefragt, wie du nach Hause kommst. Ist ja soweit ich weiß eine ganz schöne Ecke.“ Die Braunhaarige war zwar etwas verwundert, woher sie wusste, wo genau sie wohnt, hatte aber nicht genug Mut, sie zu fragen. Deswegen antwortete sie lieber auf deren Frage. „Normal nehme ich die Straßenbahn und das letzte Stück laufe ich. Wieso willst du das wissen?“ Lilith stand von ihrem Stuhl auf und während sie sich ihre Jacke anzog antwortete sie ihr: „Naja, wir müssen zufälligerweise in die gleiche Richtung. Wenn du nichts dagegen hast würde ich dich mitnehmen und zu Hause absetzen. Da musst du nicht ewig Straßenbahn fahren.“ Samantha stand nun ebenfalls auf und zog sich ihre Jacke an, jedoch warf sie sich nicht ihre Haare nach hinten, so wie es Lilith tat. „Du wirst wohl abgeholt?“, fragte die Braunhaarige und nahm sich ihren Rucksack. „Ja, mein bester Freund holt mich immer ab. Er ist Techniker in einem größeren Autokonzern und die Schule liegt auf dem Weg nach Hause. Ich werd ihn nur kurz anrufen brauchen und dann wird er bald da sein.“ Die Blondine nahm sich ebenfalls ihren Rucksack und holte ihr Handy raus. Während sie ihren Freund anrief gingen die beiden nebeneinander raus. Draußen auf dem Schülerparkplatz war schon eine Menge los. Einige Parkplätze waren schon leer, die einzelnen Autos fuhren wild durch die Gegend. Die beiden mussten ganz schön aufpassen nicht überfahren zu werden, obwohl Lilith das weniger interessierte. Sie telefonierte munter weiter, diesmal mit einer Freundin, und achtete überhaupt nicht auf ihren Weg, sondern lief mitten über den Parkplatz. Samantha folgte ihr zögerlich und leicht ängstlich. Doch die beiden blieben unversehrt, wie von einem Schutzschild umgeben. Schließlich blieb die Blondine stehen und steckte ihr Handy ein. Sie hatten den Parkplatz und das Schulgelände hinter sich gelassen und standen nun an der ovalen Straßenschleife vor ihrer Schule, wo die Bushaltestelle war. Die beiden jungen Frauen unterhielten sich noch einige Minuten lang, bis ein schwarzer Jaguar die Seitenstraße hochfuhr. Er war niegel- nagelneu, schwarz wie die Nacht selber und besaß genauso schwarz getönte Scheiben. Mit einer geschmeidigen Bewegung und einem leisen Surren hielt er vor den beiden Frauen. Der Wagen sah aus, wie von der Mafia. Lilith verdrehte die Augen. „Er ist so ein alter Angeber. Am besten du ignorierst ihn, wenn er wieder protzt mit dem Karren.“ Samantha nickte kurz worauf Lilith sie leicht anpuffte. „Bloß nicht so schüchtern. Er beisst nicht, genauso wenig wie ich. Also keine falsche Bescheidenheit zeigen.“ Dann lächelte sie der Braunhaarigen zu. Diese erwiderte das Lächeln leicht. Der Motor des Jaguars wurde abgestellt und der Fahrer stieg kurzerhand aus. Er war ziemlich groß und trug eine rabenschwarze Sonnenbrille. Seine Haare waren ebenfalls schwarz, sowie der Rest seiner Kleidung. Das dunkle Haar und die dunklen Klamotten stachen ziemlich von seiner hellen Haut ab. Als er die Sonnenbrille abnahm wanderten seine grauen Augen zu Samantha, die augenblicklich seinem Blick auswich und den Boden sehr interessant fand. Darüber musste sowohl Lilith, als auch ihr Kumpel grinsen. „Das ist wohl Samantha, die wir unterwegs abladen?“, fragte er, an Lilith gewandt. Seine Stimme klang leicht rau, wie Sandpapier, und war ziemlich tief, beinahe besänftigend, so wie Wasser, das über glatte Steine floss. Außerdem hörte man sofort einen leichten britischen Akzent heraus, der vermuten ließ, dass er dort herkam. „Ja. Das ist Samantha. Und das ist Duncan, ein sehr guter Freund“, machte die Blondine die beiden bekannt. Samantha sagte kurz und knapp „Hallo“ bevor Lilith sie auf die Rückbank des schwarzen Wagens scheuchte. „Halteverbot“, wisperte sie und lachte kurz darauf als ein anderes Auto vom Parkplatz fuhr und vorbei wollte. „Komm schon, Duncan! Du stehst im Halteverbot. Die Autos wollen durch“, rief sie ihm lachend zu und stieg auf den Beifahrersitz. Der Schwarzhaarige stieg ebenfalls ein. Als er den Motor, mit einem leisen Schnurren, anließ fiel Samantha ein sternförmiges, schwarzes Tattoo auf der Innenseite seines Handgelenkes auf. Das komische daran war nur, dass eine Ecke des Sternes fehlte. Doch darüber wollte die Braunhaarige jetzt nicht nachgrübeln. Duncans Fahrstil war sehr geschmeidig und sanft. Samantha kam sich vor, als würde sie fliegen, nur eben ohne Flügel. Zu ihrem Bedauern war das Radio aus. Aus diesem Grund war im Moment totale Stille im Wagen. „Und wo muss ich jetzt genau hinfahren?“, fragte Duncan in die Stille hinein und wechselte den Gang. Mittlerweile fuhren sie mitten durch die Stadt. Durch sein eng geschnittenes T-Shirt konnte Samantha einige Muskeln erkennen, die bewiesen, dass er sehr viel Sport treiben musste. Lilith wendete ihren Blick vom Fenster ab, als sie antwortete: „Du fährst erstmal weiter. Bis ungefähr dieses kleine Waldstück anfängt, wo dieses Banner von Siemens ist. Da biegst du dann rechts ab, in die Seitenstraße namens 'Sandfield Street' und hältst vor dem sechsten Haus an, was in gelben Pastelltönen gestrichen ist.“ Duncan nickte und Samantha stand die totale Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Sie hatte Lilith nichts dergleichen gesagt. Langsam wurde ihr das ganze etwas unheimlich. Die Blondine auf dem Beifahrersitz schien das zu bemerken. „Du fragst dich sicher, woher ich so genau weiß, wo du wohnst, oder?“ Sie drehte sich leicht um, um Samantha anzuschauen. Auch bemerkte sie, dass Duncan sie im Rückspiegel ab und zu anschaute, jedoch nur ganz kurz, als wollte er etwas überprüfen. Als sie nickte, fuhr Lilith fort: „Ich hab dich letztens gesehen, als ich vorbei gelaufen bin und hab mir eben diese ganzen Kleinigkeiten gemerkt.“ Dann drehte sie sich wieder nach vorne um und wechselten einen kurzen, schnellen Blick mit Duncan. So schnell, dass Samantha es gar nicht mitbekam. Nach etwa einer Viertelstunde hielt Duncan vor dem pastellgelben Haus an, so geschmeidig, dass Samantha es anfangs gar nicht bemerkte. Lilith drehte sich leicht zu ihr um. „Wir wären dann da.“ Duncan ließ sich in seinen Sitz zurücksinken und schloss die Augen. „Danke fürs Heim fahren“, sagte die Braunhaarige, löste ihren Gurt aus der Verankerung und öffnete die Tür. „Kein Ding und immer wieder gern. Wir sehen uns dann in der Schule wieder.“ Lilith lächelte ihr noch nett zu und Duncan gab ihr ein kurzes „Wiedersehen“ zurück. Samantha stieg dann aus, nahm ihren Rucksack und schlug die Tür zu. Dann ging sie den Weg zu ihrer Mietswohnung hoch und war kurze Zeit später hinter der dunkelbraunen, massiven Holztür verschwunden. „Und?“, fragte die Blondine ihren Freund und schaute ihn abwartend an. Dieser hatte immer noch die Augen geschlossen. Langsam wurde Lilith ungeduldig. „Duncan, sag schon: Was spürst du?“ „Sie ist bei ihr.“ Er öffnete die Augen. „Samantha ist das Mädchen.“ Seine Augen wanderten zu ihr. „Du hast sie sofort gefunden und total ins Schwarze getroffen. Jetzt müssen wir nur noch darauf warten, dass sie sie aufklärt.“ Die Blonde nickte. „Lass uns jetzt fahren. Langsam wird’s auffällig und ich will noch Daddy anrufen.“ „Wie du willst, Prinzessin.“ Nach einigen Minuten hörte sie, wie das Auto davonfuhr. Die beiden hatten ziemlich lange gebraucht, ehe sie weitergefahren waren. Aber was heißt das schon, vielleicht haben sie sich noch unterhalten. Samantha schloss die Tür von innen zu. So fühlte sie sich sicherer und vor der Welt geschützt, was sie in der Schule nicht von allein schaffte. Langsam ging sie von der Tür weg und zog sich ihre Jacke aus. Die ganze Begegnung mit der blonden Lilith und ihrem schwarzhaarigen Kumpel Duncan hatte sie ziemlich verwirrt. Bis jetzt wurde sie immer gemieden, von jedem. Doch die beiden haben ihr das Gefühl gegeben Willkommen zu sein und ein Stück Geborgenheit bei ihnen zu finden. Sie stellte ihre Tasche ab und ging ins Wohnzimmer. Dort ließ sie sich auf dem Sofa nieder und winkelte die Beine an. Sie ließ den Tag Revue passieren. Ein Tag, wie fast jeder anderer. Ein Tag, in dem Yessica und ihre Anhängsel sie mal wieder total auf dem Kicker hatten. Ein Tag, der für sie angefangen hat wie immer; wie die Hölle auf Erden. Obwohl da die Hölle sicherlich angenehmer wäre, dachte sie. Sie merkte gar nicht, wie ihr schon wieder ein paar Tränen kamen, wie jeden Tag. Immer, wenn sie allein zu Hause war und ihre Ruhe hatte, brachen ihre Gefühle frei heraus, jeden Tag aufs Neue. Sie war einsam und die Zustände in der Schule machten sie seelisch fertig, droschen auf sie ein wie ein Stahlhammer auf dünnes Glas. Sie schluchzte laut und hielt sich die Hände vors Gesicht. Alles machte sie einfach fertig. Es war heute das erste Mal, dass jemand zu ihr gestanden hatte und dabei wusste sie nicht einmal, ob sie Lilith wirklich vertrauen konnte oder ob diese dann auch gegen sie handeln würde. Natürlich hatte die Blondine ihr geholfen und sich um sie gesorgt. Nur wer sagt, dass das alles echt war und nicht einfach nur gespielt? Sie nahm die Hände vom Gesicht, als sie etwas Weiches um ihre Beine streichen merkte. Kurz darauf miaute es und Samantha beugte sich hinunter um die rabenschwarze Katze hochzunehmen. Sie setzte sie in ihrer Bauchbeuge ab und streichelte sie sanft. „Ach Suey, was würde ich machen, wenn ich dich nicht hätte…“ Gedankenverloren streichelte sie das weiche Fell ihrer Katze. Diese miaute und kuschelte sich dann an sie. Samantha hatte wirklich öfters überlegt ihrem einsamen und traurigen Leben ein Ende zu setzen, indem sie suizid begehen würde. Der einzige Grund, der sie davon bisher abgehalten hat, war ihre Katze Suey. Sie liebte sie einfach über alles und das Tier war immer da, wenn es ihr schlecht ging. Sie würde es nicht übers Herz bringen sie in ein Tierheim zu geben, wo sie dort leben müsste oder noch schlimmer, zu einer Familie zu kommen, die sie schlecht behandeln. Langsam bemerkte Samantha, wie sie ruhiger wurde und die Tränen versiegten. Suey hatte sie bis jetzt jeden Tag perfekt getröstet und dafür war sie ihr sehr dankbar. Die Braunhaarige nahm sie hoch und drückte sie an sich. Sie nahm ihr schnurren war und könnte ihren regelmäßigen Herzschlag hören. Dann setzte sie die Katze neben sich ab und legte sich mit dem Bauch aufs Sofa, sodass sie zu Suey schaute. Diese legte sich ebenfalls hin und wartete darauf, dass Samantha ihr, wie jeden Tag, von ihren alltäglichen Problemen erzählte. Es brach einer der letzten Apriltage an. Der Frühling kam sehr spät dieses Jahr. Über Nacht war der letzte Rest Schnee vom Boden und den Pflanzen verschwunden. Man konnte im leichten Sonnenschein die Knospen an den Bäumen und Büschen erkennen. Einige Frühblüher waren von einem Taunetz überzogen und glitzerten leicht in der aufgehenden Sonne. Samantha war auf den Weg zur Schule. Nachdem sie sich am Vortag ihre Probleme von der Seele geredet hatte, auch wenn es nur bei einer Katze war, ging es ihr wieder besser. Sie wollte zwar nicht in die Schule, zwang sich aber dazu. Sie konnte sich nicht verstecken, das wäre ein Zeichen von Schwäche und niemand sollte wissen, wie schwach sie eigentlich war. In Gedanken versunken kam sie an einer Straßenkreuzung an. Sie schaute nach links und nach rechts, jedoch ohne irgendwas zu realisieren, und ging einfach drüber. Ein Auto fuhr um die Ecke und hupte laut. Erst dann realisierte Samantha was jeden Moment geschehen würde, war aber zu geschockt um zu handeln und schloss die Augen. Werde ich also doch sterben. Lebe wohl, Welt. Doch soweit kam es nicht. Plötzlich wurde alles um Samantha herum ganz hell und stach in ihre Augen, sodass sie diese schließen musste. Im nächsten Augenblick spürte sie etwas warmes, kräftiges an ihrer Hüfte. Dann verschwand das grelle Licht plötzlich. „Bist du okay?“, fragte eine angenehme, klare Männerstimme sie. Samantha wusste nicht, ob sie antworten sollte und blieb deswegen stumm. „Du kannst die Augen ruhig wieder öffnen. Alles ist gut.“ Die Braunhaarige öffnete zaghaft ihre Augen und tatsächlich: sie lebte. Sie stand auf dem Bürgersteig und lebte, atmete genauso wie vorher auch. Es war unmöglich zu begreifen für sie, wie das möglich war. Sie hat dem Tod ins Auge geblickt, und ist ihm doch haarknapp entkommen. „Alles okay?“, fragte die Stimme wieder und Samantha schaute dorthin, wo sie herkam. Vor ihr stand ein großer, junger Mann mit, in der Sonne leuchtenden, hellblonden Haaren. Seine Haut hatte eine leichte Bräune und seine meerblauen Augen schauten sie besorgt an. Um seinen Hals lag eine goldene, dünne Kette, die zu ihm passte. Samantha nickte kurz. „Danke.“ „Nichts zu danken. Ich hätte dich ja schlecht sterben lassen können.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin übrigens Shannon.“ „Samantha.“ „Ich glaube, wir gehen auf die gleiche Schule, oder?“ Er gab ihr ihre Tasche, die sie dankend annahm. „Ja, ich hab dich gestern gesehen“, antwortete sie ihm und machte Anstalten weiterzugehen. Er bemerkte das und begleitete sie. „Ist doch nicht schlimm, wenn wir zusammen weitergehen, oder was meinst du?“ Er schaute sie aus den Augenwinkeln heraus an. „Nein, ist okay.“ Er lächelte leicht und unterhielt sich mit ihr über Gott und die Welt. Ein paar Minuten später sah sie auf dem Bürgersteig ein blondhaariges Mädchen stehen. Sie hatte einige dunkelbraune Strähnen und eine größere, pinke Blume in ihrem Haar. Shannon winkte ihr zu. „Das ist Kyna. Ich treffe mich früh immer mit ihr um zur Schule zu laufen. Sie ist nett.“ Samantha nickte und kurz darauf waren sie auch schon bei Kyna. Shannon machte die beiden untereinander bekannt und Kyna freute sich offensichtlich über weiblichen Kontakt und redete mit Samantha etwas. In der Gegenwart der beiden fühlte sie sich genauso wohl wie bei Lilith und Duncan. Irgendwo haben ihr auch beide das Leben gerettet. Lilith hat sie vor einer totalen Panikattacke bewahrt und sich um sie gekümmert und Shannon hat sie vor dem sicheren Tod durch ein Auto bewahrt. Sie stand in der Schuld beider. „Wenn du möchtest, kannst du die Pause zu uns kommen, oder was meinst du Shannon?“, meinte Kyna und schaute Shannon fragend an. Dieser stimmte sofort zu und beteuerte Samantha, dass sie sehr willkommen sei „Ich werd es mir überlegen. Danke für das Angebot.“ „Nichts zu danken.“ Kyna lächelte und das lockte auch aus Samantha ein kleines Lächeln hervor. Es fuhr ein Auto um die Ecke, welches Samantha sehr bekannt vorkam. Es war rabenschwarz, hatte genauso schwarz getönte Scheiben und schnurrte leise beim Fahren. Als es vorbeifuhr sah sie, dass sie Recht behielt: Es war das Auto von Duncan und er brachte Lilith in die Schule. Die Blicke der beiden Sprachen Bände. Sie sahen wütend aus und ziemlich angriffslustig. Samantha wusste innerlich, dass es so kommen musste. Aber als sie Shannon und Kyna ansah, war sie gar nicht mehr so sicher, dass sie gemeint war. Denn diese schauten genauso wütend und aggressiv dem Auto hinterher. Samantha verstand nur Bahnhof. Sie beschloss für sich selbst, was auch immer zwischen den Vieren passiert ist, sich rauszuhalten und ihr eigenes Ding zu machen. „Tut mir Leid. Aber ich muss vor dem Unterricht noch was aus der Bibliothek besorgen. In der Pause kann ich ebenfalls nicht zu euch kommen. Entschuldigt mich.“ Mit diesen Worten legte Samantha einen Zahn zu und verschwand kurze Zeit später. „Die zwei sind dahintergestiegen, wer das Mädchen ist.“ Er schaute sie eindringlich an. „Pass bloß auf dich auf.“ „Ja, ja. Hör auf zu labern und mach die dämliche Sperre raus, dass ich aussteigen kann.“ Genervt blickte sie zu ihm und rüttelte wieder am Türknauf. „Ich krieg Ärger von deinem Vater, wenn was passiert, und nicht du.“ „Was willst du machen, hm? Du bist sowieso nicht da und ich weiß mich bestens zu verteidigen. Ich genieße immerhin eine höhere Ausbildung als du.“ Sie zwinkerte ihm zu und er verdrehte die Augen. „Ich ruf schon an, falls es Probleme gibt. Mach dir keine Sorgen. Ich versuch sie auf unsere Seite zu ziehen und Konflikten aus dem Weg zu gehen, okay 'Daddy'?“ Belustigt schaute sie ihn an. „Nenn mich nicht 'Daddy'“, antwortete er ihr nur, öffnete die Sperre und ließ sie aussteigen. To be continued. Kapitel 3: Mad events --------------------- Verrückte Geschehnisse Als Samantha, schwer atmend, an der Schule ankam, ließ sie sich erstmal auf einer Bank beim angelegten Biotop der Schule nieder, um ihre Gedanken zu ordnen. Shannon und Kyna würden sie jetzt vermutlich für verrückt halten, nach dem Stimmungswechsel, den sie plötzlich hatte. Nur sie wollte nicht in irgendeinen Ärger reingezogen werden und am Ende entweder allein oder als Opfer dastehen, so wie immer. Vielleicht bekam sie die Gelegenheit, es sowohl Lilith als auch Kyna und Shannon mitzuteilen, wieso sie Abstand hielt, bezweifelte aber, dass sie es sagen konnte. Sie kannte sich viel zu gut, um zu wissen, dass sie in Gegenwart anderer immer schüchtern ist und so etwas nie über die Lippen bringen konnte. Sie schüttelte leicht den Kopf. Eigentlich konnte ihr doch egal sein, was man über sie dachte. Aber so war es nicht. Sie machte sich wirklich Gedanken drüber. Ein leichtes Seufzen entglitt ihr deswegen. Sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr an der Schule. Sie hatte noch zwanzig Minuten, dann würde es klingeln. Weit und breit keine Spur von den drei Menschen, denen sie jetzt am wenigsten begegnen wollte. Trotzdem stand sie, wenn auch schwerfällig, auf, nahm ihre Tasche und trottete langsam auf die Schule zu, quer über den Hof. Sie ging zuerst zu ihrem Spind, um sich die Bücher für die ersten beiden Stunden, Ethik und Erdkunde, zu holen. Bis jetzt waren nur sehr wenige in der Schule. Die meisten kamen zehn Minuten vor dem Klingeln und auch die Busse fuhren nicht früher ein. Nachdem ihre Bücher in ihrer Tasche verstaut waren ging Samantha in die Bibliothek, so wie sie es zu Shannon und Kyna gesagt hatte. Sie liebte diesen Ort. Überall standen massive Bücherregale, die bis zur Decke reichten. Man konnte hier alles finden, wenn man nur danach suchte. Ebenfalls in der Bibliothek fand man einige Schachbretter, eine ganze Ecke voll. Das war die Ecke der Schach-AG, die jede Pause und jeden Mittwochnachmittag benutzt wurde. Auch Computer mit Internetanschluss standen an der großen Glaswand, wo man die Natur beobachten konnte. Die Computerkabinette waren allein nicht zugänglich. Samantha zog sich in ihre Lieblingsecke zurück: Krimis. Sie liebte es einfach, Rätsel zu lösen und um die Ecke denken zu müssen, um ein Geheimnis oder einen Fall zu lösen. Deswegen strebte sie auch sowas in die Richtung für die Zukunft an, auch wenn ihr Pessimismus sagte, dass sie das niemals schaffen würde. Kurz bevor es klingelte, stellte sie die Bücher zurück an ihren Platz und ging zum Ethiksaal. Sie wusste, dass das Fach Ethik meist zusammen mit einer der zwei Parallelklassen gehalten wurde. Also würde sie entweder Lilith oder Shannon und Kyna treffen. Innerlich wappnete sie sich schon. Kurz nachdem sie den Raum betreten hatte und auf einen der freien Plätze gesunken war, bekam sie auch sofort Gesellschaft. Lilith ließ sich neben ihr nieder, mit ihren Sachen. „Morgen Samantha“, sagte sie und lächelte sie nett von der Seite an. Ein kurzes „Morgen“ warf Samantha auch zurück und in Liliths Augen flackerte kurz Verwirrung auf, die jedoch genauso schnell verschwand, wie sie gekommen war. „Und, alles okay bei dir?“ Samantha nickte als Antwort und schaute zu ihr rüber. Lilith war, wie am Vortag auch, komplett schwarz gekleidet, nur diesmal eben in schwarzem Kleid, schwarzer Leggins und schwarzen Stiefeln. Ihre Augen strahlten noch genau die gleiche Wärme aus, wie am Vortag. Trotzdem fand Samantha, dass sich irgendwas verändert hatte. „Waren das heute früh deine Freunde, mit denen du unterwegs warst?“ Lilith schaute sie interessiert an und wartete gespannt auf ihre Antwort, was auch der Braunhaarigen nicht entging. Wieso war ihr das nur so wichtig? „Nein. Shannon hat mir nur das Leben gerettet und darauf bestanden, dass ich mit ihm laufe.“ Das entsprach so ziemlich der Wahrheit, dabei entging ihr nicht, wie Liliths rechte Augenbraue nach oben schnippte, auch wenn sie es versuchte unbemerkt geschehen zu lassen. „Wieso hat er dir das Leben gerettet? Was hast du gemacht?“ Liliths Stimme ging dabei eine Oktave höher und klang besorgt. Samantha schüttelte leicht den Kopf. „Nichts Schlimmes. Ich war nur total in Gedanken und hab das Auto nicht kommen sehen, als ich über die Straße ging.“ Sie stieß Luft aus. „Pass bitte auf dich auf.“ Die Cameron nickte zögerlich. Bevor Lilith sie noch etwas fragen konnte, kam die Lehrerin herein und das Klingelzeichen ertönte. In Gedanken atmete Samantha erleichtert aus, dankend darüber, dass sie ihr nicht noch weitere Fragen stellen konnte. Ethik ging, mit Lilith an ihrer Seite, genauso schnell rum, wie die darauf folgende Erdkundestunde. Als sie den Erdkundesaal verließ bemerkte sie, dass Shannon, an der Wand gelehnt, wartete. Mit großer Wahrscheinlichkeit auf sie. Als er Samantha sah, stieß er sich locker ab. „Du warst heute früh auf einmal so komisch. Da wollte ich schauen, ob alles in Ordnung ist.“ Samantha nickte. „Alles okay. Danke.“ „Kein Ding.“ Er ging neben ihr her. „Wo sitzt du eigentlich in den Pausen?“ Sie warf ihm einen kleinen Seitenblick zu und merkte erst da, dass er sie die ganze Zeit anschaute. Schnell wandte sie den Blick wieder ab. Er sah einfach zu gut aus, dessen war sie sich bewusst. Dann beantwortete sie schließlich seine Frage: „Ich halte mich meist in der Bibliothek auf. Ich liebe die Ruhe, die da herrscht.“ Er nickte. „Willst du wirklich nicht mit zu Kyna und mir kommen? Wir würden uns freuen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, aber ich lehne ab.“ „Ist okay. Sieht man sich später mal?“ „Bestimmt.“ „Dann bis dann.“ Er strich kurz über ihre Hand, ob bewusst oder nicht, und ging dann. Samantha blieb abrupt stehen und strich sich über ihre Hand, da wo kurz davor Shannon sie gestreift hatte. Der restliche Schultag verlief nicht viel anders. Immerzu tauchten Shannon, Kyna oder Lilith auf und unterhielten sich mit ihr. Und jedes Mal wollten sie, dass Samantha sie begleitete. Nachdem sie auch die letzte Stunde Deutsch geschafft hatte und den Saal verließ, wartete wieder jemand auf sie. Sie wollte die Person diesmal schon anfahren, bis sie Yessica erkannte, deren Gefolge nicht unweit von ihr entfernt. „Hat dich also jemand gestern da rausgeholt. Wirklich schade. Und wie ich sehe, hast du deine Lektion mal wieder nicht gelernt; du bist immer noch hier.“ Höhnisch schaute sie Samantha an, bis ihr Blick auf ihre braunen Haare viel und sie ihre Miene wieder verzog. Sie hielt Samantha fest, die gerade reis aus nehmen wollte. „Hier geblieben, Cameron.“ Yessica zerrte sie am Arm zu ihr und flüsterte böse in ihr Ohr: „Ich bin noch nicht fertig mit dir.“ Sie rief zwei ihrer Fans, die Samantha links und rechts nahmen und, wie am Vortag, in Richtung Mädchentoilette zerrten. Samantha wappnete sich schon insgeheim auf ein Déjà-vu, doch diesmal sollte es anders kommen. Yessica zog sie zu den Waschbecken, genau vor den großen Spiegel und nahm ihre unteren Haare in die Hand. „Deine Haare sind viel zu schön für dich. Ein Kurzhaarschnitt wird dir mit Sicherheit viel besser stehen.“ Sie lachte kurz und ließ sich eine Schere geben. Samantha war wie versteinert und starrte ihr Spiegelbild an. Sie konnte nicht ihre Haare abschneiden, die sie so an die ihrer Mutter erinnerten. „Lass ihre Haare los, Alburgh“, erklang es plötzlich hinter ihnen und Samantha erkannte die Stimme. Es war Lilith, die plötzlich hier war und sie klang sauer. Verwundert drehte sich Yessica um, genauso wie ihre Clique, die nicht mitbekommen hatten, wie die Blondine hereingekommen war. „Wird’s bald?“, zischte Lilith etwas bösartiger herüber und Yessica ließ Samantha wirklich los, stieß sie aber mit Absicht dem Waschbecken entgegen, was höllisch weh tat. Samantha ließ sich aber nichts anmerken. Yessica ging sauer und hochnäsig hinüber zu Lilith. Sie war viel größer als die Blondine. Jedoch sah Lilith im Moment bösartiger aus als die Alburgh. „Was bildest du Neuling dir überhaupt ein, dich in meine Angelegenheiten einzumischen?“, fuhr sie die Blondine an, die nicht einmal mit der Wimper zuckte. „Raus, allesamt. Ich will das mit der Alburgh alleine klären.“ Aus unerklärlichem Grund ging Yessicas Gefolge schnellen Schrittes raus. Als Lilith bittend Samantha anschaute, ging diese ebenfalls raus, nachdem sie sich ihre Tasche geschnappt hatte. Es dauerte nicht einmal fünf Minuten als Yessica heulend und mit einem hässlichen Kurzhaarschnitt herauskam. Das geschieht ihr ganz Recht, dachte Samantha und verkniff sich jegliches Grinsen. Erst als Yessica weg war und Lilith triumphierend raus kam, fing sie breit an zu grinsen. „Steht ihr viel besser, oder was meinst du?“, fragte sie Samantha und nahm ihren Rucksack. Die Braunhaarige nickte. „Ja, um längen. Jetzt kommt ihre breite Nase noch besser zum Ausdruck.“ Lilith lachte. „Das wollte ich, um ehrlich zu sein, schon die ganze Zeit mal machen.“ Nachdem Samantha sich, mal wieder, bei Lilith bedankt hatte, gingen die beiden nebeneinander her. „Sollen wir dich wieder mitnehmen?“, fragte Lilith dann und schaute zu Samantha rüber. Diese lächelte sie an. „Nein, danke. Ich werde noch etwas in die Bibliothek gehen.“ „Okay. Pass aber auf dich auf. Man sieht sich.“ Schon war die Blondine um die Ecke verschwunden. Das ganze änderte sich nicht. Nicht einmal über das Wochenende und auch nicht über die folgende Woche. Alle vier hatten immer wieder Kontakt zu ihr aufgenommen und wollten etwas mit ihr unternehmen. Nun war es schon wieder Mittwoch, der Tag an dem sie vor zwei Wochen Lilith kennengelernt hatte. Als Samantha an diesem Nachmittag zu Hause war, hatte sie sich einen Krimi aus der Bibliothek ausgeliehen. Er hieß 'Blutrot, wie Erdbeeren' und gehörte zu den wenigen Exemplaren, die Samantha noch nicht gelesen hatte. Sie legte das Buch auf den Couchtisch und fuhr sich durch die Haare, die zum Glück keinen Millimeter kürzer waren, dank Lilith. Sie musste sie wirklich mal zum Kaffee oder so einladen um das alles wieder gut zu machen, genauso wie Shannon. Als sie aufstand wurde ihr kurz schwarz vor Augen, ein Zeichen dafür, dass ihr Kreislauf nicht so schnell war wie ihre Beine. Sie hielt sich an der Wand fest und wartete, bis es besser wurde. Als dieser Moment eintraf tapste sie rüber in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Eine gähnende Leere trat ihr entgegen. Das einzige, was man darin noch fand, war, abgelaufener Tunfisch, drei Möhren, etwas Senf und ein Stückchen Butter. Samantha warf einen Blick auf die Uhr. Es war erst siebzehn Uhr und sie hatte somit noch genug Zeit um zum nächsten Supermarkt zu joggen und das nötigste einzukaufen. Doch bevor sie ging, machte sie Suey noch den Tunfisch zurecht, den diese auch gleich verschlang, als wäre sie kurz vorm Verhungern. Samantha sah ihr zu, bis sie den Teller sauber geleckt hatte. Dann strich die schwarze Katze ihr um die Beine und schnurrte laut, als Danke. Sie wurde kurz von der Braunhaarigen gestreichelt. Dann ging Samantha ins Schlafzimmer um sich bequeme Sachen anzuziehen. Als sie damit fertig war, schnappte sie sich ihren IPod, den sie von Mrs. Bane zu ihrem sechzehnten Geburtstag bekommen hatte, verabschiedete sich von Suey und verließ das Haus. Sie nahm den Weg an der Straße, bis sie zu einer Abzweigung kam, der in den Wald führte. Hier war es schön ruhig. Der Wald war ziemlich dicht durch die vielen Nadelbäume, als auch die Laubbäume die jedoch keine Blätter trugen. Die Sonne schien durch das Blattwerk hindurch und war ziemlich warm. Samantha genoss den Frieden und die Ruhe, die der Wald ausstrahlte. Sie sah sogar vereinzelt einen Hasen oder ein Eichhörnchen vorbeihuschen. Schließlich lichtete sich der Wald etwas. Die Bäume waren nicht mehr so dicht und vor allem nicht mehr so zahlreich wie bisher. Sie kam zu den Grundstücken, die etwas weiter außerhalb von L.A., aber dafür die schönsten, waren. Natürlich wohnten hier nur angesehene und reiche Leute. Bald kam sie wieder auf die normale Straße und kurze Zeit später auch zum Lebensmittelgeschäft. Sie schaltete ihren IPod aus und ging hinein. Als sie wieder heraus kam hatte sie etwas Obst, Brot, Wurst, Käse, Mineralwasser und Gemüse gekauft. Normale Sachen und nichts Ausgefallenes. Sie bekam das Geld ja immer noch vom Heim, solang bis sie achtzehn wurde. Bis dahin hatte sie zwar Geld, aber es war nur sehr spärlich, weswegen sie nur das nötigste kaufen konnte. Sie entschied sich für einen anderen Rückweg. Bei dem schönen, warmen Wetter entschied sie sich für den Strand. Barfuss am Strand laufen machte ihr fast genauso viel Spaß wie ein guter Krimi. Fast. Mit ihren Einkäufen machte sie sich auf den Rückweg, nicht allzu schnell, damit nichts kaputt ging und sie nichts verlieren konnte. Schnell war sie beim Strand angekommen. Die Sonne, die langsam untergehen wollte, spiegelte sich auf dem blauen Wasser wieder. Die Wellen waren sanft und beruhigend. Eine idyllische Ruhe machte sich breit. Samantha zog ihre Schuhe aus und legte sie oben auf ihre Einkäufe um mit nackten Füßen im warmen Sand des Strandes zu laufen. Sie genoss es total. Bis ihr Blick plötzlich auf etwas viel. Etwas weiter weg vom Wasser war Lilith, genauso wie Duncan, die sich anscheinend für einen Nachmittag am Strand entschlossen hatten. Beide trugen, wie sollte es auch anders sein, ihre Badesachen in schwarz. Lilith im knappen, schwarzen Bikini, der ihre gute kurvenreiche Figur betonte und Duncan eine schwarze Badehose. Samantha sah sogar aus dieser Entfernung seinen gut durchtrainierten Körper. Nicht länger musste sie Muskeln erahnen, jetzt hatte sie sie gesehen. Auch wenn seine Haut bleich wie eine Kalkwand war, seine Bauchmuskeln waren zu beneiden. Er musste sehr viel Sport machen. Lilith trug eine Sonnenbrille und schien sich, trotz der schwachen Sonne, sonnen zu wollen und sich sehr wohl zu fühlen. Duncan schien mit ihr zu reden, der auf seiner Liege saß, mit dem Körper zu ihr gerichtet. Samantha beeilte sich lieber vom Strand wegzukommen, ehe die beiden sie sahen und mit ihr reden wollten. Sie war eben doch nicht so kontaktfreudig, wie alle glaubten und im Moment wollte sie sowieso nur ihre Ruhe. Sie kam bis zum Ende des Strandes, wo man nach einem Hügel keinen Blick mehr auf den Strand hatte. Doch dann sah sie Shannon und Kyna, ebenfalls in Bademontur, die geradewegs auf den Strand zusteuerten und so auch auf Duncan und Lilith. Shannons Oberkörper schimmerte golden in der untergehenden Sonne und auch er hatte einige beachtliche Muskeln aufzuweisen. Er war eigentlich das komplette Gegenteil von Duncan, aber Samantha fand es genauso anziehend. Ebenso erwachte in Samantha die Neugierde. Es interessierte sie brennend was die vier für ein Problem miteinander hatten. Auch wenn es sie vielleicht nichts anging, sie konnte nicht anders. Da erwachte wieder die geheimnislüftende und Um-die-Ecke-Denkende, rumschnüffelnde Samantha in ihr. Wenn sie jemals anders behandelt worden wäre, wäre mit Sicherheit Samanthas kompletter Charakter anders, aber sie war nun mal so wie sie war. Sie schlich sich, nachdem Shannon und Kyna die Treppe runtergegangen waren auf den kleinen Hügel hinter ein paar Büsche, hoch und zu dem Platz, wo Lilith und Duncan unten lagen. Sie konnte von da auf sie herabsehen und, falls sie lauter reden sollten, auch etwas verstehen. Duncan sah zu Samanthas Erstaunen aus der Nähe noch besser aus. Auch wenn sie geglaubt hatte, dass es noch besser nicht mehr ging. Sie konnte kaum den Blick von ihm wenden. Sie hatte noch nie für einen Jungen so empfunden. Auch wenn es keine Liebe war, was sie wusste, körperlich angezogen hatte sie noch nie jemand. Aber sowohl Duncan als auch Shannon - so unterschiedliche Charaktere - schienen sie auf magische Weise in ihren Bann zu ziehen, aus unerklärlichem Grund. Lilith setzte sich plötzlich auf. Sie schien die Anwesenheit von Shannon und Kyna zu spüren, auch wenn das auf diese Entfernung noch gar nicht möglich war. „Duncan, wir kriegen Besuch“, sagte sie zu ihm und blickte in die Richtung, von der die beiden Blonden kamen. „Ich weiß, ich hab’s schon gespürt“, antwortete der Schwarzhaarige und stand auf. Auch Kyna sah die beiden jetzt, nachdem Duncan aufgestanden war. „Shannon, ich glaube wir sollten wieder umdrehen.“ „Nein, genau das werden wir nicht tun. Ich freu mich schon die ganze Zeit auf ein Wiedersehen mit Duncan und diesmal geht es anders aus als letztes Mal.“ „Aber Shannon -“ „Kein aber Kyna!“, schnitt er ihr das Wort ab und sie zuckte unweigerlich bei seinem Ton zusammen, „sei einmal das, was man von dir verlangt. Nur einmal!“ Sie nickte, starr irgendetwas anderes zu erwidern. Beide gingen weiter. „Was wollt ihr Missgeburten von uns?“, fuhr Duncan die beiden Neuankömmlinge an und stellte sich, schützend, vor Lilith. Diese verdrehte hinter ihm die Augen, stand ebenfalls auf und gesellte sich neben ihm, was ihr natürlich einen bösen Blick von Duncan einfing, doch sie beachtete ihn nicht. „Du schuldest mir noch einen Zweikampf, Northcote.“ Shannon schaute ihn gefährlich wütend an. „Und danach ist die Prinzessin dran. Raziel wird sich über ihren 'Besuch' mit Sicherheit freuen.“ Er grinste böse. Duncan fauchte ihn wie ein wildes Tier an. „Fass sie an und du findest dich hier massakariert und zerstückelt wieder!“, warnte er den Blonden. Shannon grunzt. „Kümmert euch lieber um eure Mission.“ „Ob du’s glaubst oder nicht, wir sind viel weiter als ihr.“ Das war Lilith und sie war nicht minder böse als Duncan. „Ach ja? Meinst du sie vertraut euch?“ Shannon grinste wissend. „Nur weil sie dir Bastard nicht vertraut, gilt das nicht auch für uns“, erwiderte Duncan schnippisch auf seine Bemerkung. „Außerdem haben wir im Gegensatz zu euch ein Ass im Ärmel.“ Jetzt war er dran mit Grinsen und Shannon schaute ihn tödlich an. Kyna stand nur unbeteiligt daneben und wusste nicht Recht, was sie sagen oder machen sollte. Das viel auch Lilith auf, die sie höhnisch angrinste. „Na, Angst Vorzeigeengelchen? Oder warum sagst du nichts? Schiss vor uns gewalttätigen Rüpeln aus der Hölle?“ „Mit Sicherheit nicht.“ Ihre Stimme klang selbstsicher und stark. „Beweise es“, meinte Lilith nur darauf. Plötzlich ging alles ganz schnell. Shannon hatte sich auf Lilith gestürzt, wurde aber von einer Wand abgeblockt die lila aufschimmerte, als er sie berühren wollte. Duncan hatte in der Zeit einen schwarzen, kleinen Ball in seiner Hand erscheinen lassen und warf ihn in Shannons Richtung, den wiederrum Kyna mit einem Weißen abblockte und die beiden magischen Kugeln in einer Explosion aneinander prallten. Als der Rauch sich lichtete waren sowohl Lilith als auch Duncan verschwunden. Kyna hustete wie wild und Shannon ließ seine Wut an einer der Liegen aus. Ein greller Blitz krachte runter, genau in die Liege hinein, die in der Mitte auseinanderbrach. „Shannon…“ Kyna berührte ihm am Arm, nachdem er vier weitere Liegen so behandelt hatte. „Sie sind geflüchtet, nicht wir. Sie sind abgehauen vor uns, nicht wir vor ihnen.“ „Ich wollte aber Raziel die Prinzessin bringen. Aber der Idiot von Northcote passt zu sehr auf sie auf und dann verschwinden sie einfach. Ich hasse diese verfluchten Racheengel!“ Wütend trat er gegen die Überbleibsel einer der Liegen. Er war ganz verspannt was auch Kyna merkte und ihre Hand an seinem Oberarm verstärkte. „Wir kriegen sie noch, Shannon. Und dann bekommen beide was sie verdienen, im Kerker. Okay?“ Der Blonde nickte kurz. Er entspannte sich auch augenblicklich etwas mehr. Kyna beruhigte alle sehr mit ihrer sanften Seele. „Lass uns gehen. Wir sollten überlegen, was wir wegen Samantha machen. Wenn die Missgeburten sagen, sie haben ein Ass im Ärmel, stimmt das mit Sicherheit. Auch wenn sie nie wirklich die Wahrheit sagen und gern Lügen, ich denke, dass es diesmal wahr ist.“ Kyna nickte und beide gingen davon. Samantha, die immer noch auf dem Hügel hinter den Büschen hockte war starr vor Schock. Sie hatte sich gerade eben hingesetzt und starrte einfach nur vor sich hin. Sie konnte einfach nicht glauben, was da eben passiert war. Sie musste geträumt haben, das konnte nie im Leben real sein. Was waren die vier wirklich? Für Menschen haben sie sich gerade sehr unnormal benommen. Sie waren keine Menschen, sie konnten keine sein. Nicht, nach diesem Ereignis. Woher kannten sie sich untereinander und wieso hassten sie einander so sehr? Samantha hatte keine Idee, was diese Frage anbelangt. Okay, hatte sie bei der davor auch nicht. Aber wieso nannte Shannon Lilith Prinzessin und wer, verdammt noch mal, war Raziel? Vielleicht kamen sie aus so einem Land, wo es früher König und Königin gab und Lilith ist in dieser Familie geboren. Und Raziel ist ein Feind der Familie und will diese mit Lilith erpressen. Duncan wäre dann sowas wie ein Leibwächter, so wie er sich anfangs vor die Blondine gestellt hatte. Aber was ergab das für einen Sinn? Keinen. Jedenfalls für Samantha nicht. Für sie war einfach alles nur unglaublich. Die schlimmste Frage für sie war, was hatte sie selbst mit der ganzen Sache zu tun? Es wurde von Vertrauen geredet. Mit Sicherheit ging es um sie, denn alle vier schlichen um sie und wollten ihr Vertrauen, das war sehr offensichtlich. Aber wieso hat Duncan gesagt, hatten sie ein Ass im Ärmel? Hatten sie etwas gegen sie in der Hand? Haben sie am Ende irgendwas mit ihr zu tun? Wieso war sie in diesem Spiel, was sie nicht verstand, so verdammt wichtig, dass die beiden Seiten deswegen aufeinander losgehen mit… Magie?! Samantha schüttelte ungläubig den Kopf. Sie musste sich heute irgendwo den Kopf gestoßen haben. So etwas konnte einfach nicht echt sein. Langsam löste sich ihr Schock und sie stand vorsichtig auf, nahm ihre Einkäufe mit zittrigen Händen, und machte sich, total in Gedanken, auf den Rückweg nach Hause. Als sie durch den Wald ging fiel ihr plötzlich noch etwas ein. Lilith hatte Kyna einen Vorzeigeengel genannt und sich selbst als Rüpel aus der Hölle bezeichnet. Ja, und Shannon hatte gesagt, dass er diese Racheengel hasste. Was waren sie wirklich? So wie es sich anhörte, sprachen sie von…Engeln. Aber Engel existieren nicht, genauso wenig wie Werwölfe, Vampire, Zombies und andere Hirngespinste der Filmproduzenten und Weltautoren. Auch Gott und der Teufel existierten nicht. Sie waren Legenden, Sagen und vor allem dem Aberglauben entsprungen. Nur Samantha konnte nicht mehr sagen, dass die vier normale Menschen waren. Denn das waren sie eineindeutig nicht. Sie seufzte. Das ganze machte sie auf unglaubliche Art schon wieder fertig. So, wie es sich angehört hatte, war sie sehr wichtig und das wollte sie nicht. Nein, das machte ihr regelrecht Angst. Auch, dass sie ihr Vertrauen missbrauchen wollten. Sie beschloss für sich selbst, sich endgültig von den Streithähnen fernzuhalten, aber konnte sie das? Das ganze war ein Rätsel und Samantha wollte die Wahrheit, um jeden Preis. Nur wie bekam sie die? Sie beschloss fürs erste, so zu tun, als hätte sie nichts gesehen und weiterzumachen, wie bisher. Aber die Bibliothek würde sie besuchen, vielleicht enthielt sie ein Buch über Engel, falls sie denn welche wären. Sie wollte einfach nur sichergehen, dass es so nicht sein konnte. Vor allem, da das wichtigste Merkmal eines Engels – die Flügel – fehlten. Die Braunhaarige war so tief in ihren eigenen Überlegungen versunken, dass sie gar nicht merkte, dass sie schon zu Hause angekommen war. Sie nahm ihren Schlüssel, öffnete die Tür und ging nach drinnen. Die Einkäufe räumte sie schnell an ihren Platz bevor sie sich, immer noch gedankenverloren, aufs Sofa fallen ließ. Dort blieb sie liegen und grübelte weiter nach. Bis plötzlich etwas Weiches auf sie gesprungen kam. Es war Suey. Diese legte sich auf Samanthas Bauch und rollte sich zu einer Fellkugel zusammen. Samantha streichelte sie gedankenverloren etwas. „Suey, du wirst mir nie glauben was ich gesehen habe. Ich glaube es ja selber nicht mal. Es war einfach irre.“ Suey wurde aufmerksam und setzte sich wieder auf, um sie anzuschauen. „Ich hab am Strand Lilith und Duncan gesehen genauso wie Shannon und Kyna und die vier…ich weiß nicht, was sie gemacht haben. Aber ich glaube sie sind keine Menschen, so dumm das auch klingt. Sie haben komische Sachen gesagt, zum Beispiel, dass sie mein Vertrauen gewinnen wollen oder Lilith mit Prinzessin angesprochen. Shannon meinte auch, er hasst diese 'Racheengel' und dann haben sie sich mit…Energiekugeln beworfen? Ich weiß es nicht…das ganze verwirrt mich.“ Samantha schüttelte wieder den Kopf und wollte Suey weiterstreicheln, doch diese sprang von ihr runter, auf den Fußboden und setzte sich mit den Rücken zu ihr. „Du hältst mich jetzt für verrückt, was Suey?“, meinte Samantha traurig. „Nein, tu ich nicht. Ich denke, es wird Zeit dich aufzuklären“, antwortete ihr diese und Samantha war wie erstarrt, als Suey mit ihr sprach. To be continued. Kapitel 4: Denial ----------------- Ablehnung Suey drehte sich wieder zu dem Mädchen um und sah ihr geschocktes Gesicht. Suey entglitt ein leises Seufzen. „Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass du so reagierst.“ Sie sprang wieder zu ihr aufs Sofa, nur Samantha wich zurück um Abstand zwischen sie und diese…Katze zu bringen? Eine Katze könnte nicht mit mir sprechen. Also langsam wird es wirklich Zeit aufzuwachen. Oder mich selbst in die Klapse einzuweisen. „Hör auf Angst zu haben, Samantha. Ich bin nicht hier, um dir etwas zu tun. Mit Sicherheit verwirrt es dich, dass ich sprechen kann, aber das konnte ich schon die ganze Zeit.“ Sie blickte das Mädchen durch ihre dunkelbraunen Katzenaugen an. „Mein Name ist Kira und ich bin hier, um dir zu erklären, was an dir anders ist, als an den normalen Menschen. Alles be-“ „Warte!“, bat Samantha und unterbrach sie. „Ich will gar nichts hören! So ungern ich es auch sage, aber verschwinde einfach und lass mich in Ruhe, genauso wie der ganze Rest! Ich will überhaupt nichts mit dieser ganzen Sache zu tun haben!“ Sie sprang auf und nahm Suey, oder besser gesagt Kira, im Nacken hoch und brachte sie zur Tür. „Samantha, begeh keinen Fehler. Jemand muss dir alles erklären und ich bin dafür die Richtige. Du kannst dich nicht raushalten, nicht nachdem wir wissen, was du bist. Du bist sehr wichtig für uns.“ Samantha öffnete die Tür. „Du hast die Falsche. Ich war noch nie jemandem wichtig und werde es auch nie sein! Und jetzt lass mich in Ruhe und kreuz hier nie wieder auf!“ Mit diesen Worten beförderte sie die sprechende Katze vor die Tür und schlug sie mit voller Wucht zu. Kira saß vor der Tür und hörte ein Schluchzen. Das Mädchen ist wirklich fertig mit den Nerven. War wohl doch etwas zu viel für sie heute. Mitleidig schaute sie die verschlossene Tür an. Anscheinend passierten Samantha Vertrauensbrüche immer wieder, so wie sie reagiert hat. Genauso wie Kira immer passierte, dass sie am Ende rausgeschmissen wurde. Sie schüttelte leicht den Kopf. Im Moment waren ihre Probleme nebensächlich. Eigentlich hatte sie schon lange den Gedanken aufgeben wollen, je wieder ein normales Leben zu führen und wollte einfach nur alles vergessen. Doch die Trauer und ihr Hang dazu, nicht loszulassen, hinderten sie daran. „Ich muss mich jetzt auf meinen Auftrag konzentrieren, nur das zählt“, murmelte sie leise und tapste die Treppen hinunter. Als wieder ein Schluchzen ertönte, blieb sie kurz stehen und schaute zurück, doch sie wusste, dass Samantha sie im Moment nicht wieder reinlassen würde. Sie musste mit ihnen sprechen, damit sie eine neue Vorgehensweise aufstellen können. Am nächsten Morgen war Samantha endlos müde. Sie hatte die halbe Nacht geweint. Sie verstand einfach die Welt nicht mehr und würde alles dafür geben, dass es so war, wie früher, bevor Lilith in ihr Leben getreten war. Nun war sie also auch Suey los. Halt, ihr Name war ja Kira. Ein Schluchzen entwich schon wieder ihrer Kehle. Sie hasste die Einsamkeit und kam sich endlos missbraucht vor. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Wegen sowas konnte sie nicht die Schule schwänzen. Oder doch? Sie schüttelte den Kopf und rang sich durch, aufzustehen. Sie fühlte sich schlapp und erschöpft. Kein Wunder nach dieser Nacht. Vielleicht könnte sie nun nie wieder weinen, nachdem sie gestern die ganzen Tränen ihres verbliebenen Lebens aufgebraucht hatte. Samantha schlich in die Küche. Sofort fehlte ihr die schwarze Katze, die ihr stets jeden Tag einen 'Guten Morgen' gewünscht hatte. Leise ließ sie sich auf einem der Stühle sinken. Alles war so leer und leblos. Der Hunger war ihr gänzlich vergangen und so trank sie nur einen Cappuccino, wie jeden Morgen, und verschwand dann im Bad um sich fertig zu machen. Als sie das Haus verließ war weit und breit keine schwarze Katze zu sehen. Samantha fühlte sich dadurch noch schlechter. Sie hatte erwartet, dass sie nicht so leicht loszuwerden wäre, aber da hatte sie sich wohl getäuscht. Vielleicht hatte Kira ja eingesehen, dass sie die Falsche, für was auch immer, war. Auch auf dem Weg zur Schule sah sie niemanden. Sonst hatte sie jeden früh Shannon und Kyna gesehen und meistens auch Lilith, wenn Duncan sie zur Schule fährt. Nur heute nicht. Das ganze begann seltsam zu werden. Vielleicht sind sie auch einfach nur krank. Obwohl sie doch niemals alle drei gleichzeitig krank sein können, nicht wenn da dieser Zusammenhang zwischen ihnen besteht. In der großen Mittagspause ging Samantha in die Bibliothek. Es war so, wie sie vermutet hatte: niemand der drei war in der Schule. Sonst schlichen sie regelrecht um sie herum, nur heute nicht. Das einzige, worüber sie sich jedoch freute, war, dass Yessica ebenfalls krank war, und sie es so nicht auf sie absehen konnte. Um genau zu sein war Yessica nicht mehr in der Schule, seitdem Lilith ihr einen peppen Bob verpasst hatte. Da Samantha heute genau wusste, wonach sie suchte, nämlich nach einem Buch über Engel und deren Mythen, oder eben irgendwas in der Richtung, ging sie zur Bibliothekarin. Diese lächelte sie schon an, als sie sie sah. „Hallo Samantha. Wie kann ich dir denn helfen?“, fragte Mrs. Swindon sie. „Haben Sie zufällig ein Sachbuch, was sich mit Engeln befasst?“ Sie schaute leicht verwirrt. „Natürlich haben wir das, aber wozu brauchst du denn ein Buch über Engel?“ „Ich mache in Religion einen Vortrag über Engel und deren Mythen.“ Samantha benutzte, wie so oft, ihre Standardausrede. Denn die schloss weitere Fragen aus. „Ist gut. Warte hier, ich komm gleich wieder.“ Mrs. Swindon stand von ihrem Bürostuhl auf, kam hinter den Tresen hervor und verschwand hinter ein paar Bücherregale. Als sie nach ein paar Minuten wieder kam hatte sie nur ein Buch dabei. „Ich hab leider nur eins gefunden. Es stehen noch andere Aberglauben mit drin. Es gibt eben nicht sehr viel über Engel zu schreiben. Ich hoffe trotzdem, dass es dir hilft.“ „Mit Sicherheit. Dankeschön.“ Samantha nahm lächelnd das Buch entgegen und während Mrs. Swindon den Leihschein ausfüllte, besah sie es sich. Es war etwas älter, der Umschlag sah gebraucht aus. Es war blutrot und in verschnörkelten und schwerlesbaren Buchstaben standen die Worte 'Engel – Geschöpfe des Jenseits' darauf. Samantha unterschrieb den Leihschein und zog sich mit dem Buch in eine ruhige Sofaecke zurück. Sie strich noch ein paar Mal über den Einband, bevor sie es aufklappte. Sie musste niesen, denn es staubte ziemlich doll. Als sie das Jahr neunzehnhundertachtundzwanzig sah, wusste sie, dass es sehr alt und dieses Buch vermutlich ein Original war. Als sie die Inhaltsangabe aufschlug, stellte sie jedoch fest, dass es sich gut gehalten hatte. Die Druckerschwärze war noch immer sehr deutlich zu erkennen. Lediglich die Seiten hatten einen hässlichen Gelbton angenommen. Samantha hoffte inständig, dass dieses Buch ihr Antworten brachte. So sehr sie es sich auch wünschte, dass alles normal wäre, sie wusste, dass es nicht so war und musste es akzeptieren. Nun blieben nur noch die Antworten auf ihre Fragen. Engel sind Wesen aus einer anderen Dimension. Sie werden häufig als Lichtwesen bezeichnet und sind von Gott geschaffene Geschöpfe, um den Menschen und Gott zu dienen. Dass Engel nicht aus dieser Welt stammten wusste Samantha auch ohne diesen Text. Auch das Gott sie geschaffen hatte, um ihm zu dienen war ihr bekannt. Trotzdessen sie nicht gläubisch aufgezogen wurde, wusste sie, dass Engel als Diener Gottes bezeichnet wurden und im Religionsunterricht hatten sie so etwas auch des Öfteren behandelt. Das mit den Lichtwesen war ihr dennoch neu. Nachdem, was sie am Strand gehört und gesehen hatte, zweifelte sie an dieser Aussage. Duncans Energiekugel war schwarz und auch sonst hatten er und Lilith nur schwarz an. Engel sind willenlose, stets dankbare Geschöpfe; durchströmt von Liebe und Weisheit der Ewigkeit, von der sie andere teilhaben lassen. Es gibt Millionen von Engeln, jeder von ihnen mit speziellen Aufgaben versehen, die dem jeweiligen Rang (Entwicklungsstufe, Interessenlage, Begabung) entsprechen. Kein Engel gleicht einem anderen. Sie sind Wesen aus einem anderen Reich, doch wandeln sie meist auch ungesehen unter Menschen um ihnen zu helfen, sie ins verderben zu stürzen oder sie einfach nur zu beobachten. Samantha musste den Abschnitt noch mal lesen um alle Informationen aufzunehmen. Das meiste davon konnte sie nur schwer einschätzen. Sie hätte ein Engel sein müssen, um zu wissen, wie deren Charakterzüge seien. Auch wusste sie nichts über die Anzahl der Engel oder ihre Aufgaben. Verdammt, sie wusste nicht einmal was über ihre Arbeitgeber. Dass ein Engel keinem anderen gleicht, hätte sie sich denken können. War bei Menschen ebenfalls so; niemand glich einem anderen bis auf das letzte Detail. Das sie ungesehen unter Menschen wandeln glaubte sie ebenfalls. Sie hatte es immerhin am eigenen Leib erlebt. Doch ob Lilith und Co. nun hier waren, um ihr zu helfen oder sie ins verderben zu stürzen wusste sie nicht. Die Engel stehen weit über den Menschen und ein einzelner Engel kann über ein paar Menschen entscheiden, sie manipulieren oder kontrollieren, je nachdem, wie mächtig er ist. Laut der jüdischen Traditionen gelten Engel nur als männlich, nach den Christen als geschlechtslos. Tatsächlich gibt es männliche und weibliche Engel. Es gibt einige Milliarde von Engeln, kurz, eine unvorstellbare Menge. Jedoch gehören nicht alle dem Himmel an, ungefähr die Hälfte gehören zu den Höllenengeln. Es ist umstritten ob Engel sich fortpflanzen können oder nicht. Einige glauben ja, andere sagen nein. Was am Ende stimmt, wissen nur die Engel selbst. Sie seufzte. Bis jetzt hatte sie das ganze nicht sehr weit gebracht. Engel konnten also Menschen kontrollieren, vielleicht stand auch sie unter einer Kontrolle? Aber dann würde sie nicht hier sitzen und sich ein Buch über Engel durchlesen. Wie viele Engel es nun sind und ob sie Kinder kriegen können oder nicht war ihr im Moment egal. Viel interessanter war die kurze Ansprache auf die Höllenengel. Damit kam sie dem eigentlichen Thema doch sichtlich näher. Samantha hoffte, dass noch mehr über sie in diesem Buch stand. Gedankenversunken las sie weiter. Als nächstes war die komplette Engelshierarchie verzeichnet. Samantha schaute kurz drüber, aber wirklich helfen konnte ihr das nicht. Was sie sich nur merkte war, dass die Engel in neun Chöre eingeteilt wurden und diese noch mal in drei Abteilungen. Dann wurde jeweils jeder der Chöre kurz erklärt. Samantha überblätterte einige Seiten, bis ihr die Überschrift 'Erzengel und Höllenengel' ins Auge fiel. Laut der Bibel gibt es drei Erzengel mit den Namen, Michael, Gabriel und Raphael. Als Erzengel werden jene Engel bezeichnet, die in der Engelhierarchie eine herausragende Rolle spielen. Michael bedeutet soviel wie „Wer ist wie Gott?“ und er steht für die Bekämpfung der Mächte der Finsternis. Gabriel bedeutet „Kraft Gottes“, der auch zur Jungfrau Maria gesandt wurde. Der Erzengel Raphael heilt verschiedene Krankheiten, sein Name bedeutet übersetzt auch „Arznei Gottes.“ Samantha seufzte. Laut der Bibel gab es also nur drei Erzengel. Eigentlich interessierte sie nicht, wie welcher Engel hieß und was er bewirkte. Hastig las sie weiter. Jeder Engel hat eine andere Aufgabe. Als Wächter bewachten sie das Himmelreich. Gott sendet Engel aus, um seine Auserwählten zu beschützen, diese Engel sind dann, wie der Name schon sagt, Beschützer. Doch Engel treten auch als Retter und Befreier auf, wie öfters in der Bibel bewiesen wurde. Sie verkündeten auch die Geburt von Jesus oder leisteten den Propheten beistand. Botenengel haben die Aufgabe, Menschen die Botschaft Gottes zu überbringen. Umgekehrt überbringen sie Gott auch die Gebote der Menschen. Aber auch die Höllenengel empfangen oftmals Gebete, weil sie sich als himmlische Boten ausgeben um die Menschheit zu ärgern. Spezielle Engel werden auch zu Schutzengeln, die über bestimmte Menschen wachen. Ebenso gibt es Schreibeengel, die die guten und schlechten Taten der Menschen aufschreiben und sie bei deren Tod dem Todesengel zukommen lassen, damit dieser entscheidet, ob sie wiedergeboren werden und wenn ja, als welche Art von Engel. Ebenso gibt es Kriegsengel, die vor allem in den Zeiten des Krieges zum Einsatz kommen. Da der Krieg zwischen beiden Engelvölker seit Anfang des sechzehnten Jahrhunderts tobt, ist dieser Beruf sehr populär. Samantha las den Abschnitt noch einmal, bevor sie ihn überdachte. Engel hatten also sehr viele Berufe. Einige entsprangen wieder aus der Bibel, jedoch klangen die letzten paar ziemlich real. Zu dem Todesengel würde sie sich noch genauer informieren. Was sie jedoch interessierte war der kurze Abschnitt über die Kriegsengel. Woher sollte der Schreiber bitte wissen, dass sich seit Anfang 1500 die Engel bekriegten? Entweder der Verfasser des Buches war selber einer oder er dachte sich das alles aus. Als sie weiter blätterte, ging es endlich um die 'Bösen Engel', wie die Überschrift zeigte. Die Entstehung der Höllenengel begann damit, dass der Engel Luzifer, der der erste Engel war, den Gott erschuf, seine himmlischen Kollegen in allem überragte. Luzifer tat dies auch ganz bewusst und erfreute sich daran. Als Gott die Menschen erschuf war es für Luzifer unvorstellbar, dass er den Kreaturen, die Gott Menschen nannte, dienen sollte. Er hielt die Erschaffung der Menschen für einen fatalen Fehler Gottes und lehnte sich gegen seinen Erschaffer auf. Damit sagte er Gott den Kampf an. Die anderen Engel wurden unsicher, wem sie folgen sollten. Ungefähr die Hälfte der Engel entschied sich für Luzifer und folgten ihm. Michael, einer der drei heiligen Erzengel, erzürnte Luzifers Verhalten sehr und so zog er mit den Engeln, die Gott treu blieben, in den Kampf gegen diesen Verräter. Luzifer verlor gegen Michael, denn dieser hatte außer den Engeln auch Gottes Unterstützung, was Luzifer in seiner Eitelkeit vergessen hatte. Luzifer wurde verbannt und mit ihm die Engel, die hinter ihm standen. Sie erschufen die Hölle und Luzifer wurde ihr Anführer, der Teufel. Was Samantha da gerade gelesen hatte machte Sinn, und wieder auch nicht. Bis jetzt glaubte sie von der ganzen Sache kein Stück. Gott und Teufel. Engel und Dämonen. Aberglaube der Menschen oder doch die Wahrheit? Sie seufzte leise. Wahrscheinlich würde sie so ein Buch auch nicht auf die Wahrheit bringen. Trotzdem überflog sie noch einmal die angebliche Entstehungsgeschichte der Höllenengel. Als sie umblätterte, bemerkte sie, dass das längst noch nicht alles war. Racheengel werden auch Engel des Zorns, Folterengel, Strafengel oder Würgeengel genannt. Die Folter gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen dieser Engel. Sie sind die Nachfahren jener Höllenengel, die damals Gott verraten haben und sich auf Luzifers Seite gestellt haben. Wenn man an die Höllenengel denkt, erwecken sie den Anschein, als hätten sie nichts anderes im Sinn, als den Menschen Schaden zuzufügen. Dennoch besitzen sie eine zweite, ganz andere Eigenschaft: Sie verraten Menschen die tiefsten Geheimnisse, wenn sie mit Hilfe der schwarzen Magie angerufen werden. In jedem Höllenengel lebt ein Dämon, der öfters die Oberhand über die Engel ergreift und sie zu diesen grausamen Wesen macht, die überall beschrieben werden. Denn auch Höllenengel können gute Wesen sein, wenn nicht gerade der Dämon in ihnen erwacht. Samantha beschloss gerade für sich selbst, nie einem richtigen Racheengel begegnen zu wollen, der foltert. Dass sie mit Hilfe schwarzer Magie gerufen werden, ist ihr bekannt. Jeder kennt die Sekten, die Satan dienen. Alles funktioniert dort mit schwarzer Magie. Der Anhaltspunkt mit dem Dämon in jedem Engel fand sie recht interessant. Vielleicht war es ein kleines „Geschenk“ Gottes, dafür, dass sie ihn verraten haben. Die Braunhaarige blätterte noch eine Seite weiter und sah, dass nach einem weiteren Abschnitt über den Todesengel das Buch schon endete. Danach folgten nur noch sämtliche Belege aus der Bibel, woher das meiste anscheinend genommen wurde. Samantha las noch den Abschnitt des Todesengels durch. Als Todesengel oder Engel des Todes wird ein Engel bezeichnet, der Menschen den Tod bringt, Verstorbene ins Jenseits begleitet oder dort empfängt sowie entscheidet, ob sie als Engel wiedergeboren werden. Ebenso entscheidet er, auf welche Seite er geschickt wird, falls er als Engel wiedergeboren wird. Der Todesengel, der das ganze übernimmt, wird Azrael genannt. Azrael hat stets ein Buch bei sich, in die er die Namen der Neugeborenen einträgt und die der Verstorbenen durchstreicht. Es klingelte und Samantha klappte das Buch langsam zu und strich über den Einband. Dann ließ sie das alte Buch in ihrer Tasche verschwinden und ging zu den nächsten beiden Unterrichtsstunden. Diese verflogen in Sekundenschnelle. Samantha war die ganze Zeit in Gedanken versunken, über das, was sie herausgefunden hatte. Sie musste mit jemandem reden und ihre Gedanken ordnen. Nur mit wem? Sie hatte Kira ganz klar gesagt, dass sie ihre Ruhe haben wollte. Jedoch blieb der Hoffnungsschimmer, dass sie nicht allzu schnell aufgab. Falls doch, wusste sie nicht, was sie machen sollte. Lilith und Duncan, sowie Shannon und Kyna waren auf sonderbare Weise kein einziges Mal an dem jetzigen Tag aufgetaucht und sie hatte weder Handynummer noch Adresse um mit jemanden der vier zu reden. Sie konnte also nur auf Kira hoffen. Als sie ihr Haus, aus der Entfernung sah, schaute sie sich aufmerksam um, in der Hoffnung, irgendwo eine schwarze Katze zu sehen. Doch es war nichts zu sehen. Vor ihrer Haustür angekommen ging sie noch einmal aufmerksam ums Haus herum und schaute auch gründlich im Garten nach. Nichts. Das Gefühl der Reue beschlich sie klangheimlich. Wie eine große Raubkatze sprang sie sie an und zog sie in einen tiefen, schwarzen Abgrund. „Es tut mir Leid, Kira…“, flüsterte sie und ging, mit hängenden Schultern zu ihrer Haustür zurück, schloss diese auf und betrat ihre Wohnung. Alles war still. Doch Samantha hatte dieses komische Gefühl, nicht allein zu sein. Vielleicht bin ich einfach nur paranoid und bilde mir unsinnig irgendwas ein, dachte sie sich, schloss aber trotzdem sehr leise die Tür und zog sich genauso leise ihre Schuhe aus. Ihre Schritte auf dem Parkett waren zögerlich, leise und bedacht. Erst wenn sie sich sicher war, dass niemand hier sei, konnte sie sich in ihrer heimlichen Zuflucht wohl fühlen. Langsam ging sie zur Küche. Als sie um die Ecke lugte, sah sie niemanden. Die Küche war also leer. Sie schritt bedächtig weiter zum Wohnzimmer. Auch dieses fand sie leer und verlassen vor. Alles war noch so, wie sie es verlassen hatte. Sie entspannte sich bereits etwas. Samantha schlich weiter den Flur entlang. Plötzlich hielt sie inne. Was würde sie eigentlich machen, falls hier wirklich jemand war? Paranoia hin oder her, sie sollte sich trotzdessen doch mit irgendwas zur Gegenwehr bewaffnen. Sie sah auf der Kommode im Flur eine Taschenlampe liegen. Zur Not würde sie die einfach auf den Angreifer werfen. Sie nahm die Taschenlampe und schritt leise weiter. Am Badezimmer angekommen, stieß sie leise die Tür auf. Diese stieß jedoch dumpf an der Badewanne an. Samantha zuckte dabei zusammen. Sie hielt die Luft an und lauschte. Nichts rührte sich und kein Laut ertönte. Auch das Bad war leer. Sie wandte sich wieder dem Flur zu und schlich weiter zum letzten Zimmer, dem Schlafzimmer. Sie stieß die braune Holztür zum Schlafzimmer auf, sodass sie ans Bett stieß und der Zusammenstoß einen dumpfen Ton von sich gab. Auf ihrer erdbeerroten Tagesdecke lag etwas kleines Schwarzes, zusammengerollt zu einer Fellkugel. Kira! Sie ist doch wiedergekommen., dachte sie sofort erfreut, bevor ihre gute Laune plötzlich einen gewaltigen Dämpfer bekam. Wie kommt die Katze hier rein? Sie hatte jedes Fenster ihrer Wohnung verschlossen und die Tür war ebenfalls zugeschlossen gewesen. „Kira…?“, fragte sie vorsichtig und tat einen zögerlichen Schritt ins Zimmer. Diese schaute ruckartig auf. Keine Sekunde später bemerkte Samantha jemanden hinter sich. Dann wurde ihr plötzlich schwarz vor Augen und sie verlor das Bewusstsein. To be continued. Kapitel 5: The Truth -------------------- Die Wahrheiten Hämmernde Kopfschmerzen rissen sie aus der schwarzen Dunkelheit. Nur schwer ließen sich ihre Lider öffnen und dahinter blendete weißes Licht ihre dunkelgrünen Iriden. Sie fand sich in ihrem Bett wieder. Leicht setzte sie sich auf und massierte sich die Schläfen. Etwas Schwarzes sprang neben sie und als sie genauer hinsah, wusste sie, dass es Kira war. „Was ist passiert?“, fragte sie die schwarze Katze, die auf ihrem Schoß Platz nahm und es sich dort bequem machte. „Sie haben dich nur außer Gefecht gesetzt, damit wir endlich in Ruhe reden können. Und das ist wirklich sehr wichtig, Samantha.“ Die Braunhaarige stutzte etwas. „Wer sind sie? Und was ist nun passiert?!“ Kira seufzte leise. „Nur die Ruhe. Wir haben genug Zeit, ich werde dir alles erklären und deine Fragen beantworten.“ Sie überlegte kurz. „Es waren die hier, zu denen ich gehöre. Durch sie bin ich auch hierein gekommen. Sie haben dich hypnotisiert, damit du einschläfst und nicht gleich wieder abhaust.“ Samantha nickte leicht. „Du gehörst zu Engeln, hab ich Recht?“ „Ja, stimmt.“ Kira schaute wissend. „Du hast dich ja heute schon in diesem Buch informiert.“ „Heißt das, was in dem Buch steht, ist wahr?“, fragte Samantha neugierig. „Zum Teil. Ungefähr die Hälfte. Das Buch wurde von einem Wissenschaftler verfasst, der sich mit Engeln sein ganzes Leben lang beschäftigt hat. Er hat einen aufgespürt und ihn gefoltert, um an Informationen zu kommen. Jedoch war dieser Engel alt und bei gesundem Verstand und hat ihm größtenteils Schwachsinn erzählt. Er verständigte sich mit seinem Meister und der Wissenschaftler wurde umgebracht.“ Kira bemerkte Samanthas fragende Blicke. „Du kannst mich ruhig fragen, was du willst. Deswegen bin ich hier.“ Und sofort fing Samantha an: „Was bist du? Zu was für einer Seite gehörst du und was ist mit Lilith, Duncan, Shannon und Kyna?“ „Nun, ich bin eine Botschafterin“, begann sie und hatte dabei einen sehr komischen Unterton, als würde mehr hinter dieser Sache stecken. „Ich habe von meinem Meister den Auftrag bekommen, dich über alles aufzuklären. Sei nicht geschockt, aber mein Meister ist Victor, der Herrscher der Unterwelt. Lilith und Duncan gehören zu uns und Shannon und Kyna sind die Feinde – Erzengel.“ Samantha hatte verstanden und nickte. „Ich bin nicht schockiert, solange ihr mir nichts tut.“ „Wie könnt ich denn! Es ist mir streng verboten, dir nur ein Haar zu krümmen, genauso wie jedem anderen.“ „Warum?“ „Wir brauchen dich, Samantha. Du bist die Auserwählte, die in der Sage genannt wird. Zwischen den beiden Engelsvölkern herrscht seit dem sechzehnten Jahrhundert Krieg. Der Auslöser ist unbekannt und vor knapp zweihundertfünfzig Jahren verschärfte sich die ganze Situation noch einmal. Laut der Sage schlägt sich das Auserwählte Mädchen auf die Seite ihrer Wahl und diese wird den Krieg gewinnen.“ Kira machte eine dramatische Pause. „Du bist wichtig für uns alle, Samantha. Du allein entscheidest, wie dieser Krieg ausgeht.“ Zögernd nickte sie. „Keine Sorge. Du wirst alles lernen, was es zu lernen gibt. Stell jetzt deine anderen Fragen.“ „Sind Engel Wesen aus anderen Dimensionen? Wieso werden sie auch als Lichtwesen bezeichnet? Und erschafft Gott nur Engel, die den Menschen dienen?“ „Die Engel stammen in der Tat aus anderen Dimensionen. Erzengel leben normal im Himmelreich, was man aber als Mensch nicht erreichen oder überhaupt finden kann, außer die Engel wollen es so. Das gleiche bei den Racheengeln und der Hölle. Du darfst dir die Hölle nur nicht so vorstellen, wie irgendwelche Menschen es erfunden haben. Bei uns sind zwar sehr tropische Temperaturen, aber es ist nicht höllisch heiß und die Erde ist auch fruchtbar. Wie in der Nähe des Äquators – der menschliche Aberglaube ist also falsch. Zu den Lichtwesen, nun, nicht mehr alle Engel gelten dazu. Allein die Erzengel werden nur noch als Lichtwesen bezeichnet. Die Racheengel gelten als Schattenwesen. Nun weiter. Die ersten Engel wurden von Gott erschaffen, jedoch passiert das nun nicht mehr. Allein die Todesengel legen fest, welche der Menschen nun nach ihrem Tod würdig sind, ein Engel zu werden. Jedoch hat Raziel im Himmel und Victor in der Hölle das Sagen.“ „Raziel und Victor?“ „Ja. Raziel ist der Neffe des ersten Gottes, Geriel, und Victor ist Sohn des ersten Teufels, Luzifer. Von letzterem hast du sicher schon gehört. Raziel war, bevor er Gott wurde, ein Sonderbeauftragter für die Geheimhaltung der Engel. Als Geriel verstarb wollte er, dass sein Neffe, anstatt seines Sohnes, der neue Gott wurde, weil er ihn als würdig empfand im Gegensatz zu seinem eigenen Sohn. Victor dagegen war, bevor er zum Herrscher der Unterwelt gekrönt wurde, der engste Berater seines Vaters. In der Hölle ist es so, dass nur die eigenen Kinder den Thron besteigen können. Es gibt sogar einen Fluch gegen die Engel, die die Macht dort an sich reißen wollen.“ Kira streckte sich, sprang vom Bett und setzte sich auf den Fußboden. „Lilith ist seine Tochter, also die Prinzessin der Racheengel. Irgendwann wird sie mal den Thron besteigen.“ Samantha setzte sich überrascht auf. „Lilith ist die Tochter des Teufels?!“ Kira nickte und die Braunhaarige ließ sich darauf ungläubig in die Kissen zurückfallen. „Ich war mit der Prinzessin der Unterwelt befreundet.“ „Du bist es noch, wenn du es willst, Samantha.“ Nach einigen Minuten des Schweigens stellte sie ihre nächsten Fragen. „Haben Engel ihren eigenen, freien Willen und dürfen leben wie sie wollen? Oder wie ist das?“ „Ja, Engel haben ihren eigenen, freien Willen und führen ihr eigenes Leben nach ihren Vorstellungen. Jedoch unterstehen sie alle ihrem Herren, dem sie gehorchen müssen und das ohne Widerrede. Die Millionen von Engel, die es gibt, sind wie Menschen. Kein Engel gleicht einem anderen. Ihre Aufgaben und Berufe sind nach ihren Interessen und ihren Begabungen gegliedert, ebenfalls wie bei Menschen. Manche wandeln auch unter Menschen und geben sich als solchige aus, um ihnen zu helfen, sie ins Verderben zu stürzen oder sie einfach nur zu beobachten. Sie unterscheiden sich, wie du siehst, nicht komplett von Menschen. Nur die Magie ist anders.“ „Sind Engel mächtig genug um Menschen zu manipulieren oder sogar zu kontrollieren und geschieht das auch bei mir?“ „In der Tat können Engel Menschen auf eine gewisse Weise beeinflussen. Jedoch funktioniert das Kontrollieren nicht mehr. Beide Herrscher haben mit ihrer Magie diese Möglichkeit blockiert. Somit ist es verboten, Menschen zu kontrollieren.“ Samantha nickte und stellte dann die nächste Frage: „Diese Engelshierarchie war zu kompliziert. Die hab ich nicht wirklich verstanden. Könntest du mir die erklären?“ „Meinst du die mit den Chören?“ Samantha nickte. „Nein.“ Jetzt stand Samantha Verblüffung ins Gesicht geschrieben. „Wieso nicht?“ „Weil diese Hierarchie nicht mehr existiert. Sie war sehr veraltet und fehlerhaft. Deswegen wurde sie abgeschafft. Jetzt sind Engel alle einer Gattung, jedoch haben sie unterschiedlichen Einfluss auf andere. Wie Menschen.“ „Achso. Ich dachte du musstest ein Schweigegelübde oder so ablegen.“ „Nein.“ Ihre Stimme klang sehr amüsiert. Samanthas nächste Frage konnte Kira nicht sofort beantworten, was man ihr auch ansah. Das Mädchen wollte mehr über die drei Erzengel wissen, die in der Bibel erwähnt wurden. „Michael, Gabriel und Raphael hatten in der alten Hierarchie wirklich eine wichtige Rolle. Michael hatte ja damals Luzifer besiegt und dieser konnte dadurch in die Hölle verbannt werden. Da es diese Hierarchie ja nicht mehr gibt, waren die drei Erzengel genauso wie jeder andere. Jedoch wird ihnen nachgesagt, dass sie trotzdem sehr mächtig seien und immer noch eine gewisse Sonderstellung genießen. Mehr weiß ich jedoch auch nicht über sie.“ „Was ist mit den vielen Aufgaben, die Engel haben? Erzähl.“ „Nun ja, jeder Engel hat seine spezielle Aufgabe – festgelegt nach seinen Interessen und Begabungen. Da gibt es, zum Beispiel, die Wächter, die für das Bewachen der Tore und die Paläste zuständig sind. Dann gibt es Schutzengel, deren Aufgaben sogar bei euch Menschen bekannt sind. Die sogenannten Schreiberengel unterstehen den beiden Todesengeln und helfen ihnen über Gerechtigkeit zu walten. Kriegsengel gibt es viele seit dem sechzehnten Jahrhundert. Duncan ist, zurzeit, auch einer. Aber es gibt viel mehr Berufe als die paar, die ich dir gerade genannt habe. Viele Engel passen sich den Menschen immer mehr an und führen eure Berufe aus. Mir ist bekannt, dass ein bekannter Anwalt und auch ein erfolgreicher Modedesigner in eurer Welt in Wahrheit Engel sind.“ Samantha war sichtlich erstaunt. „Echt? Wer denn?“ „Personenschutz meine Liebe. Ich darf das nicht sagen. Viele Engel wollen nicht erkannt werden.“ Kurz nickte sie. „Wartest du bitte mal kurz? Ich mag mir was zu trinken holen.“ „Natürlich. Nur keine Eile.“ Samantha stand dann langsam aus dem Bett aus und tappte in die Küche. Als sie wiederkam saß Kira auf der Fensterbank und schaute ihr nach. Samantha nahm einen Schluck aus dem Glas. Dann stellte sie es auf den Nachtschrank, rechts neben ihrem Bett, und fragte weiter: „Die Geschichte mit Michael und die Entstehung der Höllenengel – ist sie wahr?“ „Oh ja. Sie stimmt, bis auf die Tatsache, dass die Höllenengel heute meist Racheengel genannt werden. Und die ganzen Aufgaben, die du in diesem Buch gelesen hast über die Racheengel, sie haben heutzutage viel mehr zu tun als nur zu foltern oder allen böses zu tun. Die Zeiten haben sich geändert. Klar stehen Racheengel genauso wie der Teufel für das Böse in Person, aber es ist nicht mehr ganz so schlimm. Sie können auch Menschen helfen, gegen eine Gegenleistung. Aber helfen ist nicht ihre Stärke, das muss dir immer bewusst sein.“ Ehe Samantha was sagen konnte redete Kira bereits weiter. „Dieser Dämon, von dem in dem Buch gesprochen wurde, die Racheengel besitzen wirklich einen. Er macht sie zu grausamen Kreaturen und gibt ihnen schlechte Charaktereigenschaften. Ohne diesen Dämon wären sie wirklich liebenswert – sie sind eben nicht von grundauf falsch. Aber sie haben ihren Dämon meistens im Griff. Er kommt nur zum Vorschein, wenn sie ihn brauchen oder richtig sauer sind, dann hat er die Überhand, da sie die Kontrolle verlieren. Den Dämon zu kontrollieren ist die allererste Fähigkeit, die Racheengel beigebracht bekommen. Sogar vor dem Fliegen und anderen grundlegenden Dingen.“ „Apropos, Fliegen. Ich habe bei Lilith, Duncan, Shannon und Kyna nie Flügel gesehen?“ „Das ist leicht zu erklären. Sie sind erfahrene Engel. Eine andere grundlegende Fähigkeit ist nämlich, einen Zauber zu erlernen, mit denen man die Flügel verschwinden lassen kann. So kann man unentdeckt unter Menschen wandeln.“ Samantha nickt verstehend. Sie hatte es kapiert. Das ganze passierte ebenfalls mit Magie, so wie fast alles, was mit Engeln zu tun hatte. „Als letztes solltest du vielleicht noch grundlegende Dinge über die Todesengel erfahren, dann denke ich, dass es für den Anfang reicht.“ Samantha nickte und die schwarze Katze begann zu erzählen: „Es gibt insgesamt zwei Todesengel, Azrael ist der Todesengel des Himmels und Sarina ist der Todesengel der Hölle. Sie entscheiden in ihrem Machtbereich über Leben und Tod und darüber, welche verstorbenen Menschen wiedergeboren werden oder nicht. Dazu haben sie ein Buch, wo sie die Namen der Neugeborenen eintragen und die, die sterben sollen, werden durchgestrichen und somit ausgelöscht. Deswegen müssen sie zusammenarbeiten und unabhängig davon, dass Krieg herrscht, verstehen sie sich. Beide leben in London und haben dort ihren Sitz. Auch arbeiten sie meist nur – sie unterscheiden sich eben sehr von anderen Engeln.“ Samantha nickte. „Danke, dass du mir alles erzählt hast.“ „Das war zwar noch längst nicht alles, aber wie gesagt, für den Anfang reicht es.“ Kira sprang wieder von der Fensterbank herunter und ging zu Samantha. „Und? Was hast du jetzt vor?“ „Ich weiß nicht… du hattest gesagt, ich bin wichtig dafür, wie der Krieg ausgeht. Das heißt, ich muss mich entscheiden?“ „Ja, aber nicht sofort. Das heißt, es wäre gut, aber du musst nicht. Lass dir Zeit.“ Kira ging zur Tür und sofort läuteten bei Samantha sämtliche Alarmglocken. „Wo willst du hin?“ „Mein Meister will mit mir reden. Keine Angst, du kommst allein klar. Wenn du mich brauchst dann ruf mich, ich werde kommen.“ Damit ging sie. Samantha ließ sich in die Kissen zurücksinken. Das ganze war unglaublich. Sagenhaft. Engel, sie existierten wirklich! Sie hatte ihre magische Seite immerhin mit eigenen Augen gesehen. Trotzdem fragte sie sich, wieso gerade sie, Samantha Cameron, ein ganz normales Mädchen, die Person sein soll, die entscheidet, wie der Krieg zwischen den Engeln ausgeht. Das war unfassbar. Sie wusste doch gar nicht, welche Seite gewinnen sollte und kannte sich mit allem gar nicht aus. Natürlich hatte Kira ihr einiges erzählt, aber wie sollte ihr das bei ihrer Entscheidung helfen? Ein Seufzen entrang ihrer Kehle. Vielleicht waren sie auch nur alle nett zu ihr gewesen, um sie einzuwickeln. Sie zu überreden, auf ihre Seite zu kommen. Angst erfasste sie. War das ganze nur Mittel zum Zweck gewesen? Vor allem von Lilith, der sie im ersten Moment an vertraut hatte. Hat sie sie nur benutzt, dass sie sich am Ende für sie entscheidet? „Nein… das kann nicht wahr sein…!“ Samantha sprang förmlich auf. „Das kann einfach nicht wahr sein! Ich wurde wieder nur benutzt!“ Hastig ging sie in den Flur, zog sich ihre Jacke über genauso wie ihre Sneaker, und rannte aus ihrer Wohnung, ihrer kleinen Zuflucht, die sie versuchte zu erdrücken. Mittlerweile war es Anfang Juni. Den gesamten restlichen Mai hatte Samantha krank gemacht. Sie konnte diesen Verrat einfach nicht verkraften. Und sie wollte sie nicht sehen. Die Personen, denen sie vertraut, und die ihr weh getan hatten. So wie es bis jetzt immer in ihrem Leben abgelaufen war. Sie hatte weder Kira gerufen noch die Engel reingelassen, die öfters bei ihr geklingelt hatten um sich nach ihr zu erkundigen. Wenn sie sich wirklich um mich gesorgt hätten, dann wären sie auch mit ihrer Magie reingekommen, dachte die Braunhaarige betrübt und zog ihre Jacke enger um ihren Körper. Das Wetter bildete einen krassen Kontrast zu ihren Gefühlen. Die warme Junisonne schien unentwegt und brachte die vielen Blumen durch den Tau zum glitzern. Der kleine Brunnen plätscherte fröhlich vor sich hin und die Vögel zwitscherten und flogen eifrig umher, um Äste zu sammeln für ihre Nester. Samantha stand auf dem Friedhof. Vor ihr das Grab ihrer Eltern. Sie wollte nicht die ganze Zeit zu Hause bleiben. Deswegen hatte sie beschlossen, dass ein bisschen frische Luft ihr gut tun würde. Hier stand sie nun. Seit langer Zeit hatte sie sich wieder hergetraut. Das Grab war von der Witterung etwas runtergekommen. Der Grabstein selbst aber leuchtete immer noch in einem reinen weiß. Samantha tat den Strauß Blumen, den sie vorher beim Gärtner gekauft hat, in die Vase und zupfte etwas Unkraut heraus. Zu lange hatte sie sich nicht darum gekümmert. Das wollte sie nachholen. Das Grab war schön angelegt. Zwei kleine Büsche hatten ihren Platz neben dem Stein gefunden und im Vordergrund war ein Beet aus verschiedenen Blumen angelegt die in den Farben des Frühlings leuchteten. Kleine Grablichter gestalteten es zusätzlich und der Strauß mit den Blumen perfektionierte das ganze. Auf dem Grabstein stand ein kleiner Psalm aus der Bibel, dann folgten die Namen von Samanthas Eltern sowie deren Geburts- und Sterbedaten. Das kleine eingemeißelte Bild eines Kreuzes vollendete es. Die Braunhaarige entschloss sich die Blumen zu gießen nachdem das gröbste Unkraut entfernt war. Als dies vollbracht war strich sie gedankenverloren über den kalten Stein. Ihr fielen viele Erinnerungen an ihre Eltern ein. Schöne Erinnerungen. Einmal war sie mit ihnen auf einem Ponyhof. Erst wollte sie sie dazu überreden, ein eigenes Pony zu bekommen, aber ihr Vater hatte da natürlich etwas dagegen. Dafür nahmen sie sich eine Woche Urlaub auf einen Hof. Ihr Vater hatte weniger Freude an dieser Woche gefunden, da sein Pferd ihn gleich am ersten Tag abwarf. Samantha lächelte. Sogar sie mit ihren damals fünf Jahren konnte besser reiten als ihr stattlicher Vater. Ihre Mutter hatte nur herzlich gelacht. Ihr Lachen war bezaubernd. Kein Wunder das ihr Vater sie geliebt hatte. Sie war bildschön gewesen. Und nichts davon hatte sie Samantha vererbt. Ein anderes Mal hatte Samantha das Bad überschwemmt. Sie hatte damals Wasser geliebt und wollte unbedingt Boot fahren. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie alle Wasserhähne aufgedreht hatte und auf einer Welle aus dem Bad geschwommen war. Zuerst war es für ihre Eltern ein Schock gewesen, aber sie konnten ihrer Tochter einfach nicht böse sein und musste herzlich Lachen über die Dummheit, die sie vollbracht hatte. Ja, es waren schöne Erinnerungen, die sie an sie hatte. In solchen Momenten war die Sehnsucht nach den beiden riesig. Am liebsten wäre sie bei ihnen. „Samantha?“ Plötzlich vernahm sie eine Stimme, die sie aus ihrer Gedankenwelt riss. Langsam drehte sie sich um und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. To be continued. Kapitel 6: Decision ------------------- Entscheidung Sie starrte die Person, die zu ihr getreten war, an. Sein schwarzes Haar war leicht durchwühlt und einzelne Strähnen wehten im frischen Juniwind. Seine Haut war genauso weiß wie sie sie in Erinnerung hatte. Seine grauen Augen, die sie heute an Quecksilber erinnerten, ruhten auf ihr. Aus ihnen lesen konnte man nicht. Samantha blieben die Worte im Hals stecken. Sie war nicht darauf gefasst gewesen, Duncan hier zu treffen. Sie war überhaupt nicht vorbereitet irgendjemanden zu treffen. Und er gehörte zu den letzten Personen, die sie sehen wollte. Er trat neben sie und warf einen Blick auf den weißen Marmorstein. Mit seinen Fingern strich er vorsichtig über den Stein. Samantha konnte nicht anders, sie musste ihn einfach anstarren. Sie wusste, dass sie wie eine Idiotin wirken musste, konnte aber nichts dagegen machen. „Owen und Melina Cameron“, las er mit seiner samtrauchigen Stimme leise vor. „Deine Eltern?“ Sie nickte leicht und ihr Blick trübte sich etwas. Duncan beobachtete sie sehr aufmerksam. „Du vermisst sie“, stellte er deswegen sofort fest. Wieder nickte sie. Dann rang sie sich dazu durch mit ihm zu erzählen, auch wenn sie das nie wieder tun wollte. „Ich war gerade mal sechs als sie starben. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Und seitdem war ich allein.“ Duncan stellte jetzt erst fest, wie gebrochen sie in ihrem inneren wirklich war. „Das tut mir leid.“ Samantha winkte leicht ab. „Schon gut. Ich bin s gewohnt allein zu sein…“ „Lilith und ich waren in den letzten Wochen öfters bei dir. Sie hat sich Sorgen gemacht, weil du solang nicht in der Schule warst. Was war los?“ „Ich war krank.“ Sie wendete den Blick von seinen Augen ab, um die Lügen zu vertuschen. Er nickte knapp und dann verfielen sie in Schweigen. Aber kein angenehmes. Es war erdrückend. „Ich weiß, was du bist“, stieß sie plötzlich hervor, sodass Duncan sie überrascht anblickte. „Kira?“ Sie nickte. „Durch sie war ich dann sicher, dass meine Überlegungen richtig waren.“ „Du bist eben sehr schlau und beobachtest genau.“ Eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. „Wie ist es so als Engel?“ Er zuckte die Schultern. „So wie es für dich als Mensch ist.“ „Darf ich dich etwas fragen?“ „Klar.“ „Wieso bin gerade ich die Person, die so wichtig ist für euch? Ich finde einfach keinen plausiblen Grund.“ „Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass die beiden, die deine Eltern seien sollen, nicht deine leiblichen sondern deine Adoptiveltern sind?“ „Wieso würdest du sowas behaupten wollen?“ „Weil es die Wahrheit ist.“ Samantha wollte lachen, es als Lüge abtun, doch Duncans Gesicht war ernst und in seinen Augen konnte sie nichts als die Wahrheit lesen. „Woher willst du das wissen?“ Samantha war misstrauisch und verunsichert. Ohne Beweise würde sie ihm niemals glauben. „Ich kannte deinen Vater und habe einfach etwas nachgeforscht um mir sicher zu sein.“ Samantha schüttelte abwehrend den Kopf und wich einen Schritt zurück. „Ich glaube dir kein Wort.“ „Du kannst mir vertrauen.“ „Woher weiß ich das?“ Er ging einen Schritt auf sie zu und sie wich sofort einen weiteren zurück. „Hör zu, Samantha. Die ganze Zeit haben Lilith und ich dir geholfen, meist mit Magie, sodass du es nicht mitbekommen hast.“ Sie schnappte nach Luft. „Und woher weiß ich, dass du das mir nicht einfach erzählst, um mich auf eure Seite zu kriegen?“ „Wenn ich das machen wollte, würde ich das ganz anders tun. Ich bin immerhin ein Engel aus der Hölle.“ Samanthas Instinkte bestätigten ihr, dass er mit gefährlichen Taten handeln könnte, wenn er das wirklich wollte. Aber er tat es nicht. Zögernd nickte sie. „Versuch mich zu überzeugen.“ Duncan überlegte kurz. „Das erste Mal hat Lilith dir geholfen, als Yessica dich auf der Mädchentoilette eingesperrt hatte. Was hat sie zu dir gesagt, wie sie dich gefunden hat?“ „Dass sie Yessica schon länger beobachte.“ „Eigentlich hat sie eher dich beobachtet um für deinen Schutz zu Sorgen. Die Tür hat sie mithilfe von Telekinese ausgehangen, sodass du raus konntest.“ „Ihr benutzt Telekinese?“ Duncan nickte. „Eine Grundfähigkeit.“ „Lilith hatte mir dann ein Taschentuch gereicht, womit ich mir das Gesicht abwischen sollte. Danach ging es mir sofort besser. War das auch Magie?“ „Ja.“ „Du bist auch sicher kein Techniker bei einem Autokonzern?“ „Hat sie das gesagt?“ Sie nickte und Duncan lächelte. Jedoch stellte Samantha sofort fest, dass es kein echtes Lächeln war. Es erreichte nämlich nicht seine Augen. Schließlich kam er zurück zum eigentlichen Thema. „Als ihr einfach quer über den Schülerparkplatz gelaufen seid ward ihr von einem Schutzschild umgeben. Und den genauen Weg zu deinem Haus wussten wir dadurch, dass wir dich öfter beobachtet hatten.“ Samantha nickte erneut. „Als ihr an dem Strand ward und Kyna und Shannon getroffen habt, da –“ „Du warst in der Nähe? Ich dachte schon, mein Gefühl täuscht mich.“ Auf Samanthas verwirrten Blick erklärte er. „Ich kann durch mein langes Lebensalter mehr Dinge als zum Beispiel Lilith. Eine Fähigkeit ist, dass ich verschiedene Auren unterscheiden und analysieren kann.“ Wieder nickte sie und rätselte insgeheim, wie alt Duncan wohl sei. „Vertraust du mir jetzt mehr?“, fragte Duncan sie als wieder etwas Wind aufkam. Samanthas Haare wurden nach vorne geweht und Duncan stand urplötzlich vor ihr. Sie blinzelte als sie eine Berührung spürte. Duncan schob ihr einige Haarsträhnen hinter ihr linkes Ohr. „Ich weiß nicht genau“, brachte sie hervor. Duncan ließ seine Hand wieder sinken, wobei ihr wieder dieses Sternentattoo auffiel. „Ich kann nicht schnell Vertrauen aufbauen.“ „Versteh ich. Geht mir genauso.“ Samantha blickte verwundert zu ihm auf, doch Duncan hatte den Blick abgewandt. Zu gern würde sie wissen, was er erlebt hatte. Ihn verstehen und, wenn er es brauchte, ihn trösten. Schnell schüttelte sie den Gedanken wieder ab. Duncan würde ihr so etwas niemals erzählen, geschweige denn es zulassen, dass sie ihn bemitleiden oder trösten konnte. Dieser Mann war ein einziges Rätsel. Jedoch fragte sie sich, wieso er sie berührt hatte. Sicher war es nur ein Reflex gewesen. Hör auf dir auf alles was einzubilden, Samantha., ermahnte sie sich selbst. Ihr Blick fiel wieder auf den Grabstein. „Meine Eltern. Kannst du mir mehr über sie erzählen? Also, über meine richtigen Eltern?“ Sie glaubte ihm, dass es nicht ihre richtigen Eltern waren, die hier auf diesem Friedhof begraben waren. Wieso? Samantha wusste es nicht. Ein inneres Gefühl trieb sie einfach dazu. Sie konnte es sich nicht erklären. Duncan schien verblüfft. „Du glaubst mir also?“ „Fürs erste schon. Vielleicht kommen sie mir näher als die, die hier liegen.“ Hoffnungsvoll schaute sie ihn an. „Kann ich sie kennenlernen?“ „Sie leben nicht mehr.“ Er hob sofort die Hand, als wollte er sie beschwichtigen. „Aber ich werde dir alles erzählen, was ich weiß. Auch wenn es ein verbotenes Thema ist, ich verspreche es dir. Und meine Versprechen halte ich immer.“ Leicht nickte sie. „Wann?“ „Sobald du mich in die Hölle begleitet hast.“ Samantha erstarrte. „Ich soll mich entscheiden…für eure Seite?“ „Der Himmel könnte dir nichts über deine Eltern erzählen.“ „Wieso das?“ „Das hat mit deinem Vater zu tun.“ Ein Seufzen entglitt ihm. „Ich kann dir das hier wirklich nicht erklären, Samantha. Vertrau mir einfach.“ Er streckte seine Hand aus und suchte Augenkontakt. Graue Augen blickten sie an. „Bitte.“ Sie zögerte. „Haben meine Eltern etwas damit zu tun, warum ich anders bin als andere? Das ich mich hier nicht wohlfühle?“ „Ja. Auch das hat damit etwas zu tun.“ Und diese Aussage war der ausschlaggebende Punkt für Samantha. Sie legte ihre Hand in seine. „Ich vertraue dir.“ „Ich werde es nicht missbrauchen.“ „Willst du das auch mitnehmen?“ Lilith hielt ein rosa Shirt mit einem Aufdruck darauf hoch. „Ich weiß nicht. Was meinst du denn?“ Die Blondine seufzte. „Samantha, so geht das schon die ganze Zeit. Dann such ich eben alle Sachen zusammen, die für die Hölle geeignet sind und du erzählst oder fragst mich was.“ Samantha fing an nachzudenken. Nachdem sie Duncan ihr Vertrauen gegeben hatte, war er mit ihr zu ihrem Haus gefahren. Dort hatte er Lilith angerufen und war kurz danach gegangen. Die Blondine selbst half ihr seitdem beim Packen. „Wo ist Duncan denn hin?“ Lilith nahm ein schwarzes Oberteil, besah es sich und packte es ebenfalls ein. „Er erledigt noch einige Dinge. Er meldet uns beide in der Schule ab und klärt alles mit dem Heim ab. Offiziell wirst du umziehen, nach Neu England.“ Sie grinste. „Umziehen tust du ja – nur nicht so ganz nach Neu England.“ „Ich hatte mich schon gefragt, wie ihr mein Verschwinden erklären wollt.“ Samantha wurde plötzlich ganz still. Lilith bemerkte das und richtete ihren Blick auf sie. „Alles okay?“ „Es gibt dann kein zurück mehr, richtig?“ Lilith kam zu ihr und ließ sich neben ihr nieder. „Nicht wirklich, nein. Dein Leben wird sich von Grundauf verändern.“ Sie legte ihre Hand auf Samanthas Arm. „Aber du gehörst nicht hierher. Du gehörst in unsere Welt, Sam. Ich darf dich doch Sam nennen? Oder Sammy?“ Die Braunhaarige lächelte leicht. „Ja, darfst du.“ „Sehr gut.“ Lilith lächelte ebenfalls, stand auf und sortierte weiter. „Wo werde ich denn dann wohnen? Und wie kommen wir in die Hölle?“, fragte sie nach einigen, eher schweigsamen, Augenblicken. Lilith schmiss ein graues Top in die Tasche und machte sich über Hosen und die wenigen Röcke her. „Das klärt Duncan ebenfalls. Mein Vater weiß zwar schon Bescheid, aber so vieles muss noch geklärt werden. In die Hölle selbst kommst du nur durch unsere Hilfe. Aber wieso erzählen? Wir zeigen es dir dann. Das ist viel aufregender.“ Lilith strich sich einige Haarsträhnen zurück. „Also, ganz ehrlich. Deine Klamotten sind nicht wirklich höllentauglich. Und es wirkt alles so, nehm es mir bloß nicht übel, wie graue Maus, Mauerblümchen. Wenn wir zu Hause sind gehen wir erstmal richtig shoppen.“ „Aber ich hab doch kein Geld.“ Lilith grinste. „Aber ich hab genug für uns beide.“ Erst jetzt fiel Samantha wieder ein, dass die Blondine ja die Prinzessin der Racheengel war. „Stimmt. Du bist ja die Prinzessin…“ „Hey, für dich bin ich nur deine Freundin Lil. Behandel mich bloß nicht anders als bisher, das möchte ich nicht.“ „Ist okay.“ Lilith verstaute die letzten Sachen in der Tasche und zog den Reißverschluss zu. Dann setzte sie sich zu Samantha. Dann seufzte sie leise. „Weist du, es ist schwer für mich richtige Freunde zu finden.“ Sie spielte mit ihren Fingern als sie fortfuhr. „Weil ich die Prinzessin bin weiß ich nie, wer mein Freund sein will wegen meiner Person und wer mein Freund sein will wegen meinem Status, meinem Ruf oder einfach nur wegen dem Ruhm, dem Ansehen, welches meine Freunde hätten. Deswegen bin ich eher allein.“ Samantha konnte sie verstehen. Lilith ging es so ähnlich wie ihr. Sie war allein. Nur das es bei ihr durch einen anderen Grund war als bei der Prinzessin. Vielleicht konnten sie das ändern. Indem sie sich gegenseitig die Einsamkeit nahmen und Freunde wurden. Falls sie das nicht schon längst waren. Lilith erhob sich. „Ach, auch egal. Du kennst das wahrscheinlich selber zur genüge. Jetzt geht es erstmal darum, dass wir dich in die Hölle kriegen.“ Ungeduldig blickte sie auf ihre Uhr. „Tja, wir sind fertig. Fehlt nur noch Duncan.“ „Ich bin hier“, kam es plötzlich aus Richtung Türrahmen. Sowohl Samantha, als auch Lilith zuckte zusammen. Die Blondine fing sich eher wieder und starrte Duncan leicht bösartig an. „Warte nur. Das kriegst du irgendwann zurück.“ „Ich hab dich auch lieb, Lil.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Schön, da wir das jetzt geklärt haben, können wir?“ Bevor Duncan antworten konnte, rutschte Samantha eine Frage heraus: „Wie lange kennt ihr euch schon?“ Sofort ruhten zwei Augenpaare auf ihr. „Duncan und ich, wir kennen uns seit meiner Geburt. Mein Leben lang hat er auf mich aufgepasst, stand mir immer zur Seite und war bis heute mein bester Freund – und der einzige, muss man dazu sagen. Das hatte ich vorhin vergessen, zu erwähnen.“ Sie lächelte. „Nicht einmal ich kenne mich so gut wie er mich kennt.“ „Soll vorkommen, Prinzessin.“ Duncan nahm die Reisetasche hoch und schulterte sie. „Kommt ihr? Wir müssen erst noch ein Stück mit dem Wagen fahren.“ Als sie in dem Park, etwas außerhalb von Los Angeles, ankamen, war es bereits dunkel. Der Park selbst wurde von einigen Laternen, die an den Wegrändern standen, erleuchtet. Duncan stellte die Reisetasche auf eine Parkbank ab. Nicht unweit davon saßen Samantha und Lilith. „Bist du endlich soweit, Duncan?“ Die beiden kamen zu ihm herüber. Er hatte sie vor wenigen Minuten abgeladen und das Auto mithilfe von Magie in die Hölle geschickt. Er liebte seinen Wagen und musste selbst feststellen, dass ihm kein einziger Kratzer in den Lack kam. An Liliths Blick konnte er erkennen, dass sie wusste, was er gemacht hatte. Aber er hatte auch den Torwächter Bescheid gegeben, damit sie Samantha durchließen ohne sie umzubringen. Lebende Menschen war es sonst nicht gestattet, die Hölle zu betreten. Und im Moment war er für sie verantwortlich. Sie brauchten Samantha lebend. Da führte kein Weg daran vorbei. „Ja, ich bin soweit.“ Lilith schaute Samantha durchdringlich an. „Bereit?“ Die Braunhaarige sah entschlossen aus. „Bereit.“ To be continued. Kapitel 7: The Hell ------------------- Die Hölle Ein leichter Wind kam auf. Samantha fröstelte etwas und zog ihre Jacke enger um sich. Lilith fing darauf an zu grinsen. „Keine Sorge, Sammy. Gleich schwitzt du wie ein Affe.“ „Schwitzen Engel etwa auch?“ Neugierig und fragend schaute sie abwechselnd Lilith und Duncan an. „Ja, klar tun sie das. Wir ähneln Menschen sehr stark.“ Die Blondine runzelte leicht die Stirn. „Na ja, bis auf die Flügel, die übernatürlichen Fähigkeiten und –“ Duncan unterbrach sie. „Ist gut, Lilith. Das Tor ist auf und das wird es nicht ewig bleiben.“ Seine Stimme klang leicht unwirsch. Dann wanderten seine grauen Augen zu Samantha. „Hör mir genau zu.“ Auf Samanthas Nicken hin fuhr er fort. „Du nimmst jetzt meine Hand und wirst sie nicht loslassen, hörst du? Egal was passiert, lass bloß nicht los. Sonst hängst du entweder für immer in der Zwischenwelt fest oder stirbst auf der Stelle.“ Als Lilith den erschrockenen Blick von der Cameron auffing erklärte sie: „Bisher ist es noch keinem Menschen gelungen lebend in der Hölle anzukommen. Recherchen von unseren Professoren haben ergeben, dass keiner der Menschen, die es versucht hatten, Hautkontakt mit den Engeln hatten, mit denen sie kommen wollten.“ Samantha schluckte. „Heißt das, es ist nicht sicher, ob das funktioniert?“ „So in etwa. Aber es gibt keine andere Möglichkeit.“ Duncan hielt ihr seine Hand hin, aber sie zögerte. „Ich habe Angst“, gestand sie. „Ich habe Angst wirklich loszulassen.“ Stumm richtete sich ihr Blick auf den Boden. Sie spürte plötzlich eine warme Hand an ihrer Wange. Dann wanderte sie zu ihrem Kinn und schließlich war sie gezwungen nach oben zu blicken. Sie schaute direkt in tiefe, graue Augen, die für sie keinen Boden zu haben schienen. Bevor sie anfangen konnte, sich in ihnen zu verlieren, verschwand die Hand an ihrem Kinn. „Solange du nicht vorhast loszulassen wirst du das auch nicht tun.“ Dann nahm er ihre Hand. Aber Lilith zweifelte. „Duncan, vielleicht solltest du sie lieber hochnehmen, nur um sicher zu gehen. Das wäre besser, oder was meinst du, Sammy?“ Sie nickte leicht – und gleichzeitig eingeschüchtert. „Okay“, willigte Duncan ein. „Aber nicht auf den Rücken.“ Keine zwei Sekunden später fand sich Samantha auf seinen Armen wieder. Eine Hand lag auf ihrem Rücken und hielt sie dort und die andere bei ihren Knieskehlen. „Sam, halt dich an ihm fest. Duncan ist nicht zerbrechlich.“ Die Braunhaarige kam Liliths Rat nach und klammerte sich mit einer Hand in sein Oberteil. Den anderen Arm legte sie um seinen Hals. „Bereit, Prinzessin?“ „Ja, ich bin soweit. Dann sehen wir uns gleich am Tor.“ Sie machte eine schwungvolle, komplizierte Handbewegung und war im nächsten Moment verschwunden. „Halt dich gut fest, egal was passiert.“ Ihr Körper vibrierte als Duncan sprach. Er ließ kurz die Hand von ihrem Rücken gleiten und tat die gleiche Handbewegung wie Lilith kurz vor ihm. Sofort verschwamm Samanthas Sicht und augenblicklich krallte sie sich mehr in Duncans Shirt und schloss die Augen. Eine magische Energiewelle riss sie mit sich. Der Druck der Welle war zu stark und Samantha hatte alle Mühe sich festzuhalten. Doch Duncans starker Griff hielt sie fest und sicher an seinem Körper gepresst. Dann wurde es friedlich um sie herum. „Mach die Augen auf“, flüstere es plötzlich an ihrem Ohr und sie gehorchte. Was sie sah raubte ihr die Sprache. Der Park war längst verschwunden. Nun war sie von einem tiefschwarzen Himmel umgeben, der jede Sekunde von einer anderen, strahlenden Farbe erleuchtet wurde. Viele helle und dunkle Lichtpunkte waren unterwegs. Und sie standen mitten in dieser Sphäre. „Das ist die Zwischenwelt. Sie verbindet die Menschenwelt mit unserer Welt.“ Duncan sprach leise aber dank einem Echo verstand sie jedes Wort aufs Genauste. „Die erste, schwache Energiewelle haben wir bereits hinter uns gelassen.“ ’Schwache’ Energiewelle. „Ich hab’s bemerkt.“ Ihre Augen verfolgten die unzähligen Lichtpunkte, die sich blitzschnell bewegten. „Was sind das für Lichtpunkte?“ „Das sind andere Engel, die auf der Durchreise sind. Die richtig grell strahlenden sind die Erzengel und die matten, dunkleren die Racheengel. Das gute hier ist, dass man andere Engel wirklich nur als diese Lichtpunkte sieht. So kann man sich nicht bekriegen.“ Samantha bemerkte plötzlich, dass wie aus dem nichts zwei grell leuchtende Punkte in rasender Geschwindigkeit auf sie zukamen. „Duncan.“ Sie zog leicht an seinem Shirt und machte ihn so darauf aufmerksam. Auf seinem Gesicht erschien ein kaltes, breites Grinsen. „Das sind nur Shannon und Kyna. Sie haben unsere Lichtpunkte gesucht und gefunden – mehr können sie nun auch nicht mehr ausrichten.“ „Aber ich denke alle Lichtpunkte sehen gleich aus? Wie können sie uns dann finden?“ „Die der Engel sind gleich. Deiner jedoch strahlt grün – in der Farbe der Hoffnung. Deswegen haben sie uns gefunden. Aber tun können sie auch nichts mehr.“ Während Duncan erzählte lief er in eine bestimmte Richtung, wo Samantha eine Art Sog erahnen konnte. „Das ist ein Eingang zur Hölle. Sobald wir näher rangehen zieht er uns in sich. Erzengel würden bei der dunklen Aura sofort immense Schmerzen erleiden – mit Sicherheit begleiten uns deswegen unsere beiden ’Freunde’ auch nicht weiter. Da du ein Mensch bist wird er versuchen wollen dich loszuwerden.“ Samantha drehte sich um, und tatsächlich: die beiden Erzengel blieben da, wo sie waren. Dann nickte sie zaghaft. „Gibt es viele dieser Ströme?“ „Vier. Jeder führt in einen anderen Teil des Landes. Und dieser –“ Duncan deutete mit einem Kopfnicken auf den Sog vor ihnen. „- führt direkt vor die Tore der Hauptstadt. Man kommt nur durch wenn das, mit Magie erschaffene, Schild, welches als Sicherheitsmechanismus mitten im Sog angebracht ist, geöffnet ist.“ Er schaute zu ihr herab. „Halt dich gut fest. Das wird jetzt schlimmer als vorhin.“ Samantha verstärkte ihre Griffe und Duncan ging weiter. Schon ein ganzes Stück davor bemerkte sie den starken Strom, der sie rein zog. Und plötzlich geschah genau dies. Vor Schreck musste Samantha aufschreien, so ruckhaft war das ganze geschehen. Panisch klammerte sie sich an Duncan, als die Energiewellen sehr stark auf sie einschlugen und versuchten Samantha zum Loslassen zu zwingen. Als sie den Griff lockern musste verstärkten sich sofort Duncans Arme. Er würde sie halten – mit Sicherheit. Dies beruhigte sie. Hoffentlich ist das bald vorbei. Als hätte das Schicksal sie erhört verschwanden die Druckwellen und es wurde erneut still um sie herum. „Wir sind da.“ Duncan setzte ihre Füße auf den Boden ab und die Braunhaarige ließ ihn schließlich auch los. Dann schaute sie sich um. Sie standen auf einem Kiesweg, um sie herum war eine riesige baumlose Graslandschaft. Die verschiedensten Blumen, manche waren ihr zum Teil bekannt und andere nicht, blühten auf der Wiese und stämmige Palmen, die am Wegrand ihren Platz fanden, spendeten schattige Plätze. Dann schaute sie sich den Himmel an. Er war blau, so wie sie ihn kannte, aber noch nie hatte sie so intensives blau vernommen. Und am Himmel waren noch – „Ihr habt zwei Sonnen?“ Duncan trat hinter sie. „Die kleinere der beiden ist die Sonne der Menschenwelt. Wir sehen sie hier auch, nur ihre Strahlen kommen hier nicht an. Nachts bilden die beiden zusammen die Monde.“ „Als wir aufgebrochen sind war es bereits dunkel und hier scheint die Sonne. Waren wir solange unterwegs?“ „Nein“, sagte Duncan und sein warmer Atem strich über ihren Nacken. Samantha zwang sich auf seine Worte zu achten anstatt auf ihre körperlichen Reaktionen. „Wir waren vielleicht fünf Minuten unterwegs. Aber zwischen den beiden Welten liegen vierzehn Stunden Unterschied. Hier ist es also so um elf Uhr Mittag rum.“ Samantha drehte sich zu ihm um und wollte ihn etwas fragen, aber sie vergaß es sofort, als sie ihn anblickte. „Deine Flügel…“ Duncan stand vor ihr und jetzt war nicht mehr zu leugnen, was er war. Mitternachtsschwarze Flügel waren aus der Mitte beider Schulterblätter gewachsen und die schwarzen Federn glänzten im Sonnenlicht. Der Wind blies leicht durch seine Federn und bauschte sie auf. Samantha musste sich innerlich eingestehen, dass sie noch nie etwas Schöneres gesehen hatte. Niemand schöneren. „Hier brauchen wir uns nicht zu verstecken“, sagte Duncan als Samantha die Hand ausstreckte um seine Flügel anzufassen und seine weichen Federn auf ihrer Haut zu spüren. Mitten in der Bewegung umfasste plötzlich Duncans Hand ihr Handgelenk. Erschrocken richtete sie ihren Blick auf ihn und versuchte in seinen Augen zu lesen – ohne Erfolg. Duncans Geist war für sie und jeden anderen verschlossen. Er wollte nicht, dass jemand in sein Inneres blicken und ihn so verletzten konnte. Schon wieder. „Engel mögen es nicht, wenn man ihre Flügel anfasst. Nur Geliebte haben dieses Privileg. Es ist sehr intim.“ Auf ihr Kopfnicken hin ließ er ihre Hand los. „Tschuldigung“, murmelte sie und starrte dann weiter gebannt auf seine Flügel. Samantha hörte ein leises Lachen und kurz danach vernahm sie einen sanften Flügelschlag hinter sich. Sie drehte sich herum und sah Lilith vor sch stehen. Sie faltete gerade ihre Flügel zusammen, die ganz anders waren als die von Duncan. In erster Hinsicht waren sie ebenfalls schwarz wie Tinte, aber die einzelnen Federn – vor allem die langen Schwungfedern – wurden von strahlendem weiß durchzogen. „Da seid ihr ja. Zum Glück hat alles geklappt.“ Sie ging zu Samantha und umarmte sie kurz. „Können wir uns dann in Richtung Stadttor aufmachen? Es sind nur noch dreihundert Meter.“ „Wir können gleich gehen. Aber vorher –“ Lilith zog Samantha deren Übergangsjacke aus. „- müssen wir noch unnötigen Ballast loswerden.“ Mit diesen Worten entfachte die Blondine ein Feuer in ihrer rechten Hand und ließ Samanthas Jacke verbrennen. „Erledigt.“ Unschuldig grinste sie auf Samanthas schockierten Blick. „Ach Sammy, für die ist es hier sowieso zu warm. Falls es dich mal frösteln sollte brauchst du höchstens eine dünne Strickjacke. Okay, Lederjacke geht auch.“ Weiterhin hatte sie den „Ich bin unschuldig“-Blick aufgesetzt. „Ja, vielleicht, aber musst du sie deswegen gleich verbrennen?“ „Na ja, so recycelt man sie am schnellsten.“ Dann legten sie die letzten Meter zurück, aber Samantha konnte weit und breit nichts erkennen. Bis plötzlich, wie aus dem Nichts, ein riesiges Tor vor ihnen auftauchte. Es war eingeschlossen in eine zehn Meter hohe Steinmauer, auf der schwerbewaffnete Engel Wache hielten. Das Tor selbst bestand aus massiven, dunklen Eichenholz und sah sehr alt aus. An seinem Fuß war ein kleines Häuschen angebracht, ebenfalls aus Stein, und wo ebenfalls zwei Engel patrouillierten. „Die sind alle zum Schutz der Stadt hier. Hier in Solas wohnen mehr als 80 Prozent der Racheengel und Victor selbst. Außerdem befinden wir uns im Krieg und müssen immer auf einen Angriff vorbereitet sein.“ Samantha ließ ihren Blick die graue Steinwand hinaufschweifen. „Wozu die Mauer? Ich meine, ihr könnt doch mit euren Flügel einfach darüber fliegen.“ „Nein. Mein Vater und seine Vertrauten haben Schutzschilder um die Stadtmauern gelegt. Das hat schon alles seinen Sinn.“ Lilith lächelte sie von der Seite an. Schließlich wurden sie von den beiden Wachen am Tor bemerkt und der größere der beiden kam zu ihnen. Er wollte gerade irgendetwas Unfreundliches sagen als er erst Duncan und dann Lilith bemerkte und augenblicklich bleich wurde. Dann sank er vor ihnen auf die Knie. „Prinzessin. Wie schön, dass Ihr zurück seid. Euer Vater wird sich freuen.“ „Steh auf, Erich.“ Auf Liliths Worte hin stand er auf und hob seinen Kopf. „Ihr werdet ebenfalls erwartet, Duncan. Ihre Stellung wird dringend benötigt.“ Seine braunen Augen wanderten zu Samantha. „Ein Mensch?“ „Nein. Die Auserwählte.“ Erich riss überrascht die Augen auf und verbeugte sich tief. „Ich hatte keine Ahnung. Entschuldigt.“ Er nahm Samanthas Hand, führte sie zu seinem Mund und drückte seine Lippen auf ihren Handrücken. „Erich, lass uns einfach rein.“ Duncans Stimme hatte einen unfreundlichen Unterton, der Erich zum zusammenzucken brachte. Er ließ Samanthas Hand los, die immer noch starr von der Geste war, die Erich vollzogen hatte. Was ist hier nur los? Wieso tut er das? Weil ich ihnen helfe? Fragen über Fragen schwirrten in ihrem Kopf rum nur keine konnte sie so richtig beantworten. „Komm, Sammy.“ Lilith riss sie aus ihren Gedanken, als das Tor hochging. Sie hatten gerade erst das Tor passiert und sofort kam es Samantha so vor, als tauchte sie in eine andere Welt. „Willkommen in Solas.“ Lilith lächelte und dann setzten sie ihren Weg ins Stadtinnere zu Fuß fort. Samantha war beeindruckt von der Atmosphäre, die schon am Stadtrand der Hauptstadt herrschte. Viele Häuser mit Gärten standen links und rechts der Hauptstraße. Kinder spielten Fangen und hielten sich gegenseitig an den Flügeln fest um sich zu haschen. Anscheinend nahmen sie die Intimität noch nicht so wahr. Jedoch klang ihr Lachen warm in Samanthas Ohren und ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Ein Blumenladen hatte geöffnet und die Auslagen färbten die Straße bunt und machten sie lebendig. Für Samantha sah es nicht so aus, wie in der Hölle, sondern eher wie in einem lebendigen, farbenfrohen Paradies. Und die vielen Engel, die über sie hinweg flogen warfen schwarze Schatten und die Windstöße ihrer Flügelschläge wehten ihr ins Gesicht. Viele Engel bewegten sich durch Fliegen fort, aber immer noch eine Menge liefen am Boden – vor allem die Kinder, die höchst wahrscheinlich noch nicht fliegen konnten. „Das ist noch nicht der Stadtkern von Solas, sondern eher einer der Außenbezirke. Aber die ganze Stadt ist lebendig.“ Sie nickte. „Die Hölle ist eigentlich gar keine Hölle, sondern scheint eher ein Paradies zu sein.“ Lilith strich sich durch die Haare. „Anfangs war es die Hölle. Mein Vater hatte es als Kind selbst noch miterlebt. Es gab aktive Vulkane, kein Leben außer die Racheengel und keine fruchtbaren Böden. Aber auch wir haben Fortschritte gemacht und die Hölle zu einem angenehmen Ort gestaltet. Nur keiner weiß es – und das ist gut so.“ „Die Hauptstadt vom Himmel heißt übrigens Phelas. Wie sie aussieht ist aber nicht bekannt.“ Duncan gab ihr schon seit einigen Minuten Antworten auf Fragen, die nur in ihrem Kopf waren und nie ihre Lippen verlassen hatten. Das jagte ihr etwas Angst, aber genauso Faszination, ein. Sie waren nun schon weit ins Stadtinnere eingedrungen und langsam spukte ihr eine Frage ihm Kopf rum, die sie laut stellen musste. „Lilith?“ „Hm?“ „Wieso haben alle Engel hier ganz schwarze Flügel, nur du nicht?“ Lilith schwieg. Zuerst sah es so aus, als wollte sie nicht antworten. Aber sie tat es doch. „Mein Vater sagt, dass hängt damit zusammen, dass ich ihre Prinzessin bin. Obwohl er ebenfalls keine Akzente hat und er war mal Prinz.“ Dann verfiel sie ins Grübeln. Samantha hatte den Verdacht, dass irgendwas dahintersteckte. Plötzlich sprang etwas auf Samanthas Schulter und sie musste erschrocken aufschreien. Doch es fing im nächsten Augenblick an zu schnurren und sagte: „Schön, dass du da bist, Samantha. Ich freu mich, dich wiederzusehen.“ „Oh, Kira.“ Sie hob ihre Hand und kraulte die schwarze Katze im Nacken. „Wo geht ihr hin?“ „Zum Palast. Victor wollte unbedingt bescheid wissen, sobald sich etwas ergibt. Und es hat sich ja was ergeben.“ „Ich begleite euch ein Stück. Einer von Victors Untergebenen hatte nach mir verlangt wegen seinen Angelegenheiten, da er beschäftigt sei.“ Duncan nickte nur knapp. Samantha hingegen war tief in Gedanken versunken. Alles schien sich um Victor zu drehen – den Teufel. Sie war nervös und hatte Bauchschmerzen. Unsicherheit beherrschte sie. Sie konnte nicht leugnen, dass sie Angst vor Victor hatte. Sie wusste nicht, wozu er alles im Stande war und wollte es nie erfahren. Sie schluckte. Bald würde sie es vielleicht tun. To be continued. Kapitel 8: Not everything is as expected ---------------------------------------- Nicht alles ist wie erwartet Den Palast konnte man schon von weiten sehen, trotz den zusätzlichen Schutzmauern, die ihn umgaben. Vor ihm erstreckte sich ein großer Platz aus wunderschönen Pflastersteinen, die ein kompliziertes verschnörkeltes Muster zierte. Palmen säumten das Areal. Viele Engel waren unterwegs und der freie Hof war sehr belebt dadurch. Einige hasteten nur hinüber, andere unterhielten sich, lachten über Scherze. Andere waren auf dem Weg zum Palast, wieder andere kamen heraus. Ein lebendiges Treiben herrschte. Einige Wachen standen auf der Mauer und auf den beiden Türmen, die die vergoldete Kuppel säumten. Das riesige, goldene Tor war geschlossen und bestand aus dutzenden verschlungenen Zeichen. Marmorstufen führten zu ihm hinauf. Als die Wächter bemerkten, wer näher kam, öffneten sie das Tor. „Prinzessin“, sagte der erste und verbeugte sich tief. „Schön, dass Sie unbeschadet wieder da sind.“ Sie kamen durch das Tor und standen auf einem gigantischen Vorhof. Ein riesiger vergoldeter Springbrunnen stand in der Mitte des Platzes – links und rechts standen Jasmin- und Magnoliensträucher. Der Haupteingang bestand aus einer großen, vergoldeten Tür, an deren Rand schwarz-weiße Fliesen angebracht waren. Auch hier standen wieder Wachen. Man musste für jeden Fall vorbereitet sein. Schon auf dem Vorhof war der Boden aus edlem Marmor und etliche Torbögen zeigten die Wege zu Ställen und anderen Häusern auf Nachdem sie die Tür passiert hatten kamen sie in einen schier endlos langen Gang, in dessen geflieste Wände goldene Mosaikstücke eingearbeitet waren. Edle Wandleuchter brachten sie noch mehr zum schimmern. Einige Abzweigungen gingen vom Flur ab und führten zu weiteren Gängen und Räumen. Der Boden bestand immer noch aus Marmor, aber nun war er schwarz und wurde mit goldenen Striemen durchzogen. Lilith, Duncan und Samantha schritten den langen Gang entlang. An einigen Stellen hingen Bilder aus verschiedenen Zeitepochen und auch viele, die wahrscheinlich die Geschichte der Engel darstellten. Auch einige Landschaftsbilder der Hölle hingen hier. Samantha betrachtete sie beim Vorbeigehen aus den Augenwinkeln und versuchte ihre Nervösität zu überspielen. Sie hatte richtig Angst vor dem, was passieren könnte. Als endlich ein Ende des Flurs in Sicht war, war Samanthas innere Unruhe wie ein Tsunami vor der Küste. Wieder standen zwei Wachen vor der Tür. Sie nickten ihnen kurz zu und machten vor der Tür Platz. Samantha atmete tief ein und aus. Jetzt gab es kein zurück mehr. Jeden Augenblick würde sie dem Teufel ins Gesicht blicken. Die schwere, vergoldete Tür, die mit Diamanten besetzt war, wurde geöffnet. Samantha bemerkte, dass sie geradewegs im Thronsaal gelandet waren. Dieser war genau unter der vergoldeten Kuppel, die sie von außen bereits gesehen hatte. Nach ihren Berechnungen mussten sie also in etwa in der Mitte des Palastes sein. Der Raum war ebenfalls rund. Die Wände waren aus feinstem Marmor und auch hier waren wieder goldene Mosaikstücke eingearbeitet. Die Decke war in einem edlen kobaltblau gehalten und hinauf zur Kuppeldecke waren schwarze und goldene, größere Mosaikstücke bogenförmig angebracht, die in der Mitte zusammenliefen. Ein majestätischer Kronleuchter aus tausenden von Diamanten hing von der Mitte der Kuppel hinunter und erleuchtete den Raum. Da die Fenster ein dunkleres Glas besaßen war dies nötig. Der Boden war wie im Flur aus schwarzem Marmor, nur die goldenen Striemen hatten sich verdoppelt und kleine Diamanten wiesen den Weg weiter in den Raum hinein. Samanthas Blick folgte den Diamanten, die zum anderen Ende des Raumes führten. Zwei schwarze Marmorsäulen türmten links und rechts vor einer kleinen Treppe auf, die zu einem vergoldeten Thron führte. Er war mit Saphiren bestückt und hinter dem Thron war eine Wand aus goldenen Mosaiken angebracht. Darüber hing ein Bild – ein Familienportrait. Lilith war darauf zusehen und ein Mann. Genau dieser Mann saß auf dem Thron. Er war groß und wirkte auf den ersten Blick mächtig und einschüchternd. Er war komplett schwarz eingekleidet, hatte ebenso schwarzes, kurzes Haar und tiefe, schwarze Augen. Seine Haut war im Gegensatz dazu sehr hell. Hohe Wangenknochen und erkennbare volle Lippen verliehen ihm ein hübsches Aussehen. Welch Ironie des Schicksals. Der Wolf im Schafspelz. Die Flügel, die aus seinem Rücken ragten, waren schwarz wie Kohlen. Aber nicht komplett – die Adern, durch die das Blut fließt konnte man deutlich darauf erkennen, weil sie blutrot hervorstachen. Diese besonderen Flügel hatte nur der herrschende Teufel, als ein Zeichen seiner Macht. Lilith ging auf ihn zu. „Wir sind wieder da, Dad.“ Er stand auf und kam seiner Tochter entgegen. „Ich seh es klar und deutlich, mein Kind.“ Seine Stimme war genauso dunkel wie alles andere an ihm. Ob er auch so eine schwarze Seele hatte? Als wenn er Gedanken lesen könnte, richtete er seine schwarzen Augen auf Samantha. „Ist sie das?“ Lilith bejahte dies und zusammen kamen sie zu Duncan und der Braunhaarigen zurück. Vor ihnen blieben sie stehen. Liliths Vater streckte die Hand aus. „Mein Name ist Victor.“ Samantha erfasste sie. „Samantha Cameron, Sir.“ „Lass die Anrede weg - du bist mir nicht unterstellt.“ Sie nickte und Victor musterte sie. „Hab keine Angst. Ich bin erst einmal nicht gewillt dazu, dir etwas zu tun. Erstmal.“ Lilith stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Dad! Mach ihr doch nicht gleich Angst.“ „Das ist mein Job, Lil.“ Sie brummte nur und führte die kleine Gruppe zu einem achteckigen Tisch, der komplett aus Glas bestand. An jeder Ecke des Tisches war eine kleine Raubkatzenfigur aus Diamant angebracht. Sie setzten sich an den Tisch. Duncan und Lilith neben Samantha, sodass Victor ihr gegenübersaß. Victor sah sie weiter an und faltete nachdenklich seine Hände. Sie warteten. Nach einigen Minuten brach er die Stille. „Also, Samantha, dann gehörst du jetzt zu uns.“ Er machte eine Kunstpause. „Dann wirst du ab jetzt unter Engeln leben.“ „Muss ich dabei irgendwas beachten?“ „Sei nicht zu nett mit ihnen. Zu einigen schon“, dabei warf er einen Blick auf Lilith bevor er weiter sprach, „zu anderen eher weniger. Komm ihnen nicht in die Quere und versuch dich einzuleben. Lilith und Duncan werden dir an Wissen alles geben, was sie können.“ Sie nickte. „Außerdem“, fuhr er schließlich fort, „wirst du ausgebildet. Am besten vom Waffenmeister persönlich.“ Seine Augen wanderten zu Duncan. „Werde ich machen, Sire.“ „Dir bleibt gar nichts anderes übrig, Duncan. Sie sollte sich verteidigen können, falls es zur Entladung der Unruhen kommt. Vielleicht auch töten, sehen wir.“ Er räusperte sich. „Du kannst tun und lassen, was du willst, außer Unruhe stiften. Geld für Dinge, die du benötigst, bekommst du von mir. Schließlich ist es mir eine Ehre, die Auserwählte hier haben zu dürfen.“ Er lächelte alles andere als warm. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal, wie das geht. „Was ist mit ihren Aufgaben?“, warf Lilith ein und Samantha bekam eine Gänsehaut. Was, wenn sie etwas machen musste, was sie nicht konnte und sie jämmerlich dabei versagt? Das wollte sie sich gar nicht erst vorstellen. Victor wirkte nicht gerade wie ein Mann, der Fehler dulden würde. „Ihre Aufgaben beziehen sich erst einmal voll und ganz auf ihre Ausbildung.“ Er wandte sich wieder an die Cameron. „Leb dich einfach ein paar Monate ein und dann können wir immer noch uns umentscheiden. Okay?“ „Ja.“ „Gibt es überhaupt etwas Neues?“, wandte sich Lilith an ihren Vater. Dieser zog eine Augenbraue hoch. „Willst du etwas Bestimmtes wissen?“ „Nein, Dad. Ich dachte ja nur“, versuchte sie abzulenken. „Es hätte ja sein können, dass es irgendwelche schlimmen Todesfälle gab oder Angriffe oder so.“ „Nein, alles okay. – Mit dir auch, Liebes?“ Sie nickte. „Alles okay, Dad. Mir geht’s spitze. Duncan hat gut auf mich aufgepasst.“ Dabei schaute sie ihren Freund lächelnd an. „Das sollte er auch, Lil. Was anderes hätte ich bei ihm nicht gelten lassen.“ „Es ist mir immer wieder ein Vergnügen, auf die Prinzessin aufzupassen.“ Lilith beugte sich etwas zu Samantha hinüber und murmelte: „Schleimer.“ Samantha verkniff sich ein Grinsen. Wie es aussah, war Victor nicht gerade der Mann, der sonderlich viele positive Gefühle ausstrahlte. Aber seiner Tochter gegenüber verspürte er Liebe, das bemerkte Samantha sofort. Er hatte sich Sorgen um sie gemacht, so wie es ein guter Vater tun sollte. Das brachte sie auf die Frage nach ihrer Familie, doch bevor sie fragen konnte, hatte Lilith bereits eine andere gestellt: „Wo wird Sammy überhaupt wohnen?“ Er sagte nichts zu dem Spitznamen. „Sie wird bei Duncan unterkommen.“ Duncan starrte ihn darauf an und auch Samantha glaubte nicht richtig gehört zu haben. Sie sollte mit einem Mann zusammenwohnen? „Sire? Darf ich fragen, wieso?“ Victor lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ihr kennt euch schon und ich vertraue dir, Duncan. Du wirst auf sie gut aufpassen. Und es bietet sich an: Du bildest sie aus und dein Haus ist auch groß genug für zwei Personen.“ „Dad, sie könnte auch eigentlich mit hier wohnen“, warf Lilith ein. „Nein, Lilith, das kommt überhaupt nicht in Frage. Bei Duncan ist sie besser aufgehoben. Ende der Diskussion.“ Lilith schaute zwar beleidigt, schwieg aber. Solche Spielchen hatten bei ihrem Vater noch nie etwas genützt, also besser gleich aufgeben, bevor er einen Wutanfall bekam. Aber etwas konnte sie sich doch nicht verkneifen: „Meinst du nicht, dass Sammy lieber zu ihrer Freundin, einer weiblichen Person, wollen würde, als zu Duncan, der eineindeutig ein Mann ist?“ „Lilith, es reicht. Sie kann dich sehen, so oft sie will und du sie auch.“ „Ist ja gut.“ Eigentlich gab die Prinzessin nicht so schnell auf. Wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hatte, dann wollte sie es auch durchsetzen. Aber bei ihrem Vater biss sie jedes Mal zu fünfundneunzig Prozent auf Granit. Victor betrachtete seine bockige Tochter und lächelte im Inneren. Er hatte festgestellt, dass sie viel zu sehr nach ihrer Mutter kam und gerade in diesem Augenblick schien es, als säße ihre Mutter und nicht Lilith, seine Tochter, vor ihm. Aber er wollte jetzt nicht an seine damalige Frau denken, dass würde nur alte Wunden aufreißen, die niemals verheilen würden. Da kam ihm Samanthas Frage gerade recht. „Ich würde Sie gerne etwas fragen.“ Victor wartete darauf, dass sie weiter sprach. „Man hat mir gesagt, dass ich hier die Wahrheit über meine Eltern kennenlernen würde.“ Victor verschränkte die Arme vor der Brust und schaute abwechselnd Duncan und Lilith an. „Wer von euch beiden hat sich verplappert?“ „Ich war es, Sire. Ich dachte, sie würde einen Grund mehr finden mitzukommen, wenn sie das wüsste. Es tut mir leid.“ „Das muss es nicht“, sagte Victor zu Duncans Überraschung, „ich bin sogar froh, dass sie es weiß. Das macht das ganze wesentlich leichter und erspart mir Erklärungen.“ Dann blickte er Samantha an. „Ich habe aus unserer Familienbibliothek ein paar Dokumente kopiert, was deine Eltern betrifft. – Fabio!“ Eine Tür öffnete sich und ein Engel kam herein. Er trug eine Lesebrille und seine Kleidung war verstaubt. Vielleicht ist er der Bibliothekar, dachte sich Samantha als sie zusah, wie Fabio seinem Herrn ein paar Dokumente reichte, sich verbeugte und dann wieder durch die Tür verschwand. Victor besah sich kurz die Dokumente und reichte sie dann über den Tisch zu Samantha. Mit zittrigen Händen nahm diese die Papiere und schaute darauf. Sie runzelte die Stirn. Σηθ γεννήθηκε σε ένα μικρό χωριό κοντά σύμβασης, ο γιος του ο Υπουργός Οικονομικών του διαβόλου, το φως της ημέρας. „Ich kann es nicht lesen.“ Lilith warf einen ebenfalls einen Blick auf die Dokumente. „Wieso? Steht doch nichts Schweres drauf.“ „Aber ich kann kein – was auch immer das darstellen soll.“ „Das ist Griechisch“, meinte Victor. „Und das hatte ich nicht bedacht. Ihr lernt heutzutage kein Griechisch mehr?“ Samantha schüttelte den Kopf und ihre Hoffnung, endlich die Wahrheit zu erfahren, war verpufft. „Weißt du, bei uns Engeln ist Griechisch, was wertvolle Schriftstücke angeht, die Hauptsprache. Jeder Engel kann mehrere Sprachen fließend – sprachlich und schriftlich. Und Griechisch gehört bei fast allen dazu, weil die Heiligen Schriften auch in Griechisch ausgelegt sind.“ „Heilige Schriften?“, fragte Samantha neugierig und schaute Lilith an. „Das führt jetzt zu weit, Lilith“, warf Victor ein als seine Tochter den Mund aufmachte. „Wenn du es nicht lesen kannst, dann soll Duncan es dir vorlesen, wenn ihr beide Zeit habt.“ Duncan nickte, nahm die Papiere und steckte sie ein. „Geht erst einmal nach Hause und ruht euch aus. Duncan, dich erwarte ich dann in ein paar Stunden wieder in der Werkstatt und Lil, du ruhst dich ebenfalls aus.“ Victor verabschiedete sich dann von Samantha und Duncan. „Wir sehen uns dann gleich beim Essen, Kind.“ Dann verließ er den Raum durch eine Tür. „Falls du dich fragst, wo deine Sachen sind, ich hab sie vorhin einem Untergebenen meines Vaters gegeben. Wahrscheinlich sind sie schon bei Duncan zu Hause.“ Lilith lächelte. „Keine Sorge, Sammy. Wir sehen uns spätestens morgen wieder. Mach keine Dummheiten mit ihr, Duncan.“ „Hab ich nicht vor.“ Dann umarmte die Blondine Samantha, sowie Duncan, und ging ebenfalls durch die Tür, durch die kurz zuvor Victor verschwunden war. „Wollen wir?“, fragte Duncan die Braunhaarige und schaute sie an. „Ja.“ Er schloss die Tür auf und sie traten herein. „So, das ist mein Eigenheim.“ Samantha schaute sich staunend um. Das Haus wirkte alt und mystisch, aber trotzdem war eine gewisse Eleganz und Zeitlosigkeit vorhanden. Und es war ausgestattet mit dem neusten Kram, der zu kriegen war bei Menschen – und wie es aussah auch bei Engeln. Denn Samantha fielen des öfteren Dinge auf, die anders waren als bei Menschen oder komplett neu. Als sie das Bad betrat, war sie jedoch verwirrt. „Duncan?!“ Kurze Zeit später stand er bei ihr am Türrahmen. „Was ist?“ „Wo ist die Badewanne?“ Er grinste, aber es erreichte nicht seine Augen. „Vor dir.“ „Das ist so groß wie ein kleiner Swimmingpool. Ich meine, eine ganz normale Badewanne. Oder kennt ihr sowas nicht?“ „Du stehst immer noch davor.“ Samantha schaute stirnrunzelnd darauf. Die 'Badewanne', wie Duncan sie trotz allem bezeichnete, hatte wirklich die Größe eines kleinen Pools. Rechts davon stand eine Dusche, aber die Glastüren fehlten. Der Bereich wurde nur durch anders farbige Fliesen markiert. „Die Flügel, Samantha“, raunte es an ihrem Ohr und sie verstand. „Wegen ihnen muss es größer sein, damit sie Platz finden.“ „Richtig. Auch unsere Betten sind größer, fast doppelt so groß, obwohl wir sie zusammen falten können, aber mit der Zeit verspannen so die Muskeln.“ „Also ist bei Engeln alles größer?“ Samantha schien verstanden zu haben. Ihr Leben wurde ziemlich neu verlaufen mit diesem Wissen. „Meinst du wirklich alles?“ Duncans Grinsen wurde breiter und Samantha hatte keine Ahnung, wieso. Hatte sie etwas Komisches gesagt? „Das frag ich dich doch.“ „Ich kann es dir doch zeigen, dass alles größer ist bei uns Engeln.“ Samantha verstand erst, als eine seiner Hände zu seinem Hosenbund wanderte und er seinen Jeansknopf öffnen wollte. Sie wurde rot und zwängte sich an ihm vorbei aus dem Bad. Sie war sowas einfach nicht gewachsen! Duncan wollte sich vor ihr ausziehen und ihr zeigen, dass sein Pen – plötzlich lachte er. „Nur die Ruhe, Samantha. Ich bin nicht scharf darauf, dir zu zeigen, was ich unter meiner Unterwäsche habe.“ Dann ging er und ließ Samantha verdattert im Bad stehen. To be continued. Kapitel 9: Acclimatization -------------------------- Eingewöhnung Einige Tage später hatte Samantha ihren Schrecken überwunden. Duncan ging ihr größtenteils aus dem Weg und er war nicht wieder so direkt zu ihr gewesen, wie damals im Badezimmer. Eher hatte er eine abwehrende, distanzierte Haltung seitdem eingenommen. Sie wusste nicht recht, was sie von dem Stimmungswechsel halten sollte. Besser wäre, sie würde einfach nicht darüber nachdenken, aber komischerweise machte sie sich über ihn Gedanken. Er hatte ihr in seinem Haus so gut wie alles gezeigt – bis auf zwei Räume: sein Schlafzimmer und einen anderen Raum, der abgeschlossen war. Samantha wusste, dass Duncan mindestens jeden zweiten Abend dort hinein verschwand und die Nacht über drin blieb. Sie würde gern wissen, was dort drin war, traute sich aber nicht zu fragen. Es war seine Privatsphäre und die wollte sie nicht verletzen – tat er mit ihrer auch nicht. Lilith hatte ihr in den letzten Tagen viel erklärt und gezeigt. Sie waren in diesen Tagen noch bessere Freundinnen geworden. Die einzig richtige, die Samantha je hatte. Mit Victor hatte sie noch keine weiteren Begegnungen, worüber sie nicht gerade enttäuscht war. Er verhielt sich so anders, als sie gedacht hätte und bis sie das verstand war es ihr ganz recht, ihm nicht begegnen zu müssen. Gleich würde ihr gerade mal zweites Training mit Duncan stattfinden. Er wartete schon auf sie – im Garten seines Hauses. Dort saß er auf dem Boden, die Augen geschlossen. Neugierig ging sie zu ihm hin. „Duncan?“ „Mh?“ Blitzartig öffnete er die Augenlider. „Setz dich.“ „Auf den Boden?“ „Hab dich nicht so pingelig.“ Samantha nahm auch Platz und starrte den schwarzhaarigen Engel an. Er hatte wieder die Augen geschlossen. Auf was wartet er nur? „Ähm…Duncan?“ Er öffnete wieder blitzschnell die Augen. „Du solltest vielleicht noch ein paar Sachen lernen, ehe wir anfangen, dich richtig zu trainieren.“ Samantha runzelte die Stirn. „Noch mehr lernen? Wir haben doch schon beim letzten Training nur geredet.“ Duncan schnaubte. „Wie willst du gegen einen Engel ankommen, wenn du nicht einmal weist, wie sie angreifen? Oder wie du sie verletzen kannst? Es ist sehr naiv von dir zu denken, du könntest das ohne Hintergrundwissen alles perfekt.“ Sie wandte den Blick von ihm ab. Er hatte ja recht. Sie war naiv. Das hatte sie schon so oft in ihrem Leben immer wieder merken müssen. Aber nie lernte sie daraus. Nie. „Der Kampf gegen einen Engel ist hektisch und schnell. Es wird schwer für dich werden, als Mensch, gegen einen zu kämpfen, wenn er genau dies einsetzt. Und ohne ausreichend Training, wird das sowieso nichts.“ Samantha nickte verstehend und Duncan strich sich durch die Haare. „Das einzige, mit dem du punkten kannst, wäre der Umgang mit Waffen. Aber soweit bin ich noch nicht. Ich zeige dir jetzt ein paar Techniken, die Engel im Kampf gern anwenden und erkläre sie dir.“ Er stand auf und ging ein ganzes Stück weg von ihr. Dann breitete er seine Flügel aus, die Samanthas Blick bannten. Die schwarzen Schwingen glänzten im Sonnenlicht und es schien, als würden sie das Licht absorbieren und einfangen. Grelles blaues Licht ließ Samantha ihren Blick abwenden. Sie kniff ihre Augen zusammen und bemerkte, dass dieses Licht aus Duncans Händen kam. Er hatte in seiner Hand ein strahlendblaues Feuer entfacht! „Unmöglich…“ Duncan kam etwas zu ihr, jedoch nicht zu nah. „Das hier, ist das heilige Engelsfeuer. Wenn ein Engel das gegen dich einsetzen will, vermeide Berührungen auf jedenfall. Es ist zerstörerisch und würde dich mit einer Berührung töten. Wir Engel halten mehr aus, deswegen würde es uns schwer verletzen. Aber du wärst tot.“ Er ließ das Engelsfeuer in seiner Hand verpuffen. „Und du kannst dich nicht dagegen wehren“, fügte er noch hinzu. Samantha nickte zögerlich. Dann entfachte Duncan in seiner rechten Hand eine scharlachrote Flamme. „Das ist das Feuer des Phoenix. Eines der grundlegenden Dinge, die jeder Engel beherrscht. Nicht ganz so gefährlich, wie das Engelsfeuer, aber immer noch gefährlich genug für dich. Es ist wie das Feuer, was ihr in eurer Welt besitzt.“ „Also sind Engel lebendige Feuerzeuge.“ Hätte Samantha sich das noch bildlich vorgestellt, wäre sie aus dem Lachen nicht mehr rausgekommen, aber da Duncan sie ernst anschaute – so wie immer – ließ sie das lieber sein. Duncan ging nicht auf ihr Kommentar ein, sondern drückte ihr eine Fernbedienung, mit einem einzigen Knopf darauf, in die Hand. „Drück darauf, sobald ich in der Luft bin.“ „In der Luft?“ Als diese Worte ihren Mund verließen hob Duncan vom Boden ab. Seine schwarzen Schwingen schlugen kräftig und hielten ihn in der Luft. Samantha war zwar immer noch etwas konfus, drückte aber, wie ihr geheißen, auf den Knopf. Sofort gingen im Haus sämtliche Lichter an. „Was bringt das?“, fragte sie und wendete ihren Blick vom Haus ab, wieder auf Duncan. Sie weitete die Augen. In seinen Händen formte sich ein kleiner Ball, der voller Elektrizität bestand. Und hinter sich merkte sie, dass die Lichter im Haus flackerten, bis sie erloschen. Ab da wuchs auch der Ball nicht weiter. Duncan richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Samantha. „Das ist ein sogenannter Energieblitz. Eine Art des Angriffes älterer Engel. Man bezieht Elektrizität aus der Umgebung auf sich und formt sie in einen Händen. Ungeübte erleiden Stromstöße, deswegen erfordert das ganze viel Training. Aber sie sind sehr gefährlich für dich.“ Er ließ die Energie in sich fließen und kurz danach gingen im Haus die Lichter wieder an. Samantha betätigte noch einmal den Knopf und alles erlosch. „Das ist echt unglaublich.“ „Und gefährlich für dich.“ Er landete vor ihr. „Natürlich könnten sie auch Schwerter, Pistolen, Dolche und andere Dinge bei sich tragen. Dagegen kannst du dich jedoch wehren.“ „Ja, aber das ist auch so ziemlich das einzige.“ „Ich kann es nicht ändern.“ „Sei mal ehrlich, Duncan. Selbst wenn ich die Auserwählte bin, wie soll ich, als einfaches Mädchen, Eliteengel besiegen, die gemeine Hokuspokus-Zauber gegen mich einsetzen und ich vielleicht nur mit einer Pistole bewaffnet bin, mit der ich nicht einmal umgehen kann, beziehungsweise, die ich nicht einmal anfassen würde, weil ich Angst habe, jemanden damit ein wichtiges Körperteil abzuknallen?“ „Deswegen dieses Training – du lernst es.“ Duncan ließ sich wieder auf dem Rasen nieder und Samantha tat es ihm gleich. „Engel haben auch bestimmte Schwachstellen, auf die du zielen kannst um auch deine 'Eliteengel' zu besiegen.“ „Dann sag sie mir.“ „Das einzige, was wirklich sehr verletzlich bei Engeln ist, sind die Flügel.“ Samantha runzelte die Stirn und betrachtete Duncans Schwingen. „Die Flügel?“ „Ja. Sie bestehen aus puren Muskeln und Adern. Sie bieten große Angriffsfläche und wenn sie richtig verletzt worden, behindert das erstens den Engel bei seinen Bewegungen, zweitens kann er nicht mehr fliegen und drittens keine Magie mehr anwenden, da das Engelsfeuer und der Rest nur mithilfe der Flügel stattfinden kann.“ Samantha ging ein Licht auf. „Eure wunderschönen Flügel sind eure größte Hilfe und gleichzeitig eure größte Schwäche.“ „Du hast es erfasst.“ „Aber, was ist mit dem Rest des Körpers? Ich meine, wenn ich jemanden einen Dolch ins Herz stoße, ist er doch so gut wie tot.“ Duncan lehnte sich etwas zurück. „Sicher, solange du es stecken lässt.“ „Wie jetzt?“ „Wir Engel haben enorme Selbstheilungskräfte. Tiefe Verletzungen sind einen Augenblick da, im nächsten verschwunden. Die einzigen Waffen, die wirklichen Schaden anrichten, sind getränkte Schwerter, Dolche oder Patronen. Gegen Erzengel müssen sie mit schwarzer Magie getränkt sein und gegen uns Lichtmagie. Die Selbstheilung gilt übrigens nicht für die Flügel.“ Sie nickte. „Noch ein Minuspunkt für die Flügel.“ „Was du hingegen immer beachten solltest, sind Schutzschilde.“ „Schutzschilde?“ „Jeder Engel kann seine eigenen entwickeln. Und jeder legt sie meist um die ganze Gestalt, also auch um die Flügel. Aber ich werde dir einen Zauber beibringen, mit denen du diese Schilde brechen kannst. Auch wenn er verboten ist.“ Sie nickte zögerlich. „Wenn er mir hilft.“ „Oh, das wird er.“ Samantha zog ihre Beine an den Körper und bettete ihr Kinn auf ihre Knie. „Muss ich noch irgendwas wissen?“ Duncan starrte sie einen momentlang einfach nur an. „Ja. Vor allem ältere Engel können Gedanken lesen, also in deinen Kopf eindringen und Auren spüren und sie jedem zuordnen. Gegen Gedankenleser trainieren wir deine eigenen Schilde. Das mit der Aura können wir nicht ändern.“ „Noch mehr Hokuspokus?“ „So in etwa. Wir können Portale öffnen, an jeden x-beliebigen Ort gelangen, an dem wir schon einmal waren. Das ist günstig, wenn wir große Entfernungen überwinden müssen. Man kann Heilkräfte erlernen. Jetzt in Kriegszeiten gibt es viele, die so etwas machen, um dann als Sanitäter oder Arzt zu dienen. Außerdem gibt es solche grundlegenden Sachen wie die Dämonenkontrolle und das Verbergen der Flügel.“ Bevor Samantha ihren Mund aufmachen konnte, fügte er etwas hinzu: „Ach, und jeder Engel hat seine eigene, besondere Fähigkeit. Entweder sie ist gut, oder sie ist böse.“ Sie nickte nur. „Komm mit rein. Den Rest können wir da bereden.“ Zusammen standen sie auf und gingen in das Haus – Duncan vorneweg. Er führte sie ins Wohnzimmer und sie setzten sich gemeinsam auf das schwarze Sofa, dicht nebeneinander. Samantha konnte seine Körperwärme spüren und schluckte. Unfassbar was er für eine Wirkung auf mich hat, dachte sie sich. Duncan zog etwas hervor und legte es vor ihnen auf den Tisch. Samantha besah es sich. Es war ein Dolch und eine Pistole. „Was willst du damit?“ Er blickte sie an. „Die sind für dich. Ein Dolch, getränkt in schwarzer Magie, gegen Erzengel. Und das ist eine Desert Eagle, deren Patronen ebenfalls in schwarzer Magie getränkt wurden. Das sind erst einmal deine Waffen, mit denen wir üben werden. Behalte sie. Man weiß nie, wann man sie braucht. Falls dir die Patronen ausgehen, bekommst du sie von mir.“ „Okay.“ Samantha besah sich den wundervoll verzierten Dolch, bis ihr etwas einfiel. „Duncan?“ Er war kurz gegangen, kam aber sofort rein. „Was?“ Sie schaute ihn leicht entschuldigend an, dafür, dass sie ihm schon wieder auf die Nerven ging. „Hast du vielleicht schon angefangen, dass Buch über meine Eltern zu übersetzen?“ „Nein, noch keine Zeit gehabt. Ich bin erst einmal meinen anderen Pflichten nachgegangen.“ Enttäuschung machte sich in ihr breit, aber sie ließ es sich nicht anmerken. „Ist okay. War nur eine Frage und es hätte ja sein können.“ Bevor er sich endgültig zum Gehen wenden könnte, schoss Samantha eine Frage aus dem Mund, die sie lieber nicht hätte stellen sollen: „Was ist eigentlich mit deiner Familie?“ Duncan stockte in seiner Bewegung und verharrte so. Dann drehte er sich zu ihr herum und sein Blick war finster. „Das geht dich überhaupt nichts an, kapiert?!“ Ein Knurren unterlegte seine Worte und er mit wenigen Schritten hatte er ihre Distanz überwunden. „Frag mich nie wieder danach, hast du verstanden?!“ Samantha zuckte erschrocken zusammen. Das ganze ging so schnell, dass sie gerade so folgen konnte. „E-Entschuldige, ich wusste nicht, da-dass ich das nicht fragen darf.“ „Halte dich aus meinem Leben raus.“ Er war angespannt, das bemerkte Samantha durch einen kleinen Blick auf seine Arme. Für ihn schien seine Familie ein riesiges Tabuthema zu sein, wenn er bei so einer einfachen Frage ausrastete. Er hätte ja auch einfach sagen können, dass er nicht darüber reden wollte und gut. Aber das? Sie brachte sich dazu, in seine Augen zu blicken und erschrak. Das sonst so sanfte, trotzdem distanzierte Quecksilber war pechschwarz und ein lilaner Schein glänzte darin. „Deine Augen…“ Duncan wich sofort von ihr zurück und verließ fluchtartig den Raum. Sie hörte nur noch die Haustür zufallen. Dann blieb Samantha verschreckt, verängstigt und völlig von der Rolle zurück – wie es schon immer war. Keine fünf Minuten später jedoch hörte sie die Dielen in der Küche quietschen. Das riss sie aus ihrer Starre und sie lauschte. Ihren Herzschlag konnte sie in ihren Ohren hören, was sie ärgerte, da es ihr zu laut vorkam und sie am Lauschen hinderte. Samantha schnappte sich den Dolch und stand leise auf. Dann schlich sie zur Küchentür. Duncan konnte es auf jedenfall nicht sein, da er eben erst das Haus verlassen hatte und sonstige Mitbewohner waren hier nicht. Außerdem musste man, wenn man in die Küche wollte, durch das Wohnzimmer und Samantha war sich sicher, dass niemand hereingekommen war. Das hätte ich doch gehört. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie wurde schon einmal von Engeln überrumpelt. Damals, in ihrer Wohnung. Sie wurde ohnmächtig geschlagen um danach von Kira befragt zu werden. War das wieder so ein Ding? Vorsichtig stieß sie die Küchentür auf und spähte um die Ecke. Niemand war zu sehen. „Wohin schaust du? Hier oben“, ertönte eine Stimme von der Decke und Samantha schaute hinauf. To be continued. Kapitel 10: Be happy -------------------- Glücklich sein Dort oben, an der Decke, hielt sich ihre blonde Freundin und lächelte sie unschuldig an. „Was denn?“, fragte sie zuckersüß, „hast du dich erschrocken?“ Samantha versuchte ihren Herzschlag zu beruhigen und ihre inneren Gefühle zu besänftigen. Dann biss sie die Zähne zusammen und stieß hervor: „Lilith, beim nächsten Mal bring ich dich um!“ Die Angesprochene grinste nur und landete elegant vor Samantha auf dem Boden. „Würdest du ja doch nicht tun. Du wüsstest nicht haargenau wie und durch meine Schilde kommst du nicht.“ Auf Samanthas Seufzen hin fuhr sie fort: „Außerdem hast du mich viel zu lieb dazu. Und du würdest den Hass so ziemlich jeden Racheengels auf dich ziehen, wenn du ihre heißgeliebte Prinzessin umbringen würdest.“ Keck zwinkerte sie ihrer Freundin zu. Samantha schüttelte amüsiert den Kopf. Irgendwie konnte sie Lilith einfach nicht böse sein. Auch wenn sie ihr einen Mordsschrecken eingejagt und ein Déjà-vu-Erlebnis dadurch hatte – es ging nicht. „Wie bist du hier reingekommen und was machst du ausgerechnet in der Küche?“ „Das Fenster stand offen. Und ich wollte sowieso nach dir schauen. Als gerade das Haus in Sichtweite kam hab ich Duncan gesehen und mir Sorgen gemacht. Ich meine, er war tierisch wütend.“ Durchdringend schaute sie Samantha mit ihren braunen Augen an. „Was ist passiert?“ „Ich hab ihn nur nach seiner Familie gefragt.“ Lilith seufzte. „Oh je, das erklärt einiges.“ Samantha schaute die Prinzessin nur verständnislos an. „Nein, ich verstehe nur Bahnhof.“ Lilith zog sie ins Wohnzimmer und die Freundinnen ließen sich auf dem Sofa nieder. Den Dolch, den Samantha noch in der Hand hielt, legte sie behutsam auf den schwarzen Holztisch. „Also?“, fragte die Braunhaarige noch einmal nach, als Lilith keine Anstalten machte, irgendwas von sich zu geben. „Na ja, da gibt es nicht viel zu sagen. Das Thema 'Familie' ist bei Duncan absolutes Sperrgebiet. Nicht einmal ich weiß irgendwas darüber und ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang. Er reagiert immer so krass…“ Sie schwieg kurz. „Nur bisher stand nie der Dämon in seinen Augen.“ Der Dämon?! „Meinst du den lilanen Schimmer in seinen Augen?“, fragte Samantha noch einmal nach. „Ja, genau. Er war so wütend, dass der Dämon kurzzeitig durchkommen konnte. Hat er dir irgendwas getan?“ Samantha schüttelte sofort den Kopf. „Nein. Ich hab den Schimmer gesehen und ihn gefragt, was das sei. Er ist sofort abgehauen.“ Lilith nickte und dann verfielen sie in Schweigen. Sie saßen minutenlang nebeneinander und weiterhin herrschte Stille zwischen ihnen. Schweigen war nur nicht gerade die größte Stärke der Prinzessin, weswegen sie es irgendwann nicht mehr aushielt. „Los“, sagte sie und stand auf. „Genug Trübsal geblasen. Duncan kriegt sich schon wieder ein. Du kommst jetzt mit zu mir und dann gehen wir schön shoppen.“ Als Samantha darauf etwas sagen wollte hielt Lilith ihr den Mund zu. „Keine Widerrede, Ich brauch jetzt etwas Spaß mit meiner besten Freundin - aber vorher muss ich mich umziehen und Geld holen.“ Samantha lächelte. Hätte sie sich ja denken können, dass sich die Blondine vorher noch umziehen musste. So gut kannte sie sie mittlerweile schon. „Komm jetzt, Sammy. Lassen wir den Tag richtig schön ausklingen!“ Nachdem sie durch sämtliche Sicherheitsvorkehrungen und Barrikaden gekommen waren und die schier endlos langen Gänge hinter sich gelassen hatten, kamen sie an einer prunkvoll, mit diamanten besetzten Tür an. „Meine Zimmertür. Und dahinter mein kleines Reich.“ Lilith legte ihre Hand auf den Scanner, sodass das Schloss der Tür aufsprang. Dann hielt sie ihr Gesicht an den Scanner, sodass ihre Netzhaut analysiert werden konnte und die Tür sprang schwungvoll auf. „Sogar für dein Zimmer solche krassen Sicherheitsvorkehrungen?“ Die Blondine nickte. „Nur mein persönliches Hausmädchen, mein Vater, sein treuster Untergebener und mich erkennt der Scanner. Alle anderen muss ich hereinlassen.“ Samantha folgte ihrer Freundin in ihr kleines Reich. In Wahrheit war das Zimmer riesig. Sie standen im Wohnzimmer. Das Zimmer war in einem hellen, warmen Gelb und als Kontrast im majestätischen Königsblau gehalten. Eine riesige Fensterfront gab einen Blick auf den riesigen exotischen Palaisgarten. Eine Couchecke aus edlen, weißen Möbeln stand auf dem samtweichen, gelben Teppich und an der Wand war ein großer Kamin. Ein kleiner diamantener Kronleuchter hing von der Decke. Ein Flachbildfernseher zierte eine andere Wand, den man von der Couchecke perfekt sehen konnte. Samantha schaute sich alles staunend und sehr genau an. Zwei Türen führten aus dem Raum. Als Samantha sich umsah bemerkte sie, dass Lilith durch die linke Tür verschwunden war. Sie folgte ihr und gelangte in einen komplett lilanen Raum, in dem ein Himmelbett stand. Es hatte samtige lila Bezüge und war gigantisch. Weiße Stoffe hingen an den Seiten herunter und über dem Bettende thronte eine exotische Pflanze mit großen lilanen Blüten. Zwei sich gegenüberliegende Wände waren in demselben Farbton gestrichen, wie die Bettbezüge waren und der diamantbesetzte, runde Spiegel perfektionierte eine dieser Wände. Ein, in die Wand eingebautes, Tastaturfeld schien irgendwas zu steuern aber Samanthas Blick lag auf der geöffneten Tür. Als sie an die Schwelle trat, stand sie am Eingang des Paradieses. Lilith kam um die Ecke, auf sie zu – komplett umgezogen. „So, wir können.“ „Ist das…?“ Ihr blieb die Sprache weg. Lilith runzelte die Stirn und schaute sich kurz um. „Ja, alles meins. Mein Vater meinte, als Prinzessin bräuchte ich einen begehbaren Kleiderschrank, wo ich mein ganzes Zeug unterbringen könnte. War auch keine so schlechte Idee, wie man sieht.“ „Ja.“ Lilith schob dann die immer noch sprachlose Samantha hinaus. Zurück im Schlafzimmer knurrte es auf einmal gefährlich aus der Ecke der Glasfront. Samantha erstarrte und blickte sich panisch im Raum um. Lilith seufzte genervt: „Naeem, bist du schon wieder hier reingehuscht?“ Augen leuchteten aus der Ecke und kamen wenige Wimpernschläge näher. Im Schein des Sonnenlichts erkannte Samantha dann goldbeiges Fell mit schwarzen Tupfen. Goldene Augen blickten sie an. Raubkatze, waren sogleich ihre Gedanken und sie wich ein Stückchen zurück. Lilith schritt auf diese jedoch zu, ging in die Hocke und kraulte sie im Nacken. „Keine Angst. Naeem wird dir nichts tun. Wenn du böse Absichten hättest hingegen schon. Sie ist einer der Geparden, die wir besitzen.“ Die goldenen Katzenaugen waren immer noch auf Samantha gerichtet. Schließlich lief die Gepardin zu ihr hinüber, schnupperte an ihrer Hand und leckte sanft darüber, was Samantha ein Lächeln entlockte. Lilith lächelte ebenfalls und öffnete die Tür, die auf den Flur führte. „Los, raus mit dir.“ Doch Naeem rieb ihren Kopf an Samanthas Bein, schnurrte und machte keine Anstalten den Befehl der Prinzessin zu folgen. „Naeem, komm schon.“ Provokativ setzte sie sich neben Samantha und schaute zu ihr auf. „Geh schon raus.“ Sofort sprang Naeem auf und flitzte aus dem Raum. Lilith ließ die Tür zufallen. „Das ist mir ja noch nie passiert. Hast du sie beeinflusst?“ Samantha blickte, selbst verwirrt, zu ihr durch den Raum. „Ich hab irgendwas gespürt – tief in mir. Wie eine Verbindung. Oh Gott, du hältst mich für verrückt…“ Die Blondine schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin eher verwundert. Du hast als Mensch eine Gabe, die eigentlich nur wir Engel haben. Vielleicht, weil du die Auserwählte bist.“ Die Tür schwang auf und Victor stand dort. Sofort war Samantha ein wenig eingeschüchtert, obendrein wurde sie leicht rot, als Lilith ihrem Vater von dem Geschehnis mit der Raubkatze erzählte. Seine schwarzen Augen schauten Samantha durchdringend an. Er schwieg eine ganze Zeit. Dann sagte er plötzlich: „Samantha, ich stelle dir demnächst jemanden zur Verfügung, der deine Gabe mit dir trainieren wird. Vor allem die Beschwörung und die Übernahme des Geistes fremder Tiere. Kleiner Tipp – fang auf jedenfall mit einem kleineren, eher ungefährlichen Raubtier an.“ „Das ist schon mal ein richtiger Vorteil, Sammy. Das würde kein Engel von dir erwarten.“ Samantha nickte leicht. Es freute sie zwar eine Geheimwaffe zu besitzen, aber sie fragte sich viel mehr: Wieso? Wieso hatte sie diese Gabe, obwohl ihre Eltern menschlich waren? Halt, ihre Adoptiveltern waren Menschen. Was ihre richtigen, biologischen Eltern waren stand griechisch in diesem Buch. Das Buch, was Duncan hatte. Der, der sauer auf sie war. Ohne ihn würde sie die Wahrheit nie erfahren. Sie musste mit ihm reden. Sie liefen durch die engen Straßen von Solas um zu DER Einkaufsstraße schlechthin durchzudringen. Samantha war jetzt darüber sehr froh, sich am Morgen für eine kurze Shorts und ein luftiges T-Shirt entschieden zu haben, denn es war verdammt heiß am späten Nachmittag. Lilith und sie hatten bereits ein Eis gegessen und einen Kaffee getrunken. Jetzt wollten sie sich bis Ladenschluss ganz dem Shoppingfieber überlassen. Jedenfalls hatte die Blondine das vor. Samantha ging einfach erst einmal mit und schaute sich das ganze an. Sie war nie oft shoppen gewesen. Eher hatte sie sich mal zwischen durch ein Oberteil gegönnt, wenn das Geld es hergegeben hatte. „Jetzt glaub mir schon, das wird super“, meinte Lilith als sie bemerkte, dass Samantha mit ihren Gedanken schon wieder ganz woanders war. „Ich glaub dir ja. Tut mir leid, dass ich nicht so ganz anwesend war.“ „Solange du es gleich bist, ist es in Ordnung.“ Am Ende der Gasse wurde die Straße breiter und nach den letzten Metern waren sie mitten auf der belebten Einkaufsstraße angekommen, von der Lilith die ganze Zeit schon schwärmte. Sie trug den Namen Svarga. Was das jedoch hieß, wusste Samantha nicht und sie war sich sicher, dass es auch nicht griechisch war. „Hindi“, raunte Lilith ihr zu und zwinkerte. „Noch eine Sprache, die Engel sehr gern benutzen.“ „Muss ich die beide lernen?“ „Also, es wäre vom Vorteil. Aber im Moment zählt erstmal nur deine Ausbildung.“ Samantha nickte nur und sie gingen ein Stück weiter. Lilith schien anscheinend auch noch einen Lieblingsshop zu haben. Sie blieben vor einem Schaufenster stehen und schauten sich die neusten Handtaschen eines teuren Designers an, als jemand hinter sie trat. „Hola Prinzessin.“ Samantha drehte sich verwundert herum. Vor ihnen stand ein junger Mann mit schwarzbraunen Haaren und ebensolchen Augen. Um den Hals trug er eine Silberkette mit einem Kreuz daran und durch sein Shirt konnte man die Muskeln erkennen. Seine Arme und sein Gesicht hatten ein sanftes braun. Samantha tippte darauf, dass er aus einem hispanischen Land wie Portugal oder Spanien selbst kommen musste. Er schaute mit einem charmanten Lächeln Lilith an, die sich in ihre blonde Haarmähne fasste. „Hallo Juan.“ Samantha bemerkte sofort, dass ihre Freundin irgendwas hatte. Sie wirkte etwas nervös, seit er vor ihnen stand. Jetzt schaute er zu Samantha selbst. „Hola, mein Name ist Juan. Bist du eine Freundin der Prinzessin?“ „Ja. Ich heiße Samantha.“ Er lächelte, als wüsste er, wer sie war. „Sí, die Auserwählte. Ich kenne dich schon.“ Sie runzelte die Stirn. „Woher denn?“ Juan lächelte immer noch. „Nun, kannst du dich an damals erinnern, in deiner Welt, als du zu Hause alles nach Einbrechern durchsucht hast? Am Ende hattest du Kira gefunden und bist bewusstlos geworden.“ Das Lächeln blieb auf seinem Gesicht. Es schien dort oft zu sein. „Ich hatte damals die ehrenvolle Aufgabe, dich K.O. zu schlagen. Mein Freund Lucius war auch dabei und hat mir geholfen.“ Jetzt fiel es Samantha auch wieder ein. Damals, als sie nach Hause kam und dachte, jemand wäre da. Sie war also doch noch nicht vollkommen paranoid gewesen. „Ich erinnere mich.“ „Nun ja, ich muss dann mal weiter. Euch viel Spaß noch.“ Er machte eine Abschiedsgeste. „Samantha.“ Dann schaute er Lilith einen Moment länger als nötig in die Augen. „Prinzessin.“ Kurz darauf erhob er sich in die Lüfte und war verschwunden. Als er weg war schaute Samantha Lilith an, die in den Himmel blickte, dahin, wo kurz vorher Juan verschwunden war. „Lilith?“ „Mh…“ „Was läuft da?“ Jetzt richtete die Blondine ihren Blick wieder auf ihre Freundin. „Gar nichts.“ In ihren Augen stand bei diesen beiden Worten Sehnsucht und genauso Traurigkeit. „Erklär es mir bitte.“ Sie setzten sich auf eine nahe stehende Holzbank und Samantha wartete darauf, dass ihre Freundin es erklären würde. Nachdem sie sich innerlich unter Kontrolle hatte, tat sie dies auch. „Ich bin jetzt schon zweihundertzweiundfünfzig Jahre alt und habe in meinem Leben bisher immer nur für ihn geschwärmt. Seitdem ich vier bin.“ Sie schüttelte den Kopf. „Als kleines Mädchen musste er so oft in den Palast kommen wegen mir, damit ich mit ihm spielen konnte und sobald ihn ein anderes weibliches Wesen außer ich ihn angesehen hatte, habe ich gleich Besitzansprüche gestellt. Und wenn eine andere außer ich seine Aufmerksamkeit hatte, war ich tieftraurig.“ Sie seufzte. „Das ist heute nicht sehr anders. Außer, dass sich das mit dem Spielen geändert hatte. Aber meine Gefühle sind dieselben.“ Oh Gott, die arme Lilith. Wie es wohl sein musste, jemanden sein ganzes Leben lang zu lieben ohne das etwas draus wird?, dachte sich Samantha und lauschte ihrer Freundin neugierig weiter. „Das Problem allerdings ist, mein Vater verbietet mir sowohl intimeren Umgang mit Jungs als auch eine Beziehung. Er meint, ich wäre noch nicht so weit. Und er kontrolliert mich in der Hinsicht.“ „Wieso?“, unterbrach die Braunhaarige sie. Lilith schaute sie an. „Ich bin die Prinzessin. So viele Männer hier sagen, sie würden mich lieben. Aber eher wegen dem Ansehen und der höheren Stellung, die sie durch mich erhalten würden. Deswegen diese Verbote. Mein Vater will auf Nummer sicher gehen, dass ich nicht ausgenutzt werden kann. Aber so hab ich gleich gar keine Möglichkeiten auf einen Freund. Und ich hätte gern einen.“ Kleinlaut, so wie man sie sonst gar nicht kannte, fügte sie hinzu: „Na ja, eigentlich hätte ich gern Juan…“ Samantha fiel an ihren Worten etwas auf. „Und was ist nachher mit Juan? Ist er auch so einer wie all die anderen?“ „Keine Ahnung. Er zeigt kein spezielles Interesse an mir. Nicht mal so viel, wie bei allen anderen. Juan ist ein Aufreißer, Sammy. Er wechselt die Mädchen wie seine Unterwäsche – wenn nicht sogar noch schneller. Er würde es niemals ernst meinen. Soweit bin ich mir schon sicher…“ Mitleidig blickte sie ihre Freundin an. So hatte sie die sonst so lebhafte Blondine noch nie gesehen. Sie war niedergeschlagen und das nur, weil sie hoffnungslos verliebt war. In einen verdammten Casanova, der mehr Herzen brach, als er flicken konnte. Die Stimmung zwischen den Freundinnen war bedrückend. Nach Liliths Erklärungen hatte keine der beiden wieder etwas gesagt. Schließlich stand Samantha auf. Sie war es nicht gewohnt, dass Lilith so still und traurig war und wollte das schleunigst wieder ändern. Wenn sie nicht gefragt hätte, wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen. Also tat sie das, was sonst andere immer für sie tun mussten. „Los, komm jetzt. Genug Trübsal geblasen. Wir Frauen haben doch sowieso mehr Spaß, wenn wir unter uns sind. Und ich erinnere mich wage daran, dass du mir unbedingt so ein Kleid kaufen wolltest.“ Lilith sah überrascht zu ihr auf und Samantha lächelte sie aufmunternd an. Die Prinzessin konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern und stand auch auf. „Du hast recht. Das wollte ich. Dann los, bevor die Läden zu haben.“ Sie nahm die Hand ihrer braunhaarigen Freundin und zog sie sanft und bestimmt weiter. Samantha war froh, sie so leicht ablenken zu können und würde sich vornehmen, ihr die Sache mit Juan zu ermöglichen. Egal wie. Denn Lilith hatte, ihrer Meinung nach, vollends verdient glücklich zu sein, so wie sie es im Moment war. To be continued. Kapitel 11: Look into the soul ------------------------------ Blick in die Seele “Schau mal”. Lilith hielt ein eisblaues, sehr knappes Kleid empor. „Wie findest du das?“ Es war hinten geschnürt, hatte einen bauschigen Rock und fledermausartige Ärmel. Samantha legte den Kopf leicht schräg. „Das wirkt etwas obszön. Außerdem würde ich so etwas nie anziehen, Lilith.“ Die Blondine schnaubte und legte es über ihre Arm. „Wenn du es nicht willst, dann nehm ich es eben. Ich hab da auch Freude dran.“ „Du hast doch schon genug Sachen.“ Sie schaute ihre braunhaarige Freundin entgeistert an. „Schätzchen, man kann nie genug haben.“ Sie blickte auf Samanthas Arme, auf denen keine Sachen lagerten und dann auf ihre eigenen, vollgepackten Arme. „Wir sollten langsam mal was für dich finden.“ Sie ging in den Gang nebenan. „Ansonsten kauf ich dir irgendwas.“ Samantha lächelte leicht. Na ja, wenigstens ist sie wieder die Alte. Samantha begann, sich ebenfalls etwas umzuschauen. Als sie sich gerade durch die vielen verschiedenen Farben und Arten von Shirts und Tops wühlte fiel ihr etwas sehr wesentliches auf. „Lilith? Kommst du mal bitte her?“ Die Prinzessin ließ nicht lange auf sich warten und bog um die Ecke des Regals. „Was ist denn? Hast du etwa was gefunden?“ „Wie könnt ihr sowas anziehen?“ Sie schien verwirrt. „Wie, was?“ Samantha nahm eines der Tops von der Stange und hielt es hoch. „Da, am Rücken. Wie könnt ihr so etwas trotz eurer Flügel anziehen? Hier gibt’s doch keine Löcher um durchzuschlüpfen – oder wie läuft das da ab?“ Lilith grinste. „Komm mit in die Umkleide, dann zeig ich’s dir.“ Samantha folgte ihrer Freundin in eine der Umkleidekabinen, in der mit Sicherheit fünf Elefanten Platz hätten. Die Prinzessin streifte sich ihr schwarzes, luftiges Kleid vom Körper, welches einfach so von den Flügeln rutschte. Dann nahm sie das Top aus Samanthas Händen. „Pass auf, dass ist ganz einfach.“ Sie ließ ihre Hand über den Stoff am Rücken gleiten und dieser leuchtete leicht auf. Schlagartig sah Samantha, wie sich die Maschen lösten und große Löcher entstanden. Dann streifte Lilith sich das Top über und als es am Körper anlag schlossen sich die Löcher von ganz allein. Man sah keine einzige Maschenlücke mehr. Es wirkte, als wären sie nie da gewesen. „So funktioniert das ganze.“ „Das ist unglaublich.“ Samantha besah sich Liliths Rücken sehr genau und fuhr mit den Fingerspitzen über den Stoff. „Nichts.“ „Das ist Magie, meine Liebe.“ Lilith zog sich mit dem gleichen Prinzip wieder um. „Los, jetzt lass uns weiterschauen.“ Ein paar Läden weiter waren die beiden noch immer auf der Suche nach Klamotten. Lilith hatte sich ein kurzes, komplett besetztes Paillettenkleid, natürlich in schwarz, gekauft, worauf jede einzelne Paillette glitzerte. Jetzt fehlte nur noch eins für Samantha. Und das suchte Lilith eifrig. Sie wühlte sehr gründlich in allen Kleiderständern herum und hielt Samantha jedes zweite Kleid hoch – und jedes wurde abgelehnt. Die Braunhaarige seufzte. „Lil, geb es auf. Das hat doch keinen Sinn.“ „Spielverderberin“, murmelte diese und suchte trotzig weiter. Samantha stand von ihrem Sitzplatz auf und lief ebenfalls zu einem der Kleiderständer. Sie wollte einfach nur irgendwas kaufen, damit Lilith endlich Ruhe gab. Die Blondine war in der Sache Shoppen doch anstrengender, als Samantha es für möglich gehalten hätte. Dann sah sie es. Am Kleiderhaken zog sie es hervor und besah es sich. Ein schwarzes Kleid mit weißen Tupfen im Stil der fünfziger Jahre. Mit einem bauschigen Petticoat, einer Schleife am Ausschnitt und elegant im Nacken gebunden. Samantha war sofort Feuer und Flamme dafür. Lilith kam zu ihrer Freundin, da sie deren verschwinden bemerkt hatte. „Was hast du da?“ „Das Kleid, was ich möchte.“ Die Blondine nahm und besah es sich. „Das ist wirklich schön. Ein Rock ’n Roll – Kleid. Das sieht bestimmt gut an dir aus und wird zur nächsten Party getragen. „Zur nächsten Party? Willst du demnächst eine schmeißen?“ Lilith lächelte wissend. „Sobald mein Vater dienstlich unterwegs ist. Bald steht ein Besuch in Ismoen – der zweitgrößten Stadt der Hölle – an. Sie liegt an unserem kleinen Meer. Ein wirklich schöner Ort. Sie gleicht einer Seestadt.“ „Und da ist sie nicht die Hauptstadt?“ Die Prinzessin schüttelte den Kopf. „So groß ist Ismoen nun auch wieder nicht. Außerdem existiert Solas schon länger und war die Gründerstadt. In Ismoen kann man einfach nur in Frieden leben. Viele reiche Engel haben dort Villen oder wohnen dort. Die, die nicht mehr arbeiten müssen. Wir haben auch eine Villa dort.“ Plötzlich zwinkerte sie Samantha zu. „Zurück zum Thema: Die Party wird geplant, sobald mein Daddy zur Tür hinaus ist.“ Samantha war sich sicher, dass, wenn Lilith eine Party schmiss, sie diese nie vergessen würde. Als Duncan spät abends leise die Haustür öffnete war bereits alles dunkel im Haus. Samantha schlief also schon. Er drückte auf den Lichtschalter und überwand die letzten Stufen zur Garderobe. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Er war erst in der Werkstatt gewesen, für die er als Waffenmeister unter anderem zuständig war. Es war Victors private Werkstatt, über die Duncan, genauso wie über alle anderen, das Sagen hatte. Seine treusten Mitarbeiter hatten ihm einen Tagesbericht geliefert und er hatte die wichtigsten Aufgaben selbst erledigt. Danach hatte sein Weg ihn auf den Friedhof geführt, so wie jeden Tag. Er hatte dort Stunden verbracht und an die schönen Zeiten gedacht. Er zog Jacke und Schuhe aus. Sein Leben war erbärmlich. Viel zu viele Wunden kennzeichneten seine, schon immer, geschundene Seele und keine schien zu heilen. Duncan hob den Kopf und strich sich mit den Handflächen über sein Gesicht. Es würde auch keine heilen. Glück hatte in seinem Leben noch nie existiert. Die Wörter Liebe und Vertrauen kannte er einmal. Aber er hatte sie und ihre Bedeutung verlernt. Als er die Hände sinken ließ fiel sein Blick auf das Tattoo auf, welches sein rechtes Handgelenk zierte. Der Tätowierer hatte damals zu ihm gesagt, es würde für immer halten. Er hatte ihn gefragt, ob er sich sicher war. Vor allem mit dem Buchstaben, den er sich in die eine Ecke des Sternes stechen lassen wollte. Duncan hatte es bejaht. Auch sie hatte zu ihm gesagt, ihre Beziehung würde für immer halten. Diesmal hatte er gefragt, ob sie sich sicher war und sie hatte dies bejaht. Und nun war er allein – verlassen. Von ihr. Aber das Tattoo blieb, so wie der Tätowierer gesagt hatte und es erinnerte ihn immer wieder an sie. Und ihre Taten. Ihre Lügen. Ihren Vertrauensbruch. Seinen Schmerz. Wütend piekste er mit seinem Fingernagel in die Mitte des Sternes. Dann strich er gedankenverloren über jene Ecke, da wo der Anfangsbuchstabe ihres Namens gestanden hatte und wo jetzt eine freie Fläche war. Weg gelasert. Um die Erinnerungen zu bannen und sie zu vergessen. Aber es funktionierte nicht. Es würde nie funktionieren. Kopfschüttelnd bannte er sie aus seinem Kopf. Und damit alle Erinnerungen. Fürs erste. Aber sie würden wiederkommen, wenn er schwach war. So wie eben. Duncan schritt leise die Treppe empor und ging zu seinem Schlafzimmer. Schon von weiten sah er etwas weißes vor der Tür liegen. Er erkannte dann ein zusammengefaltetes Papier und hob es auf. Er schlug es auf und sah eine wunderschöne, saubere Handschrift. Dann begann er zu lesen Ich möchte nur, dass du weist, dass es mir leid tut. In keiner Weise wollte ich dir zu nah treten, dich verletzten oder sonstiges. Es war nur reine Neugier, die ich zügeln werde. Ich akzeptiere das ganze auch. Ich will nur, dass du nicht mehr sauer bist und weist, dass es ein riesiger Ausrutscher war. Das ist alles noch so neu für mich und du bist einer der wenigen, denen ich vertraue. Ich hoffe du nimmst meine Entschuldigung an. Samantha Duncan las den Brief mehrere Male und musste sich eingestehen, dass er von ihr beeindruckt war. Sie hatte ziemlichen Mut mit dieser Entschuldigung bewiesen. Auch wenn sie nur schriftlich war, was aber sehr gerechtfertig war, da sie sich den ganzen Tag nicht mehr gesehen hatten. Aber sie hatte geistige Größe bewiesen. Immerhin war er kurz davor gewesen, sie umzubringen. Normal sollte sie ihn lieber meiden, aber sie tat es nicht. Nein, sie vertraute ihm. Ihm. Er, dessen Leben auf der emotionalen Ebene so gut wie vorbei war. Er, der nur Probleme hatte. Er, der innerlich kaputt war. Es überraschte Duncan sehr. Sanft strich er über die saubere Schrift und steckte dann den Zettel ein. Er war sich sicher, dass Samantha hier einiges verändern würde. Vielleicht auch ihn selbst. Drei Wochen waren seitdem vergangen. Es war nicht sehr viel passiert in dieser Zeit. Duncan hatte Samanthas Entschuldigung angenommen und ihr Training hatte begonnen. Sie hatte angefangen zu lernen, was die kleinen Engelskinder in der Grundschule lernten und wurde auch schon mit den ersten Waffen genauer vertraut gemacht. Wie sie damit umging lernte sie Schritt für Schritt und sie konnte froh sein, dass Duncan so geduldig mit ihr zu seien schien. Außerdem hatte sie nun dreimal in der Woche Beschwörungstraining mit Juan, mit dem sie ihre Gabe trainierte und ausbaute. Sie übten zunächst mit einem kleinen Fuchs, dessen Fell strahlend rot leuchtete und welcher Samantha unheimlich gern hatte. Das gute an der Sache jedoch war, dass Samantha so mit Juan Zeit verbrachte und ihrem Plan, Lilith zum Glück zu verhelfen, einen riesigen Anstoß gab. Sie hatte schon bei der ersten Trainingseinheit festgestellt, dass Juan auch andere Dinge konnte außer ein Macho sein. In den Dingen, die er tat, war er sich unglaublich sicher und korrigierte sie immer an den richtigen Stellen. Sie schien ihn besser kennenzulernen und würde ihn bald einmal auf Lilith ansprechen – das war sie ihr schuldig. „So, dann sind wir für heute terminado“, sagte Juan gerade und nahm den kleinen Fuchs hoch. Samantha schaute verwirrt. „Was?“ Der Spanier grinste. „Fertig, natürlich.“ Sie nickte. Samantha wusste mittlerweile, dass er wirklich Spanier war, beide Sprachen aber auch gern vermischte, da er ebenfalls fließend Portugiesisch sprach. „Also, bis in zwei Tagen, Juan.“ „Sí. Ich werde da sein, Sammy.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich und auch Samantha ging von dem Rasen, auf dem sie trainiert hatten. Sie hatte jetzt eine Verabredung mit Lilith, die sie zu sich in den Palast eingeladen hatte, um ihr etwas Wichtiges zu sagen. Samantha hatte schon den ganzen Tag darüber nachgegrübelt, was das denn sein könnte, hatte aber keine Idee gehabt. Vielleicht etwas mit Juan und ihr? Oder gar Duncan? Duncan. Sie ertappte sich immer öfter dabei, wie sie an ihn dachte. Und fieberte innerlich jedem Training entgegen. Aber wieso? Vielleicht mochte sie einfach nur seine Gesellschaft. Vielleicht war es aber auch etwas anderes. Sie schlug sich gegen die Stirn. Samantha wollte jetzt nicht über so etwas nachdenken. Dafür hatte sie keine Zeit. Sie war die Auserwählte, sie hatte wichtige Aufgaben zu erledigen und alle zählten auf sie. Da blieb keine Zeit für Schwärmereien. Hoffte sie zumindest. Lilith führte Samantha in einen Teil des Gartens, den sie aus den vielen Fenstern des Palastes noch nicht gesehen hatte. Obwohl er sich genau hinter dem riesigen Bau befand. Auf einem gepflasterten Steinweg liefen sie an dem Gebäude entlang, bis sie ein größeres Gewässer erkennen konnte. Es war angelegt, von exotischen Pflanzen bewachsen, die die Seiten abschirmten. Nur nicht die, die am Weg lag. Bambussträucher ragten ebenfalls in die Höhe und hüllten den Teich in Schatten. Ein paar Flamingos fühlten sich dort wie zu Hause. Eine geschnitzte Holzbank stand am Wegesrand mit Blick auf den kleinen See. Dorthin setzten sie sich. Lilith schien es sehr komisch zu finden zu schweigen während Samantha neben ihr vor Neugier fast explodierte. Als sie bemerkte, dass ihre braunhaarige Freundin immer unruhiger wurde, grinste sie. Das Grinsen wurde mit der Zeit immer breiter. „Wieso wolltest du noch mal, dass ich herkomme?“ Lilith schaute sie an, doch das Grinsen blieb da, wo es war. „Mein Vater ist dieses Wochenende in Ismoen.“ Samantha ging förmlich ein Licht auf. „Du willst doch nicht -“ „Doch, genau das will ich.“ Sie strich sich die Haare zurück. „Die Party muss nur sorgfältig geplant werden und die richtigen Leute müssen eingeladen werden. Du wirst mir doch dabei helfen?“ Als Samantha nicht sofort antwortete, wurde das Gesicht der Prinzessin erst. „Oder?“, fragte sie noch einmal nach. „Ich hab davon doch keine Ahnung…“ Lilith lachte. „Oh, dafür brauchst du keine Ahnung. Die Leute lad ich schon ein, keine Sorge. Aber bei allen anderen kannst du mir helfen, auch wenn du angeblich keine Ahnung hast.“ Sie nickte. „Na dann, lass uns gleich anfangen.“ Lilith zwinkerte ihr zu und zog aus dem Nichts einen Block und einen Stift hervor. Freudig schrieb sie die ersten Dinge auf und Samantha schaute ihr zu. Schon bald konnte die Party steigen. To be continued. Kapitel 12: Forget the pain --------------------------- Den Schmerz vergessen Gedämpftes Licht drang durch die edlen Fenster nach außen und hämmernde Bässe ließen die Glasscheiben vibrieren. Die Wachen waren trotz dessen im Dienst und beobachteten aufmerksam die Umgebung rund um den Palast. Solas lag ruhig da - die Stadt hatte sich schon Schlafen gelegt. Aber im Inneren des Palastes ging es heiß her. Lilith und Samantha hatten mit einigen Bediensteten innerhalb weniger Stunden den großen Tanzsaal perfekt hergerichtet. Es gab Tische und Stühle, ein riesiges Buffet mit allerlei Leckereien, welche die Köche des Palastes zu Ehren der Prinzessin angerichtet hatten. Eine riesige Tresenzeile stand nun ebenfalls dort, wo vier Barkeeper eifrig werkelten und ihre insgesamt zwölf Kellner und Kellnerinnen die Gäste fragten, ob sie denn gerne noch etwas hätten. Auf der Tanzfläche bewegten sich viele Engel im Rhythmus der Musik. Man hörte Flügel rascheln und Gelächter. Der gutbezahlte DJ legte nur angesagte Musik auf, zu der man bestens tanzen und feiern konnte. Sie hallte im ganzen Saal wider und den Bass spürte man im ganzen Körper. Da der Saal immer geschmückt war fiel diese wichtige Aufgabe diesmal so gut wie weg, was Samantha gut hieß aber Lilith schon den halben Tag schmollen ließ. Laut ihr war ‘die schönste Aufgabe überhaupt‘ weggefallen. Aber vor allem eines hatte ihre Laune aufgebessert. Ein alter Freund von Victor hatte der Einladung zugesagt, der unter den Engel sehr bekannt und beliebt war. Sein Name war Jeromé und er begeisterte Lilith schon seitdem sie denken konnte. Diesmal hatte er einen alten Klassiker dabei, der ihn so berühmt gemacht hatte. „Ich glaubs immer noch nicht…“, murmelte Samantha und nippte an ihrem Früchtecocktail. Lilith rückte ihr Kleid in Position. „Was denn?“ „Na, brennende Meerschweinchen!“ Sie schaute die Blondine an. „Dieser Magier, oder was das ist, er hat echt brennende Meerschweinchen!“ Lilith grinste. „Erstens, heißt er Jeromé. Zweitens, er ist ebenso ein Engel wie ich, nur nutzt er seine Fähigkeiten zum Entertainment und drittens, durch die brennenden Meerschweinchen wurde er berühmt.“ Sie kippte den letzten Rest ihres Gin Tonic weg und stellte das Glas auf den Tresen. Samantha schüttelte nur den Kopf und lugte zu diesem Jeromé hinüber, der sich gerade mit weiblichen Engeln unterhielt während sein Meerschweinchen fraß und dabei lustig vor sich hin flackerte. Samantha schaute sich weiter um. Von der Bar aus, an der sie zusammen mit der Prinzessin saß, konnte sie fast den gesamten Saal überblicken. Es waren wirklich alle möglichen Engel zu dieser Party gekommen. Samantha kannte nicht einen von ihnen, aber alle schienen sie zu kennen. Sie hatte natürlich bemerkt, dass über sie getuschelt wurde. Lilith hatte ihr zwar versichert, dass dies nur daher kam, da sie die Auserwählte war und der erste Mensch, der lebend in der Hölle existieren konnte. Aber sie selbst war sich da gar nicht so sicher. Ihre alte Unsicherheit war zurückgekehrt und schüchterte sie ein. Es fühlte sich fast so an wie damals in der Schule, als ihr Leben noch normal war und Yessica sie jeden Tag gedemütigt hat. Es fehlt nur noch so eine wie Yessica, dachte sie sich und sah wieder zur Prinzessin. Beide hatten ihre Kleider an, die sie beim gemeinsamen Shoppen gekauft hatten. Dazu passende Schuhe hatte die Blondine ihr ausgeliehen und ein gepunkteter Haarreifen steckte in ihrem Haar. Lilith trug eine ihrer zig Kronen, die sie galant in ihre, nun gelockten, Haare festgeklemmt hatte. „Ich hab Juan noch nirgendwo entdeckt.“ Lilith sah sich weiter um. In ihren Worten schwang ein wenig Enttäuschung mit. „Mit Sicherheit kommt er noch.“ Jedenfalls hatte er das noch am Vortag zu Samantha gesagt, mit der Begründung, er würde sich doch keine Party entgehen lassen. „Ich hoffe, du behältst Recht.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und ließ sich dann noch einen Gin Tonic bringen. Jemand kam zu ihnen, der sich als Duncan entpuppte. Samantha und Lilith wechselten verwunderte Blicke. Lilith wusste, dass Duncan noch nie wirklich ein Partylöwe gewesen war und hatte ihn noch nie irgendwo gesehen, um einfach nur Spaß zu haben. Und als Samantha ihn höflich gefragt hatte, ob er den kommen möchte, hatte er sofort konsequent abgelehnt. Also, wieso war er dann doch gekommen? „Wolltest du nicht zu Hause bleiben?“, fragte die Prinzessin und blickte ihn misstrauisch an. „Eigentlich schon. Nur irgendjemand muss auf euch aufpassen. Es sind einfach zu viele fremde Engel hier.“ Lilith öffnete den Mund, nur Duncan fuhr rasch fort: „Und nein, du kennst nicht alle, die hier sind, Lil.“ Sie warf ihm einen bösen Blick zu und Duncan grinste. Samantha spürte einen Stich in ihrer Brust. Erschrocken fuhr sie auf, als sie bemerkte, was es war: Eifersucht. Sie war wirklich eifersüchtig auf ihre Freundin. Aber Duncan war nun mal zu Lilith ganz anders als zu ihr selbst. Zu ihr war er kalt und distanziert. Aber bei Lilith konnte sie auch andere Seiten an ihm entdecken. Warum mach ich mir darüber überhaupt einen Kopf, dachte Samantha, wobei sie auf Duncans perfektes Gesicht schielte. Die beiden kennen sich schon sehr lange und diese Zeit verband sie nun mal - schon Liliths gesamtes Leben. „Wenn du schon einmal hier bist, kannst du dich ja amüsieren“, meinte Lilith und zwinkerte dem Schwarzhaarigen zu. Dieser grunzte nur und ließ sich neben der Prinzessin auf einen Barhocker sinken. Dann schaute er hinüber zu Samantha, welche aber schnell den Blick gen Boden richtete und bestellte sich anschließend ein Glas Rum. Lilith rutschte auf einmal unruhig von ihrem Hocker. Als Samantha sie ansah brachte sie nur den Namen „Juan…“ heraus. Samantha sah in die gleiche Richtung wie die Prinzessin und erblickte den Spanier. Er sah gut aus, wie immer und seine Kleidung war lässig, sexy und perfekt aufeinander abgestimmt. Ein wahrer Augenschmaus. Als sich die Braunhaarige umsah bemerkte sie, dass dutzende weibliche Blicke auf ihm lagen. Eine braunhaarige Frau mit rotem Glanz im Haar kam zu ihm und mit einem kecken Lächeln versuchte sie ihn zu umgarnen. Sie war sehr hübsch und Juan sprang darauf an und setzte ebenfalls ein charmantes Lächeln auf. Er säuselte ihr irgendetwas zu, worauf sie lieblich Lachen musste. Ein heißer Flirt folgte. Samantha schaute zögernd zu Lilith hinüber. Diese war starr geworden und beobachtete das Spektakel aufmerksam. „Diese Schlampe…“, murmelte die Prinzessin. „Die schmeißt sich ihn immer an den Hals.“ Ihre Stimme war mit Zorn unterlegt. „Fiona kann eben nichts anderes“, kam es von Duncan, der schon sein viertes Glas Rum in sich hinein kippte. Samantha sah wieder zu Lilith zurück, als diese knurrte. Fiona hatte angefangen, Juan zu küssen und er hatte dies erwidert. Sie gaben sich einer wilden Knutscherei hin und bissen sich vor aller Augen rum. „Ich glaub, mir wird gleich schlecht.“ Lilith wendete ihren Blick ab. In ihrer Stimme hatte man jahrelangen Schmerz herausgehört, genauso wie die herbe Enttäuschung darüber, dass Juan, mal wieder, eine andere gewählt hatte und dies so offen zeigte. Wahrscheinlich wird das ein Leben lang so weitergehen, dachte sich die Prinzessin. Ich würde ewig an ihm hängen und jedes Mal verletzt sein, wenn er eine andere berührt und liebt und er würde mich weiter nicht wahrnehmen. Wahrscheinlich irgendwann heiraten und eine Familie gründen, mit einer Frau, der ich am liebsten die Augen auskratzen würde. Er wäre glücklich - und ich? Ich würde ihm ewig nachtrauern, allein bleiben und nie meinen Kindertraum erfüllen können. „Und am Ende einsam sterben…“, flüsterte Lilith verletzt. Samantha rutschte darauf von ihrem Hocker, während die Blondine mit den Tränen kämpfte. Sie lief schnell aus dem Raum und Samantha folgte ihr und holte sie schließlich ein. „Lil…“ Aber die Prinzessin ging weiter, bis sie den Saal verlassen hatten. Erst dann blieb sie stehen und wischte die Tränen weg, die ihr über die Wangen kullerten. „Es geht schon… Das war jetzt eine Kurzschlussreaktion. Ich müsste es eigentlich langsam wissen.“ Samantha war nicht gut im Trösten. Genau genommen musste sie noch nie jemanden wegen irgendwas trösten. Aber sie spürte, dass Lilith den Trost unbedingt brauchte. Sanft legte sie ihr die Hand auf die Schulter und als die Blondine sich umdrehte, zog sie sie in eine Umarmung. „Du kannst nichts für deine Gefühle.“ „Ich weiß. Aber es tut trotzdem so weh…“ Sie löste sich aus der Umarmung und lächelte gezwungen. „Danke, Sammy.“ Lilith schritt zur Treppe. „Ich geh erst einmal hoch, um mich wieder zu beruhigen und mich zu sammeln. Magst du mitkommen?“ Samantha bejahte dies und folgte ihr, als plötzlich die Tür des Saales aufging. „Prinzessin?“, sagte eine männliche Stimme, die Lilith erschrocken zusammenfahren ließ. Aber ihre braunhaarige Freundin drehte sich zu ihm herum. „Das ist unpassend, Juan.“ „No, ich muss mit ihr reden.“ Er versuchte an Samantha vorbeizuschauen. „Bitte, Prinzessin.“ Lilith fing an zu zittern und schloss ihre Hände zu Fäusten. „Nenn mich nicht Prinzessin!“ Ihre Stimme bebte vor Zorn, während die Tränen noch immer über ihre Wangen flossen. Deswegen stand sie auch weiterhin mit dem Rücken zu Samantha und Juan. „Perdón“. Er schien zu zögern, sagte es dann aber schließlich doch: „Lilith, ich würde gern mit dir reden.“ „Nein, lass es einfach.“ Sie wischte sich über die Wangen. „Geh doch wieder zu Fiona. Sie vermisst dich sicherlich schon.“ Argwohn lag in ihrer Stimme. „Aber -“, setzte Juan an, wurde aber sofort wieder unterbrochen. „Sei ruhig! Ich will nichts hören. Lass mich einfach in Ruhe…“ Eilig rannte die Blondine die Treppe hinauf und ließ den Spanier mit der Braunhaarigen zurück. Juan schaute Samantha sprachlos an. Auch sie wusste erst nicht so Recht, was sie darauf noch sagen sollte. „Was hat sie?“, fragte Juan schließlich und Samantha schüttelte nur den Kopf. „Das kann ich dir nicht sagen, tut mir leid. War ein langer Tag.“ Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und ging Lilith nach. Sie fand diese dann auch, in der Kammer, wo ihr Vater sämtlichen Alkohol gelagert hatte, den er von seinen Dienstreisen mitbrachte. Alle möglichen Sorten waren dort zu finden. Lilith selbst hatte verheulte Augen, ihr Mascara war dadurch verlaufen und sie schüttete, sehr zum Entsetzen von Samantha, gerade eine komplette Flasche Wodka in sich hinein. Als diese leer war stellte sie sie ab und nahm eine andere. „Nehm dir, was du willst“, sagte sie zu ihrer Freundin und setzte die neue Flasche schon an ihre Lippen. „Lil, das bringt doch nichts“, begann sie, aber Lilith schüttelte nur den Kopf. „Zum Vergessen reicht es völlig. Ist ja auch nicht das erste Mal.“ Und dann trank sie weiter. Überschüttete ihren Kummer und den Schmerz, den Juan immer wieder in ihr verursachte, ohne es zu wissen. Und es würde auf ewig so bleiben. „Noch ein Glas Rum“, sagte Duncan zum Barkeeper und trank sein letztes Glas aus. Wie viele er mittlerweile intus hatte, wusste er nicht. Was er wusste, war, dass er mal wieder einen seiner schwachen Momente hatte. So wie es so viele gab in letzter Zeit. Aber diesmal war es nicht wegen ihr, nein. Dieses Mal war es wegen einem Schmerz, der viel tiefer ging und schon vor über tausendfünfhundert Jahren seinen Anfang gefunden hatte - die ersten Narben entstanden. Durch seine Familie. Was mit ihr passiert war, wusste er bis heute noch nicht. Nach seinem Tod vor sechzehnhunderteinundvierzig Jahren hatte er nichts von seiner Mutter und nichts von seiner Schwester gehört. Wahrscheinlich waren sie nicht einmal Engel geworden. Na ja, seinem Vater geschieh das ganz recht. Ihn vermisste er auch kein Stück. Er starrte das, nun wieder volle, Glas Rum an. Duncan vermisste sie - seine geliebte Schwester. Und seine Mutter. Wie gern würde er sie umarmen, mit ihnen reden oder einfach nur an ihrem Leben teilhaben. Aber nicht an dem seines Vaters. Der konnte ihm gestohlen bleiben. Und dann war da noch etwas. Das Ereignis vor zwanzig Jahren, nach welchem er festgelegt hatte, dass er beim nächsten Tiefschlag seines Lebens sich die Seele nehmen lassen würde. Egal was Victor, Lilith oder sonst jemand sagen würde. Seine Entscheidung stand fest. Bald war dieser Tag, an dem das Unglück vor zwanzig Jahren geschah. Der Tag der Trauer rückte immer näher. Der Tag, wo die frischeste Wunde auf seiner Seele wieder aufgerissen wurde und von neuem zu bluten begann. Er vermisste ihn schrecklich. Die letzte Person, die ihm geblieben war. Sein Bruder Sheridan. Im Krieg gefallen. Das wurde jedenfalls behauptet. Aber seine damalige Freundin war am selben Tag ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt worden. Ihre Leiche hatte man nicht gefunden - seine schon. Nein, Duncan glaubte fest daran, dass etwas anderes dahintersteckte. Und er würde es herausfinden. Falls die Erzengel seinen Bruder auf den Gewissen hatten, würde er sie alle umbringen. Ohne Gnade. Ein Knurren unterdrückend kippte er das nächste Glas weg. Er sollte aufhören, seine Wut anzusammeln. Der Dämon fing an, sich bemerkbar zu machen, und das war alles andere als gut. Betrunken und gleichzeitig unter dem Dämon würde er schreckliche Dinge tun. Duncan riss sich zusammen, ließ sich noch einen Rum geben und trank ihn auf Ex weg. Bald müsste er genug haben, um den Schmerz zu vergessen. Nur leider tat er, wenn er betrunken war, immer Dinge, die er im Nachhinein bereute. Deswegen trank er meistens nur zu Hause. Wenn er allein war und niemand seinen Absturz sehen konnte. Aber er war nicht mehr allein. Samantha wohnte bei ihm. Aber all das war ihm heute egal. Sollte doch jeder ihn so sehen können. Wäre sicher auch nicht das erste Mal, dass man bemerkte, dass Duncan innerlich kaputt war. Und so trank er weiter. Er wollte einfach mal alles vergessen, nur ein einziges Mal im Leben! Aber er ahnte ja nicht, was das für fatale Folgen haben würde. To be continued. Kapitel 13: Secrets I --------------------- Geheimnisse I Der Abend war schon weit vorangeschritten und Duncan saß immer noch an der Bar. Nur mittlerweile trank er nicht mehr. Er wusste, dass er eine gewaltige Grenze überschritten hatte. Jeder Schluck würde es noch schlimmer machen, als es schon war. Viele der Gäste mussten bereits gegangen sein, denn es war sehr ruhig in dem riesigen Saal. Er saß fast allein dort. Nur er, der Barkeeper und eine handvoll anderer Engel, die sich aber gerade zum Ausgang begaben – oder eher stolperten – waren noch da. Die Prinzessin hatte er schon seit Stunden nicht mehr gesehen, genauso wenig wie Samantha. Wahrscheinlich würde letztere sowieso bei Lilith schlafen, weswegen er darüber nicht nachdenken brauchte. „Duncan?“ Wie es aussah, hatte Duncan sich sehr verschätzt. Er ließ sein Glas los und drehte sich, auf dem Barhocker sitzend, zu Samantha herum. „Was?“ Sie schaute ihn merkwürdig an. Seine Stimme war nicht so sicher wie sonst auch, sondern brüchig und er wirkte dadurch angreifbar. Sie war es nicht gewohnt, ihn so zu sehen und deswegen traf Samantha eine Entscheidung. Sie strich sich einige Haarsträhnen zurück. „Ich wollte jetzt nach Hause und, na ja, dich mitnehmen. Ich glaube du brauchst Schlaf.“ Duncan schnaubte nur, rutschte aber von seinem Hocker herunter auf die Füße. Man konnte sehen, dass er etwas schwankte, aber der Schwarzhaarige hatte einen erstaunlich guten Gleichgewichtssinn. „Ich wollte sowieso gerade gehen“, sagte er, obwohl es nur wenig überzeugend klang. Aber Samantha nickte, drehte sich um und ging in Richtung Ausgang. Duncan folgte ihr langsam nach draußen. Die beiden Monde schienen hell diese Nacht, weswegen es für Samantha ein leichtes war, den richtigen Weg nach Hause zu finden trotz der Größe der Stadt. Duncan neben ihr war schweigsam, wie immer, aber irgendetwas war in dieser Nacht anders. Seine Blicke starrten selbst im Laufen ins Leere. Er schien nur physisch anwesend zu sein. Psychisch war er ganz weit weg. Zu Samanthas Erstaunen murmelte er plötzlich vor sich hin. Im ersten Moment verstand sie nichts, doch dann wurde er ungewollt lauter: „Nur diese scheiß Gabe ist schuld…“ „Was für eine Gabe?“, platzte es ungewollt aus Samantha heraus. Erschrocken über das Gesagte presste sie ihre Handfläche gegen ihren Mund. Doch Duncan reagierte nicht so, wie sie gedacht hätte. Anstatt auszurasten und sie anzuschreien, dass sie das ganze nichts anginge, blieb er einfach nur stehen und hob seinen Blick. Seine grauen Augen wirkten müde und gleichzeitig tieftraurig. Sie blickten direkt in Samanthas Gesicht. „Meine Gabe. Mein persönlicher Fluch…“ Mit wenigen, nicht sehr zielstrebigen, Schritten ging Duncan zu einer nahestehenden Bank und setzte sich. Als er mit der Hand leicht neben sich deutete runzelte Samantha die Stirn. Sie sollte sich zu ihm setzen? Einfach so? Ihr kam der Gedanke, ob er ihr vielleicht davon erzählen wollte. Aber das würde gar nicht zu Duncan passen. Doch soviel Alkohol wie er getrunken hatte… Samantha schritt ebenfalls zu der Bank und ließ sich neben Duncan nieder. Aufmerksam schaute sie ihn an, doch er blickte weiter in die schwarze Dunkelheit vor sich. „Meine Familie…“, begann er dann und sie lauschte aufmerksam. „Wir hatten schon damals als Menschen eigentlich die Gabe von Engeln. Sie nennt sich Pyromanic.“ Er bemerkte, dass Samantha ihn verwirrt anschaute. „Wir lieben das Feuer. Schon damals, als die Römer noch in England herrschten, hatten wir die Gabe, Feuer zu entfachen, sobald wir wütend wurden. Und als dies raus kam wurden wir gehasst und vor allem gejagt.“ Ein leichter Wind kam auf und blies Duncan einige Haarsträhnen vor das Gesicht. Er schwieg und starrte weiterhin in die Ferne. „Duncan, was ist passiert?“, fragte Samantha dann doch nach. Sie wollte ihm helfen und um das zu können musste sie ihn zunächst einmal verstehen. Der Wind kam erneut auf und wehte durch die Haare der beiden. „Ich bin für ihren Tod verantwortlich…“, kam es von ihm und Samantha riss entsetzt die Augen auf. Doch sie konnte nicht fragen, denn Duncan sprach weiter: „Ich werde am besten am Anfang beginnen.“ Sein Entschluss stand fest. Zum ersten Mal in seinem gesamten Leben würde er über die Sachen von damals reden. Über sein Geheimnis, was er niemanden anvertraut hatte. Und das mit Samantha. Er begann zu erzählen. Und dabei sah er alles vor seinem inneren Auge. Durchlebte die Situationen von damals erneut. „Favashi, jetzt warte doch mal!“ Lachend rannte seine Schwester weiter. „Ach komm schon, Duncan! Sei kein Spielverderber!“ Schließlich holte er sie doch ein, weil sie plötzlich abgelenkt und stehen geblieben war. „Was hast du?“ Mit ihren warmen, braunen Augen sah sie ihn an und lächelte sanft. „Nichts.“ Sie fasste sich in die Haare und spielte mit einer Haarsträhne. „Ich hab mir nur gerade überlegt, wen ich lieber habe: dich oder Sheridan?“ Duncan entglitt ein leises Lachen. Er liebte seine kleine Schwester. Sie war zwar schon siebzehn, aber er fühlte sich immer für sie verantwortlich. Er und sein jüngerer Bruder, Sheridan, verbrachten die meiste Zeit mit ihr. Er sah, dass Favashi plötzlich an der Hüfte gepackt und hochgehoben wurde. Lachend versuchte sie sich zu befreien. „Sheridan! Lass mich runter!“ Duncan musste lächeln und sein Bruder kam der Bitte ihrer kleinen Schwester nach. Dann küsste er sie auf die Wange und lächelte. „Ihr seid heute wieder gemein zu mir.“ Die beiden Brüder wechselten einen Blick. Dann antwortete Sheridan: „Wir wären nur gemein zu dir, wenn wir deine heißgeliebten Tiere wieder aufs Dach des Kirchturmes schaffen würden.“ Favashis Blick veränderte sich sofort. Die eben noch fröhliche Miene verschwand und machte einer wütenden Platz. „Ich hab euch schon hundertmal gesagt, noch einmal und ich rede kein Wort mehr mit euch.“ Duncan nahm dieses Versprechen seiner Schwester sehr ernst. Sie war ein kleiner Engel und Tiere waren neben ihrer Familie ihr größter Schatz. Sie liebte sie alle und würde nie einem irgendwas zu leide tun. Deswegen war sie auch leidenschaftliche Vegetarierin. Gerade als Sheridan darauf etwas sagen wollte, flog ein Pfeil nicht unweit von ihnen in den Erdboden. Duncan zog seine Schwester schnell in seine schützenden Arme. Dann zog er sie mit sich. Zu dritt rannten sie den ungeschützten Weg entlang um ihren Verfolger zu entkommen. Doch er schoss weiter auf sie. Sheridan zog seine beiden Geschwister in eine geschützte Gasse. Dort waren sie vor dem Bogenschützen sicher, aber nicht vor der nächsten Gefahr. „Favashi, pass auf!“ Erschrocken drehte sie sich um. Im nächsten Moment steckte ein Dolch in ihrer Brust. Sowohl Duncan als auch Sheridan hatten sie so schnell nicht wegziehen können. Sie brach schwer atmend zusammen. Duncan ging sofort neben ihr in die Knie während Sheridan dem Angreifer nachrannte. „Fava…“, sagte er verzweifelt zu seiner Schwester während sie weiter nach Luft rang. Mit einem Ruck zog Duncan den Dolch heraus, wobei alles nur noch schlimmer wurde. Das Blut durchtränkte ihre Kleider, auch wenn Duncan versuchte, die Blutung zu stoppen. Es half alles nichts. „Duncan…“, flüsterte sie schwach und öffnete die Augen um ihn ein letztes Mal anzusehen. Langsam erloschen die Fröhlichkeit und die Wärme in ihnen. „Ich hab dich sehr lieb, Bruder…“ Dann schloss sie die Augen und ihre Hand, die Duncan festhielt, verlor ihre Kraft. „Favashi…“ Duncan fühlte nach ihrem Puls. Er war nicht mehr vorhanden. „Favashi, nein… Wach wieder auf, bitte!“ Verzweifelt versuchte er sie zu beatmen. Aber es half nichts. Sie war tot. Duncan spürte den Schmerz in seiner Brust, während er Samantha von diesem Tag erzählte. Er wusste, dass Favashi ihm damals nicht die Schuld dafür gab. Aber er gab sie sich. Bis heute. Weil er wusste, dass er dafür verantwortlich war. Und sein Bruder sowie sein Vater hatten es ebenfalls gewusst. Deswegen war es weniger verwunderlich, wie die Situation weiter verlief. Bevor Samantha irgendetwas dazu sagen konnte, redete er weiter. Klirrend zersplitterte der Becher an der Wand. „Ihr seid schuld daran, dass meine Tochter tot ist!“ Duncan und Sheridan sahen zu Boden während ihr Vater weitere wütete. Sämtliche Möbelstücke mussten schon daran glauben, aber seine Wut nahm kein Ende. Es waren nur wenige Tage nach Favashis Beerdigung. Sie mussten sie heimlich und leise verabschieden. Die ganze Stadt stand nun schon gegen sie und die Brüder wussten, dass nur sie dafür verantwortlich waren. „Wieso hättet ihr nicht aufpassen können?! Ihr musstet unbedingt mit eurem Fluch rumspielen, sodass sie es gesehen haben und jetzt ist eure Schwester deswegen tot!“ „Vater, es war keine Absicht –“, begann Sheridan, wurde aber sofort unterbrochen. „Habt ihr euch nur einen Funken Verstand?! Eure Mutter weint seit Tagen ununterbrochen um eure Schwester! Daran seid ihr ganz allein schuld!“ „Wir wurden provoziert und das Feuer konnte sich nur so ausbreiten. Denkst du wir haben das mit Absicht gemacht?“ Duncans Stimme war von Zorn unterlegt. Er hasste diese Anschuldigungen, wusste jedoch, dass sie wahr waren. Doch das nächste brachte ihn aus der Fassung. „Natürlich war es eure Absicht! Ihr wolltet eure Schwester loswerden! Vor allem du, Duncan, du wolltest doch nie etwas anderes!“ Sheridan musste seinen Bruder festhalten, damit er nicht auf ihren Vater los ging. „Ich habe meine Schwester geliebt! Sag nie wieder, ich hätte sie sterben lassen wollen!“ Die Tür glitt auf und ihre Mutter kam herein. Favashi war ihr Ebenbild gewesen. So wie Duncan und Sheridan die ihres Vaters waren. Ihre Augen waren rot. Sie sah erschöpft und müde aus. „Hört bitte auf zu streiten. Das bringt sie auch nicht wieder zurück…“ Sie fasste sich an den Kopf und seufzte. „Mein kleines Mädchen…“ Sheridan machte Anstalten, zu ihrer Mutter zu gehen und sie in den Arm zu nehmen, aber dazu kam es nicht. „Halte dich von deiner Mutter fern, Sheridan! Ihr seid für unser Unglück verantwortlich!“ Er musste ein Knurren unterdrücken. Ihre Mutter blieb stumm. Sie konnte nichts gegen den Zorn ihres Mannes tun. Auch nicht, wie er ihre Söhne behandelte. Sonst würde es ihr nicht anders gehen. Sie war nun mal nur eine Frau, die ihrem Mann unterworfen war. Ihr Vater schritt an seinen Söhnen vorbei und zog seine Frau mit aus dem Raum. Die beiden Brüder blieben zurück. Verwirrt, verletzt und verstoßen von ihrem eigenen Vater. Als Duncan am nächsten Morgen aufwachte, war es sehr still im Haus. Sonst hatte er immer Geräusche vernommen, sogar die letzten Tage. Aber nicht an diesem Morgen. Er rieb sich über das Gesicht und stand anschließend auf. Bevor er nach unten ging klopfte er bei seinem Bruder an die Tür, der sie verschlafen öffnete. „Was ist los?“ „Horch mal.“ Sheridan wusste nicht sofort, was er meinte, aber er tat, was sein Bruder sagte. Dann schaute er ihn verwirrt an. „Sie sind noch gar nicht wach.“ „Komm.“ Gemeinsam gingen sie nach unten, nur um alles wie am Vorabend anzufinden. Ein Blick nach draußen sagte ihnen jedoch, dass es schon nach Mittag war. Ihre Eltern würden sonst nie solange schlafen. Duncan begab sich dann zu dem Schlafzimmer ihrer Eltern, als ihm ein Geruch in die Nase stieg. Eine Angst überkam ihn plötzlich, die er letztens schon einmal verspürt hatte. Und zwar bei Favashis Tod. Er ging den Gang weiter entlang und sah, dass die Tür des Schlafzimmers offen stand. Duncan traute sich nicht die Tür weiter zu öffnen und hereinzugehen. Zuviel Angst hatte er vor dem, was er sehen könnte. Sheridan kam ebenfalls zu ihm. Ihm dürften die Anzeichen auch nicht entgangen sein. „Wir müssen die Tür öffnen.“ Als Duncan ihn anstarrte sprach er weiter. „Duncan, wir müssen wissen, ob unser Gefühl recht hat.“ „Ja.“ Schließlich schob Duncan die Tür auf und zusammen traten sie herein. Ihre Eltern lagen auf dem Bett. Überall war Blut. Soviel Blut hatten beide in ihrem Leben noch nie gesehen. Ein Schwert verlief durch die Körper der beiden. Fast schon friedlich hatte ihr Vater ihre Mutter im Arm. So als würden sie schlafen. Aber das Schwert, welches noch immer von der Hand ihres Vaters umklammert wurde und in beiden Körpern steckte zerstörte die Idylle. „Er hat sie umgebracht.“ Sheridans Fassungslosigkeit war in seinen Worten zu hören. Und Duncan erging es nicht anders. Beide starrten auf die Leichen ihrer Eltern und fassten Gedanken zur Rache. Sie würden ihre Schwester rächen. Denn damit hatte alles angefangen. Niemand sollte sich ihnen in den Weg stellen. Ansonsten würde er böse enden. Nämlich tot. Duncan schwieg für einen Moment und schloss die Augen. Samantha saß einfach nur neben ihm und schaute ihn stumm an. Sie wusste einfach nicht, was sie darauf äußern sollte. Es war einfach zu krass, was Duncan erlebt hatte. Oder durchleben musste. Weil sie dachte nicht, dass er schuld trug. „Konntet ihr eure Gabe damals kontrollieren?“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Nein. Womit auch? Sie brach aus uns hervor, wann sie wollte. Heute ist das wesentlich einfacher.“ „Dann ist es nicht deine Schuld gewesen.“ Darauf schwieg Duncan. Samantha versuchte zu erkennen, ob er seine Augen wieder geöffnet hatte, aber sie sah nichts. Seine Haare versperrten ihr die Sicht. „Konntet ihr euch rächen?“ Duncan nickte und erzählte die Geschichte, mit dem bösen Ende, fertig. Der Tag an dem der Tod der beiden Brüder beschlossen wurde war bewölkt und windig. Vor zwei Tagen war es den Menschen gelungen, durch eine Falle die beiden gefangen zu nehmen. Nun sollte heute der Tag sein, an dem sie den Tod finden sollten. Nachdem sie Monate durch die Lande gezogen waren und hunderte von Menschen ermordet hatten waren sie dran für ihre Taten zu büßen. Viele schaulustige Menschen hatten sich auf dem Platz zusammengefunden. Auch waren Menschen da, die durch die Mordlust der Brüder Familienmitglieder und Freunde verloren hatten. Jetzt wollte sie die Mörder leiden sehen. Die Wachen führten sie hinauf auf den Podest und die Menschen jubelten. Duncan hatte den Blick gen Boden gesenkt und wartete nur noch darauf, dass alles endlich ein Ende hatte. Nichts anderes wollte er mehr als den Tod. Und er sah seinem Bruder an, dass es ihm genauso ging. Rücken an Rücken wurden sie schließlich zusammengebunden und unsanft auf einen großen Holzstapel geschubst. Duncan wusste nicht gleich, was sie vorhatten, aber als sie mit brennenden Fackeln auf sie zukamen, konnte er es ahnen. Sie wollten das Feuer zu ihrem Feind machen und sie verbrennen. „Sheridan?“ Sein Bruder bewegte sich leicht. „Ja?“ „Wir sehen uns vermutlich in der Hölle wieder.“ Sheridan musste trotz der Situation leise lachen. „Ja.“ Das waren die letzten Worte, die sie wechselten, ehe das Holz angezündet wurde und das Feuer begann, sich durchzufressen. Erst durch das Holz und dann durch die beiden Körper. „Wir hatten wenige Tage vor unserer Festnahme den Mörder unserer Schwester gefunden und getötet“, beendete Duncan die schreckliche Geschichte und verstummte dann. Samantha wusste nichts, was sie sagen könnte. Sie verstand jetzt, wieso Duncan so war, wie er nun mal war. „Das tut mir sehr leid, Duncan.“ Er rieb sich über das Gesicht und stand langsam auf. Kein Wort kam über seine Lippen. Dann ging er ein paar Schritte, aber er schwankte sehr. Samantha sprang von der Bank auf und hielt ihn am Arm fest. „Ich bring dich nach Hause, ins Bett.“ Auch darauf bekam sie keine Antwort, aber sie nahm es einfach mal als Zustimmung auf. Sie henkelte sich bei ihm ein und langsam gingen sie den Weg weiter. Duncan schwieg weiter und schaute auf den Boden. Sein Gesicht war emotionslos. Wahrscheinlich war doch alles ein bisschen viel für ihn gewesen. Als sie endlich zu Hause waren hielt Samantha ihr Versprechen und brachte Duncan sofort in sein Zimmer. Sie sah es das erste Mal. Duncan war wirklich kein Freund von Farbe. Sein Bettbezug war schwarz. Seine Tür. Seine Möbel. Sein Teppich. Einfach alles war schwarz. Ausgenommen die Wände. Die waren weiß. Andere Besonderheiten fielen ihr auf den ersten Blick nicht auf. Nur das ganze Schwarz-Weiß-Spiel. Samantha brachte ihn zu seinem Bett und ließ ihn sich darauf langsam setzen. „Brauchst du noch irgendwas?“ Als Duncan wieder schwieg runzelte sie nur die Stirn. „Okay, dann ruf, wenn du noch was brauchst. Ich geh dann mal. Gute Nacht.“ Sie drehte ihm den Rücken zu und ging zur Tür. Gerade als sie die Türklinke in der Hand hielt regte sich Duncan und sagte leise: „Danke, Samantha.“ Zuerst war sie überrascht, aber dann schlich sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. „Gern.“ Erst dann verließ sie das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Sie hatte noch nie gehört, wie Duncan sich für irgendwas bedankte. Es war ein kleines Highlight für sie gewesen, als sie dieses kurze Wort von ihm hörte. Und sie war überrascht, dass er seine Vergangenheit mit ihr geteilt hatte. Obwohl er das noch nie hatte. Und dann kam sie und genau ihr erzählte er dies. Samantha verstand es nicht, aber sie fasste den Gedanken, dass sich ihre Beziehung gerade verbessert hatte. Sie hoffte es. Ja, sie war sogar etwas gerührt davon. Nur von diesem einem klitzekleinem Wort. Danke. Es tat gut, jemandem geholfen zu haben. Sofort wenn sie am nächsten Morgen aufwachte würde sie zu Lilith gehen und ihr davon erzählen. Jetzt musste sie nur noch darauf hoffen, dass es der Blondine dann halbwegs gut ging und sich nicht ins Koma säuft wegen Juan. Wie es ihr wohl gerade geht?, war Samanthas letzter Gedanke, bevor sie in ihr Zimmer ging und sich schlafen legte. Sie würde es am nächsten Morgen ja sehen. Jetzt wollte sie nur noch schlafen und nachdenken. Über das, was Duncan ihr anvertraut hatte. Seine Vergangenheit. To be continued. Kapitel 14: Secrets II ---------------------- Geheimnisse II Unzählige leere Glasflaschen sammelten sich auf dem weichen, gelben Teppich. Mitten in dem Chaos der Flaschen saß sie. Die Knie angezogen und ihr Kinn darauf abstützend saß sie einfach nur da und starrte an die gegenüberliegende Wand. Ihre Augen waren leicht glasig. Und tief in ihrem Innersten war sie leer. So wie es fast immer war, wenn sie enttäuscht und verletzt war. Aber sie wollte und konnte einfach nicht akzeptieren, dass er kein Interesse an ihr zeigte. Fand Juan Álvarez sie nur wirklich so unattraktiv? Oder hatte er nur die Erinnerungen im Kopf, als sie noch ein kleines Kind war? Lilith schnaubte. „Vielleicht auch beides.“ Langsam zog sie sich am Sofa hoch, welches neben ihr stand, und kam wieder auf die Beine. An den Kopf fassend murmelte sie etwas von einem Schwindelgefühl und tapste in Richtung ihres Badezimmers. In ihrem weiß-goldenem Bad mit den petrolfarbenen Akzenten sah sie in den Spiegel. Erschreckend stellte sie fest, dass man ihr die schlechte Stimmung, sowie den Alkohol, ansah. Sie strich sich über die Wangen und fragte sich, ob das alles überhaupt noch einen Sinn hatte. Es war doch schon ihr Leben lang das gleiche, also wieso gab sie dann nicht einfach auf? Lilith stützte sich mit den Händen auf dem Waschbecken ab und ließ ihren Gedanken freien Lauf. So versetzte sie sich so für einige Minuten in die Vergangenheit… Ein kleines, blondhaariges Mädchen flitzte den langen Gang entlang. Ihre beiden Zöpfe flogen umher und sie rief: „Papi!“ Als sie um die Ecke rannte, stieß sie mit einen der Wächter zusammen, der sie im letzten Moment festhielt, damit sie nicht fiel. „Vorsicht, Prinzessin.“ Sie kicherte und ein schwarzhaariger Mann kam, der sie ansah. „Lilith, was machst du schon wieder für Unsinn?“ Seine schwarzen Augen ruhten auf ihr und sie rief fröhlich: „Papa!“ Der Wächter ließ sie los, sodass Lilith zu ihrem Papa laufen konnte. Sie umarmte seine Beine und lächelte. „Ich mag mit Ju-Ju spielen.“ Er nahm seine fünfjährige Tochter hoch. „Juan hat zu tun.“ „Nein, hat er nicht!“, schrie sie schon fast. „Ich will, dass er herkommt, Papa. Sofort!“ Ernst sah ihr Vater sie an. „Lilith, so erreichst du gar nichts.“ Jetzt wurde ihr Blick bettelnd. „Bitte, Papi.“ „Nein.“ „Bitte, bitte, bitte!“ Er seufzte und setzte sie wieder auf dem Boden ab. „Dann warte hier. Ich lass ihn holen.“ „Juchhu!“, rief sie und hüpfte fröhlich im Gang herum, was ihrem Vater sogar ein kleines Lächeln ins Gesicht zauberte. Aber es verschwand sehr schnell wieder. „Sei brav und warte hier. Sonst schick ich ihn gleich wieder weg.“ Lilith ließ sich nach ihrem letzten Sprung mit dem Po auf den Boden plumpsen und schaute ihrem Vater abwartend nach, als dieser ging. Kurze Zeit später kam auch ein braunhaariger Mann zu ihr. „Hola Prinzessin.“ „Ju-Ju!“ Sie sprang auf und rannte zu Juan. Mit ihren Armen umfasste sie seine Beine und drückte sich, so gut es ging, an ihn. Mit ihrem Schwung hätte sie ihn fast umgeschmissen, was ihm bewusst war und zum lächeln brachte. Er ging in die Hocke, damit sie ihn besser umarmen konnte. „Was möchte denn die Prinzessin mit mir tun?“ „Hm…“ Lilith überlegte wirklich und konnte sich einfach nicht entscheiden. „Also, entweder wir kuscheln oder wir spielen was.“ „Und was möchtest du zuerst tun?“ „Ich weiß es ja nicht.“ Juan musste lachen und Lilith lächelte darüber und umarmte ihn wieder. Auch er musste darüber lächeln und streichelte ihr sanft über den Rücken. „Juan?“, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme hinter ihnen. „Was machst du da?“ Lilith versuchte sofort hinter Juan zu schauen, aber sie war zu klein, um etwas erkennen zu können. Juan drehte den Kopf herum. „Die Prinzessin wollte mich sehen.“ Jetzt klang die weibliche Stimme genervt. „Ist ja schön, aber, kommst du dann? Du wolltest mir doch was zeigen, bei dir zu Hause, oder nicht?“ „Doch, ich bin schon da.“ Er streichelte der Prinzessin noch mal über den Kopf und stand auf. Lilith schaute sofort traurig. „Ju-Ju…“ „Lo sentimos, Prinzessin. Wir sehen uns bald wieder.” Damit ging er zu der Frau, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Lilith musste weg schauen und rannte auch wenige Augenblicke später davon, weil ihr die Tränen kamen. Ihr tat es weh, ihren Ju-Ju mit dieser anderen zu sehen. Weinend rannte sie in ihr Zimmer, wo sie sich auf ihr Bett schwang und bitterlich schluchzte. Und so schlief sie irgendwann, Stunden später, ein. Es hatte ihr damals sehr weh getan. Und es tat ihr heute noch weh. Wenigstens wusste sie jetzt, dass die Frau von damals auch die Frau von diesem Abend war. Fiona war schon sehr lange hinter Juan her und schaffte es immer wieder, ihn rumzukriegen. So wie es an dem Abend passiert war. Es klopfte an ihrer Zimmertür, was Lilith hochschrecken ließ. Sie wischte sich schnell über die Wangen, was aber ihr Aussehen im Moment nicht gerade aufbesserte, und ging langsam zur Tür. Unterwegs musste sie sich des Öfteren an einer der Wände festhalten. Dann öffnete sie die Tür und erstarrte. „Hola Lilith. Ich hoffe, du hast noch nicht geschlafen. „Juan…“ Er nennt mich doch sonst immer nur Prinzessin, war das Erste, was ihr durch den Kopf schoss. Er schaute sie weiterhin an. „Hast du geweint?“ Er streckte seine Hand aus und strich mit seinen Fingern über eine ihrer Wangen, dort, wo man die Tränenflüsse sehen konnte. Lilith schwieg und wich seinem Blick aus. „Mir geht’s nicht sonderlich gut.“ Juan sah kurz an ihr vorbei. Er hatte die vielen leeren Flaschen auf ihrem Teppich erspäht. „Das glaub ich dir. Darf ich jetzt vielleicht mit dir reden oder ein andermal?“ Sie trat zur Seite und gewährte ihm somit Eintritt. Zwar war sie eben noch tieftraurig und wusste, dass sie es, sobald er weg war, wieder sein würde, aber im Moment wollte ihre egoistische Seite ihn bei sich haben. Zu lange musste sie zurückstecken und damit sollte jetzt Schluss sein. Zusammen setzten sie sich auf das Sofa und Juan ließ seinen Blick zuerst durch den Raum wandern. Dann sah er wieder die Prinzessin an, die verkrampft neben ihm saß und an die Wand blickte. „Lilith?“ Leicht zuckte sie zusammen. „Tut mir leid.“ Er runzelte leicht die Stirn. „Was ist denn los? Und was war heute los, als du so aufgelöst hochgegangen bist?“ Sie zog die Knie an ihren Körper und legte die Arme um ihre angezogenen Beine. „Ich war verletzt.“ „Wieso?“ Jetzt sah sie zu ihm auf und Tränen glitzerten in ihren Augen. „Juan, es tut mir weh, wenn du eine andere anschaust. Es tut mir weh, wenn du eine andere berührst, sie küsst. Einfach alles tut mir weh. Weil ich es nicht bin, es aber so gern wäre, seit Jahren…“ Die letzten Worte waren nur ein leises Flüstern, aber Juan hatte sie deutlich verstanden. Lilith spürte eine warme Berührung an ihrer Wange und eine andere auf ihren Knien. Es waren Juans Hände. Er war ihr näher gekommen und sah sie an. „Ich wollte dir nicht weh tun, Lil. Noch nie wollte ich das.“ Er strich sanft über ihre Wange, während Lilith ihn abwartend ansah. Innerlich freute sie sich schon über seine Worte. So etwas hätte sie sich nie erhofft. „Weist du, ich habe auch Gefühle für dich. Nur ich tu mich schwer, sie zu zeigen. All die anderen haben mir nie etwas bedeutet. Und dein Vater macht die Sache nicht gerade leichter, verstehst du?“ Die Prinzessin fühlte sich wie auf einer Wolke. Es war dieser Augenblick, von dem sie Jahrhunderte geträumt hatte. Juan hatte Gefühle für sie und er hatte sie ihr gestanden! Sie musste anfangen zu lächeln, aber nickte, als Antwort auf sein Gesagtes. Juan hob ihr Kinn sanft an und lächelte auch. „Sei nicht mehr traurig und lass uns den Abend noch genießen hm?“ „Ja“, sagte sie glücklich und beugte sich etwas zu ihm hoch, um ihre Lippen auf seine zu legen. Er erwiderte den Kuss und Lilith spürte, dass seine Lippen sehr weich waren. Der Kuss war sanft, aber fest zugleich, und Lilith versuchte all die Gefühle, die sie seit Jahren in ihrer Seele verschloss, in ihm freizulassen. Sie ließ sich auf dem Sofa nach hinten fallen und Juan glitt über sie. Dabei versuchte er, sie nicht mit seinem Gewicht zu belasten. Nach einem weiteren, tiefen Kuss strich er über die Außenfedern ihrer Flügel und sie erschauderte, konnte gerade noch so ein Aufstöhnen unterdrücken. Denn Flügel waren besonders sexuell erregbar und spielten beim Sex zwischen Engeln sowie beim Vorspiel eine sehr relevante Rolle. Lilith nutzte dieses Wissen ebenfalls und strich sanft durch seine Federn, was auch nicht spurlos an Juan vorbeiging. Ein Feuer entfachte in seinen Augen und er küsste sie wieder innig. Lilith machte bereitwillig mit. Der Kuss war Juan pur. Juan legte seine Hände an ihre Taille und begann ihren Hals mit seinen Lippen zu liebkosen. Lilith schmiegte ihren Körper an seinen und gab sich den Berührungen hin, wollte den Zauber zwischen ihnen nicht zerstören. Sie wollte nichts mehr sehen und nicht mehr sprechen, nur noch ihn fühlen. Er fuhr mit den Handflächen über ihre Taille und ihren Brustkorb, glitt über ihre Brüste und legte ihr beruhigend die Hände auf die Schultern, um dann über ihre Arme zu streichen. Mit der Zunge befeuchtete er ihre Lippen. Lilith zog Juan ruckzuck sein Oberteil aus und streichelte mit den Händen über seinen vollkommenen Körper. Sie war fasziniert von der olivfarbenen Haut, welche glatt und gleichzeitig weich war – und darunter spielten seine geschmeidigen Muskeln. Mit den Fingernägeln fuhr sie über seine Brustwarze, welches ihn dazu brachte, die Luft anzuhalten. Mühsam unterdrückte er ein Aufstöhnen. Dann vergrub sie ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und sog seinen Duft ein, der widerstreitende Gefühle von Ruhe und Lust in ihr auslösten. Und plötzlich schoss es ihr durch den Kopf, dass Juan vollkommene Sicherheit bedeutete. Er würde sie beschützen, das stand fest. Sie begann, an seinem Hals zu saugen, nahm eine Hautfalte zwischen ihre Zähne. Juan schmeckte nach Sommer und Salz. Lilith atmete tief ein und nahm ihren Mund von seiner Haut. Es war für sie um einiges schwerer, als es eigentlich hätte sein sollen. Aber zu lange hatte sie hier drauf gewartet. „Schließ deine Augen“, flüsterte er, und seine Lippen berührten ihre Schläfe, beide Augenlieder und ihre Wangenknochen. Dann biss er sie sanft ins Kinn. Seine Finger wanderten unter ihr Kleid, seine Hand lag groß und heiß auf ihrem Bauch. Lilith schmiegte sich an ihn und versuchte, ein Schnurren zu unterdrücken. Seine Brust traf auf ihre und sie sehnte sich danach, seine Haut auf ihrer zu spüren. Blitzschnell zog sie den seitlichen Reißverschluss ihres Kleides auf und schlüpfte heraus, wobei Juan ihr half. Dann lag sie in Unterwäsche unter ihm. Mit einer geschickten Handbewegung öffnete Juan ihren BH, nahm ihre Brüste in seine Hände, umfasste und liebkoste sie. „Meine Hände haben früher immer gezittert, wenn ich dich irgendwie berührt hatte“, sagte er und küsste innig ihr Schlüsselbein, bevor er mit den Fingern darüber strich. Lilith spürte, dass seine Hände immer noch zittern. „Das tun sie heute noch.“ Juan ließ zwei Fingern unter den Saum ihres Slips gleiten und spätestens jetzt wusste Lilith, dass das der bisher schönste Abend ihres Lebens werden würde. Noch bevor die Sonne aufging wachte Juan am nächsten Morgen auf. Er öffnete die Augen und sah eine schlafende Lilith vor sich liegen. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen und sie hatte sich im Schlaf an ihn geschmiegt. Sein Arm lag um ihre Hüften. Jetzt fiel ihm der gestrige Abend wieder ein. Und was zwischen ihm und der Prinzessin geschehen war. Sie hatten sich zuerst auf dem Sofa geliebt, bevor sie es in ihr Bett geschafft und noch einmal miteinander geschlafen hatten. Danach war Lilith erschöpft, aber glücklich, in seinen Armen eingeschlafen, und auch Juan musste sich eingestehen, dass er seit langem mal wieder eine ruhige Nacht hatte. Er wusste selbst nicht so genau, was am Abend mit ihm los war. Er hatte nie vorgehabt nach Hause zu gehen, nein, er wollte von Anfang an zu Lilith. Aber seine widersprüchlichen Gefühle hatten ihn zurückgehalten. Bis es der Alkohol möglich gemacht hatte. Und als er dann Lilith gesehen hatte, wie aufgelöst und traurig sie war, nur wegen ihm, da konnte er nicht mehr gehen. Denn, auch wenn Juan es sich nicht wirklich eingestehen wollte, er hatte gewisse Gefühle für sie. Doch genau das machte ihm so eine scheiß Angst. Vorsichtig nahm er seinen Arm von ihrer Hüfte und stand langsam auf. Sanft legte er wieder die Decke, welche verrutscht war, über Lilith, damit sie nicht fror, obwohl das im Spätsommer eher unwahrscheinlich war. Aber man wusste ja nie. Dann strich er sich durch die Haare. Die Gefühle, die in seinem Inneren brodelten, und sich seit letzter Nacht nur verstärkt hatten, verwirrten ihn. Natürlich empfand er etwas für Lilith, nur was war es? Sie hatte ihm ja gestern deutlich bewiesen, dass sie kein kleines Mädchen mehr war, sondern eine junge Frau, als die er sie jetzt auch ansah. Aber er hatte große Angst. Angst sich zubinden. Angst enttäuscht zu werden. Einfach Angst, auf jemanden angewiesen zu sein. Das war sein größtes Problem. Schon seit er sich in der Hölle befand. Und deswegen durfte so etwas wie Lilith nicht sein. Für Liebe und Zärtlichkeiten hatte er Verständnis, aber das ganze auf eine Person, die er lieben soll, reduzieren? Natürlich waren da Gefühle, aber waren sie richtig? War Lilith richtig? Ein Seufzen entglitt ihm. Wenn es nur sein innerer Konflikt wäre, wäre es ja eventuell noch machbar. Aber da war ja noch Liliths Vater, Victor, der ihm die Hölle, im wahrsten Sinne des Wortes, heiß machen würde, sollte er etwas mit Lilith anfangen. Okay, er würde es jetzt schon tun, wenn er wüsste, was sie letzte Nacht getan hatten. Victor würde Juan nicht einfach nur töten, nein, er würde ihn vorher ordentlich foltern dafür, dass er sich an seinem kleinen Mädchen vergriffen hat. Sein Beschützerinstinkt war einfach zu groß und weder er, noch Lilith, konnte sich dagegen wirklich wehren. Dann kam noch dazu, dass Juan zu den wenigen Leuten gehörte, denen Victor vollends vertraute und mit wichtigen Aufgaben betreute, die für das Wohl aller Engel sorgten. Sollte er dieses Vertrauen aufs Spiel setzen? Juan erschien es, als würde die Luft knapp werden. Panik stieg in ihm hoch. Was, wenn Victor schon längst zu Hause ist und er ihn hier erwischte? Oder wenn einer der Wächter Juan verriet? Er hatte nicht vor, kläglich zu enden, wegen einer Nacht mit der Prinzessin und Gefühlen, die er, verdammt noch mal, einfach noch nicht zuordnen konnte oder ihm Angst einjagten. Mit schnellen Schritten ging er aus dem Schlafzimmer, zurück in das Wohnzimmer und zog eilig seine Sachen an. Dann sah er auf dem Fußboden ein gebrauchtes Kondom liegen, mit Sicherheit von gestern. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Hatten sie beim zweiten Mal, im Schlafzimmer, eigentlich verhütet? Irgendwelche Krankheiten hatte er nicht, dass wusste er. Und Lilith würde sicherlich auch keine haben, als Prinzessin. Aber Schwangerschaft – Mit Sicherheit haben wir wieder verhütet. Damit war für ihn das Thema vergessen. Zunächst jedenfalls. Nach einem kurzen Abstecher im Bad kehrte er noch einmal zu der schlafenden Prinzessin zurück. Ihre blonden Haare fielen ihr als Strähnen ins Gesicht. Juan fiel wieder einmal auf, wie wunderschön sie doch war. Und mit ihren blonden Haaren, die sie seit Geburt hatte, war sie etwas sehr besonderes. Racheengel wurden normal immer mit schwarzen oder braunen Haaren geboren, niemals mit blonden. Na ja, bis auf Lilith. Sie hatte Kurven und Rundungen an den richtigen Stellen und Juan wusste, dass er nicht der einzige Engel war, der sie begehrte. Viele taten dies. Sehr viele. Und Victor war sich dem auch bewusst. Deswegen versuchte er seine Tochter mit Verboten zu 'schützen', was nicht sonderlich gut zu klappen schien. Sieht man deutlich an letzter Nacht. Juan strich ihr sanft mit seinen Fingerspitzen einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und küsste sie auf die Stirn. Vielleicht zum letzten Mal. Dann verließ er das Schlafzimmer und die Wohnung der Prinzessin. Glücklicherweise war keiner der Wächter zu sehen und so konnte er verschwinden, als wäre er nie da gewesen. Nur er und Lilith wussten, was sie letzte Nacht getan hatten und seiner Meinung nach, sollte das so bleiben. Doch er hatte ja keine Ahnung, dass er von neugierigen Augen beobachtet wurde. To be continued. Kapitel 15: Day Zero -------------------- Tag Null Samantha ging gerade um die Ecke des Ganges, an welchem man zu Liliths Wohnung kam – in die Richtung, wohin sie die Wächter geschickt hatten. Doch als sich die Tür vorsichtig öffnete, sprang sie regelrecht wieder hinter die Ecke und lugte vorsichtig hervor. Es war eine spontane Reaktion gewesen. Samantha traute ihren Augen nicht, als Juan herauskam. Er sah sich aufmerksam um und schlich sich dann weg. Als er nicht mehr zu sehen war, kam Samantha langsam hervor. Was war denn bei denen letzte Nacht noch vorgefallen? Da Juan, zu Samanthas Glück, die Tür nicht ganz geschlossen hatte, sondern sie noch einen Spalt auf war, konnte sie unbemerkt in die Wohnung schlüpfen. Im Wohnzimmer sammelten sich dutzende Flaschen. Samantha bekam ein schlechtes Gewissen, als sie es sah. Sie wusste ja, dass Lilith sich am letzten Abend mit genügend Alkohol eingedeckt hatte. Trotzdem war sie nach Hause gegangen und hatte Lilith allein gelassen. Nun sah sie, was dadurch passiert war. Ob Alkohol für Engel auch gesundheitsschädlich war? Dann fielen Samantha die herumliegenden Sachen, welche die Prinzessin am Vorabend anhatte und nun im ganzen Raum verstreut waren, auf. Sie ging ins Schlafzimmer, wo sie Lilith in ihrem Bett liegen sah. Sie schlief friedlich, mit einem Lächeln auf den Lippen, in ihre Decke gekuschelt. „Lil?“ Doch sie schlief einfach weiter. Samantha überlegte, ihr die Decke einfach wegzuziehen, aber sie war nicht scharf darauf, ihre Freundin nackt zu sehen, was sie sicherlich war. Wenn Juan schon die Nacht hier verbracht hatte und Lilith so viel Alkohol intus hatte, hatte sie sicherlich nicht in Unterwäsche oder Schlafsachen geschlafen. „Lilith?“ Wieder bekam sie keine Reaktion. Samantha beugte sich zu der schlafenden Prinzessin hinunter und schüttelte sie sanft. Endlich schlug Lilith die Augen auf, doch sie erschrak sich, als sie ihre Freundin sah. Sie hatte jemand anderen erwartet. „Wo ist Juan?“ Samantha ließ sich auf der Bettkante nieder. „Der ist vor ein paar Minuten gegangen.“ „Was?“ „Na ja, ich hab ihn eben rausgehen sehen.“ Liliths Gesicht nahm einen enttäuschten Ausdruck an. „Wahrscheinlich hat es ihm doch nicht so viel bedeutet, wie er gesagt hat...“ Samanthas Stimme hatte einen bemitleidenden Unterton, als sie sagte: „Was ist denn gestern Nacht noch passiert?“ Die Blondine zog ihre Decke noch ein Stück hoch. „Er hat mich verführt! Er hat gesagt, er hat Gefühle für mich und ich Idiotin habe ihm geglaubt!“ „Ihr habt miteinander geschlafen“, schlussfolgerte Samantha und Lilith nickte. „Gleich zweimal!“ Sie seufzte und machte eine drehende Handbewegung, die Samantha auch verstand und ihr den Rücken zudrehte. Lilith stand auf, suchte sich eilig etwas zum anziehen in ihrem Kleiderschrank, bevor sie wieder zurückkam. „Bitte ein Themawechsel.“ „Duncan hat mir gestern Abend einiges über sich erzählt.“ Fassungslos sah die Prinzessin ihre Freundin an. „Was? Wie hast du das denn geschafft?!“ „Er hat sich gestern Abend ziemlich die Kante gegeben und ihm ging es so schlecht, dass ich ihn irgendwann gefragt habe, was los sei und er hat mir seine Vergangenheit erzählt.“ „Wie gemein. Mir hat er es nie erzählt.“ Schmollend ließ sie sich neben ihrer Freundin nieder. „Dafür tust du es jetzt.“ Und Samantha erzählte ihr von Duncans Gabe, seiner angeblichen Schuld, dem Tod seiner Schwester, dem Selbstmord seiner Eltern und seine eigene Verurteilung. Sie erzählte ihr alles so, wie Duncan es ihr am Vorabend auch erzählt hatte. Lilith hörte schweigend zu, machte ab und an mal große Augen oder nickte knapp, als Zeichen, dass sie verstanden hatte. Schließlich endete Samantha irgendwann und beide schwiegen sich an. Opferten mehrere Minuten, um sich alles durch den Kopf gehen zu lassen und vielleicht auch, um den Toten eine Ehre zu erweisen. Samantha sah auf den Boden, bis ihr plötzlich etwas ins Auge stach. Sie bückte sich danach und hob es auf. Es war eine Kondomverpackung. Rot leuchtete ein Datum auf. Ein Datum, welches schon über einen Monat zurücklag. Sie schluckte. „Lilith?“ „Hm?“ Samantha hielt die Packung hoch. „Sag bitte nicht, dass die von letzter Nacht ist.“ Die Blondine nahm und besah sie sich. Dann weiteten sich vor Schreck ihre Augen. „Oh nein! Das ist die von letzter Nacht! Und die sind schon längst abgelaufen!“ Sie sprang auf und lief unruhig auf und ab. „Okay, ganz ruhig! Alles wird gut, irgendwie. Oh Gott! Das kann nicht wahr sein!“ Samantha folgte der Prinzessin mit den Augen. Sie tigerte wie wild im Zimmer umher. „Lil –“ „Juan würde das doch niemals verstehen. Er würde doch nicht zu mir stehen. Ihm wäre das doch weiterhin scheiß egal!“ „Lil… -“ „Oh Gott! Und mein Vater erst! Der würde ihn umbringen lassen und mich rauswerfen! Ich hänge an meinem Leben und Juan soll nicht deswegen draufgehen!“ „Lilith!“ Sie zuckte zusammen und blieb endlich stehen. „Vielleicht erwischen wir Juan noch; wenn du schnell mal die Gegend überfliegst?“ „Sammy! Ich könnte dich manchmal knutschen!“, rief sie aus, machte das Fenster auf, breitete ihre Flügel aus und hob mit kräftigen Schlägen ab, nach draußen. „Schau du mal zu Fuß in Palastnähe! Aber geh nicht zu weit! Nicht das du dich verläufst!“ Und schon war die Prinzessin verschwunden. Samantha hatte ungeschlagene zwei Stunden nach ihm gesucht. Nun saß sie auf der Treppe vor dem Palast und wartete auf Lilith, welche auch neben ihr landete und sich neben sie setzte. „Ich hab ihn auch nicht gefunden. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.“ Ein Seufzen entglitt ihr und sie vergrub ihre Hände in ihren Haaren. „Das ist alles so scheiße. Wieso muss so was mir passieren?“ Samantha sah sie von der Seite her an. „Na ja, vielleicht hast du ja Glück und nichts ist passiert. – Wie ist das eigentlich so genau bei euch?“ „Nicht sehr anders, als bei euch auch, wir können genauso Kinder bekommen wie Menschen. Nur, bei uns gibt es sehr wenige Kinder. Es ist nicht sehr verlockend für die meisten Engel, nach dem eigentlichen Tod noch einmal Kinder zu bekommen und selbst wenn, nur sehr wenige Überleben die Schwangerschaft oder das Säuglingsalter. Außerdem gibt es genug Engel, da ist Nachwuchs nicht zwingend nötig. Jeden Tag werden dutzende Menschen zu Engeln, wieso also Kinder? Doch wenn es Kinder gibt, dann werden sie verhätschelt und verwöhnt im Kindesalter.“ „Du wurdest es nicht?“ „Nein, das ist nicht bei jeden so.“ „Aber du hättest schon gern Kinder?“ Lilith nickte. „Klar. Ich bin 252 Jahre alt. Ich will Kinder. Nur jetzt nicht. Nicht mit einem Mann, den ich zwar bedingungslos liebe, aber er mit mir nur gespielt hat. Verstehst du?“ „Ja, versteh ich voll und ganz.“ Für eine Weile schwiegen die Freundinnen sich an. Doch dann fiel Samantha etwas ein: „Wann kriegst du das nächste Mal deine Tage? Also, falls ihr sie kriegen solltet…“ „Keine Ahnung.“ Auf Samanthas verständnislosen Blick hin fügte sie hinzu: „Ich krieg die so unregelmäßig, dass ich mich darauf nicht verlassen kann. Wir müssen in zwei Wochen zum Arzt, aber wirklich heimlich. Mein Vater darf davon nichts mitbekommen.“ Samantha legte ihre Hand auf die von Lilith und lächelte sie aufmunternd an. „Das kriegen wir schon hin, hm?“ Die Prinzessin erwiderte leicht das Lächeln. „Ja, irgendwie. Danke.“ „Gern.“ Ungefähr zwei Wochen später Tag Null war gekommen. In mehreren Hinsichten war dieser Tag ein entscheidender Tag. Man konnte vier Dinge an der Hand abzählen, die sich ereignen würden. Positive und negative Ereignisse gleichermaßen. Schmerz sollte von neuem aufblühen. Vergrabene Geheimnisse sollten teils gelüftet werden. Gewissheit würde über einige erscheinen. Und die Angst, nie wieder nach Hause zu kommen, um die Wahrheit zu erzählen, um Verzeihung zu bitten, um einfach für eine geliebte Person da zu sein. Als Duncan am besagten Tag die Augen aufschlug, musste er sich zunächst vergewissern, dass es wirklich der erwartete Tag war. Doch sobald er auf den Kalender blickte, wusste er es. Er war gekommen. Der Tag, an dem sein geliebter Bruder Sheridan vor, nun, 21 Jahren, starb. Noch immer saß der Schmerz tief. Wahrscheinlich würde er es auch noch immer bleiben. Im Gegensatz zu dem Tod seiner Familie, der zwar auch noch weh tat, aber der schon länger zurücklag, tat der Tod seines Bruders besonders weh. Nur zusammen kamen sie damals über all die Dinge weg, die Geschehen waren. Nachdem sie Duncan zerstört hatte, war Sheridan für ihn dagewesen und hatte ihm beigestanden, obwohl er von Anfang an gesagt hat, dass sie mit seinem Herzen spielt. Als Sheridan seine Auserwählte gefunden hat, hat Duncan ihm ebenfalls beigestanden und ihm ins Gewissen geredet. Schließlich waren sie zusammen glücklich geworden. Bis zu diesem Tag vor 21 Jahren. Nichts tat Duncan so weh, wie der Gedanke, allein zu sein. Ohne seine liebliche Schwester. Seine Mutter. Seinen geliebten Bruder. Und ohne Sie. Er war allein, das stand gar nicht zur Debatte, es war eine Tatsache. Nur er war es satt, allein zu sein. Niemand verstand ihn. Auch wenn er zu Samantha vor knapp zwei Wochen ehrlich war, und seinen Schmerz über seine Familie erzählt hatte, so wusste sie noch immer nicht alles. Und wieso ihr vertrauen? Für ihn war das sowieso ein einmaliges Erlebnis. Schwerfällig stand er auf, machte kurz sein Bett und ging ins Bad hinüber. Nach einem Blick in den Spiegel wusste er, wie sehr ihm das Ganze zusetzte, genauso wie jeder andere es ebenfalls sehen konnte. Unkontrolliert hob er die Hand um sie in den Spiegel zu rammen. Er wollte es nicht weiter sehen. Kurz davor besann er sich und ließ die Faust wieder sinken. Am Waschbecken abstützend versuchte er den Rückfall zurückzuhalten. An solchen Tagen hatte er sich einfach nicht mehr unter Kontrolle. Was sollte das nur noch werden? Nachdem er die Blumen aus der Vase genommen hatte, die er im Badezimmer deponiert und sich vorher angezogen hatte, ging er die Treppe nach unten. Besser er ging gleich bevor er irgendetwas Unüberlegtes tat. Wenn er Glück hatte, dann würde Samantha auch noch schlafen. Nur leider hatte Duncan nie Glück, und so kam sie, fertig angezogen aus dem Wohnzimmer zu ihm, als er sich gerade Schuhe anzog. „Wo willst du schon hin?“ Ihr Blick fiel auf die Blumen, aber zunächst wollte sie nichts dazu sagen. „Geht dich nichts an“, knurrte er und stand wieder, von den Knien, auf. Samantha runzelte die Stirn. „Duncan, ich dachte wir hätten das überwunden.“ „Es geht dich nichts an, was ich tue, und was nicht, kapiert?!“ Er nahm die Blumen und schloss die andere Hand zur Faust, um sich unter Kontrolle zu halten. „Verschwinde.“ Mit ängstlichem Blick ging Samantha dorthin zurück, wo sie hergekommen war und Duncan konnte sich endlich auf den Weg machen, zum Friedhof. Als die Haustür zufiel, kam Samantha wieder hervor. Immer noch war sie verschreckt von Duncans, schon fast unkontrollierter, Laune. Irgendwas war an diesem Tag anders, nur was war es? Vielleicht sollte sie hinterher, damit ihre Neugier gestillt war. Eher würde sie ja sowieso nicht Ruhe geben und befragen würde nur wieder so enden, wie eben. Das er von seiner Familie erzählt hatte, schien ein einmaliges Erlebnis gewesen zu sein. Schnell fuhr sie sich durchs Haar, schnappte sich eine dünne Sweatjacke, da es früh, trotz der sommerlichen Temperaturen ab bereits zehn Uhr, immer noch kalt war und sie schnell fror. Dann zog sie sich eilig noch Schuhe an und rannte förmlich zur Haustür. Als sie draußen war, war von Duncan keine Spur. Schnell lief sie den Weg hinunter und fragte einen der vorbeigehenden Engel, ob sie ihn gesehen hätte. Dieser schickte sie in eine Richtung und bald hatte sie Duncan wieder im Blick. Komischerweise ging er wirklich zu Fuß, sodass es für Samantha ein leichtes war, ihm zu folgen. Wieso flog er nicht? Das war mehr als merkwürdig für ihn. Kurzerhand bog Duncan in einen Weg ein und als Samantha an dieser Stelle war, las sie dort, an einem Metalltor: Friedhof von Solas. Friedhof? Was wollte Duncan denn auf einem Friedhof? Wenn es um seine Familie ginge, dann hätte Duncan ihr das damals sicherlich gesagt, aber sie waren ja als Menschen gestorben und hier hatte er sie nicht wieder angetroffen, also konnte es nicht seine Familie sein. Langsam folgte sie ihm durch das Tor. Links und rechts vom Weg standen dutzende Gräber, einige wunderschön, andere eher alt und verfallen. Es war wie auf der Erde, dort, wo sich Angehörige um das Grab kümmerten, blühte es förmlich. Aber dort, wo keine Angehörigen mehr vorhanden waren, zerfiel alles in sich selbst und schon bald würde das Grab weggemacht werden, um für ein Neues Platz zu schaffen. Duncan blieb weiter hinten, auf einem anderen Weg stehen. Samantha sah, dass es vor einem Grab mit einem Stein aus schwarzem Marmor war. Er kniete sich nieder und legte die Blumen, die er mitgebracht hatte, nieder. Dann schloss er die Augen und blieb einfach so hocken. Er rührte sich nicht. Samantha wartete und wartete, aber es passierte nichts. War er deswegen hier? Weil heute Todestag von einer Person war, die ihm nahegestanden hatte? Und er nun für sie beten wollte? Oder einfach nur trauern? Plötzlich hob Duncan den Kopf und sah genau in ihre Richtung. Oh Mist! Nur, wie hatte sie sich verraten? Sie hatte ruhig hier gehockt und ihn beobachtet. Er hätte es gar nicht bemerken können, außer – „Samantha, was tust du hier?!“ Erschrocken zuckte sie zusammen und sprang auf die Beine, um vor ihm wegzurennen. Wie von selbst fanden ihre Füße den Weg nach draußen. Umdrehen und schauen, ob Duncan ihr folgte, wollte sie nicht. Die Gefahr, dass sie stolperte und stürzte war zu groß. Sie konnte nur hoffen, er flog ihr nicht hinterher. Mit Sicherheit würde er ausrasten, so wie vorhin im Flur er es fast getan hatte. Plötzlich sprang ihr etwas in den Weg. Samantha konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken. To be continued. Kapitel 16: What if ------------------- Was wäre, wenn… Vor Schreck war Samantha auf die Knie gestürzt. Schmerz schoss durch ihr rechtes Bein. Der Grund dafür, war ein spitzer Stein, der sich in ihre Haut gebohrt hatte. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“ Etwas kleines Schwarzes kam auf sie zu. Als Samantha aufsah, bemerkte sie, dass es sich um Kira handelte. Sie runzelte die Stirn. Eben hatte das, was in ihren Weg gesprungen war, viel größer gewirkt. Fast menschlich. Konnte sie sich so täuschen? Irgendwas stimmte nicht. „Hast du dir weh getan?“ Samantha folgte Kiras Blick zu ihrem Bein. Sie setzte sich normal hin und winkelte ihre Knie an. Dabei fiel der spitze Stein heraus und die Wunde fing an zu bluten. „Aua.“ „Wir sollten das behandeln. Komm mit.“ Kira sprang über sie hinweg und lief weiter. Verdutzt stand Samantha auf und versuchte, ihr verletztes Bein nicht allzu sehr zu belasten. Leicht humpelnd folgte sie der Katze. Sie verließen den Friedhof und liefen die Straßen hinunter. Bis sie sich irgendwann wieder an Duncans Haus befanden. Kira sprintete schnell ins Haus und kam, kurze Zeit später, mit einer Packung Taschentücher wieder. „Moment, ich roll noch eine Flasche Wasser her, zum Auswaschen der Wunde.“ Bevor Samantha irgendetwas sagen konnte, war sie wieder weg gerannt und holte die Flasche. Samantha ließ sich im Garten ins Gras sinken und wartete darauf, dass die Katze zurückkehrte. Schließlich rollte sie wirklich eine Flasche Wasser zu ihr. Wie sie das anstellte, wollte Samantha nicht fragen. „Danke.“ „Ach gern.“ Kira setzte sich zu ihr. „Was war los, dass du wie eine Verrückte durch den Friedhof gerannt bist?“ „Ich bin Duncan gefolgt. Er ist heute so komisch und ich wollte wissen, wieso. Dann hat er mich bemerkt, keine Ahnung, wie er das gemacht hat, und ich bin weggerannt. Ich wollte eigentlich nicht, dass er mich entdeckt.“ Kira schwieg. „Was ist heute für ein Tag für Duncan?“ Sie sah zu Samantha, wirkte dabei irgendwie selbst verletzt und traurig, nur wie konnte das sein? Sie war eine Katze, nur eine Botschafterin von Victor und dennoch sah sie so aus, als hätte sie direkt damit etwas zutun gehabt. „Kira, was ist los?“ „Duncans Bruder ist vor, nun, 21 Jahren verstorben…“ Tiefer Schmerz schwang in ihrer Stimme mit, der auch Samantha nicht entging. „Meinst du Sheridan?“ Ein kurzes Nicken war die Antwort. „Sie haben alles zusammen gemacht. Sheridan hatte, wie Duncan heute, viele Seiten an sich und es gab nur Wenige, die ihn wirklich kennenlernen durften. Er ist getötet wurden, Duncan hat das fast den Rest gegeben.“ Samantha machte den Mund auf, doch sie konnte nichts sagen, da Kira ihr schon über den Mund fuhr. „Jetzt wasch erstmal deine Wunde aus. Nicht das du noch verblutest.“ Die Ironie schwang in ihrer Stimme mit aber nichtsdestotrotz hörte Samantha auf sie. Sie schüttete etwas Wasser auf eines der Taschentücher. Dieses nahm sofort die nasse Flüssigkeit auf, sodass Samantha es auf ihre Wunde drücken konnte. Dann sah sie wieder zu Kira. „Darf ich jetzt fragen?“ „Jetzt darfst du.“ Trotzdem holte sie noch einmal tief Luft. „Woher weist du so gut darüber bescheid? Du klingst so, als kanntest du Sheridan besonders gut?“ Kira schwieg zunächst. Samantha dachte, sie würde gar keine Antwort bekommen, aber sie täuschte sich. „Als Botschafterin bekommt man vieles mit.“ Dann wich sie Samanthas Blick aus. Kira bemerkte selbst, dass sich ihre Augen etwas trübten. Nicht als Botschafterin, als Freundin. Damals war alles noch so anders. Ich war anders. Und jetzt stecke ich hier fest. Sheridan würde nie wiederkommen und ich kann rein gar nichts dagegen tun, würde immer die bleiben, die ich jetzt bin. Du fehlst mir so. Dann sah sie zum Himmel hinauf und stand auf. „Entschuldige mich, bitte.“ Wieder schwang großer Schmerz in ihrer Stimme mit. Samantha fragte sich mehr denn je, welches Geheimnis Kira in ihrem Herzen hütete. Aber sie konnte nicht fragen, da diese schon davongerannt war. Kira rannte schnurstracks zu Duncans Haus, ohne sich umzusehen. Sie sprang auf die Mauer, von der Mauer in die erste Etage. Dort schlich sie die Treppe hoch, nur um dann aus einem Fenster raus an die Regenrinne zu springen. Von dort kletterte sie weiter nach oben, bis sie wieder an ein Fenster kam. Nachdem sie hindurchgesprungen war, musste sie niesen. Auf dem Dachboden war alles sehr verstaubt. Wenige Kisten standen dort. Kira kletterte aber zielsicher durch ein paar hindurch. Bis sie zu einer Stelle kam, wo ein altes Kissen lag, mit einem Foto. Es war Kiras geheimes Versteck, von dem niemand wusste. Immer, wenn sie an ihn dachte, oder es ihr dreckig ging, kam sie hierher. Dort, wo der einzige Schatz war, den sie noch von ihm hatte. Auf dem Kissen lag ein Foto von ihr und Sheridan. Als Lilith vor dem Grundstück landete, sah sie, wie Samantha im Garten auf dem Boden kauerte. Stirnrunzelnd ging sie den Weg zum Haus entlang. Sollte sie nicht diejenige sein, die Angst hatte? Die Prinzessin schritt über das Gras zu ihrer Freundin. „Was ist denn mit dir?“ Samantha sah zu ihr hinauf. „Ich wasche meine Wunde aus, wie du siehst.“ Lilith ging in die Hocke. „Am besten du erzählst es von Anfang an und nicht gleich das Ende.“ Samantha tat, wie ihr geheißen und schilderte Lilith die Geschehnisse der vergangenen Stunde. „Wärst du gleich zu mir gekommen, ich hätte es dir, ohne dass du verletzt wirst, erzählt.“ Auf Liliths Grinsen hin seufzte Samantha. Doch dann fiel ihr auf, dass sogar das Grinsen ihrer Freundin heute anders war. „Du bist aufgeregt“, stellte sie sachlich fest. Die Prinzessin nickte. „Heute ist der entscheidende Tag. Tag Null, Sammy.“ „Wo wollen wir das überprüfen? Bei dir zu Hause?“ „Bist du verrückt?! Wenn mein Vater nur den Hauch einer Ahnung kriegt, dann sperrt er Juan ein. Auch wenn ich nicht schwanger sein sollte, es reicht ihm, dass er mit mir geschlafen hat und ich den Verdacht hege. Nein, wir gehen hoch in dein Zimmer.“ Samantha sah auf ihr geschundenes Knie hinab. „Also bluten tut’s nicht mehr.“ Lilith verdrehte die Augen. „Jetzt hab dich nicht so.“ Sie erhob sich, nahm ihre Freundin bei der Hand und zog sie hoch. „Es gibt wichtigere Dinge als deine Wunde.“ „Heißt also, ich könnte verbluten und dir wäre es egal?“ „Theoretisch, und unter diesen Umständen, ja. Praktisch, niemals. Obwohl der Gedanke verlockend ist, jemanden beim verbluten zuzusehen…“ „Lil!“ „Tschuldigung, ich versuch mich abzulenken.“ In Samanthas Zimmer angekommen saß Lilith hibbelig auf dem Bett, während sie auf das Ergebnis des Testes warteten. „Wieso so was nur immer solange dauern muss, ist mir unvorstellbar.“ „Ist halt Technik.“ Lilith nahm das Kissen, welches auf dem Bett lag. „Wenn du weiter so ruhig bist, erstick ich dich. Oder ich lass dich doch verbluten, das entscheide ich spontan.“ „Wenn du aufgeregt bist, wirst du irgendwie immer sadistisch.“ Die Prinzessin zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich irgendwas gleich umbringe, wenn dieser Test nicht langsam fertig ist.“ „Siehst du, schon wieder.“ Samantha warf einen Blick auf den Schwangerschaftstest, bei dem sich noch immer nichts getan hatte. „Was würdest du tun, wenn du wirklich schwanger wärst?“ „Auswandern, mich umbenennen in Traudel Müller und in die Pampa ziehen.“ Auf Samanthas erschrockenen Blick hin, musste sie wirklich lachen. „Du Dummkopf, dass war ein Witz! Traudel würde ich mich doch niemals nennen. Hildegard ist doch viel schöner.“ „Willst du nicht vielleicht gleich einen Männernamen annehmen? So etwas wie William? Dann würde dich wirklich niemand mehr erkennen.“ Empört sah Lilith ihre Freundin an. „Jetzt bleib aber mal ganz ernst, Fräulein, okay? Ich will weiterhin eine Frau sein, und kein Mann. Deswegen bin ich Traudel, oder Hildegard. Entscheide ich auch spontan.“ Samantha seufzte. „Ich hoffe, dieses Ding ist bald fertig. Wenn du dich hören könntest, Lil.“ „Ich hab Ohren, also hör ich mich. Aber du erwartest sicherlich eine ernste Antwort von mir. Wenn ich wirklich schwanger wäre, ich würde wahrscheinlich erstmal in Tränen ausbrechen. Dann würde ich entweder abtreiben oder Juan davon erzählen. Und der hat dann mehrere Optionen.“ „Ja, er könnte sich für das Kind und gegen dich, für dich und gegen das Kind, für dich und für das Kind oder gegen euch beide entscheiden.“ „Ähm, ja. Genau.“ Samantha nahm den Test wieder in die Hände und sah darauf. „Und wenn du es nicht wärst? Was wäre dann?“ „Ich würde mich sicherlich freuen. Meine ganzen Probleme wären weg. Ich müsste, wenn sich Juan dagegen entscheidet, nicht allein das Kind erziehen, vorausgesetzt, dass ich das gar nicht schaffen würde. Mein Vater würde mich sicherlich verstoßen und wenn ich es mir doch überlege, abtreiben würde ich wahrscheinlich niemals über mich bringen. Also vergiss, dass ich es vorhin erwähnt habe. Mein Leben wäre dann die Hölle, und nein, das ist kein Wortwitz.“ Plötzlich ertönte ein Piepen, worauf sich Samantha und Lilith ansahen. „Die Entscheidung ist gefallen.“ Samantha hielt ihre Freundin den Test hin, doch die hob abwehrend die Hand. „Schau du bitte für mich drauf. Ich kann das nicht.“ Samantha nahm ihre Hand auch wieder zurück und besah sich den Test. Ein Lächeln breite sich auf ihren Lippen aus. „Sammy? Ist es negativ?“ Doch Samantha lächelte einfach nur weiter vor sich hin. „Hey, jetzt spann mich doch bitte nicht so auf die Folter. Sag schon!“ „Du bist definitiv nicht schwanger.“ Freudig kreischend fiel Lilith ihrer Freundin um den Hals, die darauf auf den Rücken fiel und lachen musste. Dann entriss die Prinzessin ihr den Test, um selbst einen Blick darauf zu werfen. „Ich hab ein saumäßiges Glück!“ „Darf ich kurz einen negativen Gedanken einwerfen?“ „Nein!“ Lilith grinste sie an, wo Samantha gleich wusste, dass ihre Freundin Späßchen mit ihr abzog. „Woher weißt du, dass der Test fehlerfrei funktioniert? Vielleicht bist du schwanger, produzierst nur noch kein Schwangerschaftshormon.“ Lilith wank mit der Hand ab. „Das ist bei euch Menschen so. Bei uns ist jeder Test zu hundert Prozent sicher, glaub mir. Ich bin definitiv nicht schwanger.“ Freudig versenkte die Prinzessin den Schwangerschaftstest im Mülleimer und ließ sich zurück in die Kissen fallen. „Mein Leben ist gerettet.“ Ihre Freundin räusperte sich. „Wäre das nicht vielleicht eine Chance gewesen, dass Juan mit dir zusammengekommen wäre? Ein Kind verbindet.“ „Ich will einem Kind etwas bieten können, Sammy. Es soll Eltern haben, die es aus Liebe gezeugt habe, die sich lieben und die es lieben. Es sollte eine heile Familie haben. Juan wäre vielleicht nur mit mir wegen des Kindes zusammen gewesen und das möchte ich nicht. Ich weiß, was es heißt, keine Mutter zu haben.“ Sie schluckte und starrte weiter an die Decke. „Etwas Schlimmeres kann ich mir für meine Kinder nicht vorstellen. Meinen Kindern soll es besser ergehen, als mir.“ Samantha schwieg für einen Moment, so wie ihre Freundin. „Hast du mittlerweile irgendwas über deine Mutter in Erfahrung bringen können?“ Lilith seufzte. „Nein, mein Vater macht jedes Mal dicht. Als hätte sie niemals existiert. Wenn ich nur wüsste, wer sie war…“ Glaub mir, ich weiß, wie du dich fühlst, Lil. Weit weg von der Hölle, genauer gesagt, in ihrem Gegenteil, dem Himmel, saß eine Frau am Fenster. Es regnete Bindfäden, doch sie sah starr weiter nach draußen. Wie sehr wünschte sie sich ihr altes Leben zurück? Alles, wirklich alles, würde sie dafür geben, ihn einmal wiederzusehen, um ihm jedenfalls die Wahrheit zu sagen. Und um sie einmal zu sehen, sich bei ihr zu entschuldigen, dass sie nie für sie da sein konnte. Einfach den Frust und die Schuld, die beide schwer auf ihrer Seele lagen, herauszulassen. Sie bat gar nicht um Verzeihung, nein, es war auch nicht ihre Schuld gewesen. Sie wollte sich nur entschuldigen und wieder gehen. Wohin? Das wusste sie selbst nicht. Sie ließ ihren Kopf gegen das kalte Glas sinken und schloss die Augen. Wenn nur irgendjemand wüsste, wo sie war. Nur um ihm die Wahrheit zu übermitteln. Ihr zu sagen, wie sehr sie sie liebte. Als sie die Augen öffnete, entwich ihr eine Träne. Was würde sie für ihre Freiheit geben? Raus aus diesem Haus, ihrem Gefängnis. Ihre Flügel ausbreiten und wegfliegen. Weg von ihm. Ganz weit weg. Frei sein. Wieder leben. Richtig leben. Sie hörte, wie unten die Haustür ins Schloss fiel. Tapfer strich sie die Träne weg und löste ihren angespannten Blick von dem Regen, der draußen fiel. Vor ihm durfte sie einfach keine Schwäche zeigen. Er durfte nicht gewinnen. Auch wenn er es vielleicht schon längst hatte. So viele Jahre schon. Aber diesem Triumph gönnte sie ihm nicht noch. Wenn doch seine Frau nur wüsste, was er tat. Wenn irgendjemand nur wüsste, was er tat. Aber niemand wusste es. Nur er und sie. „Wo bist du, meine Hübsche?“, ertönte seine nett klingende Stimme vom Flur. Sie hatte das Gefühl, brechen zu müssen. Von Anfang an fand sie, seine Stimme passte nicht zu ihm. Er war nicht nett. Er war alles andere als nett. Vor allem nicht zu ihr. Würde er sie sonst gefangen halten? Er hatte seine Stellung nicht verdient, machte ihr keine Ehre. Das einzige, was er ihrer Meinung nach verdient hatte, war die Strafe. Die Strafe, für die Dinge, die er tat. Die Zimmertür öffnete sich und er trat herein. „Da bist du ja. Wieso antwortest du nicht?“ „Ich hab dich nicht gehört.“ Wie immer schwang Kälte und Abneigung vor diesem Mann in ihrer Stimme mit. Doch ihn schien es nicht zu stören. Im Gegenteil. Er kam auf sie zu und packte sie an der Hüfte. „Ich hab jetzt Zeit für dich.“ Sie spuckte ihm ins Gesicht. Knurrend schleuderte er sie gegen die nächste Wand. Sie rutschte daran herab und hielt sich ihren Kopf. Dieser dröhnte und schien fast zu explodieren, „Das hätte ich an deiner Stelle lieber gelassen.“ Wie Gift verließen diese Worte seinen Mund. Das erste, was ihr dazu einfiel, war, dass es nicht zu seiner Stellung, seinem Wesen, seiner Art passte. Aber sie hatte gelernt, dass das nichts zu sagen hatte. Bei ihr angekommen zog er sie unsanft hoch, gegen seine Brust. „Du wirst es bereuen.“ Kalt grinste er und sie sah förmlich, wie er sich die nächsten paar Stunden ausmalte. Es war jeden Tag das gleiche. To be continued. Kapitel 17: The real story -------------------------- Die wahre Geschichte Es waren einige Tage vergangen, seitdem Duncan um seinen verstorbenen Bruder getrauert hatte. Genau genommen, waren es zehn Tage. Er hatte sie gezählt, jeden einzelnen, weil er auch während dieser Zeit nicht einmal Samantha gesehen hatte. Er wusste, dass sie da war, nur sie ging ihm aus dem Weg. Er glaubte zu wissen, warum. Sie hatte ihm hinterher spioniert. Nun dachte sie wahrscheinlich, er würde die Kontrolle über sich verlieren, so wie es schon einmal der Fall war. Mit Sicherheit hatte sie Angst davor. Doch Duncan wollte sie nicht schimpfen. Klar, in dem Moment, als er sie bemerkt hatte, da natürlich schon. Aber mittlerweile nicht mehr. Es gab schlimmeres, das hatte er oft genug erfahren. Eigentlich wollte er sich mit ihr versöhnen und das setzte er nun auch endlich in die Tat um. Natürlich war der Todestag seines Bruders immer wieder schrecklich für ihn, selbst sie hatte es am Morgen bemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Duncan fragte sich nur, wieso sie ihm gefolgt war. War es Neugier oder Sorge gewesen, die sie dazu angetrieben hatte? Vielleicht sollte er sie danach fragen. Also, vorausgesetzt, er fand sie. Er hatte auch gar nicht so lange suchen müssen, da fand er sie auch. Samantha saß ihm Wohnzimmer und massierte ihre Schläfe. Generell war sie blass. In Duncan regte sich bei ihrem kränklichen Anblick irgendwas, aber es war zu lange her, als er so etwas gefühlt hatte. Samantha brach eine runde Tablette in zwei Teile, warf eine der Hälften in ein Glas und goss Wasser hinein. Es prickelte und spritzte. Als die Tablette sich aufgelöst hatte, trank Samantha das Glas auf Ex leer. „Widerlich“, murmelte sie und goss sich erneut ein Glas ein, um den ekelhaften Geschmack hinunter zu spülen. Anschließend stellte sie das Glas behutsam auf den Tisch ab und starrte an einen nicht vorhandenen Punkt an der Wand ihr gegenüber. Duncan wollte sich schon wieder zum gehen wenden und einfach später wiederkommen, als sie jedoch theatralisch seufzte. Er runzelte die Stirn. Vielleicht sollte er es einfach tun. Die Objekte in seiner einen Hand versteckte er jedoch erst einmal hinter seinem Rücken, als er eintrat. „Was ist denn los?“ Überrascht und leicht erschrocken drehte sie ihren Kopf zu ihm. „Ähm, was machst du denn hier?“ „Ich hab dich gesucht.“ Sie schluckte. Jetzt war es also soweit, er würde auf sie losgehen. Aber eines verwirrte sie. Im Moment wirkte er so ruhig, so ausgelassen. Konnte er so schnell seine Stimmung ändern? Oder so gut schauspielern und seine Wut verstecken? Als er sich neben sie setzte, rutschte sie unmerklich etwas weg von ihm. Aber Duncan hatte es bemerkt. „Jetzt hab keine Angst, ich bin nicht sauer oder so.“ Er zog die Hand hinter seinem Rücken hervor und Samantha machte große Augen. „Du hast sie gelesen?“ „Na ja, nein. Ich wollte sie dir jetzt vorlesen. Ich denke, du hast lange genug gewartet. Du solltest endlich die Geschichte deiner wahren Eltern kennen.“ Ungläubig sah sie ihn an. „Meinst du das jetzt gerade ernst?“ „Sehe ich so aus, als würde ich scherzen?“ Energisch schüttelte Samantha den Kopf. „Nein, aber es ist überraschend.“ Dann lächelte sie leicht, was in Duncan etwas auslöste. Er versuchte es zu unterdrücken. „Komm wieder ein Stück her.“ Sie rutschte auch wieder zu ihm. Dabei rutschte Duncan eine Frage raus: „Fühlst du dich nicht gut?“ Mit einem komischen Blick schüttelte sie leicht den Kopf. „Ich habe Kopfschmerzen und leg mich nachher wahrscheinlich hin. Aber, nett das du fragst.“ Wieder lächelte sie. Duncan wandte den Blick ab, bevor das Lächeln ihn tiefer traf und strich sachte über die alten Dokumente, worauf die Geschichte von Samanthas Eltern geschrieben stand. Dann sah er sie an. „Bereit für die wahre Geschichte?“ „Ja.“ Und dann begann er: »Seth Cochran wurde in einem Vorort der Hauptstadt Solas als einziger Sohn des Finanzministers des Teufels geboren. Seine Kindheit war unbeschwert und schon von klein auf hegte er den Wunsch, so zu werden, wie sein Vater. Wie jeder andere Racheengel besaß auch Seth von Geburt an einen Dämon. Jedoch war seiner stärker als er selbst und kontrollierte ihn des Öfteren, was man nicht sofort bemerkte. Er verlieh ihm eine große magische Kraft, schon im frühen Alter, die Seth heimlich, getreu seines Namens, für schwarze Magie und derartige Spielchen missbrauchte. Als er dann das Amt seines Vaters, nach dessen Tod, antreten musste, kannte er sich nicht nur mit Finanzen aus. Er war zu diesem Zeitpunkt schon ein Meister der schwarzen Magie, ein durch und durch böser Racheengel. So war er auch für Victor in privaten Angelegenheiten unterwegs.« Duncan stoppte erst einmal, und sah zu Samantha. Diese sah noch auf das griechische Dokument hinab, so als wollte sie mit purem Anstarren die griechischen Buchstaben in lateinische verwandeln. „Samantha?“ Endlich sah sie zu ihm auf. „Was ist mit meiner Großmutter?“ „Das steht hier nicht, aber ich weiß, dass sie an einer tödlichen Schnittwunde gestorben war.“ „Woher?“ Er sah ihr tief in die Augen. Samantha schluckte bei seinem direkten Blick. „Das steht im nächsten Satz“, erwiderte er nur. Sie bat anschließend darum, dass er weiter las. »Nachdem er beide Elternteile verloren hatte, verschwand mehr und mehr das Gute aus ihm. Seth hatte außerdem wegen seinem sehr durchwachsenen Charakter nur wenige Freunde. Einer der bekanntesten ist Duncan Aron Northcote, welcher als Victors Meisterschmied ebenfalls dessen Achtung genoss. Beide verstanden sich relativ gut, doch so wirklich konnte niemand an Seth herankommen.« Samantha hob die Hand, damit er stoppte. Es war ein Zeichen dafür, dass sie Fragen hatte. „Du hast mich also doch nicht angelogen.“ Sie sah ihn an. „Du hast wirklich damals auf dem Friedhof die Wahrheit gesagt.“ Er erwiderte ihren Blick, wobei Samantha diesmal eine Gänsehaut bekam. „Nicht alle Racheengel sind Lügner. Ich für meinen Teil lüge nie, merk dir das.“ Sie nickte. „Ich wusste außerdem gar nicht, dass du einen Zweitnamen hast, Duncan Aron.“ Verschmitzt grinste sie ihn an. Er schien in sich hinein zu lachen, was Samantha zum ersten Mal sah. „Ich gebe damit nicht gern an. Mein Vater hieß Aron und der erstgeborene Sohn trägt als Zweitnamen den Namen seines Vaters. Das war damals so.“ „Bekommt dann auch die erstgeborene Tochter den Namen der Mutter?“ „Ja, richtig. Meine Schwester hieß mit Zweitnamen Suvina, wie unsere Mutter. Aber jetzt weiter. Heb dir deine Fragen auf.“ »An dem Tag, an dem das Unglück begann, wurde Seth zu Victor gerufen. Seine Aufgabe war es, auf der Erde einen Erzengel ausfindig zu machen, der höchstwahrscheinlich wusste, wo sich Victors Geliebte aufhalten sollte. Diese suchte der Teufel seit ein paar hundert Jahren, doch niemand hatte bisher eine Spur gefunden. Gabriel, einer der drei mächtigsten Erzengel überhaupt, nach Gott, hatte seinen Wohnsitz wie die anderen beiden heiligen Erzengel, Michael und Raphael, auf der Erde. Seth sollte ihn finden und mittels seiner schwarzen Magie effektiv foltern, um Informationen aus ihm herauszubekommen. Über Gabriels genauen Aufenthaltsort war jedoch nichts bekannt, nur, dass er in einem hohen Gebirge lebte Sein inneres Navigationsgerät, sowie sein Bauchgefühl, führten Seth nach Südamerika, in die Anden. In Peru, am Fuße des Yerupaja befand sich ein kleines Dorf, über welches er hinweg flog, als er unterwegs war den Berg zu erkunden. Doch er sah etwas, was seine Neugierde anregte, und so machte er in diesem Dorf einen Zwischenstopp. Dann sah er sie. Eine junge Frau, einfach gekleidet. Sie half einem alten Mann beim tragen von Wassereimern, da er sie nicht mehr allein tragen konnte. Sie war arm, aber dennoch bildschön und ihr großes Herz war schon fast sichtbar. Seth war sofort hin und weg von der Frau namens Hannah.« „Sie ist meine Mutter, oder?“ Samantha kreiste mit ihren Daumen, wahrscheinlich um die Aufregung irgendwo hinzulenken. Duncan behielt diesmal seinen Blick auf dem Papier, als er antwortete: „Ja, Hannah ist deine Mutter. Und bevor du fragst, dieser alte Mann war ihr Vater.“ Sie nickte. „Wieso leben sie so weit oben in den Bergen?“ Er zuckte mit den Schultern. „Das tun doch einige Menschen. Keine Ahnung, was sie daran finden. Aber hätte sie dort nicht gelebt, würde es dich nicht geben.“ „Verstehe ich ja.“ Duncan las dann weiter den Text vor. »Seth beschloss, sich Hannah anzunähern und täuschte vor, ein Bergsteiger zu sein und sich den Knöchel verstaucht zu haben. Sie hatte keine ärztliche Ausbildung, deswegen wusste sie nicht, dass er nur so tat. Sie nahm ihn auf, und vom ersten Augenblick an liebten sie sich. Sie verbrachten Zeit miteinander, auch nachdem Seth „genesen“ war. Sie schliefen auch bald miteinander und Seth vergaß völlig das Gesetz seiner Spezies, der jeglichen Zeugung von Kindern verbot und so bei jedem sexuellen Akt, den man doch nicht verhindern konnte, musste verhütet werden. Doch Hannah wollte mit Seth zusammen sein und so vergaß sie mit Absicht die Verhütung, während es bei Seth ein Versehen war. Wie vorausgesehen wurde Hannah schwanger. Von einem Engel, doch dies hatte Seth ihr nie verraten. Er fand, es wurde nach einigen Wochen Zeit, dies zu tun. So tat er es noch am gleichen Tag, nachdem sie miteinander geschlafen hatten. Hannah war schockiert, tief verletzt und wollte ihn nie wieder sehen. Seth, der endlich eine Person gefunden hatte, die ihn liebte, war selbst zutiefst verletzt, respektierte aber ihren Wunsch. So trennte er sich von ihr und machte sich weiter auf die Suche nach Gabriel.« „Sie hat ihn geliebt und ihn trotzdem weggestoßen, als er sein Wesen enthüllt hat?“ Duncan zog eine Augenbraue hoch und sah sie an. „Du hast auch nicht gerade positiv reagiert, als du die Wahrheit erfahren hast. Erinnerst du dich daran? Du hast wochenlang gefehlt und niemanden an dich rangelassen.“ Ihre Wangen färbten sich leicht rot. „Du hast ja recht.“ „Ich weiß doch – Noch eine Frage, oder kann ich weiterlesen?“ „Lies bitte weiter.“ »Nachdem ein Monat verklungen und Seths Suche weltweit gescheitert war, beschloss er, nicht sofort zurück in die Hölle zu gehen. Er wollte noch ein letztes Mal nach Hannah sehen, auch wenn diese ihm vielleicht nicht verzeihen würde. Doch es kam anders, als er gedacht hatte. Hannah hatte schon nach wenigen Tagen gehofft, dass er trotzdem noch einmal zu ihr käme. Sie liebte und verzieh ihm, obwohl es ihrer Meinung nach nichts zu verzeihen gab. Auch, als er ihr von dem Verbot erzählte, war ihr das alles wert – mit ihm zusammen zu sein. Nachdem Seth sich wochenlang nicht gemeldet hatte, wurde Victors Misstrauen geweckt. Er schickte Chasan, einem ausgebildeten Spion der Racheengel, um nach Seth zu suchen und es dauerte nicht lange, da hatte er ihn gefunden. Er sah sehr deutlich Hannahs Babybauch und durch Seth wusste er, was passiert war. Beide wirkten glücklich, aber Chasan hatte vor, das zu ändern. So ging er zu Victor und berichtete ihm davon. Zu seiner Verwunderung sagte dieser aber, dass er sich erst einmal nicht einmischen wird.« Samantha runzelte die Stirn. „Moment mal. Ich denke, oder nein, ich weiß, dass Engel keine Kinder mit Menschen haben dürfen. Wieso lässt es Victor dann zu?“ „Weil sein Plan brutaler war.“ Erschrocken sah sie ihn aus aufgerissenen Augen an. „Was hat er meinen Eltern angetan?“ Ihre Stimme zitterte leicht. „Samantha, Victor musste handeln. Es verstößt gegen die Gesetze, das weißt du.“ Aufgebracht warf sie die Arme nach oben, nur um sie gleich wieder zu senken. „Ja, aber wieso? Wieso ist es verboten.“ Duncan leckte sich kurz über seine Lippen, was Samanthas Augen hypnotisch anzog. „Das reine Blut der Engel darf sich nicht mit den Menschen vermischen. Daraus würden Halbengel entstehen, sogenannte Nephilim. Und diese hätten ihre Kräfte, die Engel haben, nicht unter Kontrolle, da die menschliche Seite zu schwach ist.“ „Oh… Aber ich –“ „Pscht. Das klärt sich, keine Sorge.“ »Als Hannah kurz vor der Geburt stand schickte Victor einige Engelsscharen in das kleine Dorf am Fußes des Yerupaja. Sie entführen Hannah, brachten sie in die Hölle, während Seth selbst gefangen genommen wurde. Beide wurden angeklagt. Seth wurde einer qualvollen Folterung unterzogen, in dem er dies alles hier preis gab, bis er schließlich erlöst und umgebracht wurde. Hannah wurde ihre kleine Tochter weggenommen, als sie geboren war und man ließ sie verbluten. Denn beide hatten das Gesetz gebrochen: sie hatten einen Nephilim gezeugt. Ihrer kleinen Tochter sollte als Bastard ein ähnliches Schicksal besiegeln, jedoch konnte Ariel, ein weiblicher Racheengel, die sich mit alten Mythen beschäftigte, dies verhindern. Sie rettete sie und schaffte sie auf die Erde, nach New York. Als Victor dies herausfand, wütete er. Ariel konnte jedoch ihre Tat begründen: es gibt eine Sage, in der eine ähnliche Geschichte erzählt wird. Diese Tochter soll die Auserwählte sein, die den Krieg zwischen den Engelsvölkern beenden kann. Sie konnte nicht getötet werden, das sah dann auch Victor ein. Später ließ er sie suchen, aber man konnte sie nicht mehr finden.« Duncan endete und legte die Dokumente weg. Samantha schwieg. „Es ist grausam…“ Er lehnte sich zurück. „Ich weiß.“ „Dann bin ich also ein halber Racheengel.“ „Indirekt.“ Jetzt sah sie ihn verwirrt an. „Wieso indirekt? Ich denke, mein Vater war einer?“ „Schon, aber du bist die Auserwählte. Laut Ariel hätte deine engelhafte Seite nie über deine menschliche siegen können. Du bist ein Wunder, Samantha.“ Wieder zeichnete sich leichte Röte auf ihren Wangen ab. „Na ja, als Wunder würde ich mich nicht bezeichnen. Allerdings frage ich mich jetzt, wie ich von New York nach Los Angeles gekommen bin. Meine Eltern haben gesagt, sie haben mich aus dem Heim geholt.“ „Das weiß ich leider nicht. Das wird wohl auch auf ewig ein Geheimnis bleiben.“ Er machte Anstalten aufzustehen, deswegen hielt Samantha ihn am Arm fest. Er blinzelte und sah dann auf ihre Hand hinunter. „Was ist?“ „Darf ich dich was fragen?“ Er war alarmiert, nickte aber knapp und sank in das Polster zurück. Samantha holte tief Luft, dann brachte sie es über die Lippen: „Wieso bist du jetzt so nett zu mir? Ich warte immer noch auf eine Schimpftirade, aber sie kam nicht und das verwirrt mich einfach. Du verwirrst mich.“ „Ich habe dir verziehen.“ Unglauben spiegelte sich auf Samanthas Gesicht, doch Duncan nickte noch einmal zum Nachdruck. „Wirklich.“ Sie lächelte. „Danke. Aber es tut mir trotzdem leid.“ „Ist wirklich in Ordnung. Du hattest sicherlich deine Gründe.“ Ja, die hatte sie in der Tat, aber die konnte sie ihm ja nicht so einfach unter die Nase reiben. Am Ende hielt er sie für verrückt. „Trotzdem tut es mir tierisch leid.“ Jetzt – und das ist kein Witz! – lächelte Duncan, aber ein richtiges Lächeln. Kein gezwungenes, nein, es erreichte sogar seine Augen. Es war ehrlich und sie hatte Duncan, den distanziertesten Mann überhaupt, zum Lächeln gebracht. „Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann bin ich das wohl.“ Er sah in ihre Augen. Samantha versank in seinen schwarzen Seen und lauschte seiner, zum ersten Mal, sanft klingenden Stimme. „Ich war wirklich hässlich zu dir in letzter Zeit, dafür möchte ich mich entschuldigen. Es liegt nicht an dir, sondern eher an mir. Ich hab zuviel durchgemacht in meinem Leben. Es fällt mir schwer, schnell Vertrauen zu fassen.“ „Mir auch“, hauchte sie kaum wahrnehmbar, aber er hatte es gehört. Sie legte ihre Hand auf seine. Instinktiv spürte Duncan wieder dieses Gefühl, von dem er geglaubt hatte, er hätte es für immer verloren. Ohne nachzudenken beugte er sich zu ihr und küsste sie sanft auf ihre Lippen. Sie waren weich und nur scheu erwiderte sie den Kuss. Es war ihr erster Kuss. Ihr aller erster Kuss und den teilte sie mit Duncan. Mit dem Mann, der zwei so verschiedene Seiten hatte. Aber diese gefiel ihr besser. Sie bemerkte, wie ihr das Blut wieder in die Wangen schoss. Duncan küsste sie ein zweites Mal. Und dann noch einmal. Und noch einmal. Nach einiger Zeit war sie sicherer, traute sich mehr. Ihre Küsse waren dann nicht mehr scheu, sondern zielstrebig. Sie liebte Duncans Lippen. Sie waren so sinnlich und er küsste göttlich. Samantha wollte nie einen anderen küssen, weil sie wusste, dass er niemals an Duncan herankam. In ihrem Bauch tanzten die Schmetterlinge und sie wünschte sich, dass dieser Moment nie enden würde. Er wollte ihr die Geschichte ihrer Eltern erzählen und jetzt saßen sie hier, ihre Hände lagen aufeinander und sie küssten sich. Etwas, wovon Samantha bisher nur geträumt hatte. Jetzt war der Traum Wirklichkeit geworden. Plötzlich löste er sich von ihr und sah ihr tief in die Augen. Diese dunkelgrünen Augen, sie brachten ihn um den Verstand. Er schob seine andere Hand auf ihre, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Samantha“, begann er, wobei seine Stimme leicht rau klang, „ich danke dir. Für das eben und für alles, was du für mich bisher getan hast.“ Sie verstand nicht sofort, als er sich erhob. Erst als er raus war, realisierte sie, dass er gerade die Flucht angetreten hatte. Natürlich fühlte sie sich geschmeichelt, aber was hatten seine Worte zu bedeuten? Musste er sie verlassen? Oder wollte er sie gar loswerden? Hatte sie so schrecklich geküsst? Angst schnürte plötzlich ihre Kehle zu. Sie war nicht gut genug für ihn, etwas anderes war es nicht. Und doch bereute sie es kein Stück. To be continued. Link zum Special Soulmate: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/475107/271937/ Kapitel 18: Message ------------------- Nachricht Die Nachricht, dass Duncan umgehend zu Victor kommen sollte, verwirrte ihn, als er sie am Morgen erhielt. Normal bat Victor immer um ein Treffen, jenseits seiner Arbeitszeiten, damit Duncan genug Zeit in den Werkstätten verbrachte. Aber diesmal war das Treffen früh, die Nachricht klang dringlich, irgendetwas war gar nicht wie sonst. Duncan stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch, streckte sich und ließ seinen Blick noch einmal über das Stück Papier gleiten. Kein Anzeichen dafür, um was es ging, stand darauf. Nur, dass es wichtig war. Verdammt, dass hatte er auch schon mitgekriegt. Jemand erschien im Türrahmen, was sofort Duncans komplette Aufmerksamkeit beanspruchte. „Morgen“, sagte er. Etwas schläfrig strich Samantha ihre Haare nach hinten. Aber ihr gelang ein kleines Lächeln. „Guten Morgen.“ Sie hatte noch ihre Schlafsachen an, was Duncan aber nicht störte. Welchen Mann störte es denn, wenn eine Frau ein Top und eine kurze Hose anhatte? Außerdem wirkte sie süß, mit ihren verwuschelten Haaren. Widerwillig löste Duncan seinen Blick und starrte auf seine Tasse. Er musste unbedingt auf andere Gedanken kommen. Egal wie. Samantha lief zur Küchenzeile. „Ist noch Kaffee da?“ „Schau doch mal hier auf den Tisch.“ Sie tat auch, wie ihr geheißen und machte große Augen. „Oh, das ist lieb von dir.“ Duncan hatte für sie den Tisch mit angerichtet, mit allem was sie mochte. Wieder kam ein Lächeln auf ihre Lippen, was ihn umso mehr freute. Es berührte ihn einfach tief in seinem Herzen, wie es schon lange niemand mehr getan hatte. Samantha setzte sich an den Tisch und begann zu frühstücken. Duncan beobachtete sie eine ganze Zeit lang, bis er seinen Kaffee ausgetrunken hatte und dann seine Seite des Frühstückstisches aufräumte. „Ich muss dann zu Victor. Nur, dass du bescheid weist.“ „Kann ich mit?“ Fragend sah er zu ihr hinüber. „Wozu?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Na ja, er kann doch seine Dokumente wieder haben. Außerdem wollte ich mich sowieso mit Lil treffen.“ Duncan schien zu überlegen. Victor könnte in der Tat mit Samantha sprechen wollen, wenn er ihm erzählte, dass sie die Geschichte ihrer Eltern kannte. „Dann komm mit.“ Sie nickte. „Zwanzig Minuten, dann bin ich fertig.“ Duncan sah auf die Uhr. „Dann los, bin ich mal gespannt.“ „Du wirst staunen“, war ihre freche Antwort und sie verschwand aus der Küche. Duncan sah ihr nach. Er hatte das Gefühl, dass sich zwischen ihnen einiges verändert hatte. Und auch Samantha selbst war anders, offener. Vielleicht endlich sie selbst. Das sollte er definitiv beobachten, denn ihm gefiel diese andere Samantha. Sehr sogar. Als Samantha mit Duncan zum Thronsaal unterwegs war, fielen ihr wesentliche Dinge auf, auf die sie schon sehr besonders den ganzen Morgen Acht gegeben hatte. Duncan verhielt sich ihr gegenüber anders. Er achtete zum ersten Mal so wirklich auf sie, war aufmerksam. Immerhin hatte er ihr ein perfektes Frühstück gezaubert, mit allem, was ihr Herz begehrte. Das hatte sie sehr gefreut, fast genauso sehr wie die Tatsache, dass er immer wieder zu ihr sah, als müsste er sich vergewissern, ob es ihr gut ginge. Es wärmte sie innerlich, wie anders er doch sein konnte, wenn er wollte. Auch wenn sie den Grund für diese Veränderung nicht wusste, ihr gefiel es sehr. Doch Duncan hatte mit sich selbst zu kämpfen. In ihm herrschte ein wilder Sturm der Gefühle, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Er steckte in einem Zwiespalt fest, aus dem er einfach nicht herauskam. Seine Empfindungen waren zu gegensätzlich, um daraus irgendein Ergebnis zu erzielen. Er wusste doch selbst nicht, was mit ihm los war. Es war, als müsste er einen inneren Kampf ausfechten, in dem er nur der Verlierer sein konnte. Diese Gefühle, sie durften nicht sein! Und doch waren sie da. Die beiden Wachen an der Tür, welche in den Thronsaal führte, verneigten sich leicht und ließen sie dann eintreten. Samantha und Duncan gingen hinein und wie beim ersten Mal musste Samantha bei dem prunkvollen Anblick des Raumes staunen. Victor kam ihnen entgegen, als er sie erblickte und wies sie an, am Tisch Platz zu nehmen. Nachdem dies geschehen war, sah Victor Samantha direkt in die Augen. Sie bekam eine Gänsehaut. Sein Blick war so intensiv und seine Augen so schwarz, dass sie sich fürchtete. Es war das zweite Mal, dass sie Victor traf. „Ich wusste gar nicht, dass ich angewiesen hatte, dass du Samantha mitbringen sollst, Duncan?“ Victors intensiver Blick glitt zu dem Angesprochenen. Dieser machte den Mund auf, doch Samantha war schneller. „Das ist meine Schuld. Ich wollte mit. Entschuldigung.“ Duncan besah sie mit einem undefinierbaren Blick und in seinen Augen lag irgendetwas. Stolz? „So?“ Nun sah Victor wieder Samantha an, ihre Aufmerksamkeit kehrte auch sofort wieder zu ihr zurück.. „Wozu? Gibt es irgendetwas Wichtiges zu klären?“ „Ja, na ja.“ Ein kurzer Blick zu Duncan versicherte ihr, dass sie weitersprechen sollte. „Duncan hat mir die Geschichte meiner Eltern vorgelesen.“ Sie zog die Dokumente hervor und reichte sie über den Tisch. „Ich dachte, ich bringe sie wieder her.“ Victor nahm sie entgegen. „Und? Bist du jetzt schlauer geworden?“ Bevor sie nachdenken konnte, flüsterte sie: „Es ist unmenschlich und krank gewesen.“ Victor hob sein Kinn zu einer überlegenen Pose und sah sie, von oben herab, an. „Findest du, ja?“ Seine gefährliche Stimmlage und sein Blick sollten sie einschüchtern. Anfangs wirkte es auch, doch dann fasste Samantha Mut, der noch nie vorher dagewesen war. „Ja, das finde ich. Die Folterung an meinem Vater war übertrieben, auch wenn er gegen Gesetze verstoßen hat. Meine Mutter hatte mit den ganzen Dingen nichts zu tun und musste grausam verbluten.“ „Und das trifft dich, obwohl du sie nicht kanntest?“ Victors Stimme war sehr ruhig. Samantha überlegte, ob es nur eine Maske von war und er unter der Oberfläche brodelte, aber sie musste antworten. „Sie waren trotz allem meine Eltern, auch wenn ich sie nicht kannte. Niemand hat solche Strafen verdient, egal was er getan hat. Ihr solltet froh sein, dass es passiert ist. Sonst würde ich nicht existieren. Und ich denke, ich werde gebraucht.“ Überrascht zog Victor eine Augenbraue hoch. „Sehr gut, du lernst dazu.“ Jetzt sah sowohl Samantha, als auch Duncan erstaunt aus. „Bitte was?“ „Als du herkamst, warst du ziemlich schüchtern und eben hast du mir die Stirn geboten. Beeindruckend.“ Victors Worte waren wahr. Duncan lächelte leicht, als er Samanthas Verblüffung immer noch in ihrem Gesicht stehen sah. Dann färbten sich ihre Wangen leicht rot und sie nickte leicht. „Danke.“ „Und, was ist mit deiner Ausbildung? Wie läuft es bei ihr, Duncan?“ Duncan faltete seine Hände zusammen. „Es könnte nicht besser sein. Sie hat ein Händchen dafür und Juan hat mir bisher auch nur Gutes erzählt.“ „Sehr gut, Samantha. Für die nächsten Wochen und Monate geht deine Ausbildung natürlich weiter. Mal schauen, wie weit wir noch kommen, bevor der Showdown beginnt.“ Der Showdown würde mit Sicherheit der Tag sein, an dem sich die Spannungen des Krieges, der im Moment mehr ruhig als aktiv war, entladen werden. Einer der Wachen, der vor der Tür positioniert war, kam herein und verbeugte sich tief. „Sire, Sie wünschen?“ Samantha runzelte die Stirn und Verwirrung machte sich in ihr breit. Victor hatte keinen Ton zu ihm gesagt. Wieso kam er herein und fragte so etwas? Doch Samantha sollte ihre Antwort bekommen. „Geleite Samantha hinaus. Ich muss etwas mit Duncan allein klären und sie ist momentan hier fertig.“ Auf Victors Worte hin, kam er näher und Samantha stand von ihrem Stuhl auf. „Es hat mich gefreut“; antwortete sie, wobei sie etwas flunkern musste. In Wahrheit war sie froh, wieder weg zu können. Vor allem durch diese letzte Aktion mit dieser Wache, war sie vollends verängstigt. Wie machte Victor das? Dieser nickte ihr zum Abschied kurz zu, Duncan sah sie hingegen nicht an. Sie lief der Wache entgegen und zusammen verließen sie den Thronsaal. Nun waren Victor und Duncan allein und ein merkwürdiges Schweigen herrschte zunächst zwischen ihnen. Duncans Unruhe steigerte sich dadurch noch mehr. Er überlegte schon die ganze Zeit, seitdem er und Samantha das Haus verlassen hatten, was es nur so Wichtiges gab. Er sah zu Victor hinüber. „Wieso sollte ich unbedingt herkommen?“ Keine Antwort. Keine Regung. Duncan versuchte es noch einmal. „Sire?“ Victor stand auf und ging zu einem Ablagetisch. Er hob einen Teller hoch und kam mit diesem zurück zu dem Tisch, wo Duncan noch immer saß. Als er ihn abstellte, konnte Duncan erkennen, dass auf dem Teller ein Häufchen Asche lag. Fragend sah er Victor an. „Das war eine magische Nachricht. Stabilisier sie mit Magie, dann kannst du sie ebenfalls lesen.“ „Okay.“ Duncan hob seine Hand über den Haufen. Es bedarf nicht viel Konzentration, dann wurde aus der Asche langsam ein Stück Papier, auf dem in schwarzer Schrift etwas geschrieben stand. Nachdem das Papier vollständig neutralisiert war, nahm es Duncan und fing an zu lesen: Ich habe Euch nicht vergessen. In wenigen Tagen werde ich zurückkehren, mit ein paar Informationen für Euch. Falls ihr über einen Verrat meinerseits nachgedacht habt, liegt Ihr falsch. Meine Loyalität liegt ganz bei Euch, Victor. Auch, wenn der Kontakt abgebrochen war, es hat sich nie etwas geändert. Nach Zweihundert Jahren kehre ich nun zurück. Sagt Duncan, dass ich mich auf ihn, und unser weiteres gemeinsames Leben, freuen werde. K. Duncan erstarrte augenblicklich. Das konnte nicht die Wahrheit sein. Es war unmöglich. Sie konnte nicht zurückkehren. Nicht jetzt, als er gerade damit abschloss. Nein, das lief alles ganz falsch. Er ließ das Stück Papier augenblicklich wieder zu Asche verpuffen, welche sich erneut zu einem Häufchen auf dem Teller zusammenfand. Dann ballte Duncan die Hände zu Fäusten, so sehr, dass die Sehnen deutlich hervortraten. Sie. Diejenige, die ihn vor Zweihundert Jahren beinahe zerstört hatte, mit ihrer Entscheidung, alles hinter sich zu lassen. Diese Person, die ihm sein Herz herausgerissen hatte, sie kam wieder zurück. Und sie wollte ihn wieder. Sie. Kate Britollia. Und das schon in wenigen Tagen. Sofort kochte wieder eine Wut in Duncan hoch, die er bei den Gedanken an sie, gerade so verdrängen konnte. Doch bald würde er ihr wieder gegenüberstehen, doch das konnte er nicht! Sie hatte ihn zu sehr verletzt. Sie hatte zu ihm gesagt, nach ihrer letzten Nacht, dass sie ihn nicht lieben würde, und dann war sie spurlos verschwunden. Sie hatte Duncan eiskalt das Herz gebrochen. Obwohl Racheengel für ihre Grausamkeit bekannt waren, dies war nicht gerechtfertigt. Dann hatten Victor und er gedacht, als der Kontakt nach nur wenigen Jahren abgebrochen war, dass sie auf die andere Seite gewechselt war. Hochverrat. Dieser Gedanke hatte damals nur noch alles verschlimmert. Hätte Duncan nicht Sheridan, und auch Lilith an seiner Seite gehabt, dann würde er vermutlich nicht mehr existieren. Sie hatte ihn kaputt gemacht. Und nun wollte sie einfach wieder auftauchten und so tun, als wäre nichts gewesen? Nicht mit mir. Duncans Entschluss stand fest. Nie wieder würde er sich herumschubsen lassen, sich von Gefühlen leiten lassen, nur um am Ende wieder mit gebrochener Seele dazustehen. Nie wieder! Weder bei Kate, noch bei jemand anderem, es dürfte nie wieder so weit kommen! „Duncan?“ Victors Stimme weckte Duncan aus seiner Trance. Doch seine Wut linderte das keinen Stück. Seinen Schmerz genauso wenig. „Nehmt Ihr Kate das ab?“ Am liebsten würde er brechen, nachdem ihr Name seine Lippen verlassen hatten. Aber er riss sich zusammen. „Wir werden sehen, wie sie sich gibt. Ich habe die Wachen an allen Eingängen verstärkt. Sobald sie das Land betritt, wissen wir es.“ Aber Victor besah Duncan mit einem nachdenklichen Blick. „Ich hoffe, du verfällst nicht wieder in einen Zustand, wo man dich nicht gebrauchen kann. Du hast dich um die Auserwählte zu kümmern. Kate ist nebensächlich.“ „Das sehe ich genauso.“ „Sehr gut.“ Victor lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Irgendwann, während Duncan in seiner inneren, eigenen Welt gefangen war, musste er sich wieder gesetzt haben. Verdammt, schon jetzt nahm seine Konzentration ab. Das konnte zu diesen Zeiten den Tod bedeuten. Und da er auf Samantha aufpassen sollte, nicht nur für ihn. Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschah, egal von welcher Seite aus. Duncan knurrte wütend in sich hinein. Das konnte doch nicht wahr sein! Schon wieder ein Widerspruch. Seine Gefühle konnten sich einfach nicht entscheiden. Das machte ihn ganz verrückt. Duncan hatte wirklich mit allem gerechnet, aber niemals mit seiner Exfreundin. Um genau zu sein, hatte er sogar gehofft, dass sie nie wieder nur einen Fuß hierher setzen würde. Doch sie tat es, schon bald. Das war seit einundzwanzig Jahren die schlimmste Nachricht, die Duncan erreichte. Und diesmal hatte er keinen Bruder da, der ihm seelisch beistehen konnte. Auch die Beziehung zu Lilith hatte seitdem etwas abgenommen. Und Samantha kannte er nicht lange genug. Nein, er war diesmal ganz allein. To be continued. Kapitel 19: Pressure -------------------- Stress Tief atmete sie die heiße Luft ein, die ihr entgegen kam, als sie den Erdboden berührte. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie ganz Solas überblicken. Wesentliche Unterschiede der Stadt in den zweihundert Jahren gab es nicht großartig. Alle wichtigen Gebäude waren dort, wo sie sie in Erinnerung hatte. Nur einige Häuser waren renoviert wurden, andere abgerissen oder neugebaut. Insgesamt sah sie aber, dass die Stadt, welche rund um den Palast stand, gewachsen war. Ihr Blick fiel auf das Haus, welches sie zuletzt betreten hatte, bevor sie gegangen war. Das Haus ihres Freundes, Duncan Northcote. Jedenfalls dachte sie, dass er noch ihr Freund war, auch nach diesen vielen Jahren. Sie war sich jedenfalls keiner Schuld bewusst. Sie musste damals gehen. Vielleicht waren es nicht die richtigen Mittel gewesen, die sie verwendet hatte, aber Duncan würde ihr das schon verzeihen, so sehr war er damals von ihr abhängig. Er würde ihr schon verzeihen, dessen war sie sich sicher. „Endlich bin ich daheim.“ Der heiße Wind blies ihr durch das schwarze Haar, ihre hellblauen Augen leuchteten, nicht nur durch die viele schwarze Schminke. Gerade als sie sich aufmachte den Berg hinabzusteigen, landeten zwei Wachen des Palastes vor ihr. „Mrs. Britollia, es ist schön, Sie wohlbehalten wieder hier zu haben.“ „Danke. Gibt es irgendetwas Wichtiges?“ Einer der Wachen neigte den Kopf. „Victor erwartet Sie.“ „Sagt ihm, ich stoße bald zu ihm. Ich muss nur noch vorher etwas erledigen. Entschuldigt mich.“ Bevor die Wachen reagieren konnten war sie verschwunden. Nun stand Kate am frühen Morgen vor Duncans Haus. Langsam schritt sie über den Rasen zur Tür und genoss die Atmosphäre der Hölle, die sie so viele Jahre vermisst hatte. An seinem Haus hatte Duncan einige Renovierungen vorgenommen, doch im Großen und Ganzen erinnerte es sie noch sehr an früher. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie viele Abende auf der wundervollen Veranda verbracht hatte, meist mit einer Flasche Wein. Es waren damals schöne Zeiten, bis sie diesen Auftrag bekam und gehen musste. Doch Kate war sich hundertprozentig sicher, dass Duncan sie mit offenen Armen empfangen würde und sie dort weitermachen konnten, wo sie aufgehört hatten. An der Tür endlich angekommen, drückte sie auf die Klingel. Einmal. Zweimal. Dreimal. Endlich öffnete sich die Tür und Kates Herz klopfte vor Aufregung, endlich ihren Geliebten wiederzusehen. Doch es war nicht Duncan, der die Tür öffnete. Nein, es war eine Frau. Eine junge, hübsche, nur leicht bekleidete Frau. Kates Eifersucht stieg wie Gift in ihr empor. Sie sah aus, als würde sie gerade aus dem Bett kommen, denn ihre Haare waren ungekämmt und die Kleidung sah aus wie Schlafkleidung. Sie war hübsch, aber nicht wunderschön. Kate würde ihr am liebsten den Hals umdrehen. Ihre Stimme war eiskalt und schneidend. „Hallo.“ Die junge Frau rieb sich kurz die Augen, bevor sie wieder Kate ansah. „Guten Morgen. Darf ich fragen, was Sie hier so früh suchen? Wenn Sie zu Duncan wollen, dann kann ich Ihnen sagen, dass er noch schläft.“ Kate biss sich auf die Zunge, soviel Wut hatte sie bereits in sich. War dieses Mädchen, die nicht einmal erwachsen schien, etwa Duncans neue Freundin? Oh, dem würde sie aber was erzählen! „Ach, du bist wohl die Neue?“, fragte Kate gehässig die junge Frau, welche leicht verwirrt aussah. „Wie meinen Sie das?“ „Du weist doch ganz genau, was ich meine. Duncan hat immer mal eine neue Bettgeschichte.“ Bevor Samantha reagieren konnte, wurde sie beiseite geschubst. Die schwarzhaarige Frau stolzierte über die Türschwelle wie eine Diva. Samantha war wirklich mehr als verwirrt. Was bildete sich diese fremde Frau denn bitte ein? „Entschuldigung, aber so geht das nicht“, sagte sie deshalb, als die sie Fassung wieder gewonnen hatte und ihr ebenfalls wieder nach drin gefolgt war. Die fremde Frau drehte sich zu ihr herum. In ihren Augen stand eine Wut, die Samantha nicht nachvollziehen konnte. Immerhin kannten sie sich gar nicht. „Ach, bist du sicher?“ „Ja. Ich weiß nicht, wer Sie sind, was das soll und was Sie hier wollen. Sie können nicht einfach in ein fremdes Haus spazieren und so tun, als wäre das total normal.“ Jetzt grinste sie Samantha kalt an. „Das hier ist für mich kein fremdes Haus. Ich will nur das zurück, was ich zurückgelassen hatte.“ „Und das war was? Sagen Sie das und ich hole es.“ Plötzlich sah sie zur Treppe und als Samantha eine der Holzstufen knarzen hörte, drehte sie sich auch herum. Duncan kam die Treppe herunter. Er war auch eben erst aus dem Bett gestiegen, seine Haare lagen wild und er war nur mit einer Boxershorts bekleidet. Beide Frauen betrachteten seinen durchtrainierten Oberkörper, wobei Samantha dabei etwas rot um die Nasenspitze wurde. Während Kate ein erregtes Glitzern in den Augen hatte. So lange hatte sie schon auf diesen Augenblick gewartet. Kate ging eilig die Treppe hinauf. „Schatz, ich habe dich ja so vermisst.“ Noch bevor Duncan reagieren konnte, hatte sie die Arme um ihn gelegt und ihn geküsst. Er konnte gar nicht so schnell reagieren, wie es passierte. Er wusste, dass sie wiederkam, aber dass es so schnell geschah, hatte er wiederum auch nicht gedacht. Nun stand sie hier und küsste ihn. So wie früher. Und er stand unter Schock, unfähig zu handeln. Samantha stand einfach nur da und starrte auf die beiden. Sie konnte nicht fassen, was passiert war. Es fühlte sich an, als wäre sie aus allen Wolken gefallen und hart auf dem Erdboden aufgekommen. Duncan hatte eine Freundin. Nie hatte er nur ein Wort darüber verloren und Samantha fand schon, dass das erwähnenswert wäre. Er hatte sie geküsst, innig und lange. Und dann war er geflüchtet. War es deswegen, wegen ihr? Hat er zu diesem Zeitpunkt seinen Fehler eingesehen? Aber wieso hat er Samantha dann nicht auf Distanz gehalten? Er hatte sich richtig rührend um sie gekümmert, jedenfalls für seine Verhältnisse. Und jetzt das! Tief in ihrem Innersten fühlte Samantha sich verraten. So als würde sie am Boden liegen und würde nun mit Füßen getreten werden. Irgendetwas war in ihr gebrochen. Jetzt gestand sie sich ein, dass sie mehr für Duncan empfand, als sie bisher festgestellt hatte. Sie hatte sich verliebt. Ihre Gefühle waren tief, daher die tiefe Verletzung. Denn Duncan erwiderte diese Gefühle nicht. Ihr standen Tränen in den Augen. Sie senkte den Blick, drehte sich um und rannte zur Haustür. Ihr war egal, dass sie noch ihre Schlafsachen anhatte. Sie musste weg. Sie musste allein sein. „Samantha!“ Sie hörte Duncan rufen, doch es war ihr egal. Sie wollte weg und rannte vom Grundstück. Wohin sie rannte, konnte sie nicht sagen. Sobald sie wieder selbstständig denken und handeln konnte, würde sie es schon herausfinden. Kate ließ von Duncan ab, als sie die Tür zufallen hörte. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. War diese Kleine doch wirklich abgehauen, als sie ihre Show abgezogen hat. Aber eines gefiel ihr ganz und gar nicht: Duncan hatte ihr nachgerufen. Irgendetwas war zwischen den beiden, was Kate zerstören würde. Sie würde dieses Mädchen nicht dulden. Denn sie war eher da. Duncan gehörte ihr, ganz allein ihr und diesmal würde auch Duncans Bruder das zu sehen bekommen. Sie sah zu Duncan hinauf, der an ihr vorbeistarrte, an den Punkt, wo dieses Mädchen gestanden hatte. Kate fing an, über seine Brust zu streichen. Sie hatte ihn so vermisst. Endlich konnte sie ihn wieder berühren, wenn sie wollte. Es würde niemals anders sein. „Hast du mich vermisst?“ Jetzt bekam sie endlich seine Aufmerksamkeit. Er sah zu ihr hinunter. Doch auf seine nächste Reaktion war sie nicht vorbereitet. Er schubste sie unsanft die Treppe hinunter. Nach einigen Stufen konnte sie sich am Geländer festhalten. „Was soll das, Schatz?“ „Nenn mich nie wieder so!“ Er knurrte sie regelrecht an. „Und fass mich auch nie wieder an!“ Kate stieg in den Sinn, dass er wohl doch etwas sauer war für das, was sie damals zu ihm gesagt hatte, bevor sie gegangen war. Aber das kriegte sie schnell wieder hin. „Es tut mir leid wegen damals, Duncan.“ Sie stieg wieder die Treppen nach oben und strich sanft mit den Fingernägeln über seine Bauchmuskeln. Es tat einen Schlag und im nächsten Moment stieß sie hart gegen die Wand am anderen Ende des Flures. Duncan starrte sie bösartig an. „Ich sagte, fass mich nie wieder an! Ich will mit dir rein gar nichts mehr zu tun haben Kate, ich hasse dich! Und jetzt, verlasse mein Haus, sofort!“ „Aber Duncan –“ Doch er unterbrach sie. „Was du damals abgezogen hast, war das Allerletzte! Ich will dich nie wieder sehen, Kate! Lass mich bloß in Ruhe!“ Im nächsten Moment fand Kate sich vor dem Haus wieder. Als sie die kleine Treppe, welche auf die Veranda führte, betreten wollte, wurde sie von Duncans Magie zurückgeschleudert. Gerade so kam sie fest auf beiden Beinen auf. Ein Knurren entwich ihrer Kehle. „Dieses kleine Miststück hat ihn manipuliert.“ Sie sah zum Haus empor. „Ich schwöre dir, Duncan Northcote, du wirst wieder mir gehören. Egal was ich dafür tun muss.“ In einer Rauchwolke verschwand sie. „Ich sollte langsam gehen. Sonst schöpft dein Vater noch Verdacht, dass ich nicht hier bin, um dir eine neue Fähigkeit zu zeigen.“ Er stand von dem Sofa auf, auf dem sie saßen. Dann sah er zu ihr, sah ihren leicht traurigen Blick. „Lil.“ „Ich wünschte, du könntest noch bleiben“, flüsterte sie, aber er verstand es. Juan ließ sich noch einmal nieder und legte seine Hand auf ihre. Sie sah zu ihm auf, mitten in seine braunen Augen, die, nur für sie, Wärme ausstrahlten. „Das würde ich wirklich gern.“ Lilith lächelte ihn sanft an. Sie hätte nicht gedacht, dass Juan, von allein, ein Treffen mit so einem Vorwand planen würde. Sie dachte eigentlich, er würde, von allein, nicht wieder zu ihr kommen. Aber er hatte es getan. Nun war er seit drei Stunden hier bei ihr und ihre Gefühle für ihn überwältigten sie fast. Er hatte ihr im Laufe der Stunden dutzende Komplimente gemacht und merkwürdige Andeutungen, die sie nur zu gern interpretierte. Als hätte er Gefühle für mich. Die Sehnsucht nach ihm war in den letzten Wochen riesig angewachsen. Er war einige Zeit lang unterwegs gewesen und sie hatte ihn nicht einmal aus der Ferne sehen können. Und dann hatte er ihr diese Nachricht zukommen lassen, damit sie bei ihrem Vater alles geschickt einfädeln konnte. Als er dann endlich vor ihrer Tür gestanden hatte, war ihre Freude riesig gewesen. Doch erst als er drin war und die Tür geschlossen wurde, konnte sie ihre Freude offen zeigen. Auch er hatte sie vermisst, das hatte er sogar zugegeben. Trotzdem musste er jetzt leider gehen. Doch davor wollte Lilith noch einen Schritt wagen. „Juan, küss mich bitte.“ Verblüfft sah er sie an. „Bist du sicher?“ „Hundertprozentig sicher.“ Er beugte sich zu ihr und legte seine Lippen sanft auf ihre. Sie erwiderte den Kuss, fast schon verzweifelt, weil sie nicht wollte, dass Juan ging. Aber es half alles nichts. Nach ein paar weiteren Küssen, löste er sich von ihr. „Ich sollte wirklich gehen. Aber ich verspreche dir, wir sehen uns sehr bald wieder. Und dann haben wir mehr Zeit.“ Er strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Nur jetzt konnte ich es nicht länger aushalten, dich nicht zu sehen.“ Lilith streichelte mit ihrem Daumen über seine Wange und blickte ihn in die Augen. „Danke, dass du hier warst. Ich verstehe es, und ich freue mich umso mehr auf die Einlösung deines Versprechens.“ Er nahm ihre Hand, führte sie zu seinem Mund und küsste ihren Handrücken. „Prinzessin.“ Dann stand er auf, ging zur Tür und blieb davor stehen. Noch einmal drehte er den Kopf zu ihr und sah, dass sie aufgestanden war und ihn ebenfalls ansah. Unkontrolliert lief er zu ihr zurück, zog sie an der Hüfte an sich und küsste sie noch einmal, diesmal stürmisch und leidenschaftlich zugleich. Es hatte einen gewissen Reiz für ihn, das Verbotene. Er wollte Lilith haben, aber er konnte nicht. Wegen seinen Ängsten und wegen ihrem Vater. Aber gegen die Leidenschaft war er hilflos. Auch ihr schien es so zu gehen. Sie fasste in seine Haare, verwühlte sie und erwiderte die folgenden Küsse genauso. Sie vermisste ihn mit jeder Sekunde, an der er nicht da war, mehr. Umso schlimmer war dieser Abschied für sie. Ungewiss, wann sie sich wieder so nah sein würden. Juan besann sich dann und löste sich von ihr, bevor die ganze Situation entgleiste. Ohne ein Wort richtete er kurz seine Haare, warf ihr dafür aber noch einen sanften Blick zu und verschwand aus der Wohnung. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, ließ sich Lilith auf das Sofa sinken. Mit der Zungenspitze fuhr sie sich über die Lippen. Es war, als könnte sie Juan noch immer schmecken. Sie war sich sicher: sie wollte diesen Mann, und keinen anderen in ihrem Leben. Irgendwann würde sie sich gegen ihren Vater durchsetzen müssen. Doch jetzt konnte sie daran noch nicht denken, sondern nur hoffen, dass er niemals davon erfahren würde. Plötzlich klopfte es an der Tür. Lilith stand auf, lief schnell dorthin und riss förmlich die Tür auf, in der Hoffnung, dass Juan noch einmal zurückgekommen war, damit sie da weitermachen konnten, wo sie aufgehört hatten. Aber dem war nicht so. Es war jemand, den sie lieber nicht sehen wollte, und sie ahnte das Schlimmste. Ahnte, dass er sie erwischt hatte. „Dad.“ To be continued. Kapitel 20: Just a dream? ------------------------- Nur ein Traum? Victor sah auf seine Tochter hinab. „Du wirkst überrascht, mich zu sehen.“ Lilith schluckte und fuhr sich durch die Haare. „Ich wollte mich gerade nur etwas ausruhen und da hast du mich erschreckt.“ Ihr Vater nickte kaum merklich, wies sie an, zur Seite zu gehen und betrat ihre Räumlichkeiten. Lilith zupfte indes nervös an ihrem Kleid herum. Dann nahm Victor auf ihrem Sofa Platz und sah zu ihr hinüber. Die Prinzessin gesellte sich nur langsam zu ihm, ihre Gedanken überschlugen sich dabei. Ihr Vater hatte noch immer nicht gesagt, was er wollte. Natürlich konnte es alles Mögliche sein, trotzdem hatte sie Angst. Zwischen ihr und Juan lief es gerade so gut, das sollte sich doch nicht schon wieder ändern. Sicherlich wollte sie sich gegen ihren Vater durchsetzen, aber doch nicht sofort oder ohne Vorbereitung! Außerdem wollte sie Juan nicht unnötig in Gefahr bringen, auch weil sie sich nicht ganz sicher war, was das nun zwischen ihnen war – obwohl sie sich sicher war, dass ihr Herz nur für ihn schlug und immer schlagen wird. Lilith sah zu ihrem Vater empor, nachdem sie neben ihm Platz genommen hatte. „Wolltest du etwas Bestimmtes?“ „Allerdings. Was hat Juan dir solange beigebracht?“ Genau diese Frage hatte sie nicht hören wollen. Los, Lilith, zieh dir irgendwas schnell aus den Fingern und hoffe, dass er nicht deine Lüge aufdeckt. „Ich hatte kleine Probleme mit meiner Gabe und er hat mir geholfen, sie zu beseitigen.“ Leicht schielte sie zu ihrem Vater und sah, dass sein Blick auf ihr ruhte. Zögerlich lächelte sie, doch sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. „Wieso kommst du damit nicht zu mir?“ „Ich weiß auch nicht.“ Victors Züge verhärteten sich. „Du lügst mich an, Lilith.“ Ein Schrecken durchfuhr sie, bei den Worten ihres Vaters, aber sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. „Das stimmt nicht, es ist die Wahrheit, Dad.“ „Hör auf zu lügen!“ Lilith zuckte zusammen, als er plötzlich schrie. Er hatte sie noch nie so angebrüllt. Normalerweise zügelte er vor ihr sein Temperament, nur dieses Mal schien sie irgendeine unsichtbare Grenze überschritten zu haben. Schweigend saß sie jetzt da, den Blick auf ihre Hände gesenkt. Sie hatte Angst hochzusehen. „Was hat Juan wirklich hier gemacht, Lilith?“ Die Anspannung war noch immer in Victors Stimme zu hören. Mit Müh und Not versuchte er ruhig zu klingen, was ihm etwas misslang. Doch seine Tochter schwieg, was Victors Verdacht nur bestätigte. Aber er wollte die Sache anders angehen. „Denkst du, ich merke nicht, was für Blicke du ihm immer zuwirfst?“ Jetzt sah Lilith doch ihren Vater an. „Dad, ich schau ihn schon mein ganzes Leben lang nie anders an.“ „Das ist es ja gerade.“ Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Wie meinst du das?“ „Ich bin weder doof noch blind, mein liebes Kind. Ich sehe, dass du Gefühle für ihn hast, die ich dir ausdrücklich verboten habe. Deswegen glaube ich dir nicht, dass er da war, um dir zu helfen, nein, ihr habt euch heimlich getroffen, hab ich recht?“ Energisch schüttelte Lilith den Kopf. „Nein, dass ist überhaupt nicht wahr.“ „Ich sagte, lüg mich nicht an! Ich habe auch Juan beobachtet und auch er verhält sich anders! Rück mit der Wahrheit raus, Lilith!“ Sie sprang von ihrem Platz auf. „Hör auf mich anzuschreien! Ich bin kein kleines Kind und kein dummes Tier!“ „Schön, dann verbiete ich dir weiteren Kontakt mit ihm, egal mit welchem Zweck!“ Die Prinzessin glaubte, sich verhört zu haben. „Wie bitte?!“ „Du hast schon richtig verstanden. Ab sofort verbiete ich dir den Umgang mit Juan!“ „Das kannst du nicht machen…“ Victor erhob sich. „Du siehst es doch, Lilith. Sei endlich ein braves Mädchen.“ Damit ging er zur Tür. Lilith stand da und brachte keinen Ton mehr heraus. Erst als ihr Vater durch die Tür schritt, hatte sie die Fassung wieder erlangt. „Das lass ich nicht mit mir machen!“ Victor drehte sich noch einmal zu ihr um. „Das wirst du. Denn ab jetzt kontrolliere ich dich.“ Nachdem die Tür hinter ihrem Vater ins Schloss fiel, wurde sie von ihren Gefühlen regelrecht überflutet. Sie empfand eine enorme Wut, und gleichzeitig herrschte in ihr auch Angst, dass sie Juan nicht mehr berühren konnte oder ihm gar etwas geschah. Sie nahm, um sich abzureagieren, die äußert teure Vase vom Tisch hoch und schmiss sie mit Vergnügen gegen die Tür. Dort zersplitterte sie in tausende Teile. Aber es war ihr egal. Erschöpft von dem vergangenen Wortgefecht ließ sie sich auf den Boden sinken, vergrub das Gesicht in ihren Händen und weinte still vor sich hin. Bedauerte den Verlust ihrer endlich erwiderten Liebe. Es war wie ein Traum, der, wie eine Seifenblase, zerplatzt war. » Sie saß an einem wunderschönen, lauwarmen Frühlingstag auf einer Blumenwiese neben einem Kirschbaum. Die Sonne schien herrlich auf sie hinunter. Vögel zwitscherten, eine leichte Brise kam auf und wehte durch ihr Haar. Alles schien perfekt. Sie genoss das schöne Wetter und sah auf die Stadt hinunter. Äußerlich war sie glücklich, aber innerlich könnte nichts kaputter sein. Jemand kam zu ihr. Zuerst bemerkte sie es nicht, doch dann spürte sie es. Sie war komplett in schwarz gekleidet. Ihre hellblauen Augen stachen wie immer hervor, ihn ihnen stand blanker Hass. „Ganz nett hast du es hier, Samantha.“ Samantha stand langsam auf. „Was suchst du hier?“ „Schätzchen, dass ist meine Gabe. Du bist nirgendwo sicher vor mir.“ Ein kaltes Lächeln zierte ihr puppenartiges Gesicht. „Wie findest du denn meinen Duncan so?“ Samantha sah zu Boden und murmelte: „Er hat nie gesagt, dass er eine Freundin hat…“ „Oh, das tut mir aber leid für dich“, erwiderte Kate, wobei ihre Stimme vor Ironie nur so triefte. „Er ist aber auch ein böser Junge. Macht einem Mädchen schöne Augen und dann stellt sich heraus, dass er bereits vergeben ist.“ „So war es nicht.“ Kate kam näher und wirkte ihr gegenüber überlegen. „Ach, wie denn dann? – Kann mir ja eigentlich egal sein. Er gehört ja sowieso zu mir, und nicht zu dir. Ich verzeih ihm seine Fehler sehr leicht. Aber du, du störst mich sehr. Am besten ist es, wenn du verschwindest. Es wird dich doch eh niemand vermissen.“ Samantha schluckte. „Vielleicht hast du recht… Duncan würde mich definitiv nicht vermissen und bei Lilith weiß ich es auch nicht genau.“ Doch dann fiel ihr etwas ein, worauf sie Kate diesmal direkt in die Augen sah. „Moment, du hast ihn auch verletzt, da bin ich mir sehr sicher.“ Kate grinste erneut kalt. „Ach, er hat es dir wohl gar nicht geschildert, wie das bei uns damals gelaufen war? Nun, es waren unglückliche Umstände. Ich hab Duncan alles versprochen, doch dann musste ich leider weg, einen wichtigen Auftrag für Victor erledigen. Duncan hat mir sein Herz zu Füßen gelegt, wir haben eine letzte Nacht miteinander verbracht und dann –“ Ihr Grinsen wurde nur breiter. „Dann habe ich ihm gesagt, dass all seine Bemühungen immer umsonst waren, dass ich ihn nicht liebe, dass er das Letzte ist und bin gegangen.“ Kate seufzte theatralisch. „Erst als ich weg war, habe ich eingesehen, was für ein Fehler das war.“ Samantha sah sie geschockt an, brachte keinen Ton über die Lippen. Kate lachte auf. „Was schaust du so entgeistert?“ „Du hast ihm eiskalt das Herz gebrochen… Kein Wunder, dass er so ist.“ Kate zog eine Augenbraue hoch, doch Samantha fuhr fort: „Duncan ist so eine liebe Person, er hat genauso wie jeder andere Gefühle und du hast ihm so etwas angetan, obwohl er dich über alles geliebt hat.“ „Schätzchen, er liebt mich immer noch. Das geht nur in deinen Kopf nicht rein.“ Samantha ballte ihre Hände zu Fäusten und starrte Kate böse an. „Oh, Duncan liebt dich nicht mehr. Keiner liebt so eine Schreckschraube wie dich.“ Auf einen Schlag verdunkelte sich der Himmel. Das Gezwitscher der Vögel verstummte, der Wind blies stärker. Donner grollte in der Ferne. „Was hast du gesagt?“, fragte Kate mit einer leisen Stimme. „Du hast schon richtig gehört, du bist eine Schreck-“ Doch weiter kam Samantha nicht. Sie stürzte auf die Knie und hielt sich die Hände an den Hals. Sie rang verzweifelt nach Luft, nur sie bekam keine mehr. Irgendetwas schnitt ihr die Luft ab. Als sie Kates Lachen hörte, wusste sie, wer es tat. Mit Magie war Engeln vieles möglich, und Kate würgte sie mit ihren Kräften. Verzweifelt versuchte sie, irgendetwas zu tun, um diesen Bann zu lösen, doch es kam einfach keine Luft in ihre Lunge. Indes baute Kate sich vor ihr auf, ging in die Hocke und sah sie an: „Duncan wird wieder mir gehören. Nichts wird mir im Weg stehen, nicht einmal du.“ Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern, doch Samantha kam es vor, als könnte sie ein Echo davon noch Sekunden danach vernehmen. Plötzlich schlug ein Blitz neben ihnen in den Kirschbaum ein. Samantha hörte jemanden schreien, dann verlor sie das Bewusstsein. « Vor Schreck wachte Samantha aus ihrem Traum auf. Ihr Herz klopfte wie wild, Schweiß bedeckte ihren Körper, sodass ihre Kleidung an ihr klebte wie eine zweite Haut. Verzweifelt rang sie nach Luft, wie in ihrem Traum, als hinge ihr Leben davon ab. Dann fasste sie sich an den Hals. Er tat ihr weh, so als hätte sie das, was in ihrem Traum passiert war, wirklich erlebt. Merkwürdigerweise konnte sie sich klar an alles erinnern, ohne Lücken. Sie wusste sogar, was Kate Duncan angetan hatte. Ihr kam es sogar so vor, als hätte wirklich jemand geschrien. Aber wer? Es war nur noch Duncan in diesem Haus. Aber vielleicht war es ja doch nur Einbildung? Samantha war verwirrt. Sie hatte sich noch nicht ganz beruhigt und noch keinen klaren Gedanken fassen können, da würde die Tür ihres Schlafzimmers aufgerissen. Duncan, der ziemlich verschlafen aussah, stürmte herein. „Geht’s dir gut?“, brachte er gleich hervor. Samantha wollte antworten, brachte aber nur ein Krächzen zustande, weswegen sie lieber nickte. Mit einem besorgten Blick kam Duncan zu ihr und setzte sich auf die Bettkante. „Ich hol dir gleich was zum kühlen.“ Als sie ihn verständnislos ansah, sagte er: „Dein Hals ist ganz blau. Du hast wie am Spieß geschrien und dann –“ Er brach ab und sah nach oben. „So ein Mist!“ Verwirrt sah Samantha ebenfalls nach oben. Ihre Augen weiteten sich geschockt. Da, wo einmal die Decke gewesen war, befand sich ein riesiges Loch. Die Ränder brannten noch mit einem magisch leuchtenden Feuer. Es war haarknapp neben dem Bett passiert, in dem Samantha geschlafen hatte. Denn der Boden unter dem Loch war fürchterlich verkohlt. „Zum Glück hat es dich nicht getroffen.“ Samantha räusperte sich und als sie sprach klang ihre Stimme seltsam, nicht wie ihre eigene. „Was hat das zu bedeuten?“ Duncans Züge verhärteten sich. „Das war Kate. War sie in deinem Traum?“ Ein leichtes Nicken war die Antwort, worauf Duncan nur noch wütender aussah. „Das ist ihre Gabe. Sie kann in Träume von anderen eindringen, die Träume befinden sich dann auf einer echten Ebene. Sie muss dich angegriffen haben im Traum –“, dabei deutete er auf ihren Hals, „und dann hat sie versucht, dich zu töten durch magisches Feuer.“ Duncan flog hinauf zur Decke und besah sie sich. Sie war definitiv hin. Für welchen Preis musste Samantha sich das gefallen lassen? Er hatte leider die Vermutung, dass das mit ihm zu tun hatte. Das hatte er nie beabsichtig. Samantha sollte nicht wegen ihm in Gefahr sein. Aber sie war es. Als er ein leises Schluchzen hörte, flog er wieder hinunter und setzte sich neben sie. „Hey…“ Er zögerte erst, zog sie aber dann doch in seine Arme und strich über ihren Rücken. Da er kein Oberteil anhatte, spürte er ihre Tränen sofort auf seiner Haut. „Scht… Sie wird dir nichts tun, dass werde ich nicht zulassen.“ „Sie hat dir so weh getan…“, hörte er sie flüstern. Erstaunt riss er die Augen auf. Gerade wurde ihr fürchterliches Leid angetan und ein riesiger Schrecken eingejagt, und trotzdem dachte sie an ihn und seine Gefühle. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. Sie war so mitfühlend, dachte zuerst immer an andere und erst als aller letztes an sich selbst. „Ist schon gut“, antwortete Duncan. „Du bist verschreckt. Komm her.“ Er nahm Samantha sanft hoch und trug sie aus dem Zimmer. Sie realisierte erst nicht, was er vorhatte, aber dann sah sie, wie er sie mit in sein Schlafzimmer nahm. „Das brauchst du doch nicht tun…“ „Sch… Ruhig.“ Duncan legte sie in sein Bett und erst jetzt fiel Samantha auf, dass sein nackter Oberkörper die ganze Zeit vor ihrem Gesicht gewesen war. Eine Röte legte sich auf ihre Wangen und sie senkte ihren Blick verlegen auf ihre Hände. „Komm, versuch wieder zu schlafen. Hier passiert dir nichts.“ Er zog sanft die Decke über sie, doch Samantha hielt seinen Arm fest. „Bleib bitte hier… Ich will nicht mehr allein sein.“ „Wie du möchtest.“ Duncan rutschte neben sie unter die Decke und löschte das Licht. „Versuch zu schlafen. Ich bin hier.“ Kurz vor dem Einschlafen schreckte Duncan leicht auf, als sich ein Arm um seinen Bauch legte. Er sah neben sich und sah Samantha, wie sie sich an ihn kuschelte. Er konnte nicht anders, er lächelte und legte, ganz wie ein Beschützer, einen Arm um sie. Dadurch kuschelte sich Samantha nur noch mehr an ihn. Duncans Gefühle fuhren Achterbahn. Auf der einen Seite wollte er Samantha fern bleiben, um sie zu beschützen vor seiner wild gewordenen Exfreundin. Aber gleichzeitig glaubte er nicht, dass sie das beschützen würde. Dann war da noch sein Misstrauen, seine verletzte Seite, sein gebrochenes Herz, was Samantha zuerst zusammenpuzzeln musste, bevor es wieder für jemanden wie sie schlagen konnte. Doch auf der anderen Seite, wollte und konnte er nicht mehr ohne Samantha. Duncan empfand auf irgendeine Weise für Samantha, die so anders war als damals mit Kate oder irgendjemandem davor. Er konnte es sich nicht ganz erklären, wieso das so war oder was es für ihn bedeutete. Aber eins wusste er: er musste sich langsam entscheiden, für das, was er wirklich wollte. To be continued. Kapitel 21: Temptation ---------------------- Versuchung Es schlug Mitternacht. Kalter Wind blies ihr ins Gesicht, ließ ihre Haare sanft wehen. Sie bekam eine Gänsehaut und fröstelte leicht. In ihrem dünnen Nachthemd und nach diesem gewaltigen Regenschauer, der die Luft stark abgekühlt hatte, war das eigentlich kein Wunder. Sie sah hinunter auf die Lichter der Stadt und ließ ihre Gedanken schweifen. Seit zwei Wochen hatte sie ihn nicht gesehen. Er hatte gesagt, sie würden sich schon bald wiedersehen. Doch bisher war nichts passiert. Ein leises Seufzen entfuhr ihr. Vielleicht lag es auch an dem Streit mit ihrem Vater, der darauf gefolgt war. Er hatte ihr den Umgang mit ihm verboten. Vielleicht hielt er alles, was von Juan kam, von ihr fern. Damit sie sich wirklich nicht wieder sahen. Bei dem Gedanken traten ihr Tränen in die Augen. Sie konnte nicht ohne ihn, dessen war sie sich schon so lange sicher. Schon ihr gesamtes Leben lang. Und jetzt, da er sich endlich für sie interessierte, verhinderte ihr Vater alles. Das Leben war einfach nicht fair! Wieso dachte er nur, dass Juan genauso war, wie alle anderen? Gut, vielleicht war sie da auch etwas naiv und vertraute Juan zu sehr, aber mit Sicherheit irrte ihr Vater sich einfach. Er würde ihr niemals absichtlich weh tun. Das hatte er ihr versprochen. Nur davon wusste Victor leider nichts und vermutlich würde er es auch nicht glauben. Das Schlimmste war, dass sie nicht mehr allein aus dem Palast raus kam. Sie stand, wie ihr angedroht wurde, ständig unter Beobachtung. Und auch wenn ihr Vater sie in Sicherheit wiegte und sie allein hinaus durfte, wusste sie, dass sie von seinen Wachen beobachtet wurde. Sie konnte ja nicht mal mit Duncan reden, damit er daran etwas ändern konnte! Sie lehnte sich an das Geländer ihres Balkons und summte eine leise, traurige Melodie vor sich hin. So tief in Gedanken versunken, hatte sie fast nicht diese Aura bemerkt, die plötzlich da war. Sie wusste, dass es keiner der Wachen ihres Vaters war und auf Anhieb schlug ihr Herz schneller. Sie kannte diese Aura nur zu gut. Die Prinzessin würde sie unter tausenden wiedererkennen. Aber es war nicht möglich, dass er hier war, er konnte doch nicht an den dutzenden Wachen vorbeigekommen sein? Angst überkam sie, dass das alles nur Einbildung sei, und als die Aura sich genau hinter ihr befand, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Sollte sie sich umdrehen, um dann vielleicht enttäuscht zu werden, weil dort rein gar nichts war? Oder würde sie sich umdrehen, und er stand da und empfing sie mit offenen Armen? Oder sie drehte sich nicht um, irgendjemand anderes stand da und schlitzte ihr die Kehle auf. Sie unterdrückte ein Lachen, was irrwitzigerweise fast aus ihr herausgebrochen wäre, aufgrund ihrer wirren Gedanken. Sie strich sich über ihre Wangen, damit man ihr die Tränen nicht ansah, welche sie vergossen hatte und drehte sich langsam herum. Ihr Herz schien einen Salto zu machen, denn sie empfand keine Enttäuschung, nicht im Geringsten. „Hola Prinzessin.“ Seine Stimme war leise und bedacht, wie ein zärtliches Flüstern. Er war sich sehr wohl der Gefahr bewusst, die er hiermit auf sich nahm. Und Lilith auch. Trotzdem war es ihr egal. Sie strich sich ungläubig durch die Haare und erwiderte leise: „Was machst du denn hier? Wenn mein Vater dich sieht, wird er ausrasten, Juan!“ Am Ende hob sich ihre Stimme leicht. Sofort legte Juan seinen Finger auf ihren Mund. „Sch.“ Sie verstummte sofort und sah in seine Augen, welche noch dunkler wirkten als sonst. „Werde bitte nicht wieder laut. Nicht, dass jemand auf uns aufmerksam wird.“ Jedes Wort war ein Flüstern. Lilith nickte als Antwort, worauf er sanft seinen Finger von ihrem Mund nahm. Zärtlich, als ob sie zerbrechen könnte, legte er seine Hände an ihre Taille und flüsterte wieder an ihr Ohr. „Ihr habt euch gestritten, oder?“ Sie streckte sich etwas nach oben, damit sie auch seinem Ohr näher kam. „Ja. Er hat mir den Umgang mit dir verboten. Du musst wirklich von hier verschwinden, Juan. Wenn dich jemand sieht wird mein Vater dich sicher einsperren lassen. Und das möchte ich nicht.“ Er strich über ihre Wange und ließ seine Hand anschließend dort ruhen. Sie schmiegte ihre Wange leicht in seine Handfläche. „Es ist mir egal, was dein Vater mit mir machen will. Ich musste dich einfach sehen, ich halte es kaum ohne dich aus. Alles an mir vermisst dich, Lilith. So schlimm, dass ich keinen Schlaf mehr finde.“ Ein überraschter Laut kam über ihre Lippen. „Das geht mir ganz genauso.“ In ihrer Stimme konnte er trotzdem eine Art Überraschung heraushören. „Was überrascht dich, mi corazón?“ Ihr wurde ganz warm und ein Lächeln kam auf ihre Lippen, als sie hörte, wie er sie genannt hatte. Mein Herz. Ihr wurde heiß und sie spürte förmlich, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Du hast mich wirklich vermisst?“ Liebevoll streichelte Juan über ihre Wange. „Aber ja doch. Lilith, ich habe mich in dich verliebt.“ Er musste lächeln, als ihr Mund leicht aufklappte. „Mach den Mund wieder zu.“ Dann verschwand sein Lächeln wieder und es wirkte, als würde Unsicherheit in seine Augen treten. „Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, weil ich mir nie wirklich sicher war, was ich für dich empfinde. Ich war mir nicht sicher, wie das wegen deinem Vater werden sollte, oder wegen mir selbst. Aber ich liebe dich, Lil, und ich würde alles für dich tun.“ Die letzten Tage hatte er krank gemacht und sich zu Hause den Kopf zerbrochen, was das mit ihm und der Prinzessin nun wirklich war. Bis er zu diesem Ergebnis kam. Er liebte sie, aufrichtig. Vielleicht kann sie ihm sogar über seine Bindungsangst hinaus helfen. Ihr traute er alles zu. Als die Prinzessin immer noch nichts erwiderte, fügte er, schon beinahe verzweifelt, noch hinzu: „Lilith, mir sind alle Warnungen egal. Ich will dich, mi corazón, mit allen Problemen und mit allen Gefahren.“ „Ich verstehe dich nicht.“ Sanft streifte sie seine Hand von ihrer Wange und schüttelte leicht den Kopf. „Ich verstehe dich absolut nicht.“ Juan rang um seine Fassung. „Wieso? Ich denke, dass ist das, was du dir wünschst?“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Schon, aber ich werde aus dir einfach nicht schlau. Mal ist es so, und mal so. Was ist die Wahrheit, Juan?“ Zunächst schwieg er. Anschließend folgte ein Seufzen und er fuhr sich durch die Haare. „Du möchtest die Wahrheit hören?“ „Ja.“ „Ich habe seit meiner Kindheit Bindungsängste. Deswegen kann ich nie lange eine Freundin haben und ziehe mich eigentlich emotional zurück. Deswegen war ich auch so zu dir, ich konnte mich nie entscheiden, was ich tun soll. Aber ich versuche dagegen anzukommen. Ich mache eine Therapie, für dich, damit ich mein Wort halten kann. Mir ist es mit dir so ernst wie noch nie in meinem Leben. Das ist die Wahrheit.“ Leichte Tränen traten in ihre Augen, doch sie wischte sie sofort weg. „Das tut mir leid für dich. Ich verstehe dich voll und ganz, aber du sollst es wirklich ernst meinen und ich bin mir da, um ehrlich zu sein, einfach momentan nicht sicher. Auch wenn du es sagst. Ich möchte nicht verletzt werden. Beweise mir, dass du es ernst meinst, oder ich hole die Wachen.“ Juan zog sie enger an sich, streichelte einmal ihre Wirbelsäule entlang. Dann zog er sie sanft am Kinn näher zu sich und küsste sie so liebevoll und so sanft, wie noch niemals zuvor. Dadurch traten Lilith wieder Tränen in die Augen. Wie hatte sie nur an ihm zweifeln können! Es war wie ein Traum, dass er sie liebte und sie nun zusammen sein konnten, wenn man Victor wegließ. Sie versuchte, genauso gefühlvoll den Kuss zu erwidern. Schließlich löste Juan sich von ihr und strich ihr lächelnd die neuen Tränen weg. „Du würdest doch niemals die Wachen rufen, damit sie mich festnehmen.“ Sie musste leise über sich selbst lachen. „Du hast ja recht.“ Nach einer innigen Umarmung flüsterte Juan an Liliths Ohr: „Kommst du mit zu mir?“ Verblüfft sah Lilith ihn an. „Jetzt noch?“ „Klar, warum nicht?“ Vorsichtig und leise zog Lilith ihn an der Hand mit rein. „Ich werde bewacht, wie ein Schmuckstück. Ich komme hier nicht ungesehen heraus, Juan. Und mein Vater wird Fragen stellen, wenn ich plötzlich weg bin.“ Sie schloss die Balkontür hinter sich, als sie im Wohnzimmer waren. „Ich kriege dich hier ungesehen raus. Niemand wird bemerken, dass du die Nacht über nicht da warst.“ Lilith lächelte und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Dann komme ich nur zu gerne mit. Aber was mach ich wegen meinem Vater?“ „Schreib ihm doch einen Zettel, dass du bei Samantha schläfst. Hat sich halt kurzfristig ergeben, oder so.“ Die Prinzessin nickte und machte sich daran, ihrem Vater einen Zettel zu hinterlassen, welchen sie dann außen an ihre Tür klebte. Dann schloss sie die Tür ihrer Wohnung gleich ab. Es sollte niemand ungebeten hineingelangen. In der Zwischenzeit hatte Juan ein paar Sachen für sie zusammengesucht und in eine Handtasche gepackt. „Ich hab einfach mal was eingepackt, wo ich denke, dass du es brauchst.“ „Ist vollkommen in Ordnung. Aber jetzt zieh ich mich nicht nochmal um, oder ist das nötig?“ Juan besah sie sich, in ihrem kurzen, dünnen Nachthemd, und grinste. „Nein, also von mir aus kannst du gern so bleiben.“ Lilith lachte, musste sich aber schnell besinnen, da niemand wissen sollte, dass sie erstens, noch hier war und das mit ihrem Zettel nicht übereinstimmte und zweitens, sie mitten in der Nacht lachen musste und sie das nicht erklären konnte. Juan kam abschließend zu ihr – ihre Handtasche schon in den Händen, was an ihm sehr komisch aussah – legte die Arme um sie und ließ eine seiner Hände auf ihren Po wandern. Lilith konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Juan, du spielst mit dem Feuer.“ Sie hörte ihn leise Lachen, sein Körper vibrierte dabei. „Solange mein Preis heiß ist, mach ich das sehr gern.“ Er drückte sie sanft zurück und sah sie ernst an. „Auch was deinen Vater angeht, wir schaffen das. Ich werde um dich kämpfen, mi corazón.“ Wieder lächelte sie, bevor sie ihn küsste. Eindeutig konnte sie nun den schönsten Tag ihres Lebens benennen, oder wohl eher, die schönste Nacht ihres Lebens. Sie hatte sich noch nie so gut gefühlt, wie in diesem Moment. Und sie hoffte sehr, dass dieses Glückgefühl noch lange anhalten würde. Sie konnte der Versuchung, eine Beziehung mit Juan anzufangen, einfach nicht widerstehen. Die Zeit würde zeigen, wie hoch der Preis dafür war. Victor saß in seinem Arbeitszimmer im Palast und war mit Papierkram beschäftigt. Meistens ließ er diesen von seinen dutzenden Angestellten erledigen, jedenfalls von denen, denen er blind vertrauen konnte. Das waren wiederum nicht sehr viele. Irgendeine Veränderung fand in den letzten Tagen bei seiner Tochter statt. Es störte ihn nicht, dass sie oft bei Samantha war. Er konnte es irgendwo nachvollziehen, dass sie sich von ihm eingeengt fühlte. Nur er wusste nicht immer, wie er mit ihr umgehen sollte. Er wollte sie doch nur schützen. Sie war sein Mädchen, seine einzige Tochter. Er hatte nur noch sie. Und doch hatte er öfters das Gefühl, dass er zu hart zu ihr war. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass sie soviel Zeit mit Samantha verbrachte. So würde Samantha nicht auf die Idee kommen, doch noch auf die andere Seite zu wechseln, jetzt, wo ihr Angriff auf den Himmel schon in der heißen Planungsphase war. Und Lilith hatte zum ersten Mal eine wirkliche Freundin, die sie schon so lange braucht. Sie war das, was Lilith immer gefehlt hatte. Als er den nächsten Stapel Dokumente beiseite räumte, viel etwas klirrend zu Boden. Glas splitterte. „Verdammt.“ Er bückte sich und hob den Bilderrahmen auf, der ihm nicht einmal bekannt vorkam. Doch als er ihn umdrehte, ließ er ihn wieder fallen. Er dachte, dass er damals alles weggeworfen hatte, was ihn an sie erinnert. Aber er hatte sich getäuscht. Auf dem Bild war er abgebildet – und mit ihm eine blondhaarige Frau. To be continued. Kapitel 22: Last continence --------------------------- Letzte Kontinenz Mit einem Blick, so als wäre das Bild giftig, starrte Victor auf es hinab. Sämtliche Gefühle, die er für sie empfunden hatte, stürzten über ihn herein. Er sah bildlich vor sich, wie alles begonnen hatte. Er hatte sie gesehen, damals, vor so vielen Jahren und sofort war klar, dass er sie besitzen wollte. Gegen den Willen seines Vaters hatte er sie getroffen. Nach nur wenigen Treffen landeten sie im Bett und er machte sie offiziell zu seiner Geliebten, seiner Mätresse. Denn mehr war nicht drin, sie war eine Kriegsgefangene, ein Erzengel. Anfangs war alles für ihn nur ein Spaß, wie so oft, doch nach und nach wuchsen Gefühle für sie. Gefühle, die er in einem solchen Ausmaß noch nie für jemanden empfunden hatte. Und sie erwiderte diese Gefühle. Sie waren glücklich, eine ganze Zeit lang, nur sein Vater wusste immer noch nichts davon. Doch dann verstarb er plötzlich und Victor fiel in ein tiefes Loch, wo er allein nicht herauskam. Doch sie war da und half ihm wieder auf die Beine. Sie fing ihn auf und unterstützte ihn, wo es nur ging. Er lernte, mit all den Staatsgeschäften umzugehen und regierte mit eiserner Hand, mit ihr an seiner Seite. Das Glück sollte perfekt werden, als sie herausfand, dass sie sein Kind in sich trug. Es sollte ein Mädchen werden. Nach der Geburt ihrer Tochter bekam diese den Namen Lilith. Nur wenige Tage später war die kleine Familie auf der Erde unterwegs, denn sie liebte die Modenschauen dort und Victor konnte ihr einfach keinen Wunsch abschlagen. Doch als er kurz nicht aufpasste, nur eine winzige Sekunde lang, war sie urplötzlich weg. Einfach verschwunden. Dabei fiel der Kinderwagen um, in welchem Lilith war. Sie ließ ihn mit ihrer gemeinsamen Tochter allein, und nahm all die teuren Geschenke mit, die er ihr vermacht hatte. Der Schmerz und die Wut über ihren Verrat, beides saß noch immer tief in ihm. Er hatte ihr stets alles gegeben: sein Geld, seine Besitztümer, seinen Körper, sein Herz und seine Seele. Und sie hatte alles mit Füßen getreten und war abgehauen. Hatte ihn allein gelassen, mit ihrer gemeinsamen Tochter. Und Victor brachte es einfach nicht über sich, Lilith diese Geschichte zu erzählen. Das einzige, was er tun konnte, war, sie zu schützen. Vor jedem Mann, der sie wollte. Er würde nicht mit ansehen, wie seine Tochter das gleiche Schicksal ereilen würde. Außerdem tat es ihm einfach zu sehr weh, darüber zu reden. Natürlich, sie war Liliths Mutter, doch was würde ihr dieses Wissen nützen? Sie wüsste dann auch nur, dass ihre Mutter eine Verräterin war. Und wenn es nach ihm ginge, sollte sie das niemals wissen. Ein Knurren entglitt ihm. Jetzt saß er wirklich hier und zerbrach sich den Kopf darüber! Er hatte genug zu tun, als seine Gedanken hiermit zu verschwenden. Er hob den kaputten Bilderrahmen vom Boden auf, riss das Foto heraus und zerknüllte es. Sie hatte sich nun mal für den Himmel entschieden, daran konnte er nichts mehr ändern. Wieso sie es getan hat, wusste er nicht. Vermutlich war es von Anfang an nur ein Spiel gewesen. Aber seinetwegen sollte sie ruhig dort bleiben, er brauchte sie nicht. Victor ließ das Bild samt den Rahmen in den Mülleimer wandern und rieb sich das Gesicht. Denn die Wahrheit war, egal wie sehr er versuchte es sich reinzureden. Er liebte sie noch immer und daran würde niemand etwas ändern können. Auch nicht der Verrat. Als Samantha die Haustür öffnete, schlüpfte Lilith schnell hinein und schlug die Tür hinter sich zu. „Or, die Wachen meines Vaters regen mich tierisch auf!“ „Schön dich zu sehen, Lil.“ Die Prinzessin umarmte ihre Freundin. „Auch schön dich zu sehen. Tut mir leid, dass ich gleich so reinstürme. Aber die werde ich einfach nicht los.“ Samantha führte Lilith in das Wohnzimmer und setzte sich mit ihr auf das Sofa. „Möchtest du etwas trinken?“ „Oh, das wäre wirklich nett von dir.“ Lilith stand auf. „Aber ich hol mir selbst was. Ich weiß, wo alles steht.“ Grinsend ging sie an ihrer Freundin vorbei in die Küche. „Wieso lässt dein Vater dich eigentlich so plötzlich überwachen?“, fragte Samantha, als Lilith aus der Küche zurückkam und sich neben sie setzte. „Hast du irgendwas angestellt oder so?“ „Wie man es nimmt.“ Stirnrunzelnd sah Samantha ihre Freundin an. „Wie meinst du das?“ Lilith sah angespannt aus. „Eigentlich darf ich es niemanden sagen.“ Dann sah sie Samantha direkt in die Augen. „Versprich mir, dass du es niemanden sagst. Das darf nicht diesen Raum verlassen.“ „Ich verspreche es dir.“ Die Prinzessin seufzte. „Mein Vater und ich, wir haben uns letztens heftig gestritten. Juan war an diesem Tag bei mir gewesen und er hatte vermutet, dass zwischen ihm und mir mehr gelaufen war.“ Sie presste die Lippen aufeinander. „Und er hatte recht gehabt. Ich hab es nicht vor ihm zugegeben, ich bin ja nicht lebensmüde. Aber er hat mir den Umgang mit Juan seitdem verboten und kontrolliert mich auf Schritt und Tritt.“ „Und weiter?“ „Juan war trotzdem da.“ Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Er hat gesagt, dass er mich liebt. Hat mir erklärt, wieso er so ist, wie er eben ist. Er ist in Therapie, nur wegen mir. Er würde alles für mich tun.“ Bedingungslose Liebe sah Samantha in den Augen ihrer Freundin, während sie sprach. „Seitdem treffen wir uns immer heimlich. Juan schafft es, die Wachen auszutricksen. Und ich erzähle meinem Vater immer, dass ich bei dir sei.“ Samantha umarmte ihre Freundin. „Oh, Lil, das überrascht mich zwar, aber es freut mich sehr, dass ihr nun zusammen seid. Du wünschst es dir ja nun schon so lange. Und das mit deinem Vater, dass kriegt ihr sicherlich hin. Ich halte auch gern als Ausrede her.“ Sie lächelte Lilith an, und diese erwiderte das Lächeln. „Danke.“ Lilith schlug ihre Beine übereinander und grinste. „So, und jetzt sagst du mir, wie es mit deinem Herzblatt läuft.“ Samantha sah sie merkwürdig an. „Herzblatt?“ Dann brach sie in Gelächter aus. „Lass ihn das bloß nicht hören!“ Sie grinste. „Ich glaube, dass würde er weniger lustig finden.“ „Wie so ziemlich alles.“ Lilith lächelte sie abwartend an. „Also?“ Samantha war wieder ernst und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Von seiner Seite aus habe ich keine Ahnung.“ Sie legte ihre Hand auf ihre Brust, da, wo ihr Herz schlug. „Aber ich liebe ihn. Ich bin mir sicher.“ „Was ist mit Kate?“ Samantha wurde bleich, weswegen Lilith ihre Frage am liebsten gleich zurückgenommen hätte. „Sie hat versucht mich umzubringen.“ Lilith sprang auf. „Was?! Hat sie keine Ahnung, wer du bist?!“ Die Braunhaarige zog die Prinzessin wieder zurück auf ihren Platz und versuchte sie zu beruhigen. „Vermutlich ist es ihr egal. Für sie zählt nur Duncan. Sie hat sich in meinen Traum geschlichen und mich gleichzeitig versucht zu töten. Duncan hat mich dann bei sich schlafen lassen…“ „Und weiter? Ist was gelaufen?“ Samantha wurde rot. „Lil, so bin ich nicht. Außerdem war ich verschreckt und er hat mir gleichzeitig so leid getan, da Kate mir gesagt hat, was sie abgezogen hat mit ihm. Aber es war schön, von ihm gehalten zu werden.“ Ihr schoss augenblicklich noch mehr Röte in die Wangen, als sie sich an einen der Tage erinnerte, an denen Duncan das Dach gebaut hatte. Wie er mit nacktem Oberkörper auf der Leiter gestanden hatte und in der gleißenden Mittagssonne das Dach repariert hatte. Wie der Schweiß seinen Körper zum Glänzen gebracht hatte. Wie seine Muskeln bei jeder Bewegung, die er vollzogen hatte, gezuckt hatten. Kopfschüttelnd verbannte Samantha diese heiße Erinnerung aus ihrem Kopf. Duncans Körper brachte sie irgendwann noch einmal um den Verstand. „Sammy? Bist du wieder anwesend?“ Sie blinzelte ein paar Mal und sah Lilith an, welche mit einer Hand vor ihrem Gesicht rumwedelte. „Ah, du bist wieder hier.“ „Hm?“ Die Prinzessin grinste. „Ich hab dich gefragt, ob du irgendeine Vorgehensweise hast, wie du an Duncan rankommst?“ „Vorgehensweise?“ Lilith seufzte. „Jetzt stellst du dich aber dumm. Du willst ihn dir doch schnappen, oder nicht? Hast du einen Plan, wie du das anstellen wirst?“ Samantha schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Okay, dann sag ich es dir. Du musst ihn mit deinem Körper um den Verstand bringen. Du musst ihn so reizen. So kannst du ihn sicher um den kleinen Finger wickeln.“ Energisch sprang diesmal Samantha von ihrem Platz auf und sah Lilith fassungslos an. „Das würde ich nie machen!“ Die Prinzessin grinste nur frech. „Was anderes bleibt dir gar nicht übrig, Schätzchen.“ Es war schon dunkel, als Duncan nach Hause kam. Leise schloss er die Haustür auf und trat hinein. Es war ein anstrengender Tag gewesen, und Duncan freute sich schon, endlich in sein Bett fallen zu können. In letzter Zeit hatte er unglaublich viel zu tun. Victor bereitete den Krieg in Hochtouren vor und da Duncan nun einmal sein Meisterschmied war, war auch in seiner Schmiede dementsprechender Stress. Seine Angestellten mussten Überstunden schieben. Duncan selbst war fast den ganzen Tag unterwegs. Er kontrollierte die Arbeit und schmiedete die Waffen für Victor und seine obersten Befehlshaber eigenhändig. Zunächst führte ihn sein Weg ins Badezimmer, nachdem er Jacke und Schuhe ausgezogen hatte. Er musste sich erst einmal den Ruß und den Dreck von den Händen waschen, bevor er noch etwas essen konnte. Samantha war höchstwahrscheinlich schon im Bett. Die beiden hatten die Schlafplätze getauscht, seitdem Kate sie so fies über Nacht angegriffen hatte. Obwohl Samantha darauf bestand, wieder in ihrem Bett zu schlafen, ließ Duncan es nicht zu. Viel zu groß war die Möglichkeit, dass Kate es noch einmal versuchte. Er selbst war durch seine Schilde gegen ihre Magie immun. Auch hatte er ein Schutzschild um Samantha gelegt, falls sie wieder träumte, dass sie dort sicher war. Denn am Tag hatte Kate es schwerer, ihr ungesehen weh zu tun oder nah zu kommen. So hatten doch immer ein paar Leute ein Auge auf sie, ohne dass sie es wusste. Duncan ging in die Küche und sah, dass Samantha ihm sogar extra ein Abendessen gekocht hatte. Das brachte ihm zum Lächeln. Sie hatte bewusst sein Lieblingsessen gekocht, auch weil sie wusste, dass er vermutlich riesigen Hunger hatte, wenn er von der Arbeit kam. Immer noch lächelnd machte er seinen Teller voll und erwärmte das Essen in der Mikrowelle. Danach ließ er es sich schmecken. Er musste mal wieder feststellen, wie gut Samantha doch kochen konnte. Besser als er, und er hatte wesentlich mehr Jahre Übung darin. Nach dem Essen nahm er sich vor, nach Samantha zu schauen. Es war nicht unwahrscheinlich, dass sie sich wirklich schon schlafen gelegt hatte. Aber öfters las sie auch noch, wenn er kam, nur um ihn zu Hause willkommen zu heißen. Sie war so ein wundervoller Mensch. Er wusste schon gar nicht mehr richtig, wie das Leben ohne sie war. Konnte er es je wieder leben, wenn sie eines Tages weg sein sollte? Sie würde ja nicht ewig bei ihm bleiben. Irgendwann musste sie ihre Aufgabe als Auserwählte erfüllen und dann, dann dürfte sie tun und lassen, was sie wollte und mit wem sie wollte. Letzteres versetzte Duncan einen kleinen Stich. Am liebsten würde er sie nicht wieder gehen lassen. Aber er musste, etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Als er nach oben ging, auf direkten Weg in das Badezimmer, öffnete sich plötzlich die Tür und heraus kam Samantha, nur mit einem Handtuch bekleidet. Ihre Haare waren locker hochgesteckt, und doch saß alles perfekt. Duncan besah sie sich, von oben nach unten. Soweit er sehen konnte, war alles an ihr perfekt. Mit Sicherheit sah sie das anders, so wie alle Frauen. Wie oft hatte er sich schon Liliths Gejammer über ihren Bauch, ihre dicken Oberschenkel und ihre ungleichförmigen Brüste anhören müssen? Samantha blieb erschrocken in der Tür stehen, als sie ihn sah, klammerte das Handtuch enger um ihren Körper fest und starrte ihn an, wie ein erschrockenes Reh. Sie wurde augenblicklich rot, als sie sich der Situation bewusst wurde. Duncan spürte, wie er sich automatisch auf sie zu bewegte, sein Blick starr auf ihr Gesicht gerichtet. Er konnte sich ihr nicht entziehen, selbst wenn er gewollt hätte. Zulange hatte er weggesehen. Als er vor ihr zum Stehen kam, konnte er fast Samanthas schnellen Atem spüren. Er legte einen Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich heran. Ihr Blick glitt nach oben, sie sahen sich direkt in die Augen. Duncan streichelte mit einer Hand ihren Oberschenkel hinauf und spürte, wie sie erschauderte. Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass sie so berührt wurde. Er schob leicht ihr Handtuch beiseite, während seiner Hand immer weiter höher glitt. Samanthas Atem ging noch schneller, doch den Blickkontakt hielten beide stand. Dann küsste Duncan sie, und sein Kuss war pure Leidenschaft. Wie Feuer, so heiß brannte er auf ihren Lippen. Sie erwiderte seinen Kuss fast genauso. Dafür, dass sie noch nicht oft geküsst hatte, und dann auch nur mit ihm, tat sie dass seines Erachtens gar nicht so schlecht. Samantha fühlte sich, als würde ihr ganzer Körper in Flammen stehen. In ihr brannte alles. Ihr Herz drohte aus ihrer Brust zu springen, als Duncan sie an Stellen streichelte, die noch nie jemand vorher berührt hatte. Ein Seufzen glitt über ihre Lippen und floss in den begonnenen Kuss hinein. Das ließ Duncan erwachen. Er nahm seine Hände zurück und löste sich aus dem Kuss, ohne zu grob zu wirken. Samantha hörte, wie er eine Entschuldigung murmelte und dann machte er sich schnell daran, von ihr wegzukommen. Er stürmte schon fast in das Gästezimmer, in dem er nun schlief. Verdutzt blickte Samantha ihm hinterher. Ihr Atem ging immer noch stoßweise und ihr Gesicht war immer noch rot. Ihr Herzschlag schien sich einfach nicht beruhigen zu wollen. Sie zog das Handtuch wieder enger um ihren Körper, während sie langsam in Duncans Zimmer ging, dort, wo sie jetzt schlief. Noch nie hatte jemand sie so sehr verwirrt wie Duncan, und sie beschloss, Lilith bei ihrem nächsten Treffen hiervon zu berichten. Vielleicht hatte sie eine Lösung für Duncans gegensätzliches und sprunghaftes Verhalten. Denn egal, was sie tat: Samantha wurde einfach nicht schlau aus ihm. To be continued. Kapitel 23: Midsummer night --------------------------- Sommernacht Ein Klopfen an der Tür ließ die Prinzessin hochfahren. Sie hatte es sich auf einer Liege auf ihrem Balkon gemütlich gemacht und die Sonnenstrahlen genossen. Es war ziemlich heiß für Ende Mai. Obwohl es in der Hölle so schon sehr warm war, waren es doch sogar für hier Höchsttemperaturen. Stirnrunzelnd stand Lilith auf und ging in ihre Wohnung. Dort zog sie sich eilig ein dünnes Kleid über, bevor sie zur Tür ging und diese öffnete. Eine der Wachen ihres Vaters stand davor und verneigte sich leicht, als er sie erblickte. „Prinzessin, es wurde Ihnen eine Nachricht zugestellt.“ Lilith war überrascht. „So? Von wem?“ „Es steht mir nicht zu, Ihre Sachen anzuschauen.“ Dann überreichte er ihr den Umschlag, verneigte sich wieder vor ihr und schritt davon. Die Prinzessin wendete den Blick nicht von dem Umschlag ab, als sie wieder nach drin ging und die Tür hinter sich schloss. Sie ließ sich auf ihrem Sofa nieder, dann öffnete sie erst vorsichtig den Umschlag. Darin lag ein kleiner Zettel, mit einem unverkennbaren Duft. Juans Duft. Heute Abend, Treffen um Mitternacht, am See außerhalb der Stadt. Ich kümmere mich um die Wachen. Zieh das Kleid an, was ich so an dir mag. Ich freue mich auf dich. ♥ Es war unverkennbar Juans Handschrift, da war sich Lilith sicher. Nur die Frage war, welches Kleid meinte er genau? Er mochte so viele Dinge an ihr, jedenfalls sagte er das immer wieder. Doch mit einem Schlag wusste sie es. Bevor sie es suchen konnte, musste sie die Nachricht loswerden. Sie konnte ja nicht wissen, ob ihr Vater nicht doch ihr Zimmer durchsuchte, wenn sie weg war. Schnell ging Lilith in ihr Badezimmer, warf die Nachricht in die Toilettenschüssel und spülte sie weg. So, immerhin war das schon einmal erledigt. Jetzt brauchte sie nur noch das verdammte Kleid. Eilig machte sie sich daran, es zu suchen. Sie wollte Juan schließlich nicht enttäuschen. Es war Punkt Mitternacht, als Juan in der Nähe des Sees landete, an dem er sich mit Lilith treffen wollte. Er hoffte, dass sie verstanden hatte, dass die Nachricht von ihm kam. Immerhin bekam sie öfters von irgendwelchen Typen Briefe. Er ballte die Hände zu Fäusten und stapfte zum Seeufer. Es war Vollmond. Eine Regenfront hatte die Hitze des Tages nicht komplett verdrängen können, aber es wehte ein kühler Wind und leichter Nebel waberte in den Bäumen, wand sich um ihre Stämme, wie eine kleine graue Katze an den Beinen ihres Besitzers. Es roch nach den nassen Blättern, einige Tropfen kamen von den Bäumen hinunter, fielen auf seine Schultern. Aber Juan bemerkte sie nicht. Seine ganze Konzentration war auf sie gerichtet. Wie sie da stand, in ihrem wunderschönen Kleid. Die vollen, runden Monde brachten ihre blonden Haare nur noch mehr zum leuchten. Das pfirsichfarbene Kleid, was er am liebsten an ihr sah, saß wie immer perfekt. Es hatte keine Träger, kleine Rüschen am Ausschnitt, sowie an der Taille eine größere Schleife. Was Juan auch auffiel war, dass sie keine Schuhe trug. Als sie sich zu ihm drehte wurde er von dem bezauberndsten Lächeln empfangen, was er jemals in seinem Leben gesehen hatte. Langsam kam Lilith zu ihm hinüber, bis sie sich genau gegenüberstanden. „Du siehst wunderschön aus“, hauchte er ihr gegen die Lippen. Ihr Lächeln verstärkte sich. „Danke.“ Juan legte ihr sanft die Arme um die Hüfte. „Du hast es wirklich angezogen.“ „Natürlich, du hast es ja geschrieben.“ Ein leichtes Grinsen zierte sein Gesicht, als er sie genauer betrachtete. „Schon, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dir geschrieben zu haben, dass du keine Unterwäsche tragen sollst.“ „Weist du“, sagte sie und sah ihm verführerisch in die Augen. „Auf manche Sachen komme ich von ganz allein.“ Dann küsste sie ihn, und beide übermannte mal wieder die Leidenschaft. Die Nacht, die Monde, der Nebel – die Hitze in der Luft, die Kühle der Regenfront. Mitternacht. Alle außer ihnen schliefen fest. In der Ferne bellte ein Hund, allerdings zu weit entfernt, um sie zu stören. Nicht, dass sie jetzt noch irgendetwas aufgehalten hätte. „Dieses Kleid“, flüsterte Juan irgendwann in ihre Küsse und hob den Saum etwas hoch, der sich weich und fließend in seinen Händen anfühlte. „Wenn du es trägst, kann ich an nichts anderes denken, als meine Hände darunter wandern zu lassen.“ „Dann tu es“, waren ihre Worte, und er tat es. Er tat das, und noch viel mehr. Juan verehrte sie, und Lilith betete ihn an. Die Welt war ein glanzvoller, herrlicher Ort für sie, solange sie zusammen waren. Beide haben viel Hoffnung, dass sie zusammenbleiben würden. Es gab eine große Liebe und lauter Perspektiven. Das Leben erwartete sie. Auch die Tage danach waren heiß, und es war kein Ende der Rekordhitze in Sicht. Natürlich kühlten Regenschauer abends die Luft ab, doch schon am nächsten Morgen ging es genauso wie am Vortag weiter. Lilith und Samantha waren am See, der sich außerhalb von Solas befand. An eben diesem See hatten sich vor einigen Tagen die Prinzessin und Juan heimlich des Nachts getroffen. Nun waren sie zu zweit, allein unter Frauen, da und genossen die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Lilith lag auf ihrem Handtuch und sonnte sich, während Samantha am Ufer saß und ihre Beine im Wasser baumeln ließ. Beide ließen ihre Gedanken schweifen. Samantha dachte daran, wie lange sie vorher diskutiert hatten, bevor sie zum See gegangen sind. Denn Lilith wollte ihr unbedingt einen ihrer, wie Samantha fand, aufreizenden Bikinis verpassen. Denn die Prinzessin hatte auch Duncan eingeladen, der kommen wollte, sobald er mit der Arbeit fertig war. Die beiden Freundinnen hatten ewig hin und her diskutiert, bis Lilith sie einfach in diesen Bikini gesteckt hatte. Er war rot und besaß ein weißes Blumenmuster, was hübsch aussah und ihre Reize, nach Liliths Meinung, betonte. Trotzdem fühlte Samantha sich nicht wirklich wohl, so würde sie sich doch lieber verstecken, vor allem vor Duncan. Aber, was hatte die Prinzessin so schön gesagt? Sie will die beiden verkuppeln und Samantha hatte keine Wahl, sie konnte nicht aussteigen. Setzte sich Lilith einmal was in den Kopf, dann musste das auch geschehen. Innerlich schlug Samantha sich gegen die Stirn. Wieso hatte sie auch ausgerechnet vor Lilith zugeben müssen, dass sie mehr für Duncan empfand? Es war im Endeffekt ihre eigene Schuld. Lilith setzte sich auf, was Samantha aus ihrer Träumerei holte. „Was hast du?“ Mit einem Grinsen sah die Prinzessin sie an. „Ach, wir bekommen nur Besuch.“ Mit einem herausfordernden Blick fügte sie hinzu: „Heißen Besuch.“ Samantha schluckte und wagte nicht mehr, sich zu bewegen. Am liebsten würde sie wegrennen, wenn sie an die letzte Begegnung dachte. Und daran, wie Duncan sie berührt hatte… Doch dann würde ihr Gesicht zur Seite gezogen von Lilith, der Verräterin. Und sie sah Duncan, wie er in einer schwarzen Shorts ankam. Seine Brust war frei von jedem Oberteil, nur eine längere Kette baumelte um seinen Hals, die sie schon an ihm kannte. Samantha bemerkte, wie sie rot wurde und hoffte, es auf die Sonnen schieben zu können, sollte sie jemand danach fragen. Durch ihre blasse Haut konnte sie sich schnell einen Sonnenbrand holen. Sie bemerkte, wie Lilith aufstand, um Duncan zu umarmen. Samantha sah gar nicht so genau hin, und trotzdem versetzte es ihr einen Stich, wie sorgsam die beiden miteinander umgingen. „Hallo Samantha.“ Als sie aufsah bemerkte sie, dass Duncan sie direkt anblickte. „Hey Duncan“, brachte sie hervor, bevor sie schnell wieder wegschaute. Doch es war, als könnte sie seinen brennenden Blick noch immer auf sich spüren. Sie wagte es nicht, noch einmal in seine Richtung zu sehen. „Duncan, Samantha hat doch so blasse Haut und bekommt so schnell einen Sonnenbrand. Würdest du ihr vielleicht den Rücken eincremen?“ Samanthas Herzschlag beschleunigte sich, als Lilith diese Worte sagte. Doch ihre Gedanken waren schon fast spöttisch der Prinzessin gegenüber: Noch auffälliger ging es jetzt ja wohl nicht. „Ich weiß nicht recht“, sagte Duncan, was Samantha doch zu den beiden Blicken ließ. Auf irgendeine Weise wirkte Duncan höchst verunsichert. Vielleicht lag es an ihrer letzten Begegnung. Ein kleines Lächeln schlich sich auf Samanthas Lippen. Er konnte eben doch manchmal ungewollt süß sein. „Ach komm schon, sie beißt doch nicht.“ Lilith schien Duncan mit diesen Worten doch überredet zu haben und blickte zu Samantha. Ihre Blicke trafen sich. „Na gut, dann creme ich sie ein.“ Langsam kam er zu ihr herüber, Samanthas Herzschlag ging indes noch immer wie wild. Aus den Augenwinkeln sah sie Liliths zufriedenes Grinsen und dann, wie sich die Prinzessin etwas von ihnen entfernte, denn sie stieg in das kühle Wasser. Samantha nahm ihre Haare nach vorn, damit Duncan freie Bahn für ihren Rücken hatte. Und dann kam die Frage, die sie befürchtet hatte, während er sich Sonnencreme auf die Hände tat. „Wieso fragst du mich nicht selbst, ob ich dich eincreme?“ Sie wurde wieder rot, was er zum Glück nicht sah. „Lilith hat auf einmal damit angefangen. Ich bin auf die Idee gar nicht gekommen.“ „Verstehe.“ Als seine Hände ihren Rücken berührten und sanft die Sonnenmilch auf ihrer Haut verteilten, durchfuhr sie ein elektrisches Gefühl. Ihr ganzer Körper war plötzlich angespannt, so als hätte er nur auf Duncans Berührung gewartet. Er hockte über ihr und cremte ihr weiter den Rücken ein, aber Samantha kam es nach der Zeit so vor, als würden seine Berührungen immer vorsichtiger werden, als müsse er sich zusammenreißen. Aber wovor? Duncan rang regelrecht mit seiner Beherrschung. Es erregte ihn zutiefst, wie er hier über Samantha hockte, sie nur in ihrem knappen Bikini. Seine Gedanken malten sich die unterschiedlichsten Szenen aus. Szenen, die ihn auch schon verfolgten, als sie aus der Dusche gestiegen war. Seine Nächte wurden immer unruhiger seitdem. Und im Moment half es ihm nicht dabei, dass alles zu vergessen. Im Gegenteil. Wieder überkam ihn ein Bild in seinem Kopf, was ihn um den Verstand brachte. Wenn er nicht aufpasste, würde sein gesamtes Blut an einer Körperstelle schießen, an die er lieber jetzt nicht dachte. Samantha würde dann denken, er sei ein Perverser. Schnell verrieb er das letzte bisschen Sonnenmilch und sprang auf, um sich kurz darauf kopfüber in den See zu stürzen. Die Kälte des Wassers half dabei, seinen Körper zu beruhigen. Er tauchte, immer und immer wieder. Bis er schließlich an das andere Ufer schwamm und tief die Luft einzog. Erst dann rief er zu Lilith: „Mir ist noch was eingefallen! Ich muss noch mal weg! Tut mir leid!“ Dann stieg er aus dem See und machte sich schnell davon. Samantha sah verblüfft Duncan hinterher, wie er in die Lüfte abhob. Dann hörte sie Lilith lachen. „Junge, der Kerl ist eindeutig in dich verschossen, Sammy!“ „W-Wie kommst du darauf?“ Die Prinzessin stieg aus dem Wasser und kam zu ihr hinüber. „Er wäre am liebsten über dich hergefallen und seine plötzliche Flucht ins kalte Nass war ja wohl eindeutig. Er hatte Schiss. Schiss vor deinem Körper.“ Sie grinste. „Es hätte fast nicht besser laufen können, Süße.“ Samantha schwieg. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, dass Duncan sie liebte. Vielleicht schwärmte er für sie, aber Liebe? Man rennt doch nicht ständig vor dem anderen davon. Aber was konnte sie schon wissen, sie hatte doch keine Ahnung davon. Da Samantha in ihren Gedanken gefangen war, redete Lilith weiter. „Zur Party nächste Woche kriegst du ihn.“ „Schon wieder eine Party?“ Die Prinzessin nickte. „Und weist du, wieso wir zu der Party unbedingt hin müssen?“ Als Samantha den Kopf schüttelte, lächelte Lilith sie sanft an. „Dann bist du schon ein Jahr bei uns.“ Stimmt. Jetzt wo sie es sagt, dachte Samantha. Sie war dann schon ein Jahr in der Hölle und es schien, als würde sie schon immer hier sein. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verging. Wer weiß, was die Party, die gleichzeitig ihre Jahresparty war, bringen würde. To be continued. Ich melde mich dann mal direkt aus dem Urlaub wieder zu einem kleinen Highlight, denn der Prolog dieser FF ging vor etwas über einem Jahr online und seitdem begleiten mich einige von euch mit der Geschichte mit =) In diesem Sinne möchte ich allen Lesern danken, die die Geschichte verfolgen und können sich schon bald auf einen Showdown freuen, denn in beiden Beziehungen geht es ab dem nächsten Kapitel heftig ab. Liliths Kleid sowie Samanthas Bikini sind in den jeweiligen Steckbriefen mit Links eingefügt, für neugierige Seelen ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)