Die Pfoten sandaliert von halfJack (YUAL: Februar 2012) ================================================================================ Kapitel 1: Ein ägyptisches Katzenmärchen ---------------------------------------- In einer längst vergangenen Zeit, als die Sonne und der Mond noch von den Göttern über das Firmament getragen wurden, lebte ein Mann mit seinen drei Kindern in einer ärmlichen Hütte am Rande der Stadt Memphis. Die zwei Söhne waren von kräftigem Wuchs und halfen dem Vater bei der Arbeit. Das jüngste der Kinder war ein Mädchen mit Namen Kiya. Sie begann gerade zu erblühen, ihre Haut war goldbraun und ihr Haar so pechschwarz wie ihre Augen. Die Mutter war bei ihrer Geburt gestorben und hatte ihr damit, so schien es, die Schönheit mit dem Geschenk des Lebens übergeben. Jeden Tag brannte das Licht der Sonne vom wolkenlosen Himmel hinab auf den kleinen Flecken Ackers, der ihnen zur Verfügung stand. Das schwarze Wasser des Nils bahnte sich nicht weit von ihrer Hütte einen Weg Richtung Norden. Das Land, welches die kleine Familie bebaute, war zwar fruchtbar, doch reichte die Ernte nur gerade, um die geforderten Abgaben zu bedienen und sie mit Nahrung zu versorgen. Der Mann und dessen drei Kinder besaßen nicht viel. Genauso wie etliche andere Bauern trugen sie keine Sandalen und taten ihre Arbeit barfuß auf dem heißen, staubigen Boden. Manches Jahr, wenn die Nilschwemme zu reichhaltig ausgefallen war, hatte das Wasser auch die kärgliche Hütte und all ihr Hab und Gut ergriffen. Dann mussten sie unter freiem Himmel schlafen, bis sie ihren Haushalt erneut errichten konnten. Manches Jahr aber, wenn die Nilschwemme zu gering ausgefallen war, blieb der Acker aufgrund des fehlenden Schlamms unfruchtbar, sodass sie Hunger leiden mussten. Dann arbeiteten die drei Männer noch härter auf dem dürren Boden, während die Skarabäuskäfer aus dem trockenen Grund des Nils aufstiegen und sie umschwirrten. So oft Kiya konnte, lief sie zum Basar und tanzte sich ihre nackten Füße wund, um Essen und dergleichen zu dem Wenigen hinzuzuverdienen, was die Familie besaß. Einzig eine Katze nannten sie ihr Eigen. Es war ein schönes Tier von geschmeidiger schwarzer Gestalt und edler Kopfform. Um die schlanken Pfoten wand sich ein weißes Muster, in geraden Linien überkreuzend und so fein, wie man es wohl nirgends findet. Einst hatte das Tier der Mutter gehört, von der es stets Bastet gerufen ward. Nach dem Tod der Mutter war die Katze Kiyas Begleiterin geworden. Für das junge Mädchen wurde sie von Kindesbeinen an die beste Spielgefährtin und Freundin. Der Vater war froh über diesen Umstand, obgleich er sich manches Mal wunderte, dass die Katze niemals an Schönheit verlor und ihnen nicht mit Hunger zur Last fiel. Auch war Bastet nach ihren nächtlichen Ausflügen immer zu der Tochter zurückgekehrt und hatte sie nie verlassen, trotz der Untreue, die man Katzen oft nachsagt. Eines aber wussten weder der Vater noch die zwei Söhne. Kiya behielt ein Geheimnis für sich, welches ihre Spielgefährtin betraf. Wenn sie allein waren, dann wusste Bastet sich in menschlicher Sprache zu verständigen. „Es ist so furchtbar ärmlich hier, Kiya“, hatte sie einst zu dem Mädchen gesagt und sich dabei teilnahmslos die Pfoten geleckt. „Wenn du mir nicht so sehr am Herzen lägest, so wie einstmals deine liebe Mutter, hätte ich vielleicht schon einen Ort aufgesucht, der meiner eher gebührt als eure kümmerliche Hütte. Dann würde ich längst auf einem samtbezogenen Diwan unter einem Baldachin liegen und von Dienern verwöhnt werden.“ Bastet schnurrte bei der Vorstellung und streckte genüsslich die Krallen ihrer Pfoten. In einem Jahr jedoch, als der afrikanische Wind heiß über das Land fegte, setzte eine so starke Nilschwemme ein, dass die drei jungen Menschen nicht nur ihrer Unterkunft, sondern auch ihres Vaters beraubt wurden, welcher der Flut zum Opfer fiel. Da sie nun ganz elternlos waren, trauerten die Kinder eine lange Zeit. Doch bald rafften sich die beiden Söhne wieder auf, um ihr Zuhause neu zu errichten und ihren Acker wie zuvor zu bestellen. Sie entschieden, dass das Feld dem älteren Bruder gehören sollte und das Haus dem jüngeren Bruder. Für ihre Schwester blieb also nur die Katze übrig. Kiya lief wie ehedem zum Basar und tanzte sich die nackten Füße wund. Bevor sie erschöpft nach Hause zurückkehrte, suchte sie stets eine mit Schilf umwachsene Stelle des Nils auf, um sich im Wasser abzukühlen. Lediglich Bastet begleitete sie dann, wenn auch nur mit einiger Entfernung zum Rand des Flusses, da ihr das Nass gar nicht geheuer schien. Bei einem dieser Ausflüge blieb Kiya jedoch nicht allein. Während sie sich im Nil reinigte, hatte sie ihre Kleidung am Ufer abgelegt. „Diese Schleier sind so farbenfroh und bezaubernd“, rief plötzlich eine helle Stimme zu ihr hinüber. Als sich Kiya umwandte, sah sie eine schöne junge Frau, die sie herzlich anlächelte. Bastet hatte sich zu ihren Füßen niedergelegt und ließ sich schnurrend von ihr streicheln. „Doch wo sind deine Schuhe?“, fragte die Fremde verwundert. Sogleich fiel Kiya auf, dass die Andere Sandalen trug, was ein Zeichen ihres Wohlstandes war. Um sich nicht bloßzustellen und weil ihr die junge Frau so gut gefiel, antwortete sie deshalb: „Liegen sie nicht bei meinen Schleiern? Dann muss sie mir jemand gestohlen haben.“ Betrübt schüttelte die Fremde den Kopf. „Sie müssen sehr kostbar gewesen sein. Wenn ich mich nicht von zu Hause fortgeschlichen hätte, würde ich einen Diener schicken, dir Sandalen zu bringen.“ „Das ist nicht nötig. Ich werde später von meinen eigenen Dienern abgeholt. Doch gib Acht und eile rasch nach Haus, wenn du dort hättest sein müssen.“ Die schöne Fremde nickte leicht und schenkte Kiya noch ein letztes Lächeln, bevor sie verschwand. Das Bauernmädchen schaute ihr lang hinterher und machte sich schließlich selbst auf den Weg zu ihrer armen Behausung. Doch vergessen konnte sie diese Begegnung nicht. Eines Tages sprachen die Brüder zu ihr: „Die Familie ist das höchste Gut, aber nun sind wir fast allein, liebe Schwester. Du hilfst uns, wo du kannst. Jetzt hast du die nötige Reife erlangt, um dir einen Lebensgefährten zu suchen. Da dir der Segen unserer Eltern fehlt, werden wir an ihrer Stelle das Wort erteilen, solltest du einen Gemahl gefunden haben, der dich ob deiner Schönheit und Tüchtigkeit begehrt. Wir selbst haben kaum etwas zur Aussteuer zu bieten. Vielleicht sollst du unsere Rettung sein, Schwesterherz.“ Mit dieser Bitte beschwert lief Kiya in die Stadt, in ihre bunten Stoffe und Schleier gekleidet, die sie üblicherweise zum Tanzen trug. Doch Kiya tanzte nicht. Nachdem sie angelangt war, lehnte sie sich in einer engen, einsamen Gasse an das sandfarbene Gestein einer Mauer. „Sie wollen dir nur Gutes, deine Brüder“, hörte Kiya da die Stimme von Bastet, die ihr unbemerkt auf Samtpfoten gefolgt war, „doch allzu viel wissen sie nicht von dir.“ „Wie sollten sie nicht?“, fragte Kiya verwundert. „Sie sind jetzt meine einzige Familie und wer sonst, außer ihnen, sollte mich am besten kennen und von mir wissen?“ Bastet miaute leise, was fast ein wenig belustigt klang, bevor sie antwortete: „Wie soll deinen Brüdern etwas bewusst sein, von dem du selbst noch nichts weißt? Unsereins ist da ganz anders. Katzen nehmen sich der Seelen ihrer Schützlinge an, wusstest du das nicht? Zumindest, wenn ihnen danach ist. Darum kenne ich auch dein Herz und weiß, dass dir anderes bestimmt ist.“ Bastet strich um Kiyas Beine und forderte sie auf, ihr zu folgen. Als das Mädchen zu erfahren verlangte, wohin sie geführt werden sollte, zitterten die Schnurrhaare der Katze ein wenig spöttisch. Das sei Sache ihres Gespürs, meinte sie nur. Kiya folgte der Katze eine Weile, bis sie zum größten Tempel der Stadt kamen. Viele Statuen waren im Hof hinter dem Pylon errichtet. Eine gefiel Kiya besonders gut, doch mit Erschrecken musste sie feststellen, dass ihr jenes Antlitz nicht unbekannt war. Die edlen Gesichtszüge waren das Abbild der jungen Frau, die Kiya am Ufer des Nils getroffen hatte. „Das ist Nefertari“, erklärte Bastet. Kiya wusste sogleich, dass die Rede von der ägyptischen Prinzessin war, über deren Schönheit man sich überall erzählte. In der Tat stimmten die Gerüchte, da das junge Bauernmädchen sofort einer Faszination erlegen war, die sie sich nicht erklären konnte. Doch obwohl das Bildnis aus dem feinsten Alabaster gefertigt war, erschien es doch nur kalt und farblos und nicht ausreichend, um dem Reiz Nefertaris Ausdruck zu verleihen. „Ich möchte sie wiedersehen“, sprach Kiya. Erneut strich Bastet um ihre Beine und forderte sie auf, ihr zu folgen. Erneut verlangte das Mädchen zu erfahren, wohin sie geführt werden sollte. Das sei Sache ihres Gespürs, meinte Bastet nur. Kiya folgte der Katze eine Weile, bis sie zum größten Basar der Stadt kamen. Auf Bastets Geheiß begann das Mädchen zu tanzen und tanzte sich die nackten Füße wund. Voller Freude schauten ihr die Leute zu und beschenkten sie reichlich. Unter ihnen waren auch einige Ordensmitglieder der Derwische. Ihre Mienen wirkten versteinert, als wollten sie ihre Freude an dem Tanz verbergen. Da sie jedoch an Ort und Stelle verweilten, um dem Schauspiel beizuwohnen, verrieten sie ihre Begeisterung hinter der kühlen Maske. Während Kiya tanzte, war Bastet plötzlich verschwunden. Die Katze hatte sich einen der Derwische ausgesucht, in dessen Augen das Wanken der asketischen Gesinnung am deutlichsten zu sehen war. „Willst du ihre schönen, tanzenden Schleier besitzen?“, flüsterte die Katze ihm zu. Der Derwisch nickte nur, ohne recht zu wissen, wie ihm geschah. Nachdem Kiya zur Ruhe gekommen war und die Leute einer nach dem anderen verschwanden, blieb nur jener Derwisch als letzter zurück, sowie eine zierliche Frau mit fast schwarzer Hautfarbe und geheimnisvollem Blick. Die Unbekannte fasste nach Kiyas Hand und zog sie mit sich. „Wenn du ihre Schleier möchtest“, sagte die Unbekannte zu dem Derwisch und sprach dabei von Kiyas tanzenden Stoffen, „dann tausche deine eigenen Kleider.“ Der Derwisch nickte nur und tauschte seine bunte Kluft. Ohne recht zu wissen, wie ihm geschah, stand er nur noch in Beinkleidern da und hielt die leichten Schleier der Tanzenden in der Hand. Doch die beiden Mädchen waren längst verschwunden. „Wie hast du das gemacht?“, fragte Kiya die Unbekannte, deren schnurrende Stimme sie gleich als die ihrer Katze erkannt hatte. Bastet war gerade damit beschäftigt, das bunte Gewand zurechtzurücken und Kiyas langes, dunkles Haar unter der hohen Kappe zu verbergen. „Ein Mensch ist so ein einfaches Ding“, antwortete sie. „Wenn du eine Katze wärst, dann wüsstest du, dass es da nichts zu wundern gäbe. Dagegen wäre es doch wirklich verwunderlich, wenn sich ein Mensch in eine Katze verwandeln wollte.“ Endlich war Kiya fertig zurechtgemacht und sah nun aus wie einer der Derwische. Zum Schluss küsste Bastet die Fußspitzen des Mädchens, worauf sich ein Muster, wie mit Henna gemalt, um ihre Knöchel wand. Über die Linien des Musters legten sich im nächsten Moment ein Paar Sandalen aus geschmeidigem Material. Als Kiya hinabblickte, hatte sich Bastet wieder in eine Katze verwandelt. Doch dieses Mal war ihr ganzer Körper völlig schwarz. Das weiße Muster an ihren Pfoten war verschwunden. Erneut strich Bastet um Kiyas Beine und forderte sie auf, ihr zu folgen. Dieses Mal fragte das Mädchen nicht, wohin sie der Weg führen sollte. Kiya folgte der Katze eine Weile, bis sie zum größten Palast der Stadt kamen. Hier schloss sie sich einer Gruppe Derwische an, die demselben Orden angehörten wie jener, der für ein paar Schleier sein eigenes Gewand fortgegeben hatte. Die Derwische wurden entsandt, um dem Herrscher mit ihrem Ritual als Unterhaltung zu dienen. In ihrer Kluft unbemerkt erlangte Kiya Einlass in den Palast. Sie gingen durch Säle, die groß und prächtig waren, mit hohen Decken, die oft mit einem Sternenhimmel verziert waren und von langen Säulen getragen wurden. Endlich langte die Gruppe der Derwische im Saal des Herrschers an, welcher derzeit mit seiner Familie zu speisen geruhte. Sogleich erkannte Kiya unter ihnen die schöne Prinzessin Nefertari. Das junge Bauernmädchen, erfolgreich unter der Maskerade des Derwisches verborgen, dachte nur noch daran, sich einen Platz in der Nähe der Prinzessin zu sichern, während die Derwische Stellung bezogen. Erst als die Musik des Tanzes einsetzte, wurde ihr bewusst, dass sie die rituellen Bewegungen nie gelernt hatte. Doch im nächsten Moment spürte sie, wie sich ihr Körper ohne eigenes Zutun in Bewegung setzte, als würden ihre Füße sie von allein tragen. Immer schneller drehte sie sich, herum und herum, sodass sich die Welt um das schöne Gesicht Nefertaris in einem bunten Wirbel verlor. Währenddessen hatte sich Bastet auf ihren Samtpfoten neben die Prinzessin geschlichen und betrachtete zufrieden das Schauspiel. Sie hatte Kiya mit dem Muster ihrer Fesseln nicht nur die Sandalen, sondern ebenso die Fähigkeit des Derwischtanzes verliehen. Auch Nefertari schien fasziniert zu sein. Ihre Augen waren ausschließlich auf den vermeintlichen Derwisch gerichtet, der sich mit einer untypischen Grazie und Schnelligkeit bewegte. Nachdem der Orden das Ritual beendet hatte, rief Nefertari dem falschen Derwisch zu: „Zum Dank für diese vorzügliche Darbietung möchte ich dir ein Geschenk überreichen. Nimm jene Oliven als Zeichen meiner Gunst.“ Da sich Kiya nicht durch den hohen Klang ihrer Stimme verraten wollte, schüttelte sie lächelnd den Kopf, als ein Diener mit der Gabe an sie herantrat. „Wie?“, rief die Prinzessin erstaunt aus. „Ich nehme an, die Oliven spotten deinem Wert. So erhalte zusätzlich diese Granatäpfel, die erlesensten ihrer Art in voller Frucht.“ Die Prinzessin glaubte, ihrer Botschaft und Gesinnung damit genug Ausdruck verliehen zu haben, doch abermals schüttelte der schöne Derwisch den Kopf. „Genüsse widersprechen seinem Glaubensbekenntnis, er hat ihnen längst abgeschworen“, hörte Nefertari eine samtig schnurrende Stimme neben sich. Sie betrachtete das sanfte Lächeln des Derwisches und spürte Ehrgeiz und Zuneigung in ihrem Herzen. „Ich biete dir Safran, so fein und rein wie das Licht der Sonne.“ Abermals wurde Nefertari mit demütigen Gesten abgewiesen, obwohl sogar in den Mienen der anderen Derwische mittlerweile ein Funken Gier zu erkennen war, als sie den hohen Einsatz des Geschenkes vernahmen. „Weltliche Güter widersprechen dem Glaubensbekenntnis“, hörte die Prinzessin wieder neben sich die schnurrende Stimme. „Wie kann es sein“, rief sie nun, „dass du dich mit so kostbaren Sandalen schmückst, wenn du dem Wert keine Bedeutung beimessen willst?“ „Das Gewand und die Schuhe sind Ausdruck der Kostbarkeit des Rituals, nicht der eigenen Person“, antwortete die schnurrende Stimme amüsiert. „Man bekleidet Positionen und Rollen, aber doch keine hübschen Gesichter und Körper, um ihren Wert zu vermitteln.“ Nefertari schaute in die dunklen Augen des Derwisches und glaubte, dass die Worte nicht aus dem Hintergrund zu ihr drangen, sondern über dessen zarte Lippen gesprochen wurden. So ließ sich die Prinzessin dazu hinreißen, zu fragen: „Könntest du denn widerstehen, wenn ich dir dies Letzte von mir anbiete, um mich deiner Ehrerbietung zu vergewissern?“ „Sinneslust widerspricht dem Glaubensbekenntnis“, hörte Nefertari dieses Mal nur das Flüstern der Stimme aus dem Hintergrund. „Haltet ihr euren Leib denn für das Kostbarste?“ Schreckensstarr blieb die Prinzessin stumm. Der Orden machte sich auf den Weg hinaus und Kiya verlor sich zwischen den bunten Gewändern der anderen Mitglieder, an der Seite einer dunkelhäutigen Tänzerin. Noch ehe sich Nefertari über das eben Geschehene im Klaren werden konnte, hatte ihr Vater bereits wahrgenommen, wie diffamierend man sich seiner Tochter gegenüber verhalten hatte. Die Wachen erhielten sogleich den Befehl, jenen verruchten Derwisch ausfindig zu machen, der es hinter seinem Dogma wagte, das Herrscherhaus zu beleidigen. Doch suchte man vergeblich, denn unter all den Ordensmitgliedern kam keiner dem ungewöhnlichen und verschwiegenen Tänzer gleich. „Wie konntest du es dir getrauen, der Prinzessin solcherlei Worte entgegenzubringen?“, fragte Kiya die schwarze Katze, nachdem sie aus dem Palast entkommen waren. Bastet strich sich mit ihren beleckten Pfoten über die Ohren und meinte kühl: „Ich teilte dir bereits mit, dass mir deine Seele nicht unbekannt ist. Du hättest Nefertari nichts anderes sagen wollen, nicht wahr?“ Mit Nicken und Seufzen folgte Kiya der Katze nach Haus zu ihren Brüdern. In den Tagen darauf schien alles wieder dem gewohnten Verlauf anheim zu fallen, obgleich Unruhe in die Stadt am Nil eingekehrt war. Nefertari hatte ihren Vater dazu angehalten, die Suche nach dem Derwisch nicht einzustellen. Ihre Gefühle trieben sie dazu, das schöne Gesicht des Fremden nicht vergessen zu können. Einzig die genaue Beschreibung der kostbaren Sandalen diente den Suchenden als Anhaltspunkt. Man eilte von Haus zu Haus und von Tür zu Tür, um dem Wunsch der Prinzessin nachzukommen. Aber wie sehr man auch suchte, tagelang blieb der unbekannte Derwisch verschwunden. Nefertari nahm diese Botschaft nicht mehr mit Wut, sondern mit Trauer auf. Eines Morgens stahl sie sich erneut aus dem Palast, um die Suche allein fortzusetzen. Sie eilte durch die Stadt, über den Basar und durch die Tempelanlagen. Doch nirgends konnte sie entdecken, wonach ihr Herz verlangte. Als die Sonne den höchsten Punkt am wolkenlosen Himmel erreicht hatte und die staubigen Wege leer waren, da die Hitze nahezu alle Menschen in ihre Behausungen getrieben hatte, ließ sich Nefertari am Ufer des Nils nieder, um sich auszuruhen. Da strich etwas geschmeidig um ihre Beine. Die Prinzessin schaute hinab und gewahrte die schwarze Katze, die sie einstmals an derselben, mit Schilf umwachsenen Stelle gestreichelt hatte. Sie glaubte fast, das Tier würde sie anlächeln, was kaum möglich sein konnte. Mit einem Satz sprang die Katze von dannen. Nefertari schaute ihr zuerst hinterher, bis ihr Blick abgelenkt ward und zum Wasser des Nils fiel. Darin badete jene schöne, junge Frau, deren Bekanntschaft sie bereits gemacht hatte. Als diese endlich dem Fluss entstiegen war, sicherte sich die Prinzessin ihre Aufmerksamkeit, indem sie sprach: „So sind dieses Mal nicht nur deine Sandalen verschwunden, sondern auch deine bunten Schleier. Stattdessen sehe ich nur links verkehrte Beinkleider, die mich an das Gewand eines Derwisches erinnern. Der Schein trügt wohl öfter als gedacht.“ Trübsinn umschattete die Augen Nefertaris. Kiya erkannte das Gesagte mit Schrecken, da ihre Kleider Aufschluss über ihr Geheimnis gegeben hatten. Deshalb entgegnete sie: „Nun muss ich mich wohl eröffnen und meine niedere Herkunft und Mittellosigkeit preisgeben, welche deiner Gesellschaft niemals würdig erscheinen können. Durchaus können Worte und Taten lügen, doch gilt Gleiches auch für eine Maske? Wenn ein Schleier die Wahrheit verbirgt, lügt er dann auch?“ Darauf schwieg Nefertari, da sie keine Antwort auf jene Frage wusste, die sie sich schon unlängst selbst gestellt hatte. Sie betrachtete das wiedererkannte hübsche Gesicht und konnte sich durch nichts Abhilfe verschaffen, als ohne ein weiteres Wort zum Palast zurückzueilen. Indessen setzte sich Kiya voller Verzweiflung im wankenden Herzen am Ufer des Flusses nieder und dachte und wartete, bis der Abend anbrach und sie doch keine Rettung aus dem Unglück fand, welches sie sich selbst beschert hatte. Bastet wohnte der Sorge ihres Zöglings bei. Als die Sonne den Horizont berührte, tauschte sie erneut ihre Katzengestalt gegen die eines Menschen und sprach zu Kiya: „Mit deinem Jammer hast du viele Botschaften an die Prinzessin zu richten, derer nicht genügend Worte in der gesamten Welt zu finden sind, weder im Diesseits noch im Jenseits. Darum nehme ich mir nur eine einzelne Geste deiner Zuneigung, mit deren Überbringung ich Nefertari alles zu übermitteln gedenke, was du ihr zu sagen hast.“ Daraufhin berührte Bastet die Lippen des Bauernmädchens und stahl ihr somit einen Kuss ihrer Gefühle. Während sie Kiya zur Heimkehr aufforderte, lief sie selbst geschwind zum Palast. Dort angelangt, als bereits Dunkelheit und Sternenglanz das Firmament bedeckten, schlich sie sich teils in Katzengestalt in die Gemächer der Prinzessin. Diese hatte viele Stunden in Kümmernis zugebracht, da ihr keine Lösung ihres Unglücks rechtens schien. Nun bemerkte sie die schwarzhäutige Frau, die wie einem zauberhaften Wunder entsprungen über den Balkon in ihr Gemach trat. „Um den Schleier zu lüften, der die Wahrheit verbirgt“, sprach die geheimnisvolle Fremde, „überbringe ich eine einzelne Geste der Zuneigung.“ Daraufhin berührte Bastet die Lippen der Prinzessin und schenkte ihr somit einen Kuss, der die Aufrichtigkeit aller Gefühle in sich barg. Nefertari erkannte die Botschaft und schöpfte Vertrauen und Zuversicht. Sie zagte nicht länger, da sie begriff, dass nicht das Gewand des Glückes über dessen Erfüllung bestimmte. Alsdann suchte sie ihren Vater auf, der sie von Herzen liebte, und eröffnete ihm den Schmerz ihres Geschickes. Der Herrscher aber hatte Mitleid mit seiner Tochter. Kein Vater und keine Mutter sollte einem Kinde die geliebte Person verwehren können, die es sich ausgesucht hatte, um glücklich zu sein. Am hierauf folgenden Morgen wurden dessentwegen noch einmal Boten entsandt, die gesamte Stadt nach dem verkleideten Derwisch zu durchkämmen. Nefertari hatte darauf bestanden, der Prozession zu folgen, um selbst Ausschau nach der schönen Frau zu halten, die auf so ungewöhnliche Weise ihr Herz gestohlen hatte. In der Zwischenzeit war Bastet längst im Haus der beiden Brüder eingekehrt und hatte Kiya dazu aufgefordert, weder Schleier noch Derwischkleid anzulegen, sondern sich nur in ein paar alte Lumpen zu hüllen, deren Farben verwaschen und deren Saum an Knien und Ärmeln zerschlissen war. Kiya tat, wie ihr geheißen. Es dauerte nicht lang, bis die vom Herrscher entsandte Prozession die ärmliche Hütte erreichte. Man trat an die Hausherren heran und fragte sie nach einer Frau, die der Schönheit des Mondes glich und Sandalen trug, dem Glanz der Sonne ähnlich. Lachend schüttelten die Brüder die Köpfe und meinten, in solch ärmlicher Umgebung wäre kaum eine solche Blume zu finden. Sie führten ihre Schwester vor, die von den schlechten Lumpenhüllen verborgen ward, und sprachen: „Man sieht es wohl, dass dieses Mädchen nur für uns beide von unschätzbarem Wert ist und niemand sonst ihre Kostbarkeit erkennen könnte. Drum entschuldigt bitte, wir können euch bei eurer Suche nicht helfen.“ Doch trat in diesem Augenblick die Prinzessin hervor und musterte aufs Genaueste das in Lumpen gekleidete Bauernmädchen. „Der Schein trügt öfter als gedacht“, wiederholte sie die Worte, die sie am Vortag gesprochen hatte und deutete dabei auf Kiyas Füße, „denn nicht die Sandalen, die von Rang zeugen, haben dich verraten, sondern das Muster, das dir offenbar Isis selbst auf die Knöchel gehaucht hat.“ Kiya verwunderte sich darüber sehr, denn Bastets Zauber hatte verursacht, dass sie sich hinter der Verkleidung verriet. Gleichzeitig überkam sie jedoch Rührung, weil die Prinzessin unter der Oberfläche ihr wahres Ich erkannt hatte. So legten beide Frauen ihre Zweifel ab und kehrten gemeinsam in den Palast ein. Was sich die Brüder einstmals zu ihrer Rettung erhofft hatten, traf nun ein, wenn auch nicht auf jene Weise, wie sie es erwartet hatten. Nur Bastet, die schwarze Katze, rühmte sich voller Gleichmut für ihre vorzügliche Fähigkeit, sich in menschliche Angelegenheiten einzumischen, um ihren eigenen Wunsch zu verwirklichen. Fortan lag sie auf einem samtbezogenen Diwan unter einem Baldachin und wurde von Dienern verwöhnt. Ihr zu Ehren weihte man die Stadt Memphis allen Katzen, welche sich nicht nur durch Schönheit, sondern auch Klugheit auszeichneten, denn dadurch hatten eine Prinzessin und ein Bauernmädchen ihr Glück gefunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)