Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 25: Eifersucht ---------------------- Frohes neues Jahr euch allen! Ich hoffe, ihr seid gut reingerutscht. Das hier ist also das erste Kapitel im neuen Jahr. Danke mal wieder an all das tolle Feedback aus dem letzten Jahr. Ich freu mich schon aufs neue Jahr mit dieser Geschichte :) Viel Freude beim Lesen und einen schönen Abend wünscht euch, _____________________ »Du hättest mich wirklich nicht abholen müssen«, sagt Anjo kleinlaut und starrt geradeaus durch die Scheibe meines Wagens. Ich hab ihn schon mal so gesehen. Auf der Abiparty, als Benni sich bei ihm entschuldigt hat. Da hat er genauso ausgesehen wie jetzt. »Unsinn. Ich hab wochenlang wenig geschlafen, da bringt mich heute Nacht auch nicht um. Außerdem ist es ja noch gar nicht so spät. Dir ist also nichts passiert?« Mir ist fast das Herz stehen geblieben, als Anjo am Telefon irgendwas von einem Messer gesagt hat. Aber offenbar ist ihm nichts passiert. Er schüttelt den Kopf, starrt aber weiterhin geradeaus. »Benni hat…« Er hält inne und läuft scharlachrot an. Ich werfe ihm einen Blick zu und runzele verwirrt die Stirn. »Was hat der Idiot gemacht? Ich brech ihm sämtliche Knochen!« Anjos Kopf fliegt zu mir herum. Seine grünen Augen sehen riesig aus. »Er hat das Messer abgefangen. Für mich. Er hat sich dazwischen gestellt, damit mir nichts passiert. Und dann sind wir gerannt und haben uns in diesem Gebüsch versteckt und dann hat er mit mir gewartet, damit ich da nicht allein rumsitze, und… und dann…« Das alles sprudelt in atemberaubendem Tempo aus ihm heraus. Ich bin perplex. Ein paar Wochen vorher war Benni Anjos schlimmster Alptraum. Und gerade verteidigt Anjo ihn ganz eindeutig. Aber es hat den Anschein, als hätte Benni es aufgegeben, Anjo dauernd fertig zu machen. Jetzt fängt er schon Klappmesser für den Knirps ab und wartet auf ihn, damit er nicht allein im Dunkeln sitzt. Ich schaue nach vorn auf die Straße und halte an einer Ampel. Anjos Gesicht hat mittlerweile einen derart dunklen Rotton angenommen, dass ich fast ein wenig besorgt bin. Die Ampel springt auf Grün. »Er hat mich geküsst.« Der Wagen stottert, ruckelt ein Stück vorwärts und bleibt stehen. Anjo blinzelt. »Hast du gerade abgewür–« »Er hat was?«, frage ich fuchsig und starre ihn an. Er blinzelt verwundert und fährt sich verlegen durch die Haare. »Er hat… mich geküsst«, wiederholt er mit seinen scharlachroten Wangen und schaut nun angestrengt hinunter auf seine Knie. Irgendwo tief in mir drin brodelt es. Wie kann dieser bescheuerte, hirnverbrannte, homophobe Penner es wagen…? »Der kann dich doch nicht einfach küssen! Wer glaubt er, wer er ist? Ich sag’s dir, ich hau ihn windelweich«, knurre ich und starte den Wagen wieder. Anjo sieht völlig verdattert aus. Ich bin selber ein wenig ratlos, wieso mich das so dermaßen auf die Palme bringt. »Aber… wieso willst du ihn denn wegen so was verprügeln? Er hat schon Schlimmeres gemacht«, erinnert Anjo mich behutsam. Ich umfasse das Lenkrad etwas fester als nötig. »Erst macht er dir das Leben zur Hölle und jetzt belästigt er dich auch noch«, gebe ich ungehalten zurück. Anjo legt den Kopf schief und wirft mir einen Blick von der Seite zu. »Es ist nicht so, dass ich versucht hätte, ihn weg zu schieben«, erklärt er mir. Ich bremse etwas heftiger als gewöhnlich, als wir vor der Haustür von Sinas Wohnung ankommen. Einen Augenblick lang bleibe ich sitzen, um mich zu beruhigen, dann wende ich mich nach hinten um, um einzuparken. »Bist du sauer auf mich?«, fragt Anjo vorsichtig. Ich parke den Wagen ein und wende ihm das Gesicht zu. Unweigerlich zucke ich ein Stück zurück, weil unsere Nasen sich beinahe berührt hätten. Anjo hat sich wohl ein wenig zu mir rüber gebeugt, als er das gefragt hat. »Nein«, sage ich brüsk. »Wieso sollte ich auch?« Die grünen Augen mustern mich nachdenklich, dann lächelt Anjo kaum merklich. »Stell dir vor, ich könnte mich in Benni verlieben. Dann musst du dir keine Gedanken mehr darüber machen, dass ich dich mag«, meint er und schnallt sich ab. Dann steigt er aus. Ich sitze in meinem Auto als wäre ich festgewachsen. Super. Ist es das wieder? Oh, Felix, du bist seit Jahren in diesen Kerl verliebt? Na, dann kann ich mich ja in dich vergucken. Ah, Jakob, schön dich wieder zu sehen. Wie, du bist seit zwei Jahren vergeben? Dann ist ja alles klar, ich vergucke mich nur in Leute, die nicht zu haben sind. Hey, Anjo, ich seh dich eigentlich als kleinen Bruder, aber wenn dich ein anderer Kerl knutscht, kriege ich Wutanfälle. »Chris? Alles ok?« Mein Herz zieht sich zusammen. Klasse. Wirklich klasse. »Ja, alles ok.« Ich steige aus. Es ist komisch, wenn Anjo so offen über diese Dinge redet. Aber ich werd mich wohl daran gewöhnen müssen, dass er nicht mehr so schutzbedürftig ist wie vor ein paar Monaten, als ich ihn kennen gelernt habe. Wir gehen schweigend die Treppe hinauf und Anjo schließt die Tür auf. »Ah, Parker! Nicht schon wieder eine Pfütze!«, ruft Anjo und hastet an dem kleinen Wollknäuel vorbei, das mit reumütigen Augen neben einem kleinen See im Flur sitzt. Ich seufze, hänge meine Jacke an die Garderobe und pfeffere meine Schuhe in eine Ecke. »Es ist nicht so, dass ich versucht hätte, ihn weg zu schieben.« Mit geballten Fäusten stapfe ich über das Malheur hinweg zu Sinas Zimmertür und klopfe laut dagegen. »Ja?« Entschlossen öffne ich die Tür, knalle sie hinter mir wieder zu, gehe zu Sinas Bett hinüber, auf dem sie liegt und in einer Zeitschrift blättert und werfe mich neben sie. »Schlag mich«, verlange ich grimmig. Sina hebt eine Augenbraue. Dann holt sie aus und rammt mir ihre Faust auf den Muskelansatz des Oberarms. Ich verziehe das Gesicht und reibe mir den Arm. »Was ist los?«, fragt sie gespannt, klappt die Zeitschrift zu und dreht sich auf die Seite, damit sie mich besser sehen kann. »Schön zu wissen, dass du mich erst schlägst und dann fragst, was los ist«, gebe ich zurück und muss beinahe schmunzeln. Aber die Vorstellung von Benni und Anjo im Park lässt meine Gesichtszüge sofort wieder entgleisen. »Du wolltest es ja so. Beklag dich nicht«, gibt Sina mit einer lässigen Handbewegung zurück und sieht mich von unten herauf abwartend an. »Ich bin ein hoffnungsloser Fall«, erkläre ich ihr. Sie grinst. »Das wusste ich schon. Gibt es einen Grund für diese späte Einsicht?«, erkundigt sie sich und ich lege mich neben sie, sodass wir uns nun direkt anschauen können. »Es ist wegen Anjo. Ich hab ihn gerade aus dem Park abgeholt und er hat mir im Auto erzählt, dass Benni ihn vor einem Klappmesser gerettet und dann geküsst hat«, erkläre ich schlicht. Es bringt ja doch nichts, um den heißen Brei herum zu reden. Sina hasst es, wenn Leute nicht auf den Punkt kommen. Sina blinzelt erstaunt und dann verzieht sie anerkennend das Gesicht. »Wow. Da gibt sich aber jemand Mühe, alles wieder gut zu machen«, ist ihr Kommentar zu dieser Sache. Ich sehe sie empört an. »Darum geht es doch gar nicht!«, gebe ich zurück. Sie schmunzelt. »So? Worum geht es dann? Passt es dir nicht, dass der Knirps sich seine Unschuld nicht für dich aufspart, oder was?« Ich starre meine beste Freundin verdattert an, dann spüre ich zu meinem Unbehagen, dass mir ziemlich heiß wird. »Glaubst du, er wird dir ewig nachrennen, nachdem er nun schon Monate in dich verschossen ist? Und überhaupt, wieso bist du so sauer deswegen? Das ist doch wie bei Jakob und dir damals. Du hast ihm das Leben auch zur Hölle gemacht und dann habt ihr rumgemacht«, sagt Sina trocken. Ich würde gerne meinen Kopf gegen die Wand schlagen und dann meine beste Freundin erwürgen. Wahlweise auch in umgekehrter Reihenfolge. »Das ist überhaupt nicht dasselbe! Bei Jakob und mir war das… was ganz anderes!«, gebe ich schwach zurück. Sinas Grinsen wird breiter. Sie scheint sich hervorragend zu amüsieren. Ich finde das alles überhaupt nicht witzig. »Bist du eifersüchtig?«, zwitschert sie hingerissen. Erwürgen. Sofort! »Nein! Ich bin nur… sauer.« »Sauer, weil Anjo nicht mit dir seinen ersten Kuss hatte?« Wenn sie nicht sofort aufhört mit dem Zwitschern, dann ersticke ich sie vielleicht mit einem Kissen, bevor ich sie erwürge. »Nein! Keine Ahnung…« Ich raufe mir die Haare. Sina beobachtet mich in aller Seelenruhe. »Ach Chris. Mit dir ist es immer dasselbe. Sobald du jemanden nicht mehr haben kannst, willst du ihn plötzlich«, meint sie. »Anjo ist mehr… wie ein kleiner Bruder. Soweit kommt es noch, dass ich anfange, ihn anders zu mögen. Der Junge ist achtzehn. Und er hat eindeutig einen besseren ersten Freund verdient als mich«, gebe ich ein wenig resigniert zurück, drehe mich auf den Bauch und vergrabe mein Gesicht in Sinas Kissen. »Jemanden wie Benni?«, flötet sie. »Nein!« »Dann also doch dich?« »Sina… du machst mich wahnsinnig…« »Das weiß ich doch. Wenn ich bei dir schon nicht mit meinen weiblichen Reizen punkten kann, dann doch wenigstens mit meinem Scharfsinn«, gibt sie lässig zurück. Ich muss unweigerlich lachen und drehe den Kopf so, dass ich wieder atmen an. Sie betrachtet mich nachdenklich. »Ich fände es nicht übel, wenn du dich in Anjo verlieben würdest. Ihr seid ehrlich gesagt ziemlich süß miteinander«, meint sie und wuschelt mir durch die Haare, so wie ich das bei Anjo ab und zu mache. »Ich bin beziehungsuntauglich«, erkläre ich ihr matt und schließe die Augen. Mein Handy piept und ich fische unmotiviert in meiner Hosentasche danach. »Du hattest noch nie eine Beziehung. Also kannst du das nicht wissen«, kommt die sachliche Antwort. Ich hebe das Handy vor die Augen und blinzele ein wenig erstaunt, als ich den Namen auf dem Display sehe. Sina beobachtet mich und ich werfe ihr einen etwas unsicheren Blick zu. »Na? Ist die SMS von Jakob?«, fragt sie beiläufig. Ich nicke ertappt und öffne die Nachricht. »Hattet ihr noch Kontakt nach der Sache?«, erkundigt sie sich. Aber sie klingt nicht wütend, daher wage ich es, ihr zu antworten. »Er hat mir nur nachts noch geschrieben, dass Milan Hals über Kopf ausgezogen ist… ich hab geantwortet, dass es mir Leid tut. Und danach nichts mehr«, murmele ich und richte meine Augen wieder aufs Display meines Handys. »Kann ich vorbei kommen? Nur so. Zum Nicht-Allein-Sein…« Ich seufze. Was antworte ich jetzt? Antworte ich überhaupt? Ich halte Sina das Handy hin und sie betrachtet die Nachricht. Dann zuckt sie mit den Schultern. »Jetzt ist er ja wieder solo. Ich wäre nicht begeistert, wenn ihr wieder damit anfangt… wegen Anjo. Aber immerhin betrügt er jetzt niemanden mehr«, meint sie. »Aber er hat doch geschrieben, dass er nur nicht allein sein will«, gebe ich schwach zurück. Sina schnaubt. »Das glaub ich erst, wenn er wieder weg ist und ihr nicht rumgemacht habt«, sagt sie und setzt sich auf. Wahrscheinlich glaube ich das selber erst, wenn wirklich nichts passiert ist. Mein Magen zieht sich unangenehm zusammen, als ich eine Antwort tippe. »Ok. Bis gleich.« »Dann geh ich mal Anjo vorwarnen«, sage ich und rappele mich von Sinas Bett auf. Sie schmunzelt. »Ah, pass aber auf, dass dich nicht in den großen, grünen Kulleraugen verlierst«, zwitschert sie und ich werfe nun doch ein Kissen nach ihr. Ihr Lachen wird leiser, als ich die Tür hinter mir schließe und zu Anjos Zimmer hinübergehe und dort klopfe. »Hey«, sagt er, nachdem ich eingetreten bin. »Hey. Ich komm heute doch nicht früh ins Bett. Äh… Jakob kommt noch vorbei. Der fühlt sich ein wenig einsam«, erkläre ich möglichst lässig. Anjos Lächeln flackert kurz, dann festigt es sich wieder. »Nett von dir. Kriegst du dann morgen bei deinem Termin nicht Probleme?« Ich schüttele den Kopf und fahre mir mit der Hand über das Gesicht. »Ich werd meinem Prof gleich ’ne Email schreiben und die Sprechstunde auf übermorgen verschieben.« Ich zögere einen Moment. »Ich hab nicht vor, wieder mit Jakob rumzumachen«, sage ich dann. Anjo blinzelt und errötet leicht. »Das… es ginge mich nichts an, selbst wenn du es wolltest«, meint er schließlich. »Ich wollt’s dir trotzdem sagen. Er fühlt sich nur einsam, nachdem Milan ausgezogen ist«, entgegne ich und hoffe irgendwie darauf, dass Anjo mir seinen Segen gibt, bevor ich Jakob die Tür öffne. Aber Anjo legt nur seinen Kopf schief und mustert mich. Ich bin sicher, dass er eigentlich gern etwas sagen würde, aber egal wie eindringlich ich seinen Mund auch anstarre, er sagt nichts. Und mir kommen nur wieder dämliche Gedanken angesichts der Tatsache, dass dieser Mund von Benni geknutscht wurde. »Ok… dann schlaf nachher gut«, sage ich matt. »Du auch«, kommt die leise Antwort und ich schließe die Tür. Wie geplant schicke ich eine Email an meinen Professor und dann gehe ich in die Küche, um mir irgendwas Essbares zu suchen. Diese ganze Aufregung am Abend hat mich wieder hungrig gemacht. Als es schließlich klingelt, macht mein Herz einen ungewollt großen Sprung und ich stochere nervös in den aufgewärmten Nudeln herum, die ich mit zur Tür genommen habe. Reste von unserem Mittagessen. Jakob sieht blass und unausgeschlafen aus. Aber er lächelt, als er mich sieht. »Stör ich beim Essen?«, fragt er und stellt seine Schuhe sorgfältig im Flur ab. »Nee. Hab ich mir eben erst warm gemacht«, antworte ich und gehe Jakob voran in mein Zimmer. Es ist schrecklich unordentlich, aber Jakob stört sich nicht daran. Er setzt sich auf mein Bett, lehnt sich gegen die Wand und schlingt seine Arme um die Knie. »Du musst dich gar nicht mit mir beschäftigen. Ich kann auch einfach nur hier sitzen…«, murmelt er. Seine hellbraunen Haare hängen ihm wirr ins Gesicht. Er sieht unheimlich kläglich aus, wie er da sitzt. Mich hat Anjo getröstet. Irgendwie. Aber scheinbar hatte Jakob noch niemanden, der ihn wieder ein wenig aufgerichtet hat. Zugegebenermaßen ist das alles für ihn schlimmer als für mich. Aber vielleicht kann ich ja auch ein bisschen was für ihn tun. Ich schalte ein wenig Musik an und esse meinen Teller Nudeln auf. Jakob hat seine Stirn auf die Knie gelegt und sitzt einfach nur da. Schließlich stelle ich den Teller auf meinen Schreibtisch, stehe zögerlich auf und gehe zu ihm hinüber. Er ist jetzt wieder der zerbrechliche Junge von damals, der mir erzählt hat, dass er nicht auf Frauen steht. Er ist wieder der Junge mit den ausgeleierten Klamotten und dem blassen Gesicht. Herrgott, er war Anjo so ähnlich. Anjo ist ihm so ähnlich. Als ich aufs Bett steige hebt er den Kopf und schaut mich aus seinen braunen Augen an. Einen Moment lang sehen wir uns schweigend an, dann steigen Jakob Tränen in die Augen und ich strecke die Arme aus. Mit einem unterdrückten Schluchzen wirft sich Jakob in meine Arme und ich drücke ihn an mich. Ich hab keine Ahnung, wie lang wir auf meinem Bett hocken und ich ihn einfach nur festhalte. Es scheint ganz so, als hätte er die ganze letzte Zeit nicht geweint und nun bricht alles aus ihm heraus, was er unterdrückt hat. Während ich ihm über die Haare und den Rücken streiche, schnieft er immer wieder unverständliche Worte. Aber ich weiß, dass er nicht auf eine Antwort wartet. Ich bin nicht besonders gut im Trösten. Manchmal reicht auch eine Umarmung. Als er sich in den Schlaf geweint hat, decke ich ihn zu und ziehe aufs Sofa im Wohnzimmer um. Mein Gehirn fühlt sich an wie ein riesiger Schwamm und als ich schließlich einschlafe, träume ich das erste Mal von Anjo. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)