Shadows of the NewMoon von Darklover ================================================================================ Kapitel 46: 47. Kapitel ----------------------- Sie fand ihn auf dem Container, auf dem sie normalerweise immer zur ersten Wache saßen, bevor sie ihr Training aufnahmen. Seth saß mit leicht gebeugten Schultern an der Kante und sah scheinbar gedankenverloren auf's Meer hinaus. Wortlos setzte sich Amanda neben ihn, allerdings auf respektvollen Abstand bedacht. "Wir müssen irgendwann noch über den Einsatz sprechen.", begann Amanda tonlos. Jeder Anfang dieses Gesprächs hätte sich wahrscheinlich unsensibel und unpassend angehört. So auch dieser. Seth reagierte nur mit einem Nicken, was Amanda ein wenig nervös machte. Sie wollte nicht, dass auf einmal alles anders war, als zuvor. "Seth, es..." "Hör zu Amanda, ich will nicht darüber reden. Wir beide wissen den Stand der Dinge und das ist völlig ausreichend." Er fuhr ihr so direkt über den Mund, dass sie die Lippen etwas bestürzt aufeinander presste. Ja, ihnen beiden war nun klar, wo der andere stand. Wäre es doch bloß vor gestern Nacht so gewesen. Schweigend sahen sie dem Glitzern des Wassers zu, das sich bei jeder Wellenbewegung änderte. Der ölige Geruch und der immerwährende Krach von Arbeitern und anlegenden Schiffen war eine seltsame Untermalung für die Szene. "Was ist mit unserem Training?", wollte Amanda wissen. Es war nur eine andere Formulierung für ihre viel schwerwiegendere Frage nach dem Stand ihrer Freundschaft. Seths dunkle Augen und das winzige Lächeln auf seinen schmalen Lippen ließen einen Kloß in Amandas Hals entstehen. Sie hatte noch nie einen so guten Freund gehabt. Jemanden, der sie verstand, weil er ihr ähnlich war. Der ihre Eigenheiten und manche Dingen nachvollziehen konnte, wie es keinem anderen möglich wäre. Es hatte nichts mit Liebe zu tun, aber Amandas Herz würde trotzdem bluten, wenn ihr Seth seine Freundschaft aberkennen würde. Nachdem er das Besprechungszimmer verlassen hatte, wusste er eigentlich gar nicht so genau, was er mit sich anfangen sollte. Klar wäre sein nächster logischer Schritt gewesen, sofort die Wandler aufzusuchen, die sich noch nicht hatten darüber einigen können, ob sie nun mit machten, oder lieber doch die Flucht ergriffen, sobald die Moonleague ausreichend abgelenkt war. Es lag an ihm und seiner Überzeugungskraft, ob sie sich ihnen doch anschließen würden. Doch im Moment hatte Nataniel ohnehin nicht den Kopf dafür. Besser gesagt, wollte sein Kopf sich aus dieser Umgebung verkrümeln. Weshalb ihn seine Füße wie von selbst, Amandas Geruch folgend, über den Boden trugen. Erst als er sie immer deutlicher riechen konnte, als er im Freien angekommen war, blieb er stehen und blickte hoch. Er war noch weit genug entfernt, so dass sie ihn nicht bemerkt hatte, aber daran wollte er auch gar nichts ändern. Warum genau, konnte er nicht sagen, aber er stand da wie angewurzelt, als er sie neben dem Pessimisten sitzen sah. Zwar gab ihm nichts davon auch nur einen Hauch von einem Grund für eine Eifersucht, trotzdem entkam seinem Brustkorb ein vibrierendes Grollen. Irgendwas war da zwischen den beiden und gerade weil er nicht sagen konnte, wie weit das reichte, ob von Teamkollegen angefangen bis über gute Bekannte, im Grunde war das schon genug. Mit Gewalt riss er sich von dem Anblick los. Ja, jetzt war wirklich ein ausgezeichneter Zeitpunkt, um sich der Sache mit den Gestaltwandlern anzunehmen. Warum war er nicht schon vorhin so darauf versessen gewesen? Dann wäre ihm dieses bleischwere Gefühl im Magen erspart geblieben, das ihn jetzt förmlich runter zog. Dabei zweifelte er keinen Moment lang an Amandas Treue, aber was sein Verstand wusste, konnte sein aufgebrachtes Herz nicht so leicht verstehen. Seine Stiefelabsätze schlugen kurz gegen das Metall des Containers, als sich Seth von der Kante erhob. Kurz klopfte er sich die Hände an seiner Hose ab, den Blick dabei immer noch auf das Hafenbecken und die dahinter liegende Skyline gerichtet. Es war noch nicht spät, aber der Nachmittag musste schon so weit fortgeschritten sein, dass die Sonne unterging. Amanda seufzte und ließ den Kopf hängen, während die Schatten langsam länger wurden. Die Hand, die Seth ihr hinhielt, nahm Amanda nur aus dem Augenwinkel wahr. Überrascht sah sie auf und erst als sie verstand, breitete sich ein frohes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie ließ sich von ihm auf die Füße ziehen und deutete ansatzweise in Richtung immer roter werdenden Horizonts. Es war eindeutig noch zu früh, um zu trainieren. Zumindest, soweit es Amanda anging. Deshalb zog sie auch fragend die Augenbrauen hoch, als Seth sie auffordernd ansah. "Nur weil es schwieriger ist, heißt es nicht, dass wir nicht im Sonnenlicht trainieren können." Amandas Herz schlug schneller. Seth konnte nicht wissen, dass Amanda ganz andere Gründe als den höheren Schwierigkeitsgrad hatte, um das Schattengehen während des Tages zu vermeiden. "Es wäre mir lieber, wenn wir bis nach Sonnenuntergang warten würden.", sagte sie ausweichend, während ihre Augen nervös flackerten. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte Amanda nichts versucht, das über ihre minimalen Fähigkeiten hinausging. Vom Mondschatten ins Licht und wieder zurück und selbst bei dieser Übung konnte sie sich erst seit den Trainingsstunden mit Seth endlich Profi nennen. Inzwischen fiel es ihr nicht mehr besonders schwer durch die Schatten zu gehen. Es tat immer noch weh, aber Amanda musste sich nicht mehr krampfhaft vorbereiten. Seth hatte ihr beigebracht, dass Annahme manchmal weiter brachte als Kämpfen. Aber dieser Vorschlag ging ihr wirklich gegen den Strich. Es widerstrebte ihr völlig, das Sonnenlicht zu nutzen. Im Gegensatz zur beschwichtigenden Wirkung des Mondes, brannte die Sonne auf der Haut, sobald man regelrecht von ihrer Wirkung wie bei einem Sog aus den Schatten gerissen wurde. Wie die Schattenläufer des Tages das auf Dauer aushielten, würde Amanda nie begreifen. Diesbezüglich konnte sie sich glücklich schätzen, dass Seth ihr wirklich unglaublich ähnlich war – ein Schattengänger der Nacht, wie sie selbst. Seine dunklen Augen ruhten immer noch bewegungslos, aber keinesfalls ohne Emotionen auf Amandas Gesicht. Er wartete auf eine andere Antwort, als jene die Amanda ihm gerade gegeben hatte. Das war nicht zu übersehen. Seine eindringliche Art brachte Amanda dazu, den Kopf noch einmal Richtung Sonnenuntergang zu wenden. Es würde ohnehin nicht mehr lange dauern, bis es vollkommen dunkel wurde. Vorsichtig nickte sie und ließ endlich Seths Hand los. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass er sie immer noch festgehalten hatte. Ja, ein wenig kämpfen war vielleicht eine gute Idee. Dann konnten sie sich beide den Kopf wieder gerade rücken. Zumindest hoffte Amanda das. "Innerhalb dieses Containerquadrats, aber auf allen Ebenen." Amanda nickte wieder. "In Ordnung. Ich laufe." Das Grinsen auf Seths Gesicht war ehrlich und anfeuernd. Sie waren schon so gut aufeinander eingestimmt, dass Amanda verschwand, bevor Seth das 'Los!' überhaupt ganz ausgesprochen hatte. Es tat weh und das ungewohnte Ziehen beim Auftauchen aus den Schatten dehnte das unangenehme Gefühl bloß noch aus. Seth klebte mehr oder weniger an Amandas Hintern, weil es ihr so viel schwerer fiel, sich in der ungewohnten Tageszeit auf den Gang zu konzentrieren. Gleich zu Anfang durchschnitt Seths rechte Handfläche Amandas Jacke und Shirt und riss ihre Haut am Rücken auf. Ihr entkam ein lautes, schmerzverzerrtes Zischen, aber anstatt sich in die Schatten zurückzuziehen, ließ Amanda sich in die Knie sinken, nutzte ihren eigenen Körperschatten und schlug wiederum mit ihrer aufgelösten Hand nach seiner Kniescheibe. Er hatte es nicht kommen sehen, war aber immer noch schneller als Amanda. Der Angriff riss nur seine Hose auf und glitt sein Schienbein hinunter. Der Trainingskampf wurde grimmiger und gewann an Tempo, je weiter die Sonne unterging. Irgendwann warfen die beiden Kontrahenten ihre Jacken ab, um sich ein wenig Kühlung zu verschaffen. Amanda hatte das Gefühl, das Mondlicht würde ihr nicht nur Stärke, sondern auch Kühlung verschaffen. Verbissen ging sie gegen Seth vor, der nicht weniger aggressiv zurückschlug. Nach über zwei Stunden fühlte sich Amanda total ausgepowert, aber zufrieden. Mit dem Rücken an einen Container gelehnt, hockte sie da, um zu Atem zu kommen. Ihre schwarzen Augen legten sich auf die von Seth, der schwer keuchend mitten auf dem Platz zwischen den gestapelten Frachtcontainern stand. "Danke." *** Die Gespräche mit den Leuten seiner eigenen Art taten ihm überraschend gut. Nataniel vergaß nach einer Weile sogar vollkommen den ungewohnten und zugleich aufreibenden Anblick, der ihm eine Zeit lang nur zu deutlich vor Augen gestanden hatte. Amanda und er würden sich heute Abend garantiert wieder in ihrem Zimmer treffen und auch wenn Nataniel nicht unbedingt scharf darauf war, so würde er ihr sagen müssen, was er gesehen hatte und wie er dazu stand. Gerade weil er seine Emotionen ohnehin nie lange vor ihr verbergen konnte, wäre es besser, sofort auf den Punkt zu kommen, als sich selbst wilden Spekulationen hinzugeben, die alle nicht einmal annähernd an die Wahrheit heran reichen würden. Oder vielleicht doch? Mit Mühe riss er sich wieder von seinen Gedankengängen los und konzentrierte sich auf das, was nun wichtiger war. Immerhin musste er es ausnützen, wenn die Wandler bereit waren, ihm zuzuhören. Auch ein paar der eher skeptischen waren dabei, die sich noch nicht entschieden hatten, ob ein Kampf sich wirklich lohnen würde oder doch besser die Flucht. Nataniel kam hierbei zu Gute, dass er das Alphatier in jeder Sekunde voll und ganz ausstrahlte. Zwar mochte das hier nicht sein Rudel sein, aber es schien die Wandler zu beruhigen und zugleich Mut zu machen, auch wenn es eher auf einer unbewussten Ebene stattfand. Das würde vermutlich auch solange bleiben, bis ein anderes Alphatier aufkreuzte und sie sich somit schon von Natur aus nicht verstehen würden und die Situation sich mit Zwist auflud. Doch bisher war keiner unter den Wandlern gewesen, wofür er sehr dankbar war. Schwer genug immer wieder eine so große Bürde zu tragen, sie dann auch noch verteidigen zu müssen, war noch schwieriger. Vor allem am Anfang hatte er seine Probleme damit gehabt, weil er nicht mit ganzem Herzen dabei gewesen war. Doch letzten Endes war ihm das Wohl der anderen wichtiger, als seine eigene Freiheit. Ob Einzelgänger oder nicht, wenn er wollte, konnte er auch jetzt immer noch alleine sein. Wenn auch nur für ein paar Stunden. *** Da Nataniel sich bis jetzt nicht hatte blicken lassen – Amanda hatte die meiste Zeit über immer wieder zu dem Kran hinüber gesehen und ihn dort nicht ausgemacht – entschied sie sich dafür, ihn suchen zu gehen. Aber erst nachdem sie geduscht und die klebrigen Schatten vollkommen losgeworden war. Sie machte sich zuerst auf den Weg in ihr Zimmer, schnappte sich saubere Klamotten und stellte sich dann für eine ganze halbe Stunde unter die Dusche. Das Wasser tat gut auf der leicht geschundenen Haut, allerdings bereute Amanda es sofort, das Duschgel auch auf ihrem Rücken verteilt zu haben. Es brannte ziemlich auf dem großen Kratzer, den Seth ihr gleich zu Anfang ihres Trainings verpasst hatte. Erst als sie aus der Dusche stieg und sich anzog, fiel Amanda auf, dass sie seit dem späten Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Vielleicht würde sie Nataniel ja im Speiseraum finden. Spätestens wenn sie zum Schlafen in ihr Zimmer zurückkehrte, würde sie ihn hoffentlich wieder sehen. Im Containerkomplex der Zentrale würde er schon nicht verloren gehen. *** Es war schon lange dunkel, als er endlich seinem Magen folgend, den Weg zum Speisesaal einschlug. Diejenigen, die von Anfang an hatten kämpfen wollen, hatte er noch stärker motivieren können und bei ein paar von den Unentschlossenen war ebenfalls der Kampfeswille erwacht. Ein zufriedenstellendes Gespräch, allerdings nicht das Ergebnis, das er gerne gehabt hätte. Er würde also doch noch mit Francy losziehen müssen. Möglichst bald sogar. Für ein langes Essen war er jetzt nicht mehr gelassen genug, weshalb er nur kurz in dem fast leeren Speisesaal ging, sich etwas zum Mitnehmen schnappte und sich dann gleich auf das Zimmer verkrümelte. Wo Amanda offenbar schon auf ihn gewartet hatte. Er konnte es ihr nicht verdenken. Endlich wieder alleine mit ihr zu sein, schien in letzter Zeit ein absoluter Luxus zu sein. Noch dazu, wo er sie so lange hatte loslassen müssen. Die Wochen ihrer Abwesenheit würde er nie vergessen. Sie waren noch schlimmer gewesen, als beim ersten Mal, als sie gegangen war. Nachdem er das Essen auf dem Tisch abgestellt hatte, kam er sofort zu ihr hinüber und umarmte sie zur Begrüßung. Seine Arme schlossen sich fast schon wie durch einen Zwang um den Körper seiner geliebten Gefährtin, während sein Gesicht sich in ihrer Halsbeuge vergrub. Er schnurrte zufrieden. „Sag mir bitte, dass wir wenigstens für ein paar Stunden unsere Ruhe-“ Nataniel brach ab und ließ so weit von Amanda ab, dass er ihr in das fragende Gesicht blicken konnte. Er hatte es ganz genau gerochen. Zwar hing an ihr auch noch der Duft von Duschgel und ihrem eigenen unverkennbaren Aroma, aber das war längst nicht alles. Sofort spannten sich seine Kiefer an, während er noch immer um einen ruhigen Tonfall bemüht, fragte: „Ich bin mir in letzter Zeit zwar nicht ganz sicher, ob ich meiner Nase hundertprozentig trauen kann, aber manche Dinge ändern sich nie. Das ist doch getrocknetes Blut, das ich da an dir rieche, oder?“ Als wüsste er das nicht, denn noch bevor er auf eine Antwort wartete, begann er bereits mit seinen Händen systematisch nach Verletzungen zu suchen. Dass Amanda gerade ihre Periode hatte und deshalb nach Blut roch, schloss er aus, denn dann wäre es frisch und zudem von einer anderen Mischung. Das hier war eindeutig Blut aus einer Wunde. Da er Amanda körperlich weit überlegen war, konnte sie sich auch nicht von ihm befreien, was ihr wohl im Sinn stand. Immerhin machte sie es ihm nicht gerade leicht. Aber schließlich deckte er einen älteren Kratzer, der eher wie ein Schnitt aussah, an ihrer Schulter auf. Könnte noch von der Explosion stammen, aber was seine Hände da schließlich unter ihrem Oberteil an ihrem Rücken ertasteten, war definitiv heute Morgen noch nicht da gewesen. Außerdem zuckte seine Gefährtin vor Schmerz zusammen, was ihm deutlich zeigte, wie frisch die Verletzung noch sein musste. Ohne Proteste gelten zu lassen, drehte er sie einfach um und schob den Stoff bis zu ihren Schultern hoch. Das was aus seinem Mund kam, war ein ganz und gar finsteres Knurren. Rote Linien zeichneten sich deutlich auf ihrer Haut ab und wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass es wie eine Spur aussah, die man mit den Fingern gezogen hatte. Nur hatte kein Tier oder kein Mensch den er kannte, so breite Krallen. Das Grollen in seinem Brustkorb wurde stärker und sein Mund verzog sich fast zu einem Zähnefletschen, während sein Magen von anfänglichem Kaltwaschgang auf Kochwäsche wechselte. Nataniel war stinksauer. Mehr als das. Er fühlte sich wie ein tobender Bulle, obwohl er körperlich noch relativ ruhig da stand. Aber man hörte es schon an seiner gepressten Stimme, dass er gerade nicht in Stimmung war, für irgendwelche Lügen. „Wer war das?“, wollte er schließlich schneidend wissen, wobei sich seine Wut nicht auf Amanda richtete, sondern auf wen auch immer, der ihr das angetan hatte. Verdammt, er wollte auf etwas einprügeln! Das schöne Gefühl endlich mit Nataniel allein zu sein, ohne die ganzen neugierigen oder mit anderen Emotionen aufgeladnen Augen, währte nicht lange. Ein Ruck ging durch Nataniels eben noch anschmiegsamen Körper und er hielt sie auf Armlänge von sich weg, während Amanda überhaupt nicht verstand, was eigentlich los war. Bis sie seine eigentlich mehr rhetorische Frage hörte. "Es ist Nichts, bloß ein kleiner Kratzer, wirklich." Mit den Handflächen versuchte sie Nataniels Finger wegzuschieben, die sich vervielfältig zu haben schienen und ihren Körper auf Wunden untersuchten. Ok, es tat schon ganz schön weh, als er die Risse auf ihrem Rücken schließlich entdeckt hatte und sie untersuchend abtastete. Nataniels Gesichtsausdruck machte klar, dass sie ihm nicht mit einer Ausrede, sie habe sich unter der Dusche beim Rasieren geschnitten, gar nicht zu kommen brauchte. Es wäre auch Schwachsinn, ihn deswegen zu belügen. Bloß kam Amanda seine Erschütterung schon ein wenig überspitzt vor. Dass er sie auch noch gegen ihre durchaus beachtliche, wenn auch sanfte Gegenwehr umdrehte, um ihr Shirt hochzuziehen, entlockte Amanda einen genervten und inzwischen auch leicht angesäuerten Seufzer. Allerdings war dieser winzige Gefühlsausbruch gar nichts gegen Nataniels Reaktion, die sich in einem Knurren und einer Grabesmiene äußerte. Er kochte so eindeutig vor Wut, dass Amanda gewillt war, überhaupt nichts zu sagen. Ihrer Meinung nach hatte sie nichts Falsches getan und verdiente es nicht, jetzt so kontrollierend behandelt zu werden. Falls sie ihn brauchte, um sie zu beschützen, hätte sie keine Scheu es zu zeigen. Andererseits wäre sie im umgekehrten Falle genauso aufgebracht. Sollte jemand Nataniel verletzen, konnte derjenige mit dem Zurückschlagen einer Frau rechnen, die zwar keine Wandlerin war, aber durchaus einer Wildkatze gleichkommen konnte. Einen flüchtigen Moment lang dachte Amanda darüber nach, was Nataniel wohl mehr aufregen würde: dass Seth sie angekratzt oder dass er noch vor einer Nacht genau das Gegenteil vorgehabt hatte. Doch es stand Amanda sicher nicht der Sinn danach, Nataniel mit einer derartigen Mitteilung zu verletzen. Daher nahm sie beschwichtigend seine Hände und sah ihn ganz offen an. Schon immer war sie ein ehrlicher Mensch gewesen und gegenüber ihrem Gefährten sollte das nicht anders sein. "Die Verletzung war mehr oder weniger ein Unfall.", fing sie etwas indirekt an zu erklären. Noch war Amanda nicht genau klar, wie viel und vor allem wie sie Nataniel von ihrer Freundschaft und ihre besondere Verbundenheit zu Seth erklären sollte. Immerhin hatte er nicht den geringsten Grund, sich von dem anderen Mann bedroht zu fühlen. Amanda gehörte nur ihm allein und das für immer. "Der Mann vorhin bei der Besprechung, du weißt schon, der Blonde." Wieder grollte Nataniel so tief, dass Amandas Herz beinahe auf der gleichen Frequenz in ihrer Brust vibrierte. Automatisch festigte sie ihren Griff und schlang ihre Finger um die von Nataniel. Er sollte sich jetzt bloß nicht zu einer überstürzten Aktion hinreißen lassen. "Sein Name ist Seth und so wie ich dich kenne, weißt du bereits, dass er wie ich ein Schattengänger ist. Noch dazu einer, der mit seiner Fähigkeit in der Nacht zuhause ist, so wie ich." Ihr Blick war so fest, weil sie nicht wollte, dass Nataniel ihr davon lief. Ob nun aus dem einen oder dem anderen Grund, es wäre Amanda einfach nicht Recht gewesen, wenn sich die beiden Männer gerade jetzt trafen, wo Nataniel über die Kratzer, die immerhin Seth ihr zugefügt hatte, so aufgebracht war. "Er ist zum Untergrund gestoßen, kurz bevor ich auch in die Stadt kam. Wir sind uns zuvor aber schon einmal begegnet…" Ein Seufzen entrang sich ihrer Brust, das den gesamten Schwermut über ihre damalige Befehlsausübung und ihr seltsames Wiedersehen mit Seth enthielt. "Ich hab ihn vor Jahren für die Organisation registriert. Allerdings schien er mir das, als wir uns hier wieder sahen, nicht mehr übel zu nehmen. Ganz im Gegenteil." Vielleicht hätte sie sich den letzten Satz sparen sollen. Verdammt, ob sie es Nataniel einfach sagen sollte? Aber sie wollte ihn ja nicht auch noch zur Eifersucht zwingen. Und doch… Wäre es nicht besser, wenn er wüsste, dass Amanda ihm niemals im Leben untreu wäre? Die Gefühle und Abwägungen dessen, was passieren könnte, wollten Amandas Inneres regelrecht auseinander reißen. Im Endeffekt ging es doch nur darum, Nataniel nicht zu verletzen. Also würde Amanda so lange den Mund halten, wie es sich machen ließ. "Wir trainieren schon eine ganze Weile zusammen. Er ist der Erste, der meine Fähigkeit teilt und von dem ich etwas dazulernen kann." Amanda konnte nichts dagegen tun, dass ihre Stimme bei dieser Erklärung enthusiastischer klang. Es entsprach der vollen Wahrheit und dass sie diese Begebenheit froh machte, wollte sie gar nicht verbergen. "Bis jetzt hat er mir schon so viel gezeigt und ich bin so viel besser geworden." Ihr Blick wurde reumütig und ihre Daumen streichelten um Verzeihung bittend über Nataniels Handrücken und Finger. "Es war keine Absicht, aber manchmal können wir nicht vermeiden, dass wir uns bei den Trainingskämpfen gegenseitig verletzen." Irrte sie sich oder hatten ihre Ausführungen die Flammen, die eindeutig hinter Nataniels Augen gelodert hatten, kein bisschen dämpfen können? Irgendetwas in Amanda schien sich nun zusammen zu krampfen, während sie auf seine Erwiderung wartete. Es fühlte sich so an, als könne Nataniel ein Urteil über sie fällen, das ihr ganz und gar nicht gefallen würde. Wie gut, dass Amanda seine Hände warm und trotzdem fest in ihren hielt. Das hinderte ihn wenigstens daran, seinem Drang nachzugeben, seine Krallen auszufahren und irgendwo hinein zu schlagen. In diesem Augenblick war er dankbarer denn je, dass Amanda seine Gefährtin war. Wäre sie es nicht, würde er zwar nicht so ausrasten, aber andererseits wäre sie dann auch nicht in der Lage, ihn zu zähmen. Auch wenn er sich kein bisschen beruhigte, als sie damit zu erzählen begann, es wäre ein Unfall gewesen, so blieb er doch ruhig stehen und sah ihr in die Augen, um den weiteren Ausflüchten zu horchen. Wieder drang ein Grollen aus seiner Kehle, als sie den blonden Typen erwähnte, mit dem er sie auch zusammen auf einem Container hatte sitzen sehen. Der Kerl war also der Stein des Anstoßes. Das hätte er wissen müssen. Es war irgendwie einfach eine logische Folgerung daraus. Schweigend, aber garend vor Zorn, hörte er seiner Gefährtin weiter zu. Amanda erzählte ihm, dass sie ‚Seth‘ schon von früher kannte. Bestätigte ihm seine Vermutung, dass auch der Typ ein Schattengänger war und somit noch mehr mit ihr gemeinsam hatte, als das bloße Menschsein. Eigentlich war es genau das, was Nataniel fast wahnsinnig vor Eifersucht machte. Nicht etwa die Befürchtung, Amanda könnte was mit dem Blonden haben, sondern die bloße Tatsache, dass er nur ein halber Mensch war und Seth somit besser für sie geeignet wäre. Die beiden müssten sich auf einer Ebene verstehen können, die Nataniel niemals nachvollziehen könnte. Das zu wissen, tat ganz schön weh. Und beinahe vergaß er darüber den eigentlichen Grund seiner Wut – Seth hatte seine Gefährtin verletzt. Eigentlich ein unverzeihliches Vergehen! Als sie ihm so über das Training berichtete, begannen ihre Augen zu strahlen. Sie schien sich sehr darüber zu freuen, dass das Training ihr weiter half und sie ihre Fähigkeiten verbessern konnte. Auch ihn freute es insgeheim, dass das vermutlich bedeutete, sie würde bei den Schattengängen nicht mehr so leiden müssen und vor allem wäre sie dann auch im Kampf besser vorbereitet. Aber im Endeffekt konnte ihn auch das nicht beruhigen. Selbst die Tatsache nicht, dass sie wohl auch Seth ein paar Schrammen verpasst hatte, was dem Typen wirklich recht geschah! Nachdem sich ein aufgeladenes Schweigen ausbreitete und Amanda offenbar von ihm eine Reaktion erwartete, blickte er ihr lange in die Augen. Noch immer fühlte sich sein Innerstes so an, als würde es zugleich durch den Fleischwolf gedreht, als auch gegrillt werden. Bis er nur noch eine Lösung hatte, um den roten Schleier vor seinen Augen wieder zu lichten. Da Amanda ihn immer noch an den Händen fest hielt, lehnte er sich einfach nach vor, schmiegte seinen Kopf an ihren und flüsterte ihr leise und mit bebender Stimme ins Ohr: „Bitte sag mir, dass ich einfach hier bei dir im Zimmer bleiben soll. Dass ich anstatt wütend zu sein, viel mehr Grund habe, dich in die Arme zu schließen, zu küssen und zu lieben, weil wir uns schon so lange nicht mehr hatten. Sag mir einfach, dass du mich liebst und ich werde mich damit zufrieden geben, dass du dem Typen auch schon wehgetan hast…“ Auch wenn das jetzt seltsam klang. Aber er musste es hören. Wenn sie es aussprach, war es wie ein Zwang für ihn, den er sich dieses Mal nur zu gerne hingab. Er würde sich wieder beruhigen, hier bleiben und seine Eifersucht in gemäßigtem Rahmen halten. Dann müsste er den Typen auch nicht zu Katzenfutter verarbeiten. Mit einem Mal schien die Kraft aus Nataniel zu weichen, obwohl er immer noch total unter Strom stand. Außer seinen Händen, die immer noch warm in ihren lagen, zitterte er am ganzen Körper. Als er sich ihr entgegen lehnte und seine Wärme sie umfangen wollte, schloss Amanda ganz automatisch die Augen, um mit ihren anderen Sinnen mehr aufnehmen zu können. Nataniels Worte lösten in Amanda so etwas wie Verwirrung aus. Leise und fast ehrfürchtig war ihre Antwort deshalb nur ein Hauchen. "Ich liebe dich sehr, Nataniel. Mehr als du dir vorstellen kannst. Und ich hoffe, dass du schon deshalb jetzt nicht gehen wirst, weil ich genau das tun möchte, was du gerade vorgeschlagen hast." Ihre Hände ließen seine los, damit sich ihre Arme um ihn schließen konnten. "Dich umarmen." Amandas Lippen berührten Nataniels Halsbeuge, wanderten zu seinem Kinn und schließlich auf seinen Mund, wo sie sanft weiter sprach. "Dich küssen." Erst jetzt öffnete Amanda wieder die Augen und sah Nataniel mit einem warmen Lächeln an. Dass sich der Sturm hinter seinem Blick gelegt hatte, machte es Amanda nur noch leichter. Nach Halt und Wärme suchend, schmiegte sie sich in Nataniels Arme. Endlich konnte sie wieder das wohlige Gefühl in sich spüren, dass ihr mit ihm in so weiter Ferne erschienen war. Wie hatte sie es nur ausgehalten, so lange von ihm getrennt zu sein? Natürlich hatte sie versucht, sich zu beschäftigen, viel zu tun zu haben, damit ihr nicht zu schmerzlich bewusst wurde, dass er nicht bei ihr war. Erst nachts, wenn sie allein in ihrem Bett lag, war sein Fehlen fast unerträglich gewesen. Dass sie überhaupt hatte Schlaf finden können, war der totalen Erschöpfung zu verdanken gewesen. Dafür musste sie in gewissem Sinne Seth dankbar sein. Hätte er sie bei ihrem Training nicht dazu gebracht, sich immer wieder körperlich völlig zu verausgaben, hätte sie wahrscheinlich überhaupt keine Erholung im Schlaf gefunden. Trotzdem war ihr jetzt so, als würde sämtlicher Druck von ihr abfallen, als sie Nataniel wieder bei sich spüren konnte. Lächelnd fiel Amanda ein, wie sie Nataniel selbst einmal beschrieben hatte, wie sein Geruch auf sie wirkte – gemütlich. Er würde immer etwas Anheimelndes für sie haben und in Nataniels Gegenwart würde sich Amanda immer sicher fühlen. Genauso wie da bestimmt immer dieses Kribbeln aufkommen würde, das sich von ihren Zehenspitzen durch ihren gesamten Körper, bis in ihre Haarspitzen zog. Der Schalk saß hinter ihren hellbraunen Augen, als sie Nataniels Seiten auf und ab streichelte und sich so nah es ging, an ihn schmiegte. "Und dich lieben, um alles nachzuholen, was ich in den letzten Wochen vermissen musste." Oh Gott, wie gut es doch tat, Amanda wieder bei sich zu haben. Wie sich ihr Körper an ihn schmiegte, als wären sie beide wie für einander geschaffen. Ihre Wärme war eine wahre Wohltat. Obwohl er inzwischen bereits wieder mehr Hitze ausstrahlte als sie, empfand er es doch als unglaublich angenehm. Das konnte nur von ihren Worten übertroffen werden. Zu hören, wie sehr sie ihn liebte, war Nataniel gerade in diesem Augenblick sehr wichtig. Er musste es nicht jeden Tag hören und es sollte sich auch bloß niemals zu einer dahergeredeten Floskel entwickeln, aber manchmal brauchte er es einfach. Erst recht, nachdem sie beide so lange voneinander getrennt gewesen waren und heute Morgen oder besser gesagt Mittag kaum Zeit hatten, den Verlust richtig auszukurieren. Kein Wunder also, dass er ausgerechnet heute so neben der Spur gestanden hatte. Okay, Verletzungen wie diese würde er niemals auf die leichte Schulter nehmen, aber er musste seinen Unmut darüber nicht direkt an Amanda auslassen. Das war falsch gewesen. Wenigstens hatte sie es ihm nicht übel genommen. Den Kuss erwiderte er zärtlich und sanft, ehe er seine Gefährtin enger in die Arme schloss und tief den beruhigenden Duft ihres Haars einsog. Bei ihren nächsten Worten musste er schmunzeln. „Um das alles nachzuholen, würden wir Tage brauchen.“ Mit Garantie! Aber er würde sich mit allem zufrieden geben, was sie bekommen konnten. Weshalb er sich leicht von Amanda mit einem Lächeln löste, mit seinem Daumen über ihr Kinn streichelte, um es etwas anzuheben, ehe er sich zu ihr herabbeugte, um sie erneut zu küssen. Dieses Mal ohne Unterbrechung, während seine Hände sanft über ihre Schultern streichelten, ihren Rücken – dabei die Verletzung auslassend – und schließlich keck in ihren Hintern kniff, ehe er anerkennend über ihre über alles geliebten Kurven glitt. Seine Hand fuhr so unter ihr Gesäß, dass er sie an sich gedrückt hoch heben und ohne den Kuss zu unterbrechen, zum Bett hinübertragen konnte. Dort setzte er sie zuerst ab, ehe er selbst zu Amanda auf die Matratze kroch, ohne auch nur einmal von ihr abzulassen, weshalb sie halb auf dem Bett lag, während er sich mit einer Hand abstützte. Zumindest für eines war die lange Zeit des Verzichts gut gewesen. Inzwischen war er wieder vollkommen verheilt und mal von den paar Kilos weniger auch kerngesund und zum ausgiebigen Knutschen reichte das allemal. Auch wenn sein Körper die ersten Signale für mehr auszusenden begann. Aber er müsste schon tot sein, um nicht auf Amanda zu reagieren. Amanda musste auf seine Erwiderung hin lachen. Leider würden sie keine Tage lang Zeit haben. "Ich denke, dass die Anderen uns leider vorher vermissen würden. Am Ende kommt uns noch jemand suchen…" Gespielt griesgrämig zog sie eine Augenbraue hoch, ehe sie in kurzes Kichern ausbrach. Die Kraft war anscheinend vollkommen in Nataniel zurückgekehrt, denn er hob sie hoch, als hätte Amanda überhaupt kein Gewicht. Nicht einmal den Kuss musste er unterbrechen, als er sie zum Bett trug und sich dann mit Amanda auf der Matratze niederließ. Im Gegensatz zum letzten Mal in Nataniels kleinem Häuschen, war die Umgebung alles andere als romantisch. Die Containerwände erschienen Amanda ziemlich abweisend und unter Umständen würden sie auch eine gehörige Menge Schall in die Nebenräume übertragen. Aber darüber würde sie sich jetzt bestimmt keine Gedanken machen. War es denn wirklich möglich, dass sie trotz der immer intensiver werdenden Küsse noch näher bei Nataniel sein wollte? Nicht zum ersten Mal glaubte Amanda, zu verstehen, warum Wandler darauf bestanden, sich gegenseitig zu kennzeichnen. Es wäre nicht schlecht gewesen, Nataniel ein Zeichen ihrer Liebe und vielleicht sogar ihres Besitzanspruches aufzudrücken. Allerdings widerstrebte es Amanda doch, derartige Forderungen zu stellen. Wenn es tatsächlich einmal Nataniels Wunsch sein sollte, dann würde sie ihn gehen lassen müssen. Er gehörte ihr nicht, aber Amanda war mehr als froh und glücklich darüber, dass sie mit Nataniel zusammen sein durfte. Als sie die Gelegenheit bekam, rollte sich Amanda, wie am vergangenen Morgen auf Nataniel, drückte ihm einen Kuss auf, bevor sie sich nur wenige Zentimeter von ihm löste. Mit sanften Fingerspitzen schob sie ihm ein wenig die dunklen Haare aus dem Gesicht. "Schön, dass du hier bist. Ich hab dich sehr vermisst." Wie um ihre Worte zu bekräftigen küsste sie ihn wieder und vergrub ihre Finger in Nataniels Haar. Nein, sie würde ihn niemals wieder gehen lassen oder nur den Funken eines Gedankens daran verschwenden, ihn zu verlassen. Noch einmal würde sie das nicht durchstehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)