Oktobertag von Heruvim (Das Krabbeltier) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war ein kalter Oktobertag, an dem die Sonne sich nicht zeigen wollte. Vielmehr sehnte sie sich danach hinter der Wolkendecke weiterzuschlafen. Die schon rostigen Blätter der alten Eiche wirbelten ihrem Ende entgegen. Dabei riss die Furie des Windes sie schließlich vom knirschenden Ast und verstreute sie in alle Richtungen. Viel zu trüb war der Tag, um ihn im nebligen Garten des alten Ehepaares zu verbringen, fand zumindest ein kleines Krabbeltier. Das Gras klebte an den dünnen Beinchen einer Spinne, die sich vor der kommenden Kälte in einem Haus in der Umgebung verstecken wollte. Vorbei waren die Tage, an denen es sein Netz ausbreitete wie die Nachbarin die Wäscheleine. An die unterhaltsamen Gespräche mit der Kundschaft, die sich in ihrem Netz verstrickte, erinnerte sie sich, als ob es gestern gewesen war. Nun war das Ziel allerdings das Haus eines Menschenpaares. Es hatte ein älteres Mückenpaar dabei erwischt, wie es die Wärme der Innenräume und die Weitläufigkeit der Zimmer gepriesen hatte. Und bei dem miesen Wetter war es an der Zeit in diesem warmen Heim Unterschlupf zu suchen. Kundschaft sollte es bei aufgespanntem Nest ja weiterhin erreichen, dachte sie sich und schob die kleinen Zangen freudig ineinander. Das nasse Gras klebte sich an die Beinchen der Spinne und ließ sie nur schwer vorankommen. „Verflixter Fliegenflügel!“, fluchte sie leise und konnte das Pieksen der Grashalme in die vielen Äuglein nur noch schwer ertragen. Es machte ein Päuschen und überlegte scharf. Die Wanderung würde wohl zu lange dauern, und wenn sie ehrlich war, hatte sie nach den drei Metern auch ein Wenig die Orientierung verloren. Dabei sah es von ihrem Netz am Zaunpfahl so einfach aus. Aber nun versperrte eh ein sperriger Stein ihren Weg, sodass jetzt ein Ausweichmanöver gefragt war. Während das Krabbeltier also überlegte, fiel ihr doch wieder etwas ein: Das Panzertier! Ja, das alte Mückenpaar hatte auch von einem Panzertier mit vier Beinen und Kopf erzählt, was ein Schuppenkleid trug. Es war den ganzen Sommer über gemächlich über den Rasen spaziert. Zwar war es unheimlich langsam, aber es war im Stande immer wieder zu dessen Wohngemach zurückzufinden. Das Spinnentier brummte leise, tastete sich voran und erklomm erst einmal den großen Stein vor sich. Ein sehr komisches Exemplar, wie sich die Spinnenfrau dachte. Warum der wohl solche Muster hatte? Steine hatten doch keine Muster, oder? Na bei so viel Sehvermögen konnte sie wohl kaum falsch liegen und krabbelte geschmeidig weiter, bis es oben angekommen war. „Toll! Geradezu muss ich laufen. Weit ist es gar nicht mehr, aber das Gras wird immer höher.“, stellte sie unzufrieden fest. Seufzend wollte sie nun weiterlaufen. Denn das Haar an ihren Beinen war durchnässt und kalt war ihr noch immer. Da ruckelte es aber und der Stein schien sich zu erheben. „Nanu?!“, entkam ihr überrascht. Sie weitete die vielen Augen und blickte irritiert hinab. Da fuhren sogleich Glieder aus dem Stein, pressten sich gegen den Boden und sorgten für Turbulenzen in der höchsten Etage. Dunkle Schuppen zierten die merkwürdigen Formen. Konnte es denn sein?! Sicherlich! Es war wohl das langsame Tier. Daher also die Muster, schlußfolgerte sie und wartete einen Moment ab. Langsam drehte sich der Panzer auf dem sie war. Das Tier gab keinen Laut von sich. Nun war sie aber erst recht verunsichert. Sie konnte mit dem Panzertier doch gar nicht reden. Immerhin war sie selbst ein blinder Passagier. Doch es schien vorwärts zu gehen. „Abwarten und Blut trinken“, flüsterte das Krabbeltier. Es kauerte sich zusammen und wartete ab. Das nasse Gras erreichte seine acht Augen nun nicht mehr. Vor dem großen Tor, durch das das Mückenpaar immer rein und wieder herausflog, ließ sie sich vorsichtig an einem der Beine des langsamen Schuppentiers herab und folgte dem warmen Dunst, welchen es schon aus der Entfernung verspürte. Voller Enthusiasmus legte es den Fußmarsch fort und kletterte den Holzrahmen hoch. Am offenen Spalt befestigte sie ihren Sicherheitsfaden und ließ sich langsam am Faden herunter, wo die Luft immer wärmer wurde. Auf einem Vorsprung angekommen, blickte sie nun hinaus. Einen weiten Weg hatte sie hinter sich gelassen. Die Hoffnung auf ein besseres zu Hause mit dem Wechsel der Jahreszeit hatte sie vorangetrieben. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich bekannte Gesichter gewollt oder nicht auf einen Plausch in ihrem gemütlichen neuen Nest blicken lassen würden. Zufrieden wollte sie sich nun umsehen, da bemerkte sie, wie sie mit ihren Beinchen nicht mehr weiterkam. Sie zog an allen acht, doch voran kam sie nicht. Konnte das denn die Möglichkeit sein? Ein fremdes Netz! Furchterfüllt scannte sie es nach ihrem Bewohner ab, doch nichts war zu sehen. Das Nest war also verlassen. Andere Artgenossen waren wohl auch auf die Idee gekommen das Warme aufzusuchen. Erleichtert atmete sie auf und mit großer Mühe entledigte sie sich dem vertrauten Kleber. Da vernahm sie plötzlich eine schnelle Bewegung. Ein unvertrautes Gebilde aus Linien in einer festen Form schlugen nach ihr. Ein, zwei, ganze drei Mal bis sie sich nicht mehr regen konnte. Sie verlor jegliches Körpergefühl. Ein wildes Tier musste sie erwischt haben. Und im nächsten Augenblick war alles vorbei. „Frida, ich hab sie erwischt! Keine Angst!“ Und so endete der Traum in einer warmen, wohlbehüteten Welt, wie es das Mückenpaar versprochen hatte. Jenseits der Gräser war sie eben nicht mehr willkommen gewesen, ihr Aufenthalt war unerwünscht. Man entledigte sich ihres winzigen, zerschlagenen Körpers im kalten, nassen Gras des Oktobertags aus dem sie gekommen war. Und da wo sie lag, würde auch bald der Frost sie erreichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)