Shadows of the NewMoon von Darklover ================================================================================ Kapitel 54: 55. Kapitel ----------------------- Obwohl es sich um einen großen, rostigen Lieferwagen einer Paketdienstfirma handelte, war der Platz darin dank ihrer Truppe ganz schön beengend. Gut, dass Nataniel vorne auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, während Ryon sich in einer bei ihm schon fast befremdlich wirkenden Lässigkeit auf dem Lenkrad abstützte. Er sah noch sonderbarer aus, als ohnehin schon, trug er doch wie der Rest der Truppe nun ausgewaschene, teilweise aufgerissene Jeans mit Nieten und Ketten daran. Das schwarze Shirt mit dem Totenkopf darauf spannte sich so sehr um den breiten Oberkörper, dass man jeden Muskel darunter erkennen konnte. Inklusive einer kleinen Ausbuchtung auf der Brust, die wohl irgendein Anhänger oder so etwas in der Art verursachte. Ansonsten schien Ryon weniger der Schmuck tragende Typ zu sein. Es war fast unmöglich gewesen, ein Shirt in seiner Größe zu finden, das an ihm nicht aussah, als wäre es beim Waschen eingegangen. Aber vermutlich würde es nach dem Startschuss ohnehin nicht mehr lange leben. Darum war es egal. Auch der Hüne trug ein paar Narben an den Oberarmen, doch alle sahen sehr gut verheilt aus und gaben keinen Rückschluss darauf, wie sie entstanden waren. Bis auf die um seinen starken Hals. So wie die dünne Narbe sich rund herum zu ziehen schien, wirkte es fast, als hätte man ihm entweder den Kopf abtrennen oder ihn durch Strangulation umbringen wollen und zwar mit einem dünnen Draht oder etwas das ähnlich großen Schaden anrichten konnte. Kein Wunder, dass der Typ immer Krawatten und ein faltenloses Hemd trug. Diese Narbe fiel einem sofort ins Auge, wenn man sie sah. „Warum hast du den überhaupt mitgenommen?“, durchbrach die Stimme von einem der Zwillinge seine Gedanken, woraufhin sich Nataniel zu den anderen herumdrehte. „Ich steh auf harte Knüppel, was sonst?“ Delilahs Tonfall klang so, als wäre das absolut offensichtlich gewesen, während sie den metallenen Baseballschläger mit ihren zierlichen Fingern streichelte. Das Teil schien in ihren Händen riesig groß zu sein, aber sie hatte offensichtlich keine Mühe, ihn zu halten. Die Wölfin hatte wie sie alle eher schlichte Klamotten an, aber auch bei der Jeans und dem Shirt hatte sie es geschafft, jegliche Grenze des Anstands zu durchbrechen. Die einst langbeinige Hose war zu einer sehr knappen Hotpen umfunktioniert worden und das schwarze Shirt mit dem Playboy-Bunny darauf war so abgeschnitten, dass es gerade noch so ihre Brüste bedecken konnte. Sie trug keinen BH, was jeder anwesende Mann im Wagen nur zu deutlich sehen konnte. Delilah schien das alles sehr zu genießen. „Na, wenn das so ist, Baby. Wieso legst du das Spielzeug nicht weg und begnügst dich mit was richtig Hartem?“, schnurrte D ihr ins Ohr, so dass alle es hören konnten. Khan konnte sich ein Lachen nun kaum noch verkneifen. Er und Bruce schienen sich wohl über irgendetwas einig zu sein, das sonst keiner verstand. Aber Nataniel konnte sich schon denken, um was es ging, da beide mit den Augen rollten und leicht die Köpfe schüttelten. „Sorry, Jungs. Aber bevor ich mich mit zwei Milchbubis wie euch abgebe, schiebe ich lieber eine Runde mit einem von den beiden. Das sind wenigstens richtige Männer.“ Sie lächelte Bruce und Khan entwaffnend an, aber in ihren Augen konnte man erkennen, dass sie es nicht ernst meinte. Auch die beiden Bulldozer schienen das so zu sehen, denn sie waren nun offensichtlich amüsiert darüber, wie empört sich die Zwillinge gespielt beleidigt, von Delilah abwandten. „Na wenn du es lieber mit Opas treibst, bitte.“, knurrten die Brüder synchron. Der Gorilla und der Grizzly sahen sich einen Moment lang abstimmend an, ehe sie sich dafür entschieden, die Beleidigung vorerst einfach hinzunehmen. Hier war definitiv nicht genug Platz, um den Welpen ein paar aufs Maul zu hauen. Nachdem das geklärt war, drehte Nataniel sich wieder nach vorne und blickte aus der Windschutzscheibe in die anbrechende Nacht hinaus. Sie standen auf einem unauffälligen Parkplatz ganz dicht an dem Gebäudekomplex der Moonleague. Ein Blick auf die Uhr teilte ihm mit, dass Amanda wohl schon dabei war, die Codes einzutippen. Nur noch eine halbe Stunde und sie würden den Laden stürmen. Hoffentlich ging der Großteil des Sixpacks bis dorthin nicht schon im Wagen aufeinander los. Wegen Ryon machte er sich absolut keine Sorgen, der verhielt sich unauffälliger denn je und hatte auch die ganze Zeit nichts zu sagen. Eigentlich war er schon seit dem Frühstück seltsam ruhig gewesen, obwohl Nataniel deutlich spüren konnte, dass da etwas in dem anderen vorging, was nicht mit dieser Mission zu tun hatte. Aber er würde sich davor hüten, danach zu fragen. Diesen Mann konnte er einfach nicht einschätzen. Diese Emotionslosigkeit konnte einen daher ganz schön verwirren. *** Der Geruch des Raumes war Amanda sofort unangenehm bekannt entgegen geschlagen. Es roch immer leicht nach Möbelpolitur, gemischt mit kaltem Zigarrenrauch. Als Kind hatte sie sich immer die Nase zugehalten, wenn Derek im Wohnhaus oder auch nur irgendwo in der Nähe diese Dinger geraucht hatte. Ihr war übel davon geworden, wenn der Dunst dicht in den Räumen gehangen hatte. Jetzt hätte sie es gern genauso gemacht, wie damals das kleine Mädchen, aber wahrscheinlich hätte es noch nicht einmal etwas gegen dieses kalte Stechen in ihrem Inneren geholfen. Es fühlte sich so seltsam an, hier zu sein. Bereits als Seth und sie sich ins Innere des Gebäudes geschmuggelt hatten, durch die leeren, dunklen Gänge geschlichen und immer wieder Wachen durch Schattengänge aus dem Weg gegangen waren, war das ungute Gefühl in Amanda gewachsen. Das hatte nicht daran gelegen, dass sie ihrem Ziel und daher auch der direkten Gefahr immer näher gekommen waren. Stattdessen schien Amanda ihrer Verbindung zur Moonleague mit jedem Schritt weiter zu entwachsen. Sie würde sie endgültig zerstören. Nur die Tür zu Dereks Büro und das Passwort des Computers hielten sie noch davon ab. Seth war es der Amanda im Moment des Eindringens in das Gründerbüro aufrecht hielt. Es war nur natürlich, dass er, der noch niemals hier gewesen war, sich kurz umsah. In dem riesigen, beinahe leeren Raum, war es allerdings nicht schwierig, sich zurecht zu finden. Beherrscht wurde das Büro von dem schweren Schreibtisch aus dunklem Holz, der den Blick von der Tür aus auf sich und den großen, bequemen Sessel dahinter zog. Der blonde Schattengänger maß mit langen Schritten durch das düstere Zimmer und prüfte bereits die Oberfläche des Möbels auf eventuelle Alarmanlagen. Druckknöpfe oder Ähnliches. Laserschranken hatten sie schon während des Eintretens ausgeschlossen. Mit einer nebensächlichen Handbewegung, die keinem auffallen sollte, wenn sie doch durch Kameras beobachtet wurden, gab Amanda Eric zu verstehen, dass alles in Ordnung war. So weit so gut würde auch ihr Bruder nun ruhiger atmen, während er auf einem der Dächer der Nebengebäude hockte und durch sein Zielfernrohr verfolgte, was hier drinnen vor sich ging. Er war die Absicherung. Das letzte Netz, das die beiden auffangen konnte, sollte irgendetwas doch noch schief laufen. Amandas Atem ging unnatürlich flach, als sie Seth folgte und gerade rechtzeitig den Tisch erreichte, als der Laptop vor ihm zum Leben erwachte. Aus ihrer Jackentasche zog Amanda den Decodierer und steckte ihn an den Laptop an. Zahlen fingen an zu rattern, bis sie mit hektischem Blinken einrasteten. Die Sekunden schienen sich ins Unendliche zu dehnen, während Amanda Seths Geruch einatmete. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihm so nahe war, aber gerade in diesem Moment erschien ihr sein Duft als bestes Gegenmittel gegen die Übelkeit, die sie wegen des Zigarrengestanks überkam. Noch zwei Ziffern. Dann eine. Amandas Herz schien nur noch im Takt der blinkenden, grünen Zahlen zu schlagen, die schließlich alle still standen, um dann endgültig zu erlöschen. Adrenalin schnellte ihr durch die bereits damit angestauten Adern, als das bekannte Werbesignal der Softwarefirma erklang. Sie waren drin. Unwillkürlich drängte sie Seth mit ihrem eigenen Körper zur Seite und klickte mit der Maus ein paar blaue Fenster an. Dann gab sie Befehle ein, die das Programm für die Eingabe des Codes vorbereiteten. Nur noch Sekundenbruchteile. Der Code war vierstellig – schnell und unkompliziert einzugeben. Gleich. Nur noch die Entertaste drücken. „Wenn du dich nur einen Millimeter bewegst, werde ich dir eine Kugel durch den Kopf jagen, Schatz.“ Amanda, Seth und Eric pressten zur gleichen Zeit die Augen zusammen, um dem Lichtblitz zu entkommen, der in dem großen Raum plötzlich aufflammte. Es schien Amanda so, als wäre sie von den UV-Scheinwerfern regelrecht eingekesselt. Was wohl auch der gewünschte Effekt der ganzen Aktion war. Sie versuchte ihre Augen abzuschirmen. Wenn es auch nicht nötig war, um zu wissen, wer gerade in das Büro getreten war. „Dad...“ Das Wort in dem Ohr, in dem ihr Empfänger steckte und Erics leise, entsetzte Stimme, ließen beinahe körperliche Schmerzen durch Amandas Inneres fahren. Sie selbst hatte Derek nie als ihren Vater angesehen und ihn auch nie 'Dad' genannt. Aber dennoch war eine gewisse Verbindung zu dem Mann vorhanden, der damals nach dem Mord an ihren Eltern für sie gesorgt hatte. Und der jetzt mit einem Revolver direkt auf Amandas Gesicht zielte. Ein trauriges Lächeln lag auf seinen Lippen. „Amanda, ich hätte dich wirklich lieber unter anderen Umständen wiedergesehen. Vielleicht zu einem Abendessen im Kreise der ganzen Familie.“ Wen er genau damit meinte, ließ der Mann offen. Er hatte sich, wie die beiden Schattengänger, die er bedrohte und die zusätzlich durch die starken Scheinwerfer in der Mitte des Raumes wie festgepinnt waren, nicht bewegt. Amanda konnte noch nicht einmal sagen, ob irgendjemand geatmet hatte, seit er sich zu erkennen gegeben hatte. „Ich wäre dir am liebsten nie wieder begegnet. Aber das wäre wohl zu einfach gewesen.“ Er lachte. Ein ausgelassenes, tiefes Lachen, das in dieser Situation beinahe wahnsinnig wirkte. Hinter ihr versuchte sich Seth zu bewegen. Amanda merkte es nur an dem Umhang, der ihre Hand streifte, als der Blonde sich zur Seite lehnte. *** Nataniel blickte zuerst auf seine Armbanduhr, dann auf die von Ryon und schließlich auf die Anzeige im Armaturenbrett. Die Frist war abgelaufen. „Showtime.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, startete Ryon den Wagen, fuhr auf die halb verlassene Straße, fast am Eingang zum Moonleaguegebäude vorbei und blieb dann stehen, um den Rückwärtsgang einzulegen. „Na, dann Mädels, lassen wir es mal so richtig krachen.“, jubelte Delilah, die schon ganz heiß auf einen Kampf zu sein schien. Doch sie war nicht die einzige. „Lasst mir bloß einen übrig.“, knurrte J und bekam ein zustimmendes Nicken von seinem Zwilling. „Sollten sie euch beiden Großmäuler in die Pfanne hauen, werde ich mit Freuden dabei zu sehen.“, meinte Khan trocken, ehe man das Quietschen der durchdrehenden Reifen hören konnte und der Lieferwagen auch schon über den Pflasterstein schoss, direkt mitten durch die Glastüren der Lobby. „Vergesst nicht. Erst wandeln, nachdem der Rauch sich ausbreiten konnte, klar?“, ermahnte Nataniel das Sixpack noch einmal, ehe die Türen aufgestoßen und ein paar Rauchbomben Marke Bruce geworfen wurden. Die ersten Wachleute, die auf sie zugeeilt waren, konnten noch genau sehen, was da aus dem Wagen kam, aber schon wenige Sekunden später, war die ganze Eingangshalle so vernebelt, dass nur noch Wesen mit einem sechsten Sinn sich ohne Probleme zurecht fanden. Nataniel war kurz nach Ryon als zweites aus dem Wagen gesprungen und machte sich sofort über den ersten Wachmann her, den er finden konnte. Mit bloßen Händen genügte ein gezielter Schlag mitten auf die Neun und der Kerl lag flach am Boden und träumte von Sternchen. „Und jetzt sorgen wir hier so richtig für Stimmung!“, rief Delilah total entzückt, von irgendwoher durch den Rauchnebel hindurch. Einen Moment später wummerte Rob Zombie durch die große Empfangshalle und übertönte jegliche Kampfgeräusche. Von der Straße aus, musste das ein ganz schön skurriles Bild abgeben. Ein Loch mitten im Eingangsbereich, dort wo eigentlich die Glastüren sein sollten. Dazu noch undurchdringlich dicker Nebel, der höchstens schemenhafte Gestalten zeigte und untermalt wurde das alles von lauter Musik, die zur Kampfstimmung passte. Wer das sah, musste wirklich glauben, sie nicht mehr alle zu haben. Aber Hauptsache, es erzielte die richtige Wirkung. Wenn also nicht schon jemand die Polizei wegen des Einbruchs gerufen hatte, dann doch bestimmt wegen der Lärmbelästigung. Das Ziel des Sixpacks war es lediglich so gut wie möglich für Chaos zu sorgen und das in so vielen Räumen wie möglich in diesem Gebäude, weshalb sie sich schon vor der Abfahrt in Gruppen aufgeteilt hatten. Khan nahm sich mit Bruce das Erdgeschoss vor. Delilah und die Zwillinge würden sich in den ersten Stock begeben und Nataniel machte sich zusammen mit Ryon über den zweiten Stock her. Es war egal, wie weit sie kamen. Hauptsache sie ließen sich nicht umbringen und schalteten zugleich so viele Wachleute aus, wie sie finden konnten. Weshalb sie sich auch gründlich in den ihnen zugeteilten Ebenen austoben sollten, ehe sie sich weiter nach oben arbeiteten. Der Plan war simpel, die Durchführung allerdings schon weniger einfach. Denn es waren wesentlich mehr Wachleute, als angenommen in diesem Gebäude und im Grunde hatte jeder seinen eigenen Kopf, was die Mission anging. Das sah man auf den ersten Blick. Kaum dass die Lobby ‚gesäubert‘ war, blieb ihnen auch schon nichts mehr anderes übrig, als sich so richtig ins Zeug zu legen. Delilah ging noch eine Weile mit ihrem metallenen Baseballschläger auf alles und jeden los, der das Pech hatte, sich ihr in den Weg zu stellen. Die Zwillinge fackelten ebenfalls nicht lange und besorgten sich Schlagwerkzeuge, mit denen sie noch ihre richtigen Kräfte schonen konnten. D hatte sich für einen sechs Liter Feuerlöscher entschieden, den er handhabte, als wäre er eine Spielzeugrassel, während sein Zwilling mit einem Metallstuhl auf seine Gegner los ging, bis dieser zu sehr verbogen war, um ihn noch gebrauchen zu können. Doch Ersatz war schnell gefunden. Bruce und Khan brauchten keinerlei Hilfsmittel, um über ihre Gegner hinweg zu fegen. Ihre schiere Masse war Waffe genug und vor allem Bruces Fäuste brachen dem ein oder anderen mehr als nur eine Nase. Ein paar von denen würden nie wieder aufstehen. Nataniel selbst gab sich voll und ganz dem Gefühl hin, das ihm seine ausgefahrenen Krallen gaben, wenn sie durch Haut, Muskeln und Sehnen fetzten. Schon nachdem er nicht nur den Geruch des Nebels, sondern auch von menschlichem Blut in die Nase bekommen hatte, drängte das Tier in ihm an die Oberfläche, doch er hielt es noch zurück. Es würde schon noch seine Chance auf einen richtigen Kampf bekommen. Ryon war seit der Rauchbombenattacke regelrecht verschwunden. Ab und zu konnte Nataniel noch gurgelnde Laute oder Todesschreie aus der Richtung hören, in die der Hüne verschwunden war. Aber er selbst schien sich vollkommen im Nebel aufgelöst zu haben, als wäre er ebenfalls nicht mehr als nur ein Schatten. Doch seine Opfer, über die Nataniel ab und zu steigen musste, waren alles andere, als nur einem Geist begegnet. Oftmals nur mit einem einzigen gezielten Angriff getötet, sahen sie dennoch ganz schön grauenvoll aus. Aufgeschlitzte Kehlen. Köpfe die im falschen Winkel vom Körper abstanden. Bäuche die ihren Inhalt preisgaben. Der Kerl war nicht nur emotionslos, er war auch eine regelrechte Tötungsmaschine. Endlich heraus aus dem Nebel wurde es so richtig gefährlich. Nun, da man sie auch sehen konnte, obwohl bereits irgendjemand am Sicherungskasten herum gespielt und die Notbeleuchtung ausgelöst hatte, wurde nun offen auf sie geschossen. Nataniel und den anderen blieb nichts mehr anderes übrig, als sich zu verwandeln, um ihre vollen Sinne zur Verfügung zu haben. Die brauchten sie auch dringend, um einigen von den tödlichen Geschossen gerade noch rechtzeitig ausweichen zu können. Während seine schwarze Fellfärbung ihm in dem düsteren Licht zu Hilfe kam, fiel Delilah mit ihrem weißen Wolfsfell auf wie ein bunter Hund, aber von der bestialischen Gestalt der Zwillinge begleitet, war sie in guten Händen. Immerhin waren Werwölfe alles andere als nur bloße Wölfe. Sie waren um einiges größer, muskelbepackter und mit einem Kiefer, das es locker mit dem von Nataniel aufnehmen könnte. Eigentlich konnte man sie mit keinem Tier richtig vergleichen. Sie waren eben einfach ... Werwölfe. Einen Grizzly oder Gorilla erblickte Nataniel während seines Raubzugs durch das Gebäude zwar nicht, aber er wusste, sie wüteten irgendwo vor sich hin und erledigten ihren Job, so wie es hier jeder tat. Auch Ryon von dem auch weiterhin jede Spur fehlte. Zumindest von seiner Gestalt, denn den Weg, den er entlang gegangen war, konnte man nicht übersehen. Überall lagen leergeschossene Patronen auf dem Boden verteilt, Blutspritzer und blutige Spuren an den Wänden. Leblose Körper. Zerstörtes Mobiliar in den Büros. Der Kerl war eindeutig am Arbeiten und zwar gründlich. Nataniel folgte seinem Beispiel ohne zu zögern, dabei immer vom harten Rhythmus der Musik begleitet, der seine Muskeln regelrecht zum Vibrieren brachte. Seine Gedanken waren leer. Er konzentrierte sich nur auf seine Aufgabe, alles andere verdrängte er. Hätte er in diesem Augenblick auch nur einmal gewagt, an Amanda zu denken. Er hätte sich sofort auf die Suche nach ihr begeben, um nach ihr zu sehen. Doch er hatte hier ohnehin selbst um sein Leben zu kämpfen, denn manche Geschosse verfehlten ihn eben nicht nur Meterweit, sondern haarscharf. An manchen Stellen fuhren sie ihm sogar brennend durch das Fell. Es war pures Glück, dass ein paar von den Wachleuten noch nicht die Gelegenheit gehabt hatten, ihn direkt abzuschießen, was nur daran lag, dass es mit der Zeit immer weniger von den Männern gab, die ihnen noch gefährlich werden könnten. *** Erics Atem ging langsam und kontrolliert. Der Wind zupfte nur ein wenig an den blonden Strähnen, die unter dem Baseballcap hervor schauten. Er rührte sich keinen Millimeter von seiner Position, die er vor einer Stunde eingenommen hatte. Bloß die kalten Finger krümmten sich von Zeit zu Zeit ein wenig, um für wärmende Durchblutung zu sorgen. Von dem flachen Dach mit der kniehohen Brüstung konnte er die Zentrale gut einsehen. Zwar lag Dereks Büro nicht auf der Frontseite des Gebäudes, aber Eric hatte von dieser Seite trotzdem keine Probleme den Parkplatz einzusehen. Und den Wirbel, den Nataniel und seine neuen Kumpels gerade veranstalteten, konnte sowieso niemand ignorieren. Bereits als der klapprige Lieferwagen in die Glastüren gekracht war, hatte die Alarmanlage losgeschrillt und die Wachen der Moonleague waren wie ein Ameisenhaufen in Bewegung gekommen. Eigentlich hatte das der Zeitpunkt sein sollen, den Amanda und Seth nutzten, um sich ungesehen aus dem Gebäude zu verkrümeln. Nach Eingabe der Codes. Um einen geäußerten Fluch zu unterdrücken, biss Eric sich auf die Wange. Amanda konnte ihn hören. Sein Funk war die ganze Zeit eingeschaltet. Und als ihm vorhin dieses beschissene einzelne Wort entkommen war, hatte er sich bereits Vorwürfe gemacht. Als wäre es für seine Schwester da drin nicht schon schwierig genug. Der Lichtschein in dem Zimmer war immer noch durchdringend und unangenehm. Vor allem durch das Zielfernrohr, das sich nur schwer auf den Mann einstellen ließ, der mit einer gezogenen Waffe das Büro betreten hatte. Nie im Leben hätte Eric gedacht, dass er einmal auf seinen Ziehvater zielen würde. Schon gar nicht, weil dieser drohte, Amanda zu erschießen. Scheiße, wie war es nur so weit gekommen? Und dumm war Derek leider auch nicht. Vorhin, als er zur Tür herein gekommen war, hatte er wie unter einem illuminierten Pfeil in Erics Fadenkreuz gestanden. Jetzt bewegte er sich langsam um den Kreis der Scheinwerfer herum, in dem Amanda und Seth wie die Fliegen am Fliegenfänger klebten. Er kannte seine Kinder. Amanda konnte in diesem UV-Hagel nicht einfach verschwinden. Und Eric würde niemals riskieren seine Schwester zu treffen, wenn der Mann sich hinter ihrem Körper versteckte. Aber man sollte sich nicht in Sicherheit wiegen, nur weil man glaubt, jemanden zu kennen. „Er ist rechts von dir. Du stehst genau im Schussfeld.“ Durch eine winzige Drehung gab Amanda ihm zu verstehen, dass sie verstanden hatte. Sie sprach mit ihrem Ziehvater. Schon die ganze Zeit, seit er anwesend war. Nein, um es besser zu treffen, müsste man sagen, inzwischen brüllte sie ihn an. „Wie konntest du das zulassen?!“ Spätestens bei der Erwähnung des Herodes-Projekts war in Amanda die Beherrschung flöten gegangen. Wahrscheinlich konnte sie jeder in den angrenzenden Räumen und auf dem Flur hören. Jeder, der nicht von den Sirenen und dem anderen Chaos abgelenkt war. Dass Nataniel und das Sixpack angefangen hatten, ihren Plan durchzuziehen, hatten die Schattengänger nur über Funk mitbekommen. Die Gründerbüros lagen so weit vom Eingang entfernt, dass sie selbst die Sirene nur gedämpft hören konnten. Und dieses Geräusch überschrie Amanda gerade nur allzu gern. „Ihr habt nicht nur unschuldige Wandler, sonder KINDER UMGEBRACHT!“ „Würdest du dich bitte beruhigen.“ „WAS?!“ Gerade noch so schaffte es Amanda ihre Hand unter dem Ärmel ihrer Jacke verschwinden zu lassen. Das rasende Brennen des UV-Lichts auf ihren sich auflösenden Fingerspitzen war zwar befriedigend gewesen. Aber noch befriedigender wäre es, damit dem Mann zu ihrer Rechten das verkümmerte Herz herauszureißen. Er durfte nicht wissen, dass dieser Lichtkegel sie nicht gefangen halten konnte. Noch nicht. „Ich sagte, dass du dich beruhigen sollst. Wir haben ein paar wilde Tiere abgeschossen, die uns hätten gefährlich werden können. Schon immer war die Moonleague dazu da, die Menschen vor diesen Wesen zu beschützen. Das weißt du, Amanda. Du hast uns geholfen. Die Organisation ist deine Familie. Deine Welt. Warum willst du jetzt gegen sie ankämpfen?“ Es fühlte sich an, als würden siedend heiße Lavaströme durch ihren Körper laufen. Amanda drohte sich allein deswegen auf der Stelle aufzulösen, damit sie den Schmerz, den ihr Derek in diesem Moment zugefügt hatte, übertünchen konnte. Ihre Stimme war ruhig und klang vollkommen hohl, als sie antwortete. Ihre Augen hefteten sich auf den nur undeutlich zu erkennenden Umriss ihres Ziehvaters und sie drehte sich langsam zu ihm um. In ihrem Ohr konnte sie Erics Warnung hören. Sie stand genau im Weg. Das hatte sie auch ohne seine Worte gewusst. „Du hast Recht.“ Ein tonnenschweres Gewicht legte sich auf ihre Schultern und zwang sie sogar dazu, ihren Blick etwas zu senken. „Die Moonleague war meine Familie. Ich glaube sogar, dass ihr bei der Gründung nur daran gedacht habt, die Menschen zu schützen. Aber die Wandler sind in jedem Fall noch mehr Mensch als ihr...“ Die versengende Hitze in ihrem Inneren machte sich in Tränen Luft, die ihr heiß über die Wangen liefen. Amandas Blick wurde hart und jede Muskelfaser in ihrem Körper spannte sich, als sie die Hand wieder aus dem Ärmel streckte und sich somit endgültig für eine Seite entschied. Die Schüsse, die einen Herzschlag später die Luft zerissen, folgten so kurz hintereinander, dass sie sich wie einer anhörten. Erics Finger, der den Abzug immer noch krampfhaft in seiner Position hielt, zitterte. Es war das erste Mal, dass er am ganzen Körper bebte, nachdem er geschossen hatte. Sein sich überschlagender Atem konnte mit seinem rasenden Puls kaum mithalten. Selbst sein Blick schien für einen Moment verschleiert, bevor er wieder in das gleißend helle Zimmer sehen konnte. Hektisch lud er nach, als ihm klar wurde, dass er sie nicht sehen konnte. „Scheiße... Amanda! Seth!“ Tote Leitung. Es war nur Rauschen zu hören. Was allerdings auch an seinen Ohren und dem darin pulsierenden Blut liegen konnte. Mit zusammen gebissenen Zähnen versuchte Eric irgendetwas zu erkennen. Nur eine Bewegung. Irgendwas, das darauf hindeutete, was zwischen den beiden Schüssen passiert war. Nichts war zu erkennen, außer einer winzigen Buchstabenreihe auf dem Laptop. Files deleted. Das Blut, das zwischen ihren Fingern herausquoll, wollte einfach nicht aufhören zu fließen. So fest Amanda auch mit einem Stück Stoff darauf drückte, es hörte nicht auf. Doch erst als sie ihm ins Gesicht sah, traf sie die Erkenntnis so hart, dass sie einen gequälten Aufschrei nur mit Gewalt unterdrücken konnte. Seth verlor so viel Blut, dass er schon fast grau im Gesicht wirkte. Sein Atem ging rasselnd und er stöhnte immer wieder unter Schmerzen. Auch wenn er sich dafür, dass die Kugel ihn zentral getroffen hatte, noch ziemlich gut hielt. „Wir bringen dich hier raus, keine Sorge. Die Polizei ist sowieso schon hier. Da ist ein Krankenwagen nicht weit. Halt nur noch ein bisschen durch.“ Die Worte kamen nicht nur zur Seths Beruhigung aus ihrem Mund. Amanda selbst war in Tränen aufgelöst und zitterte am ganzen Körper, während sie weiter versuchte, die Blutung an seinem Bauch zu stoppen. „Amanda...“ Die Hand, mit der er ihren Arm berührte, war beinahe kalt. Um es ihm leichter zu machen, lehnte sich Amanda über Seth und hielt ihr Ohr nur wenige Zentimeter über seine Lippen. „Eigentlich sind sie blau.“ Es war nur ein Flüstern, doch es schien alle Dämme in Amanda brechen zu lassen, als sie nach Sekunden, die eine Ewigkeit zu dauern schienen, endlich verstand, was er damit meinte. „Du wirst nicht sterben, hörst du!“ Mit aus Verzweiflung zehrender Kraft presste sie ihre Hände stärker auf seine Wunde und versuchte gleichzeitig ihn wach zu halten. Dabei war ihre Stimme so brüchig wie dünnes Glas und erstickt von Tränen, während sie ihn beinahe anschrie. In Gedanken betete sie nur darum, dass endlich jemand kommen würde, um ihnen zu helfen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)