Fremd von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 18: Kapitel 18 ---------------------- 18. Kapitel Das gleichmäßige laute Brummen der Rotoren und das leicht spürbare Schwanken des Helikopters ließen Ray nach einiger Zeit in einen leichten Schlaf driften. Es war hell und die Sonne strahlte. Er stand vor einem kleinen Einfamilienhaus. Es war zweistöckig, hatte einen Dachboden mit einem roten Ziegeldach, einen Erker und scheinbar auch einen Keller. Das weiß der Hauswände reflektierte das Sonnenlicht und blendete ihn. Er musste die Augen leicht zusammenkneifen. Dann tat er näher. Immer mehr Einzelheiten wurden erkennbar, wie das bunte Blumenbeet im Vorgarten, dass von einem verzierten grünen Zaun umrandet wurde. Die drei flachen Stufen aus grauen und roten Ziegelsteinen, die zu der blau-weißen Tür führten, wurden rechts und links von kleinen grünen Hecken gesäumt. In den Fenstern standen ebenfalls Pflanzen, hingen meist farbige Gardinen und ein Fensterbild aus Glas, das ein Reisfeld zu zeigen schien, fiel dem Schwarzhaarigen besonders ins Auge. Alles in Allem war es ein einfaches aber schönes Haus im amerikanischen Stil. Plötzlich wurde die Haustür geöffnet. Ein Glockenspiel, welches über der Tür hing, klingelte leise. Ray kniff die Augen noch mehr zusammen, denn im Haus schien absolute Finsternis zu herrschen. Er konnte die Person nicht identifizieren, bis sie ganz hinaus in das Licht trat. „Kai!“, rief Ray fröhlich und rannte zu dem graublauhaarigen Russen. Doch dieser sah plötzlich auf und seine blutroten Augen spießten den Chinesen förmlich auf. Abrupt hielt Ray an und starrte zu Kai, welcher ihn hasserfüllt ansah. „Was…“, fragte Ray, doch ihm blieb der Rest im Halse stecken, als er plötzlich das Blut sah, welches Kais Kleidung tränkte. Sein weißer Schal war schon fast gänzlich rot und unter ihm bildete sich langsam aber sicher eine Lache des roten Lebenssaftes. Doch der Russe wandte seine hasserfüllten Augen nicht von Ray ab. „Verräter.“ Eisig und verachtend sagte Kai das Wort; es schnürte Ray die Kehle zu, ließ ihn hilflos nach Luft schnappen und zwang ihn schließlich in die Knie. „Nein…“, wollte er sich wehren. „Ich habe dich nicht verraten“, rief er. Doch Kai schwieg wieder. Stattdessen trat er jetzt zu Ray, hockte sich neben ihn und fuhr mit seiner, vom Blut roten, Hand durch Rays Haare, bevor er heftig daran zog. Der Chinese schrie überrascht auf. „Mörder!“, schrie Kai jetzt. Gleichzeitig ging das Haus hinter ihm in Flammen auf. Sie züngelten an den weißen Wänden empor, leckten an den roten Ziegelsteinen des Daches und färbten diese schwarz. Und dann konnte man die Schreie hören. Helle, spitze, laute Schreie. Hundert und tausendfach klangen sie in seinem Kopf wieder, hallten nach. Jeder qualvolle Laut ging ihm durch Mark und Bein. Mit trockenem Mund starrte er in Kais Augen, versuchte, sich die Ohren zuzuhalten, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Bald wurden die Schreie leiser, bis sie zuerst in ein gequältes Wimmern übergingen, dann zu einem schwachen Röcheln wurden und letztendlich verstummten. Erleichtert atmete Ray aus. Von dem Haus war nicht mehr als das schwarze, verbrannte Gerippe übrig geblieben. Plötzlich fuhr eine Hand sanft über Rays Wange. Bei dem unerwarteten Kontakt zuckte er zusammen und fixierte wieder Kai. Dessen Gesicht hatte jetzt einen eher mitleidigen Ausdruck angenommen. Er wischt meine Tränen weg, wurde Ray auf einmal klar. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er zu weinen begonnen hatte. Doch jetzt schmeckte er die salzige Flüssigkeit auf seinen Lippen, vermischt mit dem metallischen Geschmack von Kais Blut. Er schüttelte sich. Da verhärtete sich Kais Blick wieder. „Es ist deine Schuld“, zischte er, „alles ist deine Schuld, du Mörder!“ Nach Luft schnappend schreckte Ray hoch, konnte gerade noch so den Drang zu schreien unterdrücken. Der Jäger neben ihm warf ihm einen undefinierbaren Blick zu, doch Ray beachtete ihn gar nicht, da er sich eher langsam der Tatsache bewusst wurde, dass er sich noch immer im Helikopter von Biovolt befand. Er war fast erleichtert über diese Tatsache. Es war nur ein Traum gewesen. „Los, raus mit euch, aber ein bisschen plötzlich!“, raunzte der Anführer der Jäger plötzlich. Erschrocken zuckte Ray zusammen und sprang hoch. Das Geräusch des Propellers verstummte allmählich. Ihm gegenüber wurde Tala, welcher inzwischen wieder zu sich gekommen war, rüde am Kragen hochgezogen. Leise aber farbenfroh fluchte der Russe. Da wurde Ray klar, dass der Jäger eben wieder chinesisch gesprochen hatte. Tala hatte den Befehl gar nicht verstanden. Eilig verließen sie den Heli. Neugierig sah Ray sich um. Inzwischen war es dunkel geworden, doch der Hubschrauberlandeplatz wurde von großen Flutlichtern taghell beleuchtet. Dafür konnte man die Umgebung absolut nicht erkennen, sie lag in totaler Finsternis. „Beweg gefälligst deinen Arsch, Zero!“, schrie der Anführer und drängte Ray an den Rand des Landeplatzes, hinein in die Dunkelheit. Vor ihm trat Tala aus dem Lichtkegel. Es sah aus, als würde die Finsternis ihn fressen, ihn verschlucken und sich einverleiben. Leicht fröstelte Ray. Dann trat auch er aus dem Licht und fiel fast prompt eine Treppe hinunter. „Kannst du nicht aufpassen?!“ Der Jäger schien gereizt zu sein. Der Langhaarige sparte sich die Mühe, zu antworten. Sein Magen grummelte leise. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Heute früh? Oder war es schon gestern? Fünfzehn Stunden war es mindestens her und trotz der ganzen Aufregung machte sich die fehlende Nahrung langsam bemerkbar. Wie viele Stufen sie hinunter gingen, konnte Ray nicht sagen, aber es waren eine ganze Menge. Jetzt, wo seine Augen sich langsam an die Finsternis gewöhnt hatten, konnte er zumindest sagen, dass sie sich noch immer, oder schon wieder, in den Bergen befanden. Eher schon wieder. Wenn das hier tatsächlich China war, dann mussten sie im Himalaya sein. Sie schienen sich in einem Tal aufzuhalten, um sie herum ragten hohe Berge auf, deren Gipfel in der Nacht verschwanden. Der Hubschrauberlandeplatz schien sich auf einem künstlichen Plateau zu befinden. Die Treppe dagegen führte zu einer größeren Gruppe Häuser. Nicht die Art Häuser, die in dem russischen Dorf standen, eher die Art Häuser, die ‚militärische Geheimbasis‘ praktisch schrien. Große Hallen und langgezogene Häuser, allesamt aus Stahl gebaut. Auf ihren Dächern lagen Steine und Dreck, damit man die Basis vom Himmel vermutlich nicht entdecken konnte. Vorausgesetzt, das Licht wurde ausgeschaltet. Im Moment brannten eher wenige Lichter, hier und da flackerten Lampen in vereinzelten Fenstern und die Laternen, die über das gesamte, nicht gerade kleine, Gelände verteilt waren, gaben einen schwachen Lichtschein von sich. Ray bekam schon wieder Kopfschmerzen. Das kleine Grüppchen aus Espern und Zeros steuerte jetzt auf ein eher kleineres Gebäude zu. Heraus trat ein großer, kräftiger Mann. Er hatte auffällig lilafarbene Haare und trug eine Maske, die sein halbes Gesicht verdeckte. Ray erinnerte sich an ihn. Er war auch da gewesen, als man ihre Lagerhalle auseinandergenommen hatte. „Balkov!“, stellte Tala fest. Fragend blickte Ray zu dem Rothaarigen. Sie kannten sich? Bis er sich an ein Gespräch erinnerte, in dem Kai und Tala ihm von einem der Gründer Biovolts erzählt hatten - von Boris Balkov, dem Chef der Jäger und erklärter Todfeind aller Zeros. Na Hurra. „Wie schön, dass du mich erkennst, Zero. Dann muss ich mich ja nicht mehr vorstellen“, bemerkte der Mann, scheinbar auch ein Russe, leicht hämisch. „Gleich zwei von eurem Abschaum, na das nenne ich Mal eine Ausbeute! Sehr gut Lee, ich bin wirklich zufrieden mit euch.“ „Danke Boris“, sagte der Anführer der Jäger fast unterwürfig. Lee war also sein Name… „Und sieh mal einer an, wer da nach Hause gekommen ist“, meinte da Boris. Und er starrte dabei Ray an. Dieser wurde unter dem Blick unruhig. „Kennen wir uns?“, fragte er daher. Und Balkov brach in schallendes Gelächter aus. Ray wurde noch unwohler. Was wollte dieser Mann von ihm? „Ob wir uns kennen? Der war gut! Aber stimmt ja, ich hatte ganz vergessen“, plötzlich wurde Balkov wieder ernst, „dass du dich nicht erinnerst. Du hast wirklich keine Ahnung, nicht wahr? Nun, das ist amüsant.“ Und wieder grinste Balkov. Ray würde ihm am liebsten einmal ordentlich in die Fresse schlagen. „Egal, ich werde mich später mit euch beschäftigen. Bringt sie in eines unserer /Gästezimmer/!“ Die Art, mit der er das letzte Wort betonte, gefiel Ray überhaupt nicht. Keine zehn Minuten später fanden Ray und Tala sich in einer kleinen dunklen Zelle wieder, vielleicht drei Mal drei Meter groß. Die Wände und der Boden waren aus kaltem Stahl, der Raum war nicht beheizt und schon nach ein paar Minuten zitterte Ray trotz seiner warmen Jacke. Die Tür ihres Gefängnisses passte sich perfekt an die Wände an und nur weil Ray wusste wo sie war, konnte er schwach ihre Umrisse ausmachen. Eine kleine Neonröhre erhellte die Zelle spärlich. Alles in allem wurde Ray etwas an seine kurze Gefangenschaft bei Azat erinnert. Der Gedanke daran ließ ihn frösteln. „Alte Bekannte, hu?“, fragte da auf einmal Tala. Der Chinese hob den Kopf und starrte direkt in blaue stechende Augen. Bitte nicht. „Ich weiß nicht“, murmelte er geschlagen. Tala nickte, nicht ganz überzeugt. „Weiß du, wenn ich nicht genau wüsste, dass du ein Zero bist und deshalb genauso wie Kai und ich auf Biovolts Abschussliste stehst, wäre ich jetzt fest davon überzeugt, dass du uns verraten hättest.“ Die Worte schmerzten, aber Ray konnte die Gedanken des Anderen nachvollziehen. „Aber ich bin ein Zero“, flüsterte er tonlos. Tala nickte. „Das macht die Dinge komplizierter. Denn jetzt muss ich mich entscheiden, ob du wirklich nicht weißt, wer diese Leute sind und genauso ein Opfer bist wie ich, oder ob Biovolt sich dazu entschieden hat, auch Zeros auf seine Seite zu holen und für sich arbeiten zu lassen und Kai und ich deiner Charade auf den Leim gegangen sind.“ Wütend schoss Ray hoch. „Wenn du glaubst, dass ich mit diesen Leuten da draußen gemeinsame Sache mach, dann irrst du dich! Nie würde ich für sie arbeiten! Ich bin doch kein Mörder!“, rief er aufgebracht. „Aber scheinbar ein Verräter!“, zischte nun auch Tala. „Zumindest haben sie dich als einen solchen bezeichnet, wenn ich mich nicht irre!“ Hier fehlten Ray die Worte. Geschlagen sank er zu Boden und zog die Knie an die Brust, die Arme schlag er darum. Seine Hände verkrallten sich in dem Stoff seiner Hose, sodass die Knöchel weiß hervor traten, der Kopf ruhte auf den Knien. „Das haben sie“, flüsterte er leise. Sein Kopf schmerzte wieder. Ein Pochen, das ihn seit der Ankunft hier begleitet hatte. Jetzt wurde es stärker, intensiver, breitete sich aus und schien seinen ganzen Körper zu lähmen. Vor Schmerz kniff Ray die Augen zusammen. Plötzlich durchzuckten Bilder seine Gedanken, ein kleines Dorf, ein lachendes rosahaariges Mädchen und ein dunkelhaariger Junge, die ihm einen Ball zuwarfen, eine lächelnde schwarzhaarige Frau, die ihm über den Kopf streichele und ihm etwas sagte, ein braunhaariger Mann mit Sorgenfalten im Gesicht und Augen, die ihn ernst ansahen, ein kleines Mädchen, dass zusammengekauert in einer Ecke saß und ihn angsterfüllt anblickte, ein silberhaariger Mann, in einer Lache aus seinem eigenen Blut liegend, dessen hasserfüllte Augen zu ihm aufstarrten. „RAY!“ Sein Kopf ruckte hoch, sein Atem ging schwer und nur langsam fokussierte sich sein Blick auf Tala. Dessen besorgte blaue Augen sahen zu ihm herunter, seine Hände lagen noch immer schwer auf Rays Schultern. Dem Schwarzhaarigen wurde klar, dass der Andere ihn wohl geschüttelt hatte. „Was … was war das?“, fragte Ray zitternd. Talas Blick wurde nachdenklich. „Gute Frage. Im einen Moment saßt du einfach da, dann hast du dich plötzlich verkrampft und bist weiß wie eine Wand geworden. Dann fingst du an zu zittern, richtig heftig, da bin ich zu dir gekommen und hab dich geschüttelt und deinen Namen geschrien. Ich glaub, beim fünften Mal oder so bist du dann endlich wieder zu dir gekommen. Was war los?“ Doch Ray schüttelte nur hilflos den Kopf. „Ich weiß es nicht. …Ich weiß es wirklich nicht.“ Stumm starrten rote Augen auf das Dorf. Ruhig lag es da, einen Tag nach der Lawine. Außer den Schneebergen, die sich um die Häuser türmten deutete nichts mehr auf die Naturkatastrophe hin. Genauso wenig wie auf den Helikopter, der bereits vor Stunden in den weißen Wolken verschwunden war. Er festigte den Griff um die Tasche und drehte sich bestimmt um, kehrte zu dem bereits reparierten Laster zurück. „Lass uns weiterfahren“, sagte er zu dem blonden Mann, der neben der Fahrertür auf ihn gewartet hatte. Dieser nickte stumm und stieg ein. Der Motor startete mit einem lauten Brummen und bald ließen sie das große Gebirge des Urals hinter sich. Noch immer umklammerte er die Tasche, unwillig, sie aus den Augen zu lassen. „Keine Sorge…“, wisperte er rau, „…keine Sorge…“ Bis zum nächsten Mal, achat Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)