Persona 4: Adachi von Bint-Lilith ================================================================================ Kapitel 1: Schmach und Mord --------------------------- Auffälliges Verhalten war der lächerliche Grund gewesen, warum Adachi Tohru in die ländliche Kleinstadt Inaba versetzt worden war. Noch immer grämte er seinen Ex-Kollegen, die ihn damals aufgrund einer Lappalie angeschwärzt hatten. Nun saß er seit einigen Monaten in dieser Einöde fest und drohte sich beinah zu Tode zu langweilen. Die Polizeistation war ein Witz. Adachi hatte zuvor in einer Großstadt gelebt und war nicht daran gewöhnt, stets dieselben Gesichter zu sehen und als Detektiv lediglich kleine Ladendiebstähle oder unwichtige Verkehrsunfälle aufzudecken. Es frustrierte ihn. Der Mann, dem er zugeteilt worden war, hieß Dojima Ryotaro und seit dem ersten Tag behandelte dieser Adachi wie einen trotteligen Anfänger und erlaubte sich somit, mit ihm willkürlich zu verfahren. Im regnerischen Inaba war ein kleiner Tumult ausgebrochen, als die lokalen Klatschspalten gehässig die Affäre der Nachrichtensprecherin Yamano Mayumi mit einem Beamten der Stadt namens Namatame Taro, Ehemann einer bekannten Enkasängerin, ausgeplaudert hatten. Das Fräulein Yamano war, genau wie ihr Liebhaber, auf der Stelle ihre Arbeit los und fiel im Angesicht der Gesellschaft, stieg jedoch in der Beliebtheitsskala, was die Einschaltsquoten betraf. Kurz nachdem ihre Affäre bekannt geworden war, war Yamano einige Tage in ihren ursprünglichen Heimatort Inaba gereist und wohnte solange dort im Gasthaus Amagi. Yamano Mayumi war Adachi schon im Fernsehen aufgefallen. Sie hatte ein zierliches jedoch gleichzeitig weibliches Gesicht. Der kurze Haarschnitt verlieh ihm zusätzlich einen frischen, mädchenhaften Eindruck. Ihre Bewegungen waren würdevoll und elegant. Eines Nachmittags hatte Adachi sie zufällig in der Innenstadt gesehen und sein Interesse an ihr wurde umso größer. Er wusste, dass sich die Frau im Amagi befand und beschloss einen Plan zu entwickeln. Er würde seine Position ausnutzen und ihr sagen, dass er von der dortigen Polizeistation beauftragt worden war, sie vor sensationslüsternen Paparazzi zu bewahren. Das Gasthaus war ein traditionell japanisches Gasthaus und der Stolz der Stadt. Es besaß sogar die beliebten heißen Quellen und Adachi fragte sich, ob er es schaffen konnte, einen Blick auf Yamano-san zu werfen, sollte sie sich beschließen zu baden. Im Gasthaus angekommen, bat er die Rezeptionistin Yamano-san rufen zu lassen. Stolz auf sein Privileg als Detektiv beinah alles bezwecken zu können, setzte er sich ungeduldig auf die Couch in der Lobby und wartete auf sie. Ihre vollen Lippen hatten Adachi sofort auf unanständige Gedanken gebracht, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte und nun saß er dort und führte jene Gedanken fort. Vor seinem inneren Auge begann er Yamano-san zu verführen, zog die sich zum Schein Wehrende aus, fasste zwischen ihre Schenkel… Was wollte so eine Frau eigentlich mit diesem Idioten Namatame? Adachi hatte sein Bild im Fernsehen gesehen und verstand nicht, was die Nachrichtensprecherin an ihm fand. Er war eifersüchtig und aufgrund seiner phantasievollen Gedanken, war seine Erregung umso größer. Die Dame würde ihm sicherlich nicht widerstehen können. Er würde ihr zeigen, was ein echter Mann alles mit ihr machen könnte und sollte sie sich tatsächlich nicht seinem Willen fügen, war es ihm auch gleich. Es wäre ohnehin nicht das erste Mal, dass er eine Frau zum Sex zwang. Etwas verwirrt kam Yamano Mayumi kurze Zeit später aus ihrem Zimmer und Adachi führte die Frau in einen abgetrennten Teil der Lobby, an dem er mit ihr ungestört sein konnte. Lediglich ein großer Fernseher und eine Couch befanden sich dort. »Ist irgendwas passiert? Sie sind von der Polizei wurde mir gesagt, wollen sie etwas von mir?« Der Ausdruck ihrer argwöhnenden Augen, ihr leicht geöffneter Mund, mit den roten schönen Lippen, ihre gerunzelte Stirn entzückten Adachi. Er machte einige Schritte auf sie zu und machte Anstalten sie an den Schultern zu packen. »Es ist nicht wahr, was sie in den Nachrichten sagen, oder? Dass sie etwas mit diesem Namatame haben.« »Was zum… Was geht sie das an?«, Yamano wich zurück auf den Fernseher zu. »Aber was haben sie denn? Sagen sie mir bloß nicht, dass dieser Namatame es ihnen besorgen konnte. Dass es stimmt, was sie alle sagen.« Yamano blickte ihn entsetzt an. Sie war starr vor Angst. Adachi bückte sich zu ihr vor, umfasste ihre Brust und flüsterte ihr zu: »Gib’s zu, du Schlampe stehst doch drauf. Du bist genauso eine wertloses Miststück wie alle Anderen.« Sofort löste sich ihre kurze Starre. Sie schlug seine Hand von ihr ab. »Fassen sie mich nicht an, sie Abschaum!«, ihre Stimme war beinah schrill. Sie begann auf Adachi einzuschlagen und gleichzeitig unmerklich weiter zurückzuweichen. Plötzlich änderte sich sein Ausdruck. Er war beleidigt und fühlte sich verletzt. Was hatte diese Yamano nur für ein Problem mit ihm? »Sei still! Sei still! Sei still! Ich werde dich fürchten lehren!«, wütend schubste er sie und auf einmal verschwand sie im Fernseher. Verdattert starrte der junge Detektiv auf den dunklen Bildschirm, durch den Yamano Mayumi vor wenigen Sekunden verschwunden war. Dann begann er zu lachen und erinnerte sich. Vor einigen Wochen hatte er eines Nachts zufällig, an den Bildschirm seines Fernsehers gefasst, wobei seine Hand plötzlich im Fernseher steckte. Der Bildschirm hatte zu flimmern begonnen und Wellen geformt. Er war nicht mehr hart, nicht mehr aus Glas. Es war, als würde er in Wasser tauchen. Nein, in eine höhere Viskosität und doch in etwas Leichteres. Er konnte es nicht wirklich beschreiben, da er es selber nicht ganz verstand. Schließlich hatte Adachi amüsiert seine Hand zurückgezogen und sich zu fragen begonnen, was dies für eine Gabe war, ob sein Fernseher eine Art Schwelle, ein Portal in eine Anderswelt wie in jenen Fantasyfilmen war. Diese Gabe funktionierte also auch mit anderen Fernsehern. Er war überrascht, dass er ganze Menschen hineinstoßen konnte und fragte sich, was mit Yamano passiert war; wo und ob sie sich überhaupt gerade irgendwo befand. Ehe ein Verdacht bezüglich Yamanos Verbleib aufkommen konnte, verließ er das Amagi schnell und ging in Gedanken versunken heim. Als er daheim angekommen war, setzte er sich im Dunkeln vor seinen Fernseher und fragte sich, ob die Möglichkeit bestand, Yamano irgendwo zu sehen. Er starrte auf den dunklen Bildschirm. Nichts. Er zappte durch alle Programme. Keine Auffälligkeiten. Er fasste in den Fernseher, steckte seinen Kopf hinein, doch er sah nichts außer riesigen, leeren Raum. Enttäuscht lehnte er sich wieder zurück. Seine Neugier war unbefriedigt und seufzend schaute er aus dem Fenster in die Dunkelheit. Der Regen prasselte und Nebel begann die Stadt zu umhüllen. Die Ziffern der Digitaluhr zeigten vier rote Nullen an. Es war Mitternacht. Adachi entsann sich an die schwachsinnige Legende des Mayonaka TVs die er kurz nach seiner Ankunft von jemandem gehört hatte. Es regnete, es war Mitternacht, sein Fernseher ausgeschaltet. Vielleicht würde ja nun sein Seelenpartner erscheinen. Mit einem Lachen versuchte er diese irrsinnigen Gedanken zu vertreiben, als ein seltsames Rauschen ertönte. Der Fernseher strahlte ein grünliches Licht aus und schemenhaft war eine weibliche Gestalt zu erkennen. »Unmöglich…«, Adachi eilte zum Fernseher und versuchte angestrengt die Gestalt zu erkennen. Dann wurde sie klarer. Es war Yamano Mayumi. Sie befand sich in einem Raum, wahrscheinlich einem Schlafzimmer. In der Mitte des Raumes stand ein Stuhl, darüber hing ein Seil mit einer Schlinge. Die Wände waren voll mit Postern einer Person, deren Gesicht ungeschickt ausgeschnitten worden war. Yamano kniete am Boden und stach mit einer Schere wie der Raserei verfallen, auf eines der Poster ein. Plötzlich schaute sie erschrocken in die Kamera. Ihr Körper begann sich seltsam zu krümmen, als würde sie Schmerz empfinden. Kreischend fasste sie an ihren Kopf. Die Krämpfe wurden stärker. Ihre gellenden Schreie bescherten Adachi eine Gänsehaut. Er wandte den Blick ab. Dann verstummte sie. Der Bildschirm war wieder so schwarz wie immer. Er wartete noch eine Weile, aber Yamano kehrte nicht zurück. Am nächsten Morgen weckte das Telefon Adachi. Es war Dojima, der ihm befahl, sofort aufs Revier zu kommen, da in der Innenstadt die Leiche einer Frau entdeckt worden war. Eine Leiche versprach endlich ein wenig Spaß in die triste Leere dieser Einöde zu bringen und somit machte sich Adachi erfreut auf den Weg. Bei der Frauenleiche handelte es sich um Yamano Mayumi. Sie hing kopfüber an einer Fernsehantenne. »Wer zur Hölle schleppt eine Leiche da hoch? Und dann auch noch unbemerkt,« fragte Dojima entgeistert und ließ den staunenden Adachi zurück, als er sich vom Tatort entfernte. Mit offenem Mund starrte Adachi die Leiche auf dem Dach an. Ihre entblößten Schenkel, ihr schreckgeweiteter Mund, ihre weiße Haut. Er hatte Mühe sich nichts anmerken zu lassen. Gepaart mit Euphorie und Schrecken, machte sich eine Übelkeit in ihm breit. Er verließ laufend den Tatort, an Dojima vorbei und übergab sich in ein Blumenbeet an der Kreuzung. »Adachi, du Vollidiot!« fuhr Dojima ihn an. »Hör endlich auf, dich wie ein Anfänger zu benehmen oder ich schicke dich zurück zur Polizeistation!« Dojima stand bei drei Jugendlichen, die gerade vorbeigekommen waren. Ein Junge mit seltsam grauen Haar und zwei Mädchen. Eine mit kurzem Haar und eine zweite schöner und edler wirkend, mit langem schwarzen Haar. Dojima schien sie zu kennen, da er sich mit ihnen unterhielte. »Tut mir leid, Dojima-san.« »Wasch dich und reiß dich zusammen! Wir haben hier noch Arbeit zu erledigen«, entgegnete dieser seinem jüngeren Assistenten seufzend und ging zurück zum Ort des Verbrechens. Adachi wartete noch einen Moment bis sein Magen sich beruhigt und er die drei Jugendlichen genug inspiziert hatte. Er wunderte sich, warum ihm schlecht geworden war. Es war nicht etwa der Anblick der Leiche, sondern eher die Überraschung die ihm unterbreitet worden war. Vermutlich bedeutete es für einen Menschen den Tod, wenn er in den Fernseher gestoßen wurde. Aber wieso befand sich die Tote dann hier und nicht in der Anderswelt? Vielleicht war sie ja aus dem Fernseher entkommen und auf dem Weg zum Amagi wurde sie zufällig Opfer eines Verbrechens. Adachi hatte keine Antwort auf seine Fragen. Er musste es erneut ausprobieren und das Ergebnis abwarten. Am darauffolgenden Abend zeigten die lokalen Nachrichten ein Interview mit einer Schülerin, welche die Leiche von Yamano Mayumi gefunden hatte. Zu Anonymitätszwecken hatten sie die Stimme des Mädchens verzerrt sowie ihr Gesicht zensiert. Adachi wusste durch seine Arbeit jedoch, dass es sich um Konishi Saki handelte. Das Mädchen war früher von der Schule nach Hause gegangen - sie hatte wohl geschwänzt - und auf dem Weg hatte sie die unglückliche Nachrichtensprecherin entdeckt. Saki war die Tochter des Besitzers eines Spirituosenladens in der Innenstadt Inabas, weshalb der Tatort auf ihrem Heimweg lag. Adachi hatte sich am nächsten Tag darum bemüht, das Mädchen befragen zu können. Es war natürlich nur eine Routinebefragung, aber es hätte gut möglich sein können, dass sie etwas wusste, was ihn in Schwierigkeiten bringen konnte, zumal er sie an jenem Morgen mit diesem Namatame am Samegawa Flussufer gesehen hatte. Was hatten nur alle mit diesem Namatame? Er war also allein im Raum mit dieser blutjungen Schülerin und er konnte nicht anders, als sich überlegen fühlen, stand doch auch in diesem Raum ein Fernseher. Jung war sie, aber gleichzeitig reif. Das hatten diese Jugendlichen so an sich. Sie war siebzehn oder achtzehn, also eigentlich schon erwachsen. Doch anders als Yamano, besaß Konishi noch diese betörende Unschuld. Nachdem er ihr einige obligatorische Fragen gestellt hatte, begann Adachi die Schülerin zu mustern. Sie hatte schulterlanges, gewelltes hellbraunes Haar. Eine weitere Angewohnheit dieser Jugendlichen, sich ihre Haare zu bleichen. Ihre Augenbrauen waren übertrieben gezupft, die Enden fehlten völlig. Aber dies verlieh ihr etwas Reizendes. Yamano hatte Adachis Stolz verletzt und er wollte sich nun anhand dieses Mädchens beweisen. Die hemmungslosen Jugendlichen waren ohnehin einfacher rumzukriegen, als frigide, ehebrecherische Weiber. »Ich sah dich heute mit Namatame. Du schienst dich ja sehr gut mit ihm zu verstehen.« Er schritt auf sie zu und als er sie an den Armen packte, riss Saki sich los und verpasste ihm eine Ohrfeige. »Oh, ich bin also nicht gut genug für dich, ja? Nun, das wirst du mir büßen.« »N-nein, lassen Sie mich los,« bat Saki ihn fast wimmernd. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und die Panik in ihrem Gesicht erregte Adachi umso mehr. Er packte sie, führte sie zum Fernseher. Sie krallte sich an seinen Oberarmen fest und versuchte ihn aufzuhalten, als ahnte sie, was er vorhatte. Adachi grinste hämisch. Nackte Furcht stand in den Augen des Mädchens und vor Angst zitterten ihre Knie so sehr, dass sie gegeneinanderschlugen. Dann stieß er auch sie hinein. Es war viel einfacher als mit Yamano. Die Schülerin war leichter und zierlicher, er konnte sie hochheben und in den kleinen Fernseher werfen. Adachi war wütend, dass ihn dieses kleine Miststück ebenfalls verschmäht hatte. Dieser Namatame war im Stadtrat ein hohes Tier und verdiente womöglich ungeheuerlich viel Geld. Dieses habgierige Weibsstück war sicher, genau wie die Nachrichtensprecherin, nur auf sein Geld aus gewesen. Sie hatten es beide nicht anders verdient. Was Adachi mit Konishi und Yamano getan hatte, empfand er als seine Rache. Rache dafür, dass er in dieser elenden Kleinstadt gelandet war. Er sollte eigentlich zu den Besten gehören, deswegen hatte er ein Leben lang gelernt und geübt. Stattdessen war er hier. Aber nun hatte er diese Gabe. Diese Gabe würde ihn von seiner Langeweile befreien und ihn endlich erfüllen. Noch einmal ging er zum Fernseher und hielt seinen Kopf hinein. Er blickte zwar in völlige Dunkelheit, so wie zuvor, und er wusste nicht ob Konishi ihn hören konnte, aber er rief dennoch: »Knie vor mir und bettel um Erlösung! Vielleicht erbarme ich mich ja deiner«, lachend zog er sich wieder zurück. Als würde das jemals passieren. Als ob er sich so einen Spaß entgehen lassen würde. Wenn auch diesmal die Leiche dieses Mädchens gefunden werden würde, so wäre es besiegelt. Dann hätte Adachi tatsächlich die Gabe willkürlich über Menschenleben zu verfügen. Aber es war gefährlich. Niemand hatte ihn bisher wegen Yamano verdächtigt und niemand hatte ihn nach Konishis weiteren Verbleib gefragt. Er hatte gesagt, er hätte sie ganz gewöhnlich aus der Befragung entlassen und hatte den Übrigen Papierkram erledigt. Aber wenn er weiterhin Menschen verschwinden lassen würde und jemand ihn mit den Opfern in Verbindung brächte, wäre er nicht nur seinen Job los. Aber er konnte doch nicht einfach aufhören, sonst wäre der ganze Spaß vorüber. Ach, was war das bloß für ein Dilemma! Er begann über eine Lösung seiner Zwickmühle nachzudenken, während er auf den Mayonaka TV wartete. Genau wie die letzten Nächte, regnete es wieder und genau wie damals mit Yamano, erschien um Mitternacht ein Bild im Fernsehen. Ein Getränkeautomat war auszumachen. Adachi erkannte, dass es sich um diesen Spirituosenladen, der Konishis Familie gehörte, handelte. Dann trat Saki ins Bild. Es sah aus, als würde sie tanzen. Sie drehte sich im Kreis, hüpfte auf und ab und schließlich begann sie sich genau wie Yamano zu krümmen und in Schmerzen zu winden. Adachi lachte erfreut auf. Es ging alles nach Plan. Und morgen früh würde auch die Leiche dieses Mädchens gefunden werden. So war es auch. Anders als Yamano Mayumi hing Konishi Saki kopfüber an einem Telefonmast. Während sich auf dem Polizeirevier Unmut ausbreitete, denn der Verdacht eines Serienmörders kam auf, war Adachi umso euphorischer. Es hatte sich bestätigt: Der Fernseher konnte Menschen töten. Adachi konnte ihnen das Leben nehmen, ohne sich wirklich die Hände schmutzig zu machen. Aber er empfand sich selbst nicht als Mörder, er tötete die Menschen ja nicht. Irgendetwas im Fernseher war es, das tötete. Die Gerichtsmediziner konnten genauso wie bei Yamano die Todesursache nicht feststellen. Es war keine Strangulation, die Leichen wurden post mortem zu ihren Fundorten gebracht. An den Leichen waren keine auffälligen Spuren auszumachen. Die Forensiker entdeckten weder fremde DNA, noch Gewalteinwirkung. Es war medizinisch gesehen unklar, ob die beiden Frauen überhaupt einem Mord zum Opfer gefallen, oder eines natürlichen Todes gestorben waren. Unklar war auch, wer die beiden Leichen nach Todeseintritt transportiert hatte. Nicht nur die Polizei sorgte sich, die ganze Stadt war in Aufruhr. Die Medien verbreiteten noch mehr Schrecken und Adachi war noch mehr entzückt. Allein sein Verdienst war es, dass all dies geschah. Die Angst in jedem der Einwohner war sein Erzeugnis. Was für eine Wonne. Nichtsdestotrotz bestand noch immer die Furcht in ihm, entdeckt zu werden. Ihm musste etwas einfallen, um seine eigene Sicherheit mit seinem Vergnügen zu kombinieren. Lange dachte er nach, als das Telefon plötzlich klingelte und ihn aus seinen Gedanken riss. Die Nacht war schon längst angebrochen, aber Adachi befand sich noch immer auf dem Revier. Bedingt durch die Morde gab es mehr zu tun und stündlich rief jemand an, der sich für den Mörder hielt, oder den Mörder zu kennen, vorgab. Auch bei diesem Anruf handelte es sich sicherlich um so einen Telefonstreich. »Polizeirevier Inaba. Sie sprechen mit Adachi Tohru,« meldete sich dieser gelangweilt. »Guten Abend. Mein Name ist Namatame Taro.« Namatame? Etwa derselbe Namatame, der in Verbindung zu den beiden Toten stand? »Ich habe ein Anliegen bezüglich der beiden Morde«, die Stimme am anderen Ende klang erschöpft und verzweifelt. »Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich habe den Verdacht, dass sobald ein Einwohner Inabas im Fernsehen - zum Beispiel den Nachrichten - erscheint, er plötzlich verschwindet und am nächsten Tag im Mayonaka TV auftaucht. Das ist diese örtliche Legende, aber sie stimmt tatsächlich! Mayumi und dieses Mädchen sind beide auf dem Bildschirm erschienen! Und beide sind sie gestorben! Ich hatte mit ihr gesprochen, aber sie hörte nicht hin… Es muss eine Verbindung zwischen dem Fernseher und den Verschwundenen bestehen. Und jetzt sehe ich dieses Mädchen im rosanen Kimono auf dem Bildschirm. Sie war heute in den Nachrichten. Es ist genau dasselbe. Sie müssen sie retten, das ist ihre Pflicht! Ich bitte Sie!« Adachis Augen verengten sich. Es bestürzte und mokierte ihn, dass Namatame Kenntnis über den Mayonaka TV besaß und den Sender zudem zu verfolgen schien. Dies würde bedeuten, dass auch andere Zugriff auf diesen Sender hatten. Auf dieses Wunder, was er entdeckt zu haben glaubte. Andererseits hieß es, dass die Öffentlichkeit an der seltsamen Anderswelt teilhaben konnte und die Panik in Inaba schon bald das höchste Maß erreichen würde. Bislang waren jedoch – abgesehen von Namatame – keine weiteren Zeugen des Mayonaka TVs aufgetreten. »Namatame-san, das ist… nun ja… lächerlich. Sie haben sicherlich viel durchgemacht die letzten Tage. Daher spielt ihre Fantasie wahrscheinlich verrückt«, plötzlich kam Adachi eine Idee. »Aber es klingt interessant, wissen Sie. Sie wollen sie retten, hm? Das klingt beinah nach einem Messias-Komplex!«, Adachi lachte. »Haben sie jemals davon gehört? Vielleicht können ja tatsächlich nur sie diesen Leuten helfen. Schutz, Asyl… In einer anderen Welt vielleicht? Warum versuchen sie es nicht einfach? Sie könnten sie ja irgendwo verstecken. Dort wo niemand anders sie finden könnte. An einem Ort, an den niemand denken würde… Wie dem auch sei, ich habe zu tun. Guten Abend.« Mit diesen Worten legte Adachi auf und hoffte, dass seine Andeutungen Erfolg hatten. Vielleicht hatte er ja solches Glück und Namatame käme auf die Idee, die Personen selber in einen Fernseher zu werfen. Es war kaum zu fassen, was für eine glückliche Fügung dies war. Von allen Mitarbeitern des Reviers war Adachi es selbst, der Namatames verzweifelten Anruf entgegengenommen hatte. Es war gerade zu lächerlich. Namatame der Retter. Verfechter des Guten. Zu komisch! Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Schwachkopf auf die Idee mit dem Fernseher käme, war gering. Zunächst einmal müsse er über Adachis Gabe verfügen und von der Welt innerhalb des Mayonaka TVs wissen, denn was sonst würde den Mann schon dazu bewegen, Frauen gerade in einem Fernseher zu verstecken. Aber wer weiß? Erneut bedeute es also abwarten und hoffen, dass die Dinge sich zu seinen Gunsten wenden würden. Kapitel 2: Rachsucht und Vergeltung ----------------------------------- Am Abend wurden weitere Ermittlungen am Fundort der Leiche Konishis gemacht. Während die Polizisten rätselten und nach Beweisen suchten, dachte Adachi ununterbrochen an das Telefonat mit Namatame von vergangener Nacht. Namatame hatte von einem Mädchen in rosa Kimono gesprochen. Laut ihm war sie im Mayonaka TV erschienen. Demnach müsste sie bereits in der Fernsehwelt sein. An jenem Morgen wurde jedoch keine Leiche gefunden. Womöglich lebte sie noch. Adachi beschloss auch diesmal um Mitternacht auf den Fernseher zu achten, denn es würde erneut regnen. »So eine verdammte Scheiße!«, riss Dojima Adachi aus seinen Gedanken. Seit dem Fund der ersten Leiche hatte sich Dojima auf den Fall gestürzt und ermittelte beinah wie ein Besessener. Er war es auch, der die Polizisten dort im Regen versammelt hatte. Dojimas Handeln war wahrscheinlich ein Versuch, sich selbst und seinen Kollegen sein Können zu beweisen. »Sieht so aus, als gäbe es hier nichts mehr zu finden. Und wir haben noch immer nichts, was auf einen Verdächtigen hinweisen könnte«, Adachi hoffte, dass sein Vorgesetzter langsam seine lächerliche Operation abbrechen würde. Schließlich wollte er das Kimono-Mädchen nicht verpassen. »Hmph. Wir wissen doch nicht einmal, ob es sich um einen Mord handelt.« »Wie bitte?«, antwortete Adachi auf Dojimas Worte perplex. Was außer Mord käme schon in Frage? War Dojima denn so dämlich? »Dojima-san. Ein Unfall kann es wohl schlecht gewesen. Zufälligerweise zweimal hintereinander. Und Suizid kommt logischerweise auch nicht in Frage. Außerdem… « »Ja, ja, ich weiß schon. Aber wir kennen nicht einmal die Todesursache der ersten und haben schon eine zweite solche Leiche!« »Könnte es nicht irgendetwas mit dieser Dreiecksbeziehung zu tun haben?« »Dachten alle zunächst. Aber sowohl Hiiragi als auch Namatame haben ein sicheres Alibi. Außerdem hat Hiiragi selbst die Affäre ihres Mannes mit dieser Nachrichtensprecherin an die Öffentlichkeit gebracht. Damit hätte sie sich selbst, ihr Grab geschaufelt, wäre sie die Mörderin.« »Schon… Haben sie schon davon gehört, dass Namatame gleich gefeuert wurde? Sein Schicksal war beinah genauso miserabel, wie das Yamanos«, mit geheucheltem Mitleid blickte Adachi zur Seite. Dojima hatte nicht die leiseste Ahnung, dass er mit dem Initiator der Morde sprach. Dass sein, ach so unnützer Partner, in Wahrheit Yamano vergewaltigen wollte und sich stattdessen an ihrem Tod erfreute. Nie käme jemand auf die Idee, dass sich hinter der Fassade des heiteren, verplanten Adachi, eine ganz andere Person befand. Keiner ahnte was wirklich in ihm vorging. Wie er sich jedes Mal vorstellte, wenn er beispielsweise in einen Supermarkt ging, dass die Köpfe seiner Mitmenschen einfach explodierten; wie er stets daran dachte, dass er sich eines Tages an allen rächen würde, die ihn seit jeher nie ernst genommen haben. Alleine schon das Bild, dass die beiden im Regen Stehenden boten. Dojima mit seinem schwarzen Schirm, ernst und finster dreinblickend, als trüge er eine schwere Bürde. Daneben Adachi, mit dem weißen Schirm, ganz in Unschuld gehüllt, eine Allegorie seines Schauspiels. »Ich verstehe einfach die Zusammenhänge der Morde nicht. Was hat Konishi mit Yamano zu tun, außer dass sie die Leiche fand? Ich bezweifle, dass ihr Tod dazu diente, sie zum Schweigen zu bringen. Ansonsten wäre die einzige Verbindung, dass sie auf dieselbe Schule ging, wie die Tochter des Gasthauses, in dem Yamano wohnte.« »Und was ist, wenn es tatsächlich etwas gab, was nur Konishi wissen konnte? Und deshalb musste sie von der Bildfläche verschwinden, bevor es tatsächlich ans Tageslicht käme!« »Was faselst du da? …Wie dem auch sei. Uns bleibt nichts anderes übrig, als weiterhin zu ermitteln. Der Täter, er muss aus Inaba sein!« »Oh, nennt man das etwa detektivische Intuition?«, Adachi konnte sich diesen sarkastischen Kommentar schließlich nicht verkneifen. Dojimas Schlussfolgerungen waren einfach zu naiv. Wütend begann Dojima ihn zu beschimpfen, woraufhin Adachi lachte und den Wehmütigen spielte. Es war zu einfach. Adachi wusste, dass er bereits jeden mit seiner Täuschung eingewickelt hatte. Kaum war Mitternacht angebrochen, erschien tatsächlich jemand im Mayonaka TV. Ein Mädchen in einer Art rosa Ballkleid, mit langen schwarzen Haaren. Sie hielt ein Mikrophon in der Hand und es wirkte, als ob sie eine Low Budget-Show moderierte. Bei näherem Betrachten erkannte Adachi schließlich das Mädchen. Es war die hübsche Schülerin, die damals beim Fund Yamanos Leiche mit Dojimas Neffen, wie sich später herausgestellt hatte, zugegen war. Sie befand sich in der Fernsehwelt, aber Adachi hatte sie nicht hineingeworfen. Hatte Namatame sie wider aller Erwartungen tatsächlich in einen Fernseher gestoßen? Adachi brach in ein beinah hysterisches Lachen aus. Sein kleiner, subtiler Hinweis hatte Namatame allen Ernstes dazu bewegt, Personen dem Tod auszuliefern. Aber warum besaß Namatame ebenfalls diese Gabe, von der Adachi dachte, sie sei nur ihm bestimmt? Er verspürte einen kleinen Stich Eifersucht, doch im selben Augenblick erkannte er den Vorteil darin. Der junge Detektiv würde weiterhin diesen Spaß genießen können, ohne selbst in irgendwelche Schwierigkeiten zu kommen. Namatame erledigte für ihn die Drecksarbeit. Somit hatte Adachi zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er konnte sich von nun an zurücklehnen und buchstäblich die Show genießen. Das Mädchen lehnte sich vor, die Kamera zeigte ein Closeup ihres Dekolletés, sie spielte mit ihren Reizen und sprach von ihrem Traumprinzen. So eine kleine Schlampe, dachte sich Adachi. Was für eine verrückte Show war das eigentlich und wer filmte sie? Wer gab diesem Mädchen die Anweisungen, wie sie sie zu moderieren hatte? In großen Lettern erschien ihr Name: Amagi Yukiko. Etwa diese Tochter des Amagi Gasthauses, von dem Dojima gesprochen hatte? Da die Tochter der Amagis ungefähr dem Alter dieses Mädchens entsprach, waren dies sicher dieselben Personen! Namatame hatte erwähnt, dass wer auch immer in den lokalen Nachrichten auftauchte, das nächste Opfer sein würde. Suchte denn der Fernseher die Opfer aus? Aber es war doch Adachi selbst gewesen, der Yamano und Konishi in den Fernseher gestoßen hatte, unabhängig davon, dass sie im Fernsehen zu sehen waren. Bestand wahrhaftig ein Zusammenhang? Vielleicht hatte Adachi rein zufällig jene beiden Personen hineingestoßen, die vom Mayonaka TV ausgewählt worden waren. So viele unbeantwortete Fragen. Wie dem auch sei. Tatsache war, dass Namatame dachte, er würde Menschen retten, indem er sie in die Fernsehwelt hineinstieß. Wenn Adachi also Glück hatte, würde Namatame weiterhin unwillkürlich Menschen dem Unheil aussetzen und er selber seinen Spaß haben. Das Mädchen machte kehrt und rannte in ein Schloss. Damit endete die Fernsehsendung und der Bildschirm wurde wieder dunkel. Adachi kicherte und war von Vorfreude erfüllt. Er beneidete Natame ein wenig, dass diesmal er dieses junge, hübsche Mädchen anfassen durfte, und nicht Adachi selbst. Der junge Detektiv überlegte sich Orte, wo diese Schönheit schon bald kopfüber hängen würde. Auf dem Dach ihrer Schule vielleicht, oder vielleicht einem Baum. Er musste sich überraschen lassen. Seltsamerweise war Amagi Yukiko auch am nächsten Morgen nicht tot. Sie war jedoch verschwunden und ihre Angehörigen hatten mittlerweile eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Auf dem Polizeirevier machte sich erneut Panik breit und obwohl es Sonntag war, dachten alle an die Arbeit. Der Verdacht, es handele sich um einen Serienkiller, war verstärkt worden. Und auch Adachi runzelte sorgenvoll die Stirn. Doch galten seine Sorgen anderer Natur. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, grübelte er darüber nach, warum noch keine weitere Leiche aufgetaucht war und was Namatame wohl falsch gemacht haben konnte. Da es die kommende Nacht nicht regnen würde, gab es auch keine Sendung zu sehen. Die Polizisten auf dem Revier, suchten verzweifelt nach einem Schema des Mörders und auch Adachi begann über Zusammenhänge der Fernseh- und der seinen Welt nachzudenken. Er versuchte zu verstehen, warum Amagis Leiche noch nicht aufgetaucht war, warum sie vielleicht sogar noch lebte, Konishi und Yamano jedoch noch in derselben Woche gestorben sind. Schließlich verband Adachi die Ereignisse mit dem nächtlichen Regen. Es hatte weniger geregnet, als in den vergangenen Wochen als der Tod der beiden Frauen eintraf. Adachi erinnerte sich an einen Film von letzter Nacht, welchen er nach der verrückten Sendung mit Amagi eingeschaltet und halbherzig verfolgt hatte. Es handelte sich um einen düsteren Film über einen Mörder im viktorianischen England. Die schrillen Schreie eines Opfers hatten den jungen Mann schließlich aufmerksam gemacht. Eine weibliche Leiche schwamm in der Themse. Ihre totenbleiche Haut bildete einen Kontrast zu der allgegenwärtigen Finsternis, die das Szenario zu verschlucken drohte. Alle Orte wirkten nass und kalt und waren in einen angsteinflößenden Nebel gehüllt. Es war ein Film ganz nach seinem Geschmack gewesen. Adachi fragte sich, ob es in Großbritannien wirklich stets so neblig war. Nebel. Schlagartig kam ihm der Gedanke, den Nebel mit den Mordfällen in Verbindung zu bringen. War es nicht auch an jenen beiden Morgen neblig gewesen? Er erinnerte sich, wie in der Wettervorhersage von einem ungewöhnlich dichtem Nebel gesprochen wurde, der nur in jener Woche aufgetaucht und mittlerweile verschwunden war. Adachi fuhr eilig den Rechner in seinem Büro hoch, um im Internet die Wettervorhersage für Inaba zu lesen. Am 29. April würde es wieder neblig werden. Also war, wenn Adachi mit seinem heiklen Verdacht richtig lag, in zwei Wochen die Leiche zu erwarten. Lebte das Mädchen Yukiko noch in der Anderswelt, oder war sie gar schon tot? Als er Mittagspause hatte und sich einige Kollegen, darunter Dojima, in den dafür vorgesehenen Raum zum Rauchen versammelten, gesellte Adachi sich zu ihnen und erwähnte aus heiterem Himmel den Nebel: »Also, es ist zwar nur eine Idee, aber hat jemand schon einmal daran gedacht, dass gerade an den beiden Morgen, die ungewöhnlich neblig waren, die zwei Leichen aufgetaucht waren?« Dojima verschluckte sich beinah an seinem Kaffee und blickte seinen jüngeren Partner mit aufgerissenen Augen an. »Ist das wahr? Oh, Adachi, das ist gut! Hey, ihr da! Los, protokolliert das!« Verschmitzt grinste Adachi und zündete sich triumphierend ebenfalls eine Zigarette an. Es waren schon einige Stunden vergangen und Adachis Vermutung wurde nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern ernsthaft in Erwägung gezogen. Dojima hatte jedoch offenbar völlig vergessen, von wem diese Vermutung stammte und behandelte Adachi weiter als assistierenden Sklaven. Es war schon die dritte Tasse Kaffee an dem Tag, die Adachi für Dojima kochen und bringen musste. Seufzend hatte er resigniert und sich eilig ans Werk gemacht. Als Adachi den Kaffee in Dojimas Büro bringen wollte, sah er ihn zwei männliche Schüler tadeln. Er hatte abrupt angehalten, um die drei aus der Ferne zu beobachten und dabei heißen Kaffee auf seine Hand verschüttet. Stoisch ließ er sich jedoch nichts von dem Schmerz anmerken und ging auf die Schüler zu, sobald Dojima mit ihnen fertig war. Er hatte den einen als Dojimas Neffen Souji erkannt. »Oh, verzeiht! He, bist du nicht Dojimas Neffe?« »Könnten wir sie etwas fragen?«, antwortete ihm stattdessen der andere von den beiden. Er hatte hellbraunes Haar – was fanden diese Jugendlichen nur am Haare bleichen? – und trug große, rote Kopfhörer um seinen Hals. Dojimas Neffe hatte, genau wie Dojima, ebenfalls gräulich wirkende Haare. Vielleicht alterten ja die Männer in ihrer Familie vorzeitig. Auf jeden Fall hatte es etwas Seltsames. »Also, es geht um Amagi-san. Ist ihr etwas zugestoßen? Wissen sie, naja, wir sind ihre Freunde und sorgen uns.« »Ob ich mich dazu äußern darf?«, Adachi wägte Pro und Contra ab. Im Prinzip war es ihm egal, ob die Details an Zivilisten kämen und er seine Schweigepflicht bräche. Etwas in ihm reizte ihn jedoch, gerade weil es sich um den Neffen seines älteren Partners handelte, diesen beiden mehr zu erzählen, als erlaubt war. »Sagt das keinem weiter, aber wir erhielten gestern einen Anruf von Amagis Eltern, dass ihre Tochter nicht mehr auffindbar sei. Bedingt durch das Wochenende, gab es wohl im Gasthaus so viel zu tun, dass ihnen nichts aufgefallen war. Das hat aber selbstverständlich nicht zu bedeuten, dass das Mädchen etwas mit den Morden zu tun hat. Die Sache ist die, dass eben Tote an nebligen Tagen aufgefunden werden und wir Gesetzeshüter empfindlich reagieren. Im Übrigen hat sie nicht erwähnt, dass sie schwere Zeiten durchmacht? Diese Nachrichtensprecherin Yamano übernachtete ja auch im Amagi Gasthaus. Auf jeden Fall, hatte sie sich aus irgendwelchen Gründen furchtbar bei der Managerin, Fräulein Yukikos Mutter, beschwert. Diese ist dann kollabiert und vielleicht hat das Fräulein Yukiko so sehr mitgenommen… Uns Polizisten kam so ein Verdacht… Oh, nein! Ich bin zu weit gegangen! Wenn es um die Arbeit geht, kann ich mich selbst nicht stoppen…« »Adachi! Was zum Teufel tratscht du da mit Zivilisten? Und wo ist mein Kaffee!?«, Dojimas Stimme ertönte wütend von seinem Arbeitsplatz. »Tut mir leid, Dojima-san! Ich bringe ihn schon!«, Adachi schauspielerte leichtes Entsetzen und blickte die zwei Jugendlichen flehend an. »Bitte, vergesst was ich gesagt habe, okay?«, er ließ die beiden zurück und eilte beinah panisch zu Dojima. Am Morgen des 22. Aprils ging ein Anruf der Amagis auf dem Revier ein, dass Amagi Yukiko am vorherigen Abend unversehrt aufgetaucht war. Adachi war entsetzt. Wie war das möglich? Er hatte sie doch im Fernsehen gesehen. Das war zweifelsohne dieselbe Person gewesen, denn zusammen mit der Vermisstenanzeige, war auch ein Foto von Yukiko abgegeben worden. Namatame konnte doch nicht wirklich einen Weg gefunden haben, das Mädchen zu retten. Das wäre grauenhaft! Letzten Endes dachte Namatame noch tatsächlich, er sei der Messias. Aber etwas an dem Verschwinden dieses Mädchens war anderes gewesen, als bei den ersten beiden. Abgesehen davon, dass der Nebel unmittelbar am darauffolgenden Morgen aufgetreten war, bei Yukiko aber erst nach einem Abstand von drei Wochen, gab es bei ihr diese seltsame Show, die die ersten zwei nicht hatten. Konnte die Sendung etwas damit zu tun haben? Vielleicht musste Adachi die Sache wieder selbst in die Hand nehmen, oder vielleicht sollte er Namatame kontaktieren, um durch unterschwellige Fragen an Informationen zu kommen. Nein. Er beschloss sich erst einmal zu gedulden und abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Der Mayonaka TV fände sicherlich ein neues Opfer. Nächstes Mal, wenn es wieder regnen würde. Nervös und unruhig wie er war, hatte Adachi nicht bemerkt, wie er begonnen hatte, an seinen Fingernägeln zu kauen. Um sich davon abzulenken, nahm er einen Kugelschreiber und begann auf einem Papier zu skizzieren. Irgendwelche geometrische Figuren zunächst, dann einen nackten Frauenkörper. Aber er war unzufrieden und strich die Zeichnung wütend durch. Immer und immer wieder, bis nichts mehr zu erkennen war und das Papier zu reißen begann. »Hey, Adachi! Was treibst du da?«, Dojima riss den jungen Detektiv aus seiner Trance und erschreckte ihn dabei so sehr, dass dieser einige Aktenordner von seinem Schreibtisch stieß. »Man, was hat dich denn gestochen?« »Ohje, Dojima-san. Verzeihen sie. Ich war so in Gedanken versunken…« »Du kannst mich ruhig duzen, hab‘ ich dir gesagt. Wir arbeiten schließlich gemeinsam tagein, tagaus an diesem gottverdammten Fall. Worüber hast du nachgedacht? Daran, dass dem Amagi-Mädchen seltsamerweise gar nichts zugestoßen ist? Die Sache mit dem Nebel war übrigens echt gut. Aber steiger dich nicht zu sehr in die Sache rein.« Oh, Gott. Er weiß es. Dojima verdächtigt mich. Adachi versuchte so gut wie möglich, sich von seiner aufkeimenden Panik nichts anmerken zu lassen. Sollte dieser Narr Dojima tatsächlich etwas ahnen, würde sein ganzes Vorhaben den Bach runtergehen. Es dürfte keinesfalls etwas schief laufen. Er durfte nicht auch diese Position verlieren, sonst käme er nie zurück in die Stadt. Und er wollte auch nicht seinen schwachsinnigen Job verlieren, denn es war die einzige Möglichkeit, seine Fantasien zumindest annähernd auszuleben. »Amagi Yukiko ist zur Befragung da. Worauf wartest du? Los!« »Was? Sie ist hier? Ja, einen Moment. Ich komme sofort«, hastig sammelte er die verstreuten Dokumente auf, zupfte seinen Kragen halbwegs zurecht und ging Dojima nach. Amagi Yukiko saß in demselben Raum, in dem Adachi damals Konishi Saki befragt hatte. Unbewusst wanderte sein Blick immer wieder von dem erschöpft wirkendem Mädchen, zu dem Fernseher in einer Ecke hinter ihr. Unsicher saß das schwarzhaarige Mädchen auf ihrem Stuhl, die Hände in den Schoß gelegt, auf ihrer Unterlippe kauend. Das satte rot ihrer Jacke umschmeichelte wunderbar ihre blasse Haut und war wie geschaffen, für ihre roten Lippen. Selbst ihr Name war perfekt. Yukiko. Schneekind. Und tatsächlich wirkte sie ein wenig wie Schneewittchen. Mit unschuldigem Ausdruck blickte sie zur Seite, aber Adachi hatte sie gesehen. Er hatte gesehen, was sie wirklich wollte. Mit größtem Vergnügen, hätte er ihr dies gegeben. Und wie gern, hätte er sie tot gesehen. Seine Gedanken erregten ihn. »Geht es dir nicht gut, Amagi-san?« »Doch, es ist in Ordnung. Vielen Dank. Ich fühle mich nur etwas matt… « »Kein Wunder. Nach tagelanger Abwesenheit und zusätzlichem Gedächtnisverlust. Und erinnerst du dich wirklich an gar nichts? Nicht an irgendwen, der dich entführt haben könnte? Oder an den Ort, an den du gebracht wurdest? Vielleicht irgendwelche Kleinigkeiten, die uns weiterbringen könnten.« »Nein. Wie ich bereits erzählt habe, erinnere ich mich nur daran, dass ich abends im Gasthaus war und von da an wird alles schwarz.« Es war hoffnungslos. Sie erwähnte nichts von einer Fernsehwelt, dem Ballkleid, ihrem Traumprinzen oder Namatame Taro. Adachi konnte sie auch nicht darauf ansprechen, denn das wäre zu verdächtig. Dem Anschein nach, erinnerte sie sich aber tatsächlich an nichts. Diese Anderswelt war wirklich seltsam. »Ach, lassen wir das für heute«, Dojima zog kopfschüttelnd an seiner Zigarette. »Du bist entlassen. Deine Eltern warten in der Eingangshalle. Falls wir noch Fragen haben sollten, werden wir uns melden.« »Vielen Dank, die Herren«, Yukiko verbeugte sich. Welch heuchlerische Höflichkeit. Oder war das einfach die Art wie sie erzogen wurde? Eine stille, traditionelle Schönheit, mit geheimen, unzüchtigen Gedanken. »Es tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen konnte,« zaghaft bedankte sie sich nochmals bei Adachi, der ihr die Tür aufhielt und ging. »Du bist ohne Auto da, stimmt’s? Ich kann dich gern mitnehmen. Lass uns noch bei mir vorbei gehen, darauf anstoßen, dass Amagi sicher ist und vorerst keine weitere Leiche augfgetaucht ist.« »Huh? Äh… Natürlich. Liebend gern, Dojima-san. Ich würde gern ihre Tochter kennen lernen und ihr Neffe schien mir auch sympathisch.« »Was? Finger weg von meiner Tochter! Im Übrigen kannst du mich duzen, verdammt!«, Adachi grinste verlegen und unbeschwert lachend, gingen die beiden zu Dojimas Auto. Anscheinend hatte Adachi voreilige Schlüsse gezogen und es stand doch nicht allzu übel um ihn. Er wurde schon paranoid. Dennoch musste er auf der Hut sein und war nun entschlossen weiterhin zu beobachten und Namatame agieren zu lassen. Stattdessen würde er die Beziehung zu seinen Kollegen, allem voran seinem älteren Partner Dojima, pflegen, denn wie es schien, hatte dieser ihn zu mögen begonnen. Trotz allem frustrierte es Adachi, wie vorsichtig er doch sein musste. Er hasste diese Stadt, in der jeder seiner Schritte bekannt war. In der Großstadt, aus der er eigentlich war, gab es zwar Millionen von Menschen um ihn herum, jedoch war es dort anders. Obwohl man von so vielen umgeben war, war man am Ende doch alleine, da sie alle fremd waren. Aber in einer Kleinstadt wie Inaba war sich jeder untereinander vertraut. Adachi musste stets seine Fassade bewahren und seine Rolle mit Sorgfalt spielen. Im Gegensatz zu einer sozial sterilen Großstadt, konnte er hier nie er selbst sein. Was war das eigentlich? Das sogenannte Selbst? Das Ich? Adachi konnte nie sein wahres Ich leben, schließlich waren Menschen wie er in dieser Gesellschaft verpönt. Wollte er wirklich sein armseliges Leben weiterführen, musste er stets darauf bedacht sein, sich zu verstecken. Es war zum verrückt werden. Einfach sinnlos. Aber jetzt gab es diese Mordfälle und es war, als würde er zum ersten Mal wirklich leben. Der Mayonaka TV gab ihm plötzlich einen Sinn zu existieren. Und deshalb sah er diese Vorfälle als seine Vergeltung. Als würde eine höhere Instanz ihm die Möglichkeit geben, sich endlich für all die Jahre der Pein zu rächen. Aber auf einmal wird diese Yukiko lebend gefunden und erneut begann sich die Wut in ihm zu sammeln. »Hier wären wir,« da Adachi so intensiv nachgedacht hatte, hatte er gar nicht bemerkt, wie sie den Weg bereits zurückgelegt hatten und nur desinteressiert zugehört, wie Dojima von seiner Tochter schwärmte, oder jegliche Radiosender verfluchte. Ryotaro Dojima lebte in einem im eher japanischen Stil gehaltenem Einfamilienhaus mit Garten und niedlicher Tochter. Er war eben einer dieser Menschen, die Adachi für Abschaum halten würden. Wobei Adachi gehört hatte, dass Dojima verwitwet war. Und diese Tatsache, die diesem einen Riss in sein perfektes Leben machte, gönnte er ihm. Adachi wusste nicht wirklich warum, aber er hasste und beneidete Dojima. »Ah, Mist! Wir hätten noch unterwegs etwas zu Essen kaufen sollen. Naja, vielleicht hat Nanako etwas gekocht…« »Ihre Tochter kocht? Wie alt war sie nochmal? Sieben?« »Papa ist zurück! «, das kleine Mädchen mit den dunklen Zöpfen kam den beiden entgegen gestürmt und blieb, sobald sie Adachi entdeckt hatte, abrupt stehen. Die Entgeisterung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Adachi war entnervt. »Hallo, Kleine!«, begrüßte er sie so gutmütig wie möglich. »Ich bin Adachi Toru. Dojima-sans Arbeitssklave seit letztem Monat.« »Ich kann dir auch gern mehr Arbeit auftragen, wenn du das so siehst.« »Haha! Guter Witz! Haha… Ah! Beinah vergaß ich es!«, Adachi blickte Souji, Dojimas Neffen an. »Du hattest doch erwähnt, dass du mit Amagi Yukiko befreundet bist. Sie wurde gestern sicher gefunden! Gute Neuigkeiten, was?« »Ja. Welch eine Erleichterung,« antwortete der Junge trocken. Verwirrt runzelte Adachi die Stirn. Der Schüler drückte solch eine Selbstsicherheit aus, dass es Adachi irritierte. Er tat gerade so, als wären diese Informationen eine Selbstverständlichkeit. »Ja, und für uns erst. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Fall abgeschlossen ist. Vorhin hatten wir Fräulein Amagi befragt, aber angeblich erinnert sie sich an nichts, was die Zeit ihrer Abwesenheit betrifft. Wo sie sich bisher befand, wissen wir auch nicht. Als ob sie völlig verschwunden gewesen wäre! Ziemlich seltsam meiner Meinung nach… Irgendetwas… Ouch!«, Dojima hatte Adachis Monolog mit einer Kopfnuss unterbrochen. »Hör auf zu quatschen, Schwachkopf!« »Tut mir leid!« »Ignoriert ihn einfach. Er fantasiert nur rum.« »Verdächtigen sie, Yukiko?«, meldete sich Souji wieder zu Wort. Adachis Hinweise hatten also gefruchtet. Es konnte ohnehin nicht schaden, wenn Außenstehende anstatt ihm verdächtigt wurden. »Keiner Sorge«, antwortete ihm Dojima. »Polizisten sind nicht irgendwelche Idioten, die jedes Gerücht für bare Münze nehmen. Er führt lediglich Selbstgespräche. Nicht ernstzunehmend.« Von wegen. Und ob ihr alles Idioten seid. »Ich hab‘ Hunger!«, warf schließlich Nanako ein. »Entschuldige. Natürlich. Mein Magen knurrt auch schon.« »Aha! Gegenüber Nanako-chan haben sie also eine angenehmere Seite.« »Ach, Klappe und setzen!« Letztendlich wurde es ein interessanter und lustiger Abend. Mittlerweile hatte Adachi begonnen, sich an die Person die er mimte, zu gewöhnen und es machte ihm sogar fast Spaß. Jedenfalls war diese Persönlichkeit optimal, um fremde Gunst zu gewinnen. Alles versprach zu einem lustigem Spiel zu werden. Kapitel 3: Unmut und Verzweiflung --------------------------------- Es regnete in jener Nacht auf den 30. April. Niemand erschien im Mayonaka TV, war Yukiko doch lebend entkommen. Wie frustrierend war es für Adachi, der auf einmal befürchtete, sein Spiel käme bald zu einem voreiligen Ende. Aus seinem Fenster blickend, sah er den sich ansammelnden Nebel. Anders als herkömmlicher Nebel wirkte dieser Totbringende grünlich und erstickend. Dieselbe Farbnuance, wie das Schimmern des Fernsehers, wenn eine Silhouette um Mitternacht auf dem Bildschirm erschien. Den genauen Grund wusste er nicht, aber seit einer Weile war Adachi von einer gewissen Melancholie geplagt und jedes noch so unwichtige Objekt, das er sah, ließ ihn in Gedanken dichterische Zeilen ersinnen. Er fühlte sich rastlos, unausgewogen. Also beschloss er hinauszugehen und sich mit einem Spaziergang, seinen Gedanken zu ergeben. Er wollte allein sein in jenem erdrückenden Nebel. Von ihm verschluckt werden. In ihm versinken. Adachi seufzte als er die dunklen Straßen entlangging. Die frische Luft der Frühlingsnacht füllte seine Lungen und bereicherte seine düsteren Verse. Er entsann sich an eine Geschichte, die er einmal gelesen hatte. Sie handelte von einem Maler, welcher derart von der Schönheit einer Frau eingenommen war, dass er sie getötet hatte, um aus ihrem Blut und ihrem Fleisch ein Kunstwerk zu erschaffen. Es war eine grausame, blutrünstige Geschichte und doch auf ihre Weise ästhetisch. Und Adachi konnte die Vorstellung nicht unterdrücken, wie es wäre, könnte er auf ähnliche Weise, mit dem Leib Amagi Yukikos verfahren. Wie hell wäre ihre Haut wohl, wenn sie tot wäre? Das Blut hätte ihre Lippen verlassen und mit dem Leben, wäre auch ihr Rot verblasst. Ihr schwarzes seidenes Haar, über ihrer weißen Mädchenbrust. Es war nicht so, dass er nekrophil war, nur erschien ihm in jener Nacht, diese Vorstellung als atemberaubend und wunderschön. Aber er konnte sie nicht wahr machen. Natürlich konnte er es, doch vielmehr, traute er es sich nicht. Denn obwohl er diese Gesellschaft so verachtete, wollte er seinen Stand in ihr um keinen Preis verlieren. Adachi verstand nicht wieso dies so war. Vielleicht war er auch nur ein einfacher Feigling, der nichts wagen konnte und seine Gedanken unterdrückte. Das wiederum machte ihn so wütend, dass er die Zähne zusammenbiss, sodass die Kieferknochen zum Vorschein kamen und die Hände solange zu Fäusten ballte, dass die Handknöchel weiß hervortraten und seine Nägel ihn irgendwann selbst verletzten. Ein gutes Gefühl. Er lachte. Mit den Händen in den Hosentaschen ging er schließlich die Innenstadt entlang und blieb vor dem Haus stehen, an dem vor Wochen Yamanos Leiche gefunden worden war. Wehmütig blickte er hinauf und einige Zeit später, trat er wieder niedergeschlagen den Heimweg an. Wie schon seit einiger Zeit, gab es auf dem Polizeirevier auch am nächsten Tag nicht viel zu tun. Die Polizisten konnten keine weiteren Spuren finden und kamen somit nicht voran. Also hatte Adachi an dem Nachmittag frei und beschloss auswärts, nämlich bei Junes zu essen. In seiner Heimatstadt gab es ebenfalls eine dieser Filialen. Er besuchte sie recht gern, denn anders als bei McDonalds, Yoshinoya oder sonstigen Ketten, war die Auswahl sehr groß und bestand nicht nur aus Fast Food. Junes war eigentlich eine Art Universalkaufhaus mit eigenem Restaurant. Ein äußerst interessantes Geschäft. Aber dadurch, dass Junes alles auch nur Erdenkliche feilbot, war die Existenz der kleineren Läden in Inabas Innenstadt gefährdet. Aber es war nichts, was Adachi kümmern sollte. Während er die erneuerte Menükarte studierte, fand er Dojimas Neffen mit drei weiteren Jugendlichen – darunter Yukiko – an einem der Tische sitzen. Adachi wusste nicht wie er reagieren sollte und ehe er sich versah, hatte ihn schon das Mädchen mit den kurzen Haaren, das er zum ersten Mal am Tag des Fundes der ersten Leiche gesehen hatte, entdeckt. »Hey, ist das nicht dieser eine Detektiv?« »Oh, Dojimas Neffe! «, erwiderte Adachi und mimte Überraschtheit. »Das trifft sich gut. Ich soll dir von Dojima ausrichten, dass er heute pünktlich aus hat. Gib das doch an Nanako weiter«, ein unwichtiges Detail um von seiner Aufregung abzulenken. »Hallo alle miteinander. Ich bin Adachi Tohru. Dojimas Laufbursche«, Adachi lächelte und versuchte sein Bestes, um seine möglichst sympathischste Art zu zeigen. »Sind sie jeden Tag so beschäftigt?«, entgegnete ihm der Junge mit den braunen Haaren, Hanamura Yosuke wie Adachi von Dojima erfahren hatte, stattdessen sarkastisch. Der junge Detektiv schluckte seinen Ärger und tat so als ob er die Anspielung nicht verstanden hatte. »Verzeihen sie«, meldete sich das Mädchen mit den kurzen Haaren und der giftgrünen Sportjacke erneut zu Wort. »Könnte es sein, dass der Mörder Saki-Senpai tötete, um sie zum Schweigen zu bringen?« Verblüfft blickte er das Mädchen an: »Na, du bist aber direkt, Fräulein…?« »Chie. Satonaka Chie.« »Also gut, Fräulein Satonaka. Dasselbe haben wir vom Revier natürlich auch gedacht. Schließlich war sie es, die die Leiche gefunden hatte und kurz darauf selber getötet wurde. Oh, ich weiß gar nicht, ob das schon wieder geheime Details sind. Vor allen Dingen vermuten wir nur, dass es sich um Mord handelt. Wie dem auch sei. Vielleicht gab es wirklich etwas am Tatort, dass nur Fräulein Konishi verstehen konnte. Vielleicht ist der Täter also ein Bekannter von ihr. Aber nichts davon trifft auf Hiiragi-san zu. Aber… Aber ich glaube, ich habe schon wieder viel zu viel erzählt. Verratet das bloß nicht Dojima, oder ich werde bei lebendigem Leibe gehäutet. Gott bewahre! Also, keine Sorge, die Herrschaften. Die Polizei ist längst am Werk. Macht’s gut!« Er warf noch einen Blick auf Yukiko, bevor er sich zum Gehen abwandte. Er wollte es immer noch nicht glauben. Statt verstorben, saß das Mädchen nun hier, mit anderen Jugendlichen und genoss ihr Dasein. Die Wut ließ er sich nicht anmerken und verließ den Ort eiligen Schrittes. Die Tage waren vorbei gegangen, ohne erneut geregnet zu haben. Der Mai war längst gekommen und die Wettervorhersage versprach in wenigen Tagen wieder Regen. Adachi saß wie an jedem herkömmlichen Arbeitstag gelangweilt in seinem Büro und las die wöchentlichen Todesanzeigen für die Umgebung Inabas. Niemand, den er kannte. Es war mittlerweile schon dunkel und die meisten seiner Kollegen hatten bereits aus, aber er selbst hatte Schlussdienst. Was natürlich völlig sinnlos war, gab es doch nichts Essentielles zu tun, außer uninteressante Verkehrsdelikte zu bearbeiten. Im Hintergrund hatte er den Fernseher laufen lassen. Die Abendnachrichten begannen von delinquenten Jugendlichen zu berichteten, von denen Dojima die vergangenen Tage auch immer wieder gesprochen hatte. Es handelte sich um eine Gruppe von jungen Motorradfahrern, die bereits des Öfteren zum Vandalismus übergegriffen hatten. Einer der Jungen hatte anscheinend einen Kameramann angegriffen und wurde nun im Zornesausbruch gefilmt. Dürftig war sein Gesicht zensiert und Adachi erkannte den jungen Mann als Tatsumi Kanji, ein Highschool-Schüler. Bloß gehörte dieser Kanji nicht zu der Biker-Gang. Vielmehr war er es, der dieser Gang seit mehreren Monaten Schwierigkeiten bereitete. Dojima hatte Adachi von diesem erzählt und ihm die Akte gezeigt, aber er erinnerte sich nicht mehr in was für einem Zusammenhang. Es war ja auch nicht wichtig. Es handelte sich nur um irgendeinen randalierenden, minderjährigen Idioten. Aber dann rief sich Adachi Namatames Worte ins Gedächtnis. Namatame hatte nach Konishi Sakis tot gesagt, dass die Opfer des Mayonaka TVs kurz vor der regnerischen Nacht in den lokalen Nachrichten auftraten. Yamano, Konishi und Amagi waren alle unmittelbar vor ihrem Verschwinden ebenfalls im Fernsehen zu sehen gewesen. In Anbetracht dessen, dass in wenigen Tagen wieder nächtlicher Regen zu erwarten war, könnte es womöglich sein, dass Tatsumi Kanji als nächstes zum Entführungsopfer auserkoren werden sollte. Selbstverständlich nur solange Namatame ebenso wie Adachi dachte. Aber im Gegensatz zu den vorherigen Personen, war Kanji männlich. Wahrscheinlich irrte sich Adachi in dem Fall. Dennoch würde er bis auf Weiteres besser auf diesen Kanji achten. Ein Tag später war es soweit. Es regnete um Mitternacht und wie erwartet ertönte das seltsame, rauschende Geräusch und im grünlichen Flimmern, war eine Silhouette auszumachen. Details und Farben waren nicht zu sehen, aber Adachi erkannte, dass es sich um die Silhouette einer männlichen Person handelte. Und die Schemen der Frisur erinnerten an die Kanjis. Also hatte er wahrscheinlich richtig gelegen, als er vermutet hatte, Tatsumi Kanji wäre der nächste in der Reihe. Als Adachi vor einem Monat mit Namatame telefoniert hatte, sah dieser in jenem Augenblick die Silhouette Yukikos. Jedoch erst nachdem Yukiko verschwunden war, war ihre Gestalt im Mayonaka TV scharf zu sehen. Und zwar in Form ihrer seltsamen Prince Charming-Show. Das hieße also, dass Kanji möglicherweise noch immer in dieser Welt weilte und Namatame ihn erst verschleppen musste. Adachi hegte die Hoffnung, dass Namatame auch diesmal wieder Taten folgen ließe. Doch noch immer wunderte sich Adachi, was der selbsternannte Messias Namatame damals bei Yukiko falsch gemacht haben könnte und ob vielleicht noch ein Dritter seine Finger im Spiel hatte. Namatame ließ sich Zeit, denn auch an den folgenden Tagen war lediglich eine unklare Figur zu sehen. Vermutlich fiel es ihm nicht leicht, Kanji ausfindig zu machen. Oder hatte Namatame gar nicht erst vor Kanji zu entführen? Die Nervosität im Inneren Adachis wuchs. Er wusste, dass es auch die nächsten Abende regnen würde, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass er befürchtete, Namatame unterließ es ab sofort, die Personen in den Fernseher zu stoßen. Tagsüber wanderte Adachi in der Innenstadt umher, stand vor dem Textilladen, von dem er wusste, dass es der Tatsumi-Familie gehörte, wie Dojima ihm einmal offenbart hatte. In der Nähe dieses Ladens hatte er auch die Gruppe um Dojimas Neffen Souji rumlungern sehen. Wohin auch immer er ging, traf er auf dieselben Pesonen. Was für eine furchtbare Stadt Inaba doch war. In der Nacht des 17. Mais war es dann endlich soweit. Wieder schaltete sich der Fernseher um Mitternacht von selbst an, doch diesmal war es nicht mehr konfus und verschwommen. Dem Anschein nach, wurde wirklich die ersehnte Show ausgestrahlt. Aber es war ganz und gar nicht, was Adachi erwartet hätte. Zunächst sah man nur einen Raum, der an ein traditionelles Badehaus erinnerte, aber dann trat Kanji ins Bild. Er trug nur ein Handtuch um seine Hüften gewickelt und wirkte etwas angetrunken. »Seid gegrüßt, liebe Zuschauer!«, sprach Kanji mit anscheinend verstellter Stimme. »Es wird Zeit für’s Böse, böse Badehaus! Heute Nacht führe ich sie ein, in einen Ort für jene, die die vollendete Liebe, welche über die Geschlechtertrennung hinausgeht, suchen! Ich, Tatsumi Kanji, bin ihr Moderator für diese skandalöse, wunderbare Sendung der Herzen! Himmel, stellen sie sich nur einmal die Dinge vor, die mir hier widerfahren werden! Oh! Also dann, los geht’s! Au Revoir!«, mit diesen Worten drehte Kanji, wie zuvor Yukiko auch, dem Zuschauer den Rücken zu und lief hinein ins Badehaus. Stumm starrte Adachi den dunklen Bildschirm an und brach schließlich in Gelächter aus. Diese unterdrückte Seite Kanjis passte ja so gar nicht zu dem Bild des harten Burschen, dass er sonst abgab. Es war köstlich. Die Personen schienen also zu wissen, dass sie gefilmt wurden. Aber was er es, dass sie veranlasste, ihre unterbewussten Wünsche zu gestehen? Etwa ein Mittel? Und hatte Yukiko tatsächlich ihr Gedächtnis verloren, oder schämte sie sich so sehr, dass sie ihre Show zu verdrängen versuchte? Kanji würde sicherlich auch nicht sein Böses, böses Badehaus eingestehen wollen. Ach, der Ärmste! Sich auf diese Weise zu outen. Wer weiß wie viele ihn so sahen. Aber wenn er erst einmal tot war, war seine Sexualität sein geringstes Problem. Adachi fuhr seinen Laptop hoch, um sich nochmals zu vergewissern, wann es wieder Zeit für den unheilbaren Nebel war. Anfang Juni erst. Er musste sich noch so lange gedulden. Frustriert schnalzte er mit der Zunge und schaltete mit aufkeimender Wut durch die Fernsehsender, begann dann aber wieder von Neuem heiter zu lachen, als er an Kanjis Show denken musste. Vor dem Textilgeschäft traf Adachi wieder einmal auf Dojimas Neffen und seine Freunde. An jenem Morgen war die Vermisstenanzeige Kanjis bei der Polizei eingetroffen und der junge Ermittler wurde damit beauftragt, Frau Tatsumi einige Fragen zu stellen. Amüsiert war er die Einkaufspassage entlang gegangen und hatte dabei die Personen gemustert und sich gefragt, was wohl im Unterbewusstsein all jener hauste. Aber ständig traf er auf diesen grauhaarigen Jungen mit seinen Gefährten – es hatte nämlich den Anschein, als wären seine Freunde eher der Pulk um ihn rum, der ihm überallhin folgte. Da waren sie also wieder versammelt und schienen irgendetwas auszuhecken. Adachi verbarg sich hinter dem Busch am Eingang des Tatsuhime Schreins und versuchte dem Gespräch der Jugendlichen zu lauschen. Sie wirkten gestresst und darauf erpicht, etwas in Erfahrung zu bringen. Genaues konnte er jedoch nicht verstehen. Sobald sie sich in seine Richtung drehten, täuschte er vor, ein Passant zu sein. »Hey! Ihr schon wieder!«, grüßte er die Bande überschwänglich. »Sag mal, solltet ihr um die Uhrzeit keine Nachhilfe oder so haben? Ach, was gäb‘ ich nur um auch so ein unbeschwertes Leben wie ihr zu führen.« »Ach, sie sind’s, Mr. Detective«, erwiderte Satonaka Chie belustigt, aber ihr Spott war nicht zu überhören. »Sie scheinen wirklich furchtbar beschäftigt. Dabei habe ich sie doch vorhin erst bei Junes gesehen! Wenn es so ist, können sie mich liebend gern zum Steak einladen!«, sie grinste. »Gott, Chie, wie unverschämt kann man nur sein?«, antwortete ihr stattdessen der Junge namens Hanamura. »Du hattest doch eben erst welches! Du wirst immer fetter!« »Ach, halt’s Maul, Yosugay!« Kopfschüttelnd wandte sich Adachi zum Gehen. »Wer ist hier schwul!?«, Hanamuras Stimme war beinah schrill. »Du passt auch gut ins Badehaus! Haha!« »Du Bitch!« Hatte sie gerade Badehaus gesagt? Hatten sie etwa auch die Sendung vergangene Nacht gesehen? Ehe Adachi Chie eine Frage diesbezüglich stellen konnte, waren die beiden schon auf die andere Straßenseite gerannt, gefolgt von Souji und Yukiko. Adachis Misstrauen war geweckt. Und nachdem Frau Tatsumi ihm verraten hatte, dass eben diese Kinder ihr vorher ähnliche Fragen gestellt hatten, war es umso mehr gewachsen. Unmöglich. Diese Hobby-Detektive versuchten doch nicht allen Ernstes auf eigene Faust zu ermitteln? Adachi musste auf der Hut sein. Wenige Wochen später war Kanji wieder aufgetaucht. Adachi war ohnehin mit schlechter Laune aufgestanden. Es regnete in Strömen. Sein Schirm war an jenem Morgen nicht auffindbar und obwohl sein Weg zum Auto kurz war, sah er binnen wenigen Augenblicken aus, wie ein nasser Hund. »Die haben Kanji gefunden. Seine Mutter rief vorhin an«, begrüßte Dojima den klitschnassen Adachi, als er aufs Revier kam. Wortlos ging der junge Mann an seinem älteren Partner vorbei in sein Büro. Er schloss die Tür hinter sich und griff in seine Jackentasche, um sich eine Zigarette anzuzünden, aber auch die Packung war völlig durchnässt. »Verdammt!«, schrie er, als er mit der Faust auf seinen Schreibtisch schlug. »Verdammte Scheiße!« »Hey, was hast du denn für Krisen heute?«, hörte Adachi Dojima von außen rufen. Er atmete einige Male ein und aus. Dann öffnete er ihm. Sich zu beherrschen fiel ihm schwer. »Tut mir Leid, Dojima-san. Heut‘ ist einfach nicht mein Tag.« »Aha«, Dojima nickte und bot ihm eine Zigarette an. Auch Kaffee hatte er für sich und ihn mitgebracht. Adachi nahm dankend an. Ungeduldig zündete er die Zigarette an und atmete scharf die Luft ein. Der blaue Dunst begann ihn sofort zu beruhigen. »Danke. Bin wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden«, schließlich lachte er und begann sich wieder normal zu benehmen. »Sie haben Tatsumi also gefunden? Ist ja wunderbar.« »Du sagst es. Ich hatte schon befürchtet, es gehe weiter. Aber die Einwohner haben glücklicherweise nicht wirklich etwas von dem Verschwinden Tatsumis und Amagis mitbekommen. Jedenfalls ist dies alles furchtbar merkwürdig. Zuerst einmal die beiden Morde. Dann verschwinden Jugendliche ohne jeglichen Zusammenhang und tauchen später unversehrt und mit Amnesie wieder auf. Tatsumi erinnert sich übrigens auch an nichts. Heute Nachmittag ist er zur Befragung geladen. Was geht nur in dieser gottverdammten Stadt vor sich?« »Keinen Schimmer.« Sie schwiegen sich an, während sie weitere Zigaretten rauchten. Zur Mittagspause lehnte Adachi die Einladung der Kollegen mit ihnen zu essen ab und ging stattdessen trotz Regen in die Stadt. Hierfür hatte er Dojimas schwarzen Schirm bekommen, der wunderbar seine Stimmung repräsentierte. Bald schon würde wieder der Nebel kommen, aber er würde diesmal niemanden ins Verderben stürzen. Zweifel kamen auf. Vielleicht hatte er sich getäuscht und der Nebel hatte keineswegs einen Zusammenhang mit den Toten. Aber im April, gerade an dem Tag an dem Yamano Mayumis toter Körper geborgen worden war, tauchte der seltsame Nebel zum ersten Mal in Inaba auf. Adachi wusste nicht weiter. Es zog ihn ans Samegawa Flussufer. Im sonst so belebten Park, befand sich an jenem regnerischen Donnerstag, außer einem angelnden alten Mann, kein einziger Mensch. Adachi setzte sich auf eine Bank unter einem Baum, nahe des Ufers. Er lauschte den Tropfen, die auf seinen Schirm prasselten und blickte lethargisch auf die vom Regen gestörte Wasseroberfläche. Es beruhigte ihn. Hypnotisierte ihn beinah. Dojimas Neffe und seine Freunde kamen ihm wieder in den Sinn. Er erinnerte sich an das, was diese Satonaka gesagt hatte. Sicherlich wussten sie etwas. Vielleicht hatten sie sogar mit dem wieder Auftauchen der Verschwundenen zu tun. Es konnte doch nicht wahr sein, dass diese Jugendlichen seine Pläne durchkreuzten. Nein. Wahrscheinlich bildete er es sich nur ein. Was konnten diese Bälger schon mit dieser Sache zu tun haben? Dennoch fühlte er sich von ihnen bedroht. Irgendein Instinkt in ihm gab ihm zu verstehen, dass sie mehr als nur einfache Schüler waren. Ab sofort sollte er Souji und die anderen beobachten. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet Adachi, dass er schon zu spät war. Er wusste nicht, wie er seine Stimmung verbessern konnte, denn wenn es so weiterginge, würde Dojima noch Verdacht schöpfen. Sein morgendlicher Auftritt war heikel genug gewesen. Tatsumi Kanji befand sich im selben Raum wie schon Saki und Yukiko vor ihm. Er trug wieder seine Lederjacke, das T-Shirt mit dem Totenschädel, den Nietengürtel und Adachi kam nicht umhin, als an den spärlich bekleideten Kanji zu denken. Er verkniff sich mit Mühe das Lachen. Dieser Junge versuchte so erbärmlich männlich und stark zu wirken. Er konnte ihn nicht ernst nehmen. »Du erinnerst dich also auch an rein gar nichts? So wie Yukiko«, fragte ihn Adachi. »Nein, man. Hab ich doch schon gesagt!« »Ein bisschen mehr Respekt, bitte!«, fuhr Dojima ihn an. »Tut mir Leid, Dojima-san. Die Fragen sind nur so… irritierend«, wie ein kleiner Junge schaute Kanji verlegen auf den Fußboden. Es war immer wieder faszinierend, was für ein Kontrast sein Äußeres, zu seinem Gelegentlichem Benehmen war. »He, Dojima, du schüchterst selbst mich ein!«, Adachi hatte sich mittlerweile angewöhnt, seinen älteren Partner zu duzen. Im Prinzip war es ihm egal, wie er ihn ansprach. Drecksschwein fände er auch völlig in Ordnung. Aber er musste doch seine lächerliche Rolle spielen. Genauso lächerlich wie dieser Schüler, der ihnen gegenüber saß. »Wie dem auch sei. Wir kommen hier nicht weiter. Du bist unversehrt und hast keine Ahnung. Also geh nach Hause, Junge. Und mach keinen Scheiß. Lern lieber oder so«, noch während er diese Worte sprach, zündete Dojima sich eine Zigarette an. Kanji stand auf. Verabschiedete sich unbescholten und verließ den Raum. »Eigentlich ist der Junge in Ordnung«, sagte Adachi. »So eine Scheiße!«, rief Dojima auf einmal. Manchmal konnte man meinen, Dojima wäre ein Choleriker. »Wir sind vermeintliche Detektive und haben keine Ahnung was hier vor sich geht! Ich fühle mich verarscht! Was wenn dem nächsten tatsächlich etwas passiert?« »Wohl wahr«, seufzend sah Adachi Dojima an. »Wir sind wirklich Idioten.« Er erntete einen finsteren Blick von Dojima, der daraufhin grimmig den Raum verließ. Sollten die Polizisten ermitteln so viel sie wollten. Am Ende waren sie nur unwichtige Lakaien. Was letztlich zählte war, den Grund zu finden, warum die Morde abgebrochen worden sind. »Demzufolge ist für heute Abend dichter Nebel in der Region um Inaba zu erwarten...«, verärgert schaltete Adachi den Fernseher aus. Es war wieder soweit. Gevatter Tod in Form des Nebels war gekommen, doch niemand war da, den er zu sich nehmen konnte. Der Weg ins Verderben war geebnet, doch es gab niemanden, der ihn benutzte. Dumpfe Verzweiflung erfüllte Adachi. Er fragte sich, wohin dieses Spiel nur führte. Vielleicht steigerte er sich auch nur zu sehr hinein, aber er merkte wie die Aufregung an ihm nagte und ihn zu deprimieren begann. Sein langweiliges Leben hatte ihn so gequält und nun dachte er endlich, er hätte etwas vollbracht, doch auch dieses schien nun verwirkt. Mitternacht war bald vorbei. Erneut fühlte sich der junge Mann rastlos. Die Melancholie war beinahe unerträglich. Also machte er sich, wie schon letztes Mal, auf, um sich seinen finsteren Gedanken zu ergeben. Kapitel 4: Irrsinn und Lachhaftigkeit ------------------------------------- »Ich hab‘ genug von Diäten! Keine Lust mehr auf‘s Fitnesscenter! Zum Glück gibt’s nun selbst für mich etwas!«, die Stimme des Mädchens aus der Werbung war euphorisch und penetrant. In ihrem bunt gestreiften Bikini posierte sie vor der Kamera. Die rotbraunen Haare trug sie zu zwei Zöpfen hochgesteckt, die sie nur mehr wie eine kleine Lolita aussehen ließen. »Quelorie Magic. Das ideale Mittel für jeden, der sich über Kalorien und Körperfett sorgt! Quelorie Magic macht sie schlank und zwar sofort!«, sprach die stereotype Werbestimme, während der Fokus auf dem schwachsinnigen Diätprodukt lag. Die Menschen, die sich von so einer geschmacklosen Werbung angesprochen fühlten, geschweige denn den Versprechungen glaubten, mussten erbärmlich sein. Adachi fragte sich manches Mal, warum er sich überhaupt noch das Fernsehprogramm antat. Aber wenn er so nachdachte, gab es auch nichts Besseres zu tun, um sich in dieser grauenhaften Kleinstadt die Zeit zu vertreiben. Eilig trank er seinen Kaffee aus und begab sich auf den Weg zur Arbeit. Es war mittlerweile Mitte Juni. Der Sommer war gekommen und mit ihm war auch die Laune der Einwohner Inabas jäh gestiegen. Die Morde, die nun drei Monate her waren, schienen geradezu vergessen. Im Gegensatz zur Lebensfreude der Anderen war bei Adachi allerdings die Frustration gewachsen. Er hatte dennoch an jenem Tag beschlossen, den relativ kurzen Weg zum Revier zu Fuß zu gehen. Gemächlich ging er die befahrene Straße entlang und stellte sich vor, seinem Leben einfach ein Ende zu setzen, indem er vor eines der Autos sprang. Für einen Augenblick hätte er für Aufregung gesorgt, ein Krankenwagen wäre gekommen, er wäre in einem Sarg gelandet und kurze Zeit später wäre auch er wieder in Vergessenheit geraten. Ein Lastwagen fuhr auf ihn zu. Wenn er nun einen Satz nach links gemacht hätte, hätte dieser ihn angefahren. Doch als der richtige Moment gekommen war, zog Adachi sich wieder zurück und ging weiter. Am Ende hing er doch irgendwie an seinem Leben. Adachi fragte sich, was mit ihm los war und warum er plötzlich so verweichlicht war. Der jahrzehntelange Zorn und Hass in ihm waren auf einmal in Missmut und Depression umgeschlagen. Sowas war er von sich selbst nicht gewohnt und er empfand es als schamhaft und entfremdend. Was auch immer es war, er wollte es nicht akzeptieren, denn es war so, als gäbe er seine Rachepläne auf. Waren das vielleicht die Gefühle die in seinem Unterbewusstsein hausten? Nein, niemals. Er war nicht so wie die Anderen. Er wollte nie wie die Anderen sein. Als er an der Tankstelle in der Einkaufspassage entlangging, fiel ihm ein, dass er keine Zigaretten mehr hatte. Also ging er hinein um dies zu ändern. Adachi erinnerte sich, dass das das erste gewesen war, was er gemacht hatte, als er nach Inaba versetzt worden war. Nachdem er dürftig seine Wohnung eingerichtet hatte, fuhr er zu eben dieser Tankstelle, um seinen Wagen aufzutanken und Zigaretten zu kaufen. Es hatte geregnet an dem Tag. Er war übler Laune gewesen und der aufdringliche Mitarbeiter mit den hässlichen gewellten Haaren schien ihn nicht gehen lassen zu wollen. »Willkommen in Inaba!«, hatte er Adachi damals willkommen geheißen und ihm dabei die Hand gereicht. »Hier ist zwar nicht viel los, aber die Stadt ist wirklich schön.« »Oh ja, ich bin mir sicher, ich werde unheimlich viel Spaß haben«, hatte er ihm trocken und genervt entgegnet. »Der Überzeugung bin ich ebenfalls«, war die Antwort, welche mindestens genauso höhnisch geklungen hatte. Mit einem seltsamen Gefühl war er zu seiner Wohnung zurückgekehrt und für den Rest des Abends nicht mehr fähig gewesen, sich seinem Inventar zu widmen. »Vielen Dank und beehren sie uns bald wieder!«, auch diesmal war es derselbe Mitarbeiter. Seine nervtötende, fast schon weibliche Stimme machte Adachi nahezu rasend. Er konnte sich nicht helfen, aber er konnte diese Person einfach nicht ausstehen. Nach einem routinierten Arbeitsmorgen, ging Adachi zu Junes essen. Der Gang dorthin hatte begonnen, genauso zur Routine zu werden. Aus der Elektronikabteilung erklangen ihm bekannte Stimmen. Es waren die Soujis und der Anderen. Sie grüßten Adachi höflich und begaben sich zum Restaurant. Diese Begegnung war nicht das erste Mal. Die jugendliche Gruppe traf sich häufig dort und im Prinzip war es nicht merkwürdig, da der Vater Hanamura Yosukes der Manager der Filiale war, aber diesmal war auch Tatsumi Kanji unter ihnen. Adachi stutzte, als er Kanji erkannte. Natürlich, sie alle besuchten dieselbe Schule, aber seltsamerweise hatte sich Kanji erst nach seiner Entführung zu ihnen gesellt. Und auch Yukiko war zuvor schon entführt worden. Seine Befürchtungen und die unbeantworteten Fragen machten Adachi wütend und verdrossen. Der Appetit war ihm vergangen. Er begab sich freudlos zurück aufs Revier. »Hey, kennst du Kujikawa Rise, oder besser gesagt Risette?«, fragte ihn Dojima zwischen zwei Bissen. Auch dieser hatte offenbar keine Mittagspause gemacht und dafür einen Praktikanten beauftragt, den beiden Ermittlern Sandwiches zu besorgen. »Nein. Sollte ich?« In Adachis Sandwich waren Scheiben grüner Oliven. Er hasste Oliven, zwang sein Sandwich dennoch hinunter, denn er wollte nicht undankbar erscheinen. Ihm war nicht entgangen, dass Dojima ihn zu mögen begonnen, beziehungsweise den Köder geschluckt hatte. Und dabei sollte es auch bleiben. »Die kennst du bestimmt aus der Werbung. Naja, das ist so ein Teenie-Idol. Auf jeden Fall stammt sie aus Inaba und hat kürzlich beschlossen, sich aus dem Showbiz zurückzuziehen. Sobald das an die Öffentlichkeit gerät, gibt es mal wieder Trubel in Inaba und ihre Verwandten hatten die hiesige Polizeistation gebeten, Rise davor zu schützen.« »Hat sie denn keine Bodyguards oder so?« »In erster Linie sorgt sich ihre Großmutter wohl um die ungeklärten Mordfälle. Es geht darum, dass Rise nichts passiert.« Adachi bezweifelte, dass Rise in Gefahr schwebte. Da es sich bei diesem Mädchen um einen Fernsehstar handelte, passte es nicht zur vermeintlichen Systematik des Mayonaka TVs. »Aber sind wir nicht schuld, dass die Morde noch nicht aufgeklärt sind? Ich meine, dann so großes Vertrauen in uns zu legen…« »Sag mal, willst du mich reizen!?« »Natürlich nicht, Dojima-sama. Verzeiht mir!«, ehrerbietig erwies er dem Älteren seine Reverenz. Dojima zündete sich verärgert eine Zigarette an. »Vollidiot!« Am selben Abend noch sah Adachi eine Pressekonferenz mit besagter Rise im Fernsehen. Er erkannte sie als die Lolita aus dem Quelorie Magic-Werbespot. Risette war ihr Künstlername und französisch für Lächeln. Dieses Detail wussten aber sicherlich nicht einmal die Hälfte ihrer ignoranten Bewunderer, welche wahrscheinlich zum größten Teil aus Teenagern und lüsternen Männern mittleren Alters bestanden. Dem Mädchen wurden Fragen gestellt bezüglich ihrer Karrierepause. Inaba, ihr Familiensitz – nämlich das Marukyu Tofu - und auch die Morde wurden erwähnt. Vielleicht hatte Dojima am Ende doch Recht und es war nun Zeit für Risettes Auftritt. Als es wenige Abende später regnete, erschien auch schon eine weibliche Silhouette mit auffälligen Zöpfen im Mayonaka TV. Mit neuer Begeisterung begann Adachis Arbeit als Leibwächter am nächsten Tag. Wie erwartet, hatten viele die vergangene Pressekonferenz verfolgt und waren, nachdem Rise eingetroffen war, nun persönlich zum Marukyu Tofu gefahren, um einen Blick oder mehr auf sie zu erhaschen. Dabei wurden die Verkehrsregeln von den Fans völlig vernachlässigt und die Innenstadt Inabas unterlag dem Chaos. »Guten Tag, Herr Detektiv!«, sprach ihn Yosuke an, nachdem auch er, zusammen mit Souji und Kanji, zum Marukyu Tofu gekommen war. »Ist etwas passiert?« »Ach, ihr seid’s. Nein, ich bin heut‘ nur Verkehrsregler. Diese Verrückten wollen allen Ernstes in der Fußgängerzone parken.« »Was ist denn hier los?«, warf Kanji ein. Verwirrt blickte Adachi die sonst über alles Bescheid zu wissen schienenden Jugendlichen an. »Na, Kujikawa Rise ist hier. Erzählt mir nicht, ihr wüsstet davon nichts. Ich würde sie zu gern sehen!« »Doch. Aber ich wollte wissen, wieso ein Detektiv in Zivil den Verkehrsbeamten spielt.« Verärgert über diese Unverfrorenheit runzelte Adachi die Stirn. Sein kurzweiliger Zorn verflog jedoch rasch wieder. »Inabas Polizeibehörde ist nun mal nicht so groß. Wir sind unterbesetzt. Also, ich hab jetzt zu tun. Bis später«, er drehte den Jungen den Rücken zu und verließ den Ort, um sich ein paar Geschäfte weiter genervt in einen Imbiss zu setzen. Er hatte Hunger und meistens war seine schlechte Laune damit verbunden. Ehe er diese also an jemandem ausließ, oder Dojima ihn schelten konnte – was er ohnehin täte, sobald er erfuhr, dass Adachi sich seinem Befehl widersetzt hatte - beschloss er, hurtig seinen Appetit zu stillen. Seufzend nahm er auf einem der Barhocker Platz und orderte eine Schale der traditionellen Suppe. Adachi wurde das Gefühl nicht los, dass diese Kinder mehr wussten, als anzunehmen war. In ihrer Nähe fühlte er sich zudem stets unruhig und seltsam gereizt. Als er geendet hatte und gerade den Imbiss verlassen wollte, trat Dojima ein. »Verdammt, Adachi! «, rief er wütend. »Ich sagte doch, du sollst deinen Posten nicht verlassen, Mann!«, er schüttelte den Kopf, setzte sich an den Tresen und bestellte zwei Mal Ramen. »Was soll’s. Du bist eben ein Nichtsnutz.« »Aber Dojima-san. Ich habe gerade eben…« »Mir doch egal! Setz dich. Weißt du, ich habe mir Gedanken gemacht, was Rise angeht.« Adachi hatte beim Verzehr der zweiten Schale Qualen gelitten, während Dojima ihm eröffnete, dass er den Worten der Großmutter Rises Glauben schenkte. Seines Erachtens passte das Mädchen ideal ins Muster. Für einen Moment vergaß sich Adachi und erwähnte beinah, Rises Silhouette im Mayonaka TV. Er besann sich jedoch schnell wieder und als Dojima aufgegessen hatte und Adachi erlöst war, begaben sie sich zurück ins Marukyu Tofu, um Risette zu befragen. »Vielen Dank, die Herren«, sagte das Mädchen müde und lustlos, als sie den Tofu einpackte und Dojima reichte, den er, bevor er mit der Befragung begann, bestellt hatte. Rise war nicht so, wie Adachi sie erwartet hatte. Die quietschige Stimme hatte sie, genau wie den bunten Bikini, abgelegt und trug die herkömmliche Arbeitskleidung einer Tofuverkäuferin. Er hatte sie zunächst gar nicht erkannt. Mit ihrer Schürze, ihrem kraftlosen Eindruck und ihren schleppenden Bewegungen wirkte sie beinah alt. Wahrscheinlich hatten sie die Besuche der Fans ausgelaugt. Es konnte aber auch ihre allgemeine Stimmung gewesen sein, weshalb sie sich entschlossen hatte, sich eine Auszeit zu nehmen. »Sieht ganz so aus, als hätte sich die Menge gelichtet. Unsere Arbeit wäre also getan. Rufen sie die Polizeistation einfach an, sobald wieder etwas vorfallen sollte«, Adachi sprach mit täuschend echter Freundlichkeit, aber Rise antwortete nur monoton und einsilbig. »Einen Moment noch«, fiel Dojima ein. Fragend blickte Rise ihn an. »Du hast vielleicht von den kürzlichen Mordfällen hier gehört. Ist dir vielleicht irgendwer Verdächtiges aufgefallen?« »Nicht wirklich. Es ist genau wie immer.« Die beiden Ermittler schwiegen betreten. Schließlich meldete Dojima sich wieder zu Wort: »Ja, gut. Du bist schließlich ein sogenanntes Idol. Also sind Fans, Paparazzi und Stalker wohl nichts Neues. Warum hast du dich für eine Auszeit entschlossen?« »Was geht sie das an?«, genervt furchte sie die Stirn. »Ich brauchte eben eine Pause…«, Sie wirkte blass und schwach, als würde ein bloßer Lufthauch sie umstoßen können. Dojima nickte. »Hast du dich hier für eine Schule eingeschrieben?« »Yasogami High«, entgegnete sie ihm. Das war die Schule Soujis und der Anderen. »Sie ist in der Nähe und klingt ganz in Ordnung.« Seufzend strich sich Dojima mit dem Handrücken über die Stirn. »Ich will dir ja keine Angst einjagen, aber es bestehen einige Gemeinsamkeiten mit…« »Ich könnte womöglich auch entführt werden, ja?«, unterbrach sie ihn. Verwirrt blickte Adachi sie an und ohne es zu merken, hatte er schon gesprochen: »Was? Warum bist du darüber im Bilde?« »Da waren diese Drei. Sie trugen Uniformen. Ich glaub‘ sie waren Schüler…« »Sah der eine vielleicht aus wie ein Gang-Mitglied?«, auch in Dojimas Stimme war Verwirrung auszumachen. Rise nickte. »Dojima-san, meint sie etwa deinen Neffen und seine Freunde?« Dojima machte kehrt und ging zum Eingang. Adachi folgte ihm. »Irgendwas stört mich. Diese Entführungen, die unbeantworteten Fragen hinsichtlich der beiden Toten. Um ehrlich zu sein, hatte ich eine gewisse Eingebung und bin hergekommen. Aber wie können uns einfache, unwissende Oberschüler zuvor kommen? Meinst du, das war nur eine Ausrede, um mit einem Star zu sprechen?« Ratlos blickten die beiden sich an. Dojima setzte seine Gedanken fort: »Sowohl Saki, als auch die beiden Vermissten Yukiko und Kanji besuchten diese Yasogami High.« »Wir haben aber keine Fortschritte gemacht, was die Verbindung zu der Schule angeht. Wenn das so weitergeht, wird die Bezirkspolizei eingeschaltet und…« »Kümmer dich um deine Arbeit, verdammt nochmal, anstatt mich die ganze Zeit mit deiner Bezirkspolizei zu belästigen!« Wütend stampfte Dojima aus dem Laden und unterwürfig folgte Adachi ihm. Erneut erschien die Silhouette im Mayonaka TV. Sie war jedoch ein skuriller Kontrast zu der Rise, die Adachi in ihrem Geschäft gesehen hatte. Diese Rise auf dem Bildschirm sprang in einem Bikini freudig auf und ab. Die Kamera war immer wieder auf ihren Po oder ihre Brust gerichtet. Sie wirkte ganz und gar nicht so bieder und streng wie die Rise, die er an dem Nachmittag inspiziert hatte. Es mussten jedoch dieselben Personen sein, denn die Figur war diesmal noch deutlicher zu erkennen. Selbst Farben und Details waren auszumachen. Adachi überlegte sich, was Rise wohl verbergen mochte. Allem Anschein nach war sie noch obszöner als Yukiko damals. Wer konnte schon wissen, was sie nicht alles für Filmchen gedreht hatte. Noch minderjährig und schon so dreckig. Viele dieser Mädchen hatten dieses Talent unschuldig, beinah rein zu wirken, während sie die verrücktesten und erniedrigendsten Dinge taten. Es war faszinierend. Adachi schaute nicht selten solche Filme und lachte in sich hinein, als er sich vorstellte, dasselbe mit Rise zu tun. Seine Belustigung fand aber schnell ein Ende, als er sich an den Vorfall mit Souji erinnerte. Selbst Dojima war entsetzt gewesen und hatte Adachi damit beauftragt, ab sofort über die Schüler Recherchen anzustellen. Auch wenn er nicht dementsprechend reagiert hatte, hatte ihn dies ungemein erleichtert, denn so hatte er ein Alibi, diese Kinder zu verfolgen und zu untersuchen. Somit begann er also gleich am nächsten Tag der Gruppe nachzustellen. Sehr zupass kommend hatte er alle fünf in der Innenstadt entdeckt. Sie schienen für irgendetwas Vorkehrungen zu treffen. Er folgte ihnen ins Shiroku - eine Art Apotheke, für Abergläubige - verwundert darüber, was solch ein Laden für Schüler Interessantes anbieten konnte. »Habt ihr alles?«, fragte Kanji ungeduldig. »Mach mal halblang!«, antwortete ihm Chie. »Wir bereiten uns hier schließlich vor.« Worüber zur Hölle sprach sie?, fragte sich Adachi. Ihm war kaum aufgefallen, dass er die Truppe längst auf sich aufmerksam gemacht hatte. »Was führt sie denn hier her?«, fragte ihn Yosuke überrascht. »Ach, gar nichts«, er tat so, als versuchte er sich aus der Affäre zu ziehen und sprach laut zu sich selbst: »Was hab ich getan, um den Babysitter-Job zu verdienen?«, sollten diese Kinder wissen was er von ihnen hielt und warum er dort war. »Dojima hat mich nicht hergeschickt oder so. Also, was treibt ihr? Die sollen hier interessante Snacks führen hab‘ ich gehört.« »Wir waren gerade auf dem Weg zu Rise-chan!«, Yosuke grinste wie ein Trottel. »Aha! Genau das hatte ich auch vor!«, eine gute Fügung. Somit konnte er sowohl Rise, als auch die Truppe beobachten. »Na wenn das so ist, warum gehen wir nicht zusammen, Herr Detektiv?«, warf Chie ein. Verblüfft schaute Adachi sie an. Hatte sie ihm etwa gerade zugezwinkert? Auch ihre Freunde wunderten sich. »Hey, kommt schon! Er ist sozusagen ein Undercover-Agent. Ihn dabei zu haben ist bestimmt kein Nachteil«, sie zuckte mit den Schultern und ging voran. Die Jüngeren waren vor dem Marukyu Tofu stehen geblieben und berieten sich, während Adachi hineingegangen war, um mit Rise und ihrer Großmutter zu sprechen. Letztere hatte zuvor auf der Polizeistation gemeldet, dass Rise von einem Stalker beschattet wurde und dieser anscheinend auch heute wieder aufgetaucht war. Nachdem Rises Großmutter erneut ihre Sorgen bekundigt hatte, trat der junge Ermittler wieder hinaus. »Los, zeig dich schon, du Bastard!« Schockiert blickten die Jugendlichen zu dem Ermittler, der auf den Eingangsstufen des Geschäfts stand, empor. Von ihm waren sie solche Worte weniger gewöhnt. Sicherlich hatte er zu viel mit Dojima zu tun. »Hey! Schaut mal!«, rief Yukiko und deutete auf einen Telefonmast, der neben dem Marukyu Tofu-Geschäft stand. Ein Mann in seltsamer Verkleidung war diesen hinauf geklettert und blickte in eines der Zimmer. »Was ist das denn für einer?«, verwirrt blickte Adachi den grotesk wirkenden Stalker an. Dieser trug einen orangenen Pullover und ausgewaschene Jeans. Auf dem Rücken einen violetten Rucksack, aus dem ein zusammengerolltes Poster Rises ragte. Hinzu kam ein rotes Stirnband, eine Kamera um den Hals und eine dicke Brille, die das Bild des Otakus perfektionierte. Sobald der Mann die Gruppe entdeckt hatte, kletterte er panisch den Mast hinab und rannte in Richtung der befahrenen Straße. »Ihm nach, verdammt!«, schrie Chie und Adachi und die fünf Jugendlichen eilten ihm hinterher. An der Schnellstraße angelangt, hielt der verdächtige Mann, den Rücken den Autos zugewandt, an. »Kommt näher und ich tu es! Was macht ihr dann, wenn mir etwas passiert?!«, er war völlig hysterisch. »Halt’s Maul, du Idiot«, herrschte Kanji ihn an. »Nein! Hör auf, Tatsumi!«, Adachi war nervös geworden. »Wenn ihm etwas passiert, wird die Polizei dafür verantwortlich sein. Dojima wird durchdrehen und dann bin ich dran!« Aber der verkleidete Mann schritt noch weiter zurück. »Ich tu es! Ich schwöre, ich tu es! Haut ab!« »Souji! Was sollen wir tun?«, Adachi fiel wieder auf, wie die Freunde des Neffen Dojimas, sich immer wieder auf ihn zu verlassen schienen. Auch diesmal wollte Yosuke erst nach der Zustimmung des Anderen agieren. »Wir stürzen uns auf ihn«, entgegnete Souji ihm. »Ja! Schlagen wir ihn nieder!« Aber ehe Adachi protestieren konnte, hatten die drei Halbstarken den Mann längst gepackt und vom gefährlichen Straßenrand weggezerrt. »Was soll das?«, beklagte sich der Mann wütend. Sie hatten ihn wieder umzingelt, so dass ein Fluchtversuch sinnlos war. »Was fällt euch ein, einen Zivilisten zu attackieren?« »Halt den Mund, du verdammter Mörder!«, fuhr Kanji ihn wütend an. »Du wirst schon sehen, was dir blüht!« »Was zum..? Was faselst du da!? Ich wollte doch nur ein Foto von Rise-chan!«, verlegen blickte Rises Bewunderer auf den Boden. »Das ist doch nicht verboten! Ich mag sie doch so gern. Ich wollte ihr Zimmer sehen und…«, er stammelte unverständlich weiter. Genervt packte Adachi ihn roh am Arm. »Genug jetzt! Sie kommen mit mir«, Autorität schwang in seiner Stimme mit. »Sie können uns ihre Geschichte auf dem Revier erzählen«, er zwinkerte den Jugendlichen zu und brachte wieder Albernheit in sein Bild. Zu viel Autorität würde seinem Spiel noch schaden. »Ach, ich wollte das schon immer mal sagen!« Der Verdächtigte wehrte sich noch immer. Er rief und protestierte. Ungeduldig sprach Adachi mit drohender Stimme: »Sie sind unter Mordverdacht, haben sie das verdammt nochmal verstanden? Entweder fügen sie sich, oder ihr Handeln wird Folgen tragen.« Resigniert ergab sich der Stalker und ließ sich von Adachi Handschellen anlegen. »Gute Arbeit«, lobte Adachi die Jugendlichen zuerst, legte dann aber einen subtilen Unterton der Mahnung an: »Ihr solltet von nun an eure Nase aus solchen Dingen raushalten. Dojima macht sich schon schreckliche Sorgen. Und wir wollen doch alle nicht, dass euch etwas passiert, hab‘ ich Recht?«, er beendete seine Rede mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte und führte den festgenommenen Mann die Innenstadt entlang zu seinem Wagen. »Rise?«, hörte Adachi Rises Großmutter sagen. Die Truppe der Jugendlichen hatte vor dem Marukyu Tofu angehalten, um anscheinend mit Rise zu sprechen. Adachi blieb stehen um zuzuhören. »Ich glaube sie ist ausgegangen.« »Aber war sie nicht eben noch hier?«, wunderte sich Yosuke. »Ihr müsst sie entschuldigen. So ist sie. Manchmal geht sie einfach raus und kommt erst abends wieder. So ein eigenwilliges Kind«, die alte Frau seufzte. »Meine arme Enkelin ist erschöpft, wisst ihr.« Aber Yosuke hörte nicht mehr zu. »Sie ist verschwunden ohne Bescheid zu geben?«, fragte er seine Freunde mit gerunzelter Stirn. »Ihr glaubt doch nicht, dass sie…« Was sollten sie nicht glauben? Vermutete er vielleicht, Rise sei entführt worden? Yosuke setzte seine Gedanken nicht weiter laut fort. »Kein Grund zur Sorge!«, warf Adachi ein. »Sie wollte bestimmt nur Inaba erkunden, oder so. Er ist doch gefasst«, dabei hatte er das Pronomen absichtlich betont. Es diente zur Ablenkung, ohne darauf hinzuweisen, dass Adachi alles wusste. Die Jugendlichen sollten glauben, es bestünde nun keine Gefahr mehr. Und sollten sie irrsinniger Weise tatsächlich in den Fall verwickelt sein, diesmal Namatame und den Mayonaka TV gewähren lassen. Adachi wollte schließlich endlich wieder jemanden tot sehen. Er hatte ihnen gedroht; er hatte Andeutungen gemacht. Er wusste nicht, was er noch tun konnte, ohne aufzufallen. »Wenn ihr mich entschuldigen würdet. Dojima-san wird sicher überrascht sein.« »Wie bescheuert bist du eigentlich?«, beschimpfte Dojima seinen jüngeren Partner. Freudestrahlend hatte Adachi den Stalker auf dem Revier präsentiert. Und nachdem dieser ausgesagt hatte, ließ Dojima seine Missstimmung an Adachi aus. »Du schleppst einen harmlosen Freak hierher und denkst der Fall sei gelöst? Ich könnte dich erschlagen, verdammt!« Adachi rollte mit den Augen. Nicht er selbst war der Idiot, sondern Dojima, der nicht einmal ahnte, wen er vor sich hatte. »Wag es nicht auch noch respektlos zu werden!« »Es tut mir ja leid, Dojima-san. Ich wollte doch nur…«, Adachi wimmerte beinah. »Ja, ich weiß ja, du willst auch nur diesen Dreckskerl fassen«, seufzend setzte er sich wieder auf seinen Stuhl und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. »Aber du kannst nicht jeden Dahergelaufenen des Mordes bezichtigen! Das ist naiv und unprofessionell!«, Adachi bemerkte plötzlich Dojimas Nervosität. »Dojima-san, ist irgendwas?«, fragte er vorsichtig. »Was soll schon sein? Die Bezirkspolizei hat Verstärkung geschickt weil wir so lahm sind«, grimmig zerknüllte er seine leere Zigarettenschachtel und zielte auf den Papierkorb. »Morgen trifft der Typ hier ein. Mal sehen, was uns erwartet.« Auch wenn Sherlock Holmes persönlich auftauchen sollte, war es Adachi egal. Keiner hatte ihn mit dem Verschwinden von Yamano und Konishi in Verbindung gebracht, also bestand kein Grund zur Sorge. Und was die Entführungen anging, brauchte er sich ebenfalls keine Gedanken zu machen. Es würde ihn schon niemand verdächtigen, wenn er nur aufpasste. Wolkiger Abendhimmel versprach nächtlichen Regen und von einer gewissen Vorfreude erfüllt, ging Adachi heim. Wenn Hanamura mit seiner Vermutung Recht behalten sollte, müsste es heute Nacht Zeit für eine weitere dieser Shows sein. Kurz darauf fing es auch schon an stundenlang zu regnen und pünktlich zum Tageswechsel vernahm Adachi das nunmehr bereits vertraute Geräusch des sich einschaltenden Mayonaka TVs. »Maru-Q! Richtig Leute! Es ist Zeit für Risette!« Da war sie also. Kujikawa Rise wurde tatsächlich entführt und befand sich in der Anderswelt. Und zwar gekleidet in einem gelben Bikini. Sie stand in einem violetten, unmissverständlichen Raum. Um sie herum Tanzstangen auf Podesten. Die Wände verziert mit riesigen Neonherzen. Er hatte auch nichts anderes erwartet. »Guten Abend, meine Damen und Herren! Ich bin Kujikawa Rise! Level up zum High-School-Idol! Ja!«, es war schon furchtbar albern, wie sie herum hüpfte und dem Zuschauer in Hochstimmung zuwinkte. »Und das feier ich heute in dem ich alle Floskeln und Regeln über Bord werfe! Und mit ihnen meine Klamotten«, sie kicherte und blickte verlockend in die Kamera. »Ich werde euch alles zeigen. Alles!«, sie drehte sich um und rannte in den Hintergrund. »Ich schäme mich ja so! Ist das nicht zu heiß für’s Fernsehen? Aber keine halben Sachen! Für euch mach ich mich komplett frei! Bleibt dran!« Die Show endete. Rises Herzenswunsch war also zu strippen. Diese Sendungen wurden von Mal zu Mal herrlicher. Adachis Phantasie war angeregt. Er schaltete auf einen fragwürdigen Kanal um und ließ seinen anstößigen Gedanken freien Lauf. Die Verstärkung für Inabas Polizeistation sollte wenige Tage später eintreffen. Adachi war heiterer Gemütsverfassung, wohingegen Dojima der Raserei Nahe war. »Fünfzehn!«, Dojima war noch immer fassungslos. »Hast du das mitbekommen? Er soll erst fünfzehn sein!« Der Großvater des vom Bezirk gesendeten Jungen, war ein hohes Tier in der regionalen Polizei und sogar landesweit bekannt. Mit besten Empfehlungen sollte ihnen der Bengel bei der Auflösung des Falls helfen. So etwas sinnwidriges hörte man nicht alle Tage. »Wobei soll der Wicht uns bitte helfen? Der kommt doch gerade erst aus der Vorschule! Für wen halten die uns hier? Ich drehe durch!« Schließlich klopfte es an der Tür des Empfangssaal. Die Verstärkung war eingetroffen. Dojima verschluckte sich an seinem Kaffee. Adachi musste ein Lachen unterdrücken. Herein kam die androgynste Gestalt, die er je gesehen hatte. Zierlich, blass und doch vollkommen selbstsicher. Er trug ein azurblaues Hemd, seine dunklen, kurzen Haare hatten einen lilanen Glanz und auf seinem Haupt trug er eine klischeehafte Detektivmütze. Vermutlich würde er die Ermittler bald mit Watson ansprechen. »Guten Abend, die Herren. Mein Name ist Shirogane Naoto. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihnen«, Naoto war noch immer nicht im Stimmbruch. Seine Stimme klang sehr feminin und so wirkte auch seine Gestik und Mimik. Adachi kam ein Verdacht und im Laufe des Gesprächs war er sich sicher: Naoto war weiblich. Bis auf Weiteres behielt er seine Meinung aber für sich. »Soweit ich gehört habe, war eine weitere Person verschwunden. Kujikawa Rise.« »War?«, fragte Adachi verwirrt. »Ja. Sie wissen es doch sicher schon. Kujikawa wird seit heute nicht mehr vermisst.« Das konnte doch nicht wahr sein! Rise hatte auch überlebt. Adachis Zorn hatte den Dojimas nun längst übertroffen. Nachdem die Begrüßung beendet war, schwieg Dojima noch immer eine Zeit lang. Schließlich sprang er von seinem Stuhl auf. »Adachi! Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen!«, er nahm seine Jacke von der Stuhllehne. Was hatte er wohl vor? Etwa einen Beschwerdebrief schreiben? »Komm! Wir gehen jetzt was trinken.« Und so kam es, dass Adachi und Dojima eine halbe Stunde später in einer Bar saßen und Dojima Sake hinter Sake bestellte. Da Adachi mit dem Auto da war, zögerte er zunächst mit dem Alkohol, aber Dojima ließ sich nicht beirren. Also mussten sie beide ihre Wagen stehen lassen und zu Fuß gehen. Aufgrund der geringen Größe Inabas war dies aber ein minderwertiges Opfer. »Hast du ihn gesehen? Diesen Möchtegerndetektiv?«, Dojimas Worte waren mittlerweile schwer verständlich und er wiederholte sich immer wieder. »Am Anfang dachte ich ja du wärst auch so’n Schnösel aus der Stadt. Aber du bist in Ordnung, weil du so’n Vollidiot bist«, er leerte ein weiteres Glas. »Noch zwei bitte!« »Dojima! Wir müssen morgen zur Arbeit…« »Scheiß auf die Arbeit! Ich könnt‘ sie alle erschlagen! Findest du nicht auch, Adachi?« »Ja. Am liebsten will ich sie alle töten. Ohne Ausnahme.« Dojima blickte Adachi aus dem Augenwinkel an und schüttelte den Kopf. »Hey! Wo bleiben unsere Drinks?« »Ja! Er ist zurück!«, erklang Nanakos freudige Stimme aus dem Wohnzimmer. »Pass doch auf du Tölpel!«, fluchte Dojima, als er sich den Kopf stieß. Adachi hatte all seine Kraft aufgeboten, um Dojima, der sich auf ihn stützte, sicher nach Hause zu geleiten. »Nanako! Ich bin zu Hause!«, lallte er. »Das… Sehe ich«, antwortete sie tonlos. »Nanako-chan«, lächelte Adachi dem Mädchen zu. »Sei so gut und mach sein Bett bereit. Dojima hat wohl ein bisschen über den Durst getrunken.« »Wie soll ich sonst mit diesem Scheiß klar kommen? Hast du gehört wie geschwollen das Balg geredet hat?« »Worum geht’s?«, fragte Souji. »Uns wurde ein Ermittler zur Hilfe zugesandt. Der Gute ist gerade mal in deinem Alter. Aber wie tugendhaft er sich benimmt und spricht. Die Obrigkeiten sind natürlich total begeistert und…« »Adachi, verdammt!« »Oh, tut mir leid.« »Das ist deine Schuld! Nur weil du so ausgerastet bist, als du diesen Perversen gefangen genommen hast. Kein Wunder, dass die uns nicht ernst nehmen«, dann richtete er das Wort an seinen Neffen. »Und du bist kein Stück besser! Ständig an irgendwelchen Tatorten! Kümmer dich lieber um die Schule!« »Sein Futon ist soweit«, eingeschüchtert hatte Nanako sich wieder zu Wort gemeldet. Souji half ihr dabei, ihren Vater in sein Schlafzimmer zu bringen. Also verließ Adachi die Wohnung und merkte in einer zu raschen Bewegung, dass auch er stark angetrunken war. Er erinnerte sich wieder an Rise. Der Alkohol senkte seine Hemmungen und die Wut war unermesslich. Er wollte sich an jemandem entladen. Er wünschte sich ein Opfer herbei. Irgendetwas aus Fleisch und Blut. Da streifte plötzlich eine Katze seinen Weg. Kapitel 5: Hohn und Spott ------------------------- Niemand war an jenem Abend im Mayonaka TV zu sehen. Irritierend laut, erklang der nächtliche Sommerregen an Adachis Fensterscheibe. Die überhebliche Art wie Shirogane ihm eröffnet hatte, dass Kujikawa Rise wieder zurückgekehrt war, wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Doch es war nicht wirklich Shirogane, die ihn so entsetzt hatte. Eher war es die Tatsache, dass die Gruppe jener Jugendlichen, die ihm seit jeher ein Dorn im Auge war, Kujikawa – angeblich auf dem Dach von Junes – gefunden hatte. So sehr er auch nachdachte, so sehr er auch Zusammenhänge suchte, fand er doch keine Erklärung, wie diese Kinder es bewerkstelligen konnten, obgleich alles auf ihr Mitwirken hinwies, Kujikawa vor dem Tod zu bewahren. Wussten sie von der Parallelwelt? Konnten sie dort ein- und ausgehen? Waren sie es wirklich selbst, die seine Pläne und Namatames Versuche durchkreuzten? Der Regen prasselte und prasselte. Kurz nachdem der Morgen angebrochen war, ertönten Polizeisirenen, die Adachi in seinen Halbschlaf einzubauen begann. Im Traum verfolgte ihn jemand. Oder war er es, der jemanden verfolgte? Sein Handy klingelte und hektisch suchte er danach. Schließlich wachte er auf und blinzelte erschrocken. Es war kein Traum. Von draußen erklangen Sirenen und sein Handy klingelte tatsächlich. Auf dem Display blinkte Dojimas Name. Er nahm schlaftrunken ab und sprach mit heiserer Stimme: »Ja, Hallo?« »Adachi verdammt! Was brauchst du so lange um an dein scheiß Telefon zu gehen? Schläfst du etwa noch!?« »Ja… Ich meine… Nein. Ist was passiert? Da sind Sirenen…« »Natürlich, du Idiot! Dein Dienst beginnt früher. Eine dritte Leiche wurde gefunden.« Es war wie zu vor bei Yamano und Konishi. Die Leiche hing kopfüber. Diesmal an dem Dachgelände eines Wohnhauses nahe der Einkaufspassage. Bloß fehlte hier, verglichen mit den ersten beiden Todesfällen, jegliche Ästhetik. Es handelte sich um einen Lehrer der Yasogami High namens Morooka. Der Mann war furchtbar hässlich, sein Gesicht wirkte beinah entstellt. Er starb in einer krampfartigen Haltung, die Leichenstarre war bereits ausgeprägt. Morooka war also seit mehreren Stunden tot. Nach Dojimas Anruf hatte sich Adachi vollkommen perplex umgezogen und zur Einkaufspassage begeben. Zunächst hatte er gehofft, Risette würde doch noch ihren letzten Auftritt in der Höhe haben. Dies war jedoch nicht der Fall. Dennoch war Adachis Verwunderung groß, als er die Leiche des Mannes gesehen hatte, denn im Mayonaka TV hatte es nie die geringste Andeutung an diesen Morooka gegeben. Die Sache kam Adachi nicht geheuer vor, hatte er doch dem mitternächtlichen Spukkanal zu vertrauen begonnen. Die Nachricht über den Tod des Mannes hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet und trotz des frühen Morgens, hatte sich eine Menschenmasse um den Tatort gebildet. Die Einwohner Inabas fühlten sich an Konishi und Yamano erinnert. Und von Neuem erstarrte die Stadt in Furcht vor einem Serienmörder. »Aber das passt nicht in das Schema des Mörders«, murmelte Adachi. »Weil er männlich, hässlich und ein bisschen älter ist?«, Dojima schnippte seinen Zigarettenstummel fort. »Immerhin verbindet ihn die Yasogami High mit dem zweiten Opfer. Yamano fällt da wiederum raus. Man könnte höchstens in Betracht ziehen, dass Yukiko Amagi diese Schule besuchte. Das wäre aber ziemlich bei den Haaren herbeigezogen. Jedenfalls ist die Yasogami High eine Erklärung für die Bürger.« »Bevor wir Schlüsse ziehen können, müssen wir auf den forensischen Untersuchungsbericht warten«, entgegnete ihnen Shirogane Naoto, die sich zu den beiden Ermittlern gestellt hatte. »Was suchst du eigentlich hier?«, reagierte Dojima auf ihre Worte pikiert. »Musst du um diese Uhrzeit nicht in der Schule sein? Kinder haben hier nichts zu suchen!« »Dojima-san, ich begegne ihnen stets mit dem nötigen Respekt, also würde ich es begrüßen, würden sie mich etwas ernster nehmen. Schließlich bin ich hierher gesandt worden, um ihnen zu helfen.« Adachi wunderte sich, dass Dojima keinen Verdacht bezüglich Shiroganes Geschlecht geschöpft hatte. Es war nur allzu offensichtlich, dass Shirogane ihren Mitmenschen vorgaukelte, sie sei ein Junge. Vielleicht dachte sie, dass sie als Frau nur noch mehr verspottet werden würde. Dojima brummte, sagte aber nichts weiter. Shirogane hatte schließlich Recht. Der Obduktionsbericht ergab, dass Morooka durch Gewalteinwirkungen mit einem stumpfen, schweren Gegenstand auf den Hinterkopf starb. Er hatte zahlreiche Frakturen am Schädel erlitten. Angesichts dessen, dass Morookas Hinterkopf wie Matsch aussah, war dieser detaillierte Bericht über die Todesursache überflüssig. Hinzu kam jedoch, dass vermehrt DNA-Spuren eines Fremden an der Kleidung des Opfers entdeckt worden waren. In der staatlichen Datenbank für DNA-Analyse hatte es allerdings keine passenden Treffer gegeben, was bedeutete, dass die DNA dieses Fremden bisher noch nicht registriert war. »Mit Verlaub, ich habe die Vermutung, es handelt sich hier um einen Nachahmungstäter«, warf Shirogane plötzlich in die Runde, als die Gruppe von Ermittlern gerade versuchte, ein Täterprofil aufzustellen. »Man vergleiche einmal die aktuelle Leiche mit den ersten zwei Opfern. Bei den beiden Frauen konnte kein Gerichtsmediziner die geringste Spur entdecken. Die Todesursache ist bis dato unklar. Aber bei diesem Morooka kann man die Todesursache mit bloßem Auge erkennen. Die ursprünglichen Morde waren viel gründlicher vonstattengegangen, deswegen bezweifele ich, dass alle drei Morde, von ein und demselben Täter begangen worden sind.« »Ich muss dir Recht geben…«, widerwillig pflichtete Dojima ihr bei. Sollten tatsächlich nicht alle Einwohner von den Geschehnissen jenes Tages erfahren haben, so erledigten die Nachrichten selbstverständlich den Rest. Den ganzen Tag über wurde vom Fund der dritten Leiche berichtet, Spekulationen aufgestellt, vermeintliche Zeugen interviewt. Vieles sogar ohne das Wissen der Polizei. Da Morooka für seine strengen Erziehungsmethoden bekannt war, sprachen die Reporter den Verdacht aus, dass es sich um den Racheakt eines Schülers handeln könnte. Kurz darauf meldete sich auch schon ein Schüler, wenn auch nicht einer der Yasogami Highschool, auf dem Polizeipräsidium: Kubo Mitsuo. Mitsuo kam mit einem Geständnis aufs Revier. Er behauptete sowohl die beiden Frauen, als auch Morooka getötet zu haben. Und so kam er zunächst in Untersuchungshaft. Zuvor hatte er auch den Medien preisgegeben, dass er sich für den Täter hielt. Somit war sein Bild in den Nachrichten erschienen und Kubo binnen weniger Tagen bei den Bewohnern als Verdächtiger bekannt. Eine Untersuchung ergab, dass die am Opfer gefundene DNA Kubo zugeordnet werden konnte. Somit hatte Inaba plötzlich einen Hauptverdächtigen. Kubo Mitsuo saß gedankenverloren auf seinem Stuhl. Nervös knackte er mit seinen Fingern, kratzte sich immer wieder am Arm, oder blickte unruhig im Raum umher. Es war genau der Raum, in dem Saki und die Übrigen ebenfalls verhört worden waren. Als Kubo sein Geständnis abgelegt hatte, hatten ihn die Beamten kaum ernst genommen. Adachi war jedoch nervös geworden. Das Ergebnis der DNA-Untersuchung hatte schließlich doch das Interesse der Polizisten an dem Schüler geweckt, sodass es aufgrund der belastenden Beweise zum Verhör kam. Die Einwohner, und somit auch die Polizisten, waren alle darauf bedacht, einen Täter zu fassen. Würde nun Kubo als Mörder in Gewahrsam genommen werden, würde auch Namatame glauben, dass seine Pflicht erfüllt war und Adachis Spaß wäre beendet. Zu seinem Glück jedoch wurde Adachi auch diesmal damit beauftragt, sich Kubos Geschichte anzuhören. Mit verschränkten Armen setzte er sich gegenüber Kubo Mitsuo hin und betrachtete ihn zunächst. Adachi empfand den Schüler als überaus hässlich. Sein Gesicht wirkte aufgequollen, die Lippen waren wulstig und erinnerten ihn an einen Goldfisch, die Augen waren trüb und ausdruckslos. Zu allem Überfluss zierte ein großes Muttermal seine linke Wange. Er ekelte sich, fand das Aussehen des Jungen fast schon grotesk. Kubo schluckte. »Und du behauptest also Yamano Mayumi, Konishi Saki und den Lehrer Morooka getötet zu haben?«, fragte Adachi den Jungen mit einem höhnischem Lächeln. »Ja. Alle drei«, entgegnete dieser ihm. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem frenetischen Grinsen. Missbilligend hob Adachi eine Augenbraue. »Und wie hast du sie getötet? Morooka hast du erschlagen und die Frauen?« »Erwürgt«, antwortete er so prompt, dass Adachi vermutete, dass dieser Junge das Verhör in Gedanken schon oft geprobt hatte. »Keiner unserer Forensiker konnte Spuren fremder DNA an den Leichen finden. Weder fanden sie Hautschuppen, noch Haare, noch Fingerabdrücke. Es gab keine Male oder Würgespuren. Keine Anzeichen, dass die Frauen sich gewehrt hatten. Wie hast du das bloß geschafft? Es stört dich doch nicht, wenn ich rauche?«, Adachi zündete sich eine Zigarette an. Genussvoll zog er an der Zigarette, stieß bewusst langsam den Schwall Rauch in Kubos Richtung aus und fuhr fort. »Nur bei Morooka warst du äußerst unachtsam. Enttäuschend wie ein Laie. Was war da nur mit dir los?« Wütend sprang Kubo von seinem Stuhl auf. »Ich bin gut, verstanden?«, er raufte sich die Haare. »Ich habe sie erwürgt. Und alle sollen es wissen!« Adachi schwieg und blickte den Jungen geringschätzig an. Kubo senkte den Kopf und setzte sich wieder. Was für ein verrückter Junge das nur war. Ein glaubwürdiger Psychopath. Hätte ein anderer ihn verhört, hätte dieser ihm alle drei Morde tatsächlich zugeschrieben. Aber Adachi wusste es besser. Der Ermittler drückte seine Zigarette wieder aus. »Entschuldige mich bitte für einen Moment«, er stand auf und verließ den Raum, schloss dabei die Tür fast geräuschlos. Auf dem Korridor war kein Mensch zu sehen und so lehnte sich Adachi an die Wand und begann leise zu lachen. Ein wahnsinniger Junge, dem es nach Aufmerksamkeit gierte. Das war Kubo. Er wollte verhaftet werden, um den Ruhm eines Mörders zu erhalten. Und wegen dieses verächtlichen Kindes, drohte Adachis Spiel ein Ende. Adachi dachte an den Fernseher in dem Raum, der auch schon Saki vor vier Monaten zum Verhängnis geworden war. Mehr als ein Vierteljahr war vergangen. Er hatte das Gefühl, dass es an der Zeit war, wieder einzuschreiten. Und so öffnete er leise die Tür, schloss das Licht und trat zu Kubo, der verwirrt die Wand abtastete. Der Junge erschrak als Adachi ihn fasste und in Richtung des Fernsehers stieß. »Was ist los? Wer ist da?«, stammelte Kubo. Da hatte Adachi auch schon das Fernsehgerät ausfindig gemacht. Er schubste Kubo mit solch einer Wucht, dass dieser schreiend durch den Bildschirm verschwand. Adachi ging langsam zum Lichtschalter um den Raum wieder zu erhellen. Er atmete tief ein und begann zu kichern. Wie gut es sich doch angefühlt hatte! Er hörte sein eigenes Blut rauschen. Dieser winzige Stoß hatte ihm eine derartigen Genugtuung bereitet, dass ihm von seiner eigenen Hochstimmung beinah schwindelig wurde. Nun würde auch dieses Kind im Mayonaka TV erscheinen. Irgendwann würde er dann hängen. Und sollte er doch nicht sterben, sondern wie zuvor die anderen Jugendlichen wieder auftauchen, so würde wenigstens sein Katz- und Mausspiel weiter verlaufen. Auf jeden Fall müsste er diese verdächtige Bande von der er sich fast sicher war, dass sie es waren, die die Entführten befreiten, oder retteten, oder was auch immer, weiter beobachten. Seufzend fuhr sich Adachi durch die Haare. Die Begebenheit hatte ihm wahrlich gut getan. Für den Moment zumindest war Adachi zufrieden. Sorge bereitete ihm nur die Frage, wie er Kubos Verschwinden vertuschen sollte. Immerhin war er es, der zuletzt mit dem Jungen gesprochen hatte und Adachi zu verdächtigen, wäre nur naheliegend. Jedoch zweifelte er an dem Scharfsinn seiner Kollegen. Diese Ermittler arbeiteten mit solch einer Naivität. Es war schon töricht genug, Adachi allein mit dem Verhör eines Tatverdächtigen zu beauftragen. Er würde berichten, dass er die Vernehmung souverän durchgeführt und Kubo anschließend zurück in seine Zelle gebracht hatte. Sollte ihm hernach eröffnet werden, dass der Verdächtige fehlte, würde er überrascht und entsetzt tun. Somit ging er zurück in sein Büro und schrieb seelenruhig das Protokoll nieder. Wie Adachi es vorausgesehen hatte, vermuteten die Polizisten, dass Kubo Mitsuo einen Fluchtweg gefunden hatte und vergangene Nacht ausgebrochen war. Adachi wurde nicht im Geringsten verdächtigt. Nicht einmal Sherlock Shirogane schien ihm gegenüber Argwohn zu empfinden. Stattdessen wurde nach Kubo gefahndet und die Polizisten erhielten den Befehl, zunächst über sein Verschwinden zu schweigen. Schließlich war die Flucht eines Mordverdächtigen eine peinliche und äußerst gefährliche Angelegenheit. Es würde erst nach zwei Wochen wieder nachts regnen. Bis er Kubo im Mayonaka TV sehen würde, musste Adachi sich also noch gedulden. Dennoch vergewisserte er sich täglich, ob die lokalen Meteorologen keine Änderungen in ihren Prognosen gemacht hatten. So war er auch immer wieder während seiner Mittagspausen in Junes in der Elektronikabteilung anzutreffen. Einerseits konnte er dort den aktuellen Wetterbericht verfolgen, andererseits konnte er Ausschau nach Souji und den Übrigen halten. »Hast du eigentlich die Stripshow mit Risette letztens gesehen?«, erklang die Stimme eines jungen Mannes in der Nähe des Fahrstuhls von Junes, die Adachi sofort aufhorchen ließ. Es handelte sich dabei um zwei Adachi unbekannte Schüler, die anscheinend über Kujikawas pikante Show plauderten. »Was für eine Stripshow? Risette? Ich dachte die ist nicht mehr im Showbiz.« »Keine Ahnung. Aber sie meinte sie würde sich ausziehen. Eine Fortsetzung von der Sendung wurde aber irgendwie nicht ausgestrahlt.« »Hast du geträumt oder so?«, sein Freund schaute ihn zweifelnd an. »Nein, man! Wenn ich’s dir doch sage! Das war der Mayonaka TV. Ein Kumpel von mir hatte kurz vor ihrem Tod auch diese Yamano gesehen.« Adachi erblasste. Offensichtlich handelte es sich bei dem Mayonaka TV und seinen seltsamen Ausstrahlungen um kein Geheimnis, welches lediglich ihm und Namatame bekannt war. Ein Wunder, dass dies nicht längst Stadtgespräch geworden war. »Alter, spinn nicht rum!«, klopfte der eine Schüler dem anderen auf die Schulter. Die Aufzugtür öffnete sich und die beiden traten ein. »Aber was gäb‘ ich nicht um Risette nackt zu sehen…«, den Rest des Gespräches konnte er nicht weiter verfolgen. Adachi fühlte eine gewisse Ernüchterung ob der Tatsache, dass diese eigentümlichen Sendungen nicht nur für ihn bestimmt waren. Er hatte zu glauben begonnen, der Blick in die Seele der Verschollenen sei nur ihm gewährt und somit hatte er eine gewisse Bindung zum Mayonaka TV aufgebaut. Dann wiederum dachte er sich, dass es durchaus interessant wäre, würde jeder von den intimen Gedanken Kenntnis haben. Folglich würden Zorn, Empörung, Erbitterung und Scham Inaba beherrschen. Als Adachi sich dem Außenhof des Junes Restaurant näherte, fand er die dubiosen Jugendlichen allesamt versammelt vor. Seta, Hanamura, Satonaka, Tatsumi, Amagi und Kujikawa. Jetzt hatte sich auch noch Rise zu ihnen gesellt. Adachi wollte wissen, was es mit ihnen auf sich hatte. Er wollte wissen was sie verbargen, wie sie heimlich agierten und ihm somit in die Quere kamen. Seine Ohnmacht machte ihn fast rasend vor Wut. Er näherte sich der Truppe und lauschte, wie sie sich tatsächlich über Kubo Mitsuos Geständnis unterhielten. Wie würden sie wohl reagieren, wenn sie erführen, dass Kubo verschwunden war? Würden sie aufschrecken, Verdacht schöpfen und zu planen beginnen? Adachi beschloss ihnen einen Hinweis zu geben. Er seufzte absichtlich laut und begann einen Monolog: »Es ist ja schön, dass wir einen Verdächtigen haben, aber wo zur Hölle ist er nur hin?«, die Gruppe hatte seine Worte hören können und blickte sich fragend an. »Hey, ihr seid es! Ihr habt doch nicht etwa gehört was ich…«, er kratzte sich am Kopf und lachte scheinbar nervös. »Alles in Ordnung, hat nichts zu bedeuten! Dieser Fall ist so gut wie erledigt. Wir fassen ihn bald. Es handelt sich schließlich um einen gefährlichen Straftäter. Ihr habt nichts gehört. Bis später!«, aus dem Augenwinkel sah er noch, wie die Jüngeren die Köpfe schüttelten. Nur wenige Tage später, regnete es endlich. Der ganze Tag war bedingt durch das Wetter trüb und finster gewesen, aber Adachi erfüllte es mit Vorfreude. Um Mitternacht erschien Kubo Mitsuo wie erwartet im Mayonaka TV. Wie üblich stand der Gefilmte mit dem Rücken zur Kulisse und blickte in die Kamera. Kubo stand vor einer Art 2-D Schloss, welches an klassische Videospiele Nintendos erinnerte. »Ihr glaubt ihr kennt mich? Ihr glaubt ihr versteht mich?«, sprach Kubo. »Dann versucht mich doch einzufangen!«, er drehte sich sogleich um und lief in sein pixeliges Schloss. Kubos Sendung war mit Abstand die am wenigsten spektakulärste. Langsam begann Adachi auch das Verschwinden von Personen und das ewige Warten auf den Mayonaka TV zu langweilen. Wie lange würde das wohl noch so weiter gehen? Namatame oder er warfen eine Person in den Fernseher, eine seltsame Show mit der Person wurde nachts ausgestrahlt und einige Tage später taucht die Person verwirrt wieder auf. Obwohl sich alles immer zu wiederholen schien, konnte Adachi dennoch nicht aufhören. Auch wenn er den Grund nicht kannte, schien es ihm doch, als wäre es seine Pflicht, dieses Spiel weiterzuspielen. Er war es schließlich, der über diese Gabe verfügte. Je länger er darüber grübelte, desto stärker wurden seine Kopfschmerzen. Es war, als dürfte er nicht überlegen oder zweifeln. Mit schmerzverzerrtem Gesicht massierte er seine Schläfen und legte sich schlafen. Das Suchen nach Kubo ging auch die nächsten Tage weiter. Da auch Kubos Eltern nicht wussten, wo sich ihr Sohn befand, war Dojima den ganzen Tag in der Einkaufspassage unterwegs gewesen, um nach Hinweisen und Zeugen zu suchen. Obwohl dies auch Adachis Aufgabe war, hatte der Hunger ihn nach Junes getrieben. Nachdem er gegessen hatte und sich aufmachte, lief ihm Souji über den Weg. »Guten Tag, Adachi-san«, Adachi konnte die Miene des überheblichen Jungen nicht deuten. »Souji! Meine Güte, hast du mich erschreckt. Ich mache gerade Ermittlungen, weißt du…« »Mein Onkel sucht schon nach dir. Soll ich ihm verraten wo du bist?«, er grinste Adachi verschmitzt an. »Nein! Tu mir das nicht an!«, Adachi schaute flehend zu Souji. Dieser rollte mit den Augen und lächelte erneut. »Ich werde schweigen wenn du mir etwas über Kubo Mitsuo verrätst.« »Was willst du von Kubo?«, Adachi runzelte die Stirn und blickte Souji finster an. Er hatte ja geahnt, dass Souji und seine Freunde irgendetwas verheimlichten, aber dass sie sich direkt an ihn wenden würden, hatte er nicht vorhergesehen. Sogleich fasste er sich wieder und setzte seine typische Miene auf. »Einverstanden. Wenn dieses Gespräch unter uns bleibt«, Souji nickte und Adachi fuhr fort: »Kubo hatte einen Nebenjob im Souzai Daigaku. Frag doch die Ladenbesitzerin, ob sie nicht Näheres weiß. Mehr kann ich dir auch nicht sagen. Aber Moment. Heißt das, du suchst nach Kubo?«, Souji wandte sich jedoch rasch von ihm ab und blieb Adachi einer Antwort schuldig. Adachi wurde die Vermutung nicht los, dass dieser Junge ihm eines Tages Schwierigkeiten bereiten würde. Wenige Tage nachdem Souji mit Adachi gesprochen hatte, wurde Mitsuo von Souji und seinen Freunden, wie Rise zuvor schon, in Junes gefunden. Sofort wurde die Polizei benachrichtigt und Kubo in Gewahrsam genommen. »Ihr habt ihn einfach hier aufgespürt?«, fragte Dojima die Jugendlichen misstrauisch. Sie nickten. »Ist Junes das Wunderland, oder was?« »Es war Zufall. Wir sind oft hier, weil der Laden ja Yosukes Vater gehört«, entgegnete ihm Chie. »Der Typ hält sich für den Täter«, fiel Kanji ihr ins Wort. »Dabei versucht er bloß verzweifelt an Aufmerksamkeit zu kommen. Er hat höchstens Morooka…«, Rise unterbrach ihn mit einem Hieb in die Rippen. Sie wussten also, dass Kubo nicht für den Tod von Yamano und Konishi verantwortlich war. Die Ermittler hingegen, waren sich sicher, die Entführungen hätten endgültig ein Ende. »Ihr habt gute Arbeit geleistet«, sprach Adachi und versuchte dabei möglichst seinen entfachten Zorn zu unterdrücken. Es ärgerte ihn, dass ihm diese Kinder stets zuvor kamen. Und auch Kubo, der mit solch billigen Versuchen Ruhm zu ernten glaubte, brüskierte ihn. Unwirsch legte er dem am Boden liegenden Jungen Handschellen an und zerrte ihn hoch. »Führt ihn ab!«, herrschte er die Polizisten an, beruhigte sich nach einigen Atemzügen wieder und wandte das Wort erneut an Souji und die anderen: »Ihr müsst wirklich aufpassen. Solche Angelegenheiten haben nichts mit euch zu tun. Dojima hat Recht, ihr solltet euch auf die Schule konzentrieren. Nichtsdestotrotz habt ihr uns heute geholfen«, er lächelte ihnen noch zu und folgte Dojima zum Ausgang. Was genau es war, das Dojima an Adachi schätzte, konnte er nicht sagen, aber wie die vielen Male zuvor, wurde er auch diesmal von Dojima zum Essen eingeladen. »Auch wenn ich noch ein mulmiges Gefühl habe, hoffe ich wirklich dass Kubo hinter allem steckt«, hatte Dojima ihm an dem Nachmittag eröffnet. »Der Junge ist echt wahnsinnig. Dieser irre Blick bereitet mir noch immer Gänsehaut. Heute Abend wird jedenfalls in den Nachrichten der Fall für abgeschlossen erklärt. Dann kann meine Tochter nachts wieder schlafen. Also, ich hab gedacht, ich kaufe für uns Sushi, willst du mit uns essen?«, Adachi hatte seine Einladung dankend angenommen. Er wusste, dass Dojima sich aus Sorge zu seiner Tochter wünschte, den Fall so schnell wie möglich als beendet anzusehen. Aber, dass Dojima wirklich so leichtgläubig war, hatte Adachi nicht gedacht. Es war enttäuschend und belustigend. Kaum gab es einen Sündenbock, hatte jeder wieder seine heile Welt zurück. Wie üblich fühlte sich Adachi in Soujis Nähe unbehaglich, aber er durfte nichts darauf hinweisen lassen. Stattdessen unterhielt er sich heiter mit Dojimas kleiner Tochter Nanako und bedankte sich nochmals bei Dojima für die Einladung. Immerhin galt Sushi als ziemlich vornehm und war auch relativ teuer. Dementsprechend überrascht war Adachi, dass Dojima solch einen Narren an ihm gefressen hatte. »Meine Güte, und dann gleich so viel!«, staunte Adachi als Dojima den Sushi servierte. »Wir haben schließlich etwas zu feiern!«, erwiderte dieser. »Was feiern wir denn?«, fragte Nanako und begann mit kindlicher Freude zu strahlen. Da begannen auch schon die Nachrichten. »Da, schau hin!«, gebannt verfolgten alle vier der Rede des Nachrichtensprechers, welcher die Morde und Entführungen in Inaba für abgeschlossen erklärte. »Das war vielleicht was«, Adachi schnalzte mit der Zunge. »Zunächst konnten wir Kubo nichts zuschreiben, aber seine Spuren wurden doch tatsächlich an der Kleidung eines Opfers gefunden.« »Du brauchst nun keine Angst mehr zu haben«, sprach Dojima zu seiner Tochter und versuchte damit Adachis Redeschwall zu beenden. »Der Typ war so durchgedreht!«, fuhr dieser jedoch fort. »Ein Schüler als Serienmörder. Und dann auch noch diese grausame Art zu töten. Jetzt können wir aber beruhigt sein, dass kein so gefährlicher Typ mehr frei rumläuft.« Nanako schürzte die Lippen. Sie war blass geworden. »Genug jetzt, Adachi!«, Dojima hatte den Schrecken seiner Tochter bemerkt und funkelte Adachi zornig an. »Oh, stimmt. Verzeihung«, entschuldigte sich Adachi wehmütig und überließ Nanako als Entschädigung seinen Heilbutt. Während des Essens unterhielten sich die drei ausgelassen und munter. Lediglich Souji war die ganze Zeit bedeutend still gewesen und nur Adachi schien dies wahrzunehmen. Er hatte den Eindruck, dass Soujis Blick immer wieder auf ihm ruhte. Jedes Mal wenn er spürte, wie Dojimas Neffe ihn musterte, versuchte er angespannt seinen Kragen zu lockern, oder den Jungen möglichst abzulenken. Aber er unterließ es nicht, vielmehr grinste er nur schelmisch, wenn Adachi nervös die Augen abwand. Adachi war den ganzen Tag von der Befürchtung beunruhigt, dass Seta Souji über ihn Bescheid wusste. Anmerkung des Autors: Adachi sagt dem Investigation Team, dass er den Polizisten erzählt hatte, dass er nach dem Verhör, Mitsuo nach Hause geschickt hatte. Ich habe es hier aber so aussehen lassen, dass Adachi scheinheilig nichts vom Verschwinden wusste. Dies tat ich, weil Naoto im Spiel am 11. Juli (um das Datum herum findet auch das Verhör statt) dem Investigation Team verrät, dass die Polizei eindeutige Beweise für Mitsuos Verbrechen an Morooka hat. Deswegen dachte ich es sei irrsinnig, einen Mordverdächtigen einfach laufen zu lassen. Ich hoffe meine willkürliche Änderung wird mir vergeben.  Kapitel 6: Täuschung und Verrat ------------------------------- »Sie wollte Nanako vom Kindergarten abholen. Ich war auf dem Revier mit irgendetwas vermeintlich Wichtigem beschäftigt. Normalerweise holte ich Nanako so oft wie möglich ab«, Dojima presste die Lippen aufeinander und blickte abwesend die Wand an. »Aber ich war so ignorant. Ich dachte, was soll in Inaba schon geschehen? Es waren irgendwelche Fremden. Sie fuhren zu schnell und ließen sie liegen. Sie begannen Fahrerflucht und ließen meine Frau sterben.« Adachi hatte Mühe interessiert zu wirken, als Dojima ihm seine Leidensgeschichte schilderte. Während der Pause war Dojima mit zwei Tassen Kaffee in Adachis Büro gekommen und nachdem sie ein wenig geplaudert hatten, hatte Dojima aus heiterem Himmel die Vergangenheit preiszugeben begonnen. »Die Ärzte riefen mich an, als Chisato schon tot war. Es war ein kalter Tag und sie wurde erst sehr spät gefunden, als jede Hilfe längst zu spät gewesen wäre. Ich raste zum Krankhaus und…«, er stockte. »Welch Ironie, hm? War meine Frau doch einem Raser zum Opfer gefallen. Nanako wartete noch immer auf eine Mutter, die längst kalt und fahl geworden war. Später holte ich sie endlich ab. Nanako war ja erst drei, ein Kleinkind. Sie erinnert sich kaum mehr. Obwohl sie ohne Mutter aufwuchs, ist sie so stark. Ich bin stolz auf sie und schäme mich zugleich, dass ich meine Tochter so sehr vernachlässige.« Adachi seufzte. »Ja, Dojima-san, du kannst wirklich stolz darauf sein, dass deine Tochter sich so tapfer schlägt«, er wusste nichts zu entgegnen. Er wusste nicht, ob und wie er ihn wegen des Verlustes seiner Ehefrau trösten, oder was für Ratschläge er ihm zur Erziehung seiner Tochter geben sollte. Er hatte zudem keinen Bedarf, schließlich hatte Adachi seinen älteren Mitarbeiter nicht einmal gebeten zu erzählen. Aber so etwas gehörte anscheinend zu der Basis des starken Vertrauens, welche Dojima mittlerweile zu Adachi aufgebaut hatte. Dojima zuckte mit den Schultern und setzte zum Trinken an. »Nanako hat mit ihrem Verhalten Recht. Das Leben geht weiter und ich habe noch Verantwortung auf dieser Welt«, Adachi vermutete, dass die Worte gar nicht an ihn gerichtet waren. Nach einigen Momenten betretenen Schweigens richtete Dojima schließlich die Augen wieder auf Adachi. »Wusstest du schon, dass sich unser Lieblingsermittler Naoto in der Yasogami High eingeschrieben hat?« Die Arbeit auf dem Revier hatte nachgelassen. Der psychiatrische Befund Kubos hatte ergeben, dass dieser in eine spezielle Klinik eingewiesen wurde und sowohl die Ermittler, als auch die Einwohner Inabas, wähnten sich vorerst in Sicherheit. Shirogane Naoto hatte in den vergangenen Wochen stark an Popularität innerhalb Inabas gewonnen. Nicht zuletzt glaubten die Bürger, dass der Fortschritt in den Ermittlungen der getarnten Detektivin zu verdanken war. Mitte September war auch schon ein Interview mit ihr für die allseits bekannte lokale Nachrichtensendung angesetzt. Adachi goss heißes Wasser in den vorgesehenen Becher der Instantnudeln. Seit Wochen bestand sein Abendessen aus diesen Fertigprodukten. Er hatte an dem Abend vorzeitig Dienstschluss und konnte somit das Interview mit seiner Kollegin verfolgen. Während er die Ziehzeit abwartete und darüber sinnierte, wie schädlich Mononatriumglutamat wohl tatsächlich war, stellte der Sprecher Naoto auch schon als den genialen High School-Detektiv vor. »Es ist mir eine Ehre Teil ihrer Show zu sein«, erklang Naotos höflich und zugleich überheblich wirkende Stimme. »Zunächst einmal gratulieren wir dir und der Polizei zum geschnappten Täter«, sprach nun der Moderator. »Bekanntlich handelte es sich ja um einen äußerst schwierigen und mysteriösen Fall, den sie meisterhaft gelöst haben!« »Ich zögere den Fall als gelöst zu erklären. Es stimmt, dass Kubo Mitsuo der Verantwortliche für Herrn Morookas Tod ist. Dennoch habe ich den Verdacht, dass der Fall nicht endgültig geklärt ist.« Genüsslich nahm Adachi das vermeintliche Nervengift zu sich und schmunzelte bei den Worten Naotos. »Wie meinen sie das, Herr Detektiv?« »Ich fürchte, alles weitere unterliegt meiner Schweigepflicht. Ich kann der Öffentlichkeit keine Details unserer Arbeit preisgeben. Ich kann lediglich sagen, dass dieser Fall bisher drei Menschenleben gefordert hat und jede noch so geringe Ungereimtheit mit Bedacht bearbeitet werden muss.« »Ich verstehe…«, entgegnete der Moderator Naoto sichtlich verwirrt. »Aber warum erzählen sie uns nicht etwas mehr über sich selbst, Herr Detektivprinz?« Dass das Mädchen Shirogane Naoto gescheit war, stand außer Zweifel. Adachi wusste, dass sie nicht zu unterschätzen war und sie ihm von allen Kollegen am ehesten Schwierigkeiten bereiten könnte. Ihr Gang zum Fernsehstudio ließ in Adachi ebenfalls einen Verdacht aufkeimen. Es konnte ja sein, dass Shirogane eine Ahnung vom Mayonaka TV und dessen Schema hatte und deshalb freiwillig der Sendung beiwohnte, um aus Forschungszwecken entführt zu werden. Adachi machte eine wegwerfende Geste und verscheuchte die Gedanken sogleich wieder. Wieso sollte Shirogane, die so große Stücke auf sich zu halten schien, sich selbst opfern? Und woher sollte sie denn all die Informationen haben? Dennoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie als nächstes verschwinden würde, wie all jene zuvor in der Sendung Aufgetretenen, hoch. Tatsächlich erschien nur wenige Tage später eine Silhouette im Mayonaka TV und Adachi bildete sich Shiroganes Umrisse nicht nur ein, denn die Ermittlerin tauchte an den darauffolgenden Tagen nicht auf dem Revier auf. Adachi war erleichtert, dass Namatame offenbar mit der Festnahme Kubos nicht dem Ende der Entführungen entgegen gesehen hatte, sondern noch immer glaubte, den Personen durch Verschleppung Heil zu verschaffen. »Guten Abend, meine Damen und Herren«, leitete Shirogane schließlich ihre persönliche Sendung ein. »Ich bin der berüchtigte Detektivprinz Shirogane Naoto!« Sie stand in einer Art Labor und trug einen viel zu groß geratenen weißen Kittel. »Willkommen zum Experiment des Jahrhunderts: Das Genom-Projekt! Ich werde zugleich Ausführer und Proband in diesem verbotenen, doch wundervollen Prozess der Metamorphose sein! Werdet Zeuge des Aufbruchs in neue Gefilde. Eine neue Geburt! Vom auserkorenen Tage an, werde ich einen anderen Weg beschreiten«, ihre Stimme erhob sich, ertönte gebieterisch, beinah größenwahnsinnig durch die Lautstärker. »Und ich soll teilen jenen glorreichen Anlass mit euch allen. Werdet Zeugen und bleibt dran!«, lachend wandte sie sich ab und die Show endete. Shirogane pflegte ohnehin geschwollen zu sprechen, aber mit diesen ihr gewährten Minuten hatte sie sich selbst übertroffen. Sie hörte sich an, als würde sie aus der Offenbarung zitieren. Im Übrigen hatte Shirogane gestanden, dass sie sich nach einer Geschlechtsumwandlung sehnte. Was sie wohl war? Eine verkappte Transsexuelle oder einfach ein Mädchen, dass sich über die fehlende Integrität innerhalb der heterogenen Gesellschaft beklagte? Hoffnung darauf, dass Shirogane im Gegensatz zu den Vorherigen, nicht gerettet werden, sondern tot auftauchen würde, besaß Adachi längst nicht mehr. Er ging davon aus, dass auch sie schon bald aus der Gefahr befreit werden würde und irgendwann eine weitere Person an der Reihe war. Selbst die Entführungen gehörten also schon zur langweiligen Routine an und einzig der kurze Blick in die Seele war ein Labsal inmitten der Ödnis. Wie zum Spott erschien Shirogane nach nicht einmal einer Woche wieder auf dem Revier. Auf die Frage wo sie verblieben war, reagierte das Mädchen zunächst verwirrt, doch später wies sie die sorgenden Ermittler souverän ab. Sie erwähnte lediglich, dass der Fall noch immer nicht vorbei wäre. Dojima seufzte erleichtert neben Adachi auf: »Weißt du, ich hatte erst gedacht, der Kleine wäre auch auf diese seltsame Weise verschwunden. Anscheinend ist aber nichts Ernstes vorgefallen. Wer weiß schon was in den Köpfen dieser unberechenbaren Jugendlichen vorgeht? Ach, diese ganze Sache bereitet mir Kopfzerbrechen«, die Zigarette hing ihm im Mundwinkel. »Wie sieht’s aus? Gehen wir etwas trinken?« Fast väterlich klopfte der Ältere Adachi auf die Schulter und nach einigen Getränken in ihrer üblichen Bar, führten sie ihr Bacchanal bereits angetrunken bei Dojima fort. Nanako schaute zu, während die beiden Erwachsenen einen Sake nach dem anderen hinunterstürzten. Sie schien wütend, jedoch resigniert. Dojima saß auf der Couch, dem Schlafe nahe. Adachi saß allein am Wohnzimmertisch. Er spürte, wie der Alkohol ihm alle Sinne raubte und seine Zunge lockerer wurde. »Hey! Wenn das nicht Seta Souji ist!«, rief er Dojimas Neffen überschwänglich entgegen, als dieser verwirrt dreinblickend zur Tür eintrat. »Ausnahmsweise haben wir früher als Du aus!«, meldete sich Dojima zu Wort. »Komm, setz dich!«, Adachi wies auf einen Platz neben ihm. »Naoto-kun wurde gefunden! Ist das nicht schön? Weißt du wer Naoto-kun ist? Er ist einfach so verschwunden und plötzlich wieder da. Verrückt, nicht?« »Ich weiß«, entgegnete Souji ihnen nüchtern. Adachi war sich dieser Antwort sicher gewesen. Dass Souji eine Rolle in dem Fall spielte, war nicht mehr außer Frage zu stellen. Er schluckte seinen Zorn hinab. »Was weißt du? Dass er gefunden wurde?«, Dojima runzelte die Stirn. »Ah«, Adachi schnalzte mit der Zunge. »Du bist schon ein schlaues Bürschchen, Souji-kun. Und Dojima, du solltest etwas gegen diese Angewohnheit tun. Die von dir angesprochenen Menschen fühlen sich gleich gelyncht«, er kicherte. »In so einer miesen Kleinstadt wie Inaba es ist, verbreiten sich Gerüchte nun mal. Und sie gehen doch auch auf die selbe Schule. Aber warum ist Naoto bloß verschwunden? Ob er sich wohl nachdem er Tadel erntete, schmollend verkrochen hatte? Was ich mich erschrocken habe, sag‘ ich euch! Obwohl der Mörder gefasst ist, eine weitere Entführung! Das brächte uns wieder zum Anfang…« »Adachi…«, versuchte Dojima ihn zu unterbrechen. »Und wisst ihr was mich anpisst? Wir haben keinen Beweis dafür, dass dieses Kind Kubo irgendwen außer Morooka umgebracht hat. Was soll das für ein Fall sein? Ich frage mich, ob Dojima-san Recht hat. Vielleicht ist da ein weiterer Täter. Der wahre Täter, der hinter allem steckt«, er lächelte vor sich hin. »Adachi! Wie oft muss ich es dir noch sagen, Mann? Pass auf dein verdammtes loses Mundwerk auf!« »Oh. Ja. Verzeihung.« »Genug jetzt! Kümmert euch nicht drum was er sagt«, richtete sich Dojima an die Kinder. »Lernt einfach normal für die Schule, in Ordnung? Wird‘ Zeit, dass ich ins Bett gehe«, er richtete sich auf und verließ den Raum. »Tut mir leid, dass ich die Stimmung verdorben habe. War nicht meine Absicht. Aber ich verstehe Dojima schon. Überlasst die ganze Sache der Polizei. Ihr wisst ja, in was für Schwierigkeiten wir Beamten kämen, wenn euch etwas zustieße«, er warf Souji einen finsteren Blick zu. »Werden noch mehr gruselige Dinge passieren?«, Nanako sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Das kleine Mädchen erinnerte ihn an ein verängstigtes Rehkitz. »Ach, wohin, kleine Nanako! Es ist alles gut. Wir haben den bösen Mann gefasst und es wird nichts mehr passieren. Okay?« »Okay...« »Dein Vater ist einfach ein Schwarzseher. Wie gesagt, überlass es mir. Ihr vermutet es wahrscheinlich nicht, aber ich bin der einzige mit Grips auf diesem Komissariat. Na, weißt du was ich damit meine? Sei’s drum! Da Dojima weg ist, sollte ich mich nun auch auf den Weg machen. Gute Nacht, Kinder!«, er zwinkerte ihnen zu, nahm sein Jackett vom Stuhl und verließ Dojimas Haus. Draußen füllten sich die Lungen mit frischer Luft. Bald würde es Herbst sein. Ein halbes Jahr schon war seit dem Tod der bedauernswerten Yamano vergangen. Die einst so schöne junge Frau bestand nunmehr aus kalter, weißer Asche. Genau wie Konishi. Ein halbes Jahr lang ein hin und her. Und wie sollte es nun weitergehen? Adachi war die monatlichen Entführungen leid. Er sehnte sich ein neues Spektakel herbei. Etwas, dass die Langeweile endgültig vertreiben würde. Aber er war ratlos. Auch Shirogane schien sich Soujis Freunden angeschlossen zu haben, denn Adachi hatte sie häufig zusammen angetroffen. Er fühlte sich jedes Mal aufs Neue verhöhnt, wenn er Dojimas Neffen traf und nun war selbst Shirogane dessen Komplizin. Wären Souji und seine Freunde Namatame nicht in die Quere gekommen, wären womöglich bereits ein halbes Dutzend Leichen aufgetreten. Aber das war nicht der Fall gewesen. Adachi überlegte seit Tagen, wie es ihm möglich wäre, diese Jugendlichen von ihrem Unterfangen abzubringen. Schließlich erschien ihm die Idee, Dojimas Neffen mit einer Art Drohbrief einzuschüchtern, gut. In seiner Wohnung schrieb er also auf einem schlichten Bogen Papier einen formlosen Satz. Hört auf zu retten. Ohne Absender adressierte er den Brief an „Souji Seta“ und warf ihn, nachdem er sich vergewissert hatte, dass er auch wirklich ungesehen geblieben war, persönlich in den Briefkasten Dojimas Hauses. Wochen vergingen ohne nennenswerte Ereignisse. Manchmal traf er die Freunde in Junes oder in der Stadt an. Sie begrüßten sich freundlich und manchmal unterhielten sie sich sogar. Es gab nicht einmal einen Hinweis darauf, wer als nächstes entführt werden würde. Nur der Nebel schien, obwohl bereits November war, immer dichter zu werden und häufiger zu erscheinen. »Selbst die Politiker scheinen sich darüber Sorgen zu machen«, erwähnte Dojima bei einer ihrer alltäglichen Mittagspausen. »Hab‘ den Namen vergessen, aber einer kam an Nanakos Schule und hat den Kindern Fragen gestellt. Hast du vielleicht im Fernsehen gesehen. Das kleine Mädchen das zitiert wurde, ist Nanako. Meine Tochter hat mit ihrer Klugheit sogar den Politiker begeistert«, es war ungewohnt, Dojima so von Stolz erfüllt und heiter zu sehen. »Ich werde sogar schon von den Nachbarn angesprochen.« »Nanako war sozusagen im Fernsehen?«, entgegnete ihm Adachi. »Naja, mehr oder weniger. Zumindest wissen die Leute von Nanako. He, was grinst du so?« Adachi war sich nicht sicher, aber es war möglich, dass nun Nanako an der Reihe war. Dies wäre eine interessante Wendung. Zum einen war Nanako so viel jünger als die Übrigen und eine Person in seinem direkten Umfeld. Die Tochter seines Kollegen. Die Cousine Soujis. Die Entführung oder gar der Tod eines kleinen Mädchens würde Inaba entsetzen. Was auch immer geschehen würde, diesmal würde es sicher interessant werden. Vorausgesetzt Namatame waren dieselben Gedanken gekommen. Adachi beschloss Souji einen weiteren Brief zu schreiben. Diesmal mit Andeutungen an die Gefahr, in der Nanako schwebte. Wenn du dieses Mal nicht aufhörst, stirbt jemand, der dir nahe steht. Beim letzten Mal hatte Adachi sich allgemein gehalten. Diesmal sprach er Souji jedoch direkt an. Er wusste nicht, ob sein Versuch ihnen Angst einzujagen fruchten würde; ob sie dieses Mal zögern würden, wenn sie verstanden, dass Nanako Unheil drohte. Das Wagnis den Brief persönlich zum Adressaten zu bringen, war kühn und riskant. Sollte er dabei erwischt werden, wäre alles vorbei. Auch dieses Mal hatte Adachi Glück gehabt. Es regnete in Strömen und niemand befand sich auf den Straßen. Auf einmal begannen sich die Ereignisse jedoch zu überschlagen. Nachdem er zur Polizeistation zurückgekehrt war, trafen kurze Zeit später auch Dojima und Souji ein. Verdutzt beobachtete Adachi wie Dojima seinen Neffen in einen Raum führte und zu verhören begann. Er folgte ihnen hinein. »Und nun erklärst du mir, was das zu bedeuten hat!«, herrschte Dojima den Jungen an. Soujis Handy klingelte, wurde ihm allerdings von seinem Onkel entrissen. »Sprich! Was hast du da angestellt? Was war das für ein Drohbrief? Wieso schickt man dir sowas?« Adachi zuckte nur unmerklich zusammen. »Ich habe es dir doch versucht zu erklären«, erwiderte der Schüler ruhig. »Ich weiß es klingt unglaubwürdig. Es gibt aber eine Art Welt, die man durch den Bildschirm eines Fernsehers betreten kann. Diese Welt ist eine Art andere Dimension. Dort kann ein Mensch unter bestimmten Voraussetzungen, das heißt, wenn er sich selbst, also seine Seele, mit allen verborgenen Gedanken und Wünschen, akzeptiert, seine Persona beschwören. Die Persona ist sozusagen der Spiegel der Seele. Meine Freunde und ich können dies. Gelangt jemand jedoch in diese Welt, ohne seine Seele akzeptiert zu haben, so stirbt er.« Es kostete Adachi unheimliche Überwindung nicht in Lachen auszubrechen. Anders als Dojima glaubte er ihm. Er hätte mittlerweile alles geglaubt, war er doch selbst Zeuge dieses seltsamen Geschehens geworden. Er war sich zwar sicher gewesen, dass Souji und seine Freunde mit der Sache zu tun hatten, aber, dass sie so genau Bescheid wussten, geschweige denn, über solche Kräfte verfügten, hätte er nicht einmal im Traum geahnt. »Persona…? Menschen die in einen Fernseher gehen…? Was soll der Scheiß!?«, wütend schlug Dojima mit der Faust auf den Tisch, der zwischen ihm und seinem Neffen stand. »Für wie blöd hältst du mich? Erzähl mir verdammt noch mal die Wahrheit!« »Aber es ist die Wahrheit, Onkel!« »Genug! Halt den Mund! Du enttäuschst mich Souji. Anscheinend war ein halbes Jahr nicht lang genug für dich, um mir dein Vertrauen zu schenken. Was soll’s. Du bleibst hier über Nacht.« Vertrauen. Da sprach Dojima von Vertrauen. Adachi fand es unsagbar einfältig. Dieses Vertrauen was Menschen verlangten und anderen schenkten. Wozu sollte das schon führen? Sie schnitten sich damit am Ende alle ins eigene Fleisch. Nur ein Narr vertraute. Dojima machte kehrt und stampfte an Adachi vorbei aus dem Raum. »Du kannst es ihm nicht übel nehmen«, sprach er Souji an. »Diese Sache mit dem Fernseher und diesen… Personas, klingt schon ziemlich verrückt. Ich möchte dir ja gern Glauben schenken, Souji-kun, so auch Dojima. Möglicherweise ist Dojima so ausgerastet als er den Drohbrief, oder was auch immer es war, sah, weil er sich Sorgen machte. Und auf dem Revier bist du sicher. Dojima hat dich echt gern. Wie einen Sohn.« Adachi schaute Souji noch eine Weile lang an, doch dieser blieb stumm. Also fuhr er fort: »Dojima beschäftigte sich in letzter Zeit noch mehr als sonst mit diesem Fall, denn wir glauben nicht, er sei abgeschlossen. Also hat er sich nochmal alles angeschaut, was mit Yamano zu tun hatte. Daher ist er sensibel wenn es darum geht. Nun ich denke, ich rede wieder mehr, als ich befugt bin. Ich bin draußen. Wenn irgendwas sein sollte, meld‘ dich.« Er verließ das Zimmer und ging in sein Büro. Es war kurz vor Mitternacht und der Regen hatte nicht nachgelassen. Als es soweit war, wurde Adachi nicht der Illusion beraubt, denn tatsächlich erschien eine Silhouette. Fast deutlich war sie zu erkennen. Es war die Silhouette eines kleinen Mädchens. Eine halbe Stunde später hatte Dojima beschlossen, Souji weiter zu befragen. Wieder wohnte Adachi diesem Gespräch bei. Mit einem Mal wurde die Tür des Raums aufgerissen und Hanamura Yosuke, Tatsumi Kanji, sowie ein weiterer Junge mit strohblonden Haaren kamen hineingestürmt. »Nanako-chan wird vermisst!«, rief Hanamura, ehe Adachi ihm die Frage stellen konnte, wie die drei denn den Raum gefunden hatten. »Was? Wie meinst du das?«, stutzte Dojima. Yosuke reichte ihm sein Handy. »Naoto ist dran, sie ruft von Ihrem Haus aus an.« »Shirogane? Was soll das werden?«, während Dojima Shirogane zuhörte, rang er sichtlich um Fassung. Er legte schließlich auf und warf Yosukes Telefon zornig auf den Tisch. Dann versuchte er mit seinem Telefon seine Festnetznummer zu erreichen. The number you have called is temporarily not available. Die mechanischen Worte, die vom anderen Ende der Leitung erklangen, waren für jeden im Raum hörbar. Wieder legte er mit Gewalt den Hörer auf. »Dojima-san…« »Ist das wahr?«, wandte sich Dojima zerknirscht an Souji. »Ist Nanako wirklich…« »Ja.« »Aber warum… Warum Nanako?« »Wahrscheinlich weil sie in den Medien…«, versuchte Hanamura ihm zu erklären, wurde jedoch unterbrochen. Dojima wählte erneut eine Nummer. »Hier spricht Dojima Ryotaro«, setzte er an, als der Anruf abgenommen wurde. Er hatte die Verkehrsabteilung angerufen und den Lautsprecher eingestellt. »Eine Person wurde soeben entführt. Schicken sie sofort ihre Männer los. Sie sollen nach verdächtigen Fahrzeugen suchen.« »Was bitte? Könnten sie die Situation näher erklären?« »Schwafeln sie nicht, sondern los! Ein siebenjähriges Mädchen wird vermisst. Meine Tochter!« »Ihre Tochter? Aber, woher wollen sie wissen, dass es sich um eine Entführung handelt?« »Verdammt…! Hören sie zu, es bestehen womöglich Zusammenhänge mit den Morden in Inaba.« »Aber der Mörder wurde doch gefasst. Haben sie irgendwelche Hinweise?« »Nein verdammt! Jetzt ist nicht die Zeit dafür!« »In Ordnung. Ich werde versuchen, die anderen Abteilungen zu kontaktieren«, er legte auf. »Dojima«, sprach Adachi auf den Älteren ein. »Wir haben tatsächlich keine Beweise. Und alle glauben, der Täter sei gefasst«, Dojima griff nach seiner Jacke und seinen Schlüsseln. »Dojima, verdammt! Was hast du vor?« »Es geht um meine Tochter, kapierst du das nicht!? Ich scheiß auf Beweise! Wer weiß, wie lange diese Affen auf sich warten lassen.« »Aber du hast doch keine Ahnung wo sie sich befindet!« »Halt’s Maul! Du hälst mich auf!«, er rannte aus dem Raum. Seufzend blickte ihm Adachi hinterher. Er verschränkte die Arme und bemühte sich um eine möglichst bekümmerte Miene. Schließlich trafen auch die vier Mädchen ein. »Also. Was ist nun los?«, gab Satonaka Chie völlig außer Atem von sich. »Wo kommt ihr eigentlich alle her? Das ist ein Polizeirevier, wisst ihr das?« »Hören sie auf so herumzuplärren!«, platzte es aus Kanji heraus. »Dafür ist jetzt wirklich keine Zeit! Soujis Familie ist gefährdet und sie labern uns hier voll!« Wütend presste Adachi die Lippen aufeinander. »Ich weiß nicht was hier vorgeht, also kann ich euch nicht helfen.« »Wenn wir ihnen die Situation erklären, lassen sie Souji also frei?«, fragte Naoto ihn. Unweigerlich willigte er ein. »In Ordnung. Lasst uns erst mal nachdenken, bevor wir uns blindlings ins Verderben stürzen«, allgemeines Nicken. »Zweifellos wurde Nanako von derselben Person verschleppt, die hinter den anderen Entführungen steckt. Die Eingangstür war geöffnet, aber es gab keine Hinweise auf einen Einbruch. Das heißt, dass Nanako die Tür von selbst geöffnet hat. Der Täter hat anscheinend ganz normal an der Tür gerungen.« »Also wie bei uns allen«, meinte Amagi Yukiko. »Wie bei uns allen? Ich dachte, du erinnerst dich an nichts?«, Adachis Frage wurde ignoriert. »Genau. Bloß erinnert ihr euch was Nanako gesagt hatte? Sie würde nie Fremden die Tür öffnen.« »Also ist der Mörder jemand, den Nanako kennt?«, warf der Junge mit den unnatürlich blonden Haaren ein, dessen Namen Adachi nicht kannte. »Der Täter muss einen großen Fernseher transportiert haben«, setzte Shirogane wieder zum reden an. »Ah, geht das mit dem Fernseher wieder los…« »Dann benutzt er offenbar ein großes Auto«, bemerkte Hanamura. »Vielleicht eine Art Lieferwagen? Der würde nicht auffallen, auch nicht tagsüber.« »Jetzt erinner ich mich!«, rief Tatsumi. »Da war eine Lieferung!« »Und da Inaba eine Kleinstadt ist, wäre der Lieferant Nanako bestimmt bekannt. Adachi-san, entspricht jemand diesem Profil?« »Was, haltet ihr euch jetzt für Fallanalytiker? Wobei…«, Adachi schritt zum Tisch und begann in einer Mappe zu blättern. »Das sind Dojimas Dokumente über den Fall. Hier. Das könnte euch weiterhelfen: Nach der Affäre mit Yamano Mayumi verlor Namatame Taro seinen Beruf als Schriftführer. Fortan arbeitete er als Lieferant in seinem Familienbetrieb. Sagt euch der Name was? Namatame Taro? Okay, Leute. Ich mache mir Sorgen um Dojima. Ich versuche ihn anzurufen und fahre ihm nach. Ich habe nichts mit euch zu tun, einverstanden? Ihr wisst von nichts. Und ich weiß nicht, was ihr vorhabt. Ich geh‘ los. Also viel Glück.« Auf dem Weg zu seinem Wagen gab Adachi hastig Dojimas Nummer ein. Es klingelte über eine Minute, bis Dojima endlich abnahm. »Was ist? Was willst du?« »Dojima. Wo befindest du dich grad? Es ist Namatame Taro!« »Ich weiß, ich verfolge gerade seinen Lieferwagen«, empörtes Hupen war zu vernehmen. »Du störst!« »Fahr nicht zu schnell, es regnet und…« »Ah, verdammt!« Es krachte. Dojima brüllte etwas. Adachi konnte Glas zersplittern hören. Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Über Funk wurde Adachi Dojimas Position mitgeteilt. Es war in der Nähe der Innenstadt, bei der Kreuzung, an der damals Yamanos Leiche gefunden worden war. Dojimas Auto hatte sich überschlagen. Er war herausgekrochen und war noch bei Bewusstsein. Einige Meter weiter befand sich der verfolgte Lieferwagen, ebenfalls umgestürzt. Von Namatame oder Nanako jedoch keine Spur. Einen Augenblick später kamen Souji und die anderen auch schon angerannt. Adachi fragte sich, woher sie eigentlich immer wussten, wo sie hin mussten. »Wo ist meine Tochter?«, murmelte Dojima. »Wo ist Nanako?« Naoto rief den Notarzt an. »Dojima-san, was ist passiert?« »Ich wusste, dass… Namatame… Er raste an mir vorbei… Also verfolgte ich ihn…«, er keuchte. »Wo sind sie? Findet sie!« Hanamura machte Anstalten den Lieferwagen zu durchsuchen. »Hör sofort auf!«, zischte ihn Adachi an. »Du manipulierst den Tatort!« »Bei allem Respekt, Adachi-san«, versuchte Naoto ihn zu beruhigen. »Gerade regnet es zwar nicht, aber wenn es wieder anfängt, werden ohnehin alle Spuren vernichtet sein. Erlauben sie mir bitte, fortzufahren.« »Ein Fernseher!«, rief Chie. »So groß wie unserer in Junes!« »Auf dem Beifahrersitz befindet sich eine Art Tagebuch«, erklärte Naoto und begann darin zu blättern. »Es existiert eine zweite Welt. Ich muss Menschen retten«, las Naoto vor. Verwirrt blickten die Schüler einander an. Naoto sog scharf die Luft ein. »Hier ist eine Liste mit den Namen und Adressen aller bisher entführten Personen! Yamano Mayumi, Saki Konishi, Yukiko Amagi, Tatsumi Kanji… Alle. Außer Morooka. Der letzte verzeichnete Name stammt von heute: Dojima Nanako. Ferner schreibt er: Unfassbar, dass nun dieses kleine Kind auserwählt wurde. Ich werde alles dafür tun, um es zu beschützen.« »Ah, dann ist es also besiegelt«, Adachi lächelte. Bisher konnte Adachi nur davon ausgehen, dass Namatame die Personen entführte. Nun war er sich aber sicher. Naoto warf ihm einen flüchtigen Blick zu und senkte die Augen wieder um weiter vorzulesen. Adachi ahnte, dass er dieses Mal besser hätte schweigen sollen. Aus der Ferne waren Sirenen auszumachen. Als der Notwagen angekommen war um Dojima einzusammeln, hatte der Regen von Neuem eingesetzt. Kapitel 7: Unheil und Verderben ------------------------------- Den bangenden Dojima zu ertragen, fiel Adachi schwer. Der Vater war hin- und hergerissen, zwischen Zorn und Verzweiflung und nicht selten entlud er seinen Missmut an seinem jüngeren Partner. Beim Unfall hatte sich Dojima mehrere Platzwunden, sowie eine Rippenfraktur zugezogen. Die Genesung zog sich aufgrund dessen Rastlosigkeit zusätzlich hin. »Eine Woche fehlt sie bald«, Dojima schaute abwesend aus dem Fenster seines Krankenzimmers. Den ganzen Vormittag über fiel ein starker, wütender Regen auf die Erde. Wie ein Sinnbild Dojimas Gefühle. Tränen standen in den Augen des Mannes. »Was mach ich nur wenn…«, er sprach seine Gedanken nicht aus. Adachi leistete ihm, wie auch an jenem Tag, die meiste Zeit Gesellschaft. Vor allen Dingen um als fürsorglicher Kamerad zu gelten und nicht mit seiner Gleichgültigkeit Verdacht bei den anderen Kollegen hervorzurufen. »Die anderen wurden auch gefunden, Dojima. Nanako-chan wird sicherlich…« Dojima schnaufte, erwiderte jedoch nichts, sondern blickte weiter still aus dem Fenster. Die Regentropfen bildeten Muster wie Spinnweben an der Fensterscheibe. Adachi schritt zum Fenster. Kalter Dunst war auf dem Glas entstanden. Er wischte mit seiner Handfläche durch den milchigen Schleier und blickte seinen älteren Partner auf dem Krankenbett an. Dojima war blass geworden. Seine Wangen waren eingefallen und sein üblicher Dreitagebart bedurfte längst wieder einer Rasur. Er wirkte wie ein Geist in einem kalten, grellen Zimmer. »Ich werde dafür sorgen, dass der Mistkerl geschnappt wird, Dojima.« » Ich bin so wütend auf mich selbst. Dieser verdammte Drohbrief! Wäre er nicht gewesen, hätte ich Souji nicht aufs Revier geschleppt und wäre bei Nanako geblieben«, er verdeckte seine Augen mit der Hand. Es verging eine Weile bevor er fortfuhr. Währenddessen überlegte sich Adachi, was die kleine Nanako wohl zu verbergen und ob das Mädchen auch eine eigene Show hatte. Bisher war im Mayonaka TV aber nichts ausgestrahlt worden. Vielleicht hatte die unschuldige und unbefleckte Seele eines Kindes keine finsteren Seiten zu verstecken. Die Vorstellung die Leiche eines Kindes zu bergen, kam ihm absurd vor. Seine eigene Abscheu überraschte ihn, aber Tatsache war, dass er einen anderen Körper als Toten bevorzugen würde, anstatt die kleine Tochter seines Arbeitskollegen. Ihr Tod würde Dojima sicherlich brechen. Aber wieso sollte sich Adachi über den Kummer jenes Mannes scheren? »Sie ist das einzige was ich habe«, Dojima schluckte. Sein Adamsapfel bewegte sich dabei auf und ab. »Ich weiß nicht was ich mit mir anfangen soll, wenn ihr etwas zustößt. Am schlimmsten ist diese Ungewissheit. Ich weiß nicht ob ich hoffen oder verzweifeln soll.«, aus dem Augenwinkel blickte er Adachi an. »Hast du wenigstens Zigaretten dabei?« Nur wenige Tage später wurden Nanako und Namatame innerhalb Junes ausfindig gemacht. Nanako wurde unverzüglich in das selbe Krankenhaus wie ihr Vater eingewiesen und auch Namatame musste zum Leidwesen der Ermittler vor einer Befragung zunächst von Medizinern behandelt werden. Dojima hatte Adachi vor Erleichterung umarmt und wurde von den Ärzten fortan umso mehr ermahnt sich zu schonen, da er rund um die Uhr auf den Beinen war, um sich nach dem Gesundheitszustand seiner Tochter zu erkundigen. Diesmal hatten Souji und seine Freunde es nicht nur zu Stande gebracht Nanako zu retten, sondern gleichwohl Namatame überwältigt. Die kuriose Fernsehwelt, welche die zwielichtigen Jugendlichen offenbar willkürlich besuchen konnten, hatte Adachis Interesse geweckt und er brannte darauf zu erfahren, wie sie darin agierten, wie diese höllenartige Welt aussah und welches Unheil sich darin verbarg. Doch er konnte nie den passenden Moment finden, um die Jugendlichen auszufragen, denn die Gedanken aller drehten sich um Nanako, deren Zustand kritisch war. »Ihr seid ja noch immer hier«, sagte Adachi seufzend als er die Teenager vor Nanakos Zimmer versammelt antraf. »Adachi-san?«, sprach ihn Yukiko mit ihrer zaghaften, schönen Stimme an. »Konnten die Ärzte schon Näheres rausfinden?« »Dojima redet gerade mit ihnen«, noch immer reizte ihn das hübsche Mädchen, das ihn unsicher unter ihren langen Wimpern hervor ansah. Am Tag der Befragung war sie blass und erschöpft gewesen. Mittlerweile war wieder Leben in ihre Wangen und die graublauen Augen gekehrt. »Sie können noch nichts Konkretes sagen, bevor die Tests nicht durchgeführt worden sind. Für Namatame gilt übrigens dasselbe. Er hat seither das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Weiß Gott, wann wir seine Version hören können. »Es ist spät, ihr solltet jetzt dringend nach Hause. Was uns noch fehlt ist, dass ihr auch umkippt!« Ungewohnterweise befolgten die Jüngeren die Anweisungen des Mannes und hatten kurze Zeit später allesamt das Krankenhaus verlassen. Adachi hatte noch immer ein mulmiges Gefühl bezüglich der ganzen Sache. Zwar war Namatame zweifellos für alle der Hauptverdächtige und Adachis Verhalten war bislang nie angezweifelt worden, aber zuletzt hatten sich sowohl seine Kopfschmerzen, als auch seine Beklommenheit verstärkt. Diese schrecklichen Kopfschmerzen. Er holte sich einen kalten Kaffee aus dem Getränkeautomaten und setzte sich auf eine gepolsterte Sitzbank im Korridor. Wieder regnete es. Zwar galt dies im November als normal, aber in letzter Zeit schien der Niederschlag immerwährend. Und auch die Häufigkeit des Nebels schien gestiegen zu sein. Adachi fragte sich, was Namatame wusste und was er nach seinem Erwachen erzählen würde. Er fürchtete sich vor dem Tag, an dem Namatames Bewusstsein zurückkehren würde und er womöglich Adachi verraten würde. Schließlich war er es, der im Frühling mit dem verzweifelten Mann telefoniert hatte. Adachi hoffte, dass sich dies letztendlich nicht als Gefahr für ihn entpuppen würde. Gleichwohl war er furchtbar neugierig zu erfahren, was Namatame wusste und was er innerhalb des Fernsehens gesehen hatte. Am Ende war er doch nicht dazu gekommen Nanakos Show zu sehen. Womöglich hatte er damit Recht behalten, dass sie keine besäße. Als er sich nach einer Weile erhob, um sich zum Gehen aufzumachen, befiel Adachi ein derartig starker Schwindel, dass er sich keuchend an die Wand lehnen musste, um nicht umzufallen. Seine Kopfschmerzen breiteten sich stechend in alle Glieder aus und angesichts der aufkeimenden Übelkeit befürchtete er, er würde sich auf dem Flur erbrechen. Zitternd schleppte er sich an der Wand entlang, in der Hoffnung auf eine Krankenschwester oder einen Arzt zu treffen, die ihn untersuchen konnten. Rotglühende Augen und ein selbstgefälliges Lächeln erschienen ihm wie eine kurzzeitige Vision. Dann verschwand das Bild und mit ihm der Schwindel. Adachi blinzelte verwirrt. Außer ihm befand sich kein Mensch im Korridor, es war also keiner Zeuge seines Anfalls geworden. Da Schmerz und Übelbefinden abgeebbt waren, hatte er es sich anders überlegt und verließ das Krankenhaus. Lediglich das flaue Gefühl im Magen wurde er nicht gänzlich los. Mitte November war Namatame wieder bei Bewusstsein. Wie angeordnet, begann die Befragung Namatames, sobald dieser ansprechbar war. Zusammen mit zwei jungen Polizisten sollte Adachi Namatame verhören. Er hatte Namatame erstmals im Fernsehen gesehen und sicherlich war er ihm zuvor auch in der Stadt begegnet, aber hatte ihn nie bemerkt. Nun saß ihm dieser zerrüttete und verhärmte Mann, der die vergangenen Monate über das Dezernat mit den Entführungen in Atem gehalten hatte, gegenüber . Er war dünn, blass, wirkte alt und kraftlos. Adachi fiel auf, dass Namatames Nägel abgekaut waren und er die geröteten Augen während er sprach – sofern er denn antwortete – , nie auf die Ermittler richtete, sondern mit gefurchter Stirn auf seine Bettdecke starrte. »Namatame Taro«, sagte Adachi ruhig. »Sind sie sich der Anschuldigungen gegen sie bewusst?« Namatame nickte. »Sie gestehen also die Morde an Yamano Mayumi und Konishi Saki, sowie die Entführungen von…« »Nein!«, heftig schüttelte Namatame den Kopf und krallte die Hände fest ins Laken. Er riss die Augen auf und stammelte etwas Unverständliches. »Sie wollen die Aussage also doch verweigern?«, Adachi seufzte. »Mayumi. Ich habe Mayumi nicht…«, Tränen liefen seine Wangen hinab. »Ich liebe Mayumi doch. Ich wollte sie retten, damit ihnen nicht das gleiche widerfährt wie Mayumi und dem Mädchen.« Er schluchzte. Die beiden jungen Polizisten schauten sich verwundert an. Adachi kräuselte missmutig die Lippen. »Sie Retten?« Wieder nickte Namatame. »Ja, ich wollte ihnen helfen, ich wollte sie retten. Ich wollte dem kleinen Kind doch nie etwas zuleide tun!«, seine Fingerknöchel standen so weiß hervor, dass sie bald die Haut zu durchbohren schienen. »Wollen sie damit sagen, dass sie Amagi Yukiko, Tatsumi Kanji, Kujikawa Rise, Shirogane Naoto und Dojima Nanako entführt haben, um sie… zu retten?« Namatame formte ein Ja mit seinen Lippen. »Das ist ja absurd! Bedeutet für sie etwa der Tod Rettung?«, Adachis Stimme war schneidend. Wieder schluchzte Namatame, seine Schultern zuckten dabei. »Es tut mir leid«, krächzte er heiser. » Es tut mir leid. Ich wollte helfen. Vergib mir, Mayumi.« »Vergessen wir das. «, Adachi machte eine wegwerfende Geste. »Es ist sinnlos. Entweder verspottet dieser Mann uns, oder er ist nicht ganz bei Sinnen«, Adachi und die beiden Männer standen auf. Bevor die drei Ermittler das Krankenzimmer verließen, wandte sich Adachi nochmals zu Namatame um. »Ich werde schon Gerechtigkeit walten lassen«, verschmitzt grinste der Detektiv Namatame an. »Bis dahin wünsche ich ihnen eine gute Besserung, Namatame-san.« Die Informationen waren schnell verbreitet, denn schon am nächsten Morgen war Namatames Zustand die Schlagzeile in der Tageszeitung. Es war die Rede davon, dass Namatame Taro, welcher sich in einem örtlichen Krankenhaus befand, am vergangenen Abend, sein Bewusstsein wiedererlangt hatte. Zudem hätte er sich für seine Taten entschuldigt und sie größtenteils gestanden. Von nun an war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der gesamte Fall geklärt war. Adachi fragte sich, woher die Reporter nur immer solche Details herbekamen. Auf dem Weg zum Krankenhaus, traf er Yosuke, Yukiko, Chie und Souji, die anscheinend, ehe sie sich auf den Weg zur Schule machten, ebenfalls in der Zeitung über Namatame lasen. »Hey, ihr seid’s! Ziemlich kalt heute, was?«, begrüßte er die Schüler und blickte dabei auf Chies nackte Beine, welche trotz geringen Temperaturen wieder einmal einen Rock trug. »Und wie«, antwortete sie und legte dabei schaudernd die Arme um sich. »Jedenfalls habe ich gute Neuigkeiten. Eben erst erfuhr ich, dass ab heute Besuche bei Nanako gestattet sind.« Chies Augen leuchteten auf. »Dann geht es ihr besser?« »Ihr wisst also bereits Bescheid?«, Adachi deutete auf die Zeitung, welche Yosuke in der Hand hielt. »Was sind die Anklagepunkte, Adachi-san?«, fragte Souji. »Zwei Entführungen mit anschließendem Mord, sowie fünf weitere Entführungen mit versuchtem Mord. Also eine ziemlich ernste Sache. In Japan ist die Kriminalitätsrate gering und solche Serienmörder gab es nicht oft. Namatame wird wohl mit ein paar weiteren Verrückten der letzten Jahrzehnte in die Geschichte eingehen. Ein Lieferant der ein kleines Mädchen entführte… Erinnert mich ganz an Kobayashi Kaoru. Und er ist sicher nicht minder verrückt als Miyazaki Tsutomu. Sagen euch diese Namen was? Auf jeden Fall ist Namatame noch psychisch labil, also kommen wir mit unserer Befragung nur langsam voran. Übrigens, ihr dürft es wahrscheinlich wissen, ihr erinnert euch doch an sein Tagebuch, oder? Darin waren Einträge über Yamano und Konishi. Dem Anschein nach hat Namatame Konishi nachgestellt.« »Dieser Bastard…«, knurrte Yosuke zähneknirschend. »Dojima geht es auch schon besser. Ich war gerade unterwegs zum Krankenhaus, um mit ihm über den Fall zu diskutieren. Kommt doch heute Nachmittag vorbei. Nanako-chan wird sich freuen!«, das Lächeln, das er den Schülern zuwarf, hätte niemanden an Adachis Glaubwürdigkeit zweifeln lassen. Das kleine Mädchen wirkte so zerbrechlich, als wäre sie aus Porzellan. Stetig erklang das Piepen des EKGs, welches die Aktionen ihres Herzens aufzeichnete. Ihr Körper war übersät von Kabeln, Kanülen und Klebeelektroden. »Nanako«, Dojimas Stimme war lediglich ein raues Flüstern. Er hielt ihre Hand so achtsam und vorsichtig, aus Angst er könnte ihr wehtun. »Alle sind da um dich zu sehen.« »Onii-chan«, ihr Gesicht verformte sich zu einer Grimasse, als sie zu lächeln versuchte. Im selben Moment platzte eine Krankenschwester in Nanakos Zimmer und bedachte Dojima mit einem vorwurfsvollen Blick. »Dojima-san! Schon wieder dasselbe? Ich verstehe ja, dass sie besorgt sind, aber sie dürfen sich nicht selbst strapazieren!« Dojima musste noch immer in einem Rollstuhl transportiert werden, da seine Fortbewegung durch die Knochenbrüche beeinträchtigt war. Zwar heilten die Wunden stetig, aber es fehlte nicht wenig, bevor sie erneut aufplatzten. »Verzeihen Sie«, brummte Dojima. »Dojima, du meintest doch, du dürftest…«, Adachi blinzelte und sah bedauernd zu der Krankenschwester. »Entschuldigen Sie ihn bitte. Ich schiebe ihn sofort zurück in sein Zimmer!« »Wofür rechtfertigst du dich denn? Bist du neuerdings meine Anstandsdame?« »Es wird Zeit für ihre Untersuchung, Dojima-san«, sagte die Krankenschwester geduldig. »Also bitte seien sie rechtzeitig auf ihrem Zimmer.« »Onii-chan…«, Nanakos Stimme klang noch schwächer als Augenblicke zuvor. »Ich bin bei dir. Es ist alles gut.« »Ja… Es geht mir gut«, sie atmete laut ein und aus. »Weil… Du gekommen bist.« Kaum hatte sie die Worte gesprochen, war das Mädchen erschöpft eingeschlafen. Dojima schüttelte den Kopf und seufzte. »Gehen wir.« »Ihr Zustand ist mittlerweile stabil«, erklärte der Arzt Dojima, Adachi und den Schülern, nachdem sie sich nach Dojimas Untersuchung vor Nanakos Zimmer versammelt hatten. »Es ist nicht gerade kompetent dies als Arzt zu sagen, aber wir kennen noch immer nicht den Ursprung Nanakos Symptome. Wir können lediglich versuchen ihre Schmerzen zu lindern, aber bisweilen den Grund nicht bekämpfen.« »Schwebt sie denn noch immer in Gefahr?«, fragte Dojima mit angsterfüllter Miene. »Eine Prognose kann ich nicht aufstellen. Immerhin ist sie wieder bei Bewusstsein. Trotzdem müssen wir weiterhin auf der Hut sein. « »Und was macht Namatame?«, erbittert blickte Dojima zu Adachi. »Er ist zwar wach, aber er erzählt nur Unsinn. Unsere Befragungen sind nie von Dauer, da er noch immer sehr schwach ist.« »Ich verstehe«, er nickte. »Ich muss schnellstmöglich zurück an die Arbeit. Hoffentlich wird Nanako schon bald entlassen.« »Das Krankenhaus scheint mir doch ruhiger und sicherer für Nanako. Bei diesem Nebel da draußen und dann diese Gerüchte. Nanako wäre nur verunsichert.« »Ja, er hat Recht«, meinte der Arzt. »Seltsamerweise sind in letzter Zeit vermehrt Patienten zu uns gekommen, die sich über Gesundheitsprobleme aufgrund des Nebels beklagten.« Souji nickte. »Ist der Nebel denn wirklich giftig?« »Ich kann nicht gewiss sagen, dass er keine Auswirkungen auf den Körper hat. Genauso gut könnten die Beschwerden psychosomatische Gründe haben. Noch besteht kein toxischer Befund, also kann ich nur mutmaßen. Durch den Nebel stehen jedenfalls unter anderem viele Betriebe still.« »So ein Schwachsinn«, entgegnete Dojima ihm mit gefurchter Stirn. »Diese Gerüchte sind doch bloß Schall und Rauch!« Doch die Gerüchte hielten sich hartnäckig. Die Leute auf den Straßen schienen wahnsinnig geworden zu sein. Man konnte Frauen kreischen hören, sah Kinder nur noch selten auf den Straßen spielen, viele Menschen erschienen nicht mehr auf ihrer Arbeit. Einige trugen Mundschutz, manch einen sah man mit Gasmaske. Verrückte Geschichten machten die Runde, der Nebel verbreitete Krankheit und Siechtum. Angeblich gab es sogar Todesfälle. Der Nebel war da. Tag und Nacht. Und so war auch der Mayonaka TV. Es hatte jene Nacht nicht geregnet, als sich Adachis Fernseher plötzlich selbst eingeschaltet hatte und das vertraute Rauschen des mitternächtlichen Kanals ertönte. Auf dem Bildschirm war Nebel zu erkennen. Inabas Einkaufspassage in Trümmern. Wie eine Geisterstadt. Der Mayonaka TV war mittlerweile allgemein bekannt, er war beinah jedem Bürger aufgefallen. Dementsprechend war auch die Hysterie verbreitet. Die Bilder, die die Einwohner sahen, deuteten sie als Vorboten von Zerstörung und Untergang. Die Menschen befürchteten, die Apokalypse nahte. Anfang Dezember hatte sich Nanakos Zustand dramatisch verschlechtert. Die letzten Wochen hatte Dojima Hoffnung geschöpft, da sie Fortschritte zu machen schien. Jetzt lag das Mädchen flach atmend da und rief nach Souji wie im Fieberwahn. Das Piepen des EKGs hatte sich beschleunigt. »Nanako! Was hast du? Nanako!«, Panisch ergriff Dojima die Hand seiner Tochter. Zwei Krankenschwestern und der Arzt waren in das Zimmer geeilt. »Los Adachi, ruf Souji an! Er soll sofort herkommen.« Adachi eilte hinaus und wählte die Nummer von Dojimas Neffen, die er am Tag des Unfalls von diesem erhalten hatte. Nach kurzem Klingeln begrüßte Souji ihn verwirrt. »Hallo, hier ist Adachi Tohru. Hört zu. Nanako geht es schlechter, kommt sofort ins Krankenhaus.« Dojimas Wunden waren wieder aufgeplatzt. Abermals hatte er sich den Anweisungen der Ärzten widersetzt und bei dem Vorfall mit Nanako so überanstrengt, dass er erneut behandelt werden musste. Währenddessen warteten die Schüler besorgt vor Nanakos Zimmer. »Adachi-san«, grüßte Naoto ihn mit einem Nicken, als er ihnen entgegenkam. »Wie geht es Dojima?« »Tja, er hat sich überanstrengt und gerade flicken sie ihn wieder zusammen.« »Was macht Namatame?«, lenkte Yosuke das Gespräch wieder in eine andere Richtung. »Offen gesagt, wird es wirklich schwer Namatame vor Gericht zu bringen.« Die Schüler starrten Adachi mit aufgerissenen Augen auf. »Was soll das bedeuten?«, Yosuke war sichtlich irritiert. »Seine Schuld zu beweisen ist eigentlich unmöglich, zumal wir ihn gleich zu Beginn des Falles von der Liste der Verdächtigen gestrichen hatten. Sein Alibi ist noch immer standfest. Und diese Geschichte mit dem Fernseher ist einfach zu unglaubwürdig. Das wird niemand akzeptieren. Das Gesetz verlangt Beweise, oder ein ausreichendes Geständnis. Unser Verdacht alleine reicht nicht.« »Finden sie nicht, dass sie das ziemlich gelassen nehmen?«, Kanji bedachte Adachi mit einem argwöhnischen Blick. Verblüfft und zugleich verärgert schüttelte dieser den Kopf. »Ich verhalte mich rational. Das ist alles.« »Was soll das? Und sie wollen ein Detektiv sein?«, zornig schritt Kanji auf den Älteren zu und packte ihn am Kragen. »Verschonen sie mich mit diesem Schwachsinn! Wenn sie uns nicht glauben, dann schaffen sie verdammt nochmal einen Fernseher her und wir zeigen ihnen die Wahrheit!« »Kanji, hör auf!«, schrie Rise. Adachi riss sich los und schaute den blonden Mann herablassend an. Bevor er Kanji etwas Niederträchtiges erwidern konnte, wurde die Tür zu Nanakos Zimmer aufgerissen und eine Krankenschwester kam herausgestürmt. »Sind sie ihre Angehörigen? Gehen sie schnell rein und sprechen sie zu ihr!« Schockiert liefen alle hinein und ließen Adachi zurück. Entsetzen, Ungläubigkeit und Bestürzung zeichneten die Gesichter Dojimas und der Schüler, die wieder vor Nanakos Krankenzimmer standen. Yukiko bedeckte ihr Gesicht mit zitternden Händen, Rise schluchzte auf. Dojima war bleich und blickte ausdruckslos ins Leere. Adachi hatte gerade vor dem Krankenhaus geraucht und hatte demnach nicht mitbekommen, was geschehen war. Er ahnte es jedoch beim Anblick seines Vorgesetzten. »Was ist hier vorgefallen?«, fragte er vorsichtig, erhielt jedoch keine Antwort. »Nanako-chan ist doch nicht…?«, Dojima ballte bei der Erwähnung seiner Tochter die Fäuste und machte auf dem Absatz kehrt. »Mir schwant Böses«, richtete Adachi das Wort an die Schüler, als Dojima sich entfernt hatte. »Dieser Weg führt zur Station auf der Namatame liegt.« Die Schüler sogen scharf die Luft ein. »Namatame befindet sich in diesem Krankenhaus?«, Yosuke fuhr Adachi erbost an. »Der Hauptverdächtige liegt im selben Krankenhaus wie das Opfer?« »Was kann ich denn dafür? Das hier ist nun mal das größte Krankenhaus in der Region! Außerdem war Namatames Zustand genauso kritisch und was bringt uns ein toter Verdächtiger?« »Wo ist sein Zimmer?«, Soujis Stimme war ruhig. »Ich kann dir das nicht sagen.« »Verdammt, wo ist sein Zimmer? «, platze es aus Kanji heraus. »Sagen sie es uns endlich! Dojima ist auf dem Weg dorthin! Wer weiß was er mit Namatame anstellt?«, er packte Adachi bei den Schultern und rüttelte ihn. »Spuck es endlich aus, Mann!« »Im vierten Stock, chirurgische Abteilung. Lass mich los verdammt!«, nachdem Kanji von ihm gelassen hatte, wischte Adachi angewidert mit der Hand über seine Schultern. »Der letzte Raum in dem Korridor. Er wird von einem Polizisten bewacht.« Kaum hatte er ausgesprochen, waren sie losgerannt. Er folgte ihnen. Dojimas Rufe waren schon von Weitem zu vernehmen. Er schrie immer wieder Nanakos Namen, brüllte die Ermittler an, bis seine Stimme versagte und er weinend auf die Knie fiel. »Gib sie mir zurück! Gib mir meine Nanako zurück!« »Oh Gott, Dojima. Los, bringt ihn zurück auf sein Zimmer! Ich alarmiere die Ärzte!« Nachdem Dojima wieder auf sein Zimmer befördert worden war und Adachi den Arzt geholt hatte, hatte er seinem älteren Partner mit Erlaubnis des Doktors einen kurzen Besuch abgestattet. Die ganze Zeit über hatte der Mann den Namen seiner Tochter gestammelt und Namatame verflucht. Er hatte bitterlich geweint und von einem gemeinsamen Weihnachtsfest gesprochen, aber nun starrte er wieder apathisch aus dem Fenster. Adachi ging im Zimmer auf und ab. Er hatte nicht einmal die Zeit gehabt, über das Geschehene nachzudenken. Woran war Nanako eigentlich gestorben und was würde nun aus Dojima werden? Dann erinnerte er sich an Kanjis Worte und ihm kam in den Sinn, dass in Namatames Raum ein Fernseher stand. Angesichts des Kummers der Schüler hielt Adachi es nicht für unwahrscheinlich, dass die Schüler Selbstjustiz an Namatame anwenden würden. Zusammen mit dem Arzt trat Adachi in Namatames Zimmer und das Bild, dass sich ihnen bot, überraschte ihn nicht. Namatame kauerte auf dem Boden vor dem Fernseher, um ihn herum die Gruppe der Schüler, die ihnen anscheinend zu lynchen versuchten. »Was tut ihr da? Ihr habt hier drin nichts zu suchen!« Die erschrockenen Schüler schnappten nach Luft, als wären sie gerade bei einer schlimmen Tat erwischt worden. Der Arzt eilte zu Namatame. »Die Wachmänner hatten Dojima-san geholfen und jemand musste sich dementsprechend um den Verdächtigen kümmern.«, erklärte sich Naoto. »Es wäre eine Katastrophe für uns alle, wenn Namatame entkäme. Insbesondere für sie, Adachi-san. Das Vertrauen in sie würde versiegen.« Adachis Augen verengten sich nur unmerklich bei Naotos unterschwelliger Drohung. »Du hast Recht, Shirogane-kun«, er straffte die Schultern. »Von nun an werde ich die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen und Namatames Beförderung in ein anderes Krankenhaus schnellstmöglich in die Wege leiten. Ich würde eure Diskretion begrüßen.« »Wie geht es ihm, Doktor?«, wandte Naoto das Wort an den Arzt. »Namatame schien sich bis eben ziemlich aufgeregt zu haben.« Der Arzt hatte Namatame wieder zu seinem Bett gebracht, seinen Puls gefühlt und sich beruhigt zu den Zuschauern gedreht. »Er braucht seine Ruhe, aber er schwebt in keiner Gefahr. Und nun müssen sie bitte das Zimmer verlassen.« Adachi blieb zunächst. Es war tatsächlich höchste Zeit, dass Namatame von diesem Ort verschwand. Er räusperte sich. »Sensei, wann wäre Namatame in der Lage, transportiert zu werden? Ich möchte ihm keineswegs schaden, da er ein wichtiger Verdächtiger ist.« »Nun, der Patient scheint vor allen Dingen psychisch labil zu sein.« Von außen waren Stimmen zu vernehmen. Eine angeheizte Unterhaltung der Jugendlichen bezüglich des Täters und seiner Motive und ihren Zweifeln an Namatames Beweggründen. »Entschuldigen sie mich, bitte.« Adachi kräuselte die Lippen und trat in den Flur, bereit die Jugendlichen zu tadeln. »Ihr wisst, dass ihr euch in einem Krankenhaus befindet? Senkt eure Stimmen.« Wieder unterbrach ihn eine Krankenschwester, die die Schüler bat, ihr zu folgen. Was war das eigentlich für ein ständiges hin und her? Wahrlich ein hin und her. Zehn Minuten später erfuhr er, dass Nanako wiederbelebt worden war. Adachi hatte es geschafft, Namatame in ein anderes Krankenhaus zu versetzen. Jedoch hatte er beschlossen, dies zunächst vor Dojima geheim zu halten, da eigentlich dessen Zustimmung für die Verlagerung eines Verdächtigen nötig gewesen wäre. Nanako schien auf dem Weg der Besserung zu sein, dementsprechend glücklich war Dojima. Also ignorierte er immer noch die Anweisungen der Ärzte und rief weiterhin Unmut in diesen hervor. Gerade beklagte sich eine Krankenschwester bei Adachi über ihn, als Souji mitsamt Gefährten auf ihn zukam. »Oh, hallo! Ihr habt nicht zufällig Dojima gesehen? Er ist schon wieder aus seinem Zimmer entflohen und bei Nanako ist er auch nicht.« »Wir haben Dojima so oft schon gewarnt, er möge Rücksicht auf sich selbst nehmen. Aber er hört nicht auf uns!«, die Krankenschwester wirkte äußerst gereizt. »Ich habe ja nichts gegen ihn persönlich, aber langsam wird uns Dojima-san zur Last.«, kopfschüttelnd ging sie wieder ihre Wege. Adachi rieb sich mit Zeigefinger und Daumen die Augen. »Ich dachte ich könnte langsam nach Hause. Heute war ein anstrengender Tag. Namatame wurde endlich versetzt.« »Sie haben es also bewerkstelligen können, Adachi-san?«, Naoto sprach wieder mit ihrer abschätzenden Weise. »Warum war ihnen das plötzlich so wichtig?« »Nun, wie ihr selbst gesagt hattet. Der Hauptverdächtige im selben Krankenhaus wie das Opfer. Irgendwie ein makabrer Gedanke, nicht wahr? Aber was sucht ihr eigentlich hier? Nanako-chan ist doch auf der anderen Station.« »Adachi!«, das war Dojimas Stimme. »Wo ist Namatame? Und was soll eigentlich dieser ganze Aufmarsch hier?« »Ah, Dojima«, Adachi blinzelte nervös. »Namatame wurde verlegt. Ich habe dich gerade gesucht, um dir das zu sagen.« »Was? Du hast ihn verlegen lassen? Wer hat das erlaubt?« »Aber Dojima…« »Ich habe noch immer meine Bedenken bezüglich Namatame. Seine Motive sind fragwürdig, so auch seine Aussage. Und da ist noch immer sein Alibi.« »Und du kannst das noch nach der Sache mit Nanako sagen?«, Dojima runzelte die Stirn. »Ich weiß, das ist deine detektivische Intuition, aber Namatame wurde nun mal verlegt. Es bringt euch nichts mehr, mich damit unter Druck zu setzen. Und ihr solltet eigentlich nach Hause gehen! Ich habe genug von euch Hobby-Ermittlern.« »Was ist los mit dir, Adachi? Seit wann bist du so ernst?« »Ich nehme meine Arbeit immer ernst.« »Aber Adachi hat Recht. Was sucht ihr hier?« »Wir kamen um etwas zu bereden«, Yosuke funkelte Adachi an. »Mit ihm.« »Adachi-san, es geht um Yamano.« Souji sprach wieder mit seiner monotonen Stimme, die Adachi stets irritiere. »Erinnern sie sich an den Abend vor ihrem Tod?« »Die Nachrichtensprecherin? Das ist doch schon Ewigkeiten her. Ich weiß nichts Genaues mehr.« »Sie hatten Saki befragt, nicht wahr?« »Ja, und? Ich war damit beauftragt worden. Sie hatte immerhin Yamanos Leiche gefunden.« »Und was hatte es mit diesem Drohbrief auf sich?« Adachi stockte. Unsicher zupfte er sich am Ärmel. »Ich weiß nicht was du meinst.« »Der Drohbrief, den Souji bekam. Die Polizei hatte diesen in Gewahrsam genommen, oder nicht?«, Naoto lächelte. »Ich erinnere mich an keinen Drohbrief. Tut mir leid.« »Was redest du da?«, fragte Dojima verwundert. Adachi fluchte innerlich. »Ich vertraute dir damals diesen Brief an, damit du ihn ins Labor bringst. Hast du das etwa nicht getan?« »Es war so viel dazwischen gekommen. Der Unfall, Namatame… Da ist es mir wohl entfallen. Außerdem war das Schreiben doch nichts Ernstes, oder?«, Adachi versuchte sich mit einer heiteren Miene aus der Affäre zu ziehen. Als er jedoch einsah, dass es ihm nichts half, wurde er schlagartig wieder ernst. »Was soll das Ganze eigentlich? Ist das hier eine Befragung? Dojima, du solltest besser im Bett liegen. Allein deshalb können deine Wunden nicht schließen und ihr habt für heute auch genug ermittelt. Ich für meinen Teil bin fertig hier. Ich gehe zurück zum Revier.« Aber als er an ihnen vorbeigehen wollte, umzingelten sie ihn. »Eins noch verehrter Adachi-san«, Naoto stand mit verschränkten Armen vor ihm. »Namatame war in keinster Weise mit dem Verschwinden der ersten beiden Toten verwickelt. Wissen sie vielleicht, wer sonst als Täter in Frage käme.« »Lass mich durch, Shirogane. Ich weiß nicht wovon du da sprichst.« »Wir glauben nämlich, sie sind der Täter«, entfuhr es Kanji mit zufriedenem Lächeln. »Was? Das ist lächerlich. Namatame hat sie doch reingeworfen und nicht…« Adachi biss sich auf die Zunge, sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten. Chie zog die Augenbrauen hoch und verzog die Mundwinkel zu einem verschmitzten Grinsen. »Wo reingeworfen?«, Dojima blickte verwirrt von Adachi zu den Jugendlichen. »Hat das irgendwas mit dem Vorgehen des Mörders zu tun? Wisst ihr etwas?« »Gut. Ich verstehe nun«, Naoto setzte wieder zur Rede an. »Als wir damals Namatames Tagebuch gefunden hatten, sagten sie, es sei besiegelt. Aber was war besiegelt? Damals kam mir schon der Verdacht, dass sie, Adachi-san, mehr wussten, als sie vorgaben. Oder was meinen sie?« »Nervt mich nicht, hab‘ ich gesagt. Ich habe zu tun!«, er stieß Kanji zur Seite, der ihm fluchend hinterherrief. Als er Schritte hinter sich vernahm, begann Adachi zu rennen. Er hatte sich selbst verraten. Wie dumm er nur war! Einmal hatte er nicht aufgepasst, einmal hatte er sich versprochen und schon war er verdächtigt und sogleich ertappt. »Adachi!«, er hatte sich nicht noch einmal umgedreht. Er fürchtete sich vor Dojimas Gesicht, welches Enttäuschung, Zorn und Entsetzen ausdrücken würde. Wohin sollte er nun fliehen? Was für einen Ausweg gab es für ihn denn noch? Nur diesen einen. Vor Namatames Zimmer machte Adachi Halt. Er war völlig außer Atem. Obschon er wusste, dass das Zimmer leer stand, öffnete er die Tür nur langsam und vorsichtig. Inmitten der Dunkelheit konnte er dennoch den Fernseher im Raum ausmachen, auf dessen Bildschirm sich das fahle Licht des Mondes widerspiegelte. Adachi ging auf den Fernseher zu und berührte den Bildschirm. Es fühlte sich an, als fassten seine Fingerspitzen durch warmes Wasser. Er fürchtete sich vor dieser Hölle, diesem unterweltartigem Ort. Aber er wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Also atmete er tief ein und stürzte sich in sein Verderben. Ein schriller Ton weckte Adachi. Die starken Kopfschmerzen die er beim Aufwachen verspürte, ließen ihn aufstöhnen. Jeder einzelne Knochen tat ihm weh. Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte er sich mühselig zu erheben um auszumachen, wo er sich befand. Nebel. Weit und breit war nichts als Nebel zu sehen. Er rieb sich mehrmals die Augen und versuchte die Angst und die Panik zu unterdrücken. Ihm war, als hörte er ein Lachen aus der Ferne. Narr. Jemand sprach zu ihm. Narr. Begrüße deine neue Welt. Wieder dieses irre Lachen. Dann sah Adachi vor seinem inneren Auge ein wächsernes Gesicht. So kurz, dass er es nicht einmal einer Frau oder einem Mann zuordnen konnte. Szenen aus seiner Vergangenheit erschienen vor ihm. Begebenheiten aus seiner Kindheit und seiner Jugend, die er längst zu vergessen versucht hatte, vergegenwärtigten sich ihm. Was warst du nur für ein Versager. Er sah ein Lächeln, welches ihn erschrecken ließ. »Hör auf!«, verzweifelt hielt Adachi seinen noch immer schmerzenden Kopf und rief wütend ins Leere. »Wer bist du? Was tust du mit mir? Hör auf damit!«, er schrie und das Lachen wurde immer lauter. Du begibst dich nun auf eine Reise, Narr. Begrüße das Chaos, ergib dich der Verderbtheit und schaffe mit mir eine neue Ordnung. Nun geh voran, dein Weg ist dir bestimmt. Adachi wusste nichts mit der Stimme in seinem Kopf anzufangen. Er schrie. Er schrie solange, bis nichts mehr außer dem alles verschlingenden gelben Nebel vorhanden war. Schließlich gewöhnten sich die Augen an seine Umgebung und er sah, dass er auf einer Straße stand. Der Himmel war rot und die Umgebung mit Ruinen gespickt. Am Horizont war die Silhouette einer Stadt zu erkennen, doch je mehr er sich der Silhouette näherte, desto weiter schien diese sich zu entfernen. Absperrbände waren allerorts angebracht. Sie pflasterten die Straßen, zierten die Ruinen. Der wüste und leere Ort erinnerte ihn an das zerstörte Inaba, welches im Mayonaka TV zu sehen gewesen war. Adachi folgte weiterhin der Straße, als ein seltsames Lebewesen seinen Weg kreuzte. Ein schwarzes, gallertartiges Ding. Beinah wie ein plastischer Schatten. Der Schatten schaute ihn an, wich ihm aus und ging wieder. Sie stellten also keine Bedrohung dar. Adachi fühlte sich mit jedem Schritt wohler. Er begann das Chaos zu verstehen, sich die Wege zu merken. Es war sein Chaos. Das Chaos seines Unterbewusstseins. Dieser Ort war seine Welt, geformt aus seiner Psyche, seiner Seele. Endlich hatte er einen Platz, wo er er selbst sein konnte. Und in seinem tiefsten Inneren fand ein Wandel statt. Eine Metamorphose. Die akzeptierte Seele barg nun eine Form. Persona. Kapitel 8: Special Chapter II - Das Mädchen aus der Ferne --------------------------------------------------------- Der Sommer in Inaba war nicht ganz so schwül und erdrückend, wie der Sommer in der Hauptstadt. Vielmehr waren die Monate in Inaba beinah angenehm. Dennoch verband Adachi stets Trägheit und Lustlosigkeit mit dem Sommer. Hinzu kam, dass wieder einmal eine Vermisste, Kujikawa Rise, heil aufgetaucht und Adachis Missmut beinah ins Unermessliche gestiegen war. Schließlich war es das dritte Mal in Folge, dass ein Jugendlicher verschwand und einige Wochen darauf, unversehrt zurückkam. Von diesem Versager Namatame war eben nichts Besseres zu erwarten. Adachi musste es nächstes Mal selbst in die Hand nehmen, wenn er vernünftige Ergebnisse wollte. Die Zikaden zirpten, obwohl Mittag längst vorüber war. An jenem Samstag war es heißer als sonst. Adachi lag seit einigen Stunden auf dem Fußboden und starrte gedankenversunken die Decke an, als sein Magen irgendwann zu knurren begann. Er setzte sich seufzend auf und überlegte wie er dem entgegen kommen konnte. Der mangelhafte Zutatenbestand, der in seiner Küche herrschte, veranlasste ihn schließlich zu Junes zu fahren. Er hätte auch einfach etwas in dem Restaurant essen, oder ein Fertiggereicht kaufen können, aber an eben jenem Samstag, wollte er etwas selbst zubereiten. Adachi hatte wie so oft Lust auf Kohl. Er würde ihn zusammen mit Eiern und Mie-Nudeln anbraten. Gleich am Eingang von Junes wurde eine Statue der Venus von Botticelli angeboten. Der junge Mann blieb vor der Statue stehen und betrachtete die marmorne Venus. Nun, da er sie eingehend musterte, empfand auch Adachi jene Venus als schön. Die Art wie sich ihre wehenden Haare um ihren Leib schmiegten, wie sie zaghaft mit den Locken ihre Scham bedeckte und betörend aus der Muschel stieg. Eine Venus eben. Vielleicht, dachte sich Adachi, war er in der falschen Zeit geboren. Vielleicht hatten die Frauen damals, im Gegensatz zu heute, tatsächlich noch solche Klasse wie diese Venus besessen. Aber auch Venus soll ihrem Gatten nicht treu gewesen sein. Also ließ Adachi die Göttin der Schönheit und Liebe achtlos zurück und ging weiter in die Lebensmittelabteilung. Die Kohlköpfe besaßen an jenem Samstag weder eine appetitliche Färbung, noch waren sie zahlreich. Lediglich einer von ihnen sah essbar aus. Adachi griff nach ihm. »Ach, Mist! Sie waren schneller!«, ertönte die Stimme einer Frau. Es war eine schöne Stimme. Etwas rauchig, aber weiblich. Adachi drehte sich um und blickte eine junge Frau, mit karamellfarbenem, welligem Haar an. Ihr Gesicht war asiatisch und doch schien es europäisch. Sie trug ein grünes, knielanges, an den antiken Stil angelehntes, Kleid. Adachi fand es furchtbar kitschig, aber er war an die Venus vom Eingang erinnert. Die Frau runzelte die Stirn und räusperte sich. Wahrscheinlich hatte er sie zu lange angestarrt. Aber was musste sie sich gleich aufregen? »Sie wären nicht zufällig so gnädig und übergäben einer Dame jenen Kohlkopf?«, sie lächelte Adachi kokett an. Er war hin- und hergerissen zwischen Zorn und Entzückung, ob ihrer anmaßenden Art. »Ja, wissen sie, ich liebe Kohlrouladen mit Tofu und Reis und der Tofu hier soll so gut sein und wenn ich schon einmal hier bin, dann will ich das doch genießen.« Adachi bemerkte, dass sie einen leichten Akzent besaß. Wahrscheinlich war sie Eurasierin. Soweit er wusste, zögerten viele Menschen, die im Ausland wohnen aufgrund ihres Akzentes, in ihrer Muttersprache zu sprechen, aber dieses Mädchen sprach ununterbrochen. »Sind sie aus Japan?« »Ah, ja. Mein Vater ist Japaner, aber meine Mutter ist Britin. Ich besuche meine Tante väterlicherseits hier in Inaba. Mein Name ist übrigens Evelyn Aizawa. Aber alle nennen mich Evy«, Evy reichte ihm die Hand. »Adachi Tohru,« er schüttelte die ihre. »Nett sie kennenzulernen.« Sie lächelte. Er fand es bezaubernd. Adachi verstand nicht wieso, aber diese Evy hatte es ihm angetan. Es mochte daran gelegen haben, dass sie ein „Mischling“ war, oder es war ihr Selbstbewusstsein, ihr schönes Aussehen, ihre Ausstrahlung, die Art wie sie sprach. Er wusste es nicht, aber ehe er sich versah, war er im Gespräch mit ihr und es endete damit, dass er sie zum Essen bei Junes eingeladen hatte. Es war seltsam. Adachi hatte das Gefühl, dass er noch nie mit einem anderen Menschen so harmonisiert hatte, seine Gegenwart genossen hatte und die Person sogar wiedersehen wollte. Evy hatte ihm erzählt, dass sie vor drei Tagen angekommen war und noch weitere zwölf bleiben würde. In Inaba kannte sie sich einiger Maßen gut aus, denn sie war früher oft mit ihren Eltern hingereist. Nachdem Adachi ihr verraten hatte, dass auch er kürzlich erst nach Inaba gezogen war, war sie begeistert, da sie sich nicht mehr als einzige Fremde fühlte. Sie bat ständig um Entschuldigung, falls sie zu unhöflich war, aber sie war nun mal in Europa aufgewachsen. Den jungen Mann kümmerte dies wenig. Vielmehr fand er sie derart attraktiv und interessant, dass er ihr alles verzieh. Wenn sie lächelte, strahlte ihr Gesicht eine Wärme aus, wenn sie sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr strich, wirkte es reizend und wenn sie ihn aus halbgeschlossenen Lidern anblickte, wirkte sie verrucht und verlockend. Adachi empfand Evy wie ein Kunstwerk und fragte sich, seit wann er ebenfalls unter die Narren gegangen war. Seitdem er Evy getroffen hatte, war auch seine Laune gestiegen. Durch sie konnte er sich vom Alltag und den vereitelten Morden ablenken. Sie hatten sich wieder verabredet, Telefonnummern getauscht. Das rückenfreie, schwarze Kleid, dass sie an einem Abend getragen hatte, zeigte ihm erst, wie attraktiv auch ihre Figur war. Er lachte wenn sie etwas Lustiges erzählte, er musste sich nicht einmal wirklich verstellen wenn er bei ihr war. Evy studierte Bauingenieurwesen in London. Sie mochte keine Hunde und keine Schokolade. Sie liebte Audrey Hepburn und ihr Lieblingsdichter war E.E. Cummings. Sie war gescheit, humorvoll, sympathisch. Adachi konnte sich dieser närrischen Gefühle nicht wehren. Dennoch verdrängte er den Gedanken. Er wollte einfach nicht daran denken, oder in Worte fassen, was er empfand. Es war töricht. Es war zu früh. Es würde nur wieder in einer Enttäuschung enden und nur die Leere würde zurückbleiben. Also gab er sich mit jedem Moment zufrieden, den er mit Evy verbringen konnte. Eines Nachmittags, es waren noch sechs Tage vor ihrer Abreise, saßen sie auf der Bank am Samegawa Flussufer, auf der er so oft einsam in Gedanken versunken gesessen hatte. Unbeschwert hatten sie sich stundenlang unterhalten,  als irgendwann betretenes Schweigen aufkam. Evy war näher zu Adachi gerückt, sodass sich ihrer beiden Arme berührten. »Ich hatte gedacht, ich würde mich hier langweilen«, sprach sie nach einer Weile. »Aber mit dir hatte ich wirklich Spaß. Ich danke dir. Weißt du, Tohru-san, irgendwie finde ich es schade, dass ich gehe.« Adachi schwieg. Schließlich wandte sie sich ihm zu und küsste ihn. Zunächst war er überrascht, aber als Evy ihre Arme um ihn legte und mit ihren schlanken Fingern seinen Nacken streichelte, umarmte er sie ebenfalls und gab sich gänzlich ihren Küssen hin. Am liebsten hätte er sie zu sich nach Hause genommen, aber aus unempfindlichen Gründen traute er sich bei Evy anders als sonst, nicht die Initiative zu ergreifen. Sie hatten sich nach Anbruch der Dämmerung voneinander verabschiedet und für den nächsten Tag verabredet. Die Verbindung die er zu Evy pflegte, war eine so lächerlich Unschuldige, wie die Beziehung zweier Mittelschüler. Wobei dies heutzutage ein eher schlechter Vergleich war. Es war Adachi peinlich. Er erkannte sich selbst nicht mehr. Aber er konnte Evy einfach nicht so verachtend behandeln, wie er es üblicherweise mit Menschen tat. Und auch die nächsten Tage gab er sich damit zufrieden, dass er Evy küssen und berühren konnte. Zwei Tage vor ihrer Abreise jedoch bat sie ihn, ihr seine Wohnung zu zeigen. Adachi war erleichtert und von schierer Vorfreude erfüllt. Zunächst hatte er sich gefragt, ob er ihre Andeutung falsch verstanden haben konnte, aber seine Zweifel wurden weggeräumt, als die beiden ungestüm übereinander hergefallen waren, sobald sie seine Wohnung betreten hatten. So inbrünstig wie sie waren, stolperten sie über einen Hocker, fielen gemeinsam hin und rissen sich stürmisch gegenseitig die Kleider vom Leib. Letztendlich hatten sie es doch zum Bett geschafft und endlich schlief Adachi mit Evy. Nie zuvor hatte er den Akt als so schön und wunderbar empfunden. Zuvor war es lediglich eine Befriedigung seiner Triebe gewesen. Er genoss ihre Liebkosungen, ihr Stöhnen und kurz vor seinem Höhepunkt, war es geschehen. Er hatte Evy in seiner Ekstase ins Gesicht geschlagen. Sie war verstummt. Ihr Unterlippe aufgeplatzt. Sie fasste an die Wunde und blickte ihn entsetzt an. »Sag mal, hast du sie noch alle, du Spinner!?«, sie drückte ihn von sich. »Geh sofort runter von mir!« Alles was Adachi in den vergangenen zwei Wochen für Evy verspürt hatte, war mit jenen Worten auf einmal erloschen. »Was fällt dir ein?«, rief er wütend und schlug sie erneut. Sie gab einen schrillen Schrei von sich, begann sich unter ihm zu winden, ihn zu beschimpfen. Sein Zorn machte ihn rasend. Mit den Händen umschloss er fest ihren Hals und begann sie zu würgen. Ihre Schreie waren nun erstickte, gurgelnde Laute. Sie schlug auf ihn ein, strampelte, Tränen floßen über ihr schönes Gesicht. Er kam in ihr. Sie keuchte und begann blass zu werden. Ihr Strampeln ließ nach. Mit einem Mal entsann er sich und ließ von ihr. Evy japste nach Luft. Die Panik war ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. Sie hustete und zog sich weinend das vor einer Weile noch so verführerische rote Kleid, nun absurd und billig wirkend, an und ging wortlos. Adachi konnte nicht glauben was er getan hatte. Vor allen Dingen konnte er nicht glauben, dass er solche Gewissensbisse hatte. Aber irgendetwas an Evelyn hatte ihn die letzten Tage erheitert und nun würde er sie niemals wieder sehen. Er war ein Narr. Ein Narr, dass er sich von Gefühlen leiten lassen hatte. Evy hatte ihn doch genauso abwertend behandelt wie alle anderen. Er hatte es von Anfang an gewusst. Auch sie würde nur eine Enttäuschung sein, so wie jeder andere Mensch es war. Er hasste Evy. Und doch verspürte er Reue und fragte sich, was nur sein gottverdammtes Problem war. Auf seinem Nachttisch lag die Akte Kubo Mitsuos. Irgendein verrückter Junge, der behauptete er sei der Verantwortliche für die Morde. Morgen sollte Adachi ihn befragen. Kubo Mitsuo. Ein wunderbares Subjekt um seiner Erbitterung freien Lauf zu lassen. ~ Anmerkung des Autors: Ich muss es in einer eigenen Story veröffentlichen. Das Kapitel spielt zwischen Rises Auftauchen und Mitsuos Verschwinden(Kapitel 4 und 5). Ich wollte es eigentlich nach Abschluss der regulären Fanfiction fertigstellen, da ich die beiden Extrakapitel nicht in die Handlung einbauen kann, aber als ich am düsteren dritten Kapitel saß, hatte ich mal Lust auf was anderes. Aber das ist nicht gut, eigentlich sollte ich normal weiterschreiben, weil sich sicherlich einige Details überschneiden und nicht möglich sein werden, wie ich erfahren werde, wenn ich beim fünften Kapitel bin. Aber egal. Die Story ist furchtbar geschmacklos nicht wahr? Adachi und verliebt? Völlig Out of Character, ich sollte mich schämen. ;_; Zumal ich nicht mal weiß, ob ein Soziopath solche Gefühle wie hier beschrieben, entwickeln kann. Ich habe nun mal kein Psychologie studiert und möchte mich für medizinische Fehler entschuldigen. Aber ich weiß ja nicht, was genau Adachi hat. Das was keiner und meine Phantasie konnte ich auch nicht unterdrücken! Ich freue mich schon darauf das andere Extra-chapter zu schreiben.:) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)