You'll never walk alone von abgemeldet (Solange du Freunde hast ...) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Hart schlugen die knochigen Äste der alten Sandbirke gegen das Fenster. Angetrieben durch den unerbittlichen Abendwind klopften sie beinahe in rhythmischen Abständen an eines der großen Fenster des Lofts, welches am Rande Düsseldorfs lag. Dumpf hallte das Geräusch durch den offenen Raum, wurde jedoch von den sanften Musiktönen des Plattenspielers verschlungen, sodass nur eine hauchzarte Frauenstimme die Stille durchbrach. We suffer every day, what is it for These crimes of illusion are fooling us all And now I am weary and I feel like I do Der Raum lag in völliger Dunkelheit, die Möbel lediglich als konturlose Schemen erkennbar, während immer wieder schwache Lichtstrahlen von der Straße aus durch die großen Fenster auf den hellen Parkettboden glitten und dort lautlos vorüber zogen. Stumm zeichneten sie die Einrichtung ab. Fuhren sanft über das Regal auf dem der Plattenspieler stand, beleuchteten für einen kurzen Moment das Bücherregal an der Wand und schließlich das Sofa, welches den Fenster gegenüber stand. It's only you, who can tell me apart And it's only you, who can turn my wooden heart Doch war der Raum nicht so leer wie er auf dem ersten Moment erschien, denn vor dem schwarzwirkenden Sofa saß ein Mann auf dem Boden. Die langen, drahtigen Beine hatte er an seinen muskulösen Oberkörper gezogen, welche er mit beiden Armen umfasste, wobei er seinen Kopf auf die Knie bettete. The size of our fight, it's just a dream We've crushed everything I can see, in this morning selfishly How we've failed and I feel like I do Bewegungslos saß er schon seit geraumer Zeit auf dem kalten Boden, die Weinflasche und das Glas neben sich, während seine braunen Augen stoisch auf einen Punkt schauten ohne ihn zu sehen. Seufzend löste er schließlich seine Arme von den Beinen und griff nach der Weinflasche, die rechts von ihm stand, um sich noch etwas einzugießen. Strähnen des blondgefärbten Haars fielen dabei in sein Gesicht, doch er beachtete sie nicht und goss stattdessen stumm weiter, ehe er die Flasche wieder geräuschvoll auf den Boden stellte und das neugefüllte Glas an seine Lippen führte. It's only you, who can tell me apart And it's only you, who can turn my wooden heart Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen und die Flasche halbleer, dennoch verspürte er nicht die gewünschte Ruhe. Immer noch kreisten seine Gedanken ruhelos um die letzten Tage, um die letzten Stunden, um die ihn beherrschende Vergangenheit. Klirrend setzte er das Glas auf das Parkett und fuhr sich mit beiden Händen seufzend durch die Haare, wobei er für einen Moment die Augen schloss und tief einatmete. Now that we've chosen to take all we can This shade of autumn, a stale bitter end Years of frustration lay down side by side Einen kurzen Augenblick verharrte er noch in dieser Position bis er leicht den Kopf schüttelte und die braunen Augen wieder öffnete. Der Blick nun auf die rotierende Vinyl – Platte gerichtet, die sich unermüdlich im Kreis drehte. And it's only you, who can tell me apart And it's only you, who can turn my wooden heart Unbewusst bohrten sich die Wörter in seinen Kopf und in sein Herz. Und plötzlich wurde er sich dem Schmerz bewusst, der tief in seiner Seele saß und sich von seiner Traurigkeit nährte, doch so konnte es nicht weitergehen. Mühselig richtete sich der Mann auf, wobei er sich auf seinem Sofa abstützte bis er tatsächlich stand. It's only you, who can tell me apart And it's only you, who can … Bestimmend schritt er auf das Gerät zu und hob mit Leichtigkeit den Tonarm von der Scheibe. Eine ungewohnte, beinahe bedrückende Stille breitete sich aus. Eine Stille, die ihm unangenehm auf den Ohren drückte, die ihm stumm zuschrie endlich etwas zu ändern. Doch die Stimme war zu laut, ließ ihn nicht mehr los, sodass er sich mit schmerzverzehrtem Gesicht die Hände auf die Ohren drückte, um sie endlich zum Schweigen zu bringen. Das Schweigen zum Schweigen zu bringen, ein unmögliches Bestreben. Es wurde ihm bewusst, schlagartig und so drehte er sich um und ging zur Tür, wo er sich eine Jacke nahm, achtlos in ein Paar der bereitstehenden Schuhe stieg und sich hastig den Schlüsselbund in die Hosentasche steckte, ehe er mit kalten Händen die Tür auf machte. Eisiger Nachtwind schlug ihm entgegen und ließ ihn erzittern. Dennoch fühlte er sich in diesem Moment viel lebendiger als in den letzten Stunden. Geübt schlug er schließlich den Kragen seiner dunkelbraunen Jacke auf und trat in das Dunkle. Die Tür hinter ihm ließ er achtlos in das Schloss fallen, während ihn seine Füße an einen anderen Ort brachten. Er wusste nicht wohin, genoss nur den frischen Wind und die kaum spürbaren Regentropfen, die sich auf seinen Körper setzten und vor allem genoss er die Geräusche der vorbeifahrenden Autos, den pfeifenden Wind und das Rascheln der Blätter unter seinen Füßen. Jetzt, wo er wieder im Treiben des Lebens war, fragte er sich, wie er die letzten Stunden still, beinahe bewegungslos verbringen konnte ohne verrückt zu werden. Er brauchte die Freiheit, die scheinbare Grenzenlosigkeit der Nacht und die Bewegung. Die Bewegung seiner Gedanken und seines Körpers - Sein Leben. In diesem Moment stärker als sonst und so begann er unbewusst immer schneller zu werden bis er schließlich durch die kalte Nacht rannte. Rannte, um sie endlich zu vergessen. Kapitel 2: Der Tag danach ------------------------- Mühevoll öffnete er seine braunen Augen. Doch als er direkt in die Strahlen der hellen Morgensonne schaute, drehte er seinen Kopf stöhnend zur Seite, vergrub ihn in dem Polster unter sich und versuchte erneut einzuschlafen, umsonst. Denn nun, wo er einmal wach war, bemerkte er das leise, aber penetrante Pochen hinter seinen Schläfen, welches langsam immer stärker wurde. Murrend drehte er sich auf die andere Seite, ehe er sich schwerfällig auf die Ellenbogen stützte und den Blick müde durch den Raum schweifen ließ. Als erstes sah er die leere Weinflasche, welche vor ihm auf dem Boden lag, daneben das Glas mit einem letzten Schluck Rotwein. Er war also wieder einmal auf dem Sofa, anstatt in seinem wunderbar weichen Bett eingeschlafen. Resignierend vergrub er seinen Kopf wieder in das rote Polster, denn jetzt, wo die Sonne den Raum beleuchtete, wirkte er nicht mehr so schwarz und düster wie zuvor. Das rote Sofa gegenüber den großen Fenstern erzeugte Lebendigkeit und verlieh dem offenen Raum einen der vielen Farbakzente, welche dazu diente, die einzelnen Wohnbereiche sichtbar abzutrennen. Selbst die bunten Plattencovers der großen Vinylscheiben, welche teilweise verstreut auf dem Boden lagen, fügten sich in diesem Moment als Gesamtbild in den Raum ein, obwohl sie dort nicht hingehörten. Im Gegensatz zu dem mahagonifarbenden Schrank, welcher Fenstersims hoch war und sich bis zur Wand erstreckte. Auf ihm standen der große, schwarze Fernseher sowie ein DVD-Player und der häufig genutzte Plattenspieler. Die restlichen Fächer waren mit DVDs, CDs und Platten gefüllt, welche eigentlich immer geordnet waren, doch an diesem Tag spiegelten sie das innere Chaos des Besitzers besser wieder, als es ein einzelner Song hätte können. Plötzlich durchbrach das schrille Klingeln des Telefons die morgendliche Ruhe. Immer wieder ertönte das Signal, doch anstatt abzuheben, presste er sich die Hände auf die Ohren und verfluchte innerlich den Anrufer. Es dauerte gar nicht lange, da ertönte seine eigene Anrufbeantworteransage gefolgt von der Nachricht, die nun doch ungewollt an seine Ohren drang. „Hey, Campi, Kuddel hier. Eigentlich wollte ich nur hören, ob du schon wach bist. Immerhin ist heute wieder Probe, aber wie es scheint bist du ja nicht da. Ob nun körperlich oder mental – ist ne andere Frage“, ein leises Lachen drang aus dem Gerät, „Naja, jedenfalls fahr ich jetzt los. Das heißt, dass du noch anderthalb Stunden hast, dich fertig zu machen. Ok, also dann, bis später.“ Der Anrufbeantworter speicherte die Nachricht, wobei nun ein kleines rotes Lämpchen kontinuierlich leuchtete, ansonsten war wieder vollkommene Stille eingekehrt. Beinahe hätte man meinen können, dass der Angesprochene die Worte nicht vernommen hätte, doch dann regte sich etwas auf dem Sofa und der müde Körper setzte sich unter leidvollem Stöhnen vorsichtig auf. „Scheiße“, fluchte Campino leise und strich sich achtlos die blonden Haare aus dem Gesicht, „Die Probe.“ Langsam stand er auf, bückte sich, um die Flasche und das Glas aufzuheben und ging um das Sofa herum zur anderen Seite des Raumes, wo seine Küche war. Desinteressiert stellte er beides auf irgendeine Ablage, eher er nach einer Kaffeetasse griff, heißes Wasser aus der Leitung einlaufen ließ und routiniert einen Löffel Kaffen hinein schüttete. Den kleinen Teelöffel zum Umrühren ließ er achtlos in die Tasse gleiten, sodass die eh schon recht volle Tasse letztendlich überlief. „So ein Mist“, eilig griff der Blonde nach einem Lappen und versuchte die Brühe aufzufangen, ehe jene auch noch auf den Boden tropfte. Danach warf er den benutzten Lappen achtlos in die Spüle zurück, trank endlich seinen Kaffee und hoffte auf die bekannte Wirkung des Koffeins. Eigentlich hatte er keine Lust zur Probe zu gehen, aber er konnte die Jungs nicht hängen lassen. Immerhin wollten sie in zwei Wochen nach längerer Bandpause erstmals wieder auf einem Festival spielen und eigentlich hatte er genau das auch so vermisst. Den Adrenalin, die Fans, die Musik – das einmalige Gefühl des Lebens. Aber an einem Tag wie diesem war sein größter Wunsch unentdeckt in seiner Wohnung zu sitzen und seine Gedanken zu ordnen. Genauso wie gestern und vorgestern und dem Tag davor – wie er es jeden Abend machte seit sie ihn verlassen hatte. Er war noch nicht bereit sie aus seinem Leben zu streichen, auch wenn er es hatte kommen sehen. In den letzten Wochen - Oder waren es sogar Monate? – kam es immer öfters zum Streit, Kleinigkeiten wurden groß und Unwichtiges wichtig. Dabei hatte er sich regelrecht auf die bandfreie Zeit gefreut, um endlich mit ihr, der Liebe seines Lebens, so viel Zeit zu verbringen wie sie es seiner Meinung nach verdient hatte. Nur legte das tägliche Beisammensein viele Differenzen offen, die zuvor versteckt geblieben sind. Trotzallem war Amelie die Frau, die er immer noch begehrte. Frustriert stellte Campino die Tasse auf die Küchenzeile und stromerte, statt noch einen Kaffee zu trinken, lieber unter die Dusche. Wenn es ihm schon dreckig ging, dann musste er ja nicht auch noch so aussehen. Auf den Weg zum mittig liegenden Badezimmer, welches als einziges ein geschlossener Raum war, zog er sich den grauen Pullover über den Kopf und schmiss ihn schließlich als erstes in die Wäschetruhe, ehe Hose und Unterwäsche folgte. Das künstliche Deckenlicht reflektierte sich leicht in den weißen Fliesen und verlieh dem Raum, neben den gesichtshohen Ornamenten, ein edles Antlitz. Am Anfang hatte sich Campino noch an der ungewohnten Einrichtung gestört, doch mittlerweile schätzte er sein Badezimmer als einen Ort, der so viel anders war als die restliche Wohnung, dass er ihn gerne betrat, um auf andere Gedanken zu kommen. Doch an diesem Tag hatte er keinen Blick für all das Schöne. Stattdessen stieg er eilig in die Duschkabine und ließ das Wasser auf seinen muskulösen Körper zerstoben. Wasserperlen rannen dabei über die helle Haut, zogen Bahnen über die vielen Tätowierungen, die wie die Musik zu seinem Leben gehörten und es reflektierten, bis sie auf den Boden auftrafen und lautlos verschwanden. Bestimmend griff er schließlich nach dem silbernen Wasserregler, drehte die Zufuhr ab und stieg wieder aus der Kabine, wobei seine Füße kleine Pfützen auf den Fliesen hinterließen. Eine leichte Gänsehaut zog sich über seinen Körper, bevor er eilig nach einem der weißen Handtücher griff, sich damit sporadisch abtrocknete und es schließlich um seine Hüften band. Den beschlagenen Spiegel, welcher über dem Waschbecken hang, schaute er einen Moment ausdruckslos an, ehe er mit seinem rechten Unterarm eine kleine Fläche frei wischte. Braune Augen schauten ihm nun entgegen. Musterten sein eigenes Gesicht, blickten spöttisch auf die blonden Haare, welcher deutlich einen dunkelbraunen Ansatz zeigten, auf die kleinen Fältchen um seine Augen herum und letztendlich auch auf ihn. Sahen das, was er die letzten Tage verstecken wollte – nämlich, dass er verletzt worden war, dass sie ihn verletzt hatte, in dem sie ging und ihn zurück ließ und genau diese Schwäche wollte er weder sehen, noch wahrhaben. Wütend schlug er gegen die Wand neben den Spiegel, welcher leicht erzitterte, ehe er sich umdrehte und aus dem Badezimmer ging. Die Schmerzen in der Hand lenkten wunderbar von den Schmerzen in seinem Herzen ab. Nachdem er sich in seinem Schlafzimmer frische Sache angezogen hatte, entschloss sich der Sänger endlich auf den Weg zum Proberaum zu machen. Unmotiviert nahm er Schlüssel und Handy, zog sich seine schwarzen Sportschuhe sowie die Jacke und ging zu seinem Auto, welches er vor dem Haus geparkt hatte. Gewohnt fuhr er den kurzen Weg zu dem naheliegenden Proberaum. Eigentlich nahm er gerne für die kurze Distanz auch das Fahrrad, aber an diesem grauen Tag stand dies nicht zur Wahl. Als auch die letzte Kurve genommen wurde, parkte er schließlich den Wagen vor dem Gebäude in dessen Hinterhof sich ihr Proberaum befand. Einen Augenblick verharrte Campino noch in dem Auto, versuchte sich soweit zu sammeln, damit die anderen nichts von seinem Gemütszustand bemerkten. Natürlich war es für ihn wichtig auch mit seinen Freunden darüber zu sprechen, und das waren die vier Musiker in dem Raum, aber erst zu einem Zeitpunkt, in dem er sich auch bereit dafür fühlte. Laut knallte er die Autotür zu, ging über den grauen Weg um das Gebäude zu der braunen, abgenutzten Tür. Als er sie langsam öffnete, hörte er schon die Stimmen der anderen. „Hey, da ist er ja und wie immer der letzte“, begrüßte ihn Andi, welcher am nächsten bei der Tür stand. Bemüht freudig erwiderte Campino die Umarmung des ebenfalls blondgefärbte Bassisten, obgleich er sich nicht so sehr bemühen musste, wie er dachte. Denn immerhin waren das seine besten Freunde. „Ja, und das, wo ich ihn sogar heute Morgen angerufen habe“, mischte sich nun auch Kuddel ein und begrüßte den Sänger als nächstes, „Warum bist du eigentlich nicht ans Telefon gegangen?“ Braungrüne Augen musterten ihn freudig, doch Campino konnte nur die Schultern zucken. „Hab halt ein wenig verschlafen und außerdem“, er machte eine Pause und schaute sich um, „Ist Vom auch noch nicht da.“ „Who’s talking ‘bout me?“ Überrascht drehte sich der Sänger, welcher gerade den zweiten Gitarristen Breiti begrüßte, um und entdeckte den fröhlich grinsenden Schlagzeuger. Der gut zwei Köpfe kleinere Mann mit den schwarzen Haaren und den pinken Strähnen aß vergnügt ein belegtes Brötchen, während er sich in der Runde umschaute. „Oh, Campi“, begann er schließlich, „I even thought you forgot the way to our rehearsal room. You know that you’re late?” Breit grinsend umarmte der Angesprochen schließlich auch den Kleinsten der Runde. „Yes, but you should know that I can’t break the habit and …”, er machte eine kurze Pause und lächelte entschuldigend, „in addition, I still have no watch.” „Oh, you’re such a poor boy.” Die fünf Musiker lachten unbeschwert. „Und? Womit fangen wir an?“, fragte schließlich der hochgewachsene Gitarrist Breiti. „Ich denke, wir schreiben erst mal eine Setlist und dann probieren wir es einfach aus“, schlug Andi als erster vor, worauf die anderen nickten. Kuddel, der seine Linkshändergitarre schon auf dem Schoss hatte, begann sofort ein Stück anzustimmen. Entspannt beobachtete Campino die Szenerie. Denn er war wirklich froh, dass die ersten Gespräche sich nur um die Musik drehten und scheinbar niemand bemerkte, wie schwer ihm trotzallem die gute Laune fiel. ______________________________________________________________________ Ich würde Vom gerne durchgehend in Englisch reden lassen, weiß aber auch, dass mein schriftliches Englisch ein wenig eingerostet ist. Deswegen würde ich euch bitten, wenn ihr Fehler findet, mir die höflich zu nennen.^^ Danke sehr. xD LG fg Kapitel 3: Probe ohne proben ---------------------------- „Ok, also dann zuerst ‚Niemals einer Meinung‘ und danach ‚Friss oder Stirb‘?“, fragte Breiti noch einmal nach, wobei er auf den beschriebenen Zettel auf seinem Schoss schaute. In seiner rechten Hand hatte er einen Stift, mit dem er kontinuierlich auf sein Bein tippte. „Ja, das ist auf jeden Fall besser“, kommentierte Kuddel, welcher neben Breiti saß und noch einmal die Liste studierte. „Was ist denn eigentlich mit Coverversionen? Haben wir ja sonst auch immer gemacht“, graue Augen blickten in die Runde und blieben schließlich bei Campino hängen, welcher mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl saß und zu Boden blickte. „Campino?“ „Was?“, aufgeschreckt schaute sich der Sänger um und fuhr sich verlegen durch die Haare, welche nun leicht abstanden, „Tschuldigung, ich hab grad nicht aufgepasst. Um was geht’s?“ Andi seufzte leise und wiederholte noch einmal seine Worte. „Ja, klar. Können wir gerne machen“, unruhig rutschte Campino auf seinem Stuhl umher. „Und welche?“ „Ach, Andi, das ist doch egal. Sucht euch irgendetwas aus“, hastig verschränkte er die Arme hinter seinen Kopf. „Egal?“, hakte Breite ruhig nach, schaute den Sänger aber missbilligend an. „Mann, nicht direkt egal. Aber auch kein … acht vergesst es. Dann nehmen wir halt ‚Should I stay or should I go‘“, genervt stand der Blonde auf und begann in ihrem Proberaum auf und ab zu laufen. Die Unruhe, die er die letzten Tage verspürte, die seine Gedanken unerbittlich antrieb und ihn letztendlich damit beinahe um den Verstand brachte, brach in diesem Moment ungewollt aus ihm heraus. „Ok, also ‚Should I stay or should I go‘“, Breiti schrieb den Titel mit auf die Liste, nachdem die anderen nickten. „Und wie wäre es mit ‚Song 2‘?“, sagte Kuddel an den Brauhaarigen gerichtet, wobei er aber Campino unauffällig aus dem Augenwinkel beobachtete. Jener stand mit dem Rücken zu ihnen, die Hände tief in den Hosentaschen vergruben und schaute aus dem Fenster. In Gedanken wieder einmal woanders, statt bei der Probe. „Gut, dann steht die Setlist ja endlich“, der Bassist rieb sich seufzend die Schläfe. Das erste Treffen hatte er sich definitiv anders vorgestellt, doch die Stimmung des Sängers lag wie ein dunkler Schleier über ihnen, der undurchdringlich erschien und niemand wusste, wie er zu beseitigen war, weil niemand wusste, woher er überhaupt kam. „Also können wir dann endlich proben?“, der zweite Gitarrist streckte sich und schaute erwartungsvoll zu seinen Bandkollegen. „Gleich, Breiti“, warf Kuddel ein, „Aber ich brauch davor noch eine kleine Zigarettenpause.“ Entschuldig lächelnd zog er eine kleine weiße Zigarettenpackung heraus und stand auf. „Und du kommst mit“, sagte er an Campino gewandt und schob den überraschten Sänger aus der Tür. „Was soll denn das?“, fragte jener brummig, als er mit verschränkten Armen neben dem blonden Gitarristen stand, welcher konzentriert eine Zigarette zwischen seinen Lippen hielt und sie mit dem Feuerzeug entzündete. „Nichts, ich dachte halt, dass dir ein bisschen frische Luft gut tut“, erwiderte er und blies den blauen Rauch in den grauen Himmel. Es war ein kalter und unfreundlicher Tag, an dem die Sonne sich nur selten zeigte. Schweigend standen die beiden Freunde einige Zeit nebeneinander und beobachteten die grauen Wolken, welche langsam vorüberzogen. „Also, was ist mit dir los?“, fragte Kuddel mit ruhiger Stimme ohne seine Position zu verändern. Kalter Wind streifte durch seine blonden Haare, welche nun leicht hin und her wehten. „Nichts ist los“, brummte Campino und starrte auf den grauen Asphalt vor sich. „Ok“, noch einmal sog der Kleinere an der Zigarette, eher er den Stummel zu Boden warf und ihn austrat, „Sollte aber doch etwas sein, weißt du hoffentlich, dass du mit mir und den anderen immer reden kannst, ja?“ Kurz blickte Kuddel noch einmal auf und obwohl sein Blick den des Älteren nur kurz traf, sah er, dass er Recht hatte, aber auch, dass sein Gegenüber noch Zeit brauchte. Zeit, die er ihm als Freund gerne gab. Ein leichtes Lächeln bildete sich in Campinos Gesicht, als er nickte. „Danke.“ „Kein Problem“, freundschaftlich klopfte ihm Kuddel auf die Schulter, „Lass uns reingehen, ja? Ist nämlich echt kalt hier draußen.“ „Ja, gleich. Gib mir nur noch eine Minute, bitte.“ „Ok, also bis gleich“, lächelnd drehte sich der Blonde um und verschwand in dem alten Gemäuer, während der andere allein zurück blieb. Die Hände erneut in den Hosentaschen der ausgewaschenen Jeans und den Blick auf die verlassene Straße gerichtet, rief sich der Sänger noch einmal die wenigen, aber ehrlichen Worte seines Freundes ins Gedächtnis und obwohl er auch vorher wusste, dass er immer mit ihnen reden konnte, tat es gut, dies noch einmal zu hören, genauso wie es gut tat, zu merken, dass man anderen nicht egal war. Er seufzte leise, während er seine Augen langsam gen Himmel richtete und die grauen Wolken beobachtete, welche sich in den letzten Minuten deutlich verdichtet hatte. Wahrscheinlich würde es an diesem Abend noch regnen. Doch all die täglichen Wunder der Natur, die Schaubilder des Lebens konnten ihn an diesem Tag nicht von seinen Gedanken ablenken. Immer wieder kehrten sie zu ihr zurück und er fragte sich mehr als einmal, wie eine einzelne Frau ihn so aus der Bahn werfen konnte und vor allem, warum er sie immer noch liebte. Doch das alles durfte er nicht mit in den Proberaum nehmen. Die Band, die Musik und besonders die Freundschaft durften nicht darunter leiden, dass er sie vermisste und dass er sie immer noch liebte. Ein einzelner Regentropfen traf plötzlich auf sein Gesicht und hinterließ eine kühle Bahn auf seiner Haut, ehe weitere Tropfen haltlos folgten. Sie benetzten seine Haare, seinen Körper und drangen innerhalb weniger Minuten unbemerkt durch seine gesamte Kleidung. Er genoss das Gefühl inmitten des Schauers zu stehen, den Regen zu hören und zu spüren, während um ihn herum die Zeit stehen zu bleiben schien. Ein letztes Mal atmete er tief ein, schloss die Augen und versuchte sie endlich aus seinen Gedanken zu verbannen. Er würde ihr keinen Platz mehr in seinem Leben einräumen, stattdessen nahm er sich vor sie zu vergessen und sich endlich wieder auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag – Die Musik. Er durfte die anderen nicht durch seine Unaufmerksamkeit leiden lassen, durfte nicht daran Schuld sein, wenn der Auftritt nicht so perfekt lief, wie es alle erwarteten. Langsam öffnete Campino die Augen, ehe er sich umdrehte und zu der Eingangstür schritt. Er würde sie vergessen müssen und er würde es schaffen, auch alleine. Denn das Wichtigste in diesem Moment war, dass die Band nach der Pause wieder zusammenwuchs und dass sie wieder begannen Musik zu machen. Denn dann könnte er sich wieder in die Proben stürzen, Tage und Nächte mit seinen Freunden verbringen und das Leben führen, welches er eigentlich immer führen wollte, nämlich ein freies und vor allem ungebundenes - Ohne einen einzigen Gedanken an sie. Am meisten lieben wir die Dinge, Die wir nicht haben können Wir sollten lernen zu verzichten, Doch wir kriegen es nicht hin … ______________________________________________________________________________ Liedtext: "Alles was war" - Die Toten Hosen Kapitel 4: Band, Bier und noch mehr Bier ---------------------------------------- Als Campino erneut den Proberaum betrat, blieb er einen Moment bewegungslos in dem Türrahmen stehen und blickte leicht lächelnd auf die Szene vor ihm. Still beobachtete er, wie Vom haltlos auf sein Schlagzeug eindrosch, Kuddel mit glasigem Blick eine neue Melodie auf seiner Gitarre spielte und wie Breite und Andi über ein vergangenes Fußballspiel diskutierten. Es herrschte das totale Chaos in dem Raum. Aber genau das waren die Elemente, die sein – wie er es gerne liebevoll nannte – Wohnzimmer ausmachten. „Oh, Campi, what did you do? Swimming in the Rhine?”, fragte Vom plötzlich als er zufällig seinen Blick durch den Raum schweifen ließ, doch sein Spiel unterbrach er nicht. Der Angesprochene schüttelte grinsend den Kopf und zog sich den nassen Pullover mühevoll über den Kopf. „No, more probably swimming in town. “, achtlos legte er das nasse Stück Stoff auf einen Stuhl ab, „Warum es auch so plötzlich regnen muss.“ Seufzend fuhr er sich durch die nassen Haare und schaute sich ein wenig unbeholfen im Raum um. „Soll ich dir einen Pullover leihen?“, erbarmte sich schließlich Breiti und lächelte dem halbnackten Sänger spöttisch entgegen. „Ja, bitte“, gab jener kleinlaut zu und fuhr sich über die frierende Arme, während der Gitarrist sein dunkelblaues Sweatshirt auszog. Da er selbst noch einen schwarzen Pullover darunter trug, war es für ihn kein Problem ein Kleidungsstück abzugeben. Dankend nahm der Kleinere das Sweatshirt an und zog es sich eilig über. Während er die Ärmel aufschlug, schaute er betreten von einem zum anderen. „Jungs, wegen vorhin … also meine Unkonzentriertheit. Tut mir leid, ich war nur in Gedanken … ähm … woanders, aber ich denke, der Regen hat mir schon gut getan“, unsicher lächelnd fuhr sich der Sänger noch einmal durch die feuchten Haare. „The dogs have not eaten up the end of the day”, sagte Vom und zuckte mit den Schultern, „ I think we have still enough time to practice the songs.” „Naja“, begann der braunhaarige Gitarrist und legte die Stirn in Falten, „Es hat uns schon ganz schön Zeit gekostet. Anderthalb Stunden für eine Setlist ist verdammt lange, aber ich denke, wenn wir uns jetzt ranhalten, dann wird das noch eine echt gute Probe und deswegen ist es erst mal okay.“ Auch Andi und Kuddel verziehen Campino das morgendliche Desinteresse schnell und zusammen wendeten sie sich schließlich dem ersten Lied zu. Entspannt und wieder einmal unendlich dankbar solch verständnisvolle Freunde zu haben, auch wenn diese den Grund nicht wirklich verstehen konnten – das wusste Campino, hüllte er sich doch bezüglich dieses Thema in eisernes Schweigen - war er froh, dass das Thema dennoch erst einmal lautlos in den Hintergrund rücken konnte. In stummer Dankbarkeit nahm der Sänger das Mikrofon und begann das erste Lied des Tages zu singen. Es dauerte gar nicht lange und das altbekannte Gefühl der Vertrautheit übernahm die Leitung der Probe. Lachen und allgemeine Fröhlichkeit füllte den Raum bis sich schließlich Campino geschafft auf einen der Stühle fallen ließ. „Ich würd sagen, wir haben es echt noch drauf“, sagte er zufrieden und schaute in die zustimmenden Gesichter seiner Freunde. „Ja, der Auftritt in zwei Wochen wird bestimmt ein Erfolg“, sprach Andi mit, während er behutsam seinen Bass abstellte und sich neben Campino auf einen der großen Verstärker setzte. Eine Weile saßen die Musiker nebeneinander und genossen den Erfolg der Probe bis Kuddel seine Stimme erhob und fragte: „Was ist eigentlich mit neuen Songs? Wollen wir daran auch noch arbeiten oder erst einmal wieder in die alte Form kommen?“ Campino schüttelte langsam den Kopf: „Keine Ahnung. Hab ich ehrlich gesagt nicht drüber nachgedacht.“ Andi nickte leicht, um zu zeigen, dass er sich, wie Campino , darüber noch keine Gedanken gemacht hatte. „Vom? What do you think about new songs?“ „At the festival? I was rather counting on that“, der Schlagzeuger zog seine Augenbrauen zusammen und sah seine Bandkollegen fragend an. „Ja, es wäre schon nicht schlecht. Aber denkt ihr denn, dass wir das auch in zwei Wochen schaffen? Zuzüglich der Proben der alten Songs“, warf Breiti an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Naja, es würden ja eins, zwei Songs reichen. Nur mit alten Liedern anzutreten, fände ich ein bisschen schwach“, Kuddel zuckte unbeholfen mit den Schultern, „Ich hätte sowieso noch ein paar Melodien. Ist nur die Frage, ob Campi neue Texte hat?“ Alle Augen richteten sich augenblicklich auf den Sänger, welcher unter den fordernden Blicken ein wenig nervös wurde. „Naja“, begann er schließlich, „Es hieß ja, dass wir eine Pause machen. Also habe ich die vergangenen Wochen auch nichts geschrieben. Aber wenn Kuddel schon paar Melodien hat, dann könnten wir die doch anhören und wenn sie gut sind …“ „Wenn sie gut sind?“, warf der blonde Gitarrist lachend ein, worauf Campino grinsend den Kopf schüttelte. „Also, da die Stücke bestimmt gut sind, würde ich in den nächsten drei Tagen ein oder zwei neue Texte schreiben, die wir dann vielleicht spielen könnten.“ „Meinst du denn, du schaffst das? Zwei Texte in drei Tagen?“, fragte Breit skeptisch nach, worauf der Ältere nur die Schultern hob. „Naja, auf Bommerlunderniveau bestimmt.“ „Ok, also lasst es uns einfach probieren“, ergab sich der Skeptiker lachend, worauf auch die anderen sofort mit einstimmten. „Gut, aber heute nicht mehr. Es ist schon verdammt spät geworden“, Andi schaute aus dem kleinen Fenster, welche die eingekehrte Nacht nur erahnen ließ. „Ja, ich würd sagen, Kuddel bringt morgen seine Demos mit und dann setzten wir da einfach an und machen weiter“, schlug Campino vor und stand auf, um zu schauen, ob sein Pullover endlich getrocknet war. Prüfend nahm den Stoff zwischen seien Finger und zog schließlich Breits Sweatshirt aus, als er merkte, dass sein eigener Pullover nicht mehr nass war und er sich den wieder überziehen konnte. „Danke sehr“, grinsend überreichte er das Stück Stoff wieder dem Besitzer. „Kein Problem. Außerdem war das purer Eigennutz, denn ein kranker Sänger nützt uns auch nichts.“ „Hach, wie ich deine Fürsorge schätze“, erwiderte der Sänger sarkastisch, worauf die anderen lachten. „Ok, Jungs, also dann, bis morgen, ne?“, ein letzter freundlicher Gruß in die Runde und Campino drehte sich um. Zufrieden, aber auch geschafft machte er sich auf zu seinem Wagen, welcher immer noch unberührt vor dem Proberaum stand. Gerade als er seinen Wagen aufschloss, hörte er eine altbekannte Stimme hinter sich. „Hey, warte mal.“ Andi kam schließlich neben ihm zum Stehen. „Sag mal, willste jetzt wirklich schon nach Hause? Ich hab gedacht, wir könnten noch ein, zwei Bier trinken und über die vergangenen Wochen reden.“ Campino lachte leicht. „Also eigentlich wollte ich schon nach Hause, aber ich denke ein Altbier ist schon noch drin.“ Breit grinsend schloss er den Wagen wieder ab und ging mit seinem Freund Richtung Kneipe, welche nur wenige Meter neben dem Proberaum lag. „Wollen die anderen nicht mit?“, fragte Campino nach einer Weile den Kleineren. „Nee, die müssen sich erst einmal wieder erholen nach diesem Probemarathon“, scherzte jener als sie gemeinsam die alte Kneipe betraten. Schnell setzten sich die beiden Freunde in eine dunkle Ecke, um in Ruhe ihr Bier zu trinken. Ein alter Mann mit grauen Haaren, tiefschwarzen Augen und einem dennoch freundlichen Lächeln nahm schließlich die Bestellung auf. „Und was hast du so die letzten Wochen gemacht?“, fragte Campino schließlich, als er sein Bier erhalten hatte. Natürlich hatte er mit Andi und auch den anderen immer mal wieder telefoniert, aber dennoch gab es Zeiten von denen er nichts wusste. „Urlaub“, grinste der Bassist und begann über seine vergangenen Reise zu erzählen. Je später der Abend wurde, desto mehr Bier floss und schließlich waren beide Musiker schon leicht angetrunken, als Campino begann mit einer Dame zu flirten. Auch Andi bemerkte die Blicke des Sängers und schaute über seine Schulter. Ein blonde, vollbusige Frau mit langen blonden Haaren und stark geschminkten Gesicht. „Die ist doch gar nicht dein Typ“, sagte der Bassist und trank sein Glas leer, während er mit der rechten Hand seinen immer schwerer werdenden Kopf abstützte, „Und hast du nicht ne Freundin? Annemie oder Amelie oder so?“ „Ach, halt’s Maul, Meurer“, zischte der angetrunkene Sänger und lächelte der Dame aufmunternd zu. „Ok, dann geh ich halt“, erwiderte der Jüngere bissig, zahlte seine Getränke und verschwand in der Dunkelheit, während Campino alleine zurück blieb. Missmutig trank jener von seinem Bier und verfluchte den Bassisten in diesem Moment dafür, dass er einfach ging, doch dann fiel sein Blick wieder auf sie. Einen Moment zögerte er noch, ehe er wankend aufstand, sein Glas nahm und zu der blonden Frau ging, welche immer noch an der Bar saß und ihn keck anlächelte. „Hi“, sagte er leise und setzte sich neben sie auf einen der braunen Holzbarhocker. Durch das dämmrige Licht konnte er sie vom weiten nicht genau erkennen, doch jetzt, wo er vor ihr saß, wirkte sie noch viel schöner. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass Andi schon gegangen ist, dachte er sich und bestellte für sich und die Dame noch einen Drink. Immerhin hatte er jetzt freie Bahn und er wusste, dass er diesen Abend nicht alleine verbringen wollte, noch würde. Kapitel 5: Zu spät - wieder einmal ---------------------------------- Das penetrante Pochen, welches er nun schon seit einigen Minuten vernahm, hinderte ihn nicht daran, den Versuch zu starten weiter zu schlafen, doch die Sonne und ein immer wieder auftauchendes Geräusch schon. Missmutig und unter gemurmelten Protesten öffnete Campino schließlich seine Augen, zog die Decke, welche quer über seinem athletischen Körper lag, wieder hoch und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, als sein Blick wie zufällig die Person neben ihm streifte. Er brauchte einige Minuten, um zu verstehen, wer aus welchen Gründen neben ihm lag, doch dann zuckte er leicht zusammen, als er begriff, dass der Abend mit der drallen Blondine aus der Kneipe bei ihm geendet zu haben schien. Seufzend fuhr er sich durch die abstehenden Haare und begann zu überlegen, wie er die Dame schnellst möglich wieder loswerden würde. Der Abend war nicht schlecht, sofern er seiner bruchstückhaften Erinnerung glauben konnte. Sie hatte Ahnung im Bett – keine Frage, aber der Morgen danach, das brauchte er jetzt wirklich nicht. Besonders bei diesen höllischen Kopfschmerzen, die scheinbar von Sekunde zu Sekunde stärker wurden. Etwas lauter seufzend, in der Hoffnung er würde sie damit wecken können, richtete sich der Sänger auf bis er im Bett saß und die Decke nur noch über seinen Beinen lag. Das er vollkommen nackt war, kam ihm erst in den Sinn, als ein eisiger Schauer sich über seinen Rücken legte und ihn frieren ließ. Scheinbar hatte der Regen des letzten Tages die Temperatur stark abkühlen lassen, aber eigentlich war ihm das in diesem Moment auch egal. Stattdessen hob er langsam seine rechte Hand, beugte sich ein wenig in selbige Richtung und strich der Frau, welche auf dem Bauch neben ihm lag, die langen blonden Haare aus dem Gesicht. Er sah, dass ihr Mund leicht geöffnet und das Make – up um ihre Augen herum verschmiert war. Insgesamt wirkte sie im hellen Licht des Morgens auf eine gewisse Art und Weise verbraucht und irgendwie älter. Doch war er Gentleman genug, um ihr das nicht zu sagen, sofern es vermeidbar. „Hey“, sagte er nur und stupste sie leicht an die Schulter, worauf sie sich wohlig seufzend tiefer in die Kissen vergrub. Augenblicklich konnte er auch das störende Geräusch von vorhin zuordnen. Noch einmal wiederholte er seine Handlung, mit dem einzigen Unterschied, dass er etwas energischer dabei war. „Hey, aufwachen. Du solltest gehen. Du musst doch bestimmt zur Arbeit, oder so“, versuchte es Campino immer wieder. Das er ihren Namen mied, lag nur an dem schwarzen Loch in seinem Kopf, welches jegliche Informationen verschlungen hatte, aber solche Situationen waren ihm noch aus seiner Jugend bekannt und er wusste damit umzugehen. Langsam begann sich die Gestalt neben ihm zu regen, bis schließlich ein verschlafenes „Gute Morgen“, sein Ohr erreichte. Müde stützte sie ihren Kopf auf ihren linken Arm und lächelte ihn lieblich an, während sie mit der rechten Hand über seinen wohldefinierten Oberkörper fuhr. „Es war schön letzte Nacht, nicht?“, fragte sie mit belegter Stimme. „Ja“, antworte er lakonisch, während er unauffällig nach hinten rückte, „Aber musst du nicht jetzt gehen? Zur Arbeit?“, wiederholte er seine ungehörte Frage noch einmal. Zu seinem Bedauern schüttelte sie den Kopf. „Ich arbeite abends in einer Bar. In einer anderen Bar, als die von gestern“, fügte sie kichernd hinzu, „Also hätten wir noch genug Zeit, um das von letzter Nacht zu wiederholen - Obwohl ich gegen ein kleines Frühstück auch nichts einzuwenden hätte.“ Sie schaute ihn mit großen Augen an, als Campino erst leicht und dann energisch den Kopf schüttelte. „Tut mir leid, ein Frühstück ist nicht drin und außerdem solltest jetzt besser gehen.“ „Aber …“ „Kein aber“, bedeutungsschwer stand er auf und schlang sich die Decke um die Hüften, „Also wenn du dann bitte gehen könntest.“ Die Kopfschmerzen brachten ihn in diesem Moment beinahe um den Verstand, genau wie ihre scheinbare Begriffsstutzigkeit. Doch in diesem Punkt hatte er sich geirrt, denn nur wenige Sekunden später presste sie ihre Lippen aufeinander und stand auf. Die Decke ließ sie im Gegensatz zu dem Sänger achtlos auf den Boden fallen und ging, so wie Gott sie schuf, zum anderen Ende des Zimmers um ihre Sachen einzusammeln. Nachdem sie sich schweigend angezogen hatte, schenkte sie ihm noch einen giftigen Blick, ehe sie bedrohlich beim Rausgehen flüsterte: „Aber komm nicht bei mir an, wenn du mich wieder haben willst.“ Sie knallte wütend die Tür ins Schloss, worauf sich Campino stöhnend an die Stirn fasste und sich erleichtert, aber auch erschöpft auf sein Bett setzte. Er war müde, keine Frage, seine Augen brannten und das Pochen seines Kopfes verschlimmerte es nur. Deswegen ließ er sich sanft in seine Kissen zurück gleiten. Sofort schlug ihm ihr Duft entgegen und er nahm sich vor, sobald es ihm besser ging, die Bettwäsche zu wechseln, doch bevor der Gedanke zu Ende gedacht war, schlief er wieder ein. Der erst ruhige und scheinbar so nötige Schlaf wandelte sich schnell in einen verwirrendes Spiel aus Bildern der Vergangenheit unterlegt von seiner eigenen Musik, welche ungewohnt verzerrt und düster klang. Doch zwischen all den schwarzen und unscharfen Bildern sah er plötzlich sie, Amelie. Sie stand an ihrer gemeinsamen Haustüre, beobachtete stumm wie er selbst die Blondine ins Haus führte, während sie mit einem, scheinbar seinem, Kind an der Hand nur traurig den Kopf schütteln konnte. Entsetzt fuhr der Sänger hoch und riss die Augen auf, während er sich erschrocken umdrehte. Keuchend registrierte er, dass er nur ein Traum gewesen sein musste, denn Amelie konnte nicht hier sein und außerdem war sie niemals von ihm schwanger gewesen. Dass zeitgleich das Telefon klingelte, vernahm er erst Sekunden später. Wahrscheinlich war jenes auch der Grund für seinen unruhigen Schlaf gewesen, dachte er sich missmutig und war deswegen erst gar nicht gewillt den Hörer abzunehmen. Stattdessen stand er zum zweiten Mal an diesem Tag auf, die Decke achtlos auf dem großen Doppelbett liegend, und schlürfte zu seinem geliebten Badezimmer, wo er sich als erstes zwei Aspirin gönnte, ehe er eine heiße Badewanne einließ. Warmes Wasser würde seinen Kater schon verscheuchen, war doch allgemein bekannt, dass diese Tiere wasserscheu waren. Während die klare Flüssigkeit lautstark von dem weißen Porzellangefäß aufgefangen wurde, prüfte der Sänger mit zwei Fingern die Temperatur, bevor er sich langsam und gemächlich, dabei auf seinen Kopf achtend, dazu begab. Sofort umfing ihn die wohlige Wärme, sodass er sich seufzend zurücklehnte und den Umstand einfach genoss. Alle Sorgen und Probleme wurden dabei kategorisch verdrängt, nur das Hier und Jetzt zählte – Mehr nicht. Dennoch war es kaum unvermeidlich, dass seine Gedanken wieder zur letzten Nacht abdrifteten. Er erinnerte sich kaum an etwas und das, was ihm in den Sinn kam, machte sein Bild nicht komplett. Aber was sollte auch schon gestern passiert sein? Er hatte sie angesprochen, sie ging darauf ein und kurze Zeit später waren sie bei ihm und genau dieser Punkte hatte ihn zuerst stutzen lassen. Jahrelang hatte er keine Frau mehr mit zu sich nach Hause genommen. Immerhin hätte diese leicht seine Adresse verraten können und dann wäre die Hölle los. Tag und Nacht würden kleine und auch große Mädchen vor seiner Tür stehen und ihn um ein Autogramm bitte, ihm solange auf die Nerven gehen bis er beinahe gezwungen war umzuziehen, doch das wollte er auf keinem Fall. Immerhin lebten ihr seine besten Freunde, hier hatten sie ihren Proberaum und das schon seit Jahrzehnten. Plötzlich zuckte er zusammen. Der Proberaum. Sie waren heute verabredet. Kuddel wollte neue Demos vorspielen und er selbst hatte vorgeschlagen, neue Songideen zu sammeln. Hastig stieg er aus der Wanne. Drehte den Hahn beinahe zeitgleich ab und zog den Stöpsel. Dass er ihm dabei die Wassertropfen von seiner Haut rannen und auf den Fußboden tropften, störte ihn in diesem Moment nicht, denn viel zu sehr war ihm bewusst, dass er wieder einmal einen Fehler begangen hatte. Wütend auf sich selbst und noch immer von Kopfschmerzen geplagt, trocknete er sich ab und ging in sein Schlafzimmer, um frische Klamotten herauszuholen. In völliger Eile verfing er sich in seiner Jeans und stolperte ungeschickt gegen seinen Türrahmen, sodass er laut fluchend die Hose viel zu langsam anbekam. Ein einfaches Shirt sowie ein Paar Socken mussten reichen, um das Outfit komplett zu machen. Während er einen Blick in den Spiegel wagte, rieb er sich die schmerzende Stelle am Oberarm, wo sich bestimmt nach einiger Zeit ein blauer Fleck abzeichnen würde. Doch war er viel zu abgelenkt von dem jämmerlichen Bild, welches sich ihm bot. Seine Haare waren ungewaschen, sogar leicht fettig und unter den Augen traten leicht die ersten Ränder hervor, während die Wangen von einem leichten Ansatz seines Bartwuchses bedeckt waren. Drei Tage Bärte sollten ja schick sein, aber er empfand sich damit noch stärker in die Rolle eines alterten und unbegehrenswerten Mannes versetzt, den er nie zu werden glaubte. Doch dieses Spiegelbild zeigte ihm eine andere Wahrheit. Gehetzt rannte er in sein Wohnzimmer, wo er einen kurzen Blick auf das Telefon warf und dort die Handynummer von Breit erkannte. Jener war es also, der angerufen hatte, schoss es ihm durch den Kopf, obgleich diese Tatsache es natürlich nicht besser machte. Mit einem letzten Griff zur Jacke sprintete er schließlich aus seinem Haus zum Wagen, beinahe so, wie tags zuvor. Der Weg zum Proberaum war wirklich nicht weit, dennoch versuchte er die Zeit zu nutzen, um ein paar Songideen zu sammeln, aber so: unter Druck und in völliger Hast, fiel ihm natürlich nichts Sinnvolles ein, was ihn wieder dazu brachte, an der nächsten Ampel wütend auf sein Lenkrad zu hauen. „Verdammte Scheiße“, fluchte er lautstark und blickte dabei angespannt auf die rote Ampel. An diesem Tag sollte nach langer Pause gerade einmal die zweite Bandprobe stattfinden und erlaubte sich solch Divenbenehmen, indem er zu spät und dann noch vor allem unvorbereitet kam. Er hasste sich in diesem Moment dafür. War doch die Band das einzige, was er noch hatte und dennoch schien sie ihm schon wieder zu entgleiten. Dass er der Auslöser für die längere Pause davor war, machte den Gesamtzustand nicht besser. Im Gegenteil, alles erinnerte ihn an damals. An die Zeit, wo er zu spät kam, extrem launisch war und jeden Abend feierte, nur im seine Probleme mit seiner Freundin zu vergessen, doch dabei vergaß er auch die Band bis die Jungs ihm ein Limit setzten. Einen gewissen Zeitraum, in dem er sich wieder zu fangen hatte. Einen Zeitraum, in dem sie auch getrennte Wege gingen und jetzt nach gerade mal einem Tag schien alles so zu sein, wie zuvor. Dabei wollte er doch genau das verhindern. Wütend drückte er das Gaspedal durch, als die Ampel umschaltete, fuhr noch einmal um eine Kurve und parkte schließlich vor dem Proberaum. Wie viel er zu spät war, wusste er gar nicht, doch das Alltagsgrau des Himmels ließ ihn auf zwei oder sogar schon um drei Uhr nachmittags schließen. Die letzten Meter rannte er noch einmal, bevor er völlig außer Atem die Türe öffnete. Zuerst schien ihn keiner bemerkt zu haben, doch dann wandten sich die vier Bandkollegen um und Campino konnte in den Augen, den Gestiken von jedem Einzelnen ablesen, dass sie einerseits sauer, aber andererseits auch enttäuscht waren. Kapitel 6: Gedanken und Entschlüsse ----------------------------------- Er schluckte trocken, als er leise die Türe hinter sich schloss und vollends in den Raum trat. Die Spannung, die zwischen ihm und seinen Bandkollegen lag, konnte er förmlich spüren und fühlte sich von ihr zurückgedrängt, dennoch kämpfte er dagegen an und ging mit hängenden Schultern vorwärts. Das schlechte Gewissen nagte in ihm und nahm ihm nicht nur seine Stimme, sondern auch die passenden Worte. Campino wusste, dass er sich schon zu oft entschuldigt hatte, dass sie, seine Freunde, zu oft seinetwegen auf etwas warten oder sogar verzichten mussten. Er wusste es und dennoch brachte er sie immer und immer wieder in so eine Situation. Er war ein Egoist – eindeutig und so jemand hatte in einer Band, einer Gemeinschaft, in einem Team nichts verloren. „Jungs“, begann er schließlich, brach aber ab, um sich zu räuspern. Seine Kehle fühlte sich ausgetrocknet an, selbst hastiges Schlucken nahm nichts von diesem unangenehmen Gefühl. Kam jenes doch auch aus seinem Bauch und nährte sich von seinem schlechten Gewissen. „Ich … also es …“ „Es tut dir leid“, fiel ihm Andi ins Wort und schaute ihn ausdruckslos an, „So wie jedes Mal.“ Mit gesenktem Kopf begann jener nachdenklich mit dem Daumen über seine Basssaiten zu streichen, ehe er seufzte, den Kopf wieder hob und ihn direkt in die Augen schaute. „Also, dann könnten wir doch jetzt endlich anfangen, oder?“, fragte er nur, doch Campino konnte viel mehr in den ihn so vertrauten Augen seines langjährigen Freundes lesen. Es war keine Enttäuschung, die er da las, viel mehr zeigten sie ihm, dass Andi gar nichts anders erwartet hatte und das war für ihn in diesem Augenblick viel schlimmer. Denn er wollte sich doch ändern, wollte wieder der verlässliche Freund sein, der er einmal gewesen war, derjenige, dem die Musik und seine Freunde alles bedeutete, aber Veränderung war noch nie leicht gewesen – das musste auch Campino einsehen. „Ja klar, können wir anfangen“, sagte er darauf kleinlaut und blickte gen Boden. Er hörte, wie die anderen wieder auf ihre Position gingen und wie der Lautstärkeregler der Gitarre aufgedreht wurden, denn ein leises Brummen erfüllte nur den Raum. „Bist du denn eingesungen?“, fragte Breiti plötzlich, worauf Campino dankbar den Kopf hob und meinte, dass es schon gehen würde. Er war froh, dass die Jungs, trotz ihrer begründetet Verstimmung, ihn nicht schnitten. Denn auch wenn es kitschig klang, sie waren doch das einzige, was er noch hatte. Diese vier Jungs waren seine Familie – und er hatte sie wieder einmal mit Füßen getreten. Erst die bekannten Töne von „Hier kommt Alex“ rissen ihn aus seinen Gedanken und spornten ihn zu neuer Konzentration an. Er wusste, dass er jetzt alles geben musste, um die Jungs zufrieden zu stellen. Gewohnt schloss er seine kalten Hände um das Mikrofon, ehe er langsam seine Augen zu machte und sich von den Tönen leiten ließ. Natürlich kannte er das Lied in und auswendig, aber genau dies lässt einen unachtsam werden. Wenn man denkt, dass man alles kennt, dann sieht man nicht mehr die Schönheit hinter den Worten, geschweige denn die Gefühle zwischen den Zeilen. Wenn der Sänger also nicht mehr eins mit dem Text und der Musik war, wie sollte er sie dann an die Zuhörer transportieren? Auch wenn seine Band schon jahrelang im Geschäft war und sie loyale Fans hatten, die mit ihnen durch dick und dünn gingen, war er es doch auch ihnen schuldig, die alten Stücke zu lieben genauso wie sie es taten und endlich dabei wieder etwas zu fühlen. Immer noch mit geschlossenen Augen sah er die Bilder vom damaligen Videodreh vor sich aufsteigen. Jung waren sie damals. Jung und vor allem neugierig auf die Welt, immer gemeinsam mit dem Kopf durch die Wand, einzig und allein für sich verantwortlich. Doch die Zeit hatte sie verändert. Jetzt trugen sie die Verantwortung nicht nur für sich, sondern in ihrer Vorbildfunktion, welche mit steigernder Popularität immer größer wurde, auch für die Fans, für ihre Familien und sogar für ihre Kinder. Kuddel, zum Beispiel, hatte einen einjährigen Sohn. Ein kleiner Mensch, der seinen Vater bedienungslos liebte und nichts erwartete – außer, dass dieser für ihn da war. Campino achtete seinen Bandkollegen dafür sehr, denn er selbst war noch nicht bereit, diese Verantwortung zu übernehmen, aber da sie in einer Band spielten und vor allem Freunde waren, teilte er sie irgendwie trotzdem. Wenn er zu spät zur Probe kam, dann kam auch Kuddel später nach Hause, weil sie gemeinsam die verlorene Zeit nacharbeiten mussten. Wenn er nach einem Konzert noch unbedingt feiern wollte und an den Gemeinschaftssinn appellierte, dann war es vor allem Kuddel, der darauf achtete, dass sie wieder den Weg in ihr Hotel zurückfanden. Und auch die anderen: Breiti, Andi und Vom hatten ihre Verantwortung zu tragen. Jeder hatte eine Verantwortung zu tragen, denn sie waren erwachsen geworden. Ein wenig verwirrt kehrte der Sänger wieder in die Realität zurück, als das Stück zu Ende war. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er die letzten Minuten völlig in Gedanken versunken war. „Alles okay?“, hörte er Kuddel besorgt fragen, worauf er ihm nur ein Lächeln schenkte und nickte. Natürlich war alles okay oder sollte er ihnen etwa sagen, dass er langsam alt und sentimental wurde? Dass er so etwas wie Verlustängste spürte und er der Grenze zur Midlife-Crisis verdammt nahe war? Campino schüttelte leicht seinen Kopf. Nein, das würde er nicht. Stattdessen würde er sich in die Arbeit stürzen und zwar genauso wie er sich vorgenommen hatte und damit all den negativen Gedanken gar keinen Raum geben, um sich zu entfalten. „Was ist denn der nächste Song?“, fragte Campino schließlich motiviert und schaute erwartungsvoll in die Runde. „Liebeslied“, antwortete Breiti und musterte den Sänger skeptisch. Denn ihm waren weder Campinos geistige Abwesenheit, noch seine Stimmungswechsel entgangen. Er wusste nur noch nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Auch dass der Ältere an diesem Tag ein wenig fertig aussah, hatte er gleich am Anfang registriert. Es fehlte nur noch das Bindeglied in der Kette, um den Zusammenhang zu verstehen. Aber er nahm sich vor, den Sänger im Auge zu behalten. Jener begann gerade die ersten Worte zu singen und wirkte viel gefasster als noch zum Beginn der Probe und genauso konzentriert blieb er bis zum Ende hin. „Das war gar nicht schlecht“, sagte Andi glücklich und stellte seinen Bass auf den Boden. Auch Kuddel und Breiti legten ihre Gitarren zur Seite und setzten sich zu Vom und Campino, um eine Pause zu machen. Der frühe Nachmittag war hereingebrochen und auch Musiker mussten etwas essen. Deswegen bestellten sie, wie immer in den eigentlich straf geplanten Probephasen, sich etwas von einem nahegelegenen Lieferservice. „Hast du eigentlich schon etwas geschrieben?“, fragte Kuddel mit vollem Mund, nachdem das Essen endlich gebracht wurde. Interessiert horchten die anderen auf. „Nee“, Campino schüttelte den Kopf und legte die Gabel nieder, „Aber ich hab mir schon ein paar Gedanken gemacht und warte jetzt gespannt auf deine Demos. Mit denen wollte ich mich dann heute noch hinsetzen und mal schauen, ob mir dazu etwas einfällt. Aber wie gesagt, an Ideen mangelt es nicht.“ „Ah, der Herr ist jetzt vom Tatendrang gepackt oder was?“, Kuddel lachte und schaute den anderen fragend an, doch der Sänger lächelte nur zurück und nickte leicht. Ja, er würde jetzt alles geben, um die Band wieder vorwärts zu bringen. Er würde nie wieder der Grund sein, dass sie nicht das machen konnten, was sie geplant hatten. Er würde sich ändern. Wieder einmal. Kapitel 7: Veränderung ---------------------- Konnte ein Mensch sich wirklich ändern? War nicht jeder Versuch in eine andere, neue Richtung letztendlich nur das Drehen im Kreis? Wenn man so war, wie man war und dabei nicht zufrieden war, dann war die erste Reaktion eine Drehung um 180 Grad - ein Halbkreis. Doch wie lange konnte man gegen seine eigene, naturgegebene Linie schwimmen? Wie lange dauerte es, bis man wieder in seine alten Muster zurückfallen und der Halbkreis wieder geschlossen würde? Wie lange es dauerte, hing von jedem selbst ab. Das es passieren würde, war aber sicher. Campino kannte dieses Drehen im Kreis nur zu gut und dennoch versuchte er erneut aus jenem auszubrechen oder einfach eine andere Richtung einzuschlagen. Konzentriert saß er im schwachen Schein seiner Schreibtischlampe. Die schwarze Uhr im Schatten des Lichts zeigte kurz vor halb drei Uhr morgens und noch immer trieb der Sekundenzeiger die Zeit voran. Die Stirn nachdenklich in Falten gelegt und das Kinn auf seine linke Hand gestützt, während die rechte einen roten Kugelschreiber hielt, welcher im Takt der laufenden Musik auf den Tisch getippt wurde, saß er vor seinem mahagonifarbenden Schreibtisch. Seit Stunden hörte der Sänger nun schon die Demos von Kuddel und bemerkte dabei nicht, wie die Nacht über ihn hereingebrochen war. Erst als strömender Regen fordernd gegen seine Fensterscheibe klopfte, schaute er verwundert auf und blickte in die rabenschwarze Nacht. Einen Moment versank er in den dunkelblauen, fast formlosen Wolken, welche stumm die schweren Regentropfen transportierten und immer wieder den blassen und unscharf wirkenden Mond am Horizont verdeckten. Gähnend streckte er sich und stand auf, wobei der Stuhl unnatürlich laut über den Boden schabte, ehe er mit hängenden Schultern und schweren Schritten zu seinem Fenster ging. Unbewusst verschränkte er die Arme vor seiner Brust und schaute auf die leere Straße, wo im orangen Licht der Straßenlaternen die feinen Regentropfen sichtbar wurden. Im Hintergrund liefen die letzten Sekunden der Gitarrendemonstration, abgemischt mit einem durchgehenden Schlagzeug im einfachen Viervierteltakt, ehe mit einem hörbaren Klicken das Band zu Ende war und eine drückende Stille sich im Raum ausbreitete. Seufzend fuhr sich Campino durch die Haare und schloss für einen Moment die Augen. Er war müde, aber dennoch verspürte er gleichzeitig diesen inneren Drang noch etwas zu schaffen. Irgendetwas, das er am nächsten Morgen seinen Freunden vorzeigen könnte. Irgendetwas als Bescheinigung dafür, dass er sich geändert hatte. Langsam öffnete er seine braunen Augen und ging wieder zu seinem Kassettenrecorder. Warum Kuddel seine Demos auch immer noch auf Band aufnehmen musste? Leicht lächelnd drehte er das Band um, drückte den Play-Knopf und ließ die Kassette wieder von vorne beginnen. Ein einfacher, von einer abgedämpften Gitarre gespielter Rhythmus erfüllte den Raum. Man könnte die Art der Spielweise beinahe als minimalistisch bezeichnen und dennoch war sie stark genug, um ihn in seinen Bann zu ziehen und wortlose Bilder vor seinem geistigen Auge zu beschwören. Auf der leeren Straße konnte er plötzlich eine Person erkennen. Eine weibliche Person mit schulterlangen dunkelbraunen Haaren, unendlich tiefwirkende Augen und schmalen, aber wunderschon geformten roten Lippen. Unsicher wirkend stand sie im fahlen Licht der Straßenlaterne. Die Hände in den langen, braunen Ärmeln ihrer Jacke versteckt und die schmalen Beine mit einer schwarzen Röhrenjeans bedeckt, wartete sie am frühen Abend auf ihre Begleitung. Immer wieder blies der unerbittliche Wind ihr die Haare ins Gesicht, welche nun verspielt in ihr Gesicht hingen. Sie kämpfte gerade mit einer störrischen Strähne und versuchte die leichten Locken wieder in ihre Form zu bekommen, als etwas ihre Aufmerksamkeit erregte und sie lieblich lächelnd, ihre bis eben noch gehobene Hand sinken ließ und nach vorne schaute. Ein junger Mann in legerer Kleidung trat auf sie zu, legte seine, im Vergleich zu ihr, großwirkenden Hände auf ihre Hüften und küsste sie vertrauensvoll. Ihre Lippen waren so sanft und weich und der leichte Geschmack von Erdbeeren ließ ihn beinahe verrückt werden. Er liebte sie. „Amelie“, hauchte Campino mit rauer Stimme, als ihm bewusst wurde, welche Szene er gerade vor sich gesehen hatte. Es war eines der ersten Treffen mit ihr gewesen und obwohl es schon so lange her war, erinnerte er sich noch an jedes Detail. Und jedes Detail tat in seinem Herzen weh, denn er wusste, dass er sie verloren hatte. „Scheiße“, zischte der Sänger und schlug verzweifelt mit der geschlossenen Faust auf das kalte Fensterbrett, ehe er sich umdrehte und sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ. Wie konnte etwas Vergangenes nur so schmerzen? Wie konnte sie noch immer so präsent in seinem Kopf sein, wenn er doch nur akzeptieren müsste, dass sie ihn verlassen hatte? „Nur“, seufzte Campino und vergrub seine Finger in seinen Haaren, den Blick auf das leere Papier vor sich gerichtet. Sekunden verstrichen unbemerkt, in denen er einfach nur so dasaß, doch dann nahm er den Kugelschreiber wieder in seine Hand und begann die ersten Worte auf das Papier zu schreiben: „Es ist mitten in der Nacht und ich schlafe nicht, weil ich dir tausend Gedanken schick, und ich dich immer mehr vermiss.“ * Unsicher hielt er inne und las noch einmal die Worte, deren Ehrlichkeit selbst ihn überraschte, obwohl es doch nur die Gefühle waren, die er täglich in seinem Herzen trug. Dennoch wirkten sie niedergeschrieben beinahe noch stärker und bedrohlicher. Immerhin war die Wahrheit nun unausweichlich in Form gebracht und somit für jeden erkennbar - Er vermisste sie und er liebte sie. Traurig setzte er den Stift erneut an und begann im Schutz der Dunkelheit den Text zu Ende zu führen. Zeile um Zeile schriebe sich beinahe wie ein Tagebucheintrag. Frei von Zwängen und nur geführt von den wahren Gefühlen, bis der Stift kraftlos aus der mittlerweile zitternden Hand auf den Tisch fiel und eine einsame Träne das Blatt benetzte. Was kann man tun, wenn das Herz brennt, wenn außer Asche von der Liebe nichts mehr übrig ist? Man kann nichts tun... _______________________________________________________________ *Songtext: Die Toten Hosen - Herz brennt Kapitel 8: Einen Schritt vorwärts… ---------------------------------- Als Campino erwachte, musste er zu seiner Verwunderung feststellen, dass er immer noch an seinem Schreibtisch saß. Stöhnend griff er sich in den Rücken, als er sich behutsam aufsetzte. Dennoch ließ ihn der Schmerz kurz zusammenzucken, ehe er sich gähnend mit der Hand über die müden und brennenden Augen strich. Kraftlos und ein wenig verwirrt lehnte er sich zurück, wobei die Augen langsam über die beschriebenen Blätter auf dem Tisch glitten und die Unordnung vernahmen. Ein diebisches Lächeln schlich sich auf seine schmalen Lippen. Er hatte es geschafft. Der erste Song war fertig. Zufrieden nahm er das Stück Papier in seine Hand und begann noch einmal Zeile für Zeile zu lesen und auch wenn er, selbst in diesem stillen Moment, eine unangenehme Enge in seinem Herzen spürte, war er sich sicher, dass dieser Song genau das war, was er gebraucht hatte. Es war eine schriftliche Form der Ehrlichkeit, aber auch der Verletzlichkeit gebannt mit schwarzer Tinte auf weißem Papier, ein unwiderrufliches Zeichen der Veränderung. Lächelnd legte Campino das Papier wieder auf den Tisch und stand langsam auf, wobei die Holzbeine seines Stuhles leise über den Boden schabten. Zuerst ging er zu seinem Fenster, auf welches sich von den Morgenstrahlen erhelltem Glas sich die Spuren des letzten Regengusses abzeichneten und die klare Sicht trübten, doch mit wenigen Handgriffen öffnete er es und ließ die herrlich frische Luft einströmen. Mehrmals atmete er tief durch, ehe er sich umdrehte und den Raum verließ. Das wunderbare Gefühl freudiger Erwartung machte sich in ihm breit, als er sich duschte, anzog und ein leichtes Frühstück genoss. Ein kurzer Blick auf die schwarz umrandete Küchenuhr bestätigte ihn noch einmal in dem Gefühl an diesem Tag alles richtig zu machen, denn noch hatte er eine halbe Stunde Zeit, ehe er losgehen musste. Genießerisch schmierte sich der Sänger noch ein zweites Brötchen, lehnte sich zurück und schaute kauend aus dem Fenster. Es war ein grauer Morgen, denn noch immer lagen einige Regenwolken über Düsseldorf und ließen der Sonne somit keinen Platz sich zu entfalten. Schade eigentlich, dachte Campino, die Sonne hätte diesen Morgen perfekt gemacht. Nachdem das Frühstück beendet war und selbst die Küche wieder im alten Glanz erstrahlte, machte er sich auf den Weg in den Proberaum. Das Autoradio grölte während der Fahrt und auch Campino ließ es sich nicht nehmen, den einen oder anderen Song mitzusingen. In diesem Moment war es ein herrliches Gefühl der Lebendigkeit, das ihn durchströmte. Nach einer entspannten Fahrt kam Campino schließlich an ihrem Proberaum an. Zu seiner Freude sah er noch kein einziges Auto der anderen Bandmitglieder stehen, sodass er beruhigt davon ausgehen konnte, dass er an diesem Tag tatsächlich der Erste war. Grinsend betrat er den Raum, wobei er sofort die stickige Luft vernahm und deswegen ein Fenster öffnete. Angenehm kühle Luft strömte ihm entgegen und vertrieb den teil schlechten Geruch, der dort herrschte. Er selbst setzte sich ungeduldig auf einen der Verstärker und begann zu warten. Schon nach wenigen Sekunden trommelte er nervös mit den Fingern auf dem harten Gehäuse und stellte in Frage, ob es wirklich eine so gute Idee war, überpünktlich zu kommen. Denn was hatte er davon? Er musste nun warten und das erste Mal seit langer Zeit konnte er sich vorstellen, wie es für seine Freunde war, immer auf ihn zu warten. Kein schönes Gefühl, wie er feststellte. Leise seufzend stand der unruhige Sänger wieder auf und schloss das Fenster, als er das verräterische Knarren der alten Türe hörte. Grinsend drehte er sich um und blickte in die überraschten Augen von Kuddel. „Ach nee, du bist ja schon da“, stellte dieser verwundert fest und begrüßte Campino herzlich, „Was hat dich so früh aus dem Bett getrieben? – Oder warst du da erst gar nicht?“ Lachend schüttelte der Sänger seinen Kopf. „Was denkst du eigentlich von mir? Klar war ich im Bett. Ich wollte heute nur einfach mal pünktlich sein. Aber da du schon mal da bist …“, Campino eilte zu seinem Rucksack und nahm das beschriebene Blatt heraus; „Ich würde gern mal wissen, was du davon hältst.“ Unsicher reichte er das Papier dem Gitarristen, welcher kurz in die braunen Augen blickte und verstand. „Du hast tatsächlich nen neuen Song geschrieben“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu dem anderen und sah somit das bestätigende Nicken nicht mehr, da seine Augen flink über die Zeilen glitten. Campino beobachtet, wie Kuddel seine Augenbrauen langsam zusammen zieht, die Stirn runzelt und das Blatt schließlich ein wenig sinken lässt. „Das ist wirklich gut. An welches Demo hast du dabei gedacht?“ „An das mit der ruhigen, gleichmäßigen Gitarre.“ Wieder nickte der Blonde nur und schaute noch einmal auf die Zeilen. Dieses Mal konnte Campino richtig sehen, wie es in dem Gesicht des anderen arbeitete. „Du willst wissen, ob ich beim Schreiben an jemanden bestimmtes gedacht habe, nicht wahr?“ „Ja schon, irgendwie“, verschmitzt lächelnd schaute er in Campinos Gesicht, „Also hast du?“ Der Sänger nickte leicht, setzte sich auf einen der Verstärker und deutete seinem Freund an, ihm es gleichzutun. „Weißt du“, begann er und atmete tief durch. Ihm fiel es nicht leicht, einen Teil seiner Gefühlswelt offen zu legen, aber die Erinnerung an sein eigenes Versprechen sich endlich zu ändern, bestärkte ihn in seinem Vorhaben und er fuhr unsicher in seinen Worten fort „Amelie und ich, wir haben uns getrennt.“ Überrascht schaute ihn Kuddel an, doch bevor er etwas sagen konnte, hob der Größere die Hand und winkte ab. „Ist schon ne Weile her, aber darüber reden möchte ich im Moment noch nicht. Außerdem denke, ich, hat der Text schon mehr preisgegeben, als ich es wollte.“ Schief lächelnd blickte er nun zu dem Gitarristen, welcher langsam nickte. „Das tut mir wirklich leid für euch – halt besonders für dich. Wie lange seid ihr denn nicht mehr zusammen?“ „Drei Wochen.“ „Also habt ihr euch getrennt, während die Band auch gerade Pause gemacht hatte und anstatt mit jemanden darüber zu reden, frisst du alles in dich hinein – und das schon seit Wochen. Mensch, Campino, du hättest doch mit uns reden können“, brachte es Kuddel auf den Punkt, worauf der Sänger überrascht zu dem mittlerweile stehenden Blonden aufblickte. „Wie meinst du denn das jetzt?“ „Wie ich das meine?“, der Kleinere schüttelte ungläubig den Kopf, „Denkst du nicht, dass wir nicht bemerkt hätten, wie scheiße es dir vom ersten Tag, seit wir wieder Proben, geht? Wir haben uns teilweise echt den Kopf zerbrochen, aber der Herr Frege hüllte sich mal wieder in Schweigen.“ „Na das ist ja wohl auch mein Recht. Ich muss euch ja nicht alles erzählen!“ „Natürlich musst du das nicht, aber wir sind nun mal deine Freunde und machen uns Sorgen. Campi, ich will dir hier doch keine Vorwürfe machen. Ich würde nur gerne wissen, warum du nicht mit wenigstens einem von uns reden wolltest?“ Schweigend starrte der Sänger auf seine Schuhe und zuckte mit den Schultern. „Naja, ich dachte halt, dass … du, ihr, halt … Ach, scheiße! Vergiss es. Okay?“ „Alter, du dachtest doch wohl nicht etwa, dass du, nur weil wir musikalisch ne Pause machen, keinen von uns mal anrufen könntest? Sag mal, sonst ist alles da oben noch in Ordnung, ja?“, provozierend tippte der Gitarrist mit seinem Zeigefinger gegen Campinos Stirn, welcher unter leisem Gemurmel schließlich den Kopf wegdrehte, aufstand und sich zum Fenster stellte. Von dort hörte er Kuddel seufzen und nach ein paar Sekunden vernahm er die Präsenz des Anderen neben sich. „Entschuldigung, ich wollte dich nicht so anfahren“, sagte Kuddel und strich sich durch die blonden Haare, ehe er selbst kurz aus dem Fenster schaute. Die Straßen vor dem Proberaum waren noch immer leer und grau. Vereinzelt wirbelten Blätter über den rauen Asphalt und tanzten ungehindert durch die Gassen. „Du hast ja Recht“, sagte Campino und atmete tief durch, „Ich hätte vielleicht mit jemanden reden sollen, aber ehrlich gesagt, ich wollte es einfach nicht wahrhaben, dass es aus ist. Ich hab sie doch wirklich … geliebt.“ Das letzte Wort war kaum zu hören, einem Flüstern gleich und genau dies bescherte dem Musiker eine Gänsehaut. Tröstlich klopfte er dem anderen auf die Schulter. Er hätte gern etwas gesagt, um ihn zu trösten, doch jeder Satz wäre einer billigen Phrase gleich, die den Schmerz nur verstärken, statt lindern würde und so stand er einfach neben ihn. So nahe, dass sich ihre Arme leicht berührten und jeder die Wärme des anderen spüren konnte. Manchmal waren Worte einfach überflüssig. Kapitel 9: ... und zwei zurück ------------------------------ Kuddel und Campino kamen stillschweigend zu der Einigung, dass sie die Trennung den anderen nicht mitteilen würden. Campino, weil er es nicht noch einmal konnte und Kuddel, weil er längst gemerkt hatte, wie stark das Thema den Sänger belastete. Dennoch nahm er sich vor, seinen Freund im Auge zu behalten. „Was wirst du den anderen sagen, wenn sie fragen, ob der Text eine Bedeutung hat?“, durchbrach der Gitarrist schließlich die Stille und blickte in das ausdruckslose Gesicht von Campino, welcher noch immer aus dem Fenster starrte. Ein kurzes Schulterzucken war die erste Antwort, gefolgt von einem tiefen Seufzen. „Sie werden nicht fragen“, winkte er eilig ab und drehte sich mit dem ganzen Körper zu Kuddel. „Wer wird was nicht fragen?“ Breitis Stimme ließ den Sänger zusammenzucken und auch der Blonde drehte sich überrascht um. „Wie wäre es erst einmal mit 'Guten Morgen'?“, fauchte ihn Campino an. Perplex suchte der zweite Gitarrist den Blick von Kuddel. Man sah ihm eindeutig an, dass er nicht verstand, warum der Sänger so schlecht gelaunt war, doch Kuddel schüttelte leicht seinen Kopf, wobei seine Augen deutlich sagten: „Es ist okay, lass ihn.“ Zwar zog Breiti skeptisch seine Augenbrauen zusammen, doch er sagte nichts weiter, wofür der Blonde ihm lächelnd dankte. Wenigen Sekunden später gesellte sich auch der Rest der Band dazu und die Probe konnte beginnen. Sie spielten sich erst mit einigen alten Songs ein, ehe der Sänger sich leise räusperte und sprach: „Ich hab nen neuen Text geschrieben – wie versprochen. Die anderen folgen die Tage“, er grinste spitzbübisch und schaute in die Runde. „Wow, dann lass mal hören“, sagte Andi erwartungsvoll. Campino nickte Kuddel zu, welcher als einziger sein Instrument noch nicht abgelegt hatte und wartete, dass dieser den mittlerweile bekannten Rhythmus spielte. Augenblicklich erfüllte sich die Luft mit den abgedämpften Klängen der E-Gitarre, gefolgt von der ungewohnt weichen Stimme des Sängers. Die anderen verfolgten schweigend das gebotene Schauspiel und ließen sich von den Text davon. Jeder spürte, wie sich eine Gänsehaut über seinen Körper ausbreitete und obwohl die Melodie noch nicht perfekt war, waren sich alle einig, dass es ein wunderschönes Lied war. „Das ist wirklich, wirklich gut“, sagte Breiti als erster und lächelte Campino zu. „Danke“, ein wenig beschämt strich er sich über die gefärbten Haare. Nach all den Jahren war es noch immer ein komisches Gefühl, einen Text zu präsentieren und die Reaktionen darauf sofort zu spüren. „Wie ist dir der Text eingefallen?“, meldete sich nun auch Andi wieder zu Wort und schaute gespannt zu ihrem Sänger auf. „Naja“, druckste dieser ein wenig herum, „Ich ... es kennt doch jeder das Gefühl des Verlassenwerdens und da dachte ich mir, schreibste mal ein Lied dazu. Außerdem passte es so schön zu Kuddels Gitarrendemo.“ Er grinste unsicher und blickte zu dem blonden Gitarristen, der von den anderen unbemerkt Campino zunickte und ihn damit ein wenig bestärkte. Es war zwar nicht die ganze Wahrheit, was der Sänger gesagt hatte, aber eine Lüge auch nicht. Es war eher eine Teilwahrheit, die im Moment doch ausreichend war. Kuddel jedenfalls konnte das Verhalten des Sängers sehr gut nachvollziehen. Wenn er sich vorstellte, dass seine Frau ihn verlassen würde – ein eiskalter Schauer durchzog seinen Körper. Den restlichen Tag verbrachten die Fünf mit der Arbeit an dem neuen Song bis die Melodielinie schließlich stand und sie zufrieden die Probe beendeten. „Das war ein guter Tag“, sagte Breiti und zog sich seine Jacke an. „Oh yes, a fantastic day“, warf Vom ironisch ein, „We have a new song without drums.“ Campino lachte und schlug dem Kleinsten freundschaftlich auf die Schulter. „It is only for your health – think about it!. You can have a break during the show.“ Andi lachte und führte das Spiel fort: „So you can go to the toilett or eat something...“ „Or you read a book.“ Campino und Andi lachten herzhaft, worauf auch Vom nicht umhinkam zu lächeln. „You are gormless“, seufzte er und verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung von allen, ehe sich die Truppen langsam auflöste und jeder sich auf den Heimweg machte. Selbst Campino saß schließlich mit einem Grinsen in seinem Auto. Das Hochgefühl, welches er verspürte, belebte seinen Köper, ließ ihn strahlen und den eintretenden Abend genießen. Zufrieden parkte er letztendlich vor seinem Haus, nahm seinen Rucksack und schloss die Tür auf. Doch schon als er eintrat, verspürte er die Veränderung in seinem Körper. Das bestehende Hochgefühl verflog und zurück blieb nichts als lähmende Leere. Es war halt ein Scheißgefühl, wenn man nach Hause kam und niemand einen erwartete, wenn man genauso gut hätte wegbleiben können und wenn man das, was man erlebt hatte nicht mit Menschen, die man liebte, teilen konnte. Campino zögerte kurz, als er immer noch in Jacke und Schuhen im Türrahmen stand und in sein Wohnzimmer schaute, ehe er den Rucksack auf die Couch warf, sich umdrehte und mit einem lauten Knall die Tür ins Schloss fallen ließ. Er wollte jetzt nicht alleine sein. Er wollte dieses wunderbare Hochgefühl behalten und deswegen hatte er sich spontan entschlossen, in die nah gelegende Bar zu gehen. Die Dämmerung war mittlerweile so weit fortgeschritten, dass nichts mehr an den angenehmen Tag erinnerte, sondern sich nur noch die schwarze Nacht zeigte. Immer wieder umgarnte eine eisige Brise den Sänger, welcher sich eilig in die Bar flüchtete. In dem kleinen Schuppen am Rande der Stadt herrschte schon reges Treiben und so sah sich Campino plötzlich inmitten eines verrauchten, lauten und vor allem warmen Raumes stehen. Kurz ließ er seinen Blick über die Anwesenden streifen, ehe er sich einen leeren Tisch in der hintersten Ecke suchte und sich dort niederließ. Gerade hatte er seine Jacke auf den Stuhl neben sich gelegt, als die Bedienung auf ihn zu kam. „Was darf es sein?“, fragte sie und schenkte ihm eine bezauberndes Lächeln. „Ein Bier, bitte. Aber ein großes.“ Sie nickte und verschwand für einen kurzen Augenblick, bevor sie den gewünschten Gerstensaft brachte. „Sonst noch etwas?“ „Nein, jetzt erst einmal nicht“, antwortete er verschmitzt und nahm einen tiefen Zug aus dem Glas. Sofort rann das kalte Bier seine Kehle hinab und belebte seinen müden Geist wieder. Minuten verbrachte er damit, einfach nur zu sitzen, zu trinken und zu schauen, als er plötzlich jemanden entdeckte, der ihn mit eiskalten Augen fixierte. Doch Campino ließ sich davon nicht beeindrucken, nahm stattdessen sein Bierglas und nickte ihr grinsend zu. Er sah, wie ihre Mauer brach, sie aufstand und sich ungefragt zu ihm setzte. „Wie ich sehe, bist du wieder hier“, sagte sie und überschlug ihre langen Beine, wobei der eh schon kurze Rock ein wenig nach oben rutschte. „Ja, du aber auch.“ Schweigend leerte er sein Glas und fragte dann: „Darf ich dir ein Getränk ausgeben?“ „Ja, darfst du“, sie lächelte, „Einen Sekt, bitte.“ „Natürlich – das Getränk einer Lady.“ Campino wusste, wie man eine Frau umgarnte und wie man sie ins Bett bekam, denn etwas anderes wollte er von ihr nicht. Weder damals, noch jetzt. Nachdem der Sekt und das zweite Glas Bier an den Tisch gebracht wurden, nahmen die beiden ihre Konversation wieder auf. „Hat es dir das letzte Mal eigentlich gefallen?“, fragte sie verführerisch und beugte sich ein wenig nach vorne, sodass der Sänger einen guten Einblick in ihr tiefes Dekolletee hatte. Sein Grinsen verstärkte sich und als er seinen Blick schließlich von ihren zwei Argumenten löste und wieder in ihre Augen schaute, sagte er gelassen: „Natürlich hat es das.“ „Dafür hast du mich aber ganz schön unsanft aus deinem Bett geworfen“, erwiderte sie plötzlich kalt und lehnte sich zurück. Die Arme nun vor der Brust verschränkt. „Das lag nicht an dir. Ich hatte nur nen fürchterlichen Kater und dann war ich auch noch zu spät dran, was mir wiederum Stress auf der Arbeit gebracht hatte. - Aber heute, heute hätte ich genügend Zeit für dich, wenn du willst.“ Sie lächelte wieder und auch ihre blauen Augen, welche vorhin noch so kalt wie Eis gewirkt hatten, schienen aufzutauen. „Vielleicht hätte ich wirklich Lust.“ „Dann lass uns gehen.“ Er stand auf, reichte ihr eine seiner Hände führte sie zur Theke, wo er die Getränke bezahlte und schließlich mit ihr zu sich nach Hause ging. Während des Weges sagte keiner ein Wort, aber es war ja auch nicht geistige Verbundenheit, die sie suchten, sondern körperliche und so begannen sie sich ab und an verstohlen zu küssen. Als die beiden die Haustür erreichten, hatten sich die Küsse in stürmische Begierde verwandelt, sodass sie sich beinahe die Sachen vom Körper rissen. Atemlos und völlig erregt, dirigierte Campino die blonde Frau in sein Schlafzimmer, wo sie binnen weniger Sekunden entkleidet übereinander herfielen. Dem Sänger interessierte in diesem Moment nicht, dass sie eigentlich nicht dem Typ Frau entsprach, den er bevorzugte, dass sie für seine Verhältnisse viel zu stark geschminkt war und dass er immer noch nicht wusste, wie sie eigentlich hieß. Sein einziges Ziel bestand darin, endlich die innere Leere zu füllen. - Doch er hatte sich getäuscht. Mit offenen Augen lag er in seinem Bett und starrte an die Decke. Die Arme hatte er verkreuzt und hinter seinen Kopf gelegt, wo er nun, umgeben von der Dunkelheit, auf das erfüllende Gefühl wartete. Vergeblich. Nicht einmal die sanften Finger, welche immer wieder über seine Brust strichen, konnten etwas darin ändern. Wenn er ehrlich zu sich selber war, fühlte er sich noch schlechter, als zuvor. „Was ist los?“, hörte er sie leise fragen, „Hat es dir nicht gefallen?“ „Doch es war gut“, murmelte er ohne seinen Blick von der Decke abzuwenden. „Aber?“ „Nichts aber, es ist alles okay. Schlaf doch einfach ein wenig.“ „Hey, du brauchst mir nichts vorzumachen. Ich kenn solche Männer wie dich zur genüge.“ Skeptisch zog Campino eine Augenbraue nach oben. „Ach ja?“ „Ja, sie suchen alle die eine große Liebe, die Erfüllung ihres Lebens und wenn sie sie nicht finden können, dann suchen sie sich Ausweichmöglichkeiten, um wenigstens ihre Triebe zu stillen. Du bist nicht der erste, mein Lieber.“ Nun drehte sich auch Campino auf die Seite und schaute die Frau neben sich an. „Und dich stört es nicht, dass die Männer nur mit die schlafen – also ich meine, ohne, dass sie in dich verliebt sind?“ „Ich weiß doch, worauf ich mich einlasse und außerdem habe ich sehr gerne Sex.“ Sie räkelte sich genießerisch auf seinem Bett, wobei die Decke ein wenig nach unten rutschte und ihren blanken Busen entblößte. „Fühlst du dich da nicht manchmal wie eine ... naja .... du weißt schon?“ Ihr glockenhelles Lachen erfüllte den Raum. „Also letztes Mal hast du nicht so viel nachgedacht, oder es zumindest nicht gesagt“, mit Schwung setzte sie sich auf seine Hüften. Ihre langen blonden Haare berührten sanft seine Brust, als sie sich nach vorne beugte und flüsterte, „und das war mir auch ehrlich gesagt viel lieber.“ Hauchzart platzierte sie Küsse auf seiner Brust, seinem Hals und begann verspielt an seinen Ohrläppchen zu knabbern, doch als sie merkte, dass er sich nicht darauf einließ, seufzte sie und stieg plötzlich aus dem Bett. „Wo willst du hin?“, fragte er verblüfft und beobachtete ihren, nur an den Konturen erkennbaren Körper. Elegant schritt sie zur ihrer Jacke, die achtlos auf dem Stuhl lag und holte etwas aus ihrer Tasche. „Das wirst du schon sehen“, sagte sie und lächelte über ihrer Schulter hinweg. Eine Gänsehaut zog sich bei diesen Worten über Campinos Körper, gefolgt von einem angenehmen Kribbeln in seinem Bauch. „Was hast du da?“, fragte er mit belegter Stimme, als sie sich wieder neben ihm auf das Bett setzte. „Etwas, was dir hilft wieder lockerer zu werden“, flüsterte sie und hielt dem Sänger ihre Hand hin. Unsicher fasste er danach und spürte eine kleine Erhebung darauf, welcher er kurz darauf selber in der Hand hielt. „Drogen?“, fragte er, nachdem er die Pille erfühlt hatte. „Wenn du es so nennen willst“, gab sie keck zurück und schluckte ihre eigene Pille, „Ich nenne sie Entspannungshilfe. Und was ist nun? Willst du?“ Campino spürte, wie sein Herz immer schneller schlug. Etwas Verbotenes zu tun, reizte ihn schon immer und natürlich erinnerte er sich auch noch an die Zeit, als er gerade zwanzig wurde und selber regelmäßig Drogen konsumiert hatte und wie schwer es war, davon loszukommen. Doch in diesem Moment verdrängte er die Erinnerungen und konzentrierte sich stattdessen auf das, was er jetzt gerade fühlte. Leben! Er spürte, wie sein Herz raste, wie seine Hände ein wenig feucht wurden und wie sich auf seine Lippen ungewollt ein Lächeln bildete, ehe er es ihr gleichtat und die Droge schluckte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)