Shadows of the NewMoon von Darklover ================================================================================ Kapitel 19: 19. Kapitel ----------------------- Die nächsten beiden Tage und Nächte verliefen wie im Zeitraffer, da Amanda meistens schlief, aß oder sich mit Eric unterhielt. Ihr Bruder teilte ihr zwar mit, dass Nataniel sie besucht habe, aber davon hatte Amanda nicht wirklich etwas mitbekommen. Entweder hatte Nataniel immer einen Zeitpunkt abgepasst, an dem sie schlief, oder hatte diesbezüglich schlechtes Timing bewiesen. Am vierten Abend nach ihrer Verletzung saß sie auf dem Rand ihres Bettes und zog sich die Klamotten an, die Nataniel ihr besorgt hatte. Sie rochen nach Gras und warmem Fell, was Amanda allerdings behagte. Es roch in einem gewissen Sinne gemütlich. Mit dem Verband fühlte sie sich etwas blechern in ihren Bewegungen, vor allem, nachdem die Luchsfrau sie erst gestern neu verbunden hatte. Aber sie spürte die Verletzung nur noch als leichtes Zwicken, wenn sie sich falsch bewegte oder überanstrengte. Nichts worüber man sich Sorgen machen musste. Die Nachricht, die sie in der Nacht von Clea erhalten hatte, war da etwas ganz anderes. Sobald sie daran dachte, was ungefähr jede Sekunde war, die sie krampfhaft versuchte, nicht daran zu denken, wurde ihr übel und sie hätte am liebsten laut gebrüllt. Aber das würde auch nichts nützen. „Hey. Na? Bereit?“ Eric holte sie im Bungalow ab und Amanda nickte kurz, während sie versuchte ein einigermaßen überzeugendes Lächeln aufzusetzen. „Klar bin schon ganz aufgeregt. Immerhin laufe ich.“ Eric schüttelte bloß grinsend den Kopf und bot ihr den Arm an, als sie die kleine Hütte verließen, um im Abendlicht auf den Versammlungsplatz zu gehen. Es brannte bereits ein recht großes Feuer, obwohl es noch nicht wirklich dunkel war. Bald würden sich alle zum Abendessen versammeln, das bereits teilweise gebraten wurde und herrlich duftete. So unauffällig wie möglich hielt Amanda nach Nataniel Ausschau, hätte ihn allerdings lieber nicht entdeckt, als sie die Szene vor sich sah. Anscheinend kam er gerade von irgendwo zurück oder hielt sich hier gern in seinem Tierkörper auf. Jedenfalls ging er gerade auf die Feuerstelle zu, wo er bereits von einer Löwin erwartet wurde, die sich an ihn schmiegte und ihm übers Gesicht leckte. In Amandas Magen schien sich ein kleiner Ball düsterer Gefühle zusammenzuziehen, als sie sah, dass Nataniel sich die Behandlung nicht nur gefallen ließ, sondern sich auch noch hinlegte. Die Löwin ließ sich nicht lange bitten und kuschelte sich zu ihm, was Amanda einen neuerlichen Stich nicht nur in die Magengegend versetzte. War er deshalb in den letzten paar Tagen so selten aufgetaucht? Der kleine dunkle Ball in ihrem Magen ging in Rauch auf, als Wut in ihr hochbrannte. Dabei konnte Amanda noch nicht einmal sagen, auf wen genau sie wütend war. Auf Nataniel, weil er sich so verhielt oder mehr auf sich selbst, weil es ihr offensichtlich etwas ausmachte? Ach, es war ihr doch scheißegal, er konnte tun, was er wollte. Aber wenn das so war, warum setzte sie sich dann mit finsterer Miene neben Eric so weit weg von Nataniel und dieser Löwin wie möglich? Amanda machte sich vor, dass so nicht die Gefahr bestand, dass jemand hörte, was sie ihrem Bruder zu sagen hatte.   Nataniel war völlig geschafft. Nicht nur, dass er kaum Schlaf fand, weil er jede freie Minute, die er aufbringen konnte, Amanda besuchte, auch wenn diese für gewöhnlich zu dieser Zeit schon schlief, ihn nahmen auch ganz schön seine Pflichten als Anführer mit, die er erst nach und nach in vollem Ausmaße begriff. Weniger denn je, wollte er das hier alles, aber umso mehr er sich um die anderen kümmerte, umso deutlicher wurde ihm klar, dass man ihn brauchte. Kein Wunder, dass die meisten anwesenden Gestaltwandler meistens in ihrer Tiergestalt herumliefen, anstatt als Menschen. Sie hatten zu große Angst, als dass sie ihre geschärften Sinne so einfach aufgeben wollten. Andere fühlten sich so einfach sicherer. Nataniel verstand sie wirklich, aber er war inzwischen ganz froh, einmal den Pelz los zu werden. Andererseits war es leichter, ständig die Clanbande aufzufrischen, wenn es in Tiergestalt geschah. Sonst müsste er als Mensch immer wieder Leute umarmen, Schultern klopfen, Wangen küssen, Kinderköpfe streicheln, bis er weder ein noch aus wusste. Inzwischen war er es ziemlich überdrüssig, nie Zeit für sich zu haben, um alleine herumzustreifen. Das Gefühl der Verbundenheit war so stark, dass es ihn manchmal regelrecht erdrückte und doch war er irgendwie abhängig davon. Als würde ihm etwas fehlen, wenn er nicht mehr dazugehören würde. Dennoch hoffte er, dass der junge Nachwuchs schnell groß und stark werden möge. Einige unter ihnen hatten schon jetzt Führungspotential, und wenn sie eines Tages so weit waren, würden sie ihre eigene Art anführen. Sodass sich Nataniel nicht mehr um jede einzelne Raubkatze würde kümmern müssen, die bei ihm Schutz suchte. Die Jaguare würden ihm schon reichen. Immerhin waren das in seinem Rudel bereits zwölf Stück. Gerade, als er zum Lagerfeuer zurückkam, hatte er die halbwüchsigen Jungen der Löwin Susan in ihre Schranken weisen müssen. Da sie sich weigerten sich in Menschen zu verwandeln, hatte er auch nicht anders gekonnt, als ihnen als Raubtier gegenüberzutreten. Der Streit war schnell geschlichtet, aber für die Witwe waren ihre zwei Kinder im Augenblick eine ziemliche Belastung. Zumindest, wenn sie sich so aufführten. Die Frau tat Nataniel leid. Ihr Mann war bei der Flucht für sie ums Leben gekommen. Sie hatte den Schock noch kaum überwunden. Also versuchte er sie zu trösten, so gut es ging. Damit man ihr die Trauer nicht zu sehr ansah, blieb sie freiwillig schon seit Tagen in ihrer Tiergestalt. Was Nataniel wiederum nicht wundern ließ, warum sich ihre Kinder so aufführten. Es wurde wirklich einmal Zeit, gewisse Regeln aufzustellen. So konnte das nicht weiter gehen. Einen Moment legte er sich hin, sah müde in die Flammen des Lagerfeuers und ließ es zu, dass sich Susan neben ihn hinlegte. So konnte er ihr gleich auf katzenhafte Weise mitteilen, dass ihre Jungs jetzt im Bett lagen und für heute ruhe geben würden. Was die Löwenmutter sichtlich beruhigte. Noch einmal gab er ihr einen sanften Stoß mit dem Kopf zur Aufmunterung, ehe er wieder aufstand und auf müden Pfoten zu seinem Schlafplatz schlich, um sich umzuziehen. Für heute reichte ihm der Pelz und es wurde Zeit den Panther wieder in seinen Kopf zu sperren. Als er wieder einen Versuch startete, sich in Ruhe ans Lagerfeuer zu begeben, wurde er natürlich erneut aufgehalten. Eigentlich hätte er damit rechnen müssen und auch mit der Tatsache, dass er bald an die Decke gehen würde, wenn er nicht endlich seine Ruhe hatte. Seltsamerweise blieb er aber völlig ruhig. Auch in seinem Inneren. Als hätte er sich entweder damit abgefunden, oder als wäre seine Geduld mit seinen Leuten unerschöpflich. Eine junge Jaguarfrau mit goldbraunen Haaren und honiggelben Augen trat an ihn heran, noch ehe er den Schein des Feuers erreichen konnte. Allein ihr Geruch teilte ihm nur zu deutlich mit, dass sie mehr als nur ein höfliches Interesse für ihn hegte. Nicht nur, weil er das Alphamännchen, sondern auch der einzige Singlejaguarmann in der Nähe war. Weshalb sie wie die Motte zum Licht kam und immer wieder praktisch an seinem Hintern klebte. Da sie wie alle anderen des Rudels Körperprivilegien hatte, durfte sie immer mal wieder auf völlig keusche Weise seinen Arm berühren, oder seine Hand nehmen. Mehr jedoch nicht und mehr wagte sie auch nicht, denn inzwischen hatte er ihr deutlich klar gemacht, dass sie eindeutig zu jung für ihn war. Dennoch ließ sie sich davon nicht beirren. Solange sie diese Privilegien hatte, würde sie diese auch ausnutzen. Nataniel konnte erst dann etwas gegen dieses Familienbedürfnis unternehmen, wenn er eine Gefährtin hatte und der das nicht recht war. Nicht eher. „Niela würdest du mich bitte entschuldigen? Ich habe noch etwas Wichtiges zu besprechen“, vertröstete er sie mit einem sanften Lächeln, während er ihr in unschuldiger Geste übers Haar strich, woraufhin sie förmlich schnurrte. Dann aber mit einer leichten Schmollschnute abzog. Was das anging, durfte sie nicht widersprechen. Sein Wort war Gesetz, auch wenn er diesen Status noch nicht ausgenutzt hatte. Mit lauter unausgesprochenen Seufzern setzte er sich schließlich zu Amanda und Eric, um mit ihnen zusammen etwas zu essen. „Wie ich sehe, geht es dir besser. Hast du noch Schmerzen?“, wollte Nataniel von Amanda wissen, während er sich ein Stück gebratenes Fleisch nahm. Sein Magen knurrte wie ein Bär, da er seit dem Frühstück nichts mehr zu essen bekommen hatte. „Übrigens wollte ich euch beiden mitteilen, dass ich morgen mit einem Trupp in die Stadt gehe, um einige Sachen zu besorgen. Außerdem will ich mich unauffällig umhören, ob während unserer Abwesenheit etwas passiert ist. Das Problem mit Nicolai ist leider nicht aus der Welt. Ich werde mich früher oder später darum kümmern müssen.“ Aber das alles würde die beiden wohl nicht mehr betreffen. Wenn Amanda schon gehen konnte, dann würde ihre Abreise sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen. Warum wurmte ihn das nur so sehr?   “Mir geht’s hervorragend.” Ja, wirklich ganz toll. Was für eine bescheuerte Frage! Sie konnte kaum mehr als ein paar Schritte aufrecht gehen, hatte die wohl schlimmsten Nachrichten seit dem Tod ihrer Eltern bekommen und jetzt durfte sie sich auch noch ansehen, wie Nataniels neuer Harem hier um ihn herumschwänzelte! Warum hatte er das blonde Mädchen – denn mehr war sie wirklich noch nicht – nicht gleich hier neben dem Feuer vernascht, wo es alle sehen konnten? Am besten gleich mit der Löwin zusammen. Immerhin war er der Anführer, es war doch seine Pflicht seine Gene unter die hübschesten, besten Frauen zu verteilen, oder etwa nicht? Es wunderte Amanda sowieso, dass er sich angezogen hatte, um hier bei ihnen zu sitzen. Jetzt auf einmal brauchte er wirklich kein Schamgefühl an den Tag zu legen. Immerhin hatte Nataniel sich, als sie allein waren, nie Gedanken darum gemacht, ob es Amanda vielleicht unangenehm war, ihn nackt zu sehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum es sie wütend machte, dass er hier saß, in seinen Jeans, von denen sie wusste, dass darunter kein Stoff mehr verborgen war und sein Ego vor ihnen ausbreitete. Nataniel sah also, dass es ihr besser ging? Warum fragte er dann? Bloß, um herauszufinden, wann sie endlich verschwand? Am liebsten hätte er sie Morgen bestimmt in der Stadt abgesetzt. Dann konnte er wieder zu seinen Weibchen zurück, die bestimmt willig vor seinem Unterschlupf Schlange standen. Sie konnte es sich bildlich vorstellen. Amanda starrte ins Feuer, während Eric sich zu dem Plan in die Stadt zu gehen äußerte. Das wäre wohl noch etwas zu viel für Amanda. Die Nähte könnten bei zu großer Anstrengung aufplatzen oder es könnte doch noch eine Entzündung ausbrechen. Und dass sie sich nicht schonen würde, wäre ja wohl klar. Ein einziger Satz genügte und Nataniel war sich sicher, dass wieder alles wie vorher war. Amanda war sauer auf ihn, doch wenigstens schien sie keine Angst zu haben. Dafür alleine war er dankbar, wenn er auch wortlos ihren Sarkasmus schluckte. Zumindest hieß das doch, dass es ihr trotz ihrer gegenteiligen Worte wirklich besser ging. Wenn er morgen in die Stadt ging, würde er ihr Schmerzmittel und Antibiotika besorgen. Danach ging es ihr sicher besser und er müsste sich nicht weiter Sorgen machen, dass sie doch noch eine Entzündung bekam, so wie Eric ihm seine Bedenken mitteilte. Als wenn Nataniel die beiden mitnehmen würde. Das war viel zu gefährlich, wo sie noch nicht einmal wussten, was nun genau los war und welche Dinge Nicolais Rudel wieder ausheckte. Es war äußerste Vorsicht geboten. Ihre Fantasie spielte mit Amanda gerade Verstecken. Sie versuchte angestrengt das Bild, das sich immer wieder vor ihr inneres Auge schob, zu verbannen, verbrennen oder auf jeden Fall irgendwie zu vernichten, bevor irgendjemand bemerkte, was sie dachte. Aber immer wieder, wenn sie gerade glaubte, dass es verschwunden war, tauchte es auf. Das Bild von leicht verschwitzter Haut, die im Feuerschein leicht glitzerte, Muskeln, die sich anspannten und dunkle Haare über eisblauen Augen. Ihr Atem zitterte leicht, als sie tief Luft holte, um sich auf etwas Anderes zu konzentrieren. Als hätte sie nicht schon genug Sorgen, ohne sich Nataniel beim … ohne sich ihn vorzustellen. Noch dazu, wenn er direkt neben ihr saß. Das, was ihr einfiel, lenkte sie allerdings mehr als schnell und nachhaltig ab. Ihre Stimme war so düster, wie es auch die Nachrichten waren, die sie zu übermitteln hatte. „Ich habe heute mit meinem Kontakt in der Moonleague telefoniert.“ Mitten in einem belanglosen Satz, den er sofort vergaß, ließ Amanda eine Bombe platzen. Sofort war Nataniel klar, was für ein Thema nun aufkommen würde, weshalb ihm schon allein beim Gedanken daran das Blut in den Adern zu gefrieren schien. Er hatte die Sache zwar nicht vergessen, aber in den Hintergrund geschoben, während man ihn so forderte. Jetzt war seine ganz persönliche Familientragödie wieder vollauf präsent, egal, was Amanda gleich sagen würde. Obwohl ihre Stimme nichts Gutes verhieß. Sofort verstummten die beiden Männer. Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass es ihr nicht leicht fiel, weiter zu sprechen. „Clea, eine Freundin von mir, hat nach Beweisen für deine Theorie gesucht.“ Noch immer sah sie Nataniel nicht an. Er wusste auch so, dass sie ihn meinte. Ihre Augen blieben auch zum Selbstschutz auf die Flammen gerichtet. „Es hat länger gedauert. Die Informationen waren durch mehrere Sicherheitssperren und andere Dinge geschützt, von denen ich keine Ahnung habe.“ Amandas bitteres Lachen erschreckte sie selbst ein wenig, weswegen sie einfach weitersprach, ohne auf eine Reaktion zu warten. Wahrscheinlich erzählte sie das hier sowieso hauptsächlich sich selbst, damit sie es tatsächlich glauben konnte. „Kein Wunder. Hätte ich das getan, hätte ich auch dafür gesorgt, dass niemand an die Informationen rankommt. Ich verstehe gar nicht, wie sie so dumm sein konnten, nicht alles sofort zu vernichten.“ Nun wurde ihre Stimme leiser und brach von Zeit zu Zeit, ohne dass es Amanda verhindern konnte. „Du hattest Recht. Mit allem. Es gab diese Tötungsaktion, bei der Wandlerkinder mit dem Potential zum Rudelführer aus dem Weg geräumt wurden. Sie haben es Herodes-Aktion genannt.“ „Mein Gott.“ Eric sah zwischen Amanda, die sich vorgelehnt hatte und Nataniel hin und her. Ein wenig machte er sich Sorgen, der neue Rudelführer könnte auf diese Nachrichten aggressiv reagieren. Eric hätte es sogar verstanden, wenn Nataniel sie angegriffen oder zumindest augenblicklich aus dem Lager geworfen hätte. Er selbst wagte es kaum die Augen zu heben und sich die Gestaltwandler, die sich überall ums Feuer herum zusammengefunden hatten, anzusehen. Sie mussten ihn und Amanda hassen, Eric konnte sich gar keine andere Reaktion vorstellen. Amanda schien es da nicht anders zu gehen. Sie drehte sich zu Nataniel um und sah dem Gestaltwandler in die Augen, während sie sprach. Ihr Gesicht schien bis auf Trauer und Scham völlig leer, aber ihre matten braunen Augen baten nicht um Vergebung. Die würde sie nie verlangen, weil sie wusste, dass die Organisation es gar nicht verdient hatte. „Ich weiß nicht, was du jetzt tun willst.“ Amanda erinnerte sich an das, was in seinem Zimmer passiert war, sah das aufflammende Licht beinahe vor sich und spürte seinen Körper, mit dem er sie an die Wand gedrückt hatte. Damals hatte er ihr nichts getan, weil er nicht sicher gewesen war. Jetzt hatte sie ihm bestätigt, dass diese Grausamkeiten alle der Wahrheit entsprachen. „Aber ich hab dir damals gesagt, dass du mich töten sollst, wenn du das Bedürfnis hast.“ Im Augenwinkel konnte Amanda Erics panische Gesichtszüge sehen und wie er sich hin und her gerissen fühlte, zwischen dem Bedürfnis von Nataniel wegzukommen und Amanda nicht mit ihm allein zu lassen. „Bitte, Nataniel. Du weißt, dass Eric schon hier war, bevor du überhaupt davon wusstest. Er hat schon deinem Vater geholfen. Wenn du jemanden bestrafen willst, dann nicht ihn.“ Mühsam rappelte sich Amanda auf die Füße und biss die Zähne zusammen, um so gerade wie möglich vor ihm stehen zu bleiben. Das Feuer in ihrem Rücken warf einen Schatten über ihn. Er wusste, dass sie nicht vor ihm fliehen konnte. Und dennoch hoffte Amanda, dass er ihr Opfer für das Leben ihres Bruders akzeptieren würde. Vollkommen reglos hörte Nataniel schweigend Amandas Ausführungen zu, während sich seine Kehle immer weiter zu schnürte und sein Herz, wie wild in seiner Brust tobte. Der Panther knurrte und fauchte, jaulte und winselte, als er all das hörte, doch sein menschlicher Körper zeigte keinerlei Emotionen. 'Herodes-Aktion' … Die Morde hatten also auch noch einen Namen, unter dem sie ausgeführt worden waren? Irgendwie machte das sogar alles noch schlimmer. Es zeigte zu deutlich, wie geplant das alles war. Nataniel verschlug es regelrecht die Sprache. Natürlich hatte er geglaubt, dass sein Dad ihn nicht angelogen hatte. Aber etwas zu glauben und etwas zu wissen, war vollkommen unterschiedlich. Jetzt war es nicht nur eine sehr persönliche Geschichte, sondern eine nackte Tatsache. Man hatte seinen Bruder und unzählige andere Kinder umgebracht, um Chaos unter den Gestaltwandlern zu säen. Es war ihnen gelungen. Zwar nur teilweise, aber die Opfer hatten den Preis dafür mit ihrem Leben bezahlt. Nicht einmal, als Amanda ihn direkt ansah, ließ das Gefühl der blinden Benommenheit ab, die sich seiner zu bemächtigen versuchte. Seine Gedanken waren ein einziges Chaos und zu gleich schien nur Leere zu herrschen. Was bedeuteten diese Worte denn nun für ihn? Am Tod seines Bruders konnte er nichts ändern. Aber er war hier, um die Zukunft für alle weiteren Jungtiere zu verbessern. Die Moonleague durfte niemals wieder die Chance bekommen, seiner Rasse so stark zuzusetzen. Aus den Fehlern seines Vaters würde Nataniel lernen müssen. Keine Registrierung und der Schutz der Jungen mussten ihr oberstes Ziel sein. Aber vor allem brauchten sie ein sicheres Zuhause, wo jeder auf seinem eigenen Stück Land leben konnte, wie er wollte, ohne dass man ihn belästigte. Schutz, Anonymität und Freiheit … das war es, was er zu erreichen versuchte. Umso verwirrter wurde Nataniel, als er Amanda von 'töten' sprechen hörte. Was sagte sie da? Mit Müh und Not zwang er sich zur Aufmerksamkeit und bekam somit erst jetzt mit, was hier eigentlich vor sich ging. Wenn er vorher nicht wütend geworden war, so wurde er es jetzt. Es war wirklich edel von Amanda, sich schützend für ihren Bruder einzusetzen, aber dass sie glaubte, er würde sie umbringen oder sonst irgendwie bestrafen wollen, nur weil die Geschwister bei der falschen Organisation arbeiteten, verletzte ihn sehr. Sie degradierte ihn mit diesen Worten wieder zu einem ungebändigten Tier herab, das sich nicht beherrschen konnte, selbst wenn es emotional völlig erledigt am Boden lag und nicht mehr hin wusste, mit all den schmerzenden Gefühlen. Sie hielt ihn wohl wirklich für einen Barbaren, und dass er vor ihren Augen zwei Männer seiner eigenen Rasse getötet hatte und das mit bloßen Händen, machte sicher auch keinen besseren Eindruck. Dennoch, so war er nicht und würde er auch nie sein. Ein Grund mehr, wieso er auf die Beine kam, als auch Amanda sich hinstellte. Sie musste zu ihm aufsehen, machte aber den Eindruck, als würde sie ihn ganz einfach hopsnehmen, sollte er es auch nur wagen, ihrem Bruder etwas anzutun. Sie selbst opferte sich ohne Bedenken. Jetzt wurde er stinksauer. Mit eisigen Gesichtszügen und Augen, die nicht minder wärmer waren, drehte er sich zu Eric um, während er Amanda am Handgelenk packte. Aber nicht fest, nur so, dass sie ihren Arm nicht mehr wegziehen konnte. „Entschuldige uns kurz. Ich gebe dir mein Wort darauf, dass deiner Schwester nichts passiert. Ich will lediglich unter vier Augen mit ihr reden.“ Er machte eine alles sagende Kopfbewegung zu dem kleinen Grüppchen Gestaltwandlern hinüber, die neugierig die Szenerie beobachteten. Eric machte zwar nicht den Eindruck, als wäre er durch Nataniels Worte beruhigt, aber er widersprach auch nicht. Vielleicht war es die Tatsache, dass Amanda sich notfalls verteidigen konnte, immerhin war es Nacht oder dass Nataniels Vater kein gnadenloser Anführer ohne Herz gewesen war. Was das anging, hatte Nataniel viel von dem Jaguar geerbt. Schließlich zog er Amanda hinter sich her, dabei Rücksicht nehmend, dass sie mit ihren Verletzungen nicht so schnell vorankam. Er steuerte ein Bungalow abseits vom Rest des belebten Lagers an, ehe er Amanda ins Dämmerlicht der Hütte hinein schob und die Tür hinter ihnen beiden etwas lauter zu schlug, als nötig. Was die einzige Reaktion auf seine absolute Wut war, denn sein Gesicht war noch immer kühl. Er ließ ihre Hand los und sah ihr fest ins Gesicht. Nataniel konnte nicht sagen, wie gut sie sein Gesicht sehen konnte, er jedoch erkannte sogar die Farbe ihrer Augen trotz des Zwielichts. Amanda sah sich nicht einmal nach Schatten um, die sie hätte nutzen können. Sie war viel zu schwach und angeschlagen, um sich mit ihrer Fähigkeit in Sicherheit bringen zu können. Und sie wollte es auch nicht. Den größten Teil ihres Lebens hatte sie damit verbracht, an die Organisation zu glauben. Sie hatte sie als ihre Heimat und die Kollegen als ihre Familie gesehen. Und jetzt hatte man ihr bestätigt, dass sie in einem Gebilde von Mördern aufgewachsen war. Amanda hatte gar keine Lust sich zu wehren. Eric war in Sicherheit, sie hatte ihn gefunden. Und so, wie es aussah, würde er auch unbeschadet hier herauskommen. Zwar würde sie das Versprechen, das sie ihrem Vater gegeben hatte, nicht weiter einhalten können, wenn sie tot war, aber auch das war nicht schlimm. Sie hatte Eric gerettet und der war alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Also ließ sich Amanda wortlos und ohne Gegenwehr von Nataniel zu einem der Bungalows ziehen und sich von ihm hinein schieben. Dass er sich gerade so einen Ort aussuchte, fand sie beinahe lächerlich. Nachdem er die Tür hinter ihnen zugeworfen hatte, legte sich ein Druck auf Amandas Körper, den sie noch nie zuvor verspürt hatte. Ob es Todesangst war, konnte sie nicht sagen. Es fühlte sich nicht so an, als würde gleich der Film ihres Lebens vor ihren Augen ablaufen oder irgendetwas in der Richtung. Wobei Amanda sowieso nicht an so etwas oder das Licht am Ende des Tunnels glaubte. Wenn Nataniel mit ihr fertig war, würde da nichts mehr kommen. Vielleicht würde es so ähnlich sein wie die Schatten. „Ich will, dass du mir jetzt einmal ganz genau zuhörst“, zischte er leise, blieb ansonsten aber vollkommen ruhig. „Ich hatte in letzter Zeit absolut nicht das Bedürfnis dich umzubringen und das wird sich auch jetzt garantiert nicht ändern. Aber wenn du mich schon für ein Tier hältst, dann solltest du einmal genauer hinsehen, um was es sich bei diesem wirklich handelt!“ Er trat auf sie zu. Bedrohlich groß, einschüchternd stark und mit Augen, die so kalt waren, dass sie schon wieder heiß wirkten, trotzdem hatte er in seinem Inneren absolut nicht den Drang nach Gewalt. Auch wenn er nun die Wahrheit mit solch absoluter Klarheit kannte, dass jegliche Hoffnung sich sofort in Luft aufgelöst hatte. Dennoch konnte er sich inzwischen mit der Vergangenheit abfinden. Er war bereits einmal deswegen an die Decke gegangen, er würde es also nicht wieder tun. Zumindest nicht aus diesem Grund. Doch Amanda war ein ganz anderer Punkt. SIE machte ihn wirklich stinksauer. Mit seinem Rudel hatte er unendlich viel Geduld, aber bei ihr gab es in seinem Inneren sofort Stichflammen, anstatt vor sich hinglimmende Flämmchen, die sich nur langsam mehrten. Auch wenn sie seiner Meinung nach zu eben diesem Rudel gehörte. Sie war mehr und er spürte es. Aber er gestand es sich nicht ein. Sie war wie sein Gegenspieler. Ihm absolut würdig. Bei ihr würde er nie den Boss raushängen lassen, um etwas zu bewirken, denn es würde sie kein bisschen jucken. Sie sah ihn nicht als Ranghöheren an. Auch wenn Nataniel nicht sicher sein konnte, was sie in ihm eigentlich sah, außer eben das wilde unbeherrschte Tier. Langsam streckte er die Hand nach ihrem Gesicht aus. Seine Krallen waren voll ausgefahren, weil er emotional sehr aufgewühlt war, doch er wollte sie nicht dazu benützen, ihr wehzutun. Aber ihre Augen zeigten ihm deutlich, dass sie genau das befürchtete trotz ihres Mutes. „Ich werde dich nicht umbringen und dir auch nicht wehtun“, versuchte er sie etwas zu beruhigen. Sein aggressives Zischen passte weder mit seinem Gesichtsausdruck noch mit den Worten zusammen, die er ihr an den Kopf warf. Er wollte sie nicht umbringen? Was dann? Verdammt. Sein Tier war eine Katze. Er würde zu allem Überfluss auch noch mit ihr spielen, bevor er sie endgültig erledigte. Amanda wich keinen Zentimeter zurück, als er sich bedrohlich vor ihr aufbaute. Wieder war die Angst völlig verflogen, auch wenn ihr Horrorszenarien im Kopf herumschwirrten, über das, was Nataniel mit ihr vorhatte. Seine Krallen blitzten neben ihrem Gesicht auf, doch Amanda versuchte auch diese zu ignorieren, solange sie ihr nicht durch die Haut und die Muskeln schnitten. Er sagte noch einmal, dass er sie nicht töten würde. Noch dazu würde er ihr nicht wehtun. Beinahe hätte sie ihm ins Gesicht gelacht. Natürlich, deswegen stand er auch vor ihr, mit vor Wut überschäumenden Augen und gab ihr zu verstehen, wie sehr er verletzt war. Nicht nur durch die Tatsache, dass sie zur Moonleague gehörte, sondern auch dadurch, dass sie ihn für das hielt, was er in seinem Inneren nur immer wieder ordentlich verstaute.  Seine Stimme senkte sich zu einem leisen Raunen herab. „Aber da du ohnehin glaubst, ich wäre ein wildes Tier, kann ich dich nicht von deinen Ängsten und deinem Irrglauben befreien. Ich kann aber etwas ganz anderes.“ Sie auf neue Gedanken bringen. Dinge, über die sie nachgrübeln konnte und auch auf jeden Fall sollte. Denn wenn sie sein Wesen wenigstens einmal in Frage stellen sollte, war das für ihn genug. Mehr wollte er nicht erreichen. Seine Hand legte sich auf ihre kühle Wange, strich ihren Hals nach hinten bis zum Nacken, wo sie Amanda an Ort und Stelle mit sanfter Gewalt festhielt. Dann beugte er sich geschmeidig wie das Tier in ihm zu ihr herab und legte ohne zu zögern seine Lippen auf die von Amanda. Beinahe wäre ihm ein Stöhnen entkommen, als er diese Empfindung kribbelnd bis in seine Fingerspitzen spürte. Doch so neu und ungewohnt es auch für ihn war; so sehr ihm auch noch nach mehr verlangte, er löste sich nur einen Moment später wieder ganz von ihr und trat einen Schritt zurück. Mit kaum hörbar zitternder Stimme und deutlich wärmeren Augen flüsterte er: „Du kannst zu deinem Bruder zurückgehen. Ich … brauche etwas Zeit für mich …“ Das brauchte er wirklich dringend. Bei all den herumwirbelnden Gedanken eine Richtung einzubringen, würde schwierig werden, wenn Amanda noch länger in seiner Nähe war. Immerhin würde er nie ihren Duft vergessen und dass der Panther schon wieder mit ihr spielen wollte. Erst recht, da der Kuss ihn auch noch aufgestachelt hatte. Ihr Herz und ihre Atmung schienen gleichzeitig stehen zu bleiben, als er sie mit der Hand in ihrem Nacken dazu zwang ihren Kopf ein wenig anzuheben, ihm ihren Hals offen zu legen. Gleich würde die Panik einsetzen. Amanda fühlte sie bereits in den Winkeln ihres Körpers, wie sie lauerte und über sie hereinbrechen wollte. Ihr Körper versteifte sich völlig, als sie seine Bewegung auf sie zu wahrnahm und doch nicht das kam, was sie erwartet hatte. Nataniel zog sich so schnell wieder zurück, dass Amanda gar keine Zeit hatte, das auf sich wirken zu lassen, was gerade passiert war. Sie starrte ihn durch die Finsternis hindurch an. Jetzt sollte sie zu Eric zurückgehen? Sie sollte ihn allein lassen, weil er etwas Zeit für sich brauchte? In einem Anfall von Wut, mit der Nataniel wohl genauso wenig gerechnet hatte wie Amanda selbst, riss sie ihn am Arm zu sich herum, damit er ihr in die Augen sah. „Für was hältst du mich eigentlich?!“, ihr Fauchen war bestimmt nicht weniger beeindruckend, als das der Wandler im Lager. „Glaubst du, ich bin dein Spielzeug?! Was willst du von mir?! Erst behandelst du mich wie deinen Todfeind, dann rettest du mir das Leben, küsst mich und jetzt schickst du mich weg?“ Ihre stumpfen Fingernägel krallten sich in seinen Arm, während ihre Augen Funken sprühten. „Ich bin keine deiner Gespielinnen, die du benutzen kannst, wann immer und für was auch immer du willst, verstanden?! Lass dir nicht einfallen, mich als eine von deinem Harem anzusehen.“ Mit einem Grollen ließ sie ihn los und war schon auf dem Weg zur Tür, als sie noch etwas nachschob, diesmal allerdings sehr leise und fast so, als wüsste sie nicht, ob er hören sollte, was sie zu sagen hatte. „Mich bekommst du ganz oder gar nicht.“ Der Panther in seinem Kopf knurrte mehr als zufrieden über Amandas Reaktion, was Nataniel wieder einmal überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Ganz im Gegenteil, wenn er vorher schon sauer gewesen war, war er jetzt fuchsteufelswild. Noch bevor Amanda die Tür erreichen konnte, schoss er an ihr vorbei und versperrte ihre mit glühenden Augen den Weg, während sein ausgestreckter Arm sich in das Holz der Tür krallte und diese somit definitiv noch unpassierbarer im Augenblick machte. „Verdammt noch mal, was redest du da eigentlich?!“ Jetzt fauchte auch er, ohne noch weiter seine Gefühle zu verbergen. Das Holz unter seinen Fingern splitterte. „Du glaubst also wirklich, ich hätte jede Nacht eine andere, die mir mein Bett wärmt? Ich wüsste zwar nicht, was dich das angehen sollte, aber nur zu deiner Information: Ich hatte schon seit Monaten keinen Sex mehr!“ Er knurrte und der Jaguar wanderte rastlos in seinem Kopf hin und her. Wusste nicht, ob er nun Fauchen oder Schnurren sollte. Vermutlich beides. „Wie käme ich denn auch dazu? Ich habe schließlich den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als mich um ein ganzes Rudel voller Gestaltwandler mit ihren unterschiedlichsten Problemen zu kümmern. Hinzu kommt noch die Sorge über die ungewisse Zukunft unserer Jungen. Ich muss mir Gedanken über mögliche Pläne machen, wie wir das alles hier heil überstehen sollen, zwischendurch werfe ich mir noch was zu essen ein, und wenn ich dann mal ein paar Momente Ruhe habe, besuche ich meine Lebensretterin, die zwar schon schläft, aber weswegen ich mir keine Gedanken mache, weil sie sich dadurch leichter erholen dürfte. Und dann, wenn’s vielleicht noch mal hochkommt, lege ich mich für zwei, drei Stunden in mein 'kaltes' Bett, um etwas Schlaf zu bekommen, ehe das ganze wieder von vorne losgeht.“ Er nahm die Hand von der zerkratzten Holzfläche der Tür und drehte sich nun wieder ganz zu Amanda um. Im Augenblick war es ihm egal, was sie von seinen Worten hielt, weswegen er sich auch nicht aufhalten ließ, weiter zu sprechen. „Und gerade eben, als du noch auf deinen Tod oder Schlimmeres gewartet hast, wollte ich dich zu deinem Bruder zurückschicken, damit er sich keine Sorgen macht und du mich los bist, weil ich dir ja ach so sehr gegen den Strich gehe!“ Langsam wurde er immer leiser, aber seine Augen sprühten regelrecht vor Leben. „Glaub also nicht, du wärst eine Gespielin für mich. Hätte ich die Zeit und Lust dazu, könnte ich mir leichtere Kost fürs Bett besorgen. Aber da ich das nun einmal nicht tun werde, hör damit auf, mich für einen sexgeilen Wilden zu halten. Ich habe es satt, mich ständig in deiner Nähe zurückzuhalten, damit du dich dort nicht vollkommen unwohl fühlst. Ich weiß genau, dass du vor meiner wilden Seite Angst hattest und ich kann es dir nicht einmal übel nehmen, weil du ein Mensch bist und es nicht besser weißt. Aber nur weil ich tobe, heißt es noch lange nicht, dass ich nicht auch Grenzen kenne!“ Und dass er gerade getobt hatte, war nicht zu übersehen gewesen. Aber nun war er wieder ruhig, auch wenn sein Körper immer noch vor Anspannung leicht zitterte. Trotzdem öffnete er die Tür, ging zur Seite und hielt sie auf. „Also, falls du nicht noch etwas hast, das du mir an den Kopf werfen willst, dann geh zu deinem Bruder, ehe er sich noch ernsthaft Sorgen macht.“ Nataniel holte tief Luft, als müsse er sich immer noch erst wieder fangen. „Eins noch: Um es mit deinen eigenen Worten zu sagen. MICH gibt es auch nur ganz oder gar nicht.“ Sie konnte immerhin niemals von ihm verlangen, dass er seine Wildheit ablegte. Das war ein Teil von ihm, genauso wie ihre Fähigkeiten ein Teil von ihr waren und diese hatte er schon längst an ihr akzeptiert, selbst wenn ihm fast schon schlecht wurde, wenn er danach die finstere Ausstrahlung an ihr witterte. Aber hatte er sie deshalb gemieden? – Nein.   Während seines Ausbruchs und auch jetzt hatte Amanda Nataniel einfach nur angesehen. Er war ihr ganz schön über den Mund gefahren und hatte sie tatsächlich getroffen, was sie nicht erwartet hätte. Aber er hatte es zurecht getan. Amanda wusste gar nicht, warum sie sich über seine Nähe zu der Löwin und dieser anderen Frau so aufgeregt hatte. Was immer es gewesen war, es war jetzt verflogen und das nicht nur, weil er ihr gesagt hatte, dass er im Moment diesbezüglich nichts am Laufen hatte. Irgendwie schien jedes Gefühl in ihr auf einmal versiegt zu sein, was allein damit zusammenhing, dass Nataniel sie anscheinend grundlos geküsst hatte. Wenn das tatsächlich so war, verstand sie ihn jetzt noch weniger als bisher. Wieder fühlte sie kleine Flammen in ihrem Bauch auflodern. Die Tür stand offen und Nataniel sah sie immer noch auffordernd an. Er hatte ihr in so kurzer Zeit viel mehr an den Kopf geworfen, als sie ihm. Oder wog es nur schwerer, weil er mit seinen Vorwürfen im Gegensatz zu ihr, Recht gehabt hatte. Musste dieser Kerl denn immer Recht behalten. „Nein, ich habe nichts mehr zu sagen.“ Sie ging langsam auf ihn zu, die Augen auf die offene Tür gerichtet. Erst als sie schon fast an ihm vorbei war, drehte sie sich leicht zur Seite, um ihm in die Augen zu sehen. Es war dunkel und sie konnte sein Gesicht nur schemenhaft erkennen. Aber es reichte. „Ach, doch …“ Es tat ihm keinen Moment lang leid, was er alles zu Amanda gesagt hatte. Immerhin hatte er jedes einzelne Wort ernst gemeint und war im Nachhinein ganz froh, dass er wenigstens einen Teil seines Frusts ablassen konnte. Gerechterweise aber nur den Teil, der auch die Blondine betraf. Der Rest hatte nichts mit ihr direkt zu tun, weshalb er es nicht an ihr auslassen würde. Aber ob es etwas an Amandas festgefahrener Meinung über ihn geändert hatte, wusste er nicht. Immerhin machte sie Anstalten, einfach so zu gehen, ohne noch etwas auf seine Worte hin zu erwidern. Vielleicht interessierten sie seine Ansichten auch überhaupt nicht. Genau dieser Gedanke war es, der Nataniel davon abhielt, sie aufzuhalten, als Amanda einfach so zur Tür hinaus wollte. Ein Gefühl der Enttäuschung und neuerlicher Frustration wollte sich bereits in ihm breitmachen, als sie sich noch einmal zu ihm umdrehte. Vermutlich, um am Ende doch noch das letzte Wort zu haben. Aber da unterschätzte sie ihn. Oder er sie, wie sich einen Moment später herausstellte. Amanda war vollkommen ernst, was er hoffentlich bemerkte, als sie einen Schritt auf ihn zumachte. „Du gehst mir nicht mehr gegen den Strich, als ich dir ...“ Sie war ein ganzes Stück kleiner als er, aber diesmal lag die Überraschung eindeutig auf ihrer Seite, als sie in seinen Nacken griff und ihn ein wenig zu sich hinunter zog. Jetzt begegneten sich ihre Blicke nur zu deutlich und die Luft zwischen ihnen schien genauso stillzustehen wie alles Andere um sie herum. „Aber vielleicht solltest du dir darüber klar werden, ob sich streiten besser für dich anfühlt oder das hier.“ Ihr Kuss war länger als seiner, aber dafür war ihr Abgang auch nachdrücklicher. Sie ließ ihn los und stapfte aus dem Raum zurück in Richtung Feuer. Vollkommen fassungslos starrte Nataniel ihre Hand an, wie diese sich ihm näherte. Näher und näher, bis sie sich schließlich kühl und angenehm in seinen Nacken legte, um ihn dazu zu bewegen, sich nach unten zu beugen. Der Panther schnurrte lautstark in seinem Kopf, während bei ihm fast eine Sicherung durchknallte. Sie küsste ihn … länger als er sie geküsst hatte, aber das Ergebnis war definitiv sehr ähnlich und doch wieder ganz anders, immerhin ging das von ihr aus … Da war wieder das Kribbeln in seinen Fingerspitzen und der Drang, sie an sich zu ziehen, um seinen Mund enger gegen ihren zu pressen. Doch sie löste sich zu schnell von ihm, als dass er hätte reagieren können. Er war noch immer erstaunt. Mit leichter Verblüffung blickte er ihr hinterher, während er im Schatten der Hütte stehen blieb und sich sein Gehirn langsam wieder einzuschalten begann. Nataniel wusste nicht, für was er sich auf Amandas Worte hin entscheiden sollte: Küssen oder Streiten. Sich mit ihr anzulegen war genauso aufregend, wie sie zu küssen und zugleich war ihm nur zu deutlich bewusst, dass sich beides durchaus miteinander verbinden ließ. Erst streiten und dann versöhnen. Ganz klar. Spätestens bei diesem Gedankengang konnte er sich von seinem Schönheitsschlaf in dieser Nacht verabschieden. Als könnte er schlafen, wo er nun an der Tatsache zu knabbern hatte, dass Amanda ihn geküsst hatte. Also sozusagen aus freien Stücken. Es war zwar nicht anders, als das was er mit ihr angestellt hatte, nur im Gegensatz dazu, wusste er seine Motive. Bei ihr tappte er im Dunkeln, oder sollte er wirklich glauben, dass sie ihm eine Entscheidungsmöglichkeit gab, wie sie in Zukunft miteinander umgingen? Das wäre reines Wunschdenken gewesen. Eric kam ihr bereits mit sorgenvollem Gesicht entgegengelaufen. „Geht’s dir gut?“ Natürlich war ihm in der Zwischenzeit nichts passiert. Die Anderen hatten sich wahrscheinlich lediglich gewundert, warum Eric so nervös und ängstlich am Rande der Gesellschaft herumgesessen hatte. Das war normalerweise nicht seine Art. „Ja, alles in Ordnung. Er wird uns nichts tun. Keiner von ihnen. Aber wir sollten vielleicht schlafen gehen.“ Eric nickte nur und sie verließen bald in unterschiedlichen Richtungen den Versammlungsplatz. Als Amanda schließlich im Bett lag, kribbelte es überall auf ihrer Haut. Für sie war klar, welche der beiden Alternativen sich besser anfühlte. „Scheiße.“ Mit einem Ruck zog sie sich die Decke über den Kopf und rollte sich mit dem Gesicht zur Wand zusammen. Schlaf würde sie wohl so schnell keinen finden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)