Nullpunkt von Memphis ================================================================================ Kapitel 15: Enthaltsamkeit rächt sich immer. Bei dem einen erzeugt sie Pusteln, beim anderen Sexualgesetze. ----------------------------------------------------------------------------------------------------------- Nico hatte eine Matratze aus dem alten Schlafzimmer meiner Großeltern in das leere Zimmer geschleppt, wo sie jetzt kahl auf dem blanken Boden lag. In der Ecke war ein kleiner Stapel an Büchern, auf die er meine Nachttischlampe gestellt hatte und daneben stand seine Sporttasche, die er mitgebracht hatte und sein PC. Ich hatte ihm gesagt, dass er das Zimmer haben konnte. Es war Zeit für Veränderung und vielleicht war das die beste Möglichkeit um endlich vergangenes hinter mir zu lassen. Der Raum wirkte immer noch recht trist mit der spartanischen Einrichtung und der kaputten Tapete, aber hier schrie nichts mehr nach alten Erinnerung. Der Raum schwieg jetzt genauso wie die Küchenuhr, die in ihren kleinen Einzelteilen im Müll gelandet war. Es fühlte sich auch nicht mehr beklemmend an den Raum zu betreten und Nico schien zufrieden. Genauer gesagt hatte er viele Pläne, was er alles machen wollte. Wenn ich an sein voriges Zimmer dachte, schien dieses hier einen krassen Kontrast dazu zu bilden. Vermutlich war es das erste Mal, dass er selbst über sein Reich bestimmen konnte. Ich merkte, wie es mir immer schwerer fiel, mir Nicos Welt überhaupt vorzustellen. Ich dachte zu anfang, er wäre einer von den beliebten Kerlen, denen alles in den Arsch geschoben wurden. Also nicht aufs Schwulsein bezogen - ich war ehrlich gesagt etwas überrascht, dass er tatsächlich auf Kerle stand – sondern er hatte sehr verwöhnt auf mich gewirkt. So, als hätte es das Leben immer gut mit ihm gemeint. Mittlerweile musste ich feststellen, dass Nico sich zwar mit den meisten Leuten gut verstand, aber immer einen gewissen Abstand zu ihnen wahrte. Sein Leben ging niemand etwas an und in dieser Hinsicht war er mir so ähnlich, dass es mich manchmal irritierte. Über sein Familienleben konnte ich mir allerdings kein richtiges Bild machen. Seine Mutter war wütend und enttäuscht, sie hatte aber nicht wie eine Frau gewirkt, der ihr eigener Sohn egal war, nicht wie meine Mutter. Ich war irritiert von Nico. Und ich wusste, dass wir mittlerweile über die Stufe hinaus waren, dass wir einander egal waren. Er machte sich auf seine verschrobene Art Sorgen um mich und ich versuchte ihn irgendwie besser zu verstehen. Allerdings war uns beiden klar, dass wir nie mehr als friends with benefits wurden. Man war befreundet, man hatte ab und zu Sex miteinander, man war kein Paar. Beziehungen war so das letzte was wir gebrauchen konnten... Und Nico war nicht Eddy. Eddy war allerdings nicht da, ich hörte nichts von ihm und ich wollte mich nicht mehr bei ihm melden. Gerade stand einfach zu viel zwischen uns und ich fühlte mich außer Stande daran etwas zu ändern. Es gärte immer noch in mir, dass er lieber dieses Flittchen rechtfertigte, als mir zu glauben. Er würde mich doch immer wieder, jedem Mädchen vorziehen, oder? Er war für mich meine Welt, es hatte keinen anderen Menschen mehr für mich gegeben. Ohne ihn wäre ich schon völlig zu Grunde gegangen. Trotzdem würde Eddy mich für eine Tussi immer hängen lassen. Dieser Gedanke tat wirklich weh. Es war kein gutes Gefühl, wenn man wusste, dass man für den wichtigesten Mensch im eigenen Leben nicht das gleiche war. Ich war ein Kumpel, vielleicht auch manchmal wie ein Bruder gewesen, aber nicht die Welt. Er würde viel für mich tun, aber nicht alles und ich musste die Grenzen unserer Freundschaft kennen lernen. Es war ziemlich bitter, dass die bei einem Mädchen lag. Es wäre auch ziemlich egal gewesen, ob Sophie jetzt ein nettes Mädel gewesen wäre und nicht so eine hohle Nuss. Sie wäre trotzdem noch diejenige, die wichtiger für ihn war, als ich. Ich war schlichtweg eifersüchtig. Das war wirklich mies. Ich sollte mich nicht daran stören, dass er endlich mal ein Mädchen gefunden hatte, ich hätte mich freuen müssen. Aber ich hatte Sophie von Anfang an nicht gemocht und wahrscheinlich war es eher Zufall, dass meine Aversionen gegen sie begründet waren. Nicht das mir das Eddy überhaupt glaubte, zumindest war ich vor mir selbst im Recht. Ich durfte Sophie schlecht finden, weil sie sich an mich rangemacht hatte. Ich mochte sie aber nicht, weil sie etwas mit Eddy gehabt hatte und das durfte ich nicht. Freundschaften gingen kaputt, wenn man plötzlich die falschen Gefühle entwickelte. Aber was hieß hier plötzlich. Sowas passierte wenn dann nur schleichend, was es nicht besser machte, vor allem, wenn man nichts dagegen tun konnte, irgendwie. Das Thema bereitete mir Kopfschmerzen und das ich Nico im Moment nicht mal anfassen durfte, obwohl die ganze Sache auch schon zwei Wochen her war, machte es nicht besser. Okay, es war auch offensichtlich, dass Nico nicht nur hier bleiben durfte, damit ich mit ihm schlafen konnte. Ich mochte es auch, dass er fast jeden Tag kochte und die Küche aufräumte. Seit er sein eigenes Zimmer hatte, war es auch irgendwie entspannter und das obwohl wir trotzdem meistens bei mir auf dem Bett saßen. Was wohl auch daran lag, dass hier der Fernseher stand und man hier in der Wohnung nicht viel tun konnte. Aber ich musste Nico nicht immer sehen und er konnte mir auch aus dem Weg gehen, wenn ich wirklich unleidlich war. Dafür wusste ich auch, dass er freiwillig in meiner Gesellschaft war, wenn er bei mir saß. Manchmal war allein schon dieses Gefühl besser, als das meiste andere, auch wenn es den Sex nicht ganz ersetzen konnte. Vor allem dann nicht, wenn Nico vor mir auf dem Bett lag, ohne sein T-Shirt und auf einem Stift rumkaute, während er irgendwelche Hausaufgaben machte, auf die ich keinen Bock hatte. Mein Blick wanderte über seinen Körper, der zur Zeit bei weitem nicht so zerschunden aussah, wie sonst. Man sah nur noch leicht einen Kratzen an der Seite, der von meinen abgekauten Fingernägel stammten. Ich fuhr mit meiner Fingerkuppe darüber und Nico zuckte etwas erschrocken zusammen und schaute über die Schulter zu mir. Er hatte die Augenbrauen grimmig verzogen und es war ein offensichtliches Nein. Ich stöhnte genervt und ließ meine Hand wieder sinken. Ich hätte schon nichts gemacht. Nico wandte sich wieder seinem Block zu und ich zappte mich durchs Fernsehprogramm. Ich hatte keine Lust aufs Zeichnen, ich wusste nicht mal, ob ich überhaupt noch auf eine Mappenberatung wollte. Je länger ich es hinauszögerte, desto größer wurden meine Zweifel bei der ganzen Angelegenheit. Keine Ahnung, mein Leben fiel mir gerade echt nicht leicht. „Mein Vater hatte auch eine Affäre“, kam es plötzlich unvermittelt von Nico und ich verstand erst nicht, warum er mir das sagte. Erst als ich den Sprecher der Sendung, bei der ich beim Zapping hängen geblieben war, hörte, wurde mir klar, dass er sich darauf bezog. Es war einer dieser Reality-Shows und es ging, um einen untreuen Ehemann und darum, wie er versuchte sich seiner Familie zu liebe zu bessern. Total der Schwachsinn. „Sind deine Eltern geschieden?“ Ich kannte mich mit Väter nicht aus, ich konnte mir nicht mal richtig vorstellen, wie es sein sollte, einen zu haben. „Nein“, antwortete er knapp und legte den Block beiseite, um sich auf den Rücken zu drehen. So konnte ich sein Gesicht sehen, dass mich ernst anschaute. Es wirkte so, als wäre es ihm lieber gewesen, wenn sich seine Eltern geschieden hätten. „Und bei dir?“ Ich zuckte als Antwort unbestimmt mit meinen Schultern. Über meinen Vater gab es wirklich nichts zu sagen, ich wusste nicht mal, ob ich ihm überhaupt ähnlich sah. „Meine Mutter hat sich mit sechszehn von irgendeinem Typen schwängern lassen“, erzählte ich schließlich doch. Soviel konnte Nico wissen, es war okay. „Sowas suckt.“ Es tat Nico leid, er wusste aber, dass ich mit zu viel Mitleid einfach nichts anfangen konnte. Ich zuckte nur wieder mit der Schulter. Die Sache mit meinem Vater, den ich nicht kannte, war eigentlich etwas, was mich nie groß gekümmert hatte. Nico streckte seine Hand nach mir aus und berühte mich im Gesicht, dort wo ich mich heute beim Rasieren geschnitten hatte. Ich lächelte ihn an, das war erste die Berührung seit zwei Wochen, die von ihm ausging. Er packte mich an meinem T-Shirt und zog mich ruckartig zu sich runter, um mich in einem Kuss zu verwickeln. Gegenseitiges Wundenlecken, diesmal war Nico dran. „Verdammt, du warst diesmal echt grob“, beschwerte ich mich, als er mich dazu antreiben wollte, wieder aus dem Bett zu kriechen, um mit ihm einkaufen zu gehen. Ich wollte definitiv nicht mehr viel tun. „Sagt der Richtige...“ Nico zog eine Augenbraue hoch und schaute mich abschätzend an. Ich würde einen Dreck tun und immer noch ein schlechtes Gewissen haben wegen letztes Mal. Nico sollte sich jetzt entschädigt fühlen und basta. „Ich hab keinen Bock auf einkaufen.“ Einer der vielen, vielen Sachen, die ich am Haushalt nicht mochte. Wahrscheinlich wäre es einfacher, aufzuzählen was ich daran mochte. Wenn ich mir das so überlegte... Es gab nur ein paar Dinge, die ich weniger schlimm fand, als die anderen. Müllrausbringen war okay, das konnte man machen, wenn man sowieso nach unten ging und die Geschirrspülmaschine ausräumen war auch noch erträglich. Alles andere vermied ich soweit es ging. „Wenn ich heute einkaufe, wäschst du aber die Wäsche!“, forderte Nico. Verdammt, das war ja noch schlimmer. Zu dumm, dass Nico waschen genauso beschissen fand, wie ich. Das meiste andere, übernahm er eigentlich ohne groß zu murren. Nur das nicht... „Warte, ich zieh mir nur noch schnell was über.“ Ja, was man doch noch alles hinbekam, wenn man vor seine Möglichkeiten gestellt wurde. Ich hievte mich aus dem Bett und stellte fest, dass es eigentlich ging. Ich schlüpfte trotzdem etwas steifbeinig in meine Hose und zog mir einen dünnen Pullover über, der vermutlich auch mal demnächst gewaschen werden sollte. Hrm... wie auch immer. Nico beobachtete mich mit einem Grinsen, das eine gewisse Genugtuung zeigte, während ich mich anzog. Anscheinend freute er sich über seinen kleinen Sieg über mich. Wer hätte gedacht, dass Haushalt auf Erpressung und Korruption hinauslief. Kein Wunder, dass die Welt so verdorben war, wenn es schon in den eigenen, vier Wänden anfing. Ich zog mir meine Schuhe an und schaute etwas kritisch auf die zerlatschten Chucks von Nico. Der wollte mit den Schuhen wirklich in den Regen raus? Aber sich darüber beklagen, das ich ungesund lebte, schon klar. Ich sagte allerdings nichts dazu, ich war nicht seine Mami, die auf ihn acht geben musste. Mit Pfandgut und Einkaufstüten beladen, latschten wir dann durch den Regen und aus Nicos Schuhen hörte man lustige, schmatzende Geräusche, die darauf hindeuteten, dass seine Schuhe zu einem Feuchtbiotop mutiert waren. Er beklagte sich allerdings nicht darüber, es schien ihm irgendwo egal. Allgemein, seit er bei mir wohnte, schien er vielen Dingen, die ihm zu Anfang noch wichtig waren, völlig indifferent gegenüber zu stehen. Ich kannte Nico schon seit ein paar Jahren, zumindest vom Sehen. In der Zeit waren seine Haare nie länger als geschätzte sechs Millimeter gewesen. Im Moment waren sie vermutlich so knapp zwei Zentimeter und damit richtig, richtig lang für seine Verhältnisse. Er sah damit aber ungewohnt nachlässig aus. Seine Klamotten waren auch nicht mehr gebügelt, sondern genau wie meine wundervoll zerknittert und nicht immer frisch gewaschen. Ich musste ehrlich zu geben, dass Nico mittlerweile immer mehr wie ein Punk aussah, was durch seine Piercings verstärkt wurde. Mir war es eigentlich egal. Es war nur komisch, weil ich wusste, dass Nico die Attitüde eines Punks völlig abging. Er hielt weder etwas von Anarchie, noch schnorrte er gerne Leute an. Er konnte sich gut in die Gesellschaft eingliedern und ich glaube, das einzige wo gegen er jemals rebellieren wollte, waren seine Eltern. „Warum läufst du eigentlich rum wie ein Punk?“ Bevor ich mir wieder unnötig den Kopf über ihn zerbrach, konnte ich ihn auch einfach fragen. Nico schaute mich irritiert an, blickte dann an sich herunter und schien zu überlegen, was ich meinte. Seine Jeans hatte ein Riss über dem Knie, seine Chucks hatten definitiv schon bessere Zeiten gesehen, gerade bei dem Wetter, und eigentlich würde nur noch ein Palli und ein Iro fehlen. „Das is nich Punk“, wurde mir erklärt und ich schüttelte nur ungläubig den Kopf. „Was soll das sonst sein?!“ „Grunge, ich steh auf Kurt Cobain.“ Er grinste mich dabei an und ich fragte mich wirklich, wie er dann an einen Kerl wie mich geraten war. Ich wusste, dass ich dem Typ definitiv kein Stück ähnlich sah. Das einzige was ich mit ihm vermutlich gemeinsam hatte, war das wir ständig abgefuckt und müde aussahen und etwas mager waren. „Hatte der nicht lange Haare?“ „Hm...“ Nico fuhr sich über seine Haare und ich hoffte für ihn, dass er nicht ernsthaft darüber nachdachte, sie sich lang wachsen zu lassen. Das würde ihm nicht stehen, er würde schrecklich damit aussehen. Mit langen Haaren würde ich ihn nicht mehr anrühren, naja, wahrscheinlich doch, aber ich würde es nicht gut heißen. „Ich find mich cooler mit den kurzen Haaren“, kam es dann lapidar von ihm und er hatte dieses arrogante, selbstbewusste Grinsen auf den Lippen. Naja, wengistens wusste er, was ihm stand. Wenn man mal von dem vielen Metall in seinem Gesicht absah, das ich nur mochte, weil es beim Küssen irgendwie interessant war. Ich schlug ihm auf den Hinterkopf, es war unhöflich so offen arrogant zu sein. Er boxte mich gegen die Schulter und ich verlor dabei beinahe die Tasche mit den Pfandflaschen. Ich zog es in Erwägung, ihm einfach einer dieser leeren Plastikflaschen über den Kopf zu ziehen. Aber wir waren ja alle zivilisierte Erwachsene und wussten uns zu benehmen. Ich trat nach Nico, der mir lachend auswich. Wir gingen ein paar Schritte im Schweigen weiter, nur begleitet von dem Geräusche der schmatzenden Schuhe. Die Leuchtreklame des Supermarkt konnte man allerdings schon am Ende der Straße sehen, wurde auch mal Zeit. „Meine Mutter hat gestern bei Tobias angerufen.“ Nico kickte einen Stein weg und von der heiteren Stimmung war plötzlich nicht mehr viel übrig. „Wer ist Tobias?“ Keine Ahnung, warum ich gerade das fragte. Er schaute mich auch mit einem irritierten Blick an. Okay, es war wirklich nicht weiter relevant, wer Tobias war. Ich bildete mir ein, mich vage daran zu erinnern, dass einer aus unser Stufe so hieß. „Ein Kumpel von mir... Meine Mutter versucht anscheinend gerade rauszufinden, wo ich bin.“ Stimmt ja, seine Mutter war der Punkt, nicht Tobias. „Willst du wieder zurück?“ Ich wusste, dass er diese Frage nicht bejahen würde, sonst hätte ich ihn nicht gefragt. Er schüttelte wie erwartet mit dem Kopf. „Ich sollte mich aber mal bei ihr melden, denk ich...“ Würde ich das sagen, nachdem mich meine Mutter mit so einem angewiderten Blick angesehen und mich rausgeschmissen hatte, so wie es seine getan hat? Ich würde einen Dreck tun, aber Nico war anders wie ich und vielleicht verstand ich auch einfach nicht alles, was zwischen ihm und seinen Eltern vor ging. „Vielleicht“, antwortete ich deswegen, weil ich sonst nicht so genau wusste, was ich zu ihm sagen sollte. „Ich hasse es mit meiner Mutter zu telefonieren.“ Wahrscheinlich war ihm das schon längst klar, immerhin hat er schon ein Gespräch zwischen mir und meiner Mutter mitbekommen. Aber so gesehen, war es dann auch egal, wenn ich es ihm nochmal sagte. „Was is eigentlich mit ihr?“, fragte er nach. „Is in Amerika mit ihrer neuen Familie“, war meine knappe Antwort. Mehr gab es da nicht zu wissen. „Bitter.“ Er kickte wieder den Stein vor sich und schaute mich dabei nicht an. Wir wollten nicht in Mitleid baden. Man musste doch zugeben, das wäre auch verdammt uncool, oder? „Naja, ich mochte Amerika noch nie.“ Ich zuckte mit der Schulter, damit war das Thema für mich erledigt. Nico verstand das und die Ladentür des Supermarktes öffnete sich mit einem leisen Surren. Ich räumte die Einkäufe ein, während Nico im Flur stand und die Nummer seiner Mutter wählte. Ich fühlte mich angespannt und mir wäre es lieber gewesen, wenn er nicht zuhause anrufen würde. Mir war schon klar, dass es irgendwo kindisch war. Aber ich hatte das Gefühl, als würde der Anruf etwas kaputt machen, weil eine Person eingeweiht wurde, die nicht hier her gehörte. Peter Pan und sein verlorener Junge? Egal, ich kam einfach nicht mit Müttern klar. „Hey, ich bin´s“, hörte ich Nicos Stimme aus dem Flur. Er klang ganz lässig, aber vermutlich würde seine Körpersprache etwas anderes sagen. Ich hatte aber nicht vor nachzuschauen. Mich ging das Gespräch eigentlich nichts an, aber es war schwer in der Wohnung hier etwas nicht zu hören. „Bei einem Kumpel. - Ja, der. - Gott, fang nicht schon wieder damit an! - Mir geht es gut...“ Nico seufzte genervt und ich donnerte eine Konserve Thunfisch in den oberen Schrank, so dass ich nicht hören konnte, was er als nächstes sagte. Ich wollte ihn sowieso nicht belauschen. „Enno?“, rief er plötzlich und ich hätte beinahe den Becher Sahne fallen lassen, den ich gerade in der Hand gehabt hatte. „Kann sie vorbei kommen?“ Nein. Die hatte hier nichts in meiner Wohnung zu suchen. Sie hielt mich für Abschaum und wollte sich doch nur bestätigt darin fühlen, wenn sie sich hier umsah. Wie kam die überhaupt auf die Idee, dass sie hier erwünscht war?! „Is mir egal“, rief ich zurück. Gelogen. Aber die Wahrheit konnte ich ihm auch nicht sagen. Es war so gesehen Nicos Sache, ob er seine Mutter hier haben wollte oder nicht. Er zahlte mir Miete und das leere Zimmer gehörte nun ihm. Ich würde aber einen Scheißdreck tun und mein Zimmer verlassen, falls sie wirklich kommen sollte. „Nein, morgen geht nicht. - Ach, da haben wir unsere Drogenparty mit anschließender Orgie, da willst du sicher nicht dabei sein. - Nein, es geht dich nichts okay? - Freitag ist in Ordnung.“ Er verabschiedete sich noch und kam dann zu mir in der Küche, half mir schweigend beim Einräumen der restlichen Einkäufe. Seine Mutter wurde also am Freitag hier vorbei kommen... „Sie darf nicht in mein Zimmer“, stellte ich klar. Nico sagte nichts dazu, er schien im Gedanken noch bei dem Gespräch zu sein. Er war überraschend höflich gewesen, ich hätte meine Mutter nach so einer Sache nicht wieder freiwillig angerufen. Ich rief meine Mutter sowieso nur aus Zwang an, ich würde ihr nie verzeihen können. Vielleicht beneidete ich Nico darum, dass er trotz allem mit seiner Mutter sprechen konnte. „Wir schwänzen morgen die Schule“, teilte er mir mit und ich wusste mit diesem Nico nichts anzufangen. Er wirkte ernst und ich interessierte ihn im Moment nicht. „Okay“, antwortete ich trotzdem. Es wurde Zeit, dass wir uns nicht mehr egal waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)