Anfang und Ende von Mebell (Oder: blessed_mistress und Mebell) ================================================================================ Kapitel 1: Hunger ----------------- Hunger Alles fängt mit einem kurzen Piep an. Rod beachtet es nicht. Dem Piep folgt ein weiteres. Dann noch eins. Und noch eins. Rod übt sich immer noch in der hohen Kunst der Ignoranz. Lümmelt weiter in seinem bequemen Lesestuhl, vor der Nase den Krimi, den er endlich geschafft hat anzufangen zu lesen. Er zweifelt nicht daran, dass er/sie/es schon noch merkt, dass Rod entweder abwesend ist, oder einfach nicht öffnen will. Aus der monotonen Piepfolge wird eine flotte Melodie. Gar nicht mal schlechtklingend. Rod speichert sie im Unterbewusstsein (wer weiß für was man die noch einmal gebrauchen kann) und verfolgt weiter die Handlung des Buches. Es ist definitiv von Vorteil, wenn man Krach gewöhnt ist. Wahrscheinlich könnte eine ganzes Orchester neben Rod spielen, es würde ihn nicht aus seiner Ruhe bringen. Oder zum Aufstehen bewegen. Dann eine Pause. Rod wähnt sich schon als Gewinner. Doch man sollte den Tag nicht vor dem Abend beziehungsweise das Klingeln nicht vor dem Klopfen loben. Oder so. Fast schon kanonenartig fängt der Türterrorist (ein anderer Ausdruck fällt Rod für soviel beharrliche Dreistigkeit einfach nicht ein) damit an, gegen Rods Eingang zu hämmern. Klopf. Klopf. Klopf. Und gleich wenn Rod selbst das ignorieren könnte, als das Klopfen dumpfer und lauter wird, von Tritten gegen die Tür kündet, erhebt sich er langsam, schlendert gemächlich zum Flur. Es ist weniger Interesse oder Genervtheit, die ihn treibt, als viel mehr Angst um seine Tür. Wer weiß nämlich ob dieser Terrorist nicht sogar zu härteren Methoden greifen würde. Ein Rammbock zum Beispiel. Und Rod hängt schon an seiner Tür. Ein kurzer Blick durch den Spion verrät relativ wenig, nur dass der Störenfried anscheinend eine Motorsuite an hat. Erkennt Rod doch dank des schmalen Sichtfelds nur dessen Brust. Jedenfalls ist schon mal klar das es sich um einen er handelt. Tief durchatmend macht sich der Chilene für alles bereit, Stalker, SEK, Zeugen Jehovas und öffnet mit einem Ruck die Pforte zu seinem kleinen Reich. Und wird prompt beinah von einem Riesen erschlagen, der sich genau in diesem Moment nach vorne fallen hat lassen und nun weich auf Rod landet. Dieser kann sich gerade noch so auf den Beinen halten, im Arm einen ihn nur allzu bekannten 1,94 Hünen. „Hunger.“ Perplex, da doch ein wenig überrascht von der Situation (glaubte er den Gitarristen doch immer noch auf Reisen), versucht Rod Farin von sich zu schieben, jedenfalls soweit, um die Tür hinter sie schließen zu können. Nur für den Fall der Fälle. Dies erweist sich jedoch schwieriger als gedacht, kann er Farin doch noch nicht mal dazu bringen, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. „Dir auch einen schönen Abend, Farin. Ich freu mich wahnsinnig dich zu sehen. Wenn du jetzt aber bitte einen Schritt zur Seite gehen würdest. So zwischen Tür und Angel, ist doch nicht schön. Und drinnen können wir uns auch viel besser unterhalten.“ „Hunger.“ Den Kopf immer noch, mehr oder weniger schwer, auf seiner Schulter, macht Farin nicht die kleinsten Anstalten seiner Bitte folge zu leisten. Und langsam ahnt Rod auch warum. Nach dem verminderten Vokabular des Blonden zu urteilen, und der Tatsache das Rod dessen Hüftumfang mit nur einer Hand messen könnte, nimmt der Chilene mit allem Recht an, das der Ältere mal wieder einer seiner Todestouren hinter sich an. Motorradtrips auf denen Farin fast nichts isst, nur das Nötigeste trinkt und einfach nur fährt, fährt, fährt. Tagelang. Wochenlang. Selbstredend um seinen Kopf klar zu bekommen, den Geist zu reinigen, eben die ganze esoterische Palette einmal rauf und runter. Farin nennt es „sich befreien“ Rod nennt es Selbstmord. Doch er hat schon lange aufgegeben darüber mit dem Blonden zu diskutieren, genau wie Bela, und übt sich in dem Einzigen, das Farin einem erlaubt. Und das bedeutet Schadensbegrenzung. Erster Schritt dabei; auf Farins momentanes Konversationslevel herabsinken, dessen Grundbedürfnisse erfüllen. „Hunger.“ „Küche.“ Während Rod innerlich betet, dass er noch irgendwas für Farin da hat (ist das letzte Mal, dass er einkaufen war, doch schon etwas her), schließt er endlich die Tür, folgt langsam der großen schwankenden Gestalt. Immer ein Meter hinter ihm. Falls Farin doch noch fallen sollte. Irgendwie schaffen sie es dann aber wirklich unbeschadet in die Küche, wo Rod Farin erst mal auf einen Stuhl absetzt, sich gleich selbst über seinen Vorratsschrank und den Kühlschrank hermacht. Mit dem mehr als nur ernüchternden Resultat, das er außer etwas Kaffee, eine handvoll Zucker und Bockwürste, nicht sonderlich viel Nahrhaftes aufzuweisen hat. Und unter Garantie auch nichts für ausgehungerte, vegetarische Gitarristen. Rods Blick geht sorgenvoll zu Farin, der mehr schlafend als wachend am Tisch sitzt, vielleicht auch schon halb im Delirium. Er kann das nicht genau sagen. Eigentlich bleiben dem Chilenen nur zwei Möglichkeiten. Die Erste wäre Farin die Bockwürste runterzuzwängen und sich Morgen, wenn der Ältere wieder klar denken kann, das Donnerwetter seines Lebens anzuhören. Die Zweite wäre noch weniger fein, würde den Chilenen aber genug Zeit geben ein ganzes gottverdammtes Menü der Extraklasse herzuzaubern. Ganz fleischfrei versteht sich. Zwischen Rege und Traufe, entscheidet Rod sich für den Ozean. Langsam, ganz langsam, macht er sich auf zu Farin, drehte dessen Stuhl so zu sich, das er ungehindert auf den Blonden zugreifen kann. Der blickt ihn von unten mit halbtrüben Augen an und fast tut es Rod ein wenig leid, zu solchen Maßnahmen greifen zu müssen. Fast. Vorsichtig beugt er sich zu den Älteren runter, das Gesicht so nah an seinem, das er jedes kleinste Detail erkennen kann. Der Staub auf den Wimpern, den kleinen Ratscher an der rechten Wange, die Lippen, vor Trockenheit schon ganz eingerissen. Das nun beinah schon flehentliche "Hunger", zerreißt Rod zum einen, zum anderen bestärkt es ihn aufs absolute in seinem tun. Mit einem gehauchten "Ich weiß." presst Rod fast schon brutal den Mund auf Farins, verwehrt diesem so jegliche Möglichkeit des Weiteratmens. Er hält den Kuss lange. Eine Minute. Zwei Minuten. Irgendwann dann endlich merkt er das erhoffte Zusammensacken des größeren Körpers und auch die Augen Farins sind friedlich geschlossen. Der wiedererlangte Atem geht ruhig und gleichmäßig. Mit etwas Mühe schafft Rod den eher ohnmächtigen als eingeschlafenen Farin in sein Schlafzimmer. Zeit hat er nun zu Genüge. Und die wird er auch nutzen. Mit einem letzten Blick auf den Älteren macht Rod sich auf den Weg. Ohne unnötige Umwege begibt er sich zu seinem Auto. Als der Chilene in seinem Auto sitzt, beginnt er zu grübeln. Er weiß leider nicht, wie viel Zeit er wirklich hat. Die Mission des Einkaufen und selberkochen erscheint ihm aber eindeutig zu heikel. Seufzend startet der Bassist und fährt komplett blind los. Eine Fahrt in das Ungewisse. Aber gerade das macht es erst interessant. Rod liebt Herausforderungen. Während der Fahrt starrt er angestrengt auf die beiden unterschiedlichen Straßenseiten. Immer auf der Suche nach dem optimalen Essen für den Blonden. Jedoch ohne Erfolg. Dönerbuden reihen sich an Pizzerias, Pizzerias reihen sich an Pommesbuden, Pommesbuden reihen sich an Fastfoodketten. Es ist hoffnungslos. Kurz überlegt er, seinem Freund einfach eine Pizza Mageritha mitzubringen. Oder einen Salat. Schnell verwirft der Chilene den Gedanken wieder. So etwas konnte und wollte er Farin nicht antun. Ein labbriger Salat oder eine zu lang gebackene Pizza würden seine Lebensgeister sicher nicht wecken. Nervös trommelt Rod mit den Fingern auf dem Lenkrad und wartet auf Grün. Routiniert lässt er seinen Blick erneut schweifen. Eher halbherzig, weil er mittlerweile nicht mehr an das Wunder glaubte. Gelangweilt beobachtet er die Umgebung. Das Übliche. Aber... Was ist das? In Neonfarbenen Lettern prangt auf der linken Straßenseite der Schriftzug: 'Sushi Bar' Kurz ohrfeigt Rod sich in Gedanken selber. Manchmal vergaß er, dass Farin eine Sonderform des Vegetarismus gewählt hat. Die Lösung stand somit wohl schon länger auf der Straße und wartet dort nun auf den Geistesblitz. Als er die Sushi-Bar betritt, schlagen ihm angenehme Gerüche entgegen. Er weiß, wie sehr Farin Sushi liebt. Er weiß auch, dass er gleich die halbe Karte für den Kenner zum Mitnehmen bestellen würde. Da er eine gewisse Ahnung von der japanischen Küche hat, rattert Rod tatsächlich fast die halbe Karte aus dem Gedächtnis herunter. Der Kugelschreiber der asiatischen Bedingung flitzt über den Notizblock: „Dauert etwas. Müssen sie haben kleines bisschen Geduld. Wir ihnen packen alles ein.“ Rodrigo seufzt leise und nickt freundlich. Innerlich hofft er, dass Farin noch nicht alleine durch seine Wohnung schwankt und sich selber zur größten Gefahr werden lässt. Er lehnt sich an die kleine Theke und übt sich in Geduld. Eine gefühlte Ewigkeit später trippelt die Bedienung wieder zu ihm. Rod bekommt ein ganzes Arsenal an Tüten in die Hand gedrückt. Wie er sie alle heil zum Auto bekommt,weiß er noch nicht genau. Er kramt einige Scheine aus seiner Geldbörse und drückt sie der Dame in die Hand: „Passt so.“ „Wünschen guten Hunger! Ist bestes Sushi in Stadt.“ Ausnahmsweise verschwört sich die Schwerkraft nicht gegen ihn. Mit schnellen Schritten erreicht er sein Fahrzeug, wirft die Tüten vorsichtig auf die Rückbank. Jetzt möchte er nur noch in seine Wohnung. Als er endlich die Tür aufschließen will, wird er erneut durch seine wertvolle Fracht behindert. Fluchend fummelt er den Schlüssel in das Schloss und hört schon beim Öffnen den klagenden Ruf: „Hunger.“ Farin steht immer noch auf wackeligen Beinen im Türrahmen des Schlafzimmers. „Hunger.“ „Ich weiß.“ Liebevoll drängt Rod seinen Freund zurück in das Zimmer, packt seine Tüten vorsichtig aus. Dabei wird er voller kindlicher Neugier mit großen Augen von Farin angestarrt. Er holt zuletzt die Essstäbchen heraus. Umgehen kann er damit eigentlich auch nicht, aber um etwas gerollten Fisch zu halten würde sein Talent reichen. Mittlerweile hat Farin sich auf das Bett gesetzt und wartet völlig still. Rod lächelt ihn aufmunternd an, nimmt eine Packung der Delikatesse. Er setzt sich neben seinen Freund. In aller Ruhe öffnet er die Plastikverpackung und nimmt konzentriert das Erste Sushi-Röllchen. Automatisch öffnet der Blonde seinen Mund, lässt sich Bissen für Bissen füttern. Ab und an tunkt Rod die Röllchen vorsichtig in die extrem salzige Sojasauce. Oder in die leuchtend grüne und scharfe Paste am Rand. Natürlich mit Bedacht. Er möchte, dass es Farin schmeckt. Irgendwann fängt dieser an wie beseelt zu grinsen. Rod weiß ganz genau, was jetzt passieren wird. Er kennt ihn zu gut. Langsam legt er die Stäbchen beiseite und zieht das Kopfkissen zu Recht. Nur Bruchteile einer Sekunde später sinkt der Ältere auf dieses, immer noch mit diesem fast manischen Grinsen auf den Lippen. Anderen Leuten würde es vielleicht Angst machen. Rodrigo hingegen liebt es. Als hätte man das Bild eingefroren, glitt er genau mit diesem Ausdruck im Gesicht in das Reich der Träume. Auf Rods Bett befinden sich einige dunkle Flecken von der Sojasauce. Wenn er genau hinsieht, erkennt er sogar noch die Spuren der Tomatensauce vom letzten Jahr. Stören tut ihn das nicht im geringsten. Eigentlich schläft er sogar ganz gern auf diesen Erinnerungen. Warum weiß er selber nicht. Farins Grinsen wird im Schlaf noch breiter und wirkt wie auf einem Drogentrip für einen Außenstehenden. Für seinen Freund ist es jedoch ein Zeichen vollkommener Zufriedenheit. Vielleicht träumte er von seiner letzten Reise. Oder eher gesagt Tortur. Eines Tages wird er sich wirklich noch selber umbringen. Jedenfalls dann, wenn ihm kein treusorgender Chilene mehr beiseite steht. Ganz leise seufzend, um den Hünen ja nicht zu wecken, zieht Rodrigo die Decke behutsam über seinen Freund. Er drückt ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen und verzieht angewidert das Gesicht. Sojasauce. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)