Gerrit und Rahel von abgemeldet (Man nannte uns Spinner) ================================================================================ Kapitel 2: Niemals Ruhe vor Rahel --------------------------------- 2/5 Die Schule war eine Festung. Ein immer wieder von vorne beginnender Kampf gegen die Gesetze der Gesellschaft. Und ich war der Verlierer. Keine Frage. „He, Gerrit… Ich hab deine Mutter gesehen. Heisses Gestell. Vor allem die fehlende Kleidung.“ Ich versuchte Martin Getscher einfach zu ignorieren. Und ich wünschte, er würde es nur einmal bei mir versuchen. Martin war in meiner und Rahels Klasse. Er war blöd und hatte es auf mich abgesehen. Und momentan stand diese Krönung der misslungen Fortpflanzung dicht hinter mir. So dicht, dass ich seinen verdammten Atem in meinem Nacken spürte. „Ist das wirklich Theater? Ich dachte zuerst es wäre ein Porno ohne Sex, aber da hab ich echt deine Alte auf dem Bild erkannt… Scheisse, Mann.“ Das war auch so eine Sache mit Moms Theater. Kleidung würde von der Mimik ablenken und somit trugen die Schauspieler kaum bis gar nichts. Dass niemand bei nackten Leuten auf die Mimik achtete, war bei meiner Mom und ihren Arbeitskollegen immer noch nicht so ganz angekommen. „Komm schon. Sag mal was.“ Martin stand nun so dicht hinter mir, dass ich mit meiner Nase fast die Wand des Schulgangs berührte. Plötzlich verschwand seine schreckliche Nähe. „Martini, du verdammte Fotze.“ Rahel - meine Rettung – kam endlich aus dem Mädchenklo und stiess Martin etwas zurück. „Lass meinen Bruder in Ruhe und fick dich. Das kannst du doch so gut. Ich schwöre. Davon bin ich fest überzeugt.“ „Hat dich einer gefragt, Mannsweib?“ Martin vergeudete seine zu viel angestaute Energie, indem er sich mit Rahel streiten wollte. Er hatte keine Chance. NIEMAND hatte eine Chance. „Hat dich einer eingeladen? Was machst du eigentlich hier?“ Rahel sah sich um. „Das hier ist eine Schule für Jugendliche. Der Kindergarten ist paar Strassen weiter, Kleiner.“ Ich drehte mich langsam um und deutete Rahel mit dem Kopf an, dass wir dringend verschwinden sollten. Noch eine Schlägerei und Rahel war am Arsch. Die würden meine Schwester mit dem dritten Verweis schmeissen. Keine Frage. Martin grinste. „Scheisse, hast du auch in eurer Beziehung die Hosen an? Oder bezahlt dich Gerrit dafür, dass du seinen verdammten Arsch rettest?“ „Ich rette ihn doch nicht.“ Rahel schnalzte mit der Zunge. „Ich zeig ihm nur wie so Typen wie du gefickt werden, klar? Also lauf und geh spielen, bevor ich wirklich die Nerven verliere, Martini.“ Rahels Wortwahl war wieder so zärtlich wie Stacheldrahtzaun. „Hast du nicht gehört? HAU AB, verdammt! Oder ich begeh echt einen Mord.“ Martin war keiner von den gerissenen Bösen aus Serien. Er war eigentlich nur ein Stück Holzbrett mit Langeweile. Er würde einen Scheiss machen und genau DA Stehen bleiben, wo er bereits stand. „Sonst was? Willst du mich dann schlagen?“ Rahel sah mich an. Ich schüttelte den Kopf. Sie dachte eine Weile über meine Bitte nach und sah wieder zu Martin. Sie würde ihn schlagen. Keine Frage. „Rahel…“ Ich machte einen Schritt nach vorne. „Lass es, komm schon. Ignorier diesen Typ und lass uns gehen…“ „Ja, Rahel. Hör auf deinen Lover und verpiss DU dich.“ Martin verschränkte die Arme. „Was ist eigentlich nochmal mit deinen Haaren passiert? Hast du in die Steckdose gefasst?“ Rahel gähnte demonstrativ und trat Martin dann dahin, wo es weh tat. Er hatte seine Deckung vernachlässigt. Ein Fehler, der bei einem Tritt von Rahel Impotenz als Folge haben konnte... ----- „Sag schon.“ Rahel war wieder auf das alte Thema gekommen. „Warum wehrst du dich so selten, Gerrit? Martin ist ein Witz, verdammt! Dass du unsere Oma und alte Frauen nicht treten willst, kann ich ja irgendwie noch verstehen, aber was zum Henker hält dich bei diesem Arsch davon ab?“ Rahel schlenderte neben mir die Treppe der Schule nach unten. Sie hatte einen Brief der Schule in der Schultasche und Mom würde nur wieder seufzen, unterschreiben und die Sache damit sein lassen. Dass wir Rahel irgendwann sogar aus dem Knast freikaufen mussten, war nur noch eine verdammte Frage der Zeit. Meine Schwester war eine tickende Bombe. „Der Typ sieht aus wie Rambo, Rahel.“ „Ja und? Peppe sieht aus wie Madonna hundert Jahre jünger und bekommt trotzdem immer wieder seine schrullige Freundin zurück. Mit Aussehen hat das als nichts zu tun.“ „Lügnerin.“ Ich steckte meine Hände in die Taschen meiner Hose und sah auf den Asphalt unter meinen Füssen. „Ich hab genug Probleme, Rahel.“ „Ach was.“ Rahel nahm meine Hand und verschränkte ihre Finger mit meinen. Meine Hände waren etwas grösser als ihre. Aber das war gut so. Irgendwas an mir musste ihr ja irgendwie voraus sein. Immerhin war ICH der Mann. „Darf ich dein Skateboard haben?“ Rahel musterte mein Brett, dass ich mir unter den linken Arm geklemmt hatte. „Nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Du machst immer die Achsen kaputt.“ „Dann kauf dir bessere.“ Rahel liess meine Finger los und legte einen Arm um mich. „Weisst du, Gerrit… Wenn du nicht mein Bruder wärst, hätte ich dich schon lange abgestochen. Echt.“ „Nie im Leben.“ Ich war mir da aber ehrlich gesagt selbst nicht so sicher… „Du hast Recht.“ Rahel drückte mich fester an sich. „So doof bist du gar nicht, Gerrit-Boy. Und jetzt gib mir das Skateboard oder ich leg dir wieder einen Regenwurm ins Bett.“ „Es ist auch dein Bett, Rahel.“ „Ich weiss.“ Rahel grinste mich an. „Aber ich ekel mich nicht vor diesen Viechern. Also?“ Sie streckte ihre Hände aus. Sie wusste, was sie wollte und sie wusste, wie sie es bekommen würde. Ich hatte keine Chance. Ich seufzte, reichte ihr mein Skateboard und verabschiedete mich jetzt schon von meinem winzigen Taschengeld. Es würde alles für neue Achsen draufgehen. -.-.-.- Unsere Mom war wieder einmal bei einer Probe und ich lümmelte mich in meinem Sessel herum. Es sollte ein guter Tag werden. Immerhin war heute Samstag. Rahel kam gegen ein Uhr mittags ins Wohnzimmer geschlurft und hatte ihre Schlafsachen noch an. Genau wie ich. Am Wochenende wohnte hier jeder in seiner Schlafausstattung. „Morgen“, sagte ich und hob die Schüssel mit Müsli, die ich mir vor ewiger Zeit gemacht hatte. Inzwischen waren die Flocken eklig aufgeweicht. „Morgen...“ Rahel gähnte und streckte sich ordentlich. Sie stand immer so spät auf. Ich wurde wegen ihrem unruhigen Schlaf immer früh wach. „Mach mal Platz…“ Sie kletterte auf meinen Schoss und nahm mir das Müsli ab. Sie nahm sich einen Löffel davon und verzog das Gesicht. „Wäh. Ist ja schon aufgeweicht…“ Ich grinste leicht und legte meine Hände auf ihre Hüfte. „Das kommt davon, wenn man seinem Bruder immer alles abholt.“ „Schande über mich.“ Rahel stellte die Schüssel auf den Boden und legte ihren Kopf auf meine Schulter. „Wo ist Peppe?“ „Unterwegs. Ich glaub, er hat heute Training.“ „Ich versteh immer noch nicht, wie man jemanden wie Peppe auf einen Fussballplatz lassen kann…“ Rahel pustete gegen meinen Hals. „Der Kerl ist eine Gefahr für den Kunstrasen.“ Ich schob meine Hände unter ihr Schlafshirt und berührte ihren warmen Rücken. Ich schob meine Finger weiter nach oben, bis ich den Verschluss ihres BHs spürte. „Sind die Teile nicht unbequem?“ Rahel nickte. „Die Pest, glaub mir. Willst du ein paar haben?“ Ich schüttelte den Kopf. „Lass mal…“ Rahel nickte. „Dacht ich mir. Verpasst nichts, glaub mir.“ Nach diesem wenig geistreichen Gespräch schauten wir ein paar Sendungen im Fernseher an und taten das, was wir jeden Samstag bis zur gnadenlosen Erschöpfung taten. NICHTS. Ein alles überwucherndes NICHTS. Gegen Abend kam Mom nach Hause und platzte in eine angeregte Diskussion ihrer Kinder hinein, was man auf eine einsame Insel alles mitnehmen würde. Man durfte zwei Sachen mitnehmen. „Eine hübsche Frau und einen mit Solarenergie betriebenen Fernseher.“ Peppe war sich seiner Sache ganz sicher. „Was willst du mit einem Kühlschrank, Gerrit? Die Insel hat keinen Strom.“ Ich schüttelte den Kopf. „Eine Kühltruhe, kein Kühlschrank. Die wird mit so Akkus betrieben und wenn die ausgehen, ersauf ich mich im Meer.“ Rahel schlug mit ihrer Faust auf den Küchentisch. „Ha! Ich würde einen Helikopter mitnehmen, den ich fliegen könnte. Dann kann ich immer hin und her fliegen und mich verkrümeln, wenn es mir auf der Insel zu doof wird.“ „Und was noch?“ Ich stiess meine Schwester an. „Es müssen ZWEI Sachen sein.“ Peppe nickte eifrig. „Klare Sache, Rahel. Selbst du Kratzbürste stehst nicht über dem Gesetz.“ Rahel nickte. „Schon gut, heult nicht gleich. Als zweites würde ich dann Gerrit mitnehmen.“ „Den?“ Peppe schüttelte den Kopf. „Als deinen Lakai, oder was?“ Rahel schüttelte ebenfalls den Kopf. „Gerrit hat ziemlichen Unterhaltungswert, du Trottel. Dein beschissener Solarenergie-Fernseherscheissdreck kann dagegen einpacken, Peppe.“ „Rahel…“ Mom hatte den Brief von der Schule gefunden. Er lag seit gestern Abend auf der Arbeitsfläche neben der Spüle und hatte gelangweilt auf diesen Moment gewartet. „Was ist das hier?“ Sie klang wie immer ruhig. „Hohe Worte“, sagte Rahel sarkastisch. „Den Göttern scheint mal wieder die Sonne aus dem Arsch und sie wollen dir nur einen Gruss ausrichten.“ „Du hast dich schon wieder geschlagen?“ Mom sah Rahel ernst an. „Was war es diesmal?“ „Ich hab mich nicht geprügelt. Ich hab Martin den Idioten nur kurz getreten. Er wollte sich einfach nicht verpissen.“ Rahel verschränkte die Arme. „Willst du jetzt meine Innereien herausnehmen und mich ins Fegefeuer stecken, Mom?“ Mom seufzte und schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht, Rahel.“ „Also.“ Meine Schwester nickte zufrieden. „Dann ist die Sache erledigt.“ „Ein Bett“, sagte ich plötzlich und stiess Rahel an. „Ich hol noch ein Bett mit.“ Rahel dachte darüber nach. „Und dann? Man kann auch auf Sand schlafen.“ „Ich nicht.“ Ich war fest entschlossen. Ich würde dieses eine Mal gewinnen. Nur einmal. „Vergiss es, Gerrit-Boy.“ Rahel stand auf. „Mom, sag deinem verdammten Sohn mal, dass er ein riesen Waschlappen ist.“ „He!“ Peppe schnaubte. „Kann ja nicht jeder so…“ „Ich mein Gerrit, Peppe.“ Rahel boxte ihren älteren Bruder gegen den Arm. „Dich Fotze fragt gerade keiner.“ „Rahel…“ Mom sah ihre Tochter ruhig an. Sie legte die Hände vorsichtig auf die Tischplatte und dachte nach. „Ist doch schön, wenn dein Bruder sich nicht von der Gewalt fangen lässt.“ „Er ist das totale Opfer in der Schule, Mom!“ Rahel funkelte mich an. Ich war schon wieder ohne zu fragen im Mittelpunkt des Geschehens. „Er könnte zumindest einmal den Mund aufmachen! Aber nein!“ „Lass ihn doch.“ Peppe grinste gehässig. „Gerrit ist nun mal ein ruhiger Typ. Ein riesen Langweiler.“ „Fick dich, Peppe.“ Rahel schnaubte. Sie war schlecht gelaunt. Keine Frage. „Du bist ein riesen Idiot.“ Rahel kletterte gegen Abend neben mich ins Bett und klopfte mir auf den Brustkorb. Wir würden wohl nie erwachsen werden… Rahel liess sich plötzlich auf mich fallen und ich hatte das Gefühl, ich müsste kotzen. Mein Mageninhalt wurde unaufhaltsam Richtung Mund gedrückt. „Geh runter!“ Ich schnappte wenig erfolgreich nach Luft und Rahel grinste gehässig. „Das hast du dir selbst zuzuschreiben, du Blödmann.“ Meine Schwester strich mir durch die Haare und setzte sich dann neben mich. Erleichtert und dankbar für die Atemluft setzte ich mich ebenfalls auf. „Du willst mich echt umlegen, oder?“ „Natürlich.“ Rahel zuckte mit den Schultern. „Ich sorge nur dafür, dass du nicht ganz verweichlichst. Klar, Gerrit-Boy?“ Ich liess mich zurück auf die Matratze fallen und sah an die Decke. „Bist du sauer auf mich?“ Rahel beugte sich so über mich, dass ihr Gesicht mir die Aussicht auf die Decke versperrte. „Sag schon.“ „Immer.“ Ich schob den Kopf meiner Schwester zur Seite und sie seufzte. „Dacht ich mir doch. Du kannst keine Kritik vertragen, Baby. Immer fängst du an zu zicken, wenn man dir die Wahrheit sagt.“ „Du übertreibst ja auch immer.“ Ich setzte mich wieder auf. „Es ist meine Sache, ob ich mich wehre oder nicht, klar? Mein Leben. Nicht deins, Rahel. Wenn ich mich nicht mit so Idioten wie Martin prügeln will, tu ich es auch nicht.“ Meine Schwester boxte mich hart gegen die Schulter. „Ach?“ „Ja, ach! Du bist weder mein Babysitter, noch meine blöde Ersatzmama! Kapier das endlich, verdammt…“ Rahel drückte mich zurück auf die Matratze. Meine Hände drückte sie nutzlos neben meinen Körper. Sie würde mich in Stücke reissen. Und ich würde verlieren. Wie immer… „Du bist mein Bruder, Gerrit. Natürlich hab ich was zu sagen. Du hast kein Leben, Idiot. WIR haben eines, klar? Es gibt kein DU und MICH. Es gibt UNS. Du hast es mir versprochen.“ Ja. Und da war ich sechs Jahre alt und wurde mit einer Schaufel aus dem Sandkasten bedroht. „Und wenn nicht?“ Ich versuchte Rahel direkt in die Augen zu schauen. Die Brauen meiner Schwester zogen sich verärgert zusammen. „Wie was wenn nicht?“, fragte sie gereizt. „Willst du jetzt echt mit mir diskutieren?“ „Ja.“ Meine Stimme krächzte so sehr, dass ich mich kaum selbst verstand. Rahel starrte mich finster an, dachte angestrengt nach und ich hatte die ersten Minuten immerhin bereits überlebt. Eine gute Leistung, meiner Meinung nach. Rahels Finger strichen plötzlich über die Haut meiner Unterarme. Ich zuckte zusammen. Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Es war überall gleichzeitig. „Du kannst nicht diskutieren, Gerrit. Du bist viel zu blöd dafür.“ Ich öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder. Die Finger wanderten weiter. „Du bist zu WEICH für dieses Business, Gerrit-Boy. Glaub mir.“ Rahels Finger berührten jetzt meinen Hals und wanderten zu meinem Schlüsselbein, indem sie sich unter mein T-shirt schoben. „Du bist eine Niete in diesem Gebiet. Das weisst du auch. Also lass den Scheiss und hör einmal in deinem Leben auf mich.“ Rahel hatte so kurze Fingernägel wie ich, aber es reichte, um mich damit leicht schmerzhaft zu kratzen. „Au!“ Ich bog den Rücken durch. „Bist du irre?!“ Meine Schwester nickte und drückte ihren Mund auf meine Stirn. „Klar doch. Wieso auch nicht?“ „Du nervst!“ Ich schob Rahel von mir weg. Ihre Nähe machte mich nervös und ich wollte laufen. Egal wohin. Einfach weg von Rahel. „Du auch, Gerrit.“ Rahel stand von mir auf. „Du wirst mich nicht los, Gerrit. Stell dich also nicht so an.“ Ich schnaubte und drehte mich auf den die Seite. Ich wusste selbst, dass Rahel mich nicht in Ruhe lassen würde. Nie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)