Der Stein des Anstoßes von Selma ================================================================================ Kapitel 5: Abschied ------------------- Etwa einen Monat, nachdem Simon dieses Ultimatum gestellt bekommen hatte, verließ er das Dorf. Er hatte sein Haus verkauft, in dem er geboren, und 29 Jahre gelebt hatte. In der Nähe einer Kleinstadt erstand er ein neues Haus. Dort hatte er ebenfalls wieder eine Stelle in der Bibliothek angetreten. Sein neues Haus stand außerhalb, weshalb er einen weiten Anfahrtsweg in Kauf nehmen musste, aber das war ihm nur allzu recht. Es stand ziemlich einsam und in der Nähe gab es einen Wald in dem Tannin kleinere Ausflüge unternehmen konnte, ohne das die Gefahr bestand sofort entdeckt zu werden. Das nutzte dieser natürlich sofort aus. Hatte er doch im Dorf keine Flüge am Tag durchführen können. Nun jagte er im Slalom zwischen den Bäumen und immer mal wieder oben drüber, wie ein kleiner Wildfang. So hatte Simon Ruhe beim Ausladen des angemieteten Umzugsautos. Den größten Raum richtete er für Tannin her, denn er fragte sich immer noch in Gedanken, wie groß Tannin nun wirklich werden würde, wenn er erst einmal ausgewachsen war. Das Haus ging über 3 Etagen. Mehr als genügend Platz für sie beide. Das Erbe und das Geld aus dem Verkauf des alten Hauses würden sicher noch eine gewisse Zeit reichen. Simon brauchte etwa einen halben Tag, bis er das Haus fertig eingerichtet hatte. Erst als er sich auf dem Sofa im neuen Wohnzimmer niederließ, das fast ebenso groß wie Tannins Zimmer war, kamen die alten Erinnerungen wieder, die sich unbarmherzig in den Vordergrund drängten. Allen voran tat ihm Marco leid. Hatte dieser sich doch immer so um Tannin gekümmert. Wenn Simon mal krank war, oder auch wenn es Tannin mal nicht so gut ging. Simon lehnte sich zurück, und schloss sie Augen. -- Fast alle Kinder waren anwesend gewesen, und auch die meisten Erwachsenen. Doch als Simon mit Tannin aus dem Haus trat, waren die Erwachsenen hastig zurückgewichen. Die Kinder waren nach vorne gekommen um Tannin ein letztes Mal zu streicheln, oder ihnen Süßigkeiten zuzustecken. Ihnen standen Tränen in den Augen und Simon hatte sie nicht zu trösten vermocht. Die Gesichter der Eltern waren von Schreck und Angst gezeichnet. Sie versuchten immer wieder, ihre Kinder von Tannin wegzuziehen, doch diese entwanden sich deren Griffen und waren wieder zu Simon und Tannin zurückgekehrt. Sie wollten ihn und Simon nicht gehen lassen, aber alles Betteln und Weinen brachte bei ihren Eltern keinen Erfolg. Vereinzelt wurden sogar Rufe der Erwachsenen laut, das sie endlich verschwinden, und das Dorf nie wieder besuchen sollten. Dann war Simon zusammen mit Tannin davongefahren. Marco war noch ein Stück mitgelaufen, und dann zurückgeblieben. Auch in seinen Augen standen Tränen. Tannin hatte seinen langen Hals aus dem Autofenster gestreckt und noch lange zurückgeschaut. -- Simon öffnete die Augen, seufzte und richtete sich wieder auf. Er hatte noch genug zu tun, bevor er morgen seinen Dienst an einer neuen Stelle antrat. Arbeit war das beste, womit er sich im Moment ablenken konnte, und er wollte jetzt nicht mehr erinnert werden. Er ging zum Fenster und fing an die mitgebrachten Vorhänge aufzuziehen solange es noch hell war. Nacheinander stellte Simon die Stühle und den Tisch auf. Danach kamen nach und nach die anderen Zimmer mit der Feinabstimmung dran. Es war fast dunkel bis Simon seine Arbeit zu seiner Zufriedenheit beendet hatte. Mittlerweile war Tannin von seiner Erkundung zurückgekehrt. Er wirkte äußerst zufrieden. Als Simon genauer hinsah, bemerkte er weshalb. Offensichtlich hatte er für heute auch schon gefressen. Obwohl noch kein Feuer im Kamin, der im Wohnzimmer fest eingebaut war, an war, ließ sich Tannin davor nieder und schloss zufrieden seufzend die Augen. Simon seufzte. Offensichtlich kam Tannin mit der neuen Umgebung besser klar als er. Simon suchte ein paar Holzscheite zusammen, schichtete sie im Kamin auf, und entzündete sie. Dann nahm er sich vom Sofa ein Kissen, um sich neben Tannin niederzulassen. Irgendwann war er dann wohl eingeschlafen, denn als er mitten in der Nacht aufwachte, lag er neben Tannin. Das kleine Feuer im Kamin war ausgegangen, und so fröstelte es Simon. Er stand auf, um sich in sein Bett zu legen. Simon war noch nicht mal bis zur Tür gekommen, als eine plötzliche Bewegung ihn herumfahren ließ. Erst dachte er, Tannin sei erwacht, doch dieser schlief tief und fest. Simon sah sich um, konnte aber in dem dunklen Zimmer nichts erkennen. Hatte er es sich unter Umständen einfach nur eingebildet? Die Balkontür war offen. Simon wusste nicht, ob er sie gestern einfach nur vergessen hatte zu schließen. Langsam ging er auf die offene Tür zu und lugte hinaus. Da war niemand, und wenn sich jemand im Haus befände, wäre Tannin sicherlich aufgewacht und hätte ihn gewarnt. So begnügte Simon sich damit, die Tür zu schließen und dann leise ins Bett zu schleichen. Als Simon am nächsten Tag erwachte, wusste er nicht, ob es eine freudige oder eine böse Überraschung war, die sich ihm mit den Strahlen der aufgehenden Sonne erwartete. Tannin lag noch immer zusammengerollt vor dem Kamin, aber er war nicht alleine. Direkt neben ihm lag eine nur zu bekannte Person. Simon fragte sich, wie er ihn hier gefunden hatte, wo er doch seinen neuen Wohnort nie erwähnt hatte, auch aus dem Grund heraus, das niemand aus dem Dorf herüberkam und Gerüchte streute. Aufwecken wollte er ihn jetzt aber auch nicht, sollte er von alleine wach werden, dann konnte er Simon immer noch erzählen wie er ihn gefunden hatte. Langsam nahm Simon eine Decke vom Sofa und deckte die am Boden liegende Gestalt vorsichtig damit zu. Dann ging er in die Küche um Frühstück für sich und den überraschenden Gast zu machen. Sicher war auch er hungrig, wenn er wach wurde. Simon kehrte grade mit dem gefüllten Tablett ins Wohnzimmer zurück, als sich die Gestalt unter der Decke regte. „Guten Morgen,“ meinte Simon, während er das Tablett auf dem Tisch abstellte und die restlichen Holzstücke zusammensuchte, um ein neues Feuer im Kamin zu entfachen. „Ausgeschlafen?“ Der Blick, verriet ihm aber eher das Gegenteil. „Geht so,“ murmelte Marco vor sich hin, während er seine steifen Glieder reckte. „Ihr habt hier verdammt kalte Nächte.“ - „Selbst schuld, wenn du unbedingt auf dem Boden schlafen willst.“ Marco kniff die Lippen zusammen. „Was hätte ich denn sonst tun sollen? Sicher hättest du mich sofort nach Hause zurückgeschickt. Aber da will ich nicht hin, ich will bei Tannin bleiben.“ Trotzig streckte er sein Kinn vor und verschränkte die Hände vor der Brust. „Wissen überhaupt deine Eltern wo du bist?“ Marco schüttelte den Kopf und Simon seufzte. Das hatte ihm grade noch gefehlt. „Wie hast du uns überhaupt gefunden?“ - „Tannin hat es mir gesagt, und die Strecke bin ich dann mit dem Bus und per Anhalter nachgefahren.“ Marco grinste frech. Simon blickte erst Marco und dann Tannin strafend an, und fragte sich, wie er das angestellt hatte. „Er spricht mit dir?“ - „Sicher.“ Marco tippte sich an den Kopf. „Hier oben drin.“ Ungläubig blickte Simon Marco an. „Warum hast du mir davon noch nichts erzählt?“ - „Du hast mich nicht gefragt.“ Simon blickte von Marco zu Tannin und wieder zurück. „Seit wann kannst du mit Tannin reden?“ - „Seit ich Tannin zum ersten Mal bei dir zu Hause getroffen habe.“ - „In der Bücherei auch schon?“ Marco schüttelte den Kopf. „Erst danach.“ Irgendwie fühlte sich Simon plötzlich neidisch. Warum redete Tannin nicht mit ihm. „Wollen wir vielleicht nicht mal was essen? Marco versuchte das Thema zu wechseln. „Oh, natürlich.“ Simon setzte sich auf den Sessel, während Marco auf dem Sofa Platz nahm. Auch Tannin war mittlerweile aufgewacht und war nun so an den Tisch herangerückt, das er mit seinem Kopf über die Tischkante schauen konnte. Mit schleichender Eifersucht bemerkte Simon, das Tannins Blicke mehr auf Marco ruhten. „Willst du deinen Eltern bescheid sagen, wo du bist?“ Marco schüttelte zwischen zwei Bissen den Kopf. Das hatte Simon sich schon gedacht. „Ich glaube, dann rufe ich deinen Vater mal besser an, damit er sich keine Sorgen macht.“ Simon wollte aufstehen, aber Marco sprang auf, so das sein Saftglas umfiel und der Inhalt sich über den ganzen Tisch verteilte. „Bitte...nicht...anrufen.“ Er versuchte krampfhaft zu schlucken um den Mund frei zu bekommen, dann redete er hastig weiter. „Wenn mein Vater rausbekommt, wo ich bin, darf ich nie wieder daheim raus.“ Simon merkte ,das Marco in einer Zwickmühle steckte. Einerseits wollte er bei Tannin sein, wenn aber sein Vater dies herausbekam würde er ihn nie wieder unbeaufsichtigt aus dem Haus lassen. Er seufzte, und bemerkte plötzlich das auch Tannin seinen Blick auf ihn gerichtet hatte, darin lag etwas flehendes, dessen Simon sich nicht zu entziehen vermochte. „Ja, ja, ist schon gut. Aber ich bring dich gleich nach dem Essen nach Hause.“ Simon hob kapitulierend die Hände und ging zur Küche um ein Tuch zu holen, mit dem er die Sauerei vom Tisch entfernen wollte. Als er aber zurückkehrte war Tannin grade dabei die Reinigung des Tisches durchzuführen. Mit seiner langen Zunge angelte er nach der Saftlache. Schob sie zum Rand und fing die herabfallenden Tropfen mit dem Maul auf. Marco grinste vor sich hin. Simon schaltete den Motor seines neuen Vans vor dem Dorf ab. Er wollte nicht hineinfahren, und Marco so vor ein noch größeres Problem stellen, als er jetzt schon ohnehin haben würde. „So und jetzt raus mit dir.“ Marco schaute Simon mit traurigen Augen an. „Und ich darf euch auch jederzeit besuchen kommen?“ Simon nickte. „Klar doch.“ Er nahm einen Zettel und schrieb eine Nummer darauf. „Ruf mich aber beim nächsten Mal auf mein Handy an, dann kann ich dich auch mal abholen kommen. Auf Dauer sind die Busfahrten doch sicher viel zu teuer.“ Tannin streckte seinen Hals nach vorne und legte ihn auf Marcos Schulter. Irrte Simon sich, oder spürte er einen Anflug von Eifersucht, doch bevor er der Sache genauer auf den Grund gehen konnte hatte Marco bereits das Auto verlassen und lief zum Dorf hinüber. Tannin sah im nach und in seinen Augen lag wieder dieser traurige Ausdruck. Simon wendete den Van und fuhr zurück, noch bevor Marco das erste Haus des Dorfes erreicht hatte. Den Rückweg verlief schweigend, auch das Radio blieb aus. Tannin hatte sich auf der Rückbank zusammengerollt und die Augen geschlossen. Irgendwie konnte Simon seinen Anblick im Moment nicht so richtig ertragen, denn er schaute kaum noch in den Rückspiegel und konzentrierte sich ganz auf die Straße. Er fühlte sich verraten. Warum sprach Tannin nicht mit ihm, ging es Simon während der ganzen Fahrt durch den Kopf. Was hatte er nur falsch gemacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)