Herren der Drachen von Scarla ================================================================================ Kapitel 16: Aussprache ---------------------- »So finden wir es nie…«, Thin seufzte und kroch unter dem Busch hervor. »Das glaube ich auch«, stimmte Lif mit zusammengebissenen Zähnen zu, denn er hatte eben wiederholt in eine Brennnessel gefasst. »Wir müssen es finden«, antwortete Tay fieberhaft und kletterte mit Amethystas Hilfe einen Baumstamm hinauf. »Was war an diesem vermaledeitem Buch noch einmal so ungeheuer wichtig?«, wollte Lif ungehalten wissen und setzte sich unsanft in etwas glitschiges, von dem er gar nicht so genau wissen wollte, was es war. »Dort stehen vielleicht Dinge drinnen, die uns sehr vieles erklären könnten. Was das für ein Ungeheuer war zum Beispiel, oder wieso diese riesigen Städte alle verlassen waren. Aber was versteht ein Blinder von dem wahren Wert eines Buches«, schnappte Tay. »Nicht viel, da magst du recht haben. Dafür kann ich Dinge hören, die dir verborgen bleiben. Das der Ast gleich bricht, zum Beispiel«, fauchte Lif. Eben wollte Tay etwas antworten, da knackte es einmal laut und er purzelte unsanft zu Boden. Doch er verkniff es sich, laut zu schreien, diese Genugtuung wollte er Lif nicht gönnen. Doch der grinste auch so schon breit. Mit der Freundschaft zwischen den beiden war es aus. Nach ihrem Streitgespräch am Abend nach Ayras Absturz, in dem sie einander der Lüge bezichtigten, gab es keine Situation mehr, wo sie nicht abfällig von einander sprachen, oder miteinander über Kleinigkeiten stritten. Ihr freundschaftliches Geplänkel war zu etwas ernsterem geworden. Sie waren Verbündete, aber keine Freunde mehr. Und Thin stand zwischen ihnen. Sie wusste nicht, was sie weiter tun konnte, außer immer und immer wieder zu beteuern, das Ayra das nicht gewollt hätte. Doch die beiden jungen Männer ignorierten sie und belangten sich bei jeder Gelegenheit. Während Thin traurig daneben stand, beobachtete sie, wie Tay Lif einen eisigen Blick zuwarf, und wie Lif abschätzig die Lippen verzog. »Wie kleine Kinder«, murmelte sie Azuritia zu, während sie weiter suchte. Sie wissen nun einmal, das sie nicht beide bekommen können, was ihr Herz begehert und so versuchen sie sich jetzt schon auszustechen, antwortete er. »Aber das haben sie doch schon vorher gewusst, warum buhlen sie erst jetzt miteinander darum?«, fragte sich Thin. Weil sie es jetzt erst ausgesprochen haben. Manche Dinge werden erst wahr, wenn sie ausgesprochen werden. Und diese hier gehört dazu. Wäre Ayra hier, wäre es einfacher, erklärte der blaue Drache. »Ich vermisse sie… Meinst du, Lif hat recht und sie ist wirklich tot? Oder das eher Tay recht hat, das sie irgendwo ans Ufer geklettert ist?« Beides. Mein Herz sagt, das es nicht das Ende sein kann, doch mein Kopf sagt mir, das wir sie nicht gefunden haben, und wären sie noch am Leben, wär’ sie auf dieser Strecke irgendwo hinaus geklettert. Thin nickte: »Genau so geht es mir auch. Ich… ich möchte sie suchen gehen. Vielleicht finden wir etwas, wenn wir dem Wasser folgen und sei es nur ein Beweis, für ihren Tod. Aber dann hätten wir zumindest Gewissheit. Vielleicht… brauchen sie auch unsere Hilfe.« Ich bin auch dafür. Lass die Kindsköpfe streiten, wenn sie bloß zu zweit nach dem Buch suchen, reicht das auch. Ich sage Smarada und Amethysta bescheid, dann lass uns fliegen, meinte er. Sie nickte und über ihre lautlose Drachensprache teilte er den beiden anderen mit, was sie vorhatten. Die erhoben keinerlei Einwand, sodass sie sofort aufbrachen. Tay und Lif bemerkten es nicht einmal. Sie waren schon wieder in einem Streit vertieft, der wohl ebenso wenig Sinn hatte, wie alle anderen davor auch. Doch Thin störte es nicht weiter, sie ließ die lauten Stimmen einfach hinter sich und flog gen Fluss. Deren Verlauf folgten die beiden nun, nicht wissend, was sie erwarten würde. Die jungen Männer indes schwiegen sich an. Irgendwann, als der Abend hereinbrach, seufzte Tay tief. »Was ist?«, knurrte Lif, »ist dem Prinzen die Suche zu anstrengend? Du kannst ja Papis Lakaien um Hilfe bitten…« »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber es liegt nicht an der Erschöpfung. Nur… Eulenaugen habe ich noch nicht, und man sieht schon kaum noch etwas«, fauchte Tay. »Also willst du eine sinnlose Suche für die Nacht pausieren und morgen weiter suchen?« »Ja.« Tay drehte sich einmal im Kreis, um Thin zu finden, doch er sah sie nicht. »Thin?«, rief er laut. »Ist sie nicht da?«, fragte Lif verwundert, denn die Beunruhigung in Tays Stimme war ihm nicht entgangen. »Würde ich nach ihr rufen, wenn sie hier wäre?«, erkundigte der sich bissig. »Ja, um sie zu dir zu rufen, zum Beispiel«, antwortete Lif, dann rief er aber auch laut nach seiner Schwester. Sie ist nicht da, bemerkte Smarada überflüssigerweise. »Das haben wir auch schon gemerkt«, seufzte Tay. »Weißt du, wo sie hin sind?«, wollte Lif wissen. Sie hatte eure Streitereien satt, da ist sie etwas sinnvolleres tun gegangen, als Papier zu suchen, antwortete Amethysta an seiner statt. Wir haben diesen ewigen Streit übrigens auch satt, war Smarada schnell ein, doch Lif ignorierte ihn. »Wohin ist sie gegangen?«, fragte er stattdessen und die Sorge war überdeutlich in seiner Stimme. Er wollte seine Schwester nicht auch noch verlieren. Azuritia und Thin wollte den Fluss weiter folgen, um Klarheit zu schaffen. Entweder Ayra ist wirklich tot, dann wissen wir es sicher, oder aber sie lebt und braucht Hilfe oder etwas andere wichtiges ist dazwischen gekommen, dann könnte ihr Thins Anwesenheit gute Dienste tun, bemerkte Smarada. »Wieso hat sie uns nicht bescheid gesagt?«, wetterte Lif. »Weil wir uns gestritten haben«, Tay ließ sich auf den Hosenboden fallen. »Sie hat ja recht, wir sollten nicht streiten. Immerhin sind wie Verbündete… und wir waren bis vor wenigen Tagen auch mal Freunde…« »Genau, waren ist das richtige Wort. Immerhin hast du mich belogen und verraten«, Lif berührte verbittert Smaradas Schulter. »Ich habe nicht gelogen, Lif. Es ist keine Lüge, wenn sich eine Tatsache verändert. Sie war wirklich nicht mehr, als eine Freundin. Und auch unter Verrat verstehe ich ein wenig etwas anderes… Aber du lebst ja sowieso in deiner eigenen Welt…«, knurrte Tay. Im ersten Moment schwieg Lif, dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Wir müssen jetzt zusammen halten, ob wir wollen oder nicht. Und das geht nicht, wenn es so viele unausgesprochene Dinge zwischen uns gibt. Also, wie wäre es, wenn wir auf den Kopf zu einfach alles sagen, was wir dem anderen immer schon einmal sagen wollten? Dann steht das zumindest nicht mehr zwischen uns. Der andere lässt es natürlich in jedem Fall unkommentiert«, schlug er vor und Tay nickte langsam. »Gut, dann fang an«, meinte Lif. »Okay…«, Tay überlegte einen Moment, bevor er begann. »Ich finde, dass du dich im Alltag viel zu sehr von anderen herumschubsen lässt. Ich weiß nicht wieso, aber du gehörst zu den mächtigsten Männern der Drachenreiter und trotzdem lässt du dir von anderen so vieles gefallen. Du bist generell viel zu freundlich, du solltest mal ein wenig energisch werden. Und du bist zu vertrauensselig. Ich meine, ich, ich hätte euch verraten können, ich kann es immer noch, und du wärst sehenden Auges in dein Verderben gelaufen! Du vertraust einem völlig Fremden, der einst dein Feind war, einfach so, ohne ersichtlichen Grund! Du hast niemals eine Bestätigung erhalten, dass ich wirklich und endgültig auf deiner Seite bin, und ich verstehe verdammt noch mal nicht, wieso du trotzdem so bist! Teufel noch mal, ich war einer deiner größten Feinde, ich habe den Befehl gegeben, deine Freunde zu töten, und ich habe ihr Wimmern und ihre Schmerzensschreie genossen! Ich habe es gut gefunden! Ich… ich war ein so grausamer Mensch. Und du hast es gewusst. Du wusstest es, und trotzdem hast du mich nie dafür verurteilt. Im Gegenteil, du warst für mich da, hast mich verteidigt, wie ein Löwe, du warst wie ein Freund für mich, mehr noch, wie ein Bruder. Die Zeit bei euch war die schönste meines Lebens und ein leben ohne Ayra, Thin, Amethysta, Rubia, Azuritia, Smarada und all den anderen kann ich mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Und du hast es mir ermöglich, indem du mich nicht verurteilt hast, sondern mit eine zweite Chance gabst. Die Möglichkeit, mich zu ändern. Und nun zerstörst du es, indem du mir Vorwürfe machst, zu Dingen, für die ich nichts kann. Oder meinst du wirklich, ich hätte es mir ausgesucht? Du solltest selber wissen, das Liebe kommt und geht, wie es ihr beliebt. Aber ich möchte dir trotzdem danken. Für die wunderbare Zeit, und das du mir eine Chance gegeben hast, obwohl ich sie nicht verdiente«, Tay schloss mit einem aufgewühlten Gefühl in der Magengegend. Er schaute Lif verunsichert an, doch dessen Miene verriet nicht. »Darf ich jetzt?«, wollte der wissen. Tay nickte und Lif, der die Bewegung wohl gespürt hatte, amtete einmal tief durch, bevor er begann. »Also, ich finde… dass du mir anderen Leuten viel zu hart ins Gericht gehst. Vor allem mit dir selbst. Niemand kann etwas für seine Vergangenheit, und schon gar nicht für die eigenen Eltern. Wir lernen die ersten Dinge ja immer von ihnen, und wer beigebracht bekommt, das es lustig ist, anderen Leuten die Gliedmaßen herauszureißen und zuzusehen, wie er verendet, dann heißt das nicht, das diese Person sich nicht ändern kann. Ich finde, jeder hat eine zweite Chance verdient, denn jeder kann sich ändern, wenn man ihn nur lässt. Und er diese Chance nutzt. Und dafür will ich dir danken. Ich habe schon so oft versucht, den Leuten eine zweite Chance zu geben, und ich hatte es fast aufgegeben, das hätte ich wie Drake geglaubt, das Menschen sich nicht ändern können. Du hast es getan. Du hast mir den Glauben zurückgegeben, dass man sich doch ändern kann, wenn man es selbst nur will. Und dafür will ich dir danken. Du hast mich nicht enttäuscht. Du bist gutmütig, freundlich und hilfsbereit, etwas, was niemand erwartet hätte, der dich als Prinz kennen gelernt hat. Und doch, natürlich ha jeder Mensch auch seine schlechten Seiten. Deine größ0ßte ist deine Geheimniskrämerei, die in so direktem Gegensatz zu deiner Person steht, dass man kaum glauben mag, dass es dieselbe Person ist. Das würde ich unter Umständen sogar gut heißen, denn es hilft auch anderen deine Vergangenheit zu vergessen. Doch nicht in diesem besonderen Fall. Und du machst auch nicht nur aus der Vergangenheit ein Geheimnis, sondern auch aus dem hier und jetzt. Ich hätte mir einfach gewünscht, das du mir sagst, das auch für dich Ayra mehr bedeutet, das ich es nicht hätte so erfahren müssen«, schloss Lif. Einen Augenblick schwiegen die beiden Männer, dann streckte Lif die Hand aus. »Ein neuer Anfang? Eine alte, neue Freundschaft?«, fragte er leise. »Und… was ist, wenn Ayra lebt und wieder zu uns stößt?«, erkundigte sich Tay. »Nun, sie muss entscheiden, wen sie lieber hat, und wenn du es bist, will ich nicht eifersüchtig sein«, antwortete er. »In dem Fall: Ein neuer Anfang und eine neue, alte Freundschaft«, stimmte Tay zu und schlug lächelnd ein. »Okay, dann erzählst du mir jetzt mal ein paar Geheimnisse«, auch Lif lächelte, doch war es eine andere Art lächeln. »Wollen wir nicht erst Thin suchen?«, wich Tay aus. »Vielleicht steckt sie in Schwierigkeiten…« »Thin und Azuritia können gut auf sich selbst aufpassen«, winkte Lif ab. Tay überlegte, dann nickte er. »Aber nur unter der Bedingung, das auch du mir ein wenig etwas über deine Geheimnisse verrätst.« »Abgemacht«, Lif lächelte zufrieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)