Wider Willen und Plan von Sean (Pokémon-Geschichte mit eigenen Charakteren.) ================================================================================ Kapitel 3: Jaska ---------------- Zumindest nachts war es im Krankenhaus so ruhig, wie der Oberarzt es sich viel öfter für seine Patienten gewünscht hätte. Seit gut einer Woche war es tagtäglich so chaotisch wie sonst nur bei größeren Katastrophen. Er seufzte. Nun ja, es handelte sich wohl durchaus um eine Katastrophe, aber auch der Ansturm von Reportern, Freunden, Bekannten und Verwandten würde nichts an der Situation ändern. Jaska schlief, so sah es zumindest aus. Der junge Mann, der gemeinsam mit Eljas Opfer eines Unfalls in den Bergen gewesen war, lag im Koma. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, seine Verletzungen hätten es ihm unmöglich gemacht, das Bett zu verlassen. Gebrochene Rippen waren kein Spaß, und ob er seine linke Hand je wieder voll benutzen würde war noch nicht endgültig zu sagen – nur bezweifelte er es stark. Ein Psiana lag auch jetzt zusammen gerollt am Fußende seines Bettes; es wich nicht von seiner Seite. Der Arzt lächelte; treue Pokémon wie diese waren es, die zusammen mit ihren Trainern Höchstleistungen erbrachten; das enge Band zwischen ihnen machte es möglich. Das Psycho-Pokémon sah ebenso friedlich aus wie sein Trainer, doch ob dieser am nächsten Morgen – oder irgendeinem Morgen – erwachen würde stand in den Sternen. Vielleicht träumte er. Hoffentlich. Der Arzt wollte nicht daran glauben, dass der junge Trainer nie wieder die Augen öffnen würde, nicht wo so viele Menschen auf ihn warteten. Jaska hatte geträumt. Wieder und wieder hatte er das unheimliche, unheilverkündende Grollen in der Felswand über ihnen gehört und ein aufs andere Mal waren die schweren Felsen auf ihn zugestürzt. Auf ihn und Eljas. Es war wie die Art Alptraum, aus der man im Moment des Schreckens erwachte, doch stattdessen fand Jaska sich in einer unaufhaltsamen Endlosschleife, die ihm immer wieder den letzten Augenblick vorführte, als Eljas, scheinbar seelenruhig, den Blick gehoben hatte. Er konnte sich nicht erinnern, ob sein Freund geschrien hatte. Der Schrei, der seinen Traum füllte, war sicher sein eigener. Dann, irgendwann, verstummte das Grollen und die Felsen verschwanden. Die melodische Stimme, die er stattdessen hörte, hätte er überll wieder erkannt. 'Psiana', wollte er sagen, aber kein Ton entkam seiner Kehle. Hatte er überhaupt einen Körper? Er kam sich unvollständig vor, schlafend aber bewusst und alles andere als wach. Wie der hilflose Moment zwischen Schlafen und Wachen. Dann erst wusste er, dass er sich in einem Alptraum befunden hatte. Aber nicht warum. Er wusste, dass Psiana ihn schützte; war er schwer verletzt? Wie ging es Eljas? Ob er in einem ähnlichen Traum gefangen war? Er besaß doch kein Psycho-Pokémon, das ihn daraus befreien konnte...! Er wollte sich wehren, sich gegen etwas werfen – die Formlosigkeit machte ihn wahnsinnig. Wie lange war er überhaupt schon... so? Psianas Stimme, wie eine Mischung aus Miauen und Gesang, wollte ihn beruhigen, doch sein Unwissen trieb ihn fast um. Und dann war einfach alles schwarz und er schlief wieder tief ein, traumlos dies mal. Der Oberarzt des Krankenhauses in Seegrasulb City ließ nur noch engste Verwandtschaft zu seinem berühmtesten Patienten vor. Reporter und dergleichen wurden schon am Haupteingang abgewimmelt und das Personal hatte strikte Anweisungen, die Seitenausgänge stets verschlossen zu halten und bei Kündigung war es ihnen untersagt, Unbefugte herein zu lassen. Unbefugt waren dieser Tage eine Menge Leute. Jaskas ältere Schwester kam jeden Tag; von ihr wusste der Arzt, dass ihre Mutter bereits vor Jahren gestorben war und ihr Vater auf einer Pokémon-Reise im Ausland war und niemand wusste wo genau er sich aufhielt, noch wie man ihn erreichen konnte. Seine zwei jüngeren Brüder, Zwillinge, sprachen kein Wort, begleiteten ihre Schwester aber mehrfach in der Woche. Die Familie war klein, aber Jaska konnte ihre Nähe nur helfen. Wenn ihm denn irgendetwas helfen konnte. Heute waren die Zwillinge zum ersten Mal allein zu Besuch, sie hatten Futter für Psiana und einen Schlafkorb für das Pokémon mitgebracht. Laut reden mochten sie zwar weiterhin nicht, aber sie flüsterten pausenlos und vehement auf ihren großen Bruder ein. Ihre Schwester hatte ihnen genau erklärt, warum Jaska nicht aufwachte, und dass er sie vielleicht, ganz vielleicht, hören konnte, und dass es ihm helfen würde, aufzuwachen. Die streng erhobene Stimme einer Schwester riss ihn aus seinen Gedanken. Den Grund sah er gleich, als er den Emfangstisch des dritten Stocks erreichte. Ein Junge von zehn oder elf Jahren stritt unablässig mit den Schwestern. Der Arzt schüttelte unzufrieden den Kopf; wieder ein Fan. Wie er so weit gekommen war war ihm ein Rätsel, die ganzen besorgten Trainer wurden schon seit gestern im Erdgeschoss aufgehalten. „...ich verstehe Sie ja, aber es ist wichtig! Ich will auch nicht selbst, ich kann hier warten...“, argumentierte der Junge. Der Arzt beschloss, einzugreifen. „Junger Mann, das hier ist ein Krankenhaus, kein Spielplatz und ganz sicher keine Arena.“, begann er, „Also nimm dein Pokémon und warte draußen, wie alle anderen.“, überhaupt gehörte das Lohgock in einen Pokéball, hier herrschte schließlich Ordnung. Der Junge wandte sich von der entnervten Schwester ab. „Jaska... Jaska ist doch hier, oder? Eljas' Freund Jaska.“, fragte er vorsichtig nach. Der Arzt rang sich zu einem Nicken durch. „Keine Besucher, das hat man dir sicher schon gesagt.“, sein Ton klang schärfer als sonst, aber die gegenwärtige Situation schlug sich in schlechter Laune nieder. „Ich will auch gar nicht! Aber...“, er sah mit fragendem Blick zu seinem Lohgock, „...das hier, sehen Sie, das ist Eljas' Lohgock, und...“, er suchte nach Worten, „Jetzt wo Eljas... ich meine, da gibt es doch niemanden mehr, außer Jaska...“ Mikko war sich nicht sicher, ob er hier sein sollte. Nein, genau genommen war er sich sogar ziemlich sicher, dass er hier nichts zu suchen hatte. Aber Lohgock war unnachgiebig gewesen. Nicht nur hatte es Mikko gegen dessen Willen zu seinem Trainer erklärt (und wer hatte so was schon mal gehört?), es hatte quasi auch noch Schwalboss mit angeschleppt, und jetzt besaß er zwei offensichtlich kampferprobte Pokémon, ohne auch nur im entferntesten vorzuhaben, jemals einen Kampf zu bestreiten. Wenn ihm diese Entscheidung nicht auch wieder abgenommen werden würde. Jedenfalls hatte er darauf geachtet, bloß niemandem zu erzählen, wo genau seine zwei Pokémon her kamen. Schwalboss' Geschichte ging ja gerade noch, aber Lohgocks Hintergrund würde derzeit eindeutig zu viele Fragen und Probleme mit sich bringen. Es war ja so schon schlimm genug. Jedenfalls hatte Lohgock ihm ziemlich bald zu verstehen gegeben, dass es etwas von Mikko erwartete, und zwar wollte es Jaska sehen, ein Trainer der ihm sicher vertraut sein musste. Also hatte Mikko sich, schicksalsergeben, informiert in welchem Krankenhaus Jaska zu finden war und hatte von seinen Eltern ein Schnellzugticket erbeten. Im Nachhinein hätte er wissen müssen, dass sie etwas zu schnell zugestimmt hatten; am Bahnhof hatte seine Mutter ihm einen Rucksack in die Hand gedrückt, der für einen Tagesausfug eindeutig zu ausreichend gepackt war, und sein Vater hatte ihm einen Glücksbringer mit der Aufschrift 'Pokémon-Trainer' zugesteckt. Sein Versuch, das Missverständnis aufzuklären lief so gut, wie derartige Versuche bei ihm derzeit immer liefen; mit anderen Worten, was seine Eltern anging befand er sich auf einer Pokémon-Reise, begleitet von zwei weit entwickelten Pokémon, wenn schon keinem der typischen Starter. Lohgock zumindest war zufrieden gewesen. Mikko meinte sogar, einen amüsierten Ausdruck von Triumph in seinem Gesicht lesen zu können. Für Schwaloss hatten seine Eltern ihm einen Pokéball gegeben, gefolgt von langatmigen Erläuterungen über verschiedene Modelle von Pokébällen und deren Wirksamkeit ja nach Pokémon, Areal, Tageszeit und diversen anderen Faktoren, die Mikko sich beim besten Willen (und den hatte er dabei nicht wirkich) nicht merken konnte. Jedenfalls sah Schwalboss' Pokéball anders aus als Lohgocks, er war irgendwie blau. Das Krankenhaus war leicht zu finden gewesen, es war das Gebäude mit den Fernsehwagen und der Traube von Reportern davor. Die am Eingang postierten Mitarbeiter des Krankenhauses hatten alle Hände voll zu tun und achteten nicht auf einen einzelnen Jungen, oder vielleicht sah er einfach harmlos aus, jedenfalls gelangte er in all dem Chaos recht leicht ins Innere des Gebäudes. Und nun stand er im Türrahmen zu Jaskas Zimmer und ein Paar Zwillinge funkelte ihn bitterböse an, weil er ihren Bruder beim Gesundwerden störte. Als Lohgock das Zimmer betrat traten sie einen schreckhaften Schritt zurück (es war an die zwei Meter groß, Mikko fand die Reaktion absolut verständlich), doch als ein Psiana vom Bett aufsprang und Lohgock wie einen alten Freund begrüßte entspannten sie sich. Lohgock trat langsam an den wie im Schlaf liegenden jungen Mann heran. Jaska war leichenblass, was die Sommersprossen in seinem Gesicht noch deutlicher hervorstehen ließ. Sein rotes Haar war lang und jemand hatte es zur Seite gebunden, damit es die Ärzte bei den Untersuchungen nicht störte (für Jaska selbst würde es kaum einen Unterschied machen, dachte Mikko). Lohgock gurrte, der tiefe, traurige Laut, den Mikko schon so oft von ihm gehört hatte. Psiana strich Lohgock kurz um die Beine und sprang dann mit einem eleganten Satz hinauf auf das Bett, wo es sein Gesicht behutsam gegen die Wange seines Trainers drückte. Doch Jaska rührte sich nicht, seine Augen blieben geschlossen. Das EKG piepte gleichmäßig durch die Stille, die in dem kleinen Zimmer herrschte. Lohgock blieb lange bei Jaska und dem Psiana, auch nachdem Mikko sich auf dem Flur einen Stuhl gesucht hatte und dort wartete, und auch nachdem die Zwillinge nach Hause gegangen warten, blieb es an seiner Seite. Mikko drehte einen nun leeren Pappbecher zwischen den Händen, den er dem Wasserspender entnommen hatte. Er hoffte so sehr, dass Jaska aufwachen würde. Dann konnte er sich an Mikkos Stelle um Lohgock kümmern. Vermutlich würde er sogar darauf bestehen, schließlich hatte er Eljas gekannt, wohingegen Mikko seine Karriere nicht mal ein bisschen verfolgt hatte. Lohgock hatte nur jemanden gebraucht, der es her brachte, das war alles. Er hatte nicht mit Lohgocks Hand auf seinem Kopf gerechnet, aber irgendwie fühlte sich die raue Haut der kräftigen Pranken, die in spitzen Krallen endeten, schon fast vertraut vor. Er sah auf und wusste, dass Lohgock nicht gefunden hatte was es gesucht hatte. Jaska war nicht aufgewacht. „Wollen wir gehen...?“, fragte er leise und Lohgock nickte. „Okay.“, Mikko stand auf und streckte die angespannten Glieder. Ein Wunder war eben zu viel verlangt gewesen. Der Oberarzt hatte aufgehört ihn wie ein lästiges Insekt anzusehen und verabschiedete ihn und Lohgock mit einem Lächeln. „Vertraute Menschen und Pokémon um ihm können ihm helfen.“, erklärte er, „Komatöse Zustände sind wenig erforscht, aber Menschen die aus ihnen erwacht sind haben berichtet, Dinge, die um sie herum passiert sind teilweise wahr genommen zu haben.“ Mikko nickte sein Verständnis. Sie konnten ja eine Weile in der Stadt bleiben – schließlich war er für längere Reisen ausgestattet – so dass Lohgock Jaska wieder besuchen konnte. Er suchte sich einen Schlafplatz in einer Jugendherberge. Lohgock hatte es ins Pokémon-Center gezogen, wo Trainer umsonst übernachten konnten, aber dazu hätte Mikko sich wohl als solcher registrieren lassen müssen, was er selbstverständlich ablehnte. Auch am folgenden Morgen begleitete Mikko Lohgock ins Krankenhaus, wo man sie dieses Mal ungehindert zu Jaska vorließ. Aber am dritten Tag ließ er das Pokémon allein gehen, nicht geneigt erneut Stunden auf einem harten Plastikstuhl auf dem Flur des Krankenhauses zu verbringen. Stattdessen sah er sich Seegrasulb City an, eine Stadt die durchaus etwas für sich hatte, schon weil sie direkt am Meer lag (obwohl es jetzt im Winter natürlich zu kalt zum Schwimmen war). Er war persönlich stolz auf sich, dass er es fertig brachte sich nur ein oder zwei mal wirklich zu verlaufen; mit Wiesenflur war diese Stadt einfach nicht zu vergleichen. Wo immer sich ein größerer freier Platz auftat, wurde er für einen (oder gleich mehrere) Pokémon-Kämpfe genutzt und einmal wäre er beinahe Opfer einer Aquaknarre geworden, ein anderes Mal zischten die Ranken eines Bisaknosp nur Zentimeter an ihm vorbei. Viel zu oft wurde er als harmloser Zuschauer zu Kämpfen herausgefordert und seine Aussage, kein Trainer zu sein, wurde mit skeptischen bis ungläubigen Blicken quittiert. Aber nicht nur Kämpfe gab es in Seegrasulb City. Tatsächlich fand Mikko, dass es bald mehr Wettbewerbe gab, und warum das so war erklärte man ihm ohne dass er gefragt hatte: Hier in Seegrasulb fanden die Pokémon-Wettbewerbe der Master-Klasse statt, also hielten sich die besten der besten in der Stadt auf. Zu einem Wettbewerb gehörte viel mehr Fingerspitzengefühl als zu einem Kampf, prahte eine junge Frau mit einem Tropius, denn es ging nicht nur darum, den Gegner zu vermöbeln. Mikko war das eigentlich recht egal. An Wettbewerben wollte er ebenso wenig Teil nehmen wie an Kämpfen, sie kamen ihm recht nutzlos vor; wen interessierte es denn, ob das Fell dieses oder jenen Vulnonas besonders glänzte, oder ob das eine oder andere Milotic eine besonders graziöse Hydropumpe vollführen konnte? Da war ja bald das Museum der Stadt spannender, dass Mikko sich am sechsten Tag nach ihrer Ankunft ansah, auch wenn er an Kunst nicht so viel Interesse hatte. Die letzten zwei Tage hatte er in einem Game Center verbracht, das ihn schon eher hatte begeistern können, aber Sonntags war es geschlossen und Lohgock hatte offenbar noch nicht vor, seine täglichen Krankenhausbesuche abzubrechen. Aber am Montag Morgen machte es sich nicht zu Jaska auf, stattdessen begleitete es Mikko durch die Stadt zum Bahnhof. „Nach Hause?“, erkundigte Mikko sich nach den Plänen des Pokémons, und es gurrte bestätigend. Der Schnellzug würde sie in wenigen Stunden zurück nach Wiesenflur bringen. Zur gleichen Zeit als Mikko und Lohgock den Zug bestiegen öffnete Jaska die Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)