Spiegelverkehrt von Ur (Liebes Tagebuch, ...) ================================================================================ Kapitel 8: Krankheitsfreuden ---------------------------- Guten Abend! Uni hat wieder angefangen und ich habe (endlich) einen schönen Stundenplan. Das Manko daran ist, dass ich nicht mehr so viel Zeit zum Tippen/Überarbeiten haben werde. Also nehmt es mir bitte nicht übel, wenn es mit den nächsten Kapiteln nicht ganz so schnell geht und ich leider keine Zeit habe, mich für die Kommentare einzeln zu bedanken. Trotzdem an dieser Stelle: Danke für die lieben Kommentare zum letzten Kapitel! Liebe Grüße, ________________________ Ich hasse mein Leben. Ich bin krank. Grippe. Und zwar richtig… Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Husten, Schnupfen, Fieber… kann kaum reden, weil ich so heiser bin. Ich ersticke bald in einem Berg von Taschentüchern. Das Fernsehprogramm lässt zu wünschen übrig und essen kann ich auch nicht wirklich, weil mein Hals mich nicht lässt. Manchmal finde ich, dass ich ein ziemlich armes Schwein bin. Ich hab Lara gestern angerufen und ihr gesagt, dass ich nicht zur Bandprobe kommen kann. Sie musste dreimal nachfragen, bis sie mein Gekrächze verstanden hat. Ich hab dich drei Tage nicht gesehen und muss feststellen, dass es scheiße ist, dich drei Tage lang nicht zu sehen. Ich will ja nicht das Wort ‚vermissen’ verwenden, weil es dann klingt, als sei ich ein sentimentales Weichei. Aber na ja… da es keiner liest, kann ich’s ruhig sagen: Ich vermisse dich. Du Vollidiot… Dass unser letztes Treffen so gut gelaufen ist, macht es nicht wirklich besser. Muss immer noch an diesen Blick denken, den du mir zugeworfen hast, nachdem du mich gekitzelt hast. Und an deine Umarmung. Scheißdreck. Und wieso hab ich kein Aspirin im Haus? Er klappte das Tagebuch unter einem heftigen Hustenanfall zu, der seinem ohnehin schon strapazierten Hals nicht sonderlich gut tat, dann stand er auf, ärgerte sich über das Schwindelgefühl und stopfte das Buch in die übliche Schreibtischschublade. Draußen regnete es schon wieder. Er hasste Regen. Nur wegen des Regens lag er den ganzen Tag herum und tat nichts anderes als zu husten und sich die Nase zu putzen. Ständig war ihm schwindelig, weil er nichts essen konnte. Er hasste es, krank zu sein. Und er hasste es, Felix nicht zu sehen. Und natürlich hasste er es, dass er es hasste, Felix nicht zu sehen… Er hatte nicht einmal Tee für seine Halsschmerzen. Seine Mutter hatte ihm verkündet, dass dies nur eine kleine Erkältung sei und sie keine Zeit hatte, einkaufen zu gehen. Das musste wahre Mutterliebe sein, dachte Leon verbittert. Ja, er war eindeutig der mitleiderregendste Mensch auf der Welt… na ja… fast. Es gab da ja immer noch Entwicklungsländer und all diese Dinge. Aber er kam sicherlich an zweiter Stelle! René hatte er auch schon angerufen, damit dieser ihn bei den Dozenten entschuldigte. Irgendwann demnächst musste er sich ein Attest besorgen, sonst kassierte er unnötige Fehlzeiten. Er quälte sich aufs Sofa und schaltete den Fernseher an. Aber was wollte man vormittags um halb elf im Fernsehen erwarten? Nichts… es gab nur Müll. Die ganze Welt hatte sich gegen ihn verschworen, da war er sich sicher. Erst der Regen, dann seine Mutter, nun das Fernsehprogramm. Fehlte nur noch, dass ihm das Wasser abgedreht wurde. Oder man ihm die Stromzufuhr verweigerte. Oder, dass eine Bombe unmittelbar in sein Haus einschlug und er von Schutt und Asche begraben den Erstickungstod erleiden würde… Falls jemand auf die Idee kommen sollte, dass seine Gedanken stark übertrieben oder abstrus waren, so konnte er zu seiner Verteidigung nur sagen, dass er schwer krank war und das Recht hatte, sich solche Gedanken zu machen! Nachdem er eine Viertelstunde ununterbrochen alle Programme rauf und runter geschaltet und auch nach dem dritten Mal noch nichts Brauchbares gefunden hatte, gab er die Suche auf und schaltete den Fernseher wieder aus. Er angelte nach einer der tausend Packungen Taschentücher, die in seinem Zimmer verstreut lagen und schnaubte sich die Nase. Mittlerweile musste er aussehen wie Rudolph das Rentier, sooft wie er sich am Tag die Nase putzte. Er hatte sich die letzte Zeit einen Blick in den Badezimmerspiegel erspart. Während er überlegte, ob er sich zu schlapp dafür fühlte, ein wenig Bass zu spielen, huschten seine Gedanken unweigerlich zu Felix. Er könnte ihn anrufen – sofern seine Stimme ihn sprechen ließ – und fragen, ob er nicht Lust hatte, ihm Aspirintabletten zu bringen… aber dann würde Felix sich anstecken und das wäre nicht gut. Wobei es sicherlich nicht schlecht wäre, mit Felix zusammen in einem Haus zu sitzen und sich gegenseitig Taschentücher zu reichen… Er sollte beizeiten ein Fieberthermometer kaufen. Offensichtlich bescherte ihm sein Fieber beknackte Gedankengänge. Leon rappelte sich von der Couch auf und nieste lautstark. »Verdammte Scheiß- Grippe«, krächzte er mit brüchiger Stimme, die klang wie ein Reibeisen. Er hasste sein Leben… Während er sich einem ausgiebigen Hustenanfall hingab, klingelte es an der Tür. Er stapfte wütend auf seine Grippe, seinen Kühlschrank und das Fernsehprogramm zurück zum Bett und warf sich darauf. Und jetzt klingelten noch irgendwelche Leute hier und strapazierten seinen Kopf, der ohnehin schmerzte! Wieso musste seine Mutter auch immer neue Sachen aus ihren bescheuerten Katalogen bestellen? Während er in seiner Hosentasche nach einem neuen Taschentuch kramte, klopfte es an der Tür und er schaffte es nicht, ‚Herein’ zu krächzen, doch die Tür öffnete sich trotzdem. Felix erschien schmunzelnd, kam zu ihm herüber und wuschelte ihm zur Begrüßung durch die blonden Haare. »Hallo, krankes Huhn«, sagte er und hievte eine schwere Plastiktüte neben Leon aufs Bett. »Was machst du denn hier?«, fragte Leon völlig perplex. Gerade dachte er noch daran, dass er Felix anrufen könnte und schon stand der Andere vor seiner Tür. Sein Herz hatte sich förmlich überschlagen, als er den Brünetten gesehen hatte. »Krankenbesuch, du Nuss«, entgegnete Felix putzmunter und schlüpfte aus seinen Schuhen, stellte die Tüte ab und pellte sich aus seiner Jacke. Leon nieste zweimal hintereinander und Felix schenkte ihm einen mitleidigen Blick. »Du gehörst unter die Bettdecke! Und barfuß solltest du auch nicht rumlaufen«, sagte er streng, packte Leon mit einer Hand an der Schulter und mit der Anderen deckte er Leon entschlossen zu. »Deine Ma war ein wenig überrascht, aber sie fand es sehr nett, dass ich dich besuchen komme«, meinte Felix beiläufig. »So…«, meinte er lang gezogen, »Ich hab eingekauft.« Felix begann geschäftig, in der Tüte herum zu wühlen. »Aspirin, Fieberthermometer… du hast sicher keins, oder? Obst, Tee, Hustenbonbons, Tütensuppen, Honig, Salbe zum Inhalieren, Schokolade, Eis… oh…das Eis muss in die Gefriertruhe! Deine Ma hat sicher nichts dagegen, wenn ich das kurz in die Küche bringe, oder?« Er schnappte sich die Tüte, ohne auf Leons Antwort zu warten und verschwand aus dem Zimmer. Leon starrte ihm nach. Er war zu perplex, als dass er irgendetwas hätte sagen können. Felix deckte ihn zu und machte Großeinkauf für ihn… Wieso hatte er plötzlich so gute Laune? Als Felix zurückkam, hielt er ein Fieberthermometer in der Hand. »So… Mund auf«, wies er Leon an, schob dem anderen, der unwillig protestiert hatte, das Thermometer in den Mund und klappte ihm das Kinn hoch. »Wenn es piept, kannst du es rausnehmen. Ich koch dir einen Tee und schneid dir ’ne Kiwi«, meinte er, wandte sich um und achtete nicht auf Leons nonverbale Proteste. Leon seufzte leise, schielte auf das Ding in seinem Mund und wartete murrend darauf, dass es piepte. Gerade, als er sich fragte, ob das Teil kaputt war, gab es ein durchdringendes Piepen von sich und Felix erschien just im selben Moment in der Tür, in der einen Hand eine dampfende Tasse Tee in der anderen Hand einen kleinen Teller mit zwei aufgeschnittenen Kiwis. »Deine Ma hat sich scheinbar gefreut, mich wieder zu sehen«, sagte er amüsiert. Leon zog sich das Thermometer aus dem Mund und warf einen Blick darauf. Felix schnappte es ihm weg, nachdem er die Tasse und den Teller abgestellt hatte. »39.7. Na bitte… Du hast Fieber. Hier, iss eine Kiwi«, sagte er und reichte Leon den Teller. »Warum?«, krächzte er. Felix grinste. »Kiwis haben viel Vitamin C. Das hilft gegen Erkältungen!« Leon starrte ihn an. »Felix…bist du sicher, dass du keine Frau bist?«, wollte er wissen. Der Brünette schnaubte, boxte gegen seine Schulter und streckte ihm die Zunge aus. »Sei froh, dass ich mich um dich kümmere. Du bist doch lebensunfähig ohne mich!« Leon grummelte, beäugte die Kiwi misstrauisch und griff nach dem Löffel. »Ich mag kein Obst«, beschwerte er sich. »Iss!«, gab Felix streng zurück und verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, nachdem Leon sich aufgesetzt hatte. Leon seufzte und tat wie ihm geheißen. Es schmeckte nicht allzu schlecht, aber normalerweise aß er solche gesunden Sachen nie. Felix beobachtete ihn, während er aß. »Hast du keinen Schiss, dass du dich ansteckst?«, fragte Leon, während er die zweite Hälfte der ersten Kiwi auslöffelte. Felix grinste breit. »Ich bin gegen Grippe geimpft«, sagte er. Leon starrte ihn an. »Dagegen gibt’s ne Impfung?« Felix lachte und Leon lief ein angenehmer Schauer über den Rücken. Ihm war noch nie aufgefallen, wie gut Kiwis eigentlich schmeckten. »Ja sicher. Solltest du vielleicht auch in Erwägung ziehen«, meinte der Gitarrist gut gelaunt und rührte in Leons Tee, ehe er den Teebeutel herauszog und mit Hilfe des Löffelns auswrang. Er patschte den Teebeutel auf den Teller neben die ausgelöffelte Kiwi und fuhr sich durch die Haare. »Ich hab dir auch ein paar DVDs mitgebracht, falls dir langweilig wird«, erklärte Felix und blickte aus dem Fenster. Leon aß die letzte Hälfte der beiden Kiwis und stellte den Teller auf den Nachtschrank. Dann nahm er den Tee und beobachtete Felix eine Weile lang, der den Regen draußen besonders spannend zu finden schien. Es war schön, dass Felix da war. Leon freute sich ehrlich darüber, er wusste nur nicht recht, wie er Felix das auch sagen sollte. Er beschied sich damit, seinen Tee zu schlürfen und verbrannte sich prompt die Unterlippe. Felix’ Kopf ruckte zu ihm herum und er lachte leise. »Pusten«, meinte er, streckte die Hand aus und legte zwei Finger sachte auf Leons Lippen. Sein Herz setzte aus. Er starrte Felix an, der ununterbrochen lächelte und seine Finger dann zurückzog. »Nach dem Tee gibt’s ne Aspirin…«, sagte er, als wäre nichts gewesen. Leons Magen kribbelte wie verrückt. Und seine Lippen schienen nach der Berührung noch mehr zu brennen, als durch den heißen Tee. »Danke, dass du vorbei gekommen bist«, murmelte er heiser und wandte den Blick peinlich berührt wieder auf seine Teetasse. Er war sich sicher, dass er schon wieder ziemlich rot im Gesicht war. Einen Moment lang herrschte erstaunte Stille. Dann wagte es Leon, zu Felix hinüber zu linsen. Der Andere betrachtete ihn schon wieder auf diese Art und Weise, die ihn halb wahnsinnig machte. »Kein Problem, Noel«, antwortete er lächelnd. Leon trank noch einen Schluck Tee. »Wollen wir einen Film zusammen gucken? Du kannst die Bettdecke und den Tee mitnehmen«, sagte Felix unvermittelt und erhob sich. Leon nickte mit klopfendem Herzen, stellte die Tasse ab und erhob sich. Sie gingen hinüber zum Sofa und Felix zeigte ihm die mitgebrachten Filme. Nachdem sie sich entschieden und den Film eingelegt hatten, zog Felix das Sofa aus und sie setzten sich. Leon erinnerte sich an damals, wo Felix mit ihm auf diesem Sofa einen Porno angeschaut hatte. »Sag mal«, begann Leon schließlich, denn ihm war bei diesem Gedanken etwas eingefallen, »warst…warst du eigentlich schon mal verliebt?« Felix angelte nach der Fernbedienung, streckte seine langen Beine aus und drehte seinen Kopf zu Leon. Dann lächelte er. »Aber ja. Wie verrückt«, sagte er leise. Verliebt also? Aber in wen… Dein Lächeln sah so verträumt aus, als du’s mir gesagt hast und ich muss die ganze Zeit darüber nachdenken. Du bist den ganzen Tag geblieben und mir war keine Sekunde langweilig. Auch wenn mir das Obst nicht in den Kram passt… Aber ich hab dir hoch und heilig versprochen, jeden Tag eins von diesen Dingern zu essen. Das Eis ist gut gegen die Halsschmerzen und immerhin sind Dank der Aspirin- Tabletten die Kopfschmerzen weg. Also werd ich wohl bald wieder gesund sein. Wie lange halt ich das noch aus? Wann kann ich’s dir sagen? Ich krieg meine Zähne nicht auseinander, jedes Mal, wenn ich denke, jetzt sag’s ihm… aber nein. Es geht einfach nicht. Ich bin ein Vollidiot… und ich will wissen, in wen du verliebt warst… oder vielleicht sogar noch bist? Leon seufzte leise und hustete eine Weile lang vor sich hin. Jetzt war er schon seit vier Tagen krank und Felix rief ihn jeden Tag an, um zu kontrollieren, ob er sein Obst gegessen und seinen Hustensaft genommen hatte. Er kam sich wirklich wie ein Kleinkind vor, aber er konnte nicht behaupten, dass er nicht gern mit Felix telefonierte. Auch wenn es noch besser gewesen wäre, wenn der Andere vorbei gekommen wäre. Leon zerbrach sich vergeblich den Kopf darüber, in wen Felix verliebt sein mochte. Vielleicht war es Christian? Ein schrecklicher Gedanke! Dann musste er Christian doch beizeiten umbringen. Jedes Mal, wenn er daran dachte, dass Felix eines Tages zur Bandprobe kommen und strahlend erzählen würde, er sei nun vergeben, zog sich sein Brustkorb zusammen und er sah sich schon eine Fahndung nach demjenigen herausgeben und ihn dann zu Brei schlagen… wobei Felix ihn dann sicherlich ins Jenseits befördern würde. Oder noch schlimmer, er wäre ein Leben lang sauer auf ihn. Aber Leon konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass Felix mit einem anderen zusammen kommen würde. Vielleicht sollte er einfach langsam wirklich damit anfangen, um Felix zu kämpfen… aber wie? Vielleicht konnte er ihn einfach küssen, wenn sie allein waren… In diesen ganzen Kitsch- Filmen hieß es doch immer, dass ein Kuss mehr als tausend Worte sagte. Oder irgendwie so. Vielleicht musste er dann gar nicht mehr die magischen fünf Worte sagen, die ihm einfach nicht von der Zunge hüpfen wollten. Aber bevor er den Mut aufbringen konnte, Felix zu küssen, musste wahrscheinlich ein Weltwunder passieren. Oder aber er müsste sehr betrunken sein. Allerdings schätzte Felix es sicherlich nicht, von ihm geküsst zu werden, wenn er stockbesoffen war. Vermutlich schätzte Felix es auch nicht, wenn Leon ihn vollkommen nüchtern küsste. Der blonde Bassist raufte sich die Haare. Gab es überhaupt eine Chance, dass Felix sich je in ihn verlieben konnte? Sie stritten sich so oft und dann hatte Leon immer das Gefühl, dass Felix ihn hasste. Und war Felix mit seinen Gefühlen nicht immer gerade heraus? Normalerweise nahm er sich, was er wollte. Und wenn er ihn wollen würde, dann hätte er sicherlich schon etwas gesagt. Oder getan. Drei Tage später war Leon zwar der Genesung ziemlich nahe gekommen, allerdings hatte er immer noch keine Antwort darauf gefunden, in wen um alles in der Welt Felix verliebt gewesen war. Immerhin waren sie nun schon seit über zwei Jahren zusammen in einer Band und Felix hatte nie etwas in diese Richtung erwähnt… Das machte ihn wahnsinnig. Bei der nächsten Bandprobe war er immer noch nicht schlauer und sein Herz hüpfte wie ein Flummi, als er Felix sah, der neben Nicci auf dem Sofa saß und sich mit ihr unterhielt. Lara saß hinter ihrem Schlagzeug und schraubte an einem ihrer Becken herum. »Ah! Unser krankes Huhn«, sagte Felix grinsend und Nicci kam strahlend zu ihm herüber, um ihn zu umarmen. »Geht’s dir wieder besser?«, erkundigte sie sich und betrachtete ihn prüfend. Leon nickte und unterdrückte ein Husten. Sie probten zwei Stunden lang und es tat Leon ausgesprochen gut, endlich wieder Musik zu machen. Nicht zuletzt mit Felix zusammen. Nicci schien ebenfalls in Bestform zu sein und als Lara angesichts ihres andauernden Strahlens grinsend die Augen verdrehte, fragte sich Leon, ob er etwas verpasst hatte. Die Antwort darauf lautete ‚Ja’ und hieß Lennard. Leon hatte noch nie von ihm gehört, aber als er Nicci nach der Bandprobe fragte, wieso sie durch die Gegend tänzelte und andauernd nur grinste, da erzählte sie ihm ziemlich verlegen auf dem Weg nach Hause, dass sie jemanden kennen gelernt hatte. »Er ist ein paar Semester über mir und saß letztens in einem unserer Seminare… und wir sind danach irgendwie ins Gespräch gekommen und haben uns total lang unterhalten und letztens waren wir dann zusammen in der Stadt…« Nicci erzählte von Lennard und Leon hörte aufmerksam zu. Er hatte sich geschworen, für Nicci genau so ein guter Freund zu sein, wie sie es für ihn war. Vermutlich hatte er nicht so gute Voraussetzungen wie sie, aber der Versuch fiel hoffentlich positiv ins Gewicht. Die Wochen plätscherten dahin, Weihnachten rückte näher und das Wetter wurde mit jedem Tag nasser und kälter. Von Schnee war nicht die geringste Spur zu sehen und auch nicht von der Erkenntnis, in wen Felix verliebt gewesen war. Leon konnte sein Glück kaum fassen. Er und Felix hatten sich nun seit einigen Wochen nicht mehr gestritten. Oder besser gesagt: Felix war nun schon seit einigen Wochen nicht mehr sauer auf ihn gewesen. Trotzdem waren seine Gefühle für Felix immer noch wie eine Achterbahnfahrt. Wenn sie sich in der Uni oder in der Mensa über den Weg liefen und Felix mit Christian unterwegs war, dann verkrampfte sich alles in ihm bei dem Gedanken, dass Christian wohlmöglich derjenige war, in den Felix sich verliebt hatte. Vielleicht flirtete er deshalb dauernd mit ihm? Es war zum Verrücktwerden. Leon überlegte gerade, ob Christian vielleicht schon wusste, dass Felix in ihn verliebt war und er deswegen erreichen wollte, dass sich Leon bei ihm zum Affen machte, wenn er die drei Monate doch einhalten konnte… da klingelte sein Handy. »Ja?« »Hey… hier ist Nicci«, kam es vom anderen Ende. Leon spitzte die Ohren. Nicci klang nicht besonders heiter. »Was gibt’s?«, fragte er lauernd. »Kann ich vielleicht… vorbei kommen?« Leons Alarmglocken schrillten augenblicklich. Nicci klang niedergeschlagen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Nicci niedergeschlagen klang! »Klar«, gab er also prompt zurück. »Danke… dann bis gleich.« Leon war sich sicher, dass Nicci noch einige Zeit brauchen würde, bis sie bei ihm angekommen war, doch es klingelte kaum zwei Minuten später. Leon schloss daraus, dass Nicci bereits draußen und auf dem Weg zu ihm gewesen war, als sie ihn angerufen hatte. Das war garantiert ein schlechtes Zeichen. Er hastete nach unten, rief wie üblich ‚Ist für mich!’ in Richtung Wohnzimmer und riss die Tür auf. »Ok, was ist los?«, wollte er sofort wissen, zog Nicci in den Eingangsbereich, schloss die Tür und schob sie sofort in Richtung Treppe. »Darf ich erstmal reinkommen?«, fragte sie mit der Spur eines Lächelns. »Nein, darfst du nicht. Los, erzähl schon«, sagte Leon brüsk und stapfte hinter Nicci die Treppe hinauf bis zu seinem Zimmer, wo Nicci sich die Schuhe und ihre Jacke auszog und dann auf Leons Sofa Platz nahm. Leon setzte sich neben sie und starrte sie an. »Ich war vorhin mit Lennard im Kino«, sagte sie und malte nachdenklich Muster auf ihre Jeans. Leon hob die Brauen, zog seine Beine in einen Schneidersitz und stützte sein Kinn auf den rechten Handballen. »Und es war echt toll. Wir haben uns wieder gut verstanden und haben viel gelacht und haben anschließend noch ein Eis gegessen… und dann hat er mich zum Abschied geküsst.« Leon runzelte verwirrt die Stirn. »Und das ist… doch gut, oder nicht?«, fragte er ein wenig verwirrt. Nicci schluckte und nickte. »Aber danach hat er…« Sie brach ab und schniefte leise. »Dann hat er was?«, fragte Leon nach. Er würde Lennard zusammen schlagen müssen, wenn der seiner besten Freundin wehgetan hatte. Als Nicci aufblickte, schwammen ihre Augen in Tränen. Oh nein… nicht gut. Nicht das Heulen anfangen, keine gute Idee, schon vergessen, ich bin eine empathische Abrissbirne, absolut schlecht im Trösten, ich hab keine Ahnung, was man bei so was sagt… Aber all sein innerliches Flehen half nichts. Nicci weinte. Wegen Lennard. »Ok…egal, was er getan hat, ich breche ihm sämtliche Knochen!« Er war schon halb vom Sofa aufgestanden, als Nicci hastig den Kopf schüttelte. »Nicht…«, murmelte Nicci und wischte sich hastig über die Augen. Leon schnaubte. »Er hat mir erzählt, dass er eine Freundin hat…« »ER HAT WAS? Ich geh ihm alle Knochen brechen!« Und er marschierte tatsächlich durchs Zimmer, um sich auf die Suche von Lennard zu begeben, den er natürlich überhaupt nicht kannte. Aber er war schrecklich sauer auf diesen Kerl, der seine beste Freundin zum Weinen gebracht hatte. Doch Nicci war eilig aufgestanden und hielt ihn nun am Pullover fest. »Er meinte, dass es bei den beiden schon länger nicht mehr so gut läuft und dass es ihm Leid tut, dass er es mir nicht gesagt hat und… er meinte, er würde es schon gern mit mir versuchen, aber er ist ja immer noch mit Kira zusammen und er weiß auch nicht, ob er überhaupt schon wieder bereit wäre für eine neue Beziehung…« Sie brach ab und fuhr sich erneut mit dem Handrücken über die Augen. »Und das alles sagt er dir mal eben so, nachdem er dich geknutscht hat?«, knurrte Leon säuerlich. Nicci nickte niedergeschlagen. Leon zögerte einen Moment und zog Nicci dann in einer unbeholfen ruppigen Umarmung an sich. Was konnte er sagen? Nichts… er war ein miserabler Tröster. Aber Nicci, die zu ihm aufsah und ihn zittrig anlächelte, schien erleichtert zu sein. »Danke, Leo…« »Ich hab doch gar nichts gemacht«, sagte er verlegen. Sie lachte kurz und lehnte sich an ihn. »Doch, hast du…« »Ich kann ihm auch jeden Knochen zweimal brechen, wenn du möchtest…«, schlug er hoffnungsvoll vor. »Nein…nein, danke. Das wird nicht nötig sein, denke ich«, meinte Nicci und brachte ein Lächeln zustande, »er hat gesagt, er will jetzt erstmal mit Kira reden und ein wenig nachdenken und dann meldet er sich bei mir…« Nicci schwieg einen Moment lang, dann sah sie Leon nachdenklich an, löste sich aus der Umarmung und lehnte sich gegen die Lehne des Sofas. »Was ist eigentlich bei dir und Felix los?«, fragte sie schließlich und Leon seufzte. »Seit ein paar Wochen ist alles bestens. Er war jetzt schon länger nicht mehr sauer auf mich. Das muss ein Rekord sein. Und… er meinte letztens, er war schon mal verliebt. Du weißt nicht zufällig, in wen, oder?«, meinte er beiläufig, doch Niccis Lächeln verriet ihm, dass sie genau wusste, was in Leon vorging. »Leo…darf ich ganz ehrlich zu dir sein?«, fragte sie dann. Leon hob die Brauen, nickte aber. Er fragte sich, was nun als Nächstes kam… »Sieh mal… du bist der Einzige, bei dessen Fehltritten Felix immer hoch geht wie eine Bombe. Wenn zwischen euch alles bestens ist, dann ist er wunderbar gelaunt. Ist dir schon mal der Gedanken gekommen, dass du derjenige bist, in den Felix verliebt war… und immer noch ist?« Leons Herz machten einen übermäßigen Satz, ehe es schließlich begann, wie verrückt in seiner Brust zu hämmern. Felix…verliebt in ihn? Er starrte Nicci an, die ihn anlächelte und Leon wusste, Nicci machte über diese Dinge keine Witze. Sie stellte diese Vermutung ernsthaft an. Sie glaubte wirklich…? Und wenn Nicci so etwas sagte, dann musste es etwas bedeuten, oder? »Das… meinst du…ich… also… ehrlich…?« Nicci nickte. »Ich kann es mir gut vorstellen… Also wird’s langsam wirklich Zeit, dass du ihm mal gestehst, was Sache ist, oder?« Nicci hat die Vermutung geäußert, dass du vielleicht in mich verliebt warst. Oder immer noch bist. Ich will das so gern glauben… ich will’s dir endlich sagen, aber ich kann nicht… wenn du wirklich verliebt bist in mich, was ich kaum zu hoffen wage – Herrgott ich labere schon wieder einen sentimentalen Scheiß – dann… wieso… wieso sagst DU dann nichts? Du weißt doch, dass ich schlecht in solchen Sachen bin… bist du vielleicht wirklich auch ein kleines bisschen verliebt in mich? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)