Order von Mebell (24 Tage - 24 Befehle (Oder: Der etwas andere Adventskalender)) ================================================================================ Kapitel 9: 9.Dezember --------------------- 9. Dezember Als Farins Blick die weite weiße Pracht vor seinem Schlafzimmerfenster trifft, weiß er im Grunde genommen ganz genau, worauf sein heutiges Türchen hinauslaufen wird. Dafür kennt er Bela einfach zu gut. Seine perfide Art der Rache (für was auch immer) oder, um es im Originalton seines Schlagzeugers zu sagen: seine Bemühungen zur Rettung ihrer Freundschaft. Es wird kalt werden. Verdammt kalt. Und nass. Farin kann ein brummiges Schnauben nicht unterdrücken, ist kurz versucht, die Decke über seinen Kopf zu ziehen und das dumme Klingeln heute ganz bestimmt zu ignorieren. Irgendwie siegt dann aber doch seine Neugierde, die Aufregung, vielleicht auch ein klein wenig seine Freundschaft zu Bela, den er irgendwie nicht enttäuschen möchte. Dass sein Beweggrund noch etwas ganz Anderes sein könnte, etwas Winziges, das sich tief in seinem Bauch eingenistet hat und dort mit jeder weiteren Aufgabe und Aufmerksamkeit Belas wächst, versucht Farin keines Gedankens zu würdigen. Schwerer gedacht als getan, doch auch das gelingt ihm dann (schließlich ist er ja immer noch Farin Urlaub, Meister aller Klassen und alles in allem perfekt) und während ihn Wischmopp vom Fußende interessiert zu beobachten scheint, zieht Farin sich an, macht sich auf den Weg in die Küche. Die er nicht erreichen soll, weil es just in dem Moment, in dem er den Flur betritt, klingelt und langsam beginnt Farin zu überlegen, ob Bela ihn nicht eventuell tatsächlich verwanzt hat, sein perfektes Timing spricht zumindest eindeutig dafür. Sich selbst fragend, ob er erst seiner Teesucht frönen soll, siegt schlussendlich das noch Unbekannte vor seinem Haus. Mit einem Schwung, der wesentlich mehr Elan besitzt als zum Anfang seines Adventskalenders, reißt er die Tür auf und sieht: Schrott. Anders lässt sich dieser Krüppel von einem Schlitten nicht beschreiben. Die einzelnen Bretter sind am Rand schon abgewetzt und splittern, die Kordel, welche eigentlich zum Ziehen gedacht ist, scheint bei dem kleinsten Ruck zu reißen. Eine dunkle Ahnung beschleicht Farin und mit einem Zittern, das sicher nicht von dem kalten Wind stammt der an seiner Kleidung zerrt, geht er in die Hocke, besieht sich den heutigen Klebezettel. "Neunter Befehl: Gehe Schlitten fahren!" Am liebsten würde Farin sich auf dem Absatz umdrehen, zurück in die wohlige Wärme des Hauses. Doch irgendetwas hindert ihn daran, den Befehl nicht auszuüben. Dieses Mal ist es aber nicht sein Stolz, sein absoluter Ehrgeiz zu gewinnen. Farin weiß ganz genau, was es ist, doch er traut sich nicht, diesem Etwas in ihm mit Worten Kontur zu geben. Deshalb huscht Farin auch erst einmal zurück in seine Wohnung, packt sich für eine Nordpolarexpedition ein und greift noch ohne darüber nachzudenken Wischmopp. Ziemlich perplex starrt er auf den Teddy in seiner Hand, ist der Griff doch völlig automatisiert geschehen. Sein merkwürdiges Bauchgefühl wird gefüttert und erfreut sich an der reichhaltigen Mahlzeit. * Farin schleift den Schlitten bedächtig hinter sich her, achtet penibel darauf, nicht beobachtet zu werden. Die Blöße muss er sich nun wirklich nicht geben, selbst für den Schlagzeuger nicht. Sein Ziel ist schon in Sichtweite, der kleine Berg ist über und über mit Schnee bedeckt. Mit schwerer werdendem Atem zieht er den Schlitten vorbei an der stillgelegten Jägerhütte am Fuß des kleinen Berges, stetig hinauf. Da der Berg aber eher die Bezeichnung Hügel verdient (Farin Urlaub ist nicht nur perfekt, sondern übertreibt auch gerne. Eine kleine Schlange wird bei seinen Urlaubsanekdoten auch schon mal zur Boa Constrictor) ist der Aufstieg schnell hinter sich gebracht. Kurz sieht er sich um, sucht etwas in der eintönigen Landschaft zwischen all dem Weiß. Fündig wird er nicht, nirgendwo blitzt eine schwarze Haarsträhne auf, ein schelmisches Lächeln oder das strahlende Grün seiner Augen. Es dauert seine Zeit, bis Farin realisiert, dass er Bela vermisst. Er kann seinen besten Freund nicht vermissen, wenn er ihn vor zwei Tagen das letzte Mal gesehen hat. Technisch unmöglich, das ist doch keine Zeitspanne. Aber er vermisst ihn, das Etwas in seinem Bauch scheint zu schreien. Lauthals kräht es vier bestimmte Buchstaben in die eisige Winterluft. Farin antwortet in Gedanken mit einem schlichten Nein. Je mehr er dieses Monster füttert, desto schlimmer wird es werden. Um sich von sich selber abzulenken, greift er sich den Schlitten und begibt sich zur Abfahrt. Auf dem Selbstmordgerät thront Wischmopp, wie der König der Welt. Der Hügel scheint mittlerweile zum Mount Everest gewachsen zu sein. Lang und steil erstreckt sich vor Farin das tiefer liegende Gebiet, fast hämisch scheint die Abfahrt ihm entgegen zu grinsen. Angst hat er natürlich keine. Wer durch die gefährlichsten Länder der Welt tourt, den stört so ein kleines Hügelchen nicht. Trotzdem wäre es sicher besser, zu testen, ob der Schlitten nicht bei der kleinsten schnelleren Bewegung zusammenbricht. Kurzerhand will Farin dem Schlitten einen kleinen Schubs geben und ihn fürs Erste nur mit dem Vampirteddy als Passagier in die Tiefe schicken. Doch mitten in seiner Bewegung spürt er eine warme Hand auf der Schulter, die ihn einige Meter zurückzieht. „Du wolltest da nicht etwas meinen Lieblingsteddy opfern?“, honigsüß lullt Farin die bekannte Stimme ein. Er beschließt nicht zu antworten, was ihm aber eh nicht gelungen wäre. Das Monster in ihm ist nämlich scheinbar gerade Punk geworden, absolut gegen die Regierung und rebelliert in seinem Magen. Neben dieser Rebellion bemerkt Farin nur halb, wie er wieder unauffällig Richtung Schlitten geschoben wird. Als er sich nur Sekunden später auf dem Gefährt wieder findet, fragt er sich ob die Demenz ihn eingeholt hat. Zwischen seinen Beinen befindet sich das eigentliche Opfer mit den angenähten Vampirzähnen. Plötzlich knackt es bedrohlich, der ganze Schlitten scheint nur noch bemüht ganz zu bleiben. „Bela, lass...“ In diesen Sekunden stößt Bela sie vom schneebedeckten Boden ab, die Abfahrt ist nicht mehr aufzuhalten. Farin schafft es gerade so, einen peinlichen Aufschrei zu unterdrücken. Um seinen Bauch schlingen sich die Arme des Schlagzeugers, ziehen ihn ganz nah zu Bela. Die Nähe ist so angenehm, dass er von der Fahrt nur den schneidenden Wind und die Geschwindigkeit halbwegs wahrnimmt. Die Umgebung verschwimmt in einem Farbenstrudel, in dem mal wieder Weiß dominiert - Bis es einen dumpfen Aufprall gibt und ein lautes Knacken. Die Augen halb geschlossenen will Farin die Funktionstüchtigkeit seiner Gliedmaßen überprüfen, kommt jedoch nicht dazu, weil ihn ein kräftiger Arm nach hinten reißt. Noch ein lautes Poltern, irgendetwas splittert direkt vor ihnen in alle Einzelteile. Langsam öffnet Farin die Augen jetzt endgültig um sich einen Eindruck zu verschaffen, die Szene ist aber nur halb so schlimm wie erwartet. Der Schlitten hat unsanft vor dem alten Jagdhaus gebremst, dabei haben scheinbar einige Holzbalken des Gerätes ihren Dienst quittiert. Ansonsten ist nichts weiter passiert, Bela und er haben allem Anschein nach nicht mehr als einen blauen Fleck. Das Poltern hingegen rührt von einem Blumentopf, der auf der Fensterbank des Hauses stand und durch die Erschütterung den Weg nach unten gesucht hat. Durch die guten Reflexe Belas hat Farin nun keine schwerere Gehirnerschütterung, sondern liegt stattdessen im Schoss des Schlagzeugers. Die grünen Augen fixieren ihn, das leichte Lächeln umspielt die Lippen. Aus seiner Froschperspektive wirkt Belas Lächeln noch perfekter, noch geheimnisvoller. Es ist so ein Moment, den man gerne einfangen und luftdicht verkorken möchte, um ihn jederzeit wieder zu genießen. Damit man in den tristen Stunden trotzdem den Hauch des Lebens spüren kann. Doch die schlechte Angewohnheit von Momenten, nämlich unwiederbringlich und dazu unglaublich schnell vorbei zu sein, besitzt auch dieser. „Schlimmer als ein kleines Kind, ich werde nie irgendetwas finden, wobei du dich nicht selbst umbringst.“ „Jaja, Onkel Bela ist ja jederzeit für mich da.“ Ironie und Sarkasmus zerschlagen das Unbekannte in ihnen, geben die alte Sicherheit wieder zurück und lösen die aus Sekunden aufgebaute Situation auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)