Die Stimme von Animemelli (Eslosias Held) ================================================================================ Dias Welt von Askariel ---------------------- „Ich hasse Umzüge!“ schimpfte Dia und schmiss sich auf ihr neues Bett. „Es ist doch immer das Gleiche: lauter neue Leute, die einen anstarren wie ein Alien und dann diese immer gleichen blöden Fragen: woher kommst du, warum bist du jetzt hier, was machen deine Eltern, bla bla bla.“ Sie drückte sich ihr Lieblingskissen vor das Gesicht und nuschelte: „Musste das jetzt unbedingt noch mal sein?“ Ihre Mutter brachte den letzten Karton in das frisch bezogene Jugendzimmer und schnaufte, als sie ihn abstellte. „Puhh! Sag mal, was ist denn da drin? Hast du etwa deine Steinsammlung mitgenommen?“ Dia richtete sich auf und sah auf den Karton mit der viel sagenden Aufschrift „Dias wertvollstes“. Sie sprang auf und lächelte sarkastisch. „Nein, die musste ich ja zurück lassen, wie so vieles andere auch – dank euch.“ Dias Mutter machte ein mitleidiges Gesicht. „Ich weiß, dir passt es nicht, dass wir nun doch noch mal umziehen mussten aber diesmal ist es das letzte Mal gewesen, das verspreche ich dir.“ Dann nahm sie ihre Tochter in die Arme und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Na klar, Mama, wenn du das sagst“, antwortete Dia aber sie war alles andere als überzeugt davon. Dia war ein 16jähriges Mädchen ohne irgendwelche Auffälligkeiten. Ihr braunes Haar reichte ihr bis über die Schulterblätter und abgesehen von ihren großen blauen Augen hatte sie ein Durchschnittsgesicht. Sie war nicht sehr groß, gerade 1,65 m aber sie war mit dieser Größe zufrieden. Dia war ein Einzelkind. Ihr Vater wurde von seiner Firma dauernd versetzt und ihre Mutter hatte schon zwei erfolgreiche Bücher geschrieben. Angeblich sollte der Umzug nach München der letzte gewesen sein aber anscheinend sah der Chef ihres Vaters das irgendwie anders. Jetzt waren sie in Hamburg gelandet. Angeblich - schon wieder - das letzte Mal. Dia hatte ihre Freunde in München nur ungern verlassen aber sie hatte ja keine Wahl gehabt. „Also, was ist denn nun da drin?“ wiederholte ihre Mutter und zeigte auf den Karton. Dia grinste breit und antwortete: „Ach Mama, das ist Privatsache.“ Dann schob sie den Karton um das Bett herum und bat ihre Mutter, das Zimmer zu verlassen. „Schon gut, bin ja schon weg. Wir packen unten aus. Du kannst ja runterkommen, wenn du Lust hast, zu helfen.“ Aber Dia winkte ab. Sie hatte jetzt eine andere Aufgabe. Als die Tür hinter ihrer Mutter zugefallen war, machte Dia es sich auf ihrem Bett gemütlich und öffnete den Karton. Mit strahlenden Augen und geradezu ritualistischen Bewegungen nahm sie die Gegenstände heraus und verteilte sie vor sich auf dem Bett. „Hallo mein Liebster, da bist du ja wieder!“ Vor ihr lagen mehrere DVDs und CDs sowie einige selbst aufgenommene Tapes und eine verschlossene Geldkassette. Ein dicker Ringordner mit der Aufschrift „Mein Askariel“, der schon so voll war, dass er eine Delle in die Matratze drückte, und zuletzt ein dicker Stapel Poster kamen zum Vorschein. Die Medien waren alle mit dem gleichen Titel versehen: Eslosia. Dia vergötterte diese fantastische Anime-Serie. Sie verfolgte ihre Handlung schon seit drei Jahren und bekam einfach nicht genug davon. Es gab Engel und Dämonen, böse und gute auf beiden Seiten. Es ging um Liebe, Kämpfe und Magie. Aber im Grunde genommen war die ganze Handlung für Dia Nebensache. Für sie war eigentlich nur einer wichtig: Askariel. Die Figur Askariel war ein Engel mit einem Schwert und magischen Fähigkeiten, so wie fast alle Figuren. Er war nicht einmal die Hauptfigur. Doch Dia liebte ihn. Natürlich wusste sie, dass es Blödsinn war, eine gezeichnete Figur zu lieben aber die Figur war eigentlich auch nur der Kanal zu dem, was Dia wirklich liebte: Askariels Stimme! Die hatte sie auf Kassette aufgenommen, die DVDs mit den Folgen nur wegen dieser Stimme gekauft, die CDs mit der Musik waren Geschenke ihrer Freunde gewesen, ebenso viele der Poster. Alle dachten, Dia ging es um die Serie Eslosia. Aber niemand wusste von ihrer heimlichen Leidenschaft für Askariels Synchronstimme. Dummerweise hatte Dia keine Ahnung, wer Askariel seine Stimme lieh. Der Name tauchte nirgendwo auf. Aber letztlich war das für Dia auch nicht interessant, denn sie rechnete sowieso nicht damit, dem Sprecher jemals wirklich zu begegnen. „Es wird Zeit, dieses Zimmer Askariel-tauglich zu machen.“ Dia sah sich um. Die nackten Wände schrieen ja geradezu nach Bedeckung! Sie machte sich sofort an die Arbeit. Aus dem Schreibtisch holte sie eine kleine Dose mit Stecknadeln und dann fing sie an, die Poster aufzuhängen. Die Eslosia-Poster verteilte sie überall an den Wänden und an Tür und Kleiderschrank. Mehr als eine Stunde verbrachte sie damit, die Poster immer wieder anders anzuordnen oder gerade zu hängen. Dann war sie endlich mit ihrem Werk zufrieden. Über ihrem Bett allerdings hingen nicht einfach irgendwelche Eslosia-Poster, nein! Dort fand sich nur Askariel! Er sollte immer in ihrer Nähe sein, besonders wenn sie schlief. Sie erhoffte sich, so öfter von ihm zu träumen. Ab und zu hatte sie Glück aber nur selten. Nachdem die Poster aufgehängt und CDs und DVDs eingeräumt waren, machte sich Dia an die Kassette. Darin bewarte sie ihr Prunkstück auf. Sie öffnete die Kassette und holte eine kleine Plastikfigur von Askariel heraus. Er hatte ein offenes Hemd und hielt sein Schwert in der Hand. Seine grünen Augen leuchteten richtig und seine Flügel waren weit gespreizt. Diese Figur war Dias allerwertvollster Besitz. Der Clou war ein kleiner Knopf im Sockel der Figur. Wenn man darauf drückte, ertönte Askariels Stimme. Sie sagte: „Ihr werdet Eslosia niemals kampflos bekommen!“ Dia stellte die Figur auf ihr Nachtschränkchen, wo sie sie immer sehen konnte. Dann legte sie sich auf den Bauch, stützte ihren Kopf auf ihre Arme und betrachtete Askariel eine Weile. Sie drückte den Knopf und lächelte, als sie den Satz zum tausendsten Mal hörte, als wäre es das erste Mal. Dann sah sie sich um. „Jetzt ist es mein Zimmer“, sagte sie zufrieden. „Dia! Komm essen!“ hörte sie ihre Mutter rufen. Sie stand vom Bett auf und öffnete die Tür. „Wenigstens ein bisschen Heimat, das einem nicht weggenommen wird“, flüsterte sie wehmütig und schloss die Tür hinter sich. „Und, hast du dich schon gemütlich eingerichtet?“ fragte Dias Vater beim Essen. Dia stocherte ein wenig lustlos in ihrem Essen herum. Morgen war der erste Tag in der neuen Schule und Dia war nervös. Wieder war sie neu und wurde von allen angestarrt. Wieder musste sie neue Freunde finden und das war bei ihrer Schüchternheit ein gewaltiges Problem. „Ja, das Zimmer ist okay, ich hab es mir vorhin dekoriert, jetzt ist es mein Home Sweet Home“, antwortete Dia. „Ah, ich ahne schon, was das heißt“, meinte ihre Mutter lächelnd, „Eslosia, richtig?“ „Bingo!“ bestätigte Dia. „Sag bloß, du hängst immer noch an diesem Zeug?“ fragte ihr Vater ungläubig. „Bist du dafür nicht schon ein bisschen zu alt?“ Dia hatte zwar keine Lust auf dieses Gespräch aber es lenkte wenigstens von dem Thema Schule ab. „Ach Papa, das hast du mich schon damals gefragt, als die Serie neu war. Die Story ist interessant und ich stehe nun mal drauf. Muss ich dich jetzt wieder an die Carrera-Bahn im Keller erinnern? Das ist doch auch was für kleine Jungs, oder?“ Dia wusste genau, welcher Satz jetzt kam und sie hatte Recht. „Das ist doch was ganz anderes! Ich bin erwachsen und darf mich für Spielzeug interessieren aber du bist doch ein Teenager, du müsstest dich für Schminke, Disco und Jungs interessieren, nicht für Zeichentrickserien, die für Zwölfjährige gemacht sind!“ Zack! Schon steckte sie drin in der alten Diskussion. Und besonders diese Aussage ging Dia gegen den Strich. „Wer bestimmt denn das Alter für solche Serien? Wer sagt denn, dass man da irgendwann zu alt für ist? Disneyfilme sind auch für die ganze Familie. Mag ja sein, dass ich irgendwann das Interesse an Eslosia verliere aber den Zeitpunkt bestimme ich selbst!“ Dia warf ihre Gabel auf den Teller und stand hastig vom Stuhl auf. Wütend und etwas verletzt rannte sie die Treppe hinauf, stapfte in ihr Zimmer und warf lautstark die Tür hinter sich zu. Sie ließ sich auf´s Bett fallen und starrte finster an die Decke. „Papa hat überhaupt keine Ahnung, worum es mir eigentlich geht! Aber wie sollte er auch? Er ist ja so gut wie nie zuhause!“ ärgerte sie sich. Eigentlich wollte sie jetzt am liebsten wieder zurück nach München aber so ganz allein war das wohl kaum möglich. Ihre Freunde verstanden sie. Sogar Mama verstand sie. Allerdings wusste niemand wirklich, was in Dia vorging. Die würden sie für noch verrückter halten, wenn sie wüssten, dass es nur um eine Stimme ging, nicht mal um eine Figur. Außerdem war sie der Meinung, dass das auch niemanden etwas anging. Während Dias Blick durch das Zimmer schweifte und dabei die Poster traf, beruhigte sie sich wieder. „Was soll´s – einfach gar nicht ignorieren heißt die Devise.“ Dia sprang auf und ging zum Regal mit den Filmen. Sie zog eine DVD von Eslosia heraus und legte sie in den Player. Dann hüpfte sie zurück auf ihr Bett und griff nach der Fernbedienung. Kurz darauf ertönte die bekannte Anfangsmelodie und Dia durchsuchte das Menü nach ihrer liebsten Folge. Sie drückte auf Play und versank sofort in der Fantasiewelt von Askariel, der in dieser Folge ganz besonders oft zu Wort kam. Dia war sowieso auf Entzug, denn zurzeit lief Eslosia nicht im Fernsehen. Die neuen Folgen wurden noch synchronisiert, das würde bis zum Herbst dauern. Später am Abend betrat ihre Mutter das Zimmer. Dia war gerade dabei, sich für´s Bett umzuziehen. „Dia, du solltest jetzt langsam schlafen gehen. Für den ersten Tag musst du ausgeschlafen sein.“ – „Ich bin ja dabei!“ antwortete Dia genervt. Sie würde sich zwar liebend gerne morgen krank stellen aber das würde ja nichts nützen. Der Horror würde nur um einen Tag nach hinten verschoben werden. Und Dia lebte nach dem Prinzip, dass man Unangenehmes lieber schnell hinter sich bringen sollte, sonst zerfraß es einen ganz langsam, bis man nur noch ein nervliches Wrack war. „Ach und Dia?“ „Hm?“ „Nimm dir Papas Worte nicht so zu Herzen. Du hast nämlich ganz Recht in punkto Carrera-Bahn. Solange er damit spielt, sollte er sich mit Altersfragen lieber nicht befassen!“ Sie zwinkerte schelmisch. Dia musste lächeln. „Danke, Mama.“ „Schon gut. Ja, es ist nicht leicht, die einzige Erwachsene im Haus zu sein…!“ Eine neue Freundin ------------------ Als Dia am nächsten Morgen noch etwas verschlafen in die Küche kam, stand das Frühstück schon auf dem Tisch. Ihre Mutter hatte sich selbst übertroffen. Frische Brötchen, Toast, Müsli, Rührei, jede Menge Aufschnitt, Käse, Marmelade, Honig, Milch, O-Saft, Dia konnte gar nicht alles mit einem Blick aufnehmen! Zu dumm, dass die Aufregung ihr den Magen zuschnürte. Sie trank nur eine Tasse Kakao und schaffte geradeso ein halbes Toast mit Honig. „Ist Papa schon weg?“ fragte sie kauend. „Ja, schon längst. Er wollte heute ganz früh da sein und noch das Eine oder Andere aufarbeiten. Er sagte auch, er käme heute Abend spät. Ach, da fällt mir ein, ich muss heute Abend auch weg. Ich hab ein Seminar. Ich recherchiere schon für mein nächstes Buch.“ „Oh, du schreibst wieder? Das ist ja toll! Da bin ich aber mal gespannt. Um was soll´s denn diesmal gehen?“ Dia hatte natürlich die Bücher ihrer Mutter gelesen. Es waren die perfekten Frauenromane, spannend, lustig und sehr romantisch. Ein neues Buch konnte sie kaum erwarten. „Nein, das verrate ich nicht. Aber ich sage dir so viel: das Thema ist diesmal ein ganz anderes als bisher. Man muss sich ja auch mal weiter entwickeln. So, jetzt mach dich fertig, dein Bus kommt bald.“ Dia sah auf die große Küchenuhr. Ihr blieben noch zehn Minuten zum Anziehen und obwohl die Bushaltestelle direkt vor´m Haus war, war das verdammt wenig. Dia hetzte zurück in ihr Zimmer und riss die Schranktüren auf. Unschlüssig blieb sie davor stehen. Sollte sie etwas Unauffälliges anziehen oder lieber ihr Askariel-Shirt mit dem Eslosia-Schriftzug? Sie beschloss, beides zu kombinieren. Das Shirt unten drunter und darüber ein Hemd aus dem Fundus ihres Vaters. Sie rollte die Ärmel hoch bis knapp vor die Ellenbogen und schloss nur einen Knopf. Eine Jacke brauchte sie nicht. Es war Mai und schon ziemlich warm. Ihre Haare ließ sie einfach offen. Schminke benutzte sie nie. Sie wunderte sich immer wieder über diesen Kommentar ihres Vaters in punkto Schminke. Er wusste doch, dass sie nichts davon hielt! Das war schon manchmal alles sehr komisch. Während die meisten Väter ihre Töchter möglichst lange wie kleine Mädchen behandelten und sich über Schminke aufregten, tat ihrer genau das Gegenteil. Es sah so aus, als wollte er sie möglichst schnell groß kriegen. Dia blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Sie griff nach ihrem Rucksack und spurtete die Treppe hinunter. „Bis nachher, Mama! Ich bin weg!“ rief sie noch in die Küche. „Kopf hoch, du machst das schon!“ rief ihre Mutter ihr nach. Dann fiel die Haustür zu. Dia stand gerade an der Haltestelle, da kam der Bus auch schon um die Ecke. Die Türen öffneten sich und Dia trat ein. Sie zeigte dem Fahrer ihre Schülerkarte und ging dann bis zur Mitte durch. Als sie sich an einen Fensterplatz gesetzt hatte, sah sie sich um. Es waren nur junge Leute in diesem Bus, alle auf dem Weg zur Schule. Sie schwatzten und lachten und zeigten sich gegenseitig ihre Hefte. Als Dia ein etwa elfjähriges Mädchen sah, das ein Eslosia-Shirt trug, kam sie sich zum ersten Mal albern und lächerlich vor. Hastig knöpfte sie ihr Hemd zu. Dann sah sie aus dem Fenster. Zwei Haltestellen weiter stieg ein Mädchen mit feuerroten Haaren in den Bus ein. Dia war irgendwie fasziniert von ihr. Das Mädchen bemerkte, dass Dia sie anstarrte und setzte sich neben sie, da sowieso kein anderer Platz frei war. „Hallo, bist du neu hier? Ich hab dich noch nie in diesem Bus gesehen und fahre schon ewig damit zur Schule.“ Dia löste sich aus ihrer Starre. „Äh, ja, ich bin erst vor drei Tagen nach Hamburg gezogen. Heute ist mein erster Schultag und ehrlich gesagt bin ich ganz schön nervös.“ Es war merkwürdig aber Dia hatte das Gefühl als könnte sie diesem Mädchen, das sie gar nicht kannte, alles sagen. „Deine erste neue Schule?“ fragte die Rothaarige interessiert und zog eine kleine Flasche Wasser aus ihrem Rucksack. Dia musste kurz laut lachen. „Guter Witz, wirklich! Nein, weit daneben. Um genau zu sein, das hier wird meine dreizehnte Schule in den letzten fünf Jahren.“ Das Mädchen verschluckte sich an ihrem Wasser und Dia klopfte ihr kräftig auf den Rücken. Als sie endlich wieder Luft bekam, liefen ihr Tränen über die Wangen vom vielen Husten. „Machst du Witze? Du hast in fünf Jahren dreizehn Mal die Schule gewechselt? Seid ihr Nomaden oder sowas?“ Dia musste schon wieder lachen. Und obwohl sie die Story schon so oft erzählen musste, dass sie ihr zum Hals heraus hing und das Ganze sich später vor der neuen Klasse ja auch noch einmal wiederholen würde, hatte sie kein Problem damit, ihrer Sitznachbarin alles zu erzählen. „Mein Vater ist in einem großen Konzern in einer wichtigen Position. Er wird alle Nase lang versetzt. Zuletzt haben wir in München gewohnt – etwa ein halbes Jahr. Das sollte eigentlich auch der letzte Umzug gewesen sein. Tja, aber nun hat sich Papas Chef was Neues überlegt und schwupp! Schon sind wir hier in Hamburg.“ Die Rothaarige hörte fasziniert zu. Sie hatte sich inzwischen die Tränen abgewischt und einmal kräftig geschnäuzt. „Mann, was für eine lange Fahrstrecke! Seid ihr die mit dem Auto gefahren?“ Dia nickte. „Klar, das macht doch meinem Vater nichts aus. Der fährt gerne weite Strecken.“ „Und das bei den Benzinpreisen, hat bestimmt ganz schön was gekostet, oder?“ fragte das Mädchen. Aber Dia winkte ab. „I-wo, das bezahlt zum Glück die Firma. Das wäre ja wohl auch noch schöner! Einen quer durch Deutschland jagen, immer von Nord nach Süd und umgekehrt und alles auf eigene Kosten, da hätte mein Vater aber protestiert, das kannst du glauben!“ „Und deine Mutter macht das einfach so mit? Die muss sich doch jedes Mal eine neue Arbeitsstelle suchen, oder?“ fragte das Mädchen interessiert und nahm einen neuen Schluck Wasser, zumindest versuchte sie es, denn… „Meine Mutter kann von zuhause arbeiten. Sie ist Schriftstellerin. Ihr Künstlername ist Donna Day. Schon mal gehört?“ fragte Dia leise. Und prompt verschluckte sich ihre Sitznachbarin wieder. „Donna Day? Klar! Ihre beiden Bücher sind spitze! Die standen doch wochenlang auf den Bestsellerlisten. Ich hab sie beide zuhause und schon zigmal gelesen. Donna Day ist deine Mutter?“ Das Mädchen war ganz rot im Gesicht vor Aufregung. Dia sah sich erschrocken um. „Pssst! Nicht so laut, behalte das bloß für dich. Sie will nicht, dass alle das erfahren und ich ganz sicher auch nicht. Sonst kommen die ganzen Tussis an und wollen, dass ich ihnen Autogramme besorge. Ich hab´s auch schon erlebt, dass sie in Mamas nächste Geschichte eingebunden werden wollten. So was nervt tierisch.“ „Schon klar. Ach übrigens, ich sollte mich vielleicht mal vorstellen. Ich quatsch dich hier einfach so an. Ich heiße Isis.“ Sie reichte Dia die Hand. Dia nahm sie und schüttelte sie. „Dia. Nenn mich Dia. Mein richtiger Name ist Dianta aber so nennt mich keiner. Irgendwie passt dein Name super zu deiner Optik, finde ich. Rote Haare und dann Isis, das hat was von einer Feuergöttin. Du erinnerst mich an Aria, fehlt nur das Flammenschwert und der Brustpanzer.“ Isis griff Dia an die Schulter. „Nein! Das gibt´s nicht! Du kennst Eslosia? Wie gut weißt du darüber bescheid?“ Isis´ Augen leuchteten und ihr Gesicht glühte. „Wie gut? Ich hab die Serie vom ersten Tag an gesehen – bis heute. Mein Zimmer hängt voll mit Postern, ich hab DVDs und CDs und hier“, Dia knöpfte ihr Hemd auf, „das ist mein absoluter Liebling.“ Und sie zeigte Isis den Aufdruck von Askariel. Isis konnte es nicht fassen. „Das muss Schicksal sein, dass wir uns getroffen haben. Ich bin nämlich auch ein Riesenfan. Mein Liebling ist allerdings nicht Askariel sondern die Hauptfigur Kalderan.“ Dia atmete sichtlich auf. Es war gut, dass sie nicht die gleiche Figur anhimmelten, das könnte irgendwann zu Spannungen führen. „Na ja, Kalderan ist zwar der Anführer aber…“ Dia brach den Satz ab. Von der Stimme wollte sie lieber nichts sagen. „Aber was?“ fragte Isis. Dia musste schnell ein anderes Ende für den Satz finden als „seine Stimme ist schrecklich“. Deshalb sagte sie einfach nur: „aber ich finde nun mal Askariel am besten.“ Isis zuckte mit den Schultern und meinte: „Klar, jedem das Seine. Blöd, dass die Sendung zurzeit nicht läuft. Sag mal, du gehst doch auch in die zehnte Klasse, du bist doch 16 oder?“ Dia nickte. „Und in welche kommst du? Wir haben vier verschiedene.“ Dia kramte ihr Notizbuch aus dem Rucksack und blätterte darin. „B“, sagte sie dann, „Raum 114 im ersten Stock.“ Isis strahlte. „Perfekt! Das ist auch meine Klasse. Ich stelle mich freiwillig als Führerin zur Verfügung. Ich zeige dir alles, was du wissen musst, alles klar?“ Dia lächelte und nickte. Der Bus hatte die Schule inzwischen erreicht und hielt in der Haltezone. Die Schüler strömten aus dem Fahrzeug und gingen dann in Richtung Schulgebäude. Isis und Dia verließen als beinahe letzte den Bus und jetzt, nachdem Dia eine Verbündete hatte, ließ sie ihr Hemd offen. Jeder sollte sehen, was ihr wichtig war. Auf dem Weg in den Klassenraum drehten sich viele der jüngeren nach Dia um. Sie erkannten Askariel auf Dias Brust und tuschelten teils ehrfürchtig, teils begeistert. Dia fühlte sich großartig. Und mit Isis an ihrer Seite, die ihre Leidenschaft teilte, fühlte sie sich beinahe wie die Königin der Schule. Aber als die beiden Mädchen in den Flur im ersten Stock kamen, wo sich nur die älteren Schüler aufhielten, wurde ganz anders getuschelt. Die Anderen grinsten, zeigten mit dem Finger auf Dia und ließen sie ganz deutlich merken, wie albern und kindisch sowohl ihr Shirt als auch sie selbst offensichtlich war. Dia schrumpfte ganz schnell von der Königin zum Klassenclown zusammen obwohl Isis aufmunternd sagte: „Beachte diese Idioten einfach nicht. Die können sich ja nicht mal richtig anziehen.“ Und ein Junge, der bei einem Blick auf Dias Shirt laut auflachen musste, fing sich einen tödlichen Blick von Isis ein, gefolgt von: „Hey Kevin! Nette Unterhose! Die gefällt mir von Tag zu Tag immer besser! Ist das eigentlich immer die Gleiche oder hast du einen ganzen Schrank voll davon?“ Der Junge zeigte ihr den Mittelfinger und sagte: „Du kannst mich, Feuertopf!“ Isis steckte sich als Geste den Zeigefinger in den Hals und machte Würgegeräusche. „Nicht mal, wenn du der letzte Kerl auf Erden wärst!“ sagte sie sarkastisch und zog Dia mit sich weiter. „Wie kommt er denn auf „Feuertopf“? Also ich hab ja schon oft Feuermelder oder Feuerlöscher gehört, aber Feuertopf?“ fragte Dia irritiert. Isis erklärte es ihr. „Weißt du, Feuer ist ja klar“, und sie zeigte auf ihre Haare, „und Topf, weil ich dauernd was esse oder trinke. Ich habe die wohl größte Brotdose der Welt und außerdem immer noch Geld dabei, falls es nicht reicht. Ich habe ständig einen zu niedrigen Blutzucker, schon seit meinem achten Lebensjahr. Das nennt man Hypoglykämie. Und da ich eine Spritzenphobie habe und immer nur Traubenzucker mir einfach zu langweilig ist, esse ich halt dauernd, sonst würde ich nämlich umkippen. Am besten, ich erkläre es dir. Du weißt ja bestimmt, welches Problem Diabetiker haben. Ihr Körper, genauer gesagt ihre Bauchspeicheldrüse produziert nicht genug Insulin. Deshalb spritzen sie es sich selbst. Und bei mir ist es sozusagen umgekehrt. Ich hab einfach zu wenig Glukose im Blut. Nun könnte ich mir regelmäßig Glukose spritzen aber wie gesagt, ich muss eine Nadel nur sehen und kippe um. Deshalb esse oder trinke ich dauernd, um den Zuckerspiegel zumindest gleichmäßig zu halten. Und deshalb Feuertopf.“ Dia verstand. Aber sie fand den Namen trotzdem fies. „Ach weißt du, das nehme ich nicht so ernst. Eigentlich finde ich ihn sogar ganz niedlich“, meinte Isis. Sie zog einen Schokoriegel aus ihrer Tasche. „Ein Wunder, dass du trotz der vielen Esserei so schlank bist!“ bemerkte Dia bewundernd. Sie nahm zwar nicht von jedem Riegel oder jeder Chipstüte zu aber über die Jahre würde sich das schon zusammen läppern. Aber noch war sie ja im Wachstum. „Das ist kein Wunder sondern der Knackpunkt“, verbesserte Isis kauend, „mein Körper verbrennt den Zucker sofort. Er hat gar keine Zeit, sich in Fettpolster umzuwandeln. Deshalb nehme ich nicht zu. Aber ich darf keinen Sport treiben, sonst würde ich ja noch zusätzlich Zucker verarbeiten und das könnte tödlich ausgehen.“ Dia war schockiert über das, was ihre neue Freundin da sagte. Ängstlich sah sie Isis an aber die machte ein lässiges Gesicht. „Ach, nun mach mal nicht so große Augen, das ist alles halb so wild. Vom Sport bin ich befreit und für den absoluten Notfall habe ich einen Glukose-Pen in meinem Rucksack. Da ich ihn mir selbst nicht geben kann, muss das jemand anders übernehmen. Die Lehrer wissen Bescheid und unsere Klasse auch. Außerhalb davon kennt man nur meinen Spitznamen. Die meisten der Oberstufe wissen von meiner ständigen Esserei aber sie glauben, das wäre so was wie ein Hobby oder ein Tick. Und ich möchte dich auch dringend bitten, die Wahrheit nicht rum zu erzählen. Ich will nicht wie ein rohes Ei behandelt werden. Das machen meine Eltern schon.“ Dia nickte und erinnerte sich an das Gespräch über ihre berühmte Mutter. „Abgemacht“, sagte sie dann. „Klasse was? Und schon haben wir ein Geheimnis, beziehungsweise zwei. Ich verliere kein Wort über deine Mutter, versprochen.“ Isis hob die rechte Hand. „Und ich nicht über deinen „Tick“, auch versprochen.“ Dia hob ebenfalls die Hand. Isis klatsche mit ihrer Hand auf Dias. Die beiden grinsten und gingen dann in ihren Klassenraum. Das Problem "Kiki" ------------------ „Guten Morgen allerseits!“ begrüßte die Lehrerin die Klasse. Dia hatte sich auf einen freien Platz ziemlich weit hinten im Klassenraum gesetzt. Als die Lehrerin sie bemerkte, sprach sie sie an. „Hallo, wen haben wir denn da? Bist du Dianta Freise?“ Dia nickte und errötete, als alle sich zu ihr umdrehten. „Würdest du kurz nach vorne kommen und dich vorstellen?“ Dia nickte wieder und stand auf. Während sie nervös zum Lehrerpult schlich, dachte sie sich: `warum soll ich mich jetzt noch vorstellen, sie hat doch meinen Namen schon gesagt!? Jetzt kommt´s wieder, die alte Leier.´ Bevor sie sich zu den anderen Schülern umdrehte, vergewisserte sie sich, dass ihr Hemd zugeknöpft war. „Hallo. Ich bin Dianta Freise. Aber nennt mich Dia.“ Dia erwartete jetzt einen dummen Spruch, der auch prompt kam. „Wo hast du denn deinen Projektor gelassen?“ fragte ein blondes Mädchen ganz vorne etwas höhnisch. Aber Dia hatte diesen Spruch inzwischen so oft gehört, dass sie bereits eine Standard-Antwort zum Kontern parat hatte. „Vor zwei Jahren gegen einen Beamer ausgetauscht!“ antwortete sie lässig und einige der Anderen kicherten. Dia sah zu Isis, die lächelnd den Daumen hob und zwinkerte. Dia grinste. „Woher kommst du denn und warum bist du jetzt hier in Hamburg?“ fragte die Lehrerin und nun durfte Dia die ganze Geschichte von neuem runterleiern. Während sie erzählte, bemerkte sie, dass Isis aufmerksam zuhörte, obwohl sie doch alles schon wusste! Das war eine sehr nette Geste, fand Dia. Über ihre Mutter sagte Dia nur, dass sie zuhause arbeitete und für verschiedene Dinge recherchierte. Dia konnte nicht gut lügen, deshalb erwähnte sie von der Schriftstellerei erst gar nichts. Das Täuschungsmanöver funktionierte offensichtlich. Ihre neuen Klassenkameraden hörten zwar zu, fanden ihre Erzählungen aber ziemlich uninteressant, abgesehen von den vielen Umzügen. „Wo hast du denn schon überall gewohnt?“ fragte ein blonder Junge mit der vielsagenden Aufschrift „Globetrotter“ auf seinem Shirt. Dia hatte keine Lust, alle Orte aufzuzählen, deshalb antwortete sie: „Abgesehen von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Berlin habe ich schon in jedem Bundesland gewohnt.“ Der blonde Junge war sichtlich beeindruckt. Fast unabdingbar folgte die Frage: „Und in welchem hat es dir am besten gefallen?“ Dia antwortete: „Also die besten Freunde hatte ich in München aber wenn du die Umgebung und die Landschaft meinst, dann Nordrhein-Westfalen.“ Der Junge sagte: „Kenne ich, da wohnen Verwandte von mir – im Kreis Lippe.“ Und Dia entgegnete erstaunt: „Hey, genau da haben wir auch gewohnt! In Detmold, einer niedlichen kleinen Stadt und mit so vielen Ausflugszielen!“ – „Ja, kenne ich auch.“ Da schaltete sich die Lehrerin ein. „Okay, ihr könnt euch ja nachher noch weiter unterhalten, aber jetzt möchte ich gerne mit dem Unterricht anfangen, wenn´s recht ist. Dia, du kannst dich wieder setzen. Schön, dass du jetzt hier bist. Ich hoffe, du findest gute Freunde und musst nicht nächsten Monat schon wieder umziehen.“ Dia lächelte und sagte: „Ja, das hoffe ich auch. Danke.“ Dann ging sie wieder nach hinten und setzte sich. Wider Erwarten hatte sie die Sache ganz gut gemeistert, fand sie. Na ja, Isis hatte sie unterstützt und dieser blonde Junge hatte es ihr ja sehr leicht gemacht. Wie der wohl hieß? Das fragte sie in der Pause Isis. „Unser Globetrotter? Das ist David. Er möchte am liebsten die ganze Welt kennen lernen aber seine Eltern haben dafür kein Geld. Deshalb nimmt er an jedem Schüleraustausch teil und liest jede Menge Reiseführer. Er spricht perfekt Englisch und das schon seit der fünften Klasse! Er wird entweder mal Pilot bei der Lufthansa oder Forscher oder Schiffskapitän oder so was. Der schafft, was er sich vornimmt. Er lernt schnell und ist ehrgeizig. Deshalb passt er auch so gut zu Kiki. Das ist die Blonde, die vorhin diesen dämlichen Kommentar abgegeben hat. Kiki lernt gar nicht und hat auch kein Ziel – außer David. Falls du dich für David interessieren solltest – lass es! Kiki hat sowieso schon gegrummelt, als David mit dir gesprochen hat, ich hab´s ganz deutlich gehört. Nimm dich bloß vor der in Acht, die ist ganz schön hinterhältig.“ Dia sah vorsichtig zu Kiki, die gerade dabei war, David vollzuquatschen. Er versuchte offenbar, ihr etwas in Mathe zu erklären aber entweder stellte sich Kiki absichtlich doof oder sie war doof. Sie kapierte kein Wort. „Weiß David das?“ fragte sie. Isis steckte sich ein Maoam in den Mund und fragte zurück: „Was? Dass Kiki hinterhältig ist oder dass sie auf ihn steht?“ – „Beides“, antwortete Dia, „immerhin lässt er sich auf dieses Spielchen ein.“ Und sie zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter hinweg auf die beiden und ihre private Mathestunde. Isis schluckte ihr Maoam runter und wickelte schon das Nächste aus. „Ob er ihre miesen Eigenschaften kennt, weiß ich nicht aber wenn er von ihrer Schwärmerei nichts mitkriegt, muss er blind sein. Ich denke, er weiß davon“, sagte sie kauend. Jetzt wurde Dia neugierig. „Und – steht er auch auf sie? Zusammen sind sie ja wohl nicht. Hat er mal was dazu gesagt?“ fragte sie interessiert. Isis zog eine Flasche Apfelsaft aus ihrem Rucksack und öffnete sie. Sie nahm einen Schluck und schraubte sie wieder zu. „Bislang hat er sich nichts anmerken lassen. Ich wette, er hat kein Interesse. Aber er will sie wohl auch nicht vor den Kopf stoßen. Er ist nett und höflich zu ihr aber mehr auch nicht.“ Dia machte sich ihre Gedanken. Dieser David war ja irgendwie ganz interessant und süß war er auch aber gegen Askariel hatte er keine Chance. Oder doch? Nein, auf keinen Fall! Sollte diese Kiki ihn ruhig weiter umschwärmen. Ihr konnte das wurscht sein. Oder nicht? Als die Klingel das Ende der Pause ankündigte, setzte sich Dia wieder auf ihren Platz und sah etwas gedankenverloren aus dem Fenster. „Na, ist da draußen gerade dein Traumprinz vorbei gekommen?“ fragte plötzlich eine Stimme. Dia drehte sich überrascht nach vorne und sah in Davids Gesicht. Sie schaute sich erschrocken nach Kiki um aber die war nicht im Raum. Erleichtert antwortete sie: „Wohl kaum, mein Traumprinz ist unerreichbar.“ Gleich darauf korrigierte sie sich. „Äh, ich meine, ich hab keinen. Wieso, sehe ich so aus?“ In diesem Moment betrat Kiki den Raum, gefolgt vom Englisch-Lehrer. Dia kramte erschrocken in ihrem Rucksack, während Kiki mit böse funkelnden Augen zu ihrem Platz ging. David beugte sich über den Tisch zu Dia hinunter und flüsterte: „Nein, aber du siehst sehr geheimnisvoll aus. Ich wüsste zu gerne, was hinter diesen hübschen Augen vor sich geht.“ Er lächelte und ging dann zu seinem Platz. Dia lächelte ebenfalls doch das Lächeln entglitt ihr, als sie Kikis Gesicht sah. Schnell steckte sie ihre Nase in ihr Englischbuch und versuchte, unbeteiligt und konzentriert auszusehen. Aber sie machte sich große Sorgen wegen Kiki. Es war keine Frage, dass sie mit ihr zusammenstoßen würde. Und es war nur noch eine Frage von Stunden bis dahin. Als die letzte Stunde beendet war, beeilte sich Dia, ihre Sachen zu packen, um dann mit Isis so schnell wie möglich zum Bus zu laufen und zu verschwinden. Aber sie schaffte es nicht. Noch bevor sie den Klassenraum verlassen konnte, stellte sich Kiki vor sie und sah sie drohend an. „Hey, damit das klar ist: Hände weg von David, der ist für dich tabu, kapiert?“ Eigentlich hätte Dia jetzt einfach nur „okay“ gesagt und sich dann verdrückt aber aus einem für sie selbst unverständlichen Grund wollte sie sich das nicht so einfach sagen lassen. „Also erstens würde ich die Entscheidung David überlassen und zweitens hab ich überhaupt kein Interesse an ihm, also kannst du dich ruhig wieder abregen.“ Damit warf sie sich ihren Rucksack über die Schulter und ließ Kiki einfach stehen. Kiki sah ihr wütend nach und Isis, die über Dias Reaktion staunte, beobachtete, wie es in Kikis Kopf arbeitete – ein seltener Anblick, wie sie fand. Schnell lief sie hinter Dia her und holte sie an der Treppe wieder ein. „Wow! Jetzt bin ich aber platt. Sagtest du nicht vorhin in der Pause, du hättest Angst vor Kiki? Und da wirfst du ihr so was an den Kopf? Ich muss schon sagen, mutig, mutig!“ meinte sie bewundernd und zog einen Müsliriegel aus ihrer Tasche. „Ich bin so gut wie tot“, flüsterte Dia panisch. Ihre Hände zitterten. „Wie konnte ich nur so was sagen? Was ist da bloß in mich gefahren? Bin ich eigentlich noch zu retten?“ Auf einmal standen Tränen in ihren Augen. Isis nahm ihre Hand. „Hey, nun beruhige dich mal wieder. Warum hast du denn so eine Angst? Kiki labert doch nur Mist, was kann sie dir schon tun? Im schlimmsten Fall erzählt sie Lügen über dich, das musst du einfach ignorieren. Und ich bin auch noch da.“ Dia wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und sah Isis dankbar an. Dann liefen die beiden Mädchen Hand in Hand zum Bus. Zwei Haltestellen bevor Isis aussteigen musste, hatte sie eine Idee. „Sag mal, wie wär´s, wenn wir uns heute Nachmittag wieder treffen? Dann zeige ich dir mal ein bisschen was von Hamburg. Oder kennst du unsere Stadt schon?“ Doch Dia winkte ab. „Wie sollte ich denn? Ich bin erst seit Samstag hier und wir haben das ganze Wochenende mit dem Einzug zu tun gehabt. Ich hatte noch gar keine Zeit und nimm es bitte nicht übel aber ich habe jetzt noch keine Lust auf die Stadt. Aber wie wär´s, wenn du zu mir kommst? Ich hab heute Abend sturmfreie Bude, da haben wir das ganze Haus für uns.“ Isis´ Augen leuchteten bei dem Gedanken, das Haus von Donna Day zu sehen. „Klar! Da bin ich sofort bei! Wann soll ich da sein?“ fragte sie aufgeregt. Dia musste lachen. Sie öffnete ihren Rucksack und riss ein Blatt aus ihrem Notizbuch. Dann schrieb sie ihre Adresse darauf. „Wie wär´s, wenn du erstmal fragst, wo du überhaupt hin musst? Hier, meine Adresse. Ich würde sagen, komm so gegen fünf. Dann ist meine Mutter noch da und du kannst sie kennen lernen – falls du das willst!“ meinte Dia ironisch. „Und ob!“ jubelte Isis begeistert. „Bis nachher dann!“ Sie warf sich den Rucksack über und sprang glücklich lächelnd aus dem Bus. Dia sah ihr grinsend nach. Sie war genau so glücklich aber aus anderen Gründen. Schon gleich am ersten Tag hatte sie eine Freundin gefunden. So schnell hatte das noch nie geklappt! Zwei Haltestellen weiter stieg sie aus dem Bus und öffnete kurz darauf singend die Haustür. „Bin wieder da!“ rief sie fröhlich und warf den Rucksack vor der Garderobe auf den Fußboden. Ihre Mutter klapperte in der Küche mit Geschirr und Dia roch gebratenes Hackfleisch. Als sie die Küche betrat, waren die Fensterscheiben vom Wasserdampf der kochenden Spagetti beschlagen. „Hallo Dia. Du bist pünktlich. Wow, du siehst ja so happy aus! Ist dir etwa Askariel über den Weg gelaufen?“ fragte ihre Mutter, während sie zwei Teller auf den Tisch stellte. Dia sah sie spöttisch grinsend an. „Ha ha, Mama!“ antwortete sie. „Oh, lecker, Spagetti Bolognese! Selbst gemacht oder Fertigmischung?“ – „Heute mal selbst gemacht. Weil doch heute dein schwerer erster Schultag war. Und, wie war er denn nun? Erzähl doch mal!“ Und Dia erzählte von Isis und David und ihrer erfolgreichen Vorstellung. Dann fragte sie, ob Isis sie heute besuchen dürfte. „Ich habe nichts dagegen“, antwortete ihre Mutter kauend, „wenn du sie so gern magst, ist sie bestimmt in Ordnung. Na hoffentlich habt ihr beide noch andere Gemeinsamkeiten außer Eslosia.“ Dia drehte Spagetti auf die Gabel und druckste ein wenig herum, bevor sie den Knackpunkt des Ganzen offen legte. „Du, Mama? Da wäre noch was. Ich habe Isis versprochen, dass sie dich kennen lernen darf.“ Ihre Mutter legte sofort das Besteck hin und machte ein ernstes Gesicht. „Oh nein, Dia! Du weißt doch, dass ich nichts davon halte! Und ich dachte, du auch nicht?“ „Ja schon, aber ich hab ihr gesagt, dass das ein Geheimnis ist und sie hat versprochen, nichts zu verraten und im Gegenzug hat sie mir das mit dem Blutzucker anvertraut. Bitte, Mama! Sie wird es nicht rumerzählen, bestimmt nicht!“ Dia sah ihre Mutter mit bettelndem Gesichtsausdruck an und brach damit ihren Widerstand. „Na schön, meinetwegen. Aber ich werde sie mir ins Gebet nehmen, damit sie auch wirklich den Mund hält“, bestimmte sie. „Das kannst du ruhig machen, danke Mama!“ jubelte Dia begeistert. Dann aßen die beiden zu ende und Dia stieg nach oben in ihr Zimmer, um Hausaufgaben zu machen. Durch die ständigen Schulwechsel musste sie sich dauernd an ein anderes Lerntempo und neuen Stoff anpassen. Hier waren sie noch nicht ganz so weit wie in München, deshalb hatte Dia keine Probleme, mitzukommen, jedenfalls nicht in den Hauptfächern. Es blieben noch Musik und Geschichte abzuwarten aber auch darüber machte sich Dia keine Sorgen. Um halb fünf war sie mit allem fertig und machte ihr Zimmer so richtig gemütlich, damit Isis sich wohl fühlen würde. Sie stellte einen Krug Eistee bereit und ihre Mutter hatte inzwischen Obstkuchen und Brötchen für den Abend besorgt. Um punkt fünf Uhr klingelte es. Isis im Paradies ---------------- „Ich gehe schon!“ rief Dia und stürmte die Treppe hinunter zur Haustür. Isis hatte ein rotes Gesicht und ihr Rucksack hing diesmal nicht über eine Schulter sondern sie hatte ihn richtig aufgesetzt. Als Dia die Tür öffnete, huschte ein Hauch von Enttäuschung über ihr Gesicht, den Dia aber nicht bemerkte. „Da bist du ja, und auf die Minute pünktlich sogar. Hast du etwa vor der Haustür gewartet, bis es fünf ist?“ fragte Dia scherzhaft stichelnd. „Nö, das lag am Busfahrer. Sonst wäre ich schon vor fünf Minuten hier gewesen, aber der kommt ja nie pünktlich“, antwortete Isis. „Na hoffentlich hältst du es noch aus“, frotzelte Dia. „Aber jetzt komm endlich rein!“ Das ließ sich Isis nicht zweimal sagen. Ehrfürchtig staunend betrat sie das Haus. Dia bemerkte das und mit weit ausladenden Bewegungen begann sie so eine Art Schlossführung. „Und hier, verehrte Dame haben wir den Eingangsbereich, auch Hausflur genannt, wo die Herrschaften ihre edle Garderobe verstauen. Wenn Sie mal schauen möchten, das hier ist der so genannte Schuhschrank.“ Isis verzog das Gesicht zu einer Grimasse und versetzte Dia einen freundschaftlichen Klaps gegen den Arm. Dia grinste und führte Isis dann ins Wohnzimmer, wo ihre Mutter in einer Ecke ihren Schreibtisch stehen hatte. Dahinter befanden sich Regale voller Bücher und Ordner mit der Aufschrift „Notizen“. Dia erklärte: „Das ist Mamas Arbeitsplatz. Die Bücher braucht sie für Recherchen und als Lexika, wenn sie mal was nachschlagen muss. In den Ordnern sammelt sie alle wichtigen Dinge für ihre Bücher, z. B. die Storyline und Fakten über die Orte, wo alles stattfindet. Sie versucht, die Geschichten so nahe wie möglich an der Realität spielen zu lassen.“ Isis war sichtlich beeindruckt. Sie traute sich aber nicht, näher an den Schreibtisch heran zu treten. Stattdessen sah sie sich den Rest des Wohnzimmers an und als Dia sie bat, sich ruhig zu setzen, betrat Donna Day den Raum. Isis erstarrte sofort und wurde ganz rot vor Aufregung, obwohl sie ja gar nicht wusste, wie Donna Day eigentlich aussah. Dia stellte ihre Mutter vor. „Mama, das ist Isis, meine Freundin aus der Schule. Isis, das ist meine Mutter. Marianne Freise bzw. Donna Day.“ Frau Freise ging auf Isis zu und reichte ihr die Hand. “Freut mich, Isis. Dia hat Recht, du siehst wirklich aus wie diese Feuergöttin auf dem Poster. Wie hieß sie doch gleich?“ – „Aria, Mama.“ – „Genau, Aria. Schön, dass du hier bist, Isis.“ Isis brachte vor Aufregung kaum ein Wort heraus. Sie murmelte nur: „Danke.“ Eigentlich wollte sie noch sagen, wie toll sie die Romane von Donna Day fand aber die Aufregung verschlug ihr die Sprache. Bis Frau Freise selbst wieder das Wort ergriff. „Hör mal, Isis. Dia hat dir ja erzählt, dass mein Pseudonym geheim bleiben soll. Sie hat mir versichert, dass du das für dich behältst. Versprichst du mir das auch?“ Erst jetzt fand Isis die Sprache wieder. „Sie können sich da ganz auf mich verlassen. Von mir erfährt niemand etwas. Ehrenwort!“ Und sie hob die rechte Hand als wollte sie auf die Bibel schwören. „Danke. Ich verlasse mich darauf.“ „Ach übrigens, Ihre Bücher sind absolute Spitze. Ich hab sie beide zuhause und lese sie immer wieder, besonders wenn ich mal schlecht drauf bin“, platzte es nun endlich aus Isis heraus. „Danke, das freut mich. Sag mal, eigentlich mache ich das ja nicht, aber möchtest du vielleicht ein Autogramm haben? Wie wär´s?“ fragte Frau Freise. Isis strahlte. „Wirklich? Sie würden mir etwas signieren? Ich hab aber keins Ihrer Bücher dabei.“ Doch Frau Freise winkte ab. „Natürlich nicht, das habe ich auch nicht erwartet und das habe ich auch gar nicht gemeint. Ich könnte dir deinen Rucksack signieren, wenn du möchtest.“ Dia hatte kein gutes Gefühlt dabei aber Isis hatte noch niemals so schnell ihren Rucksack parat gehabt wie in diesem Moment. „Am besten hier auf der Klappe, da sieht man es gut“, sagte sie strahlend. Frau Freise holte einen Edding von ihrem Schreibtisch und schrieb auf Isis´ Rucksack: Für Isis, meinen größten Fan – Donna Day. „So, jetzt muss ich aber los, mein Seminar wartet nicht auf mich. Wir sehen uns heute Abend, Dia. Hat mich sehr gefreut, Isis. Viel Spaß, ihr beiden.“ Damit verließ Donna Day das Wohnzimmer und kurz darauf ging die Haustür. „So, jetzt sind wir allein. Wollen wir erstmal nach oben gehen, dann zeige ich dir mein Zimmer?!“ fragte Dia. Isis starrte immer noch verzückt auf das Autogramm. „Hallo! Erde an Isis!“ Sie tippte ihr mit dem Finger auf die Schulter und grinste. „Häh? Äh ja, klar. Ich bin schon echt gespannt auf dein Zimmer. Und deine Mutter ist wirklich nett.“ Mit diesem letzten Kommentar schwang sie sich ihren Rucksack über und folgte Dia nach oben. „Sie ist eine ganz normale Mutter, für mich jedenfalls. Sag mal, was ist denn in dem Rucksack?“ fragte Dia etwas verwundert. Isis hatte doch wohl nicht ihre Schulsachen mitgebracht? „Na was wohl? Essen! Du weißt doch!“ entgegnete Isis und zeigte auf ihren Bauch. Dia verstand. „Ach so. Alles klar. Übrigens hat Mama Obstkuchen besorgt. Willst du welchen?“ Isis stimmte sofort begeistert zu. Dia führte sie zu ihrem Zimmer und öffnete die Tür. „Mach es dir ruhig schon mal bequem, ich hole mal gerade den Kuchen.“ Dann flitzte sie die Treppe wieder runter. Isis betrat das Zimmer und bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Überall um sie herum starrten sie die bekannten Gesichter aus der Welt von Eslosia an. So ziemlich jede Figur war vertreten, außerdem alle möglichen Schauplätze aus der Serie und verschiedene Figuren beim Kämpfen. Über Dias Bett hingen ausschließlich Poster von Askariel und auf dem kleinen Nachttisch stand eine Figur aus Plastik. Isis ging um das Bett herum und nahm die Figur in die Hand. Dia musste wirklich gewaltig für Askariel schwärmen! Da entdeckte Isis den kleinen Knopf im Sockel und drückte ihn. „Ihr werdet Eslosia niemals kampflos bekommen!“ ertönte es aus dem Boden des Sockels. Überrascht schaute Isis die kleine Figur in ihrer Hand an. In dem Moment betrat Dia das Zimmer, in der Hand einen Teller mit Obstkuchen und zwei Kuchengabeln. „Sei bloß vorsichtig damit!“ mahnte sie sofort, als sie sah, dass Isis ihren wertvollsten Besitz in der Hand hielt. Sie stellte den Kuchen zunächst auf ihrem Schreibtisch ab. Dann ging sie auf Isis zu und nahm ihr vorsichtig die Figur ab. „Die habe ich auf einem Flohmarkt entdeckt. Ich hab sie sofort gekauft, da hab ich allerdings noch nicht gemerkt, dass sie auch spricht. Das ist mir erst zuhause aufgefallen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie unglaublich happy ich war!“ Sie stellte die Figur wieder auf den Nachttisch und ging zurück zum Schreibtisch, um Eistee einzuschenken. Dann gab sie Isis ein Glas und eine Gabel. Sie setzten sich auf zwei große Sitzkissen auf dem Fußboden und verputzten den Obstkuchen bis zum letzten Krümel, was hauptsächlich auf Isis´ Konto ging. Dann sprachen sie über die Schule, über Kiki und David und über Eslosia. Isis war begeistert von den vielen Postern, ganz besonders von einem, auf dem Kalderan – ihr Liebling – mit gespreizten Flügen und freiem Oberkörper, das Schwert in der Hand, mit gesenktem Kopf nach oben blickte. Er sah etwas böse drein und seine langen schwarzen Haare umspielten seinen Körper. Isis fand dieses Poster unwahrscheinlich sexy. Und das sagte sie Dia auch. Daraufhin ging Dia an ihren Schrank und zog einen Karton heraus. Sie kramte darin herum und zog schließlich ein Poster daraus hervor. Mit diesem Poster ging sie zur Wand und entfernte aus dem dort hängenden Bild von Kalderan die Nadeln. Sie legte es vorsichtig auf den Schreibtisch und pinnte dann das andere Poster an die Wand. Es zeigte ebenfalls Kalderan, aber er hatte das Schwert an der Seite hängen, die Arme vor der bekleideten Brust verschränkt und die Haare waren zusammen gebunden. Er blickte ernst aber nicht böse. Dia kontrollierte, ob das Poster auch gerade hing, dann nahm sie das abgenommene Poster vom Schreibtisch, faltete es in der Mitte und setze sich wieder zu Isis auf den Boden. Mit einem herzlichen Lächeln reichte sie Isis das Poster. „Wie jetzt?“ fragte Isis irritiert. „Für dich“, antwortete Dia. „Nicht dein Ernst!“ rief Isis ungläubig. „Du willst es mir schenken?“ „Na klar! Ich hab noch andere Poster von Kalderan. Ich habe nur das ausgewählt, weil es so gut zu den anderen in der Ecke passte. Aber so wichtig ist das nicht. Es gehört dir.“ Isis konnte nichts sagen. Vorsichtig nahm sie das Poster, legte es auf den Boden und umarmte Dia dankbar. „Das ist der schönste Tag meines Lebens! Erst treffe ich Donna Day und dann dieses hammermäßige Poster von Kalderan! Danke, Dia, du bist super!“ „Hey, wir sind doch Freunde. Und dir bedeutet es viel mehr als mir, also warum nicht?“ fragte Dia. Isis musste sich eine Träne abwischen. „Na, ein Poster von Askariel hättest du mir bestimmt nicht überlassen. Das da zum Beispiel, das mit dem offenen Hemd“, und sie zeigte auf das Poster direkt über Dias Kopfkissen. „Na ja, wahrscheinlich nicht“, stimmte Dia nachdenklich zu, „das ist mein Lieblingsbild. Aber eins von den anderen vielleicht schon.“ Isis sah sie fragend an. „Wieso? Du bist doch so ein riesiger Fan von Askariel. Wie könntest du dann freiwillig ein Poster von ihm rausrücken?“ fragte sie verwirrt. Dia sah sie ernst und etwas geheimnisvoll an. „Kann ich dir etwas anvertrauen?“ fragte sie verschwörerisch. „Natürlich, was denn?“ fragte Isis zurück. „Es geht mir gar nicht wirklich um Askariel oder um Eslosia.“ „Nicht? Kapier ich nicht. Hier ist doch alles voll von Eslosia und Askariel und den anderen. Du hast die DVDs, die Musik, sogar diese kleine Figur!“ zählte Isis die Fanartikel auf, die sie in Dias Zimmer bisher entdeckt hatte. „Du kannst mir nicht erzählen, dass du kein Fan bist.“ „Ich bin ja auch ein Fan, aber längst nicht so fanatisch, wie es aussieht“, entgegnete Dia, „und ich liebe Askariel schon am meisten aber das was ich eigentlich und wirklich liebe, ist Askariels Stimme!“ Damit war die Katze aus dem Sack. Isis sah erstaunt aus und Dia beobachtete, wie es im Hirn ihrer Freundin ratterte. „Jetzt verstehe ich auch, weshalb dir die Figur so viel bedeutet! Natürlich, weil seine Stimme drin ist! Das kam mir doch gleich so komisch vor.“ „Findest du das albern?“ fragte Dia, doch Isis wehrte sofort ab. „Spinnst du? Seine Stimme ist doch das einzige an ihm, was wirklich real ist! Überleg mal, die Figur ist doch nur gezeichnet, die Welt um ihn nur Fantasie. Aber seine Stimme stammt von einem echten Menschen, den es wirklich gibt. Warum sollte es albern sein, in eine Stimme verliebt zu sein? Es ist viel alberner, in eine Zeichnung verknallt zu sein, so wie ich. Und ich dachte, ich hätte jemanden gefunden, der genauso verrückt ist wie ich. Schade, dass du eine Ecke vernünftiger bist.“ Dia hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Bauch. Wollte Isis ihr die Freundschaft jetzt etwa wieder kündigen? Aber ihre Angst war völlig unbegründet. „Ich beneide dich. Du liebst etwas Greifbares, ich etwas Ausgedachtes. Ist dir eigentlich klar, dass dir der Sprecher eines Tages über den Weg laufen könnte? Mein Gott, ist dir das eigentlich klar?“ fragte Isis plötzlich und ihr Gesicht wurde vor Aufregung ganz rot. Dia verstand nicht, was Isis damit meinte. „Weißt du, wie der Sprecher von Askariel heißt?“ fragte Isis. „Nein, keine Ahnung. Anscheinend ist seine Rolle zu unwichtig oder vielleicht will er nicht, dass sein Name bekannt wird. Ist ja bei meiner Mutter das Gleiche.“ Und Dia dachte daran, wie ihre Mutter damals dem Verleger eingebläut hatte, bloß niemals ihren richtigen Namen zu nennen. Sie gab auch nie Autogrammstunden oder stellte ihre Bücher in irgendwelchen Fernsehshows vor. Selbst Fotos fanden sich auf den Schutzhüllen nie. „Zu schade! Ich leider auch nicht. Aber weißt du, wo Eslosia synchronisiert wird?“ fragte Isis weiter. Sie sah aus als würde sie gleich vor Aufregung platzen. Sie musste eine Bombe in petto haben. „Nö, das hat mich bisher nicht so interessiert.“ „Hätte es aber sollen! Flipp jetzt nicht aus, okay? Die machen das hier in Hamburg!“ Dia blickte wie erstarrt in Isis´ Gesicht. Isis zog die Stirn in Falten und wedelte dann mit der Hand vor Dias Augen. Aber Dia reagierte nicht. Sie sah aus wie im Schock. „Hallo? Dia? Alles in Ordnung? Hey! Bist du noch da?“ versuchte Isis, Dia aus ihrer Starre zu lösen. Aber Dia rührte sich nicht. Da versetzte Isis ihr einen kräftigen Rumpler gegen die Schulter, der Dia endlich wieder munter machte. „D-d-d-du meinst, der Sprecher lebt hier in Hamburg?“ fragte sie und ihre Hände zitterten vor Aufregung. „Keine Ahnung, ob er hier lebt, aber zumindest arbeitet er hier, jedenfalls was Eslosia betrifft. Ich weiß ja nicht, was er sonst noch macht“, erklärte Isis. „Heißt das, jeder Kerl, der hier in Hamburg rumläuft, könnte theoretisch Askariels Stimme sein?“ „Na ja, ich würde sagen, 80% der Kerle, die ganz Alten mal ausgenommen und die ganz Jungen auch“, rechnete Isis vor. „Isis, morgen will ich in die Stadt. Und ich will alles Sehenswerte sehen, alles!“ bestimmte Dia entschlossen. „Ich glaube kaum, dass wir das alles an einem Nachmittag schaffen“, gab Isis zu bedenken. „Na und, dann verteilen wir es eben auf die ganze Woche, notfalls auf den ganzen Monat. Aber ich will alles sehen.“ „Na schön, wenn du meinst. Ich hab nichts dagegen. Das heißt, Augenblick mal“, ging Isis plötzlich ein Licht auf, „du erwartest hoffentlich nicht, der Stimme über den Weg zu laufen, oder?“ fragte sie, wohl wissend, dass genau das der Grund war. „Doch sicher, die Chance will ich nutzen“, antwortete Dia dann auch prompt. „Oh nein, das kannst du vergessen! Ich wollte dir die Stadt zeigen aber wenn du eine Person suchst, bist du doch mit deinem Geist gar nicht bei der Sache! Und wie willst du ihn überhaupt finden? Willst du alle Männer in Hamburg anquatschen?“ Dia sah auch ein, dass es so nicht ging. In so einer großen Stadt wie Hamburg würde sie ihn nie finden, es sei denn mit System. „Du Isis, ich hab da noch eine andere Idee. Wie wär´s wenn wir Suchplakate aufhängen würden? Wir schreiben drauf: Askariel, melde dich bei… und dann meine Telefonnummer.“ Aber Isis fand das nicht gut. „Zunächst mal könntest du dich damit ziemlich lächerlich machen und wer weiß, was für Spinner dann plötzlich hier anrufen. Und denk an deine Mutter.“ Aber Dia wusste keinen anderen Weg. Und dann hatte Isis die Lösung. „Genial! Ich weiß, wie wir´s machen! Suchplakat ja aber nur ein einziges.“ „Und was soll ein Plakat bringen?“ fragte Dia verständnislos. „Ganz einfach“, erklärte Isis, „wir hängen das Plakat direkt im Synchronstudio auf. So sieht er es auf jeden Fall und außerhalb erfährt niemand davon.“ Triumphierend sah Isis Dia an. „Das geht aber nur, wenn wir wissen, wo dieses Studio…“ wollte Dia einwerfen aber Isis unterbrach sie sofort. „Ich weiß es. Kein Problem. Da können wir mit dem Bus hinfahren.“ Dia brach in Jubel aus. „Dann finden wir ihn auch! Wir finden ihn und dann redet er nur für mich!“ Sie tanzte im Zimmer herum und schrie und quiekte vor Freude. Isis beobachtete ihre Freundin und kramte lachend einen Schokoriegel aus ihrem Rucksack. Da klingelte das Telefon. Ein merkwürdiger Anrufer und eine erfolglose Aktion --------------------------------------------------- „Freise?“ meldete sich Dia. Sie lauschte und wartete. Aber niemand antwortete. „Hallo, wer ist da?“ fragte sie. Nichts. Sie drückte eine Taste und legte das Telefon wieder hin. „Hat sich wahrscheinlich verwählt. So was kommt ja öfter mal vor“, meinte Isis unbekümmert. Sie nahm das nicht besonders wichtig aber Dia machte ein besorgtes Gesicht. „Was ist denn los?“ fragte Isis kauend. „Komisch. Es hat sich keiner gemeldet.“ „Sag ich doch, hat sich verwählt. Hat noch nie jemand aus Versehen bei euch angerufen?“ fragte Isis. Dias Gesicht wurde immer ernster. „Doch schon, das macht mich ja gerade so nervös. Hier stimmt was nicht.“ „Kapier ich nicht.“ „Na was passiert denn, wenn bei euch jemand aus Versehen anruft?“ fragte Dia. „Gar nichts, ich kann ihn ja nicht durch den Hörer ziehen, wenn er mich gerade dummerweise auf´m Klo erwischt. So was muss man hinnehmen.“ Dia rollte mit den Augen. „Quatsch, das meine ich doch gar nicht. Aber wenn du deinen Namen sagst, wie reagiert der Andere dann?“ „Na entweder er sagt: tschuldigung, hab mich verwählt oder er legt einfach wortlos auf.“ „Siehst du, das meine ich. Der hier hat weder etwas gesagt, noch aufgelegt. Er hat einfach nur gelauscht, bis ich aufgelegt habe.“ Dia bekam plötzlich eine Gänsehaut. Und Isis verstand endlich. „Meinst du, da will dich einer ärgern?“ fragte sie vorsichtig. Aber das konnte sich Dia nicht vorstellen, sie war doch erst seit drei Tagen in Hamburg und kannte niemanden bis auf ihre Klasse. Und ihre Nummer hatte auch keiner. Nicht mal Isis. Plötzlich klingelte es wieder. Dia nahm den Hörer und drückte auf die Taste. „Freise?“ meldete sie sich. Am anderen Ende der Leitung herrschte Totenstille. Dia hielt den Hörer etwas schräg, damit Isis mithören konnte. „Hallo, könntest du bitte einen anderen verarschen? Du nervst“, sagte sie und drückte dann wieder die Taste. „Schon wieder! Er war noch dran, hat aber nichts gesagt. Ich frag mich, was das soll und wer das ist“, rätselte Dia. Isis wollte gerade eine Vermutung aufstellen, da klingelte das Telefon zum dritten Mal. „Freise?“ „Halt dich fern von ihm!“ Klack! Nur noch ein Tuten. Dia drückte die Taste und legte das Telefon beiseite. „Von wem denn?“ fragte sie sich irritiert. „Was war das? Was hat er gesagt?“ wollte Isis wissen. Sie hatte so schnell nichts mitbekommen. „Sie sagte: halt dich fern von ihm. Aber von wem? Von Askariels Sprecher? Das weiß doch niemand.“ „Sie? Da war eine Frau dran?“ fragte Isis. „Eindeutig“, antwortete Dia. „Dann gibt es nur eine Möglichkeit. Es war Kiki“, stellte Isis fest. „Und es geht um David. Sie versucht, dich einzuschüchtern.“ Dia war davon nicht überzeugt. „Sie kennt doch meine Nummer gar nicht. Und außerdem habe ich ihr doch heute gesagt, dass mich David nicht interessiert. Das gibt alles gar keinen Sinn.“ „Na ja, vielleicht will sie auf Nummer sicher gehen, damit du deine Meinung nicht noch änderst. Sag mal, interessiert er dich wirklich nicht?“ frage Isis neugierig. „Nein, tut er nicht. Diese Begeisterung für Reisen in die ganze Welt, das ist doch furchtbar. Ich bin zwar nur durch ganz Deutschland gezogen, aber mir hat´s gereicht. Ich will endlich mal irgendwo Wurzeln schlagen.“ Dia sah etwas wehmütig aus. Ihre Gedanken kreisten um all die Freunde, die sie schon zurück lassen musste. „Soso, du findest ihn also nicht süß?“ fragte Isis weiter. „Das hab ich nicht gesagt“, gab Dia zurück. „Klar ist er süß und nett scheint er auch zu sein. Ich hätte nichts dagegen, mit ihm befreundet zu sein aber mehr nicht.“ „Aha.“ Isis nahm diese Aussage so hin aber sie glaubte, Dia würde ihre Meinung noch ändern. Besonders dieses „aber mehr nicht“. „Oh verdammt, es ist ja schon halb neun! Ich muss nach Hause, sonst kriegt meine Mutter nen Anfall!“ rief Isis, als sie zufällig auf Dias Wecker sah. Sie sprang auf und schulterte ihren Rucksack, der nun wohl gewaltig in seinem Wert gestiegen war, jetzt mit dem Autogramm von Donna Day. Das Poster von Kalderan rollte sie vorsichtig zusammen und Dia gab ihr eine leere Papprolle aus dem Papiermüll, auf der vorher Küchenpapier war. In diese Rolle schob Isis das Poster. Dann verabschiedete sie sich und flitze zur Bushaltestelle. Sie erwischte den letzten Bus des Tages gerade noch und winkte Dia von einem Fensterplatz aus zu. Als der Bus um die Ecke verschwunden war, setzte sich Dia nachdenklich ins Wohnzimmer. Ob das am Telefon wirklich Kiki gewesen war? Plötzlich fiel ihr ein, dass sie die Brötchen gar nicht gegessen hatten. Aber Isis hatte ja genug dabei, um ihren Zuckerspiegel hoch zu halten. Dia hingegen bekam jetzt Hunger und ging in die Küche, um sich ein Käsebrötchen zu machen. Plötzlich hörte sie die Haustür aufgehen. „Ich bin wieder da!“ rief ihre Mutter. Dia ließ Brötchen und Messer fallen und rannte hinaus in den Flur. Dort fiel sie ihrer Mutter erleichtert um den Hals. „Mama, da bist du ja endlich. Bin ich froh.“ „Dia, ist alles in Ordnung? So hast du mich ja seit Jahren nicht mehr begrüßt.“ Dia ließ ihre Mutter sofort wieder los und meinte dann: „Ach, klar ist alles in Ordnung. Ich bin nur froh, dass du wieder da bist.“ Sie wollte von den Anrufen nichts sagen. Ihre Mutter hätte sich darüber noch viel mehr aufgeregt als sie. „Na gut, wenn das so ist, könntest du eigentlich den Tisch decken, dann können wir gleich alle zusammen essen. Papa kommt auch jeden Moment nach Hause. Oder hast du schon mit Isis gegessen? Ist ja schon recht spät.“ „Nein, wir haben soviel geredet, das haben wir glatt vergessen.“ „Na dann.“ In diesem Moment ging die Haustür auf und Dias Vater stand buchstäblich auf der Matte. „Hallo Papa, du bist ja auch schon da. Prima, dann können wir ja alle zusammen essen. Ich decke schnell den Tisch.“ Und schon war Dia wieder in der Küche verschwunden. „Hat sie was? Sie sieht so aufgeregt aus, beinahe überdreht“, stellte Dias Vater fest. „Keine Ahnung, was mit ihr los ist. Vielleicht ist Isis daran schuld.“ „Wer ist Isis?“ „Das ist Dias neue Freundin aus der Schule. Sie war heute hier. Ein nettes Mädchen. Und ein Fan von mir.“ „Marianne? Weiß sie etwa, wer du bist?“ „Ja aber keine Sorge, sie wird es nicht rumerzählen.“ „Dein Wort in Gottes Ohr.“ Doch bevor die beiden weiter darüber diskutieren konnten, rief Dia sie zum Essen. Und dabei erzählte sie ihrem Vater alles von der Schule und von Isis, von David und Kiki und von der Suche nach Askariels Sprecher. Allerdings verstanden ihre Eltern nicht, warum sie den suchen wollten. Aber sie fragten auch nicht. Am nächsten Nachmittag trafen sich Dia und Isis bei Isis zuhause. Ihre Eltern empfingen Dia sehr herzlich und stellten deutlich heraus, wie unglaublich schwer es ihre arme Tochter doch hatte. Isis verdrehte dabei ständig die Augen und als die beiden Mädchen endlich in Isis´ Zimmer verschwunden waren, entschuldigte die sich bei ihrer Freundin für den Endlosvortrag. „Sorry, ich hab dir ja gesagt, dass sie überfürsorglich sind. Sie haben dauernd Angst um mich, das kann ganz schön nervig sein. Aber trotzdem würde ich mit niemandem tauschen.“ Dia winkte ab. „Ach, schon gut. Ist doch verständlich. Solange sie mir das nicht jedes Mal erzählen, wenn ich komme. Dieses eine Mal kann ich schon verkraften. So, und jetzt lass uns das Plakat fertig machen.“ „Ich hab alles bereit gelegt, was wir brauchen.“ Isis zeigte auf ihren Schreibtisch. Dort lagen Filzstifte, Glitzerstifte, Kleber, Tesafilm, Eddings in verschiedenen Farben und Textmarker. „Meine Güte“, staunte Dia, „wir machen doch keine Leuchtreklame!“ „Ich dachte, wir schmücken es hübsch, malen noch ein paar Herzchen rein und so“, kicherte Isis. „Ha ha, sehr komisch. Hast du die große weiße Pappe?“ fragte Dia pikiert und Isis grinste schadenfroh. Sie zog eine große Rolle hinter ihrem Schrank hervor und hievte sie auf den Stuhl. „Hier ist genug Papier für eine weltweite Suchaktion drauf. Wir malen das Schild auf Papier und kleben es hinterher auf Pappe. Ich hab mir da schon einen großen Karton gesichert, den schneiden wir auseinander. Aber vielleicht sollten wir das Ding nicht zu groß machen, sonst wird es einfach entsorgt, weil man nichts anderes mehr sieht.“ „Verstehe ich nicht. Ich dachte, wir stellen das einfach unten in den Eingangsbereich, wo es jeder sieht, der dran vorbeiläuft“, beschrieb Dia. Aber Isis hatte eine andere Idee. „Nein, wir hängen es ans schwarze Brett. So was gibt es in jeder Firma. Dort werden Ankündigungen ausgehängt, die alle Mitarbeiter betreffen. Und auf diese Art wird es jeder lesen.“ „Eine prima Idee!“ freute sich Dia. „Aber sag mal, lassen die uns überhaupt da rein, damit wir bis ans schwarze Brett kommen?“ Ein berechtigter Einwand, wie Isis fand. Notfalls musste Eine ablenken, während die Andere sich durchschlich. „Mensch, das wird ja viel aufregender als ich dachte! Aber vielleicht lässt man uns ja so durch“, hoffte Dia. „Wir werden sehen“, beendete Isis die Vermutungen. „Sag mal, hat eigentlich Kiki heute irgendwas zu dir gesagt?“ „Nichts, sie hat mich nur giftig angestarrt, als David „Guten Morgen“ zu mir gesagt hat. Ich glaube nicht, dass sie angerufen hat.“ „Natürlich, wer sollte es denn sonst gewesen sein? Sie hat einen Grund, sonst kennt dich doch keiner. Und von Askariel weiß niemand außer uns beiden.“ Dia versuchte noch mehrere Male, Isis zu überzeugen aber Isis ließ nicht von ihrer Meinung ab. Sie war überzeugt, es konnte nur Kiki gewesen sein. „Lass uns jetzt endlich anfangen. Sonst schaffen wir es heute nicht mehr zu den Studios. Wird eh schon knapp. Vielleicht fahren wir besser morgen. Machen wir heute nur das Schild fertig“, schlug Isis vor. Dia war enttäuscht aber sie stimmte zu. Sie malten bis zum Abend. Als sie endlich zufrieden waren, war die Papierrolle nur noch halb so dick und Isis´ Papierkorb quoll über. Sorgfältig klebten sie das Papier auf den Karton und dann verabschiedete sich Dia. Später lag sie wach in ihrem Bett und stellte sich vor, wie Askariel sie anrief. Mit einem zufriedenen Lächeln ließ sie sich in Morpheus´ Arme fallen. Am nächsten Tag konnte sich Dia gar nicht richtig auf den Unterricht konzentrieren. Sie war so aufgeregt, dass sie sogar die Problematik mit Kiki völlig vergaß. Als David sie begrüßte, lächelte sie ihn an. „Morgen! Na, alles klar bei dir?“ fragte sie fröhlich. David sah erstaunt aus. „Nanu, du redest ja mal mit mir, wie kommt denn das?“ fragte er verwundert. „Klar, warum sollte ich denn nicht mit dir reden? Du redest ja auch mit mir!“ „Das ist aber das erste Mal seit du in dieser Klasse bist. Gestern hast du mich nur groß angesehen und dann warst du unterm Tisch verschwunden.“ Dia lief rot an und suchte nach einer passenden Ausrede. Aber es fiel ihr nichts Plausibles ein. Deshalb wechselte sie das Thema. „Sag mal, hast du nicht Lust, am Samstag was mit mir zu unternehmen? Ich würde gerne mal wieder in eine Disco gehen aber ich kenne mich hier ja nicht aus. Isis darf leider nicht wegen der Zucker-Sache.“ Davids Augen leuchteten auf. Dia bemerkte das nicht aber Kiki sah es ganz genau. Und sie hatte gehört, was Dia gesagt hatte. Offensichtlich hatte ihre Drohung nicht gewirkt, nun gut, dann musste sie sich eben deutlicher ausdrücken. Im Laufe des Vormittags schnappte sie zufällig etwas über den geplanten Ausflug zum Synchronstudio auf. Sie hatte zwar keine Ahnung, was Dia und Isis dort wollten aber es interessierte sie auch nicht. Zum Glück kannte sie die Öffnungszeiten des Studios. Heute war Mittwoch, da war am Nachmittag auch für Besucher geöffnet. Kiki hatte einen Plan. In der letzten Pause verschwand sie plötzlich und tauchte erst während des Unterrichts wieder auf. Der Lehrerin sagte sie, sie hätte noch dringend zur Toilette gemusst. Die glaubte ihr das. Als Kiki zu ihrem Platz ging, lächelte sie böse. Dia konnte kaum stillsitzen. Sie rutsche auf ihrem Sitz im Bus hin und her. Isis musste sie immer wieder beruhigen. Irgendwann wurde sie von der Euphorie angesteckt und als die beiden Mädchen am Studio aus dem Bus stiegen, kicherten sie nur noch vor Aufregung. Isis hatte das Plakat in ihre alte Kunstmappe gesteckt, damit es nicht jeder sah. Als sie das Studio betraten, saß ein älterer Mann am Empfang. Dia und Isis traten an die Glasscheibe und drückten sich beide Daumen. „Guten Tag, die Damen. Kann ich Ihnen helfen?“ fragte der Mann freundlich. „Guten Tag. Wir hätten ein spezielles Anliegen“, begann Isis zu erklären, denn Dia brachte kein Wort heraus. „Wir suchen jemanden, der hier arbeitet.“ „So? Haben Sie einen Termin? Wer ist es denn?“ fragte der Mann und zog einen großen Terminkalender zu sich heran. Dia und Isis sahen sich etwas ratlos an. Das sah ja nicht gut aus! „Tja, das wissen wir leider auch nicht. Und wir haben auch keinen Termin“, antwortete Isis. „Und wir wollen auch nicht zu ihm, wir möchten ihm nur eine Nachricht hinterlassen.“ Der Mann schob den Kalender wieder von sich. „Nun ja, wenn Sie einen Termin hätten, könnten Sie zu ihm, heute ist ja Besuchertag. Aber wenn Sie nur eine Nachricht hinterlassen wollen, kein Problem. Und für wen ist die Nachricht?“ fragte der Mann und riss einen Zettel von seinem Notizblock. „Nein, schon gut, wir haben die Nachricht hier“, sagte Isis und öffnete ihre Mappe. „Und wie gesagt, den Namen wissen wir nicht, jedenfalls nicht den richtigen.“ Mit diesen Worten zog sie das Plakat aus der Mappe und hielt es vor sich. Der Mann hinter der Scheibe schaute verblüfft auf das Plakat und dann Isis und Dia an. Dann las er den Text und sein Blick verfinsterte sich. „Was ist denn das für ein Blödsinn? Seid ihr etwa zwei verrückte Fans? Erhofft ihr euch Autogramme oder Fanartikel hier?“ fuhr er die Mädchen an. In dem Moment ging die Tür zur Halle auf und ein etwa 20 jähriger Mann kam heraus. Er beachtete die Mädchen nicht aber als Isis bat: „Bitte, wir wollen doch nur dieses Schild an Ihrem schwarzen Brett aufhängen, damit sich der Sprecher bei meiner Freundin hier meldet! Wenn wir seinen Namen wüssten, wäre das vielleicht gar nicht nötig aber Askariels Sprecher wird einfach nicht genannt in der Serie.“ Da blieb der Mann plötzlich stehen. „Ihr spinnt wohl! Das kommt überhaupt nicht in Frage! Die Sprecher möchten nicht von Fans genervt werden und dieser ganz besonders. Deshalb wird sein Name auch nirgendwo genannt. Also spart euch die Mühe und dieses Schild wird hier nicht aufgehängt!“ Der Pförtner wollte gerade zu einem Rausschmiss übergehen, als er den jungen Mann bemerkte. „Oh, hallo Dominik! Schon Feierabend?“ fragte er, während Isis enttäuscht das Plakat wieder in ihrer Mappe verstaute. „Hallo Didi, was ist denn hier los?“ fragte der junge Mann zurück. Dia sah Isis an und Isis verstand. Sie zog das Schild wieder aus der Mappe und zeigte es dem Mann. „Wir möchten gern dieses Schild hier aufhängen. Wir suchen den Sprecher von Askariel aus Eslosia. Meine Freundin Dia hier ist nämlich total in seine Stimme verknallt.“ Während der Mann den Text durchlas – offenbar sehr sorgfältig, er brauchte dafür eine ganze Minute - lief Dia knallrot an und rammte Isis den Ellenbogen in die Seite. Die grinste nur und ihr fragender Blick sollte wohl soviel bedeuten wie: stimmt doch! „Ein hübsches Schild, aber Didi hat Recht. Ihr dürft so was hier nicht aufhängen. Sorry“, bestätigte der Mann und steckte sich einen Kugelschreiber in die Jacke. Noch enttäuschter packte Isis das Schild ein zweites Mal in die Mappe zurück. „Na, habt ihr es jetzt verstanden?“ fragte der Pförtner triumphierend. „Und jetzt geht lieber nach Hause.“ Dagegen konnten die Mädchen nichts machen. Mit hängenden Köpfen verließen sie das Studio und trabten in Richtung Parkanlage. „Hat man so was schon erlebt?“ fragte der Pförtner und schüttelte verständnislos den Kopf. „Ein Suchplakat für einen Synchronsprecher! Mal ehrlich: hättest du dich bei dem Mädchen gemeldet?“ fragte er den jungen Mann. Der sah Dia neugierig hinterher und lächelte. Dann hielt er seine linke Handfläche hoch und der Pförtner sah, dass etwas darauf gekritzelt war, ziemlich undeutlich und etwas verschmiert. Eine Telefonnummer. „Hast du mal ein Blatt Papier?“ fragte der Mann und grinste. Der Pförtner schüttelte ebenfalls grinsend den Kopf und schob einen Zettel unter der Trennscheibe hindurch. Ein blaues Auge und ein Retter ------------------------------ „Das war ja wohl eine totale Pleite, was?“ stellte Isis fest. „Wir hätten es doch mit reinschummeln versuchen sollen.“ Aber Dia bezweifelte den Erfolg einer solchen Aktion. „Du hast doch gesehen, dass das nicht geklappt hätte. Der Typ hatte die Eingangstür zur Halle voll im Blick. Und selbst wenn es doch geklappt hätte, dann hätte uns der Andere erwischt. Und übrigens“, fuhr Dia Isis an, „bist du irre? Du kannst das mit der Stimme doch nicht einfach so rausquatschen! Mann, war mir das peinlich!“ Aber Isis lächelte nur. „Warum nicht? Mit etwas Glück trägt einer von den beiden das vielleicht an den Sprecher weiter, wer weiß…“ „Na der Alte jedenfalls nicht, das steht fest. Und der andere, dieser Dominik bestimmt auch nicht. Was meinst du, ob der wohl auch Synchronsprecher ist?“ fragte Dia während Isis einen Schokoriegel aus der Tasche zog. „Mit Sicherheit. Aber seine Stimme kam mir überhaupt nicht bekannt vor. Dir vielleicht?“ Sie biss vom Riegel ab und reichte Dia die Mappe. Dia drückte sie nachdenklich an sich. „Ich weiß nicht genau. Sie kam mir schon irgendwie bekannt vor aber ich konnte sie keiner bestimmten Rolle zuordnen. Wahrscheinlich hat er irgendwelche Nebenrollen in Kinofilmen gesprochen, keine Ahnung.“ Isis warf die Verpackung ihres Schokoriegels in einen Mülleimer und ließ sich auf eine Bank fallen. Dia setzte sich daneben. „Sollen wir es noch mal versuchen, vielleicht nächste Woche oder so?“ fragte Isis aber Dia schüttelte den Kopf. „Da wird es auch nicht besser klappen. Vergiss es. Vielleicht finden wir den Namen ja doch irgendwann im Internet oder so.“ „Das bezweifle ich. Du hast den Alten doch gehört. Der Name taucht nirgendwo auf. Wir müssen wohl damit leben, dass wir ihn nicht finden. Tut mir leid, Dia.“ Isis legte ihren Arm um Dia und Dia ließ den Kopf auf die Schulter ihrer Freundin fallen. Sie war enttäuscht. Sie hatte sich so große Hoffnungen gemacht und nun öffnete sich ein tiefes Loch unter ihren Füßen. Sie war den Tränen nahe. „Weißt du was? Wir steigen jetzt in den Bus und dann zeige ich dir ein bisschen was von unserer schönen Stadt. Einverstanden?“ schlug Isis vor. Dia wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und nickte. Die beiden standen von der Bank auf und gingen zurück zur Bushaltestelle – beobachtet von zwei böse funkelnden Augen. „Das ist unsere beliebteste Einkaufsstraße, hier kaufen alle ihre Klamotten, die cool sein wollen. Die Preise sind aber auch dementsprechend. Sieh mal, da drüben ist das beliebteste Eiscafe bei allen unter 30 und gleich daneben der trendigste Frisör.“ Isis hatte sichtlich Freude daran, Dia alles zu zeigen. Dia jedoch lächelte nur milde und nickte, ab und zu untermalte sie diese Gesten mit einem „Aha“ oder „Wow“ aber eigentlich war sie nicht wirklich interessiert daran. Ihre Gedanken kreisten immer noch um Askariel und seine Stimme, die nun wohl nie ganz allein zu ihr sprechen würde. „Hey, hörst du überhaupt richtig zu?“ fragte Isis plötzlich gereizt. „Ich sagte, da hinten um die Ecke solltest du lieber nicht gehen!“ Dia blickte auf und schaute in die Richtung, in die Isis zeigte. „Warum denn nicht?“ fragte sie, offensichtlich völlig desinteressiert. „Ganz einfach, das ist unser Schlägertreffpunkt, gleich da hinten bei dem Springbrunnen.“ Dia horchte überrascht auf. „Wie meinst du das?“ „Na ja, die ganzen kaputten Typen, teilweise dürften die auch schon ein Strafregister bei der Polizei haben. Diebstahl, Prügeleien, Pöbeleien, Sachbeschädigung und wer weiß was sonst noch alles. Eigentlich immer nur kleine Sachen aber das läppert sich. Und die haben immer was zu Saufen. Würde mich nicht wundern, wenn sie auch Drogen nehmen.“ Isis blickte die Straße hinunter, wo zwei junge Frauen am Rand des Brunnens saßen und sich gerade gegenseitig Bilder auf den Körper malten. „Und diese Typen laufen immer noch frei rum?“ fragte Dia entrüstet. „Natürlich, ich sag ja, es sind immer nur Kleinigkeiten, die reichen nicht, um diese Leute dauerhaft einzusperren. Ich glaube, einer musste mal eine Woche einsitzen, weil er einem Touristen, der da lang lief und irgendwas Falsches gesagt hat, die Nase gebrochen hat. Die Leute hier machen einen Bogen um diese Straße. Ist ja eh eine Sackgasse. Ich wollte es dir nur sagen, damit du dir diese Erfahrung ersparst.“ Dia bekam eine Gänsehaut. Und ein ungutes Gefühl. „Wie ist es denn mit Vergewaltigungen?“ fragte sie nervös. „Gab´s das auch schon?“ Isis überlegte kurz. „Nicht dass ich wüsste aber wenn es nicht angezeigt wurde... Zutrauen würde ich es denen jedenfalls – sofort“, erklärte Isis. Dia sah unbehaglich noch einmal in Richtung des Brunnens – und stellte erschrocken fest, dass die beiden Frauen sie ansahen. „Lass uns weiter gehen“, bat sie Isis und zog an ihrem Arm, „ich finde es hier unheimlich.“ Isis konnte dem nicht widersprechen und folgte Dia. Doch nach einigen Metern hielt sie an. „Warte mal, ich muss unbedingt mal auf´s Klo. Am besten gehe ich da drüben in das kleine Café. Du kannst dich ja da auf die Bank setzen. Ich bringe uns auch was mit. Möchtest du ein Schweinöhrchen?“ fragte sie und zog ihre Geldbörse aus der Tasche. Aber Dia lehnte ab. „Nein danke, aber vielleicht eine Salzbrezel, darauf hätte ich jetzt Lust.“ „Schon auf dem Weg!“ rief Isis im Weggehen und war kurz darauf in einem kleinen Café verschwunden. Dia setzte sich nicht weit davon auf eine Bank. Ihre Gedanken schweiften wieder zu Askariel. Plötzlich standen die beiden Frauen vom Springbrunnen vor ihr. Sie sahen sie drohend an. „Bist du Dia?“ fragte die eine. Sie hatte ein Stachelhalsband um und trug mehrere protzige Ringe mit Totenköpfen. „Woher kennt ihr denn meinen Namen?“ fragte Dia perplex und bereute die Frage im gleichen Augenblick. „Ich meine, kommt drauf an. Was wollt ihr denn?“ „Eigentlich nichts Besonderes. Wir mögen es nur nicht, wenn man sich etwas nimmt, was schon einem anderen gehört.“ Und bevor Dia etwas sagen konnte, packte die Frau sie am Arm und zog sie von der Bank hoch. „Hey, was soll das? Wovon redest du eigentlich?“ fragte Dia ängstlich. Die beiden Frauen nahmen sie zwischen sich und zogen sie zu der Straße, die an dem Brunnen endete. Dia bekam Angst. Was wollten die beiden bloß von ihr? Eigentlich wollte sie um sich treten und schreien aber die andere Frau, die ein Tattoo von einer mit Stacheldraht umwickelten schwarzen Rose auf dem Oberarm hatte, flüsterte ihr halblaut ins Ohr: „Versuch lieber nicht, abzuhauen. Wir wissen, wo du wohnst und wir kriegen dich auf jeden Fall.“ Nun verwandelte sich Dias Angst in Panik. Aber sie ließ sich von den zwei Frauen bis zu dem Brunnen führen. „Tja, Pech für dich, Kleine, dass man bei dir mit Drohungen nichts erreicht. Du zwingst uns, unser Anliegen sichtbarer zu machen“, sagte die mit den Ringen mit einem drohenden Unterton in der Stimme. „Und unvergesslich“, ergänzte die Andere. „Sorry, aber ich weiß nicht, was ihr meint“, wimmerte Dia und im nächsten Moment hatte sie das Gefühl, von einem Hammer getroffen zu werden. Sie fand sich auf dem Boden wieder. Die mit der Rose hatte ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen! Isis verließ das Cafe mit zwei kleinen Tüten in der Hand. Sie hatte eine Brezel für Dia und für sich selbst einen Nougatring gekauft. Sie wollte eigentlich auch ein Wasser mitnehmen aber dann fiel ihr ein, dass sie ja eine Flasche in ihrem Rucksack hatte. Also hatte sie die Flasche wieder in den Kühlschrank zurück gestellt. Isis überquerte die Straße und steuerte auf die Bank zu, auf der Dia warten sollte. Aber Dia war nicht da! Stattdessen saß ein anderes Mädchen auf der Bank: Kiki! „Hey, was machst du denn hier, Kiki? Wo ist Dia?“ fragte Isis etwas irritiert und sah sich um. Dia war nicht zu sehen. Dann bemerkte sie Kikis zufriedenen Gesichtsausdruck. „Kiki? Wo ist Dia?“ wiederholte Isis mit einem drohenden Klang in der Stimme. Kiki lächelte selbstgefällig. „Die bekommt gerade Unterricht“, meinte sie und zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter in Richtung Schlägertreffpunkt. Entsetzt starrte Isis zu der kleinen Sackgasse hinüber. „Was hast du getan?“ fragte sie und ihre Augen sprühten vor Zorn. Sie packte Kiki ziemlich grob am Arm. „Aua! Lässt du mich gefälligst mal los? Ich hab gar nichts getan, ich sitze hier doch ganz friedlich.“ Und sie grinste triumphierend. Isis stieß Kiki weg und rannte los. Einen Moment wusste Dia nicht, wo sie war. Ihr rechtes Auge schmerzte scheußlich. „Na, kapierst du jetzt, worum es geht?“ fragte die mit dem Halsband. „Las deine Hände von dem Typ, klar? Du sprichst nicht mit ihm, du gehst nicht aus mit ihm, du siehst ihn nicht mal an, kapiert?“ So langsam dämmerte Dia, worum es ging. „Redet ihr von David?“ fragte sie und rappelte sich langsam wieder auf. „Exakt“, bestätigte die Schlägerin mit der Rose. „Der Junge steht nicht zur Wahl, der ist bereits vergeben. Also halt dich von ihm fern. Sonst wird beim nächsten Mal Mitzi hier dich begrüßen.“ Bei diesen Worten hielt die mit dem Halsband ihre Hand mit den vielen Ringen hoch und wackelte mit den Fingern. „Das ist doch wohl seine Entscheidung, oder?“ antwortete Dia trotzig. Und plötzlich wusste sie, wer da angerufen hatte. Es war die mit der Rosentätowierung. „Auch noch frech werden, was? Du willst es wohl unbedingt so. Mitzi, mach ihr klar, dass wir nicht darüber verhandeln.“ Mitzi trat einen Schritt auf Dia zu und ballte die Hand zu einer Faust. Sie hob den Arm, um zuzuschlagen. „Hey, ihr da!“ rief plötzlich eine männliche Stimme hinter ihnen. „Das würde ich an eurer Stelle lieber lassen!“ Die beiden Frauen drehten sich um und auch Dia schaute zwischen ihnen hindurch, wer da so verrückt und so mutig war, sich einzumischen. Dia erkannte den Mann sofort wieder. Es war der aus dem Studio! Die beiden Frauen traten einen Schritt auf ihn zu und die mit der Rose fragte spöttisch: „So? Warum denn? Willst du uns etwa drohen, oder was?“ Der Mann lächelte selbstsicher. „Nein, nicht direkt.“ Dann zog er ein Handy aus der Tasche und drückte einige Tasten. Er hielt sich das Handy ans Ohr und nach einigen Sekunden sagte er: „Hallo, Polizei? Ich möchte eine Straftat melden…… ja, ich bin hier am Brunnen in der Kochstraße und hier sind zwei Frauen gerade dabei, ein jüngeres Mädchen zu misshandeln……in zwei Minuten? Okay aber Vorsicht, die sind gefährlich!“ Dann drückte er wieder eine Taste und steckte sich das Handy wieder ein. „So Ladies, die Polizei ist in zwei Minuten hier. Also, wollt ihr weiter machen oder lieber abhauen?“ Die beiden sahen sich kurz an und nach einem letzten bösen Blick auf Dia verschwanden sie durch einen schmalen Gang zwischen den Häusern. „Warum soll ich drohen, wenn ich bluffen kann?“ fragte der Mann aus dem Studio und grinste breit. Dann trat er auf Dia zu. „Alles in Ordnung mit dir? Yoy, das Auge sieht aber böse aus. Da solltest du etwas Eis drauflegen!“ Dia wollte gerade „Danke“ sagen, als jemand ihren Namen rief. „Dia! Ist alles in Ordnung? Bist du okay? Mein Gott, wie sieht denn dein Auge aus?“ fragte Isis aufgeregt. Dann musste sie sich auf ihre Knie stützen und erstmal Luft holen. Dia legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ganz ruhig, du bist ja total außer Atem, beruhige dich erstmal. Mir geht´s ganz gut. Allerdings tut mein Auge ganz schön weh. Aber wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich jetzt vielleicht eine gebrochene Nase oder ein paar Zähne weniger.“ Und sie zeigte auf den Mann vom Studio. „Danke für die Hilfe. Die Polizei kommt also gar nicht? Na ja, Hauptsache, die beiden Schlägerbräute sind weg.“ „Kann mir mal einer erklären, was hier abgeht?“ fragte Isis verwirrt, als sie endlich wieder normal atmete. Und dann erzählte Dia, was passiert war. „Keine Ahnung, woher die mich kannten oder wieso die was von David wissen. Aber eine von denen hat mich gestern angerufen, soviel ist sicher. Die mit der Rose auf dem Arm, ich hab ihre Stimme wieder erkannt.“ „So, die Drecksarbeit delegiert sie also an andere, verstehe!“ fauchte Isis zornig. „Na, die nehme ich mir noch vor!“ Und sie schlug mit der Faust in ihre Hand. „Äh, klärst du mich mal auf?“ bat Dia. Und Isis erzählte von Kiki auf der Bank und was sie gesagt hatte. Dias Miene verfinsterte sich. „Also doch Kiki, du hattest recht, Isis. Dieses Miststück! Na, die kann jetzt was erleben!“ Plötzlich mischte sich der Mann vom Studio ein. „Entschuldigung? Darf ich mal dazwischen? Wie wäre es, wenn wir uns von diesem „Tatort“ entfernen und uns stattdessen in eine Eisdiele setzen? Ich lade euch ein. Und du – äh Dia richtig? – kannst dir das Eis gleich aufs Auge drücken.“ Er lächelte freundlich und die Mädchen waren einverstanden. „Ich heiße übrigens Dominik. Ich arbeite im Synchronstudio, na ja, das habt ihr ja sicher bemerkt, als ihr vorhin da wart. Ihr sucht also den Sprecher von Askariel, hab ich das richtig verstanden mit dem Schild?“ „Ja, ganz recht“, bestätigte Isis. „Übrigens Dia, wo ist eigentlich meine Mappe?“ Erschrocken sah sich Dia um. „Ich glaube, die müsste noch auf der Bank liegen. Ja, mitgenommen hab ich sie vorhin nicht. Die lag neben mir.“ „Na dann sollten wir sie schleunigst holen“, meinte Isis. „Kiki saß da eben. Na das fehlte noch, dass Kiki unser Schild sieht!“ Die drei rannten zurück zur Bank. Kiki war weg, die Mappe ebenfalls. „Das glaub ich nicht, Kiki hat sie mitgenommen, wetten?“ mutmaßte Isis. „Glaubst du? Vielleicht war sie ja schon weg, bevor Kiki da war“, warf Dia ein aber Isis bezweifelte das. „Da müssten wir schon ein verdammtes Glück haben. Ich würde um mein Kalderan-Poster wetten, dass sie die Mappe hat.“ Dominik sah Isis erstaunt an. „Du also auch? Meine Güte, wer hätte gedacht, dass Eslosia bei Mädchen eures Alters so einschlagen würde?“ Dia und Isis schauten sich an und Dia meinte stolz: „Vielleicht sind wir aber auch die Ausnahme.“ „Ja“, stimmte Isis zu, „physisch 16 und im Herzen 12!“ Und beide fingen an zu lachen. Den ganzen restlichen Nachmittag saßen die drei in der Eisdiele und erzählten sich alles Mögliche. Die Bedienung hatte Dia zuerst erschrocken angesehen und dann einen argwöhnischen Blick auf Dominik geworfen. Aber Dia versicherte ihr, dass Dominik nichts mit ihrem Auge zu tun hatte und sie nur gerne eine Eispackung zum Kühlen hätte. Nur über seine Arbeit schwieg sich Dominik beharrlich aus. Alles was die Mädchen aus ihm heraus bekamen war, dass er auch mit Eslosia zu tun hatte. Und als Dia ihn fragte, ob er ihr nicht den Namen des Sprechers von Askariel verraten könnte, sagte er: „Sorry, das darf ich nicht. Er will es nun mal nicht. Ich könnte meinen Job verlieren, wenn ich was ausplaudere. Ich musste das schriftlich versichern. Tut mir echt leid.“ Aber Dia gab nicht so leicht auf. Sie musste ihre Chance nutzen, eine weitere würde sich nicht bekommen. „Aber du könntest ihm doch wenigstens sagen, dass wir ihn suchen! Und dass er mich anrufen soll.“ „Warum soll er dich eigentlich anrufen, das verstehe ich nicht!?“ fragte Dominik interessiert. Dia wurde rot und sah Isis hilfesuchend an. „Hab ich doch im Studio schon gesagt, Dia ist in seine Stimme verknallt. Und sie möchte, dass er einmal nur mit ihr spricht, ihren Namen sagt und so.“ In dem Moment trat Dia Isis vors Schienbein und wurde noch eine Spur roter. „Was denn? Er hat es doch eh schon gehört und er hat gefragt. Und wenn die Stimme weiß, worum es dir geht, ruft sie vielleicht wirklich mal an!“ Isis dachte logisch und praktisch aber Dia wäre am liebsten unter den Tisch gerutscht. „Ach so, ich verstehe“, meinte Dominik. „Tja, mal sehen. Versuchen kann ich es ja.“ Als Dia das hörte, glaubte sie einen Moment, ihr Herz würde aussetzen. Wie erschlagen starrte sie ins Leere während Isis in Jubel ausbrach. „Wahnsinn! Er versucht es! Dia, wir haben es geschafft! Ist das nicht spitze? Vielleicht ruft er dich wirklich an!“ Und sie umarmte ihre Freundin, die ihr Glück noch gar nicht fassen konnte. Sie erwiderte die Umarmung und schrie plötzlich laut auf vor Freude und Aufregung. Dann befreite sie sich aus der Umarmung, sprang von ihrem Stuhl auf und stürzte auf Dominik zu, um ihn ebenfalls zu umarmen. „Danke, tausendmal Danke! Wenn du wüsstest, wie viel mir das bedeutet! Erklär es ihm und sag ihm, dass ich nichts weiter von ihm will. Er soll mich nur einmal anrufen, dann wird er nie wieder etwas von mir hören.“ „Oh Mann, wir müssen zum Bus! In zehn Minuten fährt der Letzte!“ rief Isis nach einem Blick auf ihre Uhr. Die Mädchen bedankten sich für das Eis und verabschiedeten sich von Dominik. Natürlich war Dias Mutter erschrocken, als sie das blaue Auge sah und verlangte auch eine Erklärung. Dia erzählte von den beiden Frauen in der Stadt aber sie schwieg sich über den wahren Grund der Attacke aus. „Vielleicht gefiel ihnen meine Nase nicht, keine Ahnung. Vielleicht hatten sie auch einfach nur einen Schlag weg“, versuchte Dia das Ganze zu verharmlosen. Schließlich fragte ihre Mutter nicht weiter aber sie bat sich aus, dass Dia diese Ecke von Hamburg in Zukunft mied. Dia versprach es ihr. Dann gab es Essen. Anruf von einem Engel --------------------- „Nicht schon wieder! Wann sind wir denn mal alle gleichzeitig zuhause?“ fragte Dia enttäuscht, als ihre Mutter später am Abend ihre Jacke von der Garderobe nahm. Sie lächelte beschwichtigend. „Du weißt doch, mein Buch. Ich muss heute wieder zu diesem Seminar.“ Sie griff nach ihrer Tasche und suchte ihren Schlüssel. „Aber muss Papa denn unbedingt auch wieder länger arbeiten? Kann er nicht mal pünktlich nach Hause kommen? Ich verstehe nicht, wieso du das so mitmachst, ohne zu meckern!“ Frau Freise lachte. „Ach Dia, das Thema haben wir schon zur Genüge ausdiskutiert, als du noch so klein warst“, erklärte sie und hielt dabei ihre Hand in Höhe ihrer Hüfte. „Es geht nun mal nicht anders. Aber mit etwas Glück wird Papa noch in diesem Jahr befördert und dann wird sich einiges ändern. Außerdem: was stört dich an einem leeren Haus ganz für dich allein? Freu dich doch!“ Sie klopfte die Taschen an ihrer Jacke ab und förderte ihren Schlüsselbund zutage. Dia merkte, dass es wohl keinen Sinn hatte, ihrer Mutter zu erklären, was sie meinte. Sie wollte endlich mal einen gemütlichen Abend mit ihren Eltern gemeinsam verbringen. Einen Film ansehen oder Spiele spielen. Vor Jahren hatte ihr Vater damit begonnen, ihr Schach beizubringen, dann aber immer weniger Zeit gehabt. Inzwischen hatte Dia alle Regeln wieder vergessen. „Na schön, dann freu ich mich eben“, murrte sie ohne Überzeugung. Also würde sie sich in ihr Zimmer zurückziehen und ein paar Folgen Eslosia ansehen – allein – mal wieder. „Na also“, stimmte ihre Mutter ein, ohne das Murren zur Kenntnis zu nehmen. „Papa müsste in etwa zwei Stunden hier sein. Vielleicht könntest du ihm ja rechtzeitig das Essen warm machen, okay? Und kühl dein Auge! Ich muss jetzt los. Also bis nachher!“ Und schon war Frau Freise zur Tür hinaus. Dia schlurfte lustlos die Treppe hinauf und warf die Tür hinter sich zu. Den Rat ihr Auge betreffend ignorierte sie absichtlich, denn obwohl es inzwischen violett geworden war, schmerzte es kaum noch. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und starrte etwas gelangweilt und enttäuscht an die Decke. Dann drückte sie den Kopf in den Nacken und betrachtete Askariel über ihrem Kopf, der sie verkehrt herum ansah. „Nur du und ich, was? Aber das kennen wir ja schon. Ich wünschte, du wärst echt!“ In diesem Moment klingelte das Telefon. Ein Mobilteil lag wie üblich auf Dias Nachtschränkchen, damit sie nicht jedes Mal runter ins Wohnzimmer laufen musste. Dia rollte mit den Augen. Sie dachte an Kiki, die sie mal wieder bedrohen wollte. Begriff diese blöde Kuh eigentlich nicht, dass Dia an David gar kein Interesse hatte? Oder ging es um die Disco? David sollte ihr doch nur zeigen, wo etwas los war, sonst nichts! Genervt griff sie zum Telefon. „Freise?“ meldete sie sich ebenso genervt und gleichzeitig gespannt. Wenn da wieder jemand drohen wollte, würde sie diesmal richtig kontra geben. „Hallo Dia. Na, was glaubst du, wer hier ist?“ fragte eine männliche Stimme am anderen Ende. Dia richtete sich blitzartig auf. Ihr Herzschlag erhöhte sich sofort um das Dreifache und ihre Hände fingen an zu zittern. Sie war wie elektrisiert. Das war doch…Askariel! Nein, unmöglich! Aber sie kannte seine Stimme doch ganz genau, das war er! „Hallo? Dia, bist du da?“ fragte die Stimme etwas besorgt. „Ich wollte dich nicht erschrecken aber ich dachte, du wartest auf meinen Anruf. Nun, da ist er!“ Einen Moment lang wusste Dia nicht, ob sie schreien, heulen, ohnmächtig werden oder auflegen sollte. Ihre Stimme zitterte, als sie nur ein Wort hervor stotterte: „A-A-A-Askariel?“ „Na jetzt bin ich aber froh. Ich dachte schon, du wärst in Ohnmacht gefallen. Ja, ganz recht. Hier ist Askariel. Was möchtest du denn von mir? Warum sollte ich dich anrufen?“ fragte die Stimme – in sehr liebevollem Ton, wie Dia fand. Sie hatte plötzlich einen Kloß im Hals und musste schlucken. Beinahe hätte sie losgeheult aber sie riss sich zusammen und versuchte, die passenden Worte zu finden. „Ich wollte…, na ja, ich bin total…also, deine Stimme… woher weißt du das eigentlich?“ Sie traute sich nicht, ihm die Wahrheit zu sagen und lenkte deshalb erst einmal vom Thema ab. Doch während sie die Frage stellte, fiel ihr auf, dass sie das wirklich gern wissen wollte. „Ein guter Freund hat mir das gesagt und mir auch deine Nummer gegeben“, antwortete die Stimme. Dia dachte sofort an Dominik. „Also, was kann ich denn nun für dich tun?“ wiederholte die Stimme freundlich ihre Frage. Dia atmete tief ein. Jetzt oder nie! dachte sie sich im Stillen. Das ist die Chance! „Ich bin in deine Stimme verliebt“, schoss es ihr aus dem Mund, „und ich wollte diese Stimme nur ein einziges Mal ganz für mich haben.“ Konnte ihr Herz noch schneller schlagen? Und was würde er jetzt wohl sagen? „Danke, ich fühle mich geschmeichelt. Das ist wirklich sehr lieb von dir. Aber dir ist doch hoffentlich klar, dass diese Stimme nur einer gezeichneten Figur gehört und im wahren Leben ganz anders klingt?“ Auf diese Idee war Dia bisher noch gar nicht gekommen! „Wirklich? Deine normale Stimme ist ganz anders?“ fragte sie und aus ihrer Stimme ließ sich sowohl Enttäuschung als auch ein wenig Neugier heraus hören. „Ja, das ist Absicht. Du würdest mich nicht erkennen, wenn wir uns begegnen würden. Askariel ist nun mal eine Rolle.“ Dia konnte sich nicht vorstellen, dass die echte Stimme so anders war, dass sie sie nicht erkennen könnte. Aber sie wollte ja eigentlich auch nur die Askariel-Stimme hören. Doch gleichzeitig wollte sie jetzt unbedingt wissen, wer der Sprecher war. Die Gelegenheit war so günstig wie wohl nie wieder. „Wer bist du wirklich?“ fragte sie. „Das werde ich dir nicht sagen.“ „Warum nicht?“ „Weil ich nicht will, dass es jemand weiß.“ „Hast du Angst vor hysterischen Fans wie mir?“ „Ein bisschen. Und ich möchte auch nicht ständig meine Stimme verstellen.“ Dia hatte bemerkt, dass die Stimme auf ihre Selbstkritik nicht eingegangen war – weder zustimmend noch ablehnend. Sie fragte deshalb ganz direkt. „Bin ich für dich ein hysterischer Fan?“ Gespannt wartete sie auf die Antwort. „Irgendwie schon.“ Das war hart. „Und warum hast du mich trotzdem angerufen?“ „Erstens wusste ich nicht, warum du meinen Anruf wolltest und zweitens: weil ich dich wirklich sehr süß finde.“ Jetzt war Dia endgültig verwirrt. Was ging hier eigentlich vor? „So, ich muss jetzt auflegen. Ich danke dir noch mal für das liebe Kompliment und hoffe, ich hab dir auch eins gemacht. Also, schlaf schön, Dia und träum süß.“ Bevor Dia noch etwas sagen konnte, hatte die Stimme aufgelegt. Dia legte das Telefon beiseite und starrte wie weggetreten ins Leere. Ihre Gedanken wirbelten wie verrückt durcheinander. Er hatte angerufen! Er hatte tatsächlich angerufen! Er kannte ihren Namen! Und anscheinend wusste er sogar, wie sie aussah! Woher wusste er das bloß? Von Dominik? Ach Quatsch, der hätte sie ihm zwar beschreiben können, aber das allein würde für „sehr süß finden“ wohl kaum ausreichen. Dia hielt sich die Hände vor den offen stehenden Mund, als hätte sie gerade eine furchtbare Szenerie beobachtet. Sie stand richtig unter Schock. Langsam drehte sie sich auf ihrem Bett sitzend um und sah das Poster von Askariel über ihrem Bett an. Während sie es fixierte, spürte sie ein brodelndes Kribbeln in ihrem Bauch. Langsam bewegten sich ihre Mundwinkel nach außen und zogen sich nach oben. Aus einem Lächeln wurde so ein Grinsen und als das nicht mehr breiter werden konnte, begann Dia zu quieken. Sie ließ die Hände sinken und schrie laut auf. Dann sprang sie von ihrem Bett und hüpfte lachend und schreiend durch ihr Zimmer. Sie riss die Tür auf und stürmte die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer sprang sie kreischend auf die Couch und hüpfte darauf herum wie auf einem Trampolin. „Er hat mich angerufen! Er hat mit MIR gesprochen! Er hat meinen Namen gesagt! Oh Mann, ich könnte glatt durch die Decke springen! Das muss ich morgen sofort Isis erzählen, die wird mir nie glauben!“ Dia konnte ihr Glück kaum fassen. Am liebsten wäre sie nach draußen gerannt, um es der ganzen Welt zu verkünden: Askariel hat mich angerufen! Seine Oberhammerstimme hat für mich gesprochen! Ist die Welt nicht traumhaft schön? Nach einer Weile beruhigte sich Dia wieder. Und es fiel ihr wieder ein, was Askariel gesagt hatte. Wie konnte er sie gesehen haben? Vielleicht von einem Fenster aus? Dia hatte dafür keine Erklärung. Auch das wollte sie am nächsten Tag mit Isis besprechen. Ihren Eltern wollte sie nichts von dem Anruf erzählen. Es würde sie sowieso nicht weiter interessieren – oder sie würden ihr gar nicht erst glauben. Um kurz vor zehn Uhr stellte Dia das restliche Mittagessen in die Mikrowelle. Kaum dass es fertig war, hörte sie ihren Vater das Haus betreten. „Ich bin zuhause! Dia, wo bist du?“ rief er laut. Dann schälte er sich aus seinem Mantel und stellte seine Aktentasche vor der Garderobe ab. „In der Küche!“ rief Dia zurück. „Dein Essen ist gerade fertig! Mama ist noch nicht wieder da aber sie müsste eigentlich jeden Moment kommen!“ Dia stellte den Teller auf den Tisch und ging dann in den Flur, um ihren Vater richtig zu begrüßen. „Um Himmels Willen! Was ist denn mit dir passiert?“ fragte Herr Freise fassungslos beim Anblick von Dias Veilchen und prallte regelrecht zurück. „Ach das, halb so wild“, beruhigte Dia ihn sofort. Wenn sie ihrem Vater jetzt die Wahrheit sagte, würde der sie nie wieder aus dem Haus lassen. „Ich bin mit dem Auge gegen eine … Laterne gedonnert“, erklärte sie zögerlich. „Hab voll getroffen. Mein Auge ist Matsch aber der Laterne geht´s gut“, witzelte sie. Vorsichtig berührte Herr Freise die lila verfärbte Haut um das Auge herum mit dem Daumen. „Tut es sehr weh?“ fragte er mitfühlend. Aber Dia winkte ab. „Kaum noch, hab schon den ganzen Abend über Eis drauf gehalten.“ Nach dieser Aussage konnte Herr Freise beruhigt den klugen Erwachsenen heraus hängen lassen. „Bist du mit Augen zu durch die Gegend gelaufen? Wahrscheinlich hattest du wieder diesen Kinderkram im Kopf, was? Du musst wirklich besser aufpassen, du Schussel!“ Dia ließ diese Schelte über sich ergehen und trieb dann ihren Vater in die Küche. Kurze Zeit später kam Frau Freise nach Hause. Dia lief sofort hinaus in den Flur und klärte ihre Mutter über die falsche Story auf. Sie bat sie um Stillschweigen zwecks der Abwendung ewigen Hausarrestes und ihre Mutter stimmte schließlich widerwillig zu. Beruhigt verabschiedete sich Dia und ging in ihr Zimmer. Sie konnte lange nicht einschlafen. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um Askariel und seinen Anruf. Doch schließlich schlief sie doch ein. Und sie träumte wundervolle Dinge. Sie träumte von Askariel und lächelte im Schlaf. Genau wie Dia es erwartet hatte, glaubte Isis am nächsten Tag in der großen Pause kein Wort. Zuerst hatte Dia befürchtet, Isis wäre krank, weil sie nicht im Bus war. Aber kurz nach Unterrichtsbeginn erschien sie doch noch. Die Lehrerin nahm es ohne Überraschung zur Kenntnis. Anscheinend kannte sie den Grund für die Verspätung. Dia hätte ihn auch gern erfahren aber sie musste sich bis zur Pause gedulden. Natürlich hatten alle sie verwirrt angestarrt, als sie mit ihrem Veilchen die Klasse betrat. Aber Fragen nach Schmerzen tat sie ab, denn mittlerweile schmerzte das Auge tatsächlich nicht mehr. Die Ursache für das blaue Auge gab sie jedoch nicht preis obwohl alle sie bedrängten. Sie hätte die Geschichte mit der Laterne bringen können wie bei ihrem Vater aber zumindest Kiki kannte die Wahrheit und würde vielleicht die Klappe aufreißen. Sie würde sich nicht mal selbst einen Strick damit drehen, denn weder Dia noch Isis konnten beweisen, dass Kiki die Frauen auf sie gehetzt hatte. Im schlimmsten Fall konnte man ihr unterlassene Hilfeleistung vorwerfen und die könnte sie mit Angst um das eigene Wohl begründen. Dia wollte nicht, dass alle von der Schlägerin erfuhren. Es war ihr irgendwie peinlich, vor allem weil sie sich nicht mal gewehrt hatte. Aber Dia war überzeugt, dass Kiki die beiden Tussis auf sie angesetzt hatte. Vielleicht Freundinnen von ihr? Sollte sie sich davon einschüchtern lassen? Und hatte Kiki tatsächlich Isis´ Mappe mitgenommen? „Du willst mich veräppeln?“ fragte Isis ungläubig und ließ die Flasche Apfelschorle wieder sinken, aus der sie gerade trinken wollte. „Askariel hat ehrlich bei dir angerufen?“ Dia grinste mit weit aufgerissenen leuchtenden Augen und nickte. Isis blickte einen Moment lang prüfend in Dias Gesicht, dann war sie plötzlich überzeugt, dass es sich nicht um einen Scherz handelte. Sie riss ebenfalls die Augen auf und schlug die Hand vor den Mund. „Oh mein Gott!“ brachte sie völlig entgeistert hervor. Dann reagierte sie ebenso euphorisch wie Dia am Abend zuvor. Sie begann zu grinsen, dann zu quieken und schließlich warf sie ihre Arme um Dia. „Das ist unglaublich! Ich freue mich wahnsinnig für dich. Erzähl mir alles ganz genau! Wörtlich!“ Sie zog ein gigantisch großes Snickers aus ihrem Rucksack, riss die Verpackung auf und biss aufgeregt davon ab. Erwartungsvoll sah sie Dia an. Aber plötzlich betrat Kiki den Klassenraum und Dia flüsterte: „Ich erzähle es dir lieber nachher im Bus. Die da muss es ja nicht unbedingt mitkriegen.“ Und sie nickte unauffällig in Kikis Richtung. „Willst du ihr nicht noch die Meinung sagen wegen der Sache gestern in der Stadt?“ fragte Isis leise und ihre Augen bekamen ein gefährliches Glitzern. Am liebsten hätte sie Kiki den Hals umgedreht. Aber Dia hielt nichts von Gewalt. Sie wollte sich zwar auch rächen aber nicht so. Auch über dieses Thema wollte sie jetzt nicht reden, denn Kiki spitze die Ohren, das konnte Dia genau sehen. Deshalb fragte sie ihre Freundin erst einmal nach den Gründen ihrer Verspätung. „Ein kleines Zucker-Problem“, erklärte Isis wie beiläufig. „Als ich aufstand, wurde mir schwarz vor Augen. Meine Mutter hat mich ohnmächtig auf dem Fußboden vor meinem Bett gefunden. Sie wollte gerade mit dem Pen auf mich losgehen, als ich wieder zu mir kam.“ Dia hörte gespannt und gleichzeitig erschrocken zu. Aber Isis winkte sofort ab, als sie Dias Blick sah. „Alles halb so wild. Das passiert mir öfter aber das darf meine Mutter natürlich nicht wissen. Sie würde mir glatt verbieten, ohne ihre Anwesenheit aufzustehen. War das erste Mal, dass sie mich gefunden hat. Und ich musste sie erst mühsam überreden, mich zur Schule zu lassen. Sie wollte mich zum Arzt bringen aber du siehst ja, ich bin hier – ich hab also gewonnen. Hat halt nur etwas gedauert. Mama hat hier angerufen und die Situation erklärt.“ Dia sah immer noch erschrocken aus aber sie atmete trotzdem erleichtert aus. Mit ernster Miene sah sie ihre Freundin an. „Findest du nicht, dass du das etwas zu locker nimmst? Du hast doch selbst gesagt, das kann tödlich enden!“ Isis verdrehte die Augen. „Ach was, diese Ohnmachtsanfälle habe ich nur morgens, wenn ich noch nüchtern bin und dann zu schnell aufstehe. Ich denke da einfach nicht dran und zack! Schon liege ich da. Meistens dauert so ein Anfall nur zwei Minuten. Dann lutsche ich Traubenzucker, weil der am schnellsten ins Blut geht und dann läuft alles ganz normal. Mach dir jetzt bitte nicht solche Sorgen wie meine Mutter! Das kann ich nicht leiden.“ Dia bemerkte die Ablehnung in Isis´ Stimme und wechselte das Thema. „Sag mal, wenn Kiki wirklich deine Mappe hat, was glaubst du, was sie damit vor hat? Ob sie sie einfach zurückgibt?“ fragte sie flüsternd. Isis drehte sich zu Kiki um und fing einen höhnischen Blick auf. „Wohl kaum“, antwortete sie. „Ich hab keine Ahnung, was sie damit macht aber irgendwas wird sie tun. Wir werden sehen.“ „Ich hab sie übrigens vor Unterrichtsbeginn gefragt, ob sie deine Mappe hat“, berichtete Dia. „Sie sagt nein.“ „Natürlich sagt sie nein. Oder glaubst du, das würde sie zugeben? So blöd ist sie nicht.“ In diesem Moment klingelte es und als David an Dia vorbei ging, lächelte er sie an. Zaghaft lächelte sie zurück. Sie bemerkte nicht Kikis Blick, sonst hätte sie vielleicht geahnt, dass etwas auf sie zukam… Ein lebensgefährlicher Streich ------------------------------ Der nächste Morgen begann für Dia zunächst ganz normal. Im Bus begrüßte sie Isis wie sonst und auch Isis sah wieder wie immer aus. Sie war munter und freute sich schon auf das bevorstehende Wochenende. Da konnte sie ausschlafen und faulenzen. Ihr Zuckerproblem war in dieser Muße-Zeit viel weniger störend und gefährlich und das freute nicht nur sie sondern besonders auch ihre Mutter, die in dieser Zeit ebenfalls viel entspannter war. Dia hingegen freute sich zwar auch auf die zwei freien Tage aber sie machte sich auch Sorgen wegen der Sache mit David. Sie hatte ihn ja selbst gefragt und sie wollte auch nicht abspringen aber was wenn nun diese beiden Rockerbräute wieder auftauchten und ihr auflauerten? Das machte ihr schon etwas Angst. Sie fragte Isis nach ihrer Meinung. „Was soll ich machen, wenn die beiden plötzlich vor mir auftauchen? Glaubst du, David würde mir helfen? Oder wenn David schon weg ist und ich ihnen allein begegne? Soll ich morgen wirklich mit ihm ausgehen oder soll ich es lieber lassen?“ Isis biss gerade von einer Banane ab und klang etwas undeutlich aber ihre Meinung konnte deutlicher nicht rüberkommen. „Natürlich gehst du! Willst du dich etwa von diesen Miststücken erpressen lassen? Oder von Kiki? Ich hab da eine Idee. Wir fahren heute Nachmittag kurz in die City und besorgen dir Pfefferspray. Dann bist du im Notfall wenigstens nicht wehrlos. Einverstanden?“ Dia schaute gleichzeitig entsetzt und bewundernd drein. Auf diese Idee wäre sie nie gekommen. Und Isis setzte noch eins drauf. „Und um ganz sicher zu gehen, gebe ich dir mein Handy mit, damit du die Grünen holen kannst, falls nötig. Du solltest dir vielleicht auch mal ein Handy besorgen.“ Aber da hatte Dia entschieden was dagegen. Sie brauchte kein Handy. Für morgen allerdings nahm sie dieses Angebot gern an. Als der Bus an der Schule hielt, fühlte sich Dia richtig gut. Sie konnte sich auf den Disco-Abend mit David freuen und brauchte keine Angst um ihr Leben zu haben. Das versprach, viel versprechend zu werden. Wie immer beim Betreten des Schulgebäudes streiften die Blicke der Mädchen kurz überfliegend das Schwarze Brett im Vorbeigehen. Doch diesmal blieben sie wie angewurzelt davor stehen, die Augen weit aufgerissen und die Münder offen stehend. Da hing ihr Suchplakat! Das verschwundene Plakat, mit dem sie den Sprecher von Askariel finden wollten! Allerdings waren mit schwarzem Edding und verschiedenen anderen Leuchtfarben noch Kommentare bzw. eindeutige Aufforderungen dazu geschrieben worden. „Ruf mich an, ich will dich“ war noch das Harmloseste. Und unter allem prangten natürlich Dias Name und Telefonnummer, das war ja von Dia so gewollt. Aber genau so etwas hatte sie vermeiden wollen. Wie viele Schüler mochten wohl heute früh schon daran vorbei gegangen sein? Auch jetzt blieben manche stehen, sahen sich das Plakat genau an und grinsten. Einige niveaulose Bemerkungen fielen ebenfalls. Sie taten Dia in der Seele weh. Was tun? Wenn sie jetzt das Plakat abriss, wussten alle, dass sie gemeint war. Hilfesuchend sah sie Isis an. Sie hatte schon Tränen in den Augen vor Wut, Verletztheit und Scham. Isis berührte sanft ihren Arm und ihre Augen blitzten vor Zorn und Entschlossenheit. Sie drängte sich durch die Jungen, die sich vor dem Schwarzen Brett angesammelt hatten und riss mit beiden Händen voller Wut das Plakat von der Wand. Dia spürte ein Stechen in ihrer Brust. Welch ein Jammer um die viele Arbeit, die sie in das Plakat investiert hatten! Aber dann fiel ihr ein, dass der Sprecher sich ja längst bei ihr gemeldet hatte, also war ihr Unternehmen auf jeden Fall erfolgreich verlaufen. Isis zerriss das Plakat in mehrere Teile und sah den Jungs in die teils fragenden, teils grinsenden Gesichter. Ihr zornrotes Gesicht umrandet von ihren feuerroten Haaren und die blitzenden Augen ließen sie aussehen wie eine Furie. „Das war´s, die Herren. Die Sex-Hotline ist ab sofort vom Netz genommen. Jetzt müsst ihr wohl wieder die Handmaschine rattern lassen. Darf ich mal?“ Mit diesen Worten drängte sie sich zurück durch die Massen zu Dia. „Problem gelöst, gehen wir!“ sagte sie und zog Dia am Arm mit sich. „Das war ja unglaublich“, bemerkte Dia voller Bewunderung, „in dir steckt wohl wirklich so was wie eine Feuergöttin, was?“ Isis war immer noch stinksauer. „Na warte, Kiki! Das wirst du büßen! Wenn die mir gleich über den Weg läuft, bekommt sie erstmal eine geknallt!“ Dia hielt zwar nichts von Gewalt aber ihr ging es nicht anders. Nach dem ersten Schock wurde sie nun ebenfalls wütend. Diese Kiki war ja wohl das mieseste Stück, das ihr jemals begegnet war! Auf einmal blieb Isis stehen. „Was ist denn?“ fragte Dia und erschrak fast zu Tode als sie Isis ins Gesicht sah. Das eben noch knallrote Gesicht war plötzlich kalkweiß geworden. Auf der Stirn standen Schweißperlen. Isis atmete schwer und zitterte. Eine Unterzuckerung! Die Aufregung und die Wut, das war einfach zu viel für Isis. Langsam und vorsichtig führte Dia ihre Freundin zur nahen Sitzbank auf dem Flur und hielt sie fest, als sie sich darauf sinken ließ. „Brauchst du Traubenzucker? Wo ist der?“ fragte Dia etwas panisch. Aber Isis schüttelte den Kopf. „Der Pen, im Seitenfach im Rucksack.“ Planlos durchsuchte Dia die Fächer von Isis´ Rucksack. Isis begann bereits, sich zu verkrampfen und sie presste unter Schmerzen hervor: „Schnell!“ Endlich hatte Dia den Pen gefunden. Er sah aus wie ein Füller in Übergröße. Sie zog die Kappe ab und sah dann hilflos Isis an. „Wohin?“ fragte sie aber Isis war in einen Krampf verfallen. Sie konnte nicht sprechen. „In den Bauch“, sagte plötzlich ein Mädchen. Dia blickte nach vorn. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sich bereits eine Traube von Schülern um sie versammelt hatte, die das Geschehen gespannt verfolgte. „Schnell, sie stirbt sonst. Mein Papa hatte Diabetes und bei ihm lief es genauso ab. Du musst ihr die Nadel in den Bauch pieksen und dann oben auf den Pen drückten.“ Dia zögerte keine Sekunde. Es war nicht leicht, an Isis´ Bauch zu kommen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und war mit dem Oberkörper nach vorne auf ihre Beine gekippt. Aber Dia erfühlte unter Isis´ Pulli den Bauch und jagte den Pen hinein. Sie drückte den Knopf. Das Mädchen erklärte: „Der Pen muss wenigstens zehn bis fünfzehn Sekunden drin bleiben.“ Also hielt Dia ihre Position. Für die Umstehenden sah es aus, als würde sie einer Toten ein Messer in den Bauch stecken. „Komm schon, Isis, du schaffst es!“ forderte sie ihre Freundin auf. Nach etwa einer halben Minute zog Dia den Pen aus Isis´ Bauch heraus. Eine weitere Minute später löste sich Isis aus ihrer krampfhaften Haltung. Beinahe wäre sie von der Bank gefallen aber Dia hielt sie fest. Immer noch schweißnass und etwas zittrig richtete sich Isis wieder auf und sah die Menge vor sich. Es war ihr sehr unangenehm, dass so viele ihren Anfall mitbekommen hatten. „Die Show ist vorbei, ihr könnt jetzt weitergehen. Hier gibt´s heute nichts mehr zu sehen“, sagte sie leise aber bestimmt. Und bei diesen Worten setzten sich die Schüler in Bewegung. Nur das Mädchen, das Dia Anweisungen gegeben hatte, blieb stehen. „Alles wieder okay?“ fragte sie mitfühlend. „Deine Freundin wusste nicht so richtig, was sie tun sollte.“ Etwas beschämt sah Dia Isis an und sagte dann entschuldigend: „Tut mir leid, aber du hast mir nie gesagt, was ich genau tun muss, wenn´s passiert.“ Und dann drehte sie sich zu dem Mädchen um und sagte: „Danke, Kleine. Ohne deine Hilfe wäre meine Freundin jetzt vielleicht tot. Wenn du mal meine Hilfe brauchst, jederzeit. Ich heiße Dia Freise und bin in der 10b, Zimmer 114.“ Das Mädchen lächelte und meinte dann: „Ich komme drauf zurück. Bis dann!“ Sie drehte sich um und ging davon. „So, und jetzt sag mal, ist wirklich alles wieder okay?“ fragte Dia nun besorgt. „Soll ich dich nicht lieber zur Krankenschwester bringen? Und deine Mutter sollte auch Bescheid wissen!“ Aber Isis winkte ab. „Lieber nicht. Sie wird es sowieso erfahren. Ich brauche jetzt eine neue Ladung für meinen Pen. Und da komm ich nicht so ohne weiteres dran. Aber das hat Zeit bis nachher zuhause. Zunächst mal muss ich mich bei dir entschuldigen.“ Dia zog erstaunt die Stirn in Falten. „Wofür denn?“ fragte sie. „Dafür dass ich dir bisher nicht genau erklärt habe, was du tun musst, wenn es ernst wird“, erklärte Isis kleinlaut, „ich hab es bisher nie wirklich ernst genommen. Ich wusste, so was kann passieren aber ich dachte immer, ich schaffe es, vorher mit Traubenzucker das Schlimmste zu verhindern. Vor allem hätte ich nie gedacht, dass ausgerechnet DU mich retten müsstest. Ich hätte dich längst einweisen sollen. Ab jetzt werde ich die Sache ernster nehmen. Ich fürchte, ich kann dann nicht mit dir los heute. Mama wird mich auf keinen Fall weg lassen. Tut mir leid.“ Aber Dia nahm ihre Freundin in den Arm und drückte sie. „Ach was, schon gut. Das Pfefferspray kann ich auch allein kaufen, sag mir nur den Laden und wegen dem Handy komm ich dann morgen und hole es ab. Gott, bin ich froh, dass du noch lebst!“ Diesmal verdrehte Isis nicht die Augen. Sie stimmte Dia zu, wenn auch stumm. Nach einigen Minuten hatte sich Isis wieder beruhigt. Das Zittern war verschwunden und auch der Schweiß hatte sich verflüchtig. Sie hatte wieder Farbe im Gesicht und bestand nach wie vor darauf, nicht zur Schwester oder nach Hause zu gehen. Sie hakte sich bei Dia ein und die beiden gingen gemeinsam zu ihrem Klassenzimmer. Einige der Jungs sahen Dia an. Sie grinsten. Dia bemerkte die Blicke. Zweifellos hatten ihre Klassenkameraden das Plakat gesehen. Und wahrscheinlich wussten es alle in der Klasse. Aber merkwürdigerweise sagte niemand etwas zu Dia. Sie flüsterten nur unter einander. Dia wurde rot bei dem Gedanken, dass alle es wussten. Und noch roter, als sie an David dachte. Sie sah zu ihm. Er redete gerade mit Kiki. Offensichtlich war er sehr wütend. Und Kiki sah reichlich betreten aus. Sie versuchte wohl, ihn zu beschwichtigen aber es brachte anscheinend nichts. Als Kiki Dia bemerkte, wurde ihr Blick böse, ja geradezu hasserfüllt und David bemerkte das. Er drehte sich um und erkannte Dia, die immer noch rot im Gesicht war. Er lächelte, entschuldigend, tröstend und aufmunternd. Dia lächelte zaghaft zurück und setzte sich dann auf ihren Platz. Isis wollte Kiki am liebsten umbringen aber sie fühlte sich noch etwas schwach und lutschte schon das dritte Stück Traubenzucker. Entschuldigend flüsterte sie Dia zu: „Sorry, ich wollte sie eigentlich für dich verprügeln aber das muss wohl noch warten.“ Dia wollte gerade sagen „Vergessen wir das“ als sie sah, dass David sich von Kiki entfernte. Sein Blick war kühl und abweisend. Kikis dagegen war flehend, fast bettelnd. Sie sagte etwas hinter ihm her, das Dia zwar nicht hören konnte aber ihre Mundbewegung war eindeutig: David. Es sah aus als hätte David Kiki gerade die Freundschaft gekündigt. Er drehte sich auch nicht um. Kiki sah aus wie zerschlagen. Und Dia dachte wirklich daran, die Plakat-Sache zu vergessen. Kiki war schon gestraft genug, wie es aussah. Aber plötzlich sah Kiki Dia an – voller Hass. Es war nicht zu übersehen, dass sie Dia die Schuld an dem gab, was gerade zwischen ihr und David vorgefallen war. Dia hatte zwar keine Ahnung, was das war aber was es auch war, sie war sicher, nicht Schuld daran zu sein. Und während ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, fiel ihr Isis wieder ein, die heute fast gestorben wäre. Und das war definitiv Kikis Schuld gewesen, denn es war kein Zweifel möglich, dass sie dieses Plakat erst verunstaltet und dann aufgehängt hatte. Und dieser Gedanke gab letztlich den Ausschlag für Dias Handlung. Den groben Scherz mit dem Plakat, der auf ihre Kosten gehen sollte, hätte sie Kiki sicher schnell verziehen aber die Sache mit Isis machte das Ganze beinahe zu einem Mordanschlag und das konnte Dia Kiki nicht verzeihen. Ihre Augen funkelten plötzlich böse. „Warte mal, ich komme gleich wieder“, sagte sie zu Isis. Dann stand sie auf und ging zu Kiki. Direkt neben ihr blieb sie stehen. „Das war nicht witzig, wirklich nicht“, sagte sie leise aber sehr drohend. Kiki blickte sie an – voller Hass. „Was meinst du denn?“ fragte Kiki scheinheilig. „Du hattest das Plakat, stimmt´s? Du kannst es ruhig zugeben. Du bist die einzige Person, die die Gelegenheit hatte, das Plakat in die Hände zu kriegen und außerdem noch ans Schwarze Brett zu hängen. Und du bist die Einzige, die überhaupt einen Grund für so eine Aktion hat. Du hasst mich doch! Also gib´s ruhig zu.“ Kiki blickte Dia verständnislos an. Sie blieb dabei, von nichts zu wissen. „Ich hab dir doch gestern morgen schon gesagt, dass ich die blöde Mappe nicht habe“, beharrte sie, ohne ihren kleinen Fehler gleich zu bemerken. Aber Dia schaltete sofort. „Wer hat denn was von einer Mappe gesagt? Sicher, das Plakat war in der Mappe aber woher wusstest du das, wenn du sie nicht mitgenommen hast? Tja, das war ja wohl nichts.“ Kiki merkte, dass sie ertappt war und versuchte nun, das Ganze herunter zu spielen. „Na gut, ich war das, na und? Ich wollte dir halt eins auswischen, weil du dich so an David rangeschmissen hast. Du bist vielleicht empfindlich.“ Aber Dia dachte gar nicht an das Plakat, das war ihr inzwischen völlig egal. Und nachdem sie nun die Bestätigung von Kiki selbst hatte, überkam sie die Wut wie eine Welle. Sie sah Kiki an wie ein widerliches Insekt. Kiki sah jetzt etwas verunsichert aus. Dia hatte noch nie einen solchen Gesichtsausdruck gezeigt wie in diesem Moment. Und so schnell konnte Kiki gar nicht reagieren, wie sie plötzlich Dias Hand im Gesicht spürte – reichlich schmerzhaft übrigens. „Sag mal, spinnst du?“ fragte Kiki ärgerlich und überrascht zugleich und rieb sich die Wange. Alle in der Klasse hatten die Szene beobachtet. Isis stand der Mund offen vor Erstaunen und die anderen in der Klasse sahen ebenso verwundert aus. Einige grinsten schadenfroh. „Dein blöder Scherz hätte Isis fast das Leben gekostet, du Miststück!“ zischte Dia eiskalt. „Sie hat sich so über dich aufgeregt, dass sie einen Insulinschock hatte. Ich musste ihr etwas spritzen, sonst wäre sie draufgegangen. Bisher gingen deine Attacken nur gegen mich aber jetzt reicht´s mir. Halt dich in Zukunft besser fern von uns und sag das auch deinen Schläger-Tussis in der Stadt!“ Damit ging Dia zu ihrem Platz zurück. Sie setzte sich neben Isis, die sie immer noch anstarrte und plötzlich fing die ganze Klasse an, Beifall zu klatschen. Dia nahm den Jubel überrascht und etwas stolz entgegen. Kiki sprang von ihrem Platz auf und wollte aus dem Klassenzimmer verschwinden, doch sie prallte sozusagen direkt auf den Klassenlehrer. „Nicht so hastig, die Dame. Ich glaube, ich habe da noch ein paar Fragen. Ich habe von der Ohrfeige an alles mitbekommen und verlange jetzt genaue Aufklärung über das, was hier passiert! Wer ist daran beteiligt außer Kiki, Dia und Isis?“ „Eigentlich sonst niemand“, stellte Isis fest aber plötzlich hob David die Hand. „Herr Riege, ich würde gerne als Zeuge dienen.“ Dia und Isis sahen David verwirrt an aber Kiki bekam einen Schreck. „Na gut, wenn du etwas Nützliches beitragen kannst, dann komm bitte nach vorne. Wir gehen jetzt alle zusammen ins Lehrerzimmer und der Rest der Klasse macht bitte die Übungsaufgaben auf Seite 165 im Buch. Ich bitte mir Ruhe aus!“ Damit schob er die vier jungen Leute aus dem Klassenraum und führte sie zum Lehrerzimmer im zweiten Stock. Die Vier folgten mit unterschiedlichen Gefühlen. „So, dann erzählt mal der Reihe nach“, verlangte Herr Riege, „Dia, du fängst an.“ Und Dia erzählte von dem Plakat und von Isis´ Insulinschock. Dann fragte Herr Riege: „Und wie ist das Plakat in Kikis Besitz gekommen?“ Nun erzählte Isis von dem Angriff auf Dia in der Stadt. Den vorherigen Besuch im Synchronstudio ließen sie aus, das war nicht relevant. Herr Riege schien schockiert. „Kiki, hast du etwa Verbindungen zu solchen… Subjekten?“ fragte er ungläubig. Aber Kiki wusste, dass es zumindest da keinen Beweis für ihre Schuld gab, auch wenn der Verdacht mehr als begründet war. „Natürlich nicht! Ich war nur zufällig an der Ecke!“ Isis und Dia wussten es besser aber letztlich beweisen konnten sie es nicht. Zumindest gab Kiki zu, die Mappe mitgenommen zu haben, allerdings erst, nachdem sie den Namen darauf gelesen hatte: Isis. „Und warum diese ganzen Attacken gegen Dia?“ fragte Herr Riege nun Kiki direkt. Doch die senkte den Blick und sagte kein Wort. Da mischte sich David ein. „Meinetwegen. Kiki steht auf mich und sie begreift einfach nicht, dass ich kein Interesse an ihr habe. Aber ich habe mich für Dia interessiert und da schlug bei Kiki die Eifersucht durch.“ Herr Riege schlug buchstäblich die Hände über dem Kopf zusammen. „Du liebe Zeit! Und nur deswegen der ganze Trubel? Hör zu, Kiki. Du kannst doch nicht Dias Gesundheit oder sogar Isis´ Leben aufs Spiel setzen, nur aus Eifersucht! Wie soll das denn später mal werden, wenn du erwachsen bist? Willst du dann Killer und Drogensüchtige auf unliebsame Personen ansetzen? Dafür kommst du ins Gefängnis, und zwar schneller als du alles abstreiten kannst! Auch jetzt könntest du für Anstiftung zur Körperverletzung schon in den Jugendknast wandern!“ Kiki zeigte sich nur mäßig beeindruckt von den Worten des Direktors. Aber natürlich wollte sie nicht ins Gefängnis kommen. Deshalb heuchelte sie eine wenig überzeugende Entschuldigung, die Dia ebenso teilnahmslos annahm. Auch bei Isis entschuldigte sich Kiki. Dieses Mal allerdings meinte sie, was sie sagte. „Es tut mir leid, Isis. Natürlich wollte ich nicht, dass du stirbst. Entschuldige.“ Isis war zwar immer noch wütend aber sie akzeptierte. „So, dann ist ja alles wieder in Ordnung“, schloss Herr Riege das Gespräch. „Und jetzt könnt ihr wieder in eure Klasse gehen.“ Die Vier standen auf und Kiki war als erste zur Tür hinaus. Dia und Isis wollten ebenfalls gehen aber Herr Riege hielt sie noch einmal auf. „Einen Moment noch! Isis, ich weiß, du willst das nicht aber ich muss deine Mutter anrufen und ihr sagen, was heute passiert ist. Ich hoffe, das ist dir klar.“ Isis riss erschrocken die Augen auf. „Oh nein! Sie wissen doch, was dann los ist! Sie wird mich sofort abholen und dann eine Woche nicht aus dem Haus lassen. Es geht mir gut, ehrlich! Lassen Sie es mich ihr selbst sagen. Ich muss sowieso den Pen wieder auffüllen und das geht nicht ohne ihr Wissen. Es reicht doch auch, wenn ich es ihr nachher sage.“ Herr Riege schaute sehr skeptisch, gab dann aber nach. „Na schön, ich rufe sie jetzt nicht an. Aber ich werde sie spätestens heute Abend anrufen und ihr alles erzählen, falls sie es dann noch nicht von dir weiß, klar?“ Isis nickte lächelnd. „Danke, Herr Riege. Ich werde es ihr auf jeden Fall sagen. Versprochen.“ Sie griff Dia am Arm und zog sie zur Tür. Sie verließen das Lehrerzimmer und gingen schwatzend zu ihrem Klassenzimmer zurück. David folgte ihnen langsam und schweigend. Er machte sich seine Gedanken. Er kannte Kiki. Sie würde nicht einfach so aufgeben, auch jetzt nicht. Der Kleinkrieg der Mädchen würde sicher weitergehen. Schlimmer Verdacht ------------------ Während des restlichen Unterrichts wechselten Dia und Kiki nicht einen Blick. Sie ignorierten sich gegenseitig. Und selbst als David Dia auf den morgigen Discobesuch ansprach und sie ihm endgültig zusagte, reagierte Kiki nicht. David beobachtete sie verstohlen aber sie zeigte keine Reaktion, zumindest äußerlich. Dia und Isis unterhielten sich im Bus nach Hause noch weiter über die heutigen Ereignisse. Immer wieder klopfte Isis ihrer Freundin anerkennend auf die Schulter, weil sie ihr heute nicht nur das Leben gerettet sondern sich sogar für sie geschlagen hatte – sozusagen. „Gott, ich werde wohl nie den überraschten Gesichtsausdruck von Kiki vergessen, als du ihr eine geknallt hast. Dia, das war erster Klasse. Danke für deine Unterstützung.“ Dia lächelte zwar und bereute auch nicht, was sie getan hatte aber es war ihr trotzdem nicht ganz wohl. Kikis Entschuldigung war definitiv nicht ernst gemeint, das hatte sie sofort bemerkt. Dia fürchtete, dass Kiki nun auf Rache aus war – Blutrache. „Am besten kommst du jetzt gleich mit zu mir“, entschied Isis kurz bevor der Bus an ihrer Haltestelle ankam. „Wenn ich meiner Mutter erst von der Sache erzählt habe, lässt sie dich nicht mehr zu mir. Ich gebe dir das Handy jetzt gleich. Das Spray wirst du wohl wirklich allein kaufen müssen.“ „Das macht doch nichts, das kriege ich schon hin“, winkte Dia ab, „hoffentlich lässt sie dich nicht wirklich die ganze Woche zuhause bleiben. Ohne dich wäre es mir viel zu langweilig.“ „Das kann ich auch nur hoffen“, stimmte Isis zu. Der Bus hielt an der Haltestelle ein paar Häuser entfernt von Isis´ Zuhause. Die beiden Mädchen stiegen aus dem Bus und waren in zwei Minuten am Ziel. Isis schloss die Tür auf. „Ich bin zuhause!“ rief sie laut. Ihre Mutter kam ihr auf dem Weg in ihr Zimmer entgegen. Sie begrüßte Dia freundlich und musterte dann Isis mit sorgenvoller Miene. „Ist alles in Ordnung?“ fragte sie argwöhnisch. Ahnte sie etwa schon was? Isis lief leicht rosa an aber sie winkte ab. „Nein, ich wollte Dia nur schnell mein Handy geben, das ist doch in Ordnung, oder?“ Doch ihre Mutter ließ sich nicht so schnell ablenken und beruhigen schon gar nicht. „Irgendwas ist doch passiert, du siehst so schuldbewusst aus. Hast du was ausgefressen?“ bohrte sie weiter. „Mama, kann ich Dia bitte eben schnell das Handy geben? Dann können wir weiter reden.“ Darauf ließ sich ihre Mutter zum Glück ein. Isis und Dia flitzten die Treppe hinauf und in ihrem Zimmer suchte Isis schnell nach dem Handy. Sie fand es in einer Schublade und gab es Dia. „So, jetzt musst du gehen. Ich fürchte, meine Mutter wird gleich einen Anfall kriegen. Ich weiß noch nicht, ob Wut- oder Ohnmachtsanfall aber eins von beidem sicher.“ Dia nickte. Isis nannte ihr noch schnell den Namen von dem Geschäft, wo sie das Pfefferspray bekommen konnte und die beiden gingen wieder zurück nach unten. Dia verabschiedete sich höflich und hinter dem Rücken von Isis` Mutter hielt sie ermutigend den Daumen hoch. Es wird schon werden! Sie verließ das Haus und ging zurück zur Bushaltestelle. Als Isis ihrer Mutter alles erzählt hatte und diese vor Schreck bleich wurde und sich setzen musste, als sie ihrer Tochter den Kopf streichelte und Isis mal wieder die Augen rollte, als ihre Mutter entschlossen verkündete, dass sie in den nächsten Tagen das Bett hüten solle und wenigstens Montag und Dienstag nicht in die Schule dürfe, was Isis mit einem genervten „Oh Mann!“ kommentierte, saß Dia bereits wieder im Bus und war schon beinahe zuhause. Später am Nachmittag fuhr Dia wieder in die Stadt und besorgte sich das Pfefferspray. Als sie an der Eisdiele vorbei lief, wo sie mit Dominik gesessen hatte, sah sie ihn dort sitzen, mit einem jungen Mädchen von ungefähr dreizehn Jahren. Dia vermutete, dass es sich um seine kleine Schwester handelte. Sie wollte gerade zu ihnen gehen und Hallo sagen, als Dominik seine Hand auf den Oberschenkel des Mädchens legte. Seine Augen bekamen ein merkwürdiges Funkeln. Das Mädchen war unsicher, was es tun sollte. Aber ihr Gesichtsausdruck verriet, dass ihr diese Berührung alles andere als recht war. Dia beobachtete die Szene argwöhnisch. Sie hatte sich hinter einem Schirm und mehreren Gästen versteckt. Was sie da sah, kam ihr sehr merkwürdig vor. Sollte sie Dominik darauf ansprechen? Aber dann stand das Mädchen plötzlich auf und verließ die Eisdiele. Dominik machte ein gleichgültiges Gesicht und trank aus seiner Tasse. Er rief nach der Bedienung um zu bezahlen. Das Mädchen lief an Dia vorbei und Dia entschied sich, sie anzusprechen. „Hallo, du, warte mal kurz!“ sagte sie zu der Kleinen und tippte ihr dabei auf die Schulter. Das Mädchen blieb stehen und drehte sich zu Dia um. Sie hatte tränenfeuchte Augen. „Ja, was willst du denn?“ fragte sie mit unterdrücktem Schluchzen. Dia war etwas irritiert. „Alles okay? Hat Dominik dir was getan oder so?“ fragte sie teilnahmsvoll. Das Mädchen sah sie erstaunt an. „Du kennst ihn? Du kennst seinen Namen?“ „Ja, ich hab ihn vor kurzem kennen gelernt. Wieso? Kennst du ihn denn nicht? Ich dachte schon, du wärst seine Schwester. Was ist denn los?“ Das Mädchen brach in Tränen aus. Dia legte den Arm um sie und führte sie zur nächsten Bank. Sie ließ sie sich ein wenig ausweinen und reichte ihr dann ein Taschentuch. „So, jetzt erzähl mal, was eigentlich Sache ist. Woher kennst du Dominik und was ist da eben passiert?“ Das Mädchen schnäuzte sich und trocknete sich die Augen. „Wie heißt du eigentlich?“ fragte Dia dann und stellte sich gleich selbst vor. „Bekka. Ich heiße Bekka, eigentlich Rebekka. Aber Bekka reicht.“ „Freut mich sehr, Bekka. Ich heiße eigentlich Dianta aber das sagt auch keiner. So, dann erzähl mal.“ „Okay, also“, begann Bekka, „ich bin ein großer Eslosia-Fan, falls dir das was sagt.“ Dias Gesicht hellte sich sofort auf und sie lächelte begeistert. „Tatsächlich? Ich auch! Ich sehe die Serie schon von Anfang an.“ Bekkas Augen strahlten bei Dias Worten. „Ja, und am tollsten finde ich Askariel. Er ist so süß!“ Dia konnte Bekkas Schwärmerei nur zustimmen. „Mein Liebling ist auch Askariel, ist das nicht ein Zufall?“ stellte sie begeistert fest. „Allerdings mag ich seine Stimme am liebsten.“ Bekka riss erstaunt die Augen auf. „Kein Wunder, dass du diesen Dominik kennst!“ Das verstand Dia nicht. „Wieso? Was hat denn das mit Dominik zu tun?“ fragte sie verwirrt. „Na der spricht doch Askariel!“ Dia war wie vor den Kopf geschlagen. Also doch! Aber woher wusste Bekka das? Es war doch ein Geheimnis! „Jetzt mal ganz von vorne bitte“, bat Dia. Und Bekka erzählte. „Als ich vorhin so durch die Stadt ging, hatte ich meine Jacke noch nicht an. Ich trage ein Shirt, auf dem Askariel abgebildet ist.“ Sie öffnete ihre Jacke und zeigte Dia das Motiv. Das war das gleiche wie bei Dias Shirt. „Ja und dann sprach mich plötzlich dieser Dominik an. Er hatte genau Askariels Stimme und mit der fragte er mich, ob ich ein Eis mit ihm essen möchte. Ich war erstmal total baff. Aber natürlich habe ich dann ja gesagt, so eine Chance hat man ja nicht oft. Tja, und dann habe ich ihm erzählt, wie toll ich Askariel finde und er hat gesagt, er spricht ihn, das wäre aber ein Geheimnis und ich dürfte das niemandem sagen. Er wollte nicht von Fans belagert werden oder so.“ Dia überlegte kurz und wunderte sich dann nur noch mehr über Dominiks Offenheit. Und vor allem fragte sie sich, warum er ihr das nicht erzählt hatte. Er wusste doch von ihrer Leidenschaft für diese Stimme. Er hatte sie sogar angerufen. Was sollte das alles? Aber Bekka war noch nicht fertig. „Ja und plötzlich, ganz unverhofft, legt er seine Hand auf mein Bein. Ich war richtig erschrocken. Er hat mit den Fingern leicht zugedrückt und mich dabei ganz komisch angesehen. Da wurde mir plötzlich total angst und bange. Und da bin ich einfach aufgestanden und gegangen. Zum Glück ist er mir nicht nachgelaufen.“ Langsam fügte sich in Dias Kopf alles zusammen. Nutzte Dominik seine Rolle etwa aus, um sich an kleine Mädchen ranzumachen? Er war immerhin schon 21 Jahre alt. Oder wollte er einfach nur nett zu einem Fan sein? Aber was sollte dann der Griff an Bekkas Bein? Und sein merkwürdiger Blick war Dia auch nicht entgangen. Das alles kam ihr sehr spanisch vor. Hatte er diese Masche wohl schon öfter angewendet? Plötzlich kam Dia ein furchtbarer Gedanke: war Dominik etwa ein Kinderschänder? Falls ja, konnte sie sich nicht vorstellen, dass eins der Opfer – falls es welche gab – irgendwem etwas erzählen würde. Möglicherweise war Bekka gerade noch so davon gekommen. Und ausgerechnet dieser Typ war ihre geliebte Traumstimme, ihr so heiß geliebter Askariel? Das war schwer zu schlucken. „Du Dia? Ich muss jetzt nach Hause. Erzähl bitte niemandem, was da passiert ist. Im Grunde war ja auch gar nichts. Danke für das Taschentuch. Tschüss!“ Mit diesen Worten stand Bekka auf und ging dann mit schnellen Schritten in Richtung Bushaltestellen. Dia sah ihr nachdenklich hinterher. Sie musste unbedingt mit Isis darüber sprechen. Am Abend war Dia mal wieder allein zuhause. Die ideale Gelegenheit, um mit ihrer Freundin über alles zu reden. Sie wählte ihre Nummer. Am anderen Ende meldete sich Isis´ Mutter. „Hallo, hier ist Dia. Könnte ich bitte Isis sprechen?“ fragte Dia freundlich. „Kommt nicht in Frage“, kam es aus der Hörmuschel. „Isis muss sich unbedingt ausruhen. Sie liegt im Bett und liest. Sie soll jetzt ihre Ruhe haben.“ Dia versuchte, höflich zu bleiben. „Aber es ist ganz wichtig und sehr dringend!“ „Das muss warten. Ach übrigens, Isis hat erzählt, dass du ihr die Spritze gegeben hast. Danke, Dia. Ohne dich wäre sie vielleicht tot.“ „Das war doch selbstverständlich, sie ist doch meine Freundin. Und gerade deshalb muss ich jetzt dringend mit ihr sprechen. Wirklich, es ist wichtig!“ Aber Dia bemühte sich umsonst. „Nein, tut mir leid, aber das geht nicht. Vielleicht morgen. Also dann, ich wünsche dir noch einen schönen Abend. Ich werde Isis aber von dir grüßen, okay? Mach´s gut Dia.“ Klack! Und das Gespräch war weg. Isis´ Mutter hatte einfach aufgelegt, bevor Dia auch nur Tschüss sagen konnte. „Ganz schön unverschämt“, schimpfte Dia und legte das Telefon beiseite. Sie lief in die Küche und goss sich Eistee ein, da klingelte das Telefon. „Freise?“ meldete sich Dia. „Ich bin´s.“ Das war doch Isis! „Ich hab gehört, dass meine Mutter mit dir gesprochen hat. Ich hab mir das Telefon aus der Station geholt und bin damit in mein Zimmer geflitzt. Meine Eltern sind unten und sehen fern. Stell dir vor, Herr Riege hat tatsächlich angerufen! Aber meine Mutter wusste ja schon alles. Er hat sie gefragt, ob ich Montag in die Schule komme aber sie hat gesagt, frühestens am Mittwoch. Tja, schade, was?“ Dia hatte Schwierigkeiten, bei diesem Wortschwall dazwischen zu kommen. „Äh, Isis? Darf ich jetzt auch mal was sagen?“ „Klar, was gibt´s denn?“ Tja, wo sollte sie anfangen? Den Hammer am besten zuerst. „Ich weiß, wer Askariel spricht!“ Dia hörte, wie sich Isis mal wieder an einem Getränk verschluckte. Sie nutzte die kurze Zeit, um selbst einen Schluck zu trinken. „Wer?“ fragte Isis, dem Platzen nahe. „Sag schon, wer ist es?“ „Dominik.“ „Verarschst du mich?“ „Nein, ehrlich, es ist Dominik!“ „Und woher weißt du das? Hat er es dir gesagt?“ „Nein, das nicht.“ „Sondern?“ Und dann erzählte Dia Isis alles, was am Nachmittag in der Stadt passiert war. Isis war sprachlos. „Glaubst du, Dominik könnte ein Kinderschänder sein?“ fragte Dia besorgt. „Möglich wäre es schon. Wir wissen doch nichts von ihm. Wir haben nur einmal mit ihm gesprochen.“ Isis bestätigte Dias Verdacht zwar nicht aber sie zerstreute ihn auch nicht. Was sollten sie jetzt tun? Ihn anzeigen? Die Sache auf sich beruhen lassen? Ihn zur Rede stellen? „Das auf keinen Fall! Wir könnten uns damit in Gefahr begeben, bist du verrückt?“ fragte Isis und Dia konnte förmlich sehen, wie sie verständnislos den Kopf schüttelte. „Also was machen wir?“ „Am besten gar nichts. Wir können ihn weder be- noch entlasten. Wir haben keine Beweise, weder für noch gegen ihn. Wir können eigentlich nichts tun. Aber wir können ihm aus dem Weg gehen. Sollte er dich noch mal als Askariel anrufen, legst du einfach auf.“ Dia wusste nicht, ob sie das schaffen würde. Wenn sie diese Stimme hörte, war bei ihr irgendwas nicht normal. Und sie rechnete auch nicht mit einem weiteren Anruf. Aber sie erzählte Isis nichts von ihren Zweifeln. „Okay, Dominik wird ab sofort aus unserem Leben gestrichen“, bestätigte Dia. „Alles klar. So, nun aber mal was anderes. Freust du dich schon auf morgen? Hast du das Spray gekauft?“ Dia bejahte beide Fragen und beendete das Gespräch dann schnell. Sie hatte auf einmal den starken Wunsch, Askariels Stimme zu hören. Sie lief in ihr Zimmer hinauf und legte die DVD mit der besonderen Folge ein. Sie versank in der Fantasiewelt von Eslosia und verlor sich in Askariels Stimme. Die Sätze konnte sie inzwischen mitsprechen aber das war ihr egal. Während sie normalerweise ein unbeschreibliches Glück empfand, wurde sie diesmal mit jedem Satz trauriger. Als die Folge zu Ende war, weinte sie. Es schmerzte sie so sehr, dass diese Stimme vielleicht einem furchtbar schlimmen Menschen gehörte. Und sie kannte ihn auch noch persönlich! Sie drückte ihr Kissen an sich und weinte. Als sie ihr Lieblingsposter ansah, wurde aus dem Weinen ein hysterischer Heulkrampf. Sie konnte sich lange nicht beruhigen. Eine Welt war zusammengebrochen. Als ihre Eltern nach Hause kamen, schlief Dia schon, das Kissen noch im Arm. Der Engel wird zum Dämon ------------------------ Dias Augen brannten, als sie aufwachte. Ihr Hals war auch sehr trocken und sie trank erstmal ein großes Glas Wasser. Die Erinnerung an den vorigen Tag kehrte zurück und drückte noch immer auf ihre Stimmung. Sie überlegte, ob sie den Discoabend mit David vielleicht absagen sollte. Aber sie entschied, dass das wahrscheinlich die beste Ablenkung war. Und dann kamen ihr Isis´ Worte wieder in den Sinn. Es war ja gar nicht sicher, dass Dominik wirklich ein schlimmer Finger war. Vielleicht tat sie ihm ja total unrecht! Ganz bestimmt gab es eine logische Erklärung für sein Verhalten. Und auf einmal erschien ihr der ganze Kinderschänder-Verdacht totaler Humbug zu sein. So ein Schwachsinn! Dominik war sicher in Ordnung. Und ein bisschen schämte sich Dia für ihre Verdächtigung. Sollte sie sich entschuldigen? Ja, vielleicht – wenn sie ihn das nächste Mal sah. Wofür, brauchte sie ja nicht zu sagen. Auf einmal fühlte sich Dia viel besser. Die ganze schwere Last war ihr von der Seele geplumpst. Sie sah ihr Lieblingsposter liebevoll lächelnd an und flüsterte: „Tut mir leid.“ Dann ging sie den Tag an. Völlig ahnungslos bezüglich der Dinge, die da kommen sollten… An diesem Samstag waren ihre Eltern endlich einmal beide zuhause. So konnten alle gemeinsam essen, reden, Spaß haben. Die letzten Kisten und Kartons waren ausgepackt und nach dem Mittagessen fuhren sie alle in die Stadt zum Einkaufen. Dia zeigte ihren Eltern die gefährliche Straße mit dem Brunnen und tingelte mit ihnen durch sämtliche Klamottenläden. Ihrem Vater reichte es irgendwann. Er wollte schon zurück zum Wagen gehen, als er ein Geschäft mit Modellspielzeug sah. Im Schaufenster war eine Schienenstrecke aufgebaut und darauf zuckelte eine kleine Eisenbahn immer im Kreis. So schnell konnten Dia und ihre Mutter gar nicht gucken, wie der erwachsene Mann in wichtiger Position in dem Laden verschwunden war. Dia verdrehte die Augen und ihre Mutter grinste. Die beiden konnten aber eine Pause gebrauchen und setzten sich vor die Eisdiele, die Dia schon kannte. Dominik war nicht da. Einen Moment dachte Dia daran, ihrer Mutter alles zu erzählen aber die sah das alles sicher ganz anders. Sie würde einen Aufstand machen und ihr den Umgang mit ihm verbieten. Wer weiß – vielleicht würde sie ihr sogar Eslosia verbieten! Das Risiko war ihr zu groß. Sie schwieg sich aus. Nach einer halben Stunde verließ Herr Freise das Geschäft wieder, in den Händen zwei volle Tüten. Dia winkte und er setzte sich zu ihnen an den Tisch. „Na, was hast du gekauft, Papa?“ fragte Dia etwas spöttisch. Ihr Vater war jedoch so happy, dass ihm der Spott gar nicht auffiel. „Ein paar extra Teile für die Rennbahn. Jetzt kann ich die Strecke endlich ein wenig ausbauen.“ Dia schüttelte den Kopf. Und dieser Mann nannte SIE kindisch! Die reinste Ironie. „Na, dann weiß ich ja, wo du den Rest des Tages sein wirst“, stichelte seine Frau grinsend. Als Antwort bekam sie einen Kuss von ihrem glücklichen kindischen Mann, der sich nun einen Eisbecher genehmigte. Frau Freise trank einen Kaffee und Dia wollte einen Eiskaffee. Gegen fünf machten sich die drei auf den Heimweg. Zuhause ging Dia erst einmal duschen. Ihr Vater verschwand augenblicklich im Keller, wie ihre Mutter schon geahnt hatte. Die setzte sich an ihren Arbeitsplatz und schrieb noch ein wenig an ihrem neuen Roman. Dia stand vor ihrem Schrank und überlegte, was sie wohl anziehen sollte. Es wurde abends schon kühl – zu kühl für irgendwas Knappes. So ganz wusste sie auch gar nicht, wonach ihr war: eher sexy oder lieber legére und bequem. Also, der einfache Straßen-Look passte nicht in die Disco. Da musste es schon was besonderes sein. Sie probierte einige Sachen an aber nichts gefiel ihr so richtig. Doch dann fiel ihr Blick auf ein Kleid, dass eigentlich mehr ein Kostüm war. Sie zog es aus dem Schrank und betrachtete es nachdenklich. Dieses Kleid hatte sie vor zwei Jahren zu einem Karneval in der Schule angehabt. Sie war damals als eine eslosische Göttin verkleidet gewesen - Kara. Das Kleid war aus grünem Samt mit weit ausgestellten Ärmeln und reichte ihr bis zu den Knien. Ja, das war es! Sie sah darin ein bisschen nach Elfe aus aber das würde sie schon hinkriegen. Entsprechende Schuhe und die Haare richtig zurecht gemacht und schon war der Elfen-Touch verschwunden. Schließlich wollte sie heute Abend weder eine Elfe noch eine Göttin darstellen. Das Outfit stand also fest. Und als ihre Haare endlich trocken waren, konnte sie sich um die Frisur kümmern. Um acht Uhr war sie fertig. David wollte sie um zehn abholen. Was bis dahin tun? Erstmal Abendbrot essen, entschied sie. Doch dafür zog sie das Kleid wieder aus. Stattdessen schlüpfte sie in ihren Bademantel. In der Küche stand ihre Mutter vor dem gedeckten Tisch und prüfte, ob sie irgendwas vergessen hatte. Als Dia an ihr vorbei ging, schaute sie überrascht auf. „Wow! Dia, du siehst ja so anders aus. Gefällt mir. Warum machst du dich nicht öfter mal ein bisschen zurecht?“ Aber Dia winkte ab. „Keine Lust, viel zuviel Aufwand. Ist Papa immer noch im Keller? Soll ich ihn holen?“ Frau Freise nickte. „Ja, ruf ihn mal. Ich hab schon zweimal nach ihm gerufen. Und weißt du, was er geantwortet hat? „Nur noch fünf Minuten!“ Wie ein kleiner Junge, der ins Bett soll.“ Dia lachte laut auf. Sie hatte schon einen verrückten Vater! „Ich gehe mal runter“, sagte sie und marschierte zur Treppe. Im Keller war es recht kühl aber Dia ging tapfer bis in den kleinen Hobbyraum, aus dem ein Lichtschein kam. „Papa, komm rauf, das Essen ist fertig. Boah! Was ist das denn?“ Dia traute ihren Augen kaum. Die Carrera-Bahn hatte sich von Tischgröße auf Raumgröße ausgedehnt. Die Fahrschienen liefen kreuz und quer durch den ganzen Keller, inklusive Brücken, Loopings und Unterführungen. Und mitten drin saß ihr Vater mit einer Steuerung und jagte seinen kleinen Mini-Porsche über die Strecke. „Ein paar Teile, soso. Eher ein paar mehr, würde ich sagen“, bemerkte Dia sarkastisch. „Hey, Dia, ist das nicht klasse? Willst du auch mal?“ rief ihr Vater begeistert und hielt ihr die Steuerung hin. „Lohnt sich der ganze Aufwand überhaupt?“ fragte Dia. „In ein paar Monaten ziehen wir doch sowieso wieder um und dann musst du alles wieder abbauen.“ Herr Freise ließ die Steuerung sinken und der kleine Wagen blieb stehen. „Dia, glaubst du das wirklich? Warte mal, ich komme mit nach oben. Es wird nämlich Zeit, euch etwas zu sagen.“ Er stand auf und stieg vorsichtig über die Fahrstrecke hinweg. Bei Dia angekommen schaltete er das Licht aus und ging nach oben. Dia folgte ihm gespannt. „Also dann, passt auf“, begann er, als sie alle am Tisch saßen, „mein Chef hat mir die Leitung der Filiale übertragen und ich habe akzeptiert. Wir werden also ab sofort nicht mehr umziehen müssen. Wir bleiben hier.“ Dia konnte kaum glauben, was sie da gerade gehört hatte. „Endlich! Das wurde auch langsam Zeit. Ich gratuliere dir, Schatz. Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass wir nun endlich mal Wurzeln schlagen können.“ Frau Freise umarmte ihren Mann und da begriff Dia, dass das wirklich ernst gemeint war. Sie brach in Jubel aus. „Nie wieder umziehen! Gott sei dank, endlich! Nie wieder Kartons packen und Möbel zerlegen! Oh Papa, das ist ja so spitze!“ Und sie fiel ihrem Vater um den Hals und küsste ihn kräftig auf die Wange. „Schon gut, jetzt ist es aber genug. Lasst uns jetzt endlich essen. Mein Hobby wartet auf mich“, sagte er lächelnd und seine Frau und Tochter kicherten um die Wette. Um kurz vor zehn sah Dia vom Fenster aus, wie David auf die Haustür zuging. Sie öffnete ihm, bevor er klingeln konnte. Es war ja nicht nötig, dass ihre Eltern ihn noch musterten. Immerhin waren sie nur Freunde, mehr nicht. Da war so ein Wirbel wie damals bei Leon wirklich überflüssig. Aber da ihr Vater wieder im Keller steckte und ihre Mutter arbeitete, war sie relativ sicher. Sie zog sich schnell ihre Jacke über und zog David mit sich. Die Tür fiel ins Schloss und die Sache war überstanden. David führte sie zu einem Moped. Dia hatte keine Ahnung, dass er motorisiert war. „Wie hätten wir denn sonst zur Disco kommen sollen?“ fragte er. Dem konnte Dia nichts entgegensetzen. David setzte sich einen Helm auf und reichte Dia einen zweiten. Da würde ihre Frisur ja ziemlich leiden aber Sicherheit ging vor. Sie setzte den Helm auf und David musste den Verschluss schließen. Dann setzte er sich auf seine kleine Maschine und Dia klemmte sich dahinter. Laut knatternd fuhren die beiden in die Stadt. Die Disco war voll. Dia konnte sich kaum durch die Massen von Leuten zwängen. Sie entdeckte einen kleinen Tisch an der Seite der großen Tanzfläche und dirigierte David dort hin. Die Luft war stickig und verqualmt. Dia war keinen Zigarettenrauch gewöhnt und musste zuerst ordentlich husten. Aber als sie ihre erste Cola bekam, hörte das Kratzen im Hals schnell auf. Die Musik war ohrenbetäubend laut. Dia konnte weder David noch sich selbst hören. Eine Unterhaltung war nicht möglich. Als sich Dias Cola dem Ende zuneigte, spielte der DJ ein fetziges Stück, zu dem Dia unbedingt tanzen wollte. Sie stand auf und zog David mit sich, der sich zu wehren versuchte aber schließlich doch mit auf die Tanzfläche kam. Sie bewegten sich im Rhythmus der Beats und wurden dabei immer ausgelassener und wilder. Drei Songs lang tanzten die beiden und Dia fühlte sich fantastisch. Dann änderte der DJ den Stil und spielte einen Schmusesong. Dia sah David schüchtern und zugleich fragend an aber David lächelte nur und legte seine Arme um sie. Darauf hatte er den ganzen Abend über gewartet. Dia fühlte sich in seinen Armen überraschend wohl, obwohl sie spürte, wie heiß ihm war. Ihr ging es nicht anders. Nach der wilden Tanzerei schwitzen die beiden um die Wette. Aber keinem von beiden machte das etwas aus. Sie genossen die Nähe und auf einmal fühlte Dia eine zärtliche Zuneigung zu David. Sie sahen sich in die Augen und es funkte – bei beiden. Nur noch Sekunden vergingen und sie küssten sich. Dieser Kuss dauerte den ganzen langsamen Tanz und während alle anderen schon wieder zu hämmernden Beats abrockten, dauerte der Kuss immer noch an. Schließlich wurden sie aber so oft angerempelt, dass sie sich entschieden, an ihren Tisch zurück zu gehen. Dort bestellten sie sich beide eine Cola. Sie tranken ihre Gläser in einem Zug leer. Dia wollte gern mit David reden und er auch mit ihr aber das war hier unmöglich. Deshalb verließen sie den großen Tanzsaal und setzten sich in die kleine Lounge nebenan. Dort konnten sie sich wenigstens verstehen. „Ich hab mich total in dich verknallt“, gestand David. „Gleich schon am ersten Tag. Und ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie ich dir näher kommen kann. Und als du mich dann wegen der Disco gefragt hast, war das meine Chance.“ Dia sah ihm in die Augen und sagte dann: „Ich hab mich auch verknallt, allerdings erst gerade eben.“ „Heißt das, wir sind jetzt zusammen?“ fragte David. „Ich schätze ja“, antwortete Dia. Mehr brauchte es nicht. Die zwei küssten sich wieder und unterhielten sich dann noch lange über alles Mögliche. Kurz vor Mitternacht musste Dia den Abend beenden. Sie hatte versprochen, bis zwölf zuhause zu sein. David hatte dafür volles Verständnis und wollte ebenfalls gleich nach Hause, natürlich nachdem er Dia heimgebracht hatte. An der Garderobe warf Dia ihre Jacke über obwohl sie sie eigentlich gar nicht brauchte, so heiß wie ihr war. Aber auf dem Moped wurde es sehr windig, das hatte sie schon auf dem Hinweg festgestellt. David hatte den Arm um sie gelegt und die beiden gingen aneinander gekuschelt in Richtung Parkplatz. Böse funkelnde Augen beobachteten sie dabei. Im Dunkeln mussten sie eine Weile suchen, bevor sie Davids Moped wieder fanden. Als sie an einem der vielen parkenden Autos vorbei gingen, sahen sie einen großen Schatten, der sich nach vorn gebeugt gegen die Motorhaube drückte. Unter ihm war eine zweite Gestalt, die mit dem Rücken auf der Haube lag. David grinste bei dem Anblick und Dia sah in eine andere Richtung. Ihr war das peinlich. Doch plötzlich hörten sie, wie eine weibliche Stimme „nein“ sagte, zwar recht leise aber deutlich. Und sie klang sehr jung. Dia und David blieben stehen. Sie glaubten erst, sich geirrt zu haben aber in der Stille hörten sie es ganz deutlich: „Hör auf, ich will das nicht. Lass mich los, ich hab das noch nie gemacht.“ Hilfesuchend sah Dia David an, konnte aber sein Gesicht nicht sehen. Sollten sie eingreifen? Im nächsten Moment hörten beide eine männliche Stimme und Dia erschrak fast zu Tode. „Alles halb so wild, Kleine. Es macht Spaß, du wirst sehen. Nun komm schon, es tut auch nicht weh, versprochen.“ Dia wurde übel. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Tränen traten ihr in die Augen. Das war Askariels Stimme, eindeutig. Diese wunderschöne Stimme sagte so etwas Furchtbares. Das war zuviel für Dia. Es war ein Schock, der sich im nächsten Moment in unbändige Wut verwandelte. Sie befreite sich aus Davids Armen und ging zu dem Wagen. Sie riss Dominik von dem Mädchen herunter, dass sich sofort hinter den Wagen stellte und ihre Kleidung wieder zurecht rückte, drehte ihn zu sich herum und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. „Also doch, mein Verdacht hat sich bestätigt. Du mieses Schwein! Du benutzt deine Rolle, um kleine Mädchen zu ködern. Wie kann man nur so widerlich sein?! Wie viele Mädchen hast du schon belästigt? Hast du sie erpresst? Hast du sie etwa alle vergewaltigt?“ Dominik begriff zuerst gar nicht, was passierte. Aber er erkannte Dia an der Stimme. „Dia? Bist du das? Was soll denn das? Was redest du denn da für Zeug? Ich hab niemanden vergewaltigt, so ein Blödsinn. Okay, ich hab meine Rolle genutzt, um Girls rumzukriegen aber ich hab doch niemanden gezwungen!“ „So? Und was war das gerade? Die Kleine hat doch ausdrücklich nein gesagt! Aber aufgehört hast du deshalb nicht. Ich schätze, wenn ich nicht eingegriffen hätte, hättest du sie mit Gewalt gezwungen. Oder hättest du Sex mit ihm haben wollen?“ fragte sie nun das Mädchen, das immer noch hinter dem Wagen stand. Die Kleine kam verschüchtert hinter dem Auto hervor und versteckte sich hinter Dia. „Nein, auf keinen Fall! Aber ich hatte keine Chance, er hat mich auf das Auto gedrückt und ich konnte nichts machen. Danke für deine Hilfe.“ „Schon gut. Alles okay? Oder hat er dich irgendwie verletzt?“ „Nein, alles in Ordnung.“ Da mischte sich David ein. „Kann mir mal einer sagen, was hier los ist?“ Aber statt etwas zu erklären, sagte Dia: „David, ich glaube, du solltest die Polizei rufen. Sag ihr, hier gibt´s einen Kerl, der kleine Mädchen verführt und im Notfall auch mal gegen ihren Willen.“ Als Dominik etwas von Polizei hörte, bekam er Panik und drehte durch. Er stürzte sich auf Dia und hielt ihr plötzlich ein Messer an die Kehle. „Das mit der Polizei werden wir mal schön sein lassen, klar? Hey, du da! Wirf dein Handy hier rüber aber sofort! Wird´s bald?“ Dia spürte die Klinge an ihrem Hals und war vor Angst wie erstarrt. Sie wollte zwar das Pfefferspray aus ihrer Handtasche holen, konnte sich aber nicht bewegen. David konnte nichts anderes tun als dem Befehl folgen. Er zog sein Handy aus der Tasche und warf es Dominik vor die Füße. Dann kommandierte er das Mädchen in Davids Richtung. „Anja, du gehst rüber zu dem Jungen, aber langsam.“ Anja gehorchte. Dann war alles still. Dominik wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Drei Zeugen konnte er nicht kontrollieren. Sollte er sie alle in sein Auto verfrachten und irgendwo erledigen? Doch dazu kam es nicht mehr. Plötzlich verspürte er einen heftigen Schmerz im Nacken und brach ohnmächtig zusammen. Dia rührte sich nicht. Sie hatte keine Ahnung, was los war. Auf einmal leuchtete ihr der Strahl einer Taschenlampe ins Gesicht. „Sieht aus als wäre alles noch dran, keine Verletzungen“, ertönte eine weibliche Stimme, die sie schon irgendwo mal gehört hatte. Langsam löste sie sich aus ihrer Starre. „Gut gemacht, Mitzi, eine Treffsicherheit hast du, fantastisch.“ Diese Stimme erkannte sie sofort. Das war Kiki! Und den Namen Mitzi hörte sie auch nicht zum ersten Mal. Der Strahl der Taschenlampe wanderte hinüber zu David und Anja. Dia erkannte das Mädchen wieder. Das war doch die Kleine, die ihr mit der Spritze bei Isis geholfen hatte! Ohne ihre Hilfe wäre Isis sicher gestorben, denn Dia hatte ja keine Ahnung von diesen Dingen gehabt. Anja hatte sich erschrocken an Davids Arm geklammert. „Anja, ist alles in Ordnung bei dir?“ fragte Kiki die Kleine besorgt. Die kannten sich? „Oh Kiki, das war vielleicht furchtbar! Wenn Dia ihn nicht weggezogen hätte, würde es mir jetzt sicher um einiges schlechter gehen.“ „Ja ich hab es mitbekommen. Wir waren da drüben im Gebüsch, Mitzi und ich. Zuerst haben wir uns das Ganze nur angesehen aber dann habe ich deine Stimme erkannt, Anja. Was machst du eigentlich hier? Du weißt doch, dass du um die Zeit nicht mehr draußen sein darfst. Hast du dich wieder in die Disco eingeschlichen?“ Anja löste sich von David und senkte schuldbewusst den Kopf. Betreten ging sie zu Kiki hinüber. „Ja ich weiß aber wann hat man schon mal die Chance, mit einem Star zusammen zu sein? Der da ist der Sprecher von Askariel!“ Und sie zeigte auf den ohnmächtigen Dominik. „Er hat mich gestern in der Stadt angesprochen und ich hab mich für heute Abend mit ihm verabredet. Und dann wollte er hier am Auto plötzlich mehr als rumknutschen.“ Langsam fügte sich für Dia alles zusammen. „Sag mal, ist Kiki zufällig deine Schwester?“ fragte sie Anja. „Ja, sicher ist sie das. Vielen Dank noch mal für deine Hilfe. Du hast mir vielleicht das Leben gerettet.“ Aber Dia sagte nur: „Dann sind wir ja jetzt quitt. Immerhin hast du mir geholfen, Isis das Leben zu retten.“ „Ach ja, das warst du mit der Spritze letztens in der Schule, richtig?“ „Ganz genau.“ „Stimmt, dann sind wir jetzt quitt.“ Dann wandte sich Anja an ihre Schwester. „Was macht ihr eigentlich hier? Oh nein, sag bloß nicht, Dia ist die, die bluten sollte!“ Dia sah Kiki erschrocken an. „Wie bluten?“ Aber Kiki sagte nichts. Und Anja erklärte ihr: „Ich hab heute Morgen gehört, wie Kiki am Telefon zu Mitzi gesagt hat: „Sie soll bluten!“ Und ich hab sie auch gefragt, wen sie meint aber sie wollte es mir nicht sagen.“ Da wusste Dia auf einmal auch wieder, wer diese Mitzi war. Sie war die mit den vielen Ringen, die ihr fast das Gesicht zertrümmert hätte, wenn Dominik nicht eingegriffen hätte. Welche Ironie, dass es diesmal umgekehrt war! Aber warum hatte sie sie diesmal gerettet? Kiki trat plötzlich auf Dia zu und sagte etwas zerknirscht: „Es tut mir leid, Dia. Ja, ich wollte dir heute eine endgültige und bleibende Lektion erteilen, wegen David. Ich war so wütend und eifersüchtig, dass ich Mitzi gebeten habe, dir die Nase zu brechen oder ein paar Zähne auszuschlagen oder etwas ähnliches. Aber dann habe ich mitgekriegt, wie du meine Schwester gerettet hast. Danke. Ich glaube zwar nicht, dass wir irgendwann Freunde werden, weil du mir David weggeschnappt hast, aber ich werde dich ab sofort in Ruhe lassen. Ich liebe meine kleine Schwester und versuche, auf sie aufzupassen. Sie soll nicht so werden wie ich. Unsere Mutter ist dauernd betrunken, seit unser Vater gestorben ist, und kümmert sich kaum um uns. Deshalb hat es mir auch wirklich leid getan, was mit Isis passiert ist. Papa ist gestorben, weil er keine Spritze bekommen hat, als er einen Anfall hatte. Es war niemand zuhause, der sie ihm hätte geben können. Seitdem trinkt Mama dauernd und ich - naja... Und ich glaube, Anja ist ein toller Mensch. Sie bedeutet mir sehr viel. Du hast sie gerettet, das kann ich nie wieder gutmachen.“ Das hätte Dia nie vermutet! Deshalb war Kiki also so! Es fiel ihr sicher schwer, so offen darüber zu sprechen. Dia hatte auf einmal Mitleid mit Kiki. Und als Kiki ihr die Hand zur Versöhnung reichte, nahm Dia die Entschuldigung an. Sie wollte Kiki nichts mehr nachtragen. „Ich entschuldige mich auch, weil ich dich bedroht habe – und wegen dem Schlag ins Gesicht, den dir Rosi verpasst hat“, sagte Mitzi kleinlaut und drückte Dia kräftig die Hand. Dia hörte einige Knochen knacken und versuchte, sich aus dem Griff zu lösen. „Schon gut, ist halb so schlimm. Aber jetzt brauch ich eine Stützbandage“, murmelte sie und rieb sich die Hand. Mitzi wischte sich mit dem Handrücken unter der Nase her, um ihre Würde wieder herzustellen. „Jetzt sollten wir aber die Polizei rufen, so lange der Typ noch k.o. ist“, warf David ein. Kiki zog ihr Handy heraus und wählte 110. „Ich verschwinde jetzt“, sagte Mitzi. „Die Bullen haben da noch was laufen bei mir. Ihr kommt ja klar.“ „Ja, danke Mitzi. Ich werde ihnen sagen, ich hätte ihn umgehauen. Ich werde dich nicht erwähnen.“ Mitzi legte Kiki dankbar die Hand auf die Schulter und dann machte sie sich aus dem Staub. „Was ist mit euch? Werdet ihr der Polizei von Mitzi erzählen?“ fragte Kiki nun Dia und David. Aber Dia lächelte unschuldig und sagte: „Welche Mitzi? Die, die mir das Leben gerettet hat? Die mit den vielen Ringen und der großen Treffsicherheit? Nie gesehen!“ Kiki lächelte. Wer weiß - vielleicht wurden sie ja doch irgendwann Freunde. Fünf Minuten später fuhr ein Streifenwagen auf den Parkplatz. David dirigierte ihn zum „Tatort“. Dominik war immer noch bewusstlos aber die Beamten bekamen ihn schnell wieder wach. Handschellen klickten und ein Polizist nahm Namen und Adressen auf. Danach machten sich Kiki und Anja auf den Heimweg. David und Dia stiegen auf das kleine Moped und zehn Minuten später verabschiedete sich Dia vor ihrer Haustür mit einem langen Kuss von ihrem neuen festen Freund. Sie hatten sich für morgen verabredet. Aber erst würde sie Isis anrufen und ihr alles erzählen. „Ich schätze, dass Askariel dann im Herbst eine neue Stimme haben wird“, dachte Dia laut, als sie endlich im Bett lag und griff im Dunkeln nach der Figur auf ihrem Nachtschränkchen. Sie drückte den Knopf. Der bekannte Satz erklang in der Stille der Nacht und bohrte sich wie ein Messer in Dias Herz. Der Schmerz und die Enttäuschung waren immer noch deutlich zu spüren. Was tun? Es gab nur einen Weg. Dia richtete sich auf. Sie drehte sich um zur Wand und streckte ihre Hand nach Askariel aus. Als sie das Poster spürte, kniff sie die Augen fest zu und riss es von der Wand. Sie knüllte den Streifen zusammen und ließ ihn neben ihr Bett fallen. Dann stand sie auf und warf die Figur in den Mülleimer. Das Licht schaltete sie nicht ein. Dazu fehlte ihr jetzt noch die Kraft. Sie legte sich wieder ins Bett, konnte aber lange nicht einschlafen. Ende einer Ära -------------- Am nächsten Morgen betrachtete sie ihre Tat an der Wand. Von Askariel waren nur noch die Flügel zu sehen, der Rest fehlte. Dia hatte befürchtet, bei dem Anblick in Tränen auszubrechen aber eigentlich fühlte sie sich eher befreit. Sie entfernte die Überreste ihres ehemaligen Lieblingsposters und dann auch alle anderen Poster von Askariel. Stattdessen wollte sie bei nächster Gelegenheit David um ein Foto bitten. Er sollte ab sofort in ihren Träumen wandeln. Gegen Mittag rief Isis an. „Na, wie ist der Abend gewesen?“ fragte sie neugierig. Und Dia erzählte ihr alles. Isis´ Enttäuschung war nicht zu überhören und ebenso wenig ihr Mitleid. „Das ist ja ein ziemlich starkes Stück. Wie kann man nur so fies und berechnend sein? Kommst du damit klar?“ Dia erzählte von ihrer Aktion mit den Postern und der Figur. Isis staunte zwar über Dias Reaktion aber sie verstand sie auch. „Bist du trotzdem noch ein Fan von Eslosia?“ fragte Isis vorsichtig. Das wusste Dia selbst nicht so genau. Vorläufig hatte sie aber keine Lust darauf. Sie wollte bis zum Herbst warten, wenn die neuen Folgen kamen, und sich dann entscheiden. Nun brannte Isis noch eine andere Frage auf der Seele, die für Dia völlig überraschend kam. „Willst du immer noch mit mir befreundet sein?“ Dia verstand nicht, wie Isis darauf kam. „Na ja, du hast doch gesagt, ich würde dich an Aria erinnern. Du hättest also ständig Eslosia und damit vielleicht auch Askariel im Kopf, wenn du mich siehst.“ Dia musste sich eingestehen, dass da etwas dran war. Aber sie hätte Isis um keinen Preis der Welt verlieren wollen. „Isis, ich liebe dich wie eine Schwester, egal an wen du mich erinnerst. Ohne dich würde ich das alles sicher nicht schaffen.“ Sie hörte den Stein von Isis´ Herz plumpsen. Und dann fiel ihr plötzlich ein, dass sie ja noch gar nichts von David gesagt hatte. Isis musste grinsen, als sie die Neuigkeit hörte. Sie war auch nicht überrascht. Sie wusste ja, dass David immer schaffte, was er wollte und dass er Dia wollte, war nicht zu übersehen gewesen. „Und über Kiki muss ich mich echt wundern“, gab Isis ehrlich zu. „Dass sie auch eine andere Seite hat und mal so offen über ihre Familienverhältnisse redet – das passt eigentlich gar nicht zu ihr.“ „Also mir tut sie richtig leid“, gestand Dia. „Und immerhin hat sie jetzt mein Leben gerettet, nachdem sie deins fast auf dem Gewissen gehabt hätte. Ich denke, wir sollten ihr nichts mehr nachtragen, oder was meinst du?“ Isis stimmte ihrer Freundin zu. Kiki würde zwar niemals ihre Freundin werden, da waren sie sich beide sicher aber der Krieg war vorbei. „So, ich muss mich jetzt langsam fertig machen. Ich treffe mich später noch mit David. Wir sehen uns dann morgen früh im Bus, okay?“ beendete Dia das Telefonat. Isis verabschiedete sich und wünschte „den Turteltauben viel Spaß“. „Nanu, was ist denn hier passiert?“ fragte Dias Mutter erstaunt, als sie einen Stapel Wäsche in Dias Zimmer ablegte. „Wo sind denn die ganzen Poster hin, die am Kopfende deines Bettes gehangen haben?“ „Abgehängt“, antwortete Dia knapp. „Warum denn?“ wollte Frau Freise wissen. „Hatte meine Gründe.“ „Und welche Gründe? Du vergötterst Askariel doch seit Jahren. Was ist denn passiert?“ „Dominik ist ein Dreckschwein.“ Frau Freise verstand kein Wort. Sie kannte keinen Dominik und hatte keine Ahnung, was der mit Askariel zu tun hatte. Aber sie hatte noch genug zu tun und fragte nicht weiter nach. „Okay…!? Ist ja deine Sache. Räumst du bitte die Wäsche in den Schrank? Ich hab noch einen ganzen Haufen zu bügeln.“ Dann verließ sie das Zimmer wieder. Dia suchte sowieso noch nach einem Oberteil und durchwühlte den Wäschestapel nach etwas passendem. Plötzlich fiel ihr das Askariel-Shirt in die Hände. Sie hielt es vor sich und betrachtete den Aufdruck. Wut überkam sie. Aus der Schublade holte sie die große Bastelschere und zerschnitt das Shirt sorgfältig in kleine Stücke. Diese Stücke packte sie in eine kleine Tüte und dann zog sie sich für ihr Treffen fertig an. „Und wo möchtest du gerne hin?“ fragte David, als er Dia den Helm abnahm. Er hatte sie natürlich wieder mit seinem Moped abgeholt und war mit ihr in die Stadt gefahren. Dia wollte dort irgendwas erledigen. „Ich muss noch jemandem danken.“ David war etwas irritiert. Aber er folgte Dia einfach. Sie lief quer durch die Stadt und bog dann zu seinem Erstaunen in die Kochstraße ein. Am Brunnen saßen die zwei Schlägerinnen. Dia steuerte direkt auf Mitzi zu. „Hey, was willst du denn hier?“ fragte die mit dem Rosen-Tattoo - Rosi. Aber Mitzi hielt sie zurück, als sie aufspringen wollte. „Schon gut, das geht in Ordnung. Na? Haben die Bullen den Kerl mitgenommen?“ „Ja, haben sie. Und ich schätze, der wird so bald nicht wieder frei rumlaufen“, erklärte Dia und niemand bemerkte den wehmütigen Unterton in ihrer Stimme, nicht einmal Dia selbst. Mitzi grinste hämisch. „Hat er auch nicht verdient, dieser Drecksack!“ „Worum geht´s eigentlich?“ fragte Rosi gereizt. „Erklär ich dir später, Rosi“, antwortete Mitzi. "Hast du es ihr noch gar nicht erzählt?" fragte Dia etwas verwundert. "Hatte noch keine Gelegenheit heute", antwortete Mitzi, "wir hatten was anderes zu tun." Dia wollte gar nicht genau wissen, was das war. Rosi sah verwirrt zwischen Dia und Mitzi hin und her. Was war denn auf einmal los bei den beiden? „Hör zu, Mitzi, ich möchte dir danken", begann Dia. "Du hast mein Leben gerettet. Vielen Dank für deine Hilfe, der hätte mich glatt umgebracht und die anderen sicher auch.“ Dia drehte sich zu David um und lächelte ihn an. Er lächelte zurück. „Da solltest du dich lieber an Kiki wenden. Sie hat mich drum gebeten. Aber ich hätt´s auch so gemacht, wegen Anja. Die beiden sind gute Freunde von uns. Kiki hat uns mal aus der Klemme geholfen, als die Bullen… na ja, sie hat uns jedenfalls geholfen. Und dafür passen wir etwas auf sie und Anja auf. Und wenn sie uns um einen Gefallen bittet, zum Beispiel einer Tussi, die scharf auf ihren Boy ist, die Visage zu demolieren, dann ist es für uns Ehrensache, ihr diesen Gefallen zu tun“, erklärte Mitzi. Dia schluckte kräftig. „Aha, gut zu wissen“, sagte sie etwas nervös. „Na, wir gehen dann mal wieder.“ Sie hatte irgendwie ein komisches Gefühl. Doch Mitzi war noch nicht fertig. „Moment mal, warte!“ rief sie ihr nach. Dia und David blieben stehen und sahen sich kurz an. Kam jetzt die Abreibung, die Kiki ihr angedroht hatte? „Danke, dass du Anja vor diesem Arsch gerettet hast. Anja ist ziemlich naiv und hat noch keine Ahnung vom wirklichen harten Leben.“ „Was ist mit Anja? Ist ihr was passiert?“ warf plötzlich Rosi ein. Sie war rot vor Wut und wollte jemanden schlagen, weil sie glaubte, Anja wäre was passiert. „Nein, Rosi, aber das erklär ich dir alles gleich. Jedenfalls, ich möchte dir das hier geben, Dia.“ Und bei diesen Worten zog Mitzi einen ihrer Totenkopf-Ringe von ihrem Zeigefinger und gab ihn Dia. Die verstand erst nicht, was das sollte. „Ab jetzt kannst du jederzeit hier vorbeikommen. Und wenn einer von unseren Leuten was zu meckern hat, zeig ihm den Ring und sag: Mitzi sucht übrigens gerade nach einem Sandsack. Das werden sie alle kapieren.“ Dia musste lächeln. Ja, das konnte sie sich nur zu gut vorstellen. Sie steckte sich den Ring an den Daumen, weil er für die anderen Finger zu groß war. „Danke, Mitzi. Du bist voll in Ordnung“, sagte Dia und meinte es auch so. Dieses Kompliment brachte Mitzi dazu, sich wieder mit dem Handrücken unter der Nase lang zu wischen. Rosi bemerkte ungläubig, dass ihre toughe Freundin verlegen war! Das hatte sie noch nie gesehen. „Hör ich jetzt endlich, was Sache ist?“ meckerte sie beleidigt. „Ja doch! Also dann, Dia. Man sieht sich“, sagte Mitzi übertrieben lässig. „Ja, man sieht sich“, antwortete Dia schmunzelnd und verließ dann mit David die Kochstraße. „Und wo soll´s jetzt hingehen?“ fragte David, als sie wieder am Moped ankamen. „Zum Wasser“, antwortete Dia, „da hab ich auch noch was zu erledigen.“ David fuhr nicht zum Hafen, wie Dia es erwartet hatte, sondern er fuhr zu einer kleinen Bucht außerhalb der Stadt. Die Stelle war für Dias Vorhaben ideal, denn eine Klippe ragte hier über das Wasser hinaus. Sie kletterten auf den Vorsprung und Dia zog die Tüte mit den Shirt-Schnipseln aus ihrer Jackentasche. „Was ist das denn?“ fragte David, als Dia die Stofffetzen aus der Tüte holte. „Vergangenheit“, antwortete sie und warf die Fetzen des T-Shirts auf das Wasser. Sie segelten langsam hinunter und Dia beobachtete sie dabei. Als das letzte Stück auf der Wasseroberfläche gelandet war, drehte sich Dia zu David um und sagte: „Und das ist meine Zukunft.“ Und dann küsste sie ihn. Es war ein langer und intensiver Kuss. Danach hielt er sie noch lange im Arm und sie sahen auf das Wasser hinaus, das die Stofffetzen immer weiter aufs Meer hinaus trieb. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)