Der Stein des Anstoßes von Selma ================================================================================ Kapitel 8: Krankenhaus ---------------------- Es war so gegen 8 Uhr, als Simon mit seinem Auto vor dem Parkplatz des Krankenhauses vorfuhr. Die Schranken waren schon herabgelassen. Er suchte sich einen Stellplatz etwas abseits des Einganges. Simon sah sich um. Niemand war zu sehen. Trotzdem ging er noch einmal auf Nummer sicher und blickte auf den Rücksitz. Sie hatten eine Decke über Tannin ausgebreitet, so das man ihn von außen nicht sehen konnte. "Bleib unten. Ich werde mir erst mal einen Überblick verschaffen." Simon verließ das Auto und schlenderte in Richtung Krankenhaus. Es waren trotz der frühen Abendstunden kaum Leute unterwegs. Simon passierte die Fußgänger-Pforte vor dem Krankenhaus ohne Probleme. Sie war überhaupt nicht besetzt. An die Pforte schloss sich ein Weg an, der durch einen kleinen Garten zum Eingang des Krankenhauses führte. Die Sträucher, Büsche und kleinen Bäume standen relativ dicht beieinander. Vor dem Eingang zum Krankenhaus war jedoch ein großer gepflasterter Platz. Dort gab es keine Deckungsmöglichkeit für Tannin. Simon wollte sich schon umdrehen, und zum Auto zurückgehen, als er sich einer Bewegung im Gebüsch gewahr wurde. Tannin hatte doch wohl hoffendlich nicht das Auto verlassen! Natürlich nicht. Ich habe dir doch versprochen zu warten. Fast zeitgleich mit Tannins gedanklicher Antwort teilten sich die Büsche vor Simon. Es war Marco, der in einem Bademantel, und mit Hausschuhen bekleidet auf den Platz trat. Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht." Ich wusste doch, das ihr mich nicht hängen lassen würdet." Suchend blickte Marco sich um. "Wo ist Tannin?" - "Er wartet im Auto." - "Er soll kommen. Lange können wir die Schwester nicht mehr ablenken." Simon blickte Marco mit ernster Miene an. "Sei mir bitte nicht böse, aber wir werden nicht mit hinein kommen." Verunsichert sah Marco ihn an. „Was soll das heißen?“ Simon wollte grade etwas sagen, als Tannin sich erneut meldete. Jemand steht am Auto und schaut herein. -‚Verhalte dich ruhig. Der geht bestimmt gleich wieder.' - Marco sagt mir grade, das du nicht willst, das ich ihn besuche. Warum nicht? Simon warf Marco einen bösen Blick zu, der ihn ganz unschuldig anlächelte. Der Fremde versucht sich Zugang zum Auto zu verschaffen. Soll ich ihn aufhalten? „Was?!“ Ohne auf Marco zu achten, wirbelte Simon herum, und rannte in Richtung seines Autos davon. Marco, der den Austausch nicht mitbekommen hatte, war über Simons Reaktion verwirrt, folgte ihm dann aber. Seine Neugier war stärker als die Vernunft. Obwohl Simon die Strecke in einer, seines Empfindens nach rekordverdächtigen, Geschwindigkeit zurücklegte, war er nicht schnell genug. Der Schrei des Fremden war weithin hörbar. Als Simon dann das Krankenhausgelände endlich hinter sich gebracht hatte, und sein Auto erblicken konnte, sah er nur noch eine schwarze Gestalt die schreiend flüchtete. Die Fahrertür war weit geöffnet, und als Simon näher kam, konnte er sehen, das die Gestalt ihr gesamtes Diebeswerkzeug über den Bürgersteig verstreut hatte. Zu allem Überfluss streckte Tannin dann auch noch seinen Kopf heraus, und sah Simon mit unschuldigen Augen an. Ich hab nichts gemacht, auch als er die Decke weggezogen hat. „Schon gut. Jetzt aber wieder rein mit dir, bevor dich noch jemand sieht.“ Simon scheuchte Tannin in das Innere des Vans zurück. Dann sah er sich den Schaden an, den der Dieb an seinem Auto angerichtet hatte. Es war wohl ein Anfänger gewesen. Das Türschloss war komplett zerstört, und der Lack drum herum zerkratzt. Schnaufend kam Marco am Auto an. Er war außer Atem, da das Laufen in diesen Schuhen äußerst schwer war. „Was ist denn hier passiert?“ - „So wies aussieht, wolle jemand mein Auto klauen.“ Marco drängte sich an Simon vorbei, um einen Blick ins Innere zu erhaschen. Dann fing er erfreut an zu grinsen. „Tannin. Hier steckst du also.“ Simon wollte etwas sagen, doch dann wurde er sich des flackernden blauen Lichtes bewusst, das mit Sirene immer näher kam. Offenbar hatte wohl jemand die Polizei gerufen. Simon wurde es heiß und kalt zugleich. Tannin konnte nicht hier bleiben, aber wohin sollte er. Simon sah sich nach einem Versteck um. „Lass mich das machen. Ich verstecke Tannin, bis sie wieder weg sind.“ Marco sah Simon an. Dieser nickte. Ihm blieb im Moment keine andere Wahl. Zusammen mit Tannin verschwand Marco in Richtung Krankenhaus. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis die Polizisten den Hergang des versuchten Diebstahls aufgenommen, und teilweise rekonstruiert hatten. Sie schrieben die Personalien auf, und versuchten ein Phantombild von dem Täter zu erstellen, doch es war ziemlich vergebens, da Simon die Person nie von vorne gesehen hatte. Nur konnten sie sich nicht erklären, warum der Dieb den Tatort so plötzlich verlassen hatte. Sie schoben es schließlich drauf, das Simon wohl zu früh aufgetaucht war, und der Dieb deshalb in Panik geriet, schrie und flüchtete. Simon wollte sie auch nicht vom Gegenteil überzeugen. Als die Polizisten das gesamte Werkzeug eingesammelt, und weggefahren waren sah Simon sich um. Weit und breit war keine Spur von Tannin und Marco. Doch Simon konnte sich schon denken, wo er sie finden würde. Sonderlich begeistert war er bei diesem Gedanken allerdings nicht. So kehrte Simon wieder zum Eingang des Krankenhauses zurück. Jetzt wurde er aber bereits am Pförtnerhaus aufgehalten. Dieses war nun besetzt. Der Pförtner, ein Jungspund, wohl grade frisch aus der Ausbildung, wollte wissen, warum Simon noch zu solch später Stunde ins Krankenhaus musste. Simon überlegte fieberhaft, was er sagen sollte. Einfach zu sagen, das er einen Besuch machen wollte, schied von vorne herein aus, da die Besuchszeiten ja bereits vorbei waren. „Ich habe einen Anruf erhalten, das ich hier etwas abholen soll.“ Der junge Pförtner musterte ihn abschätzend, lies ihn dann aber mit einem Wink passieren. Das nächste Hindernis war der Eingang des Krankenhauses. Die diensthabende Nachtschwester wollte mehr wissen als der Pförtner und gab sich mit Andeutungen nicht zufrieden. So musste Simon sich rasch etwas einfallen lassen. Doch er nutzte die Gunst das er ja eben fast beklaut worden war, und gab an, das er sich bei dem Vorfall wohl verletzt hatte. So kam er auch an der Schwester vorbei. Allerdings musste er eine Untersuchung von einem Arzt über sich ergehen lassen. Der Arzt fand natürlich nichts, bandagierte aber vorsichtshalber Simons rechten Knöchel und wies ihn an, am nächsten Tag den Hausarzt zur Kontrolle aufzusuchen. Dann stand Simon allein im Krankenhausflur. Jetzt war er zwar drinnen, hatte aber keine Ahnung, wo Marco in diesem Haus lag. Zweite Etage, der rechte Gang hinter den Aufzügen. `Hey, lungerst du schon wieder in meinen Gedanken herum?´ Nur Schweigen antwortete Simon, doch er war nicht beunruhigt, denn er vertraut Tannin in dieser Sache. Simon zuckte mit den Schultern und wandte sich in Richtung der Aufzüge. Er hörte Marco schon von weitem, und wunderte sich, das er nicht grade leise war. War diese Stationsschwester etwa taub? Als Simon das Zimmer erreichte aus dem Marcos Stimme kam stockte ihm der Atem. Das hatte er sich unter `verstecken´ wahrlich nicht vorgestellt, aber er hätte es sich bei Marco denken können. Simon sah Tannin der seelenruhig mitten im Raum saß, und etwa sieben Kinder, die ihn entweder einfach nur anschauten, oder um ihn herumsprangen. Zwei Jungs in Rollstühlen und ein Mädchen auf Krücken standen etwas abseits. Sie schienen sich nicht so recht zu den anderen zu trauen. Marco stand neben Tannin und schien stolz wie Oskar. Als er dann auch noch Simon erblickte grinste er breit. "Ein anderes Versteck ließ sich auf die Schnelle nicht auftreiben," meinte er mit scheinbar reumütiger Miene. Die anderen Kinder hatten ihre Blicke nun ebenfalls zu Simon gewandt und sahen ihn mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken an. Simon seufzte, sah noch einmal kurz die Gänge herunter, und trat dann ins Zimmer, um hinter sich die Tür zu schließen. Kaum war die Tür zu, wurde er auch schon von den Kindern umringt. Das er eigentlich ein Fremder für sie war, schien sie nicht sonderlich zu stören. Marco hatte ihnen offenbar schon erzählt, das er und Tannin zusammengehörten. Die Kinder stellten Simon alle möglichen Fragen, die meisten bezogen sich natürlich auf Tannin. Soweit Simon konnte gab er bereitwillig Auskunft. So bemerkte er auch gar nicht, wie die Zeit verging. Die drei, die zuvor noch abseits gestanden hatten, verloren nach und nach ihre Scheu und gesellten sich nach und nach zu den anderen, die ihnen auch bereitwillig Platz machten. Marco saß auf seinem Bett, das er mit einem anderen zusammengezogen hatte, damit für Tannin und ihn genügend Platz vorhanden war. Tannin lag quer über beide Betten. Er schien zu schlafen. Auch die Kinder wurden nach und nach immer müder, so das sich die aufmerksame Gruppe der Zuhörer immer mehr reduzierte. Es gelang ihm sogar, einige Worte mit Marco zu wechseln, doch als er ihn über die Geschehnisse im Wald befragte, schwieg dieser beharrlich und versuchte das Thema zu wechseln. Schließlich nickte sogar Simon im Sitzen ein. Ein dumpfer Schmerz, der wohl auch daher rührte, das Simons Kopf unsanft auf die Tischplatte gesunken war, weckte ihn. Er fühlte sich völlig zerschlagen. Im ersten Moment wusste er nicht wo er sich befand, doch dann kamen die Erinnerungen wieder, und als Simon auf seine Uhr blickte erschrak er. Es war kurz vor 6 Uhr am Morgen, und zu allem Überfluss hatte draußen schon die Dämmerung eingesetzt. "Tannin! Wach auf! Wir müssen hier verschwinden," zischte Simon. Tannin schien sofort hellwach zu sein. Er verließ Marcos Bett zwar vorsichtig, trotzdem schreckte dieser aus seinem Schlaf auf. Ganz benommen rieb sich Marco die Augen. "Ihr gehr schon?" murmelte er. Simon nickte nur. Er ging zur Tür und schaute heraus. Es befand sich niemand im Gang. Es begann für Simon und Tannin ein Spießrutenlauf. Immer wieder mussten sie zurückweichen oder sich andere Wege suchen. Irgendwie gelangten sie aber an den Haupteingang. Dort stand Simon aber vor einem neuen Problem. Wie bekam er Tannin an der Nachtschwester vorbei. Er blickte kurz um die Ecke, wo er mit Tannin stand. Zu seinem Leidwesen, schien die Nachtschwester kein bisschen müde zu sein. Sie blätterte in einer Illustrierten, sah aber immer sofort auf, wenn sie meinte ein Geräusch gehört zu haben. Simon zog den Kopf wieder zurück. Einen anderen Ausgang aus diesem Krankenhaus gab es nur noch über die Notaufnahme, und in der war bestimmt viel mehr los, und eine Entdeckung wohl noch unvermeidlicher. "Lass die unser Problem sein." Simon blickte sich überrascht um. Hinter ihm hatte sich unbemerkt Marco angeschlichen, und er war nicht allein. Offenbar hatte er die Zeit genutzt, um die anderen Kinder zu wecken. Die meisten von ihnen waren noch verschlafen, doch es stand etwas in ihren Augen, was man durchaus als Entschlossenheit deuten konnte. Bevor Simon noch etwas sagen konnte, fingen sie auch schon an sich quer durch den Eingangsbereich zu verteilen. Nach der Art und Weise, wie sie dabei vorgingen entstand bei Simon den Verdacht, das sie es nicht zum ersten mal taten. Schließlich schienen alle ihre Positionen eingenommen zu haben. Nur die beiden Jungs im Rollstuhl befanden sich noch bei Simon, Tannin und Marco. Sie warfen sich immer wieder vielsagende Blicke zu und grinsten dabei. Jemand schien ihnen ein Signal gegeben zu haben, denn sie bogen zusammen mit Marco um die Ecke und steuerten zielstrebig das Räumchen der Nachtschwester an. Dabei sahen sie immer wieder um sich, so als ob sie etwas am Suchen seien. Schnell verschwanden sie aus Simons Blickfeld. Doch kaum waren sie verschwunden, tauchte das Mädchen mit den Krücken auf. Sie war eben nicht bei den anderen gewesen. Sie winkte Simon und Tannin zu, ihr zu folgen, und führte die beiden wieder ein Stück ins Krankenhaus hinein. „Ich bin nicht schnell genug. Marco bat mich deshalb, euch ein Versteck zu zeigen, bis die anderen für genügend Ablenkung gesorgt haben.“ Sie grinste leicht. „Macht ihr das etwa öfter?“ Ihr Grinsen wurde breiter, allerdings schwieg sie. „Jetzt sag mir bloß nicht, dass das ganze auch noch auf Marcos Mist gewachsen ist.“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Wir sind da.“ Sie blieb vor eine Tür stehen, und drückte die Klinke herunter. Der Raum dahinter war dunkel da er keine Fenster hatte, und erst als sie das Licht anmachte, konnte Simon sehen, das es sich um eine leere Abstellkammer handelte. Obwohl sie leer war, roch sie muffig und nach Desinfektionsmitteln so das Simon die Nase rümpfte. Auch Tannin schien nicht sonderlich angetan. Muss ich da wirklich rein? „Los jetzt. Rein da. Sie kommen sicher gleich.“ Das Mädchen drängte die beiden zur Eile, und kaum hatte sie die Tür von innen ins Schloss gezogen, als sie draußen schon hastige Schritte vernahmen. „Warum müssen diese Bälger eigentlich immer nur in meiner Schicht Ärger machen,“ fluchte derjenige der die Tür passierte ohne in den Raum dahinter zu blicken. „Wartet hier drin. Ich geh mal nachschauen und komme euch holen, wenn vorne alles frei ist.“ Das Mädchen verschwand aus dem Zimmer und schloss die Tür wieder hinter sich. ‚Na super, wo bin ich hier bloß gelandet?' Ich denke in einem Krankenhaus, oder? Simon grinste. „So langsam zweifle ich daran.“ Die Tür wurde ohne Vorwarnung geöffnet, und Simon bereitete sich schon darauf vor, entdeckt zu sein, und sich rechtfertigen zu müssen, doch es war das Mädchen. „Schnell. Ihr müsst laufen. Sie sind abgelenkt, aber können sie nicht lange beschäftigen.“ - „Danke.“ Simon tat wie ihm geheißen, und gemeinsam mit Tannin gelang es ihm so das Krankenhaus zu verlassen ohne gesehen zu werden. Fast war Simon schon etwas überrascht sein Auto in vollständigem Zustand aufzufinden. Jemand hatte zwar die Tür erneut geöffnet, oder sie war einfach nur aufgegangen, da nun das Schloss ja nicht mehr griff, aber nichts war aus dem Innenraum entfernt worden. Tannin verkroch sich wieder auf den Rücksitz, während Simon die Decke zurechtzog und dann vorne Platz nahm. Sie fuhren nach Hause zurück. Die Tür wurde von einem Gurt am Aufgehen gehindert. Simon wurmte es etwas, das er Marco nicht noch einmal gesehen hatte. Er hätte ihn gerne zur Rede gestellt. Er konnte zwar verstehen, das Marco Tannin gerne der Welt zeigen würde, aber er schien sich des Risikos, dessen er Tannin damit aussetzte nicht bewusst zu sein. Wenn die Regierung oder irgendwelche Wissenschaftler von ihm Wind bekämen... Simon wagte es gar nicht, diesen Gedanken zu Ende zu bringen. Doch dann dachte er daran, wie er sich im Dorf verhalten hatte, und immerhin waren es die anderen gewesen die ihn nicht ans Messer lieferten, obwohl sie es hätten tun können. Er musste trotzdem unbedingt noch einmal zurückkehren und die Kinder bitten, nichts und niemandem von Tannin zu erzählen. Marco meint, das sie schweigen werden. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich vertraue ihnen. ‚Deinen Optimismus hätte ich auch gerne.' Für die restliche Fahrt sprachen sie nicht mehr miteinander, was auch daran lag, das der zunehmende Verkehr Simons ganze Aufmerksamkeit erforderte. Zuhause angekommen merkte Simon erst, wie müde er eigentlich war. Seine vormals leichten Kopfschmerzen hatten sich mittlerweile zu einem beharrlichen, unangenehmen Dauerschmerz weiterentwickelt. So ging er erst in die Küche, nahm eine Kopfschmerztablette und setzte dann seinen Weg ins Schlafzimmer fort. Seine Sachen ließ er achtlos zu Boden fallen und verkroch sich dann im Bett. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)