Order von Mebell (24 Tage - 24 Befehle (Oder: Der etwas andere Adventskalender)) ================================================================================ Kapitel 3: 3.Dezember --------------------- 3. Dezember Es gibt Tage, an denen man die gesamte Welt umarmen, sein ganzes Vermögen einem Kinderdorf in Südafrika spenden, kurzum einfach DER gottverdammte Gutmensch schlechthin sein möchte. Und dann gibt es die anderen. Farin hat heute eindeutig einen dieser anderen Tage erwischt. Schon beim Aufstehen würde er Wischmopp, der ihm fröhlich vom Plattenspieler entgegenzugrinsen scheint, am liebsten in den Schredder werfen. Dann noch dieses vermaledeite Drosselpaar, das ausgerechnet vor seinem Fenster turteln muss. (Es ist Anfang Dezember! Die sollten doch längst Richtung Süden wandern, Winterschlaf halten oder vom Aussterben bedroht sein! Was Drosseln eben so im Dezember machen, anstatt mit dummem Gezwitscher seinen Aggressionen Futter zu geben.) Als sein Wasserkocher schließlich beim obligatorischen Frühstücks-Tee-Machen den Geist aufgibt und im ganzen Haus für einen Kurzschluss sorgt, ist Farin klar, dass dieser Tag nur entweder in einer Katastrophe oder aber in einem Amoklauf enden kann. Dass es in eben jenem Augenblick, als ihn diese Erkenntnis trifft, an der Tür klingelt, scheint Farin fast schon ein Zeichen. Beinah ist er versucht, einen Sprint hinzulegen, dem Klingler (denn er hat schon eine sehr konkrete Ahnung, wer es ist) mit beiden Händen um den Hals seinen Hass gegen die Welt spüren zu lassen, als er sich dann doch eines besseren besinnt. Nachher rutscht er noch auf dem Flur aus oder rennt gegen irgendein Möbelstück. Farin kennt sein Glück. Mit fast schon vorsichtig anmutenden Schritten schleicht er deswegen auch geradezu zur Tür, hört nur noch wie jemand stampfend über den Kiesweg seiner Einfahrt entschwindet. Verwirrt hebt Farin eine Augenbraue. Da ist jemand aber auch schon mal eindeutig leiser gewesen. Ein wenig ist er schon beleidigt, dass Belas Mühe anscheinend bereits jetzt nachlässt. Als er dann endlich die Tür öffnet und seinen Blick nach unten wendet, strahlt ihm ein schon bekannter Zettel in kreischender Farbe entgegen und… Kastanien?! Sich vorsichtig in die Hocke begebend inspiziert Farin den Korb, der auf seiner Fußmatte steht, als würde es sich dabei um ein besonders ekliges Insekt handeln. Langsam versteht er, warum Bela so schnell wie möglich die Flucht gesucht hat. Neben Kastanien wurden dem Blonden noch Zahnstocher, ein kleiner Handbohrer, Plastikwackelaugen und anderer Bastelkram mitgegeben. Das Klebezettelchen macht es dann absolut eindeutig: "Dritter Befehl: Bastle ein Kastanienmännchen“ Farin ist für einen winzig kleinen Moment danach, laut und anhaltend zu schreien. Zwar befindet er sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Psychiatrie, aber man muss es ja dann doch nicht unbedingt provozieren. So bringt er seine heutige Aufgabe, oder doch eher Demütigung?, schnell ins Haus, nachher könnte ihn noch jemand damit sehen. Dann steht er erstmal für einige Minuten unschlüssig auf dem Flur. Nicht wirklich wissend, was er machen soll. Die Kastanien gleich auf dem Kompost entsorgen? Der Grundschule im Dorf spenden? Oder Bela bei der nächsten Bandprobe solange damit bewerfen bis dieser blutet? Irgendwo muss doch noch seine alte Steinschleuder rum liegen. So im Grübeln, bemerkt er gar nicht, wie seine Schritte ihn zur Küche führen. Und wie der Korb da so abgestellt auf dem Küchentisch steht, kommt ihn aus unerklärlicher Weise wieder dieses schicksalsgebende Telefonat in den Sinn. Bela scheint etwas an dieser Freundschaft zu liegen. Sonst würde er nicht jeden Tag in seinen abgelegenen Ort stapfen und seine Kreativität anstrengen. So seltsam und bizarr diese Idee ist, irgendwo ist sie süß. Moment. Farin hatte gerade nicht das böse s- Wort gedacht. Und überhaupt kann sich Bela seine ach so hoch gelobte Kreativität sonst wo hinschieben. Wahrscheinlich denkt er eh, dass Farin nichts Gescheites zustande bringt, es nur ein Klumpen Kastanien statt einem echten Männchen wird. Mit einer grimmigen Entschlossenheit, von der der Blonde selbst nicht so ganz weiß, woher sie kommt, lässt er sich auf einen der Stühle nieder, zieht den Korb zu sich heran. Das wäre doch gelacht, wenn er da kein Kunstwerk hinbekommen würde! Was kleine Schulkinder können, kann er schon lange. Enthusiastisch greift Farin nach dem ersten kleinen runden Bällchen, setzt den Bohrer an - und rutscht prompt ab. Mit einem eher unschönen Fluch auf den Lippen besieht er sich seinen Daumen, wo schon die ersten kleinen Tropfen Blutes, sich ihren Weg an die Oberfläche bahnen. Die erste beste Selbsthilfe nehmend die ihm einfällt, steckt Farin sich seinen Daumen in den Mund, besieht die Kastanie mit todbringenden Blicken, was diese aber so völlig kalt lässt. Das bedeutet Krieg! Die nächsten drei Stunden sind erfüllt vom lauten Gepolter, gelegentlichen Zischen (Farin ist mehr als nur froh das er in den nächste Woche keine Gitarre spielen muss) und einem außerordentlichen großen Repertoire an Schimpfwörtern. Doch das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Ein wenig erinnert das kleine Monster an die Bestie, nur eben kastanienbedingt runder. Die Augen sind diabolisch etwas schräger gelegt, während aus dem Mund, aus vielen einzelnen Zahnstocherspitzen, messerscharfe Zähne hervorblitzen. Farin ist extrem stolz auf sich. Und weil er eben nicht nur stolz ist, sondern auch durchaus sozial und an seine Mitmenschen denkt, weiß er auch schon, was er mit diesem Monsterchen anfangen wird. Wenige Minuten später steht die kleine Bestie auf seiner Fußmatte, um den dürren Hals ein kleine Schlaufe an dem ein Zettel hängt. Darauf steht in der penibel ordentlichen Handschrift Farins: Ich fresse gerne kleine Grafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)