Ausgenutzte Liebe von Skeru_Seven ================================================================================ HAUPTTEIL --------- Als ich am nächsten Morgen in Silvans ungemütlicher Umklammerung erwachte und mir das krasse Szenario von gestern Nacht wieder einfiel, wusste ich nicht, ob ich mich jetzt ziemlich schuldig fühlen oder wütend auf Silvan sein sollte. Immerhin hatte ich mit keiner Silbe erwähnt, dass ich ihn gefickt hatte, weil ich volle Kanne und unendlich in ihn verschossen war, aber er musste mich dann noch mit seiner tollen Liebeserklärung schocken. Nun fühlte ich mich endgültig wie ein überdimensionales Vollidiotenarschloch, na klasse. Ich hätte es mir gestern vielleicht doch verkneifen und einmal meinen Kopf über meinen Schwanz siegen lassen sollen, dann wäre ich nicht in diesem Dilemma. Verdammt aber auch, verflucht sei das Leben. „Morgen Leon.“ Silvan war zwar noch irgendwo im Halbschlaf, lächelte aber trotzdem glücklich vor sich hin und drückte mir einen Kuss auf die Wange, als hätte er mich seit Wochen nicht mehr gesehen. Mein schlechtes Gewissen lachte mich hämisch aus und ich zwang ein nicht ganz überzeugendes Grinsen auf mein Gesicht. Ich konnte es ihm einfach nicht dreist ins Gesicht sagen, dass er für mich nur ein Kerl gewesen war, dem man benutzt hatte, weil kein anderer in der Gegend herumgestanden hatte. Es ging einfach nicht, ich brachte es nicht übers Herz, wahrscheinlich zum ersten Mal im Leben. Sonst konnte ich so gnadenlos ehrlich sein, dass deswegen schon einige Mädchen geheult hatten – mein Gott, ich durfte ihnen ja wohl sagen, dass sie hässlich wie die Nacht waren, wenn sie sich an mich heranmachten und ich das nicht wollte. Silvan näherte sich mir noch ein bisschen mehr, falls das überhaupt möglich war, so wie er völlig verknallt auf mir hing, und ich hätte ihn am liebsten genervt zur Seite geschoben und ihm erklärt, was eigentlich Sache war. Freundschaft jein, Liebe kein bisschen, Sex von mir aus, obwohl ich ungerne mit einem Kerl öfter schlief, zum Schluss verstand der das falsch und wollte wirklich was von mir. Aber ich ließ es über mich ergehen, selbst als er mir anfing zu erzählen, wie glücklich er doch war, dass ich seine Gefühle erwiderte und dass er mich ganz sicher nicht mehr hergeben würde und weiteres unnützes Dummgeschwafel, bei dem ich mich zeitweilig fragte, ob sich Silvan nur als männliches Wesen tarnte und in Wirklichkeit Silvia hieß. So ein schwules Gefasel hatte ich bis jetzt nie erlebt, ich hatte nicht einmal geahnt, dass Jungs zu solchen Äußerungen fähig waren. Vielleicht sollte ich aufhören, immer von mir auf andere zu schließen, bei Silvan funktionierte das nämlich gar nicht; wie gesagt, richtige Gemeinsamkeiten hatten wir eigentlich nicht, besonders bei unseren Charaktereigenschaften. Ich warf einen Blick auf die Uhr auf seinem Nachttisch. „Komm, lass frühstücken gehen, bald müssen wir los.“ Klang dumm, aber ich hatte mich schon seit Langem nicht mehr so gefreut, in die Schule zu müssen. Dort konnte Silvan seine kranken Verliebtheitsanfälle nämlich nicht gnadenlos ausleben, besonders nicht während des Unterrichts. „Wir können auch schwänzen“, schlug er vor und versuchte mich mit seinem Blick zu hypnotisieren. Klappte allerdings nicht, er brachte mich damit höchstens fast zum lachen, wenn die Lage nicht so unangenehm für mich gewesen wäre. Ich wollte das alles nicht, verdammte Scheiße! „Nein.“ Zu mehr äußerte ich mich nicht, sein leises Seufzen verriet mir, dass er verstanden hatte und mich nicht weiter überreden würde. Während des Anziehens und beim Frühstück wich er mir kaum von der Seite, was ich besonders störend fand, da sein jüngerer Bruder noch mit uns am Küchentisch hockte und die Welt nicht mehr verstand. Musste auch ein seltsames Bild abgeben, wie sein Bruder wie ein beklopptes Mädchen an mir klebte, meine Hand nicht mehr loslassen– wie sollte ich unter diesen Bedingungen mein Brötchen schneiden? Hallo? – und mich dauernd küssen wollte. Er ging mir echt auf den Sack, ich stand kurz davor ihn anzufauchen, wie er auf die Idee käme, mich so zu belästigen, bis mir wieder einfiel, dass ich selbst schuld daran war. Mein innerer Konflikt spitzte sich von Minute zu Minute zu. Der Weg zur Schule war furchtbar peinlich; Silvan konnte seine Gefühle einfach nicht unter Kontrolle halten und alle Schüler im Bus sahen uns teils entsetzt, teils belustigt an, während ich so tat, als machte mir das alles nicht aus, und in Gedanken Silvan den Hals umdrehte und ihn zum Mond schoss. „Jetzt hör doch mal auf!“, platzte es schließlich aus mir heraus, als ich auf der Hälfte der Strecke zwischen Fenster und ihm so eingeengt war, dass ich mich wie in einer verfickten Konservendose fühlte. Er sah mich an, als hätte ich ihm eine geknallt und ihn als ein absolut unnötiges Objekt bezeichnet; Alter, Mädchen konnten rumflennen, ohne dass es mich störte und er schaffte es, dass ich mir schon wieder mies vorkam. Dabei hatte ich nur meine persönliche Meinung geäußert, zu Recht! Er rückte ein wenig von mir ab und richtete den Blick auf den dreckigen Boden vor dem Sitz, anscheinend befürchtete er, ich könnte noch nachlegen, wenn er mich auch nur ansah. Na danke, jetzt wurde ich von ein paar Mädchen, die in der Nähe unserer Platze standen, gemustert, als wäre in ein Untier. Hallo, ich war hier das Opfer! Das Opfer meiner eigenen Dummheit. Was hätte ich nicht alles gegeben, um die letzte Nacht aus seinem und meinem Gedächtnis streichen zu können. In der Schule wurden wir natürlich sofort Gesprächsthema Nummer eins, kaum dass wir zusammen ankamen und Silvan, der sich inzwischen etwas gefangen hatte, sich wieder an mich schmiegte, als wäre er ein Kätzchen. Ich unterdrückte ein gereiztes Brummen und betete, dass der Unterricht schnell begann, damit ich mich in meinen eigenen Klassensaal zurückziehen konnte, da wir die ersten drei Stunden getrennte Kurse hatten. „Sag mal, hab ich was verpasst?“ Lars kam in der kurzen Pause zwischen der ersten und zweiten Stunde zu mir an meinen Tisch und lehnte sich gegen die Kante. „Hm?“ Vielleicht den schlechten Sex zwischen Silvan und mir, die unpassende Liebeserklärung, die unschöne Wendung heute Morgen, aber sonst nichts, was ihn interessieren musste. Das Thema Silvan würde ich so schnell wie möglich zu beenden versuchen, lange hielt ich das nämlich nicht aus, diese Aufdringlichkeit und das Süßholzgeraspel von ihm. „Schon irgendwie.“ „Und?“ Lars, der Mann der wenigen Worte. Aber verständlicherweise wollte er mehr erfahren. „Ach, alles scheiße.“ Vor allem scheiße gelaufen. Was für ein Vollpfosten ich aber auch war, unbeschreiblich. „Warum?“ „Weil halt, ich erzähls dir später, okay?“ Hier belauschten uns nämlich fünfzehn neugierige Menschen, die unbedingt wissen wollten, aus welchem verrückten Grund ich endlich mal mit einem Kerl zusammen war. Wie gesagt, ich war nicht schwul und hatte es auch nicht vor, noch zu werden. Er zuckte mit den Schultern, was man entweder als halbe Zustimmung und Gleichgültigkeit auslegen konnte und verschwand zurück zu seinem Platz und zu seiner Freundin. Wenn Silvan sich nur ein kleines Beispiel an Lars nahm und nicht dauernd ohne Pause die Klappe aufriss, wäre ich ihm schon sehr dankbar. Den ganzen Tag ging ich Silvan so gut und unauffällig wie es mir möglich war aus dem Weg und als er mich nach dem Unterricht wieder zu sich nach Hause holen wollte, wehrte ich das ab. Mit der schlechten Begründung, meine Mutter würde sich sonst Sorgen machen. Das tat sie sowieso andauernd, bei meinem Lebenswandel kein Wunder. Endlich allein und ohne anhängliche Begleitung ging ich nach Hause, musste mir dort eine Predigt von meiner Mutter anhören, da ich ihr gestern nicht Bescheid gesagt und sie sich deswegen riesige Sorgen gemacht hatte, und verschwand in mein Zimmer. Entweder setzte ich mich nun an die Hausaufgaben und spielte den tollen Musterschüler vor, der ich nicht war, oder plante, wie ich aus der unfreiwilligen Beziehungsnummer mit Silvan entkam. Zum Schluss tat ich weder das eine noch das andere, sondern gammelte auf meinem Bett, probierte mir mit TV auf niedrigstem Niveau das Hirn aus dem Kopf zu saugen und fluchte die ganze Zeit über mein eigenes Unvermögen. Wer war denn auch zu dumm, um offen dazu zu stehen, dass man außer Sex nichts von seinem Gegenüber wollte? Anscheinend nur ich; aber auch nur heute. Mein Gott, wenn das so weiter ging, klammerte Silvan noch in zehn Jahren an mir und ich schaffte es dann immer noch nicht, ihn loszuwerden. Grausige Vorstellungen, ich musste handeln. Mein Handy klingelte; als mögliche Anrufer kamen nur Lars und Silvan in Frage, sonst rief mich nie jemand an, denen reichte es, wenn sie mich in der Schule oder an anderen Orten sahen. „Ja?“ Hoffentlich merkte man mir an, dass ich absolut keinen Bock auf Gelaber hatte, immerhin musste ich noch etwas vor mich hin leiden und selbst bemitleiden. „Leon?“ Oh nee, mein Zukünftiger, auf den konnte ich ja so was von verzichten, das glaubte der kaum. „Kann ich vorbei kommen?“ Hielt er es nicht ohne mich aus? Armes Ding, wir waren ja auch schon so lange getrennt. Genau eine Stunde und vierzehn Minuten, wie schrecklich. „Wenns sein muss...“ Auf Deutsch: Bleib weg und wag es nicht, mir auch nur SMS zu schicken. „Ich nerv dich etwas, oder?“ Er klang geknickt, aber wenigstens schien er es zu checken. „Aber ich freu mich halt so... dass du mich auch liebst.“ Los, ich musste es ihm sagen, am Telefon war es zwar verdammt arschlochmäßig und feige, aber die Situation bot sich dazu an wie eine Nutte am Straßenrand. Kranker Vergleich. „Aha.“ Es war endpeinlich, aber ich brachte es wirklich nicht übers Herz. Silvan wäre am Boden zerstört und so wie ich ihn kannte, würde er tagelang durchgängig heulen, immerhin plante er schon fast eine Hochzeit samt Flitterwochen mit mir. Verdammt, verdammt, verdammt! „Freut mich.“ „Ich komm jetzt vorbei, bis gleich.“ Die gute Laune spürte ich durch das Handy hindurch. Moment, was für eine Logik verfolgte der Junge? Besaß das Ganze überhaupt eine? Wenn ja, wo lag sie bitte versteckt? Und warum fragte er mich um Erlaubnis, wenn er meine Antwort trotzdem dreist ignorierte? Seufzend drehte ich mich auf den Bauch, raufte mir in stiller Aggression die Haare, schimpfte auf alles, was mir in den Sinn kam und fragte mich, wie viel es kostete, seine Identität zu ändern. Eine Viertelstunde später stand Silvan in meinem Zimmer; kaum dass er den Fuß über die Schwelle gesetzt und seine Jacke auf den Boden geworfen hatte, schaffte er es nicht mehr, die Finger von mir zu lassen. Plötzlich lag ich nämlich nicht mehr allein auf meinem Bett, sondern wurde ziemlich an die Kante gedrängt und drohte hinunter zu fallen. Aus purem Egoismus hätte ich Silvan gerne selbst auf den Boden befördert, aber er rollte sich zusammen, kuschelte sich an mich und setzte sein liebstes Lächeln auf, bei dem sich so viele Mädchen ärgerten, weil so ein Kerl schwul war. Mich bezauberte er damit garantiert nicht, das gelang einem bei mir mit ganz anderen Mitteln. „Ich liebe dich“, flüsterte er mir immer wieder ins Ohr und schien auf eine Rückmeldung zu warten. „Ich liebe dich schon so lange, Leon, das glaubst du gar nicht.“ Doch, ich hatte es schon am ersten Tag, als wir uns kennen gelernt hatten, gemerkt, dass da irgendwas nicht stimmte. Vor mindestens eineinhalb Jahren; seitdem lebte ich mit einem persönlichen Fan an der Backe, bei dem immer die Sonne aufzugehen schien, wenn ich in seine Nähe kam. „Du bist das Wichtigste in meinem Leben.“ Seine Hand stahl sich unter mein T-Shirt. „Ohne dich ist alles irgendwie ziemlich sinnlos, weißt du das?“ Junge, bitte, hör auf damit, du machst mich wahnsinnig mit diesem emotionalem Gequake, das ich nicht erwidern kann und will. Ich steh nicht auf Kerle, egal wie feminin sie aussehen oder sich geben! „Hm.“ Als Antwort sollte ihm das genügen, zu mehr würde ich mich nicht hinreißen lassen. Für ihn log ich hier nicht herum. Vorsichtig setzte sich Silvan auf, beugte den Kopf zu mir hinunter und küsste mich auf den Mund, wobei ich mal wieder in den Genuss der Metalldrähte kam. Wenn die endlich raus waren, würde ich feiern, diese Fremdkörper waren einfach nur widerlich. Kaum hatten wir den Kuss beendet, zog ich Silvan das T-Shirt aus und tat dasselbe bei seiner Hose. Etwas verlegen ließ er das über sich ergehen – bei unserem ersten Mal hatte ich ihn schließlich wegen der Dunkelheit nicht gesehen – und wollte denselben Prozess bei mir fortführen, doch das ließ ich nicht zu, das tat ich wenn schon selbst. Silvan zitterte bei jeder meiner Berührungen und ich musste mich zurückhalten, um nicht spöttisch zu fragen, ob er fror. Es reichte, dass ich ihn jetzt fickte und ihn in dem Glauben ließ, dass ich das tat, weil ich ihn liebte. Das einzig Positive an diesem Müll: Es gab immer jemand, mit dem man ins Bett steigen konnte. Obwohl es ihm eindeutig peinlich war, machte Silvan keinen plötzlichen Rückzieher und genoss schließlich sogar, was ich mit ihm anstellte; so sollte es auch sein. Seine anfängliche Scham verzog sich ein wenig und er schaffte es sogar, mir in die Augen zu sehen, während ich an ihm rumtastete, als wäre er absolutes Neuland für mich. Ich durfte nur nicht länger darüber nachdenken, warum er das so widerstandslos über sich ergehen ließ; die Wahrheit brachte ihn um, das ahnte ich. Als ich in ihn eindrang, krallten sich seine Hände so fest um meine Schultern, dass ich befürchtete, noch Wochen später Abdrücke von den Fingernägeln in meiner Haut zurückzuerhalten, aber dafür fühlte ich mich endlich von meinem nervigen Drang erlöst, den ich an Silvan ausgelassen hatte. Nein, schlechtes Gewissen, verzieh dich, keiner will dich haben, vor allem ich nicht. Alles eine Fügung unglücklicher Zufälle, die mir einen willigen Jungen zugespielt hatte, dem ich nun die große Liebe vorgaukeln musste, ohne es explizit auszusprechen. Und schon wieder dachte ich an das, woran ich nicht denken wollte. Ich war doch dumm im Kopf. Silvans erhitzte Wange drückte sich aufmerksamkeitssuchend an meinen Hals und beförderte mich in die Wirklichkeit zurück; er wartete wohl mal wieder auf die drei Worte von mir, die ich ihm nie sagen würde, nicht für sein gesamtes Sparbuch und das seiner Eltern. Stocksteif wie ein Holzbrett lag ich nun da, übersah mit voller Absicht seinen sehnsuchtsvollen Blick und starrte stattdessen abwechselnd an die Decke und an die Wand. Die musste auch mal neu gestrichen werden. Vielleicht sollte ich das als Vorwand nehmen, um Silvan nach draußen zu befördern? Kam auch gar nicht verdächtig rüber oder so, nein, kein bisschen. Seufzend rang ich mit mir selbst, wie ich mich nun am besten verhielt, um ihn nicht wieder so herzlos wie heute Morgen zu verletzen – zu was für einen guten Menschen mutierte ich nur? –, rollte mich schließlich seufzend auf die Seite und blickte ihm direkt ins Gesicht. Dort sah ich all das, womit ich nichts anfangen konnte: Freude, Nervosität, auch ein Teil Erschöpfung und diese verdammt erschlagende Masse an Zuneigung, an der ich immer noch stark zu knabbern hatte. Verdammter Trottel, er sollte mich hassen und nicht lieben, aber bis ich das erreichte hatte, wäre das Jahrhundert wohl um oder er in einem andauernden Anfall von Trauer eingegangen. Wir lagen bestimmt noch eine halbe Stunde auf meinem Bett herum, schauten uns nur an, sprachen kein Wort und hofften insgeheim, dass meine Mutter nicht zufällig hineinplatzte und einen kleinen Nervenzusammenbruch erlitt, wenn sie uns so sah. Sie wusste zwar, in was ich öfter verwickelt war, hatte es aber noch nie live vor ihrer Nase erlebt, worauf ich auch nicht besonders scharf war. Solche Eindrücke verwehrte ich ihr lieber auf der Stelle. Irgendwann wurde es mir zu dämlich und vor allem zu kühl, ich griff nach meinen Klamotten, streifte sie mir über und wartete ungeduldig, dass Silvan dasselbe tat und vielleicht auf die Idee kam, dezent zu verschwinden, um mich mein Leben ohne ihn leben zu lassen. „Darf ich bei dir übernachten, Leon?“ Pustekuchen, nichts gabs. Er merkte wirklich nicht, wie ungern ich ihn länger als nötig in meiner Nähe aushielt, das war wirklich bedenklich. Seine kranke Verliebtheit machte ihn wohl für jedes noch so deutliche Anzeichen blind. „Muss ich erst abklären.“ Oder zumindest behauptete ich das, um die angebliche Bosheit meiner Mutter als Alibi zu nutzen. „Wart mal, ich komm gleich wieder.“ Ich stand schon fast an der Tür. „Und zieh dir was an, okay?“ Ich klang schon wieder so gereizt, das ließ sich gar nicht unterdrücken. Sein kindisches Benehmen ging mir zu sehr auf den Zeiger als dass ich noch länger ruhig bleiben konnte. Statt zu meiner Mutter zu gehen und sie ernsthaft zu fragen, blieb ich einfach eine Minute im Flur stehen, kehrte dann wieder zurück und verkündete ihm dreist, dass sein kleiner Wunsch sich nicht erfüllte, da meine Mutter aus irgendwelchen weiblichen Gründen nicht damit einverstanden war, ihn bis morgen früh hier frei rumhüpfen zu lassen. Zerknirscht strich er sich sein T-Shirt glatt, das er sich in der Zwischenzeit wieder übergezogen hatte, und schaute mich bittend an; er wollte wohl seine nötige Portion Kuscheln bekommen, doch ich hatte darauf nun wirklich keine Lust, das musste er akzeptieren. Irgendwie hatte ich das böse Gefühl, dass seine Anhänglichkeit von Tag zu Tag zunahm, sodass ich kaum noch einen Schritt ohne ihn an meiner Seite klebend ausführen konnte. Er steigerte sich wirklich extrem in diese 'Beziehung' hinein, es gruselte mich einfach nur noch. Fehlte nur, dass er aus Protest, weil er nicht permanent bei mir oder ich bei ihm schlafen konnte, vor unserer Haustür campte oder sich auf dem Rasen sein neues Heim einrichtete. Ich traute es ihm zu und es störte mich fürchterlich. Der sollte sich ein Leben mit Hobbies und Freunden zulegen und nur ab und zu bei mir vorbeischneien und sich von mir nehmen lassen, aber für mehr fehlten mir einfach die Nerven und vor allem die Gefühle. Aus dem Nichts konnte ich die nicht zaubern und sah auch keinen Grund, wieso überhaupt. Ich saß bei Lars zuhause auf dessen Bett, neben mir besagter Kumpel, der gerade am Handy von einer aufdringlichen Verehrerin, die seit Tagen nicht locker ließ, pausenlos zugetextet wurde, und auf meiner anderen Seite... hing meine persönliche Klette, grinste glücklich, hatte eine Hand vorsichtig auf mein Knie gelegt und erzählte mir gerade tiefgründige Erlebnisse aus seiner noch gar nicht so weit entfernten Kindheit. Allerdings bekam ich die nur am Rande mit, da es mich nicht sonderlich interessierte, wie oft er sich mit seinen Inlinern früher aufs Maul gelegt hatte, stattdessen wollte ich, dass Lars die Monologführerin wegdrückte und sich wieder uns zuwandte. Oder eher mir, mit Silvan kam er nicht so gut zurecht, der quasselte ihm dafür zu viel, das verwirrte Lars immer ein wenig. Er gehört einfach zu der schweigsamen Sorte. Lars und ich hatten uns in letzter Zeit nur selten wirklich gesehen und wenn dann nur in Begleitung von Silvan, was mir nicht gefiel; ich brauchte endlich mal Zeit zum Durchatmen und vor allem einen Lars, der mit mir die Lage analysierte und mit vielleicht einen kleinen Tipp gab, wie ich heil wieder aus meiner selbstverschuldeten Dummheit herauskam. „Leon, hörst du mir zu?“, unterbrach Silvan plötzlich seine totspannende Erzählung über einen seiner zehntausend Unfälle und zwickte mir etwas unsanft in die Seite. Anscheinend hatte ich etwas zu abwesend ausgesehen, um nicht aufzufallen, verdammt. „Ich kann es auch lassen, wenn du es zu langweilig findest.“ „Passt schon.“ Ich konnte ihm schlecht sagen, dass es mir am liebsten wäre, wenn er den Schnabel hielt und dezent Lars' Haus verließ, damit ich echte Männergespräche mit diesem führen konnte. Das wäre zu bösartig gewesen. „Endlich.“ Seufzend drückte Lars die kleine rote Taste und warf das Handy erleichtert in die andere Ecke des Zimmers; das Mädchen auf der anderen Seite der Leitung hatte entweder genug geschwatzt oder ihre Handykarte hatte sich soeben von ihr verabschiedet. Im Endeffekt juckte es mich kein Stück, Hauptsache Lars war wieder präsent und rettete mich dadurch vor Silvans Redefluss. „Ist sie tot?“ Diese makabere Frage konnte ich mir nicht verkneifen; Silvan schien sie nicht so lustig zu finden, zumindest sprach sein Blick Bände. Aber Lars ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, er kannte meine nicht unbedingt ethisch korrekten Zwischenfragen bei nervigen Mädchen. „Noch nicht. Aber wenn sie immer ohne zu atmen eine Stunde redet, wird das irgendwann passieren.“ Unglücklich machte ihn diese Möglichkeit augenscheinlich nicht, ich verstand das sehr gut. „Ist ja auch egal.“ Das sichere Zeichen, dass er gerne das Thema wechseln wollte. „Was machen wir?“ „Zocken“, beschloss ich im Alleingang. Ich durfte das, ich war hier schon oft genug gewesen, um darauf ein Recht zu haben. Gerne hätte ich noch beschlossen, Silvan zu knebeln und in den Schrank zu stecken. „Geht klar.“ Zielsicher holte Lars seine zwei Controller aus einer Schublade und drückte mir aus Gewohnheit einen in die Hand; Silvan ging leer aus, zeigte aber nicht, dass es ihn extrem störte. Den Grund dafür merkte ich schon bald: Jetzt fummelte er nämlich schamlos an mir herum, weil ich mich auf das Spiel konzentrieren musste und nicht nach ihm schlagen konnte. Augen zu und durch, sobald er mir zu sehr auf den Sack ging, hatte ich immer noch einen Mund, der ihn anschreien wollte. Eine Hand an meinem Nacken, eine an meinem Bauch unter meinem Shirt; der war anhänglicher als jede Klette der Welt. Sicher wunderte sich schon Lars über das seltsame Theater neben ihm. Normal war das nicht für meine Verhältnisse. „Leon, ich muss bald gehen, ich muss noch für die Klausur morgen lernen“, murrte Silvan nach einer halben Stunde, in der sich nur der Hintergrund auf dem Fernseher geändert hatte. Da brauchte jemand fett Aufmerksamkeit von mir, die ich ihm aber gerade nicht geben wollte. Zocken machte mehr Spaß als pseudosüßes Rumgeschmuse mit meinem Zukünftigen. „Hörst du mir zu?“ Ein Zupfen an meinem Oberteil verstärkte die Aussage. Meine Fresse, ich war nicht blind und taub! Nur unmotiviert, mich mit ihm zu befassen. „Ja, Silvan, ich mach gerade was, siehst du doch.“ Leon der ignorante Arsch Teil 536 oder so ähnlich. Sicher saß der Teufel höchstpersönlich auf meiner Schulter und lachte sich tot. Genervt über die unnötige Diskussion neben ihm aktivierte Lars die Pause im Spiel, damit wir uns aussprechen und dann still sein konnten. Ihm gelang es nicht zu verbergen, wie wenig Silvan mit seinem Plappermaul ihm zusagte. Als sich Silvan endlich mit schwerem Herzen von mir verabschiedet und das Haus verlassen hatte, feierte ich innerlich meine persönliche Houseparty und genoss es endlich richtig, meine Freizeit mit Lars statt mit Silvan zu verbringen. Einfachheit schlug halt Kompliziertheit um Längen und Lars ging niemanden auf den Geist. Der wollte nur sein Leben leben und hielt sich aus den meisten Angelegenheiten heraus; er beobachtete es lieber von Weitem. „Also, wie soll das jetzt weiterlaufen?“, fing er plötzlich an; er merkte, dass mich dieser ganze Abfuck ziemlich beschäftigte, und fühlte sich nun ein bisschen gezwungen, mir zu helfen. „Du liebst ihn nicht, stimmts?“ „Nee, nie im Leben, ich bin nicht schwul.“ Und würde es auch nie werden, das stand fest. „Weißt du doch.“ „Aber du willst mit ihm in die Kiste.“ Lars formulierte seine Feststellungen so nebenbei und sachlich, dass es fast schon lustig klang, wenn es nicht üble Realität gewesen wäre. „Ich will es nicht unbedingt… es ergibt sich halt irgendwie immer.“ Und es war so widerlich verlockend, ich musste ihn nicht bestechen, ihn nicht dafür abfüllen, er warf sich mir ja freiwillig aufs Bett und wollte von mir gefickt werden. „Willst du das alles wirklich?“ Souverän hämmerte Lars auf seinen Controller ein; genauso trafen mich auch seine Worte. „Nein“, gab ich ehrlich zu. Allein die Vorstellung, jeden Tag diese übertriebenen Liebeserklärungen an den Kopf geknallt zu bekommen, schreckten mich unglaublich ab. „Ich will ihn nicht dauernd küssen. Ich will nicht dauernd von ihm begrabbelt werden. Sex ist okay, er hat halt keinen Plan davon. Ach, ist doch alles Scheiße. Aber wenn ich ihm jetzt nen Korb gebe, geht der mir kaputt und ich bin schuld.“ Bah, was für eine unschöne Situation, ich hätte schon wieder ausrasten können, weil Lars ungeschönt meine wahren Gedanken über das alles aus mir herausgekitzelt hatte. „Du hast recht, klingt übel.“ Er fluchte leise, weil er seine Figur ausversehen gekillt hatte, und schaute mich zum ersten Mal heute direkt an. Bitte keine Psychospielchen, das hielt ich nicht aus. „Tu was, sonst schadest du euch beiden.“ „Und was denn? Ihn abknallen, damit Ruhe ist?“ Geile Lösung, die Polizei würde sich freuen über den Fall mit dem schlechtesten Tatmotiv des Jahres. „Super, ruiniert nur mein dummes Leben.“ „Nennt sich Wahrheit, hat bis jetzt immer geholfen, Leon.“ Unsanft stieß er mir mit seinen Ellbogen in die Seite. „Wenn du es zugibst, bist du ein Arschloch, das ist klar. Aber wenn du ihn belügst und was vorspielst, bist du ein größeres Arschloch, okay?“ Ja, er hatte ja leider Recht, mit einem guten Gefühl kam ich aus der aus Blödheit selbstverschuldeten Zwickmühle nicht mehr raus. Die Tage verstrichen quälend langsam und ich schaffte es nicht, einen Schlussstrich zu ziehen; dabei wäre nun wirklich die beste Möglichkeit, bevor er sich noch mehr an mich gewöhnte und das Theater später noch größer wurde als es sowieso schon werden dürfte. Ich saß neben Silvan auf einer halb vertrockneten Wiese am Rand von unserem ziemlich dreckigen See, in dem kein Mensch mehr freiwillig baden ging, und ließ mich von der Sonne verkohlen. Eigentlich hockte ich ja auf einem kleinen Deckchen und wurde zum Picknick gezwungen, aber das war zu gestört, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Wie unmännlich wurde Silvan denn noch? Hatte das nicht bald die Grenze zum schlechten Geschmack durchschlagen oder herrschte im Erdboden unter dem Niveau wirklich noch Platz für ihn? Ich wusste es nicht, auf jeden Fall stresste es mich extrem, irgendwelche Muffins oder Schokokekse oder sonst was in mich reinzufressen, weil er sonst keine Hobbies hatte. Das war peinlich, hoffentlich sah uns keiner, sonst brauchte ich eine gute Erklärung, warum ich die Scheiße mit mir machen ließ; Picknick und ich vertrugen uns nicht so gut. Mein angeblicher Freund bemerkte natürlich wieder nicht meine wahren Gefühle ihm gegenüber – er schien sich permanent Tomaten auf die Augen zu klatschen, das spürte man doch fast! –, sondern erfreute sich an seinem verdammten Pussyessen und der hässlichen Landschaft und war an sich wieder widerlich fröhlich. Nein, ich hatte nichts gegen Menschen mit guter Laune, nur, wenn sie mir damit 24 Stunden ununterbrochen auf den Nerv gingen wie dieses Exemplar hier. Irgendetwas musste ich tun, um das hier zu beenden, sonst gab es nachher hier einen spontanen Mord und das wollte ich ihm dann doch nicht antun. Wir sollten einfach getrennte Wege gehen, dann hatte sich die Sache erledigt; aber davor wollte ich ihn noch einmal vögeln, sozusagen als Ausgleich für diese Tortur, die ich seit Tagen ertrug ohne ihm eine zu klatschen. Nicht die netteste Art, ihn durchzunehmen und fallenzulassen, aber er würde mich sowieso hassen, da interessierte das auch keine Sau mehr. „Willst du noch Cola?“, fragte er mich, während er in seinem Korb, den er den ganzen Weg mit sich mitgeschleppt hatte, nach den Plastikbechern suchte. „Hab auch Sprite oder Eistee oder…“ Sein überflüssiges Gelaber hielt ich nicht mehr aus, weswegen ich ihn auf seine dumme Decke drückte und abwartet, wie er darauf reagierte. Zu etwas zwingen wollte ich ihn ja nicht, so lief das hier nicht, aber ich musste ihm schon mal klar machen, dass ich mehr wollte als mich vollfressen. Und gerne auch direkt hier an diesem Wasserloch namens See. „Was hältst du davon, wenn du mir einen bläst?“, schlug ich ihm vor; darauf hatte ich wirklich Lust, dann hatte das Rumsitzen sogar einen Sinn. Wie versteinert schaute er mich an, als hätte ich gerade einen extrem dummen Gag gemacht, aber ich meinte es ernst. Musste ich ihm das erst demonstrieren, indem ich ihn hier auszog? „Das geht nicht, Leon, wenn wer vorbeikommt, sind wir geliefert.“ Heftig schüttelte er mit dem Kopf. „Vielleicht zuhause, aber nicht hier…“ Auf solche Ausreden hatte ich keinen Bock; ich verwickelte ihn von mir aus – völlig untypisch für mich – in einen etwas missglücken Zungenkuss, weil er erst vor Überraschung gar nicht reagierte, aber als er endlich darauf ansprang, ließ er gar nicht mehr locker. Wenn mein Plan aufging, setzte ich am Schluss doch meinen Willen durch, Silvan konnte man irgendwie immer knacken, man musste sich nur halbwegs geschickt anstellen. Spätestens als er kaum noch verstecken konnte, dass er ziemlich erregt war von dem bisschen Rummachen, klopfte ich mir innerlich stolz auf die Schulter und flüsterte ihm gleichzeitig leise ins Ohr, wie toll es nun wäre, wenn er meinem Wunsch nachgehen könnte. Einschleimen und sich verstellen half in solchen Situationen immer am meisten. Wie benebelt nickte er – hatte er eben nicht noch einen ziemlichen Aufstand veranstaltet? – und begann, sich an meiner Hose zu schaffen zu machen. Ja, wir befanden uns immer noch am See und ja, ich war ein Arsch; aber das sollte inzwischen bekannt sein. Silvan hatte mal wieder keine Ahnung, was zu tun war, so zögerlich wie er an mir leckte und immer wieder unschlüssig aufhörte. Da wäre es schneller gegangen, wenn ich mich selbst zum Höhepunkt gebracht hätte. Das frustrierte mich mal wieder. Aus diesem Grund erlöste ich ihn von seiner unerfüllbaren Aufgabe, nur um ihn im nächsten Augenblick auf den Bauch zu rollen und auszuziehen. Er protestierte natürlich ein wenig, immerhin konnte uns hier jeder zusehen, wenn derjenige Lust dazu hatte, aber das störte mich nicht. Genug Menschen hatten mich schon nackt gesehen, da kam es auf einen oder zwei auch nicht an. Kaum drang ich mit einem Finger in ihn ein, waren seine Zweifel wie weggewischt und er jammerte fast, bis ich endlich ganz in ihm war; wie ein kleines Kind, der wurde bestimmt nicht mehr erwachsen. Ich stieß immer heftiger in ihn und er schrie dabei immer lauter auf; er hatte längst vergessen, dass und hier jeder Vogel als Liveporn benutzen konnte, aber was kümmerte es mich? Öfter mal was Neues, dem See gefiel es sicher genauso. Endlich fühlte ich mich vollkommen befriedigt, immerhin wusste ich, was ich wollte und wie ich es erreichte, Silvan hatte noch sehr viel zu lernen, wenn er nicht dauernd unsicher auf gut Glück etwas austesten wollte. Ich zog mich wieder an, versuchte ihm zu entgehen, da er sich mal wieder an mich drückte, als hätte er mich wochenlang nicht gesehen, und beschloss, nun böse und schmerzvoll das Ende unserer angeblichen Beziehung einzuläuten. „Silvan, ich muss dir noch was sagen.“ Ich hatte keine Ahnung, wie ich es am besten formulierte. Erwartungsvoll sah er mich an, er machte es mir keine Spur leichter, der Vollidiot. „Ich liebe dich nicht, ich hab nur mit dir geschlafen, weil ich gerade Bock drauf hatte und kein anderer in der Nähe war. Sorry, aber wir sollten es lieber bleiben lassen und getrennte Wege gehen.“ Ich wartete darauf, dass er mich anschrie, mir eine runter schlug und dann davon rannte, aber nichts geschah. Er saß einfach wie betäubt da und fing an zu weinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)