Herren der Drachen von Scarla ================================================================================ Kapitel 15: Gedanken sammeln ---------------------------- »Ayra! Ayra!«, Tay starrte entsetzt in die Tiefe, musste hilflos mit ansehen, wie Ayra fiel. »Was ist los?«, fragte Lif. Wohl das erste mal, das er nicht wusste, was um ihn herum vor sich ging. »Es… es hat Rubia aus der Luft geworfen…«, antwortete Thin leise und tonlos und beobachtete, wie die reißende Wasserströmung, in die Rubia und Ayra gefallen waren, jede Spur ihrer Existenz verwischte. »Es hat…«, der Schrecken und das Grauen waren Lif ins Gesicht geschrieben. Dann hieß er Smarada an, hinab zu fliegen, doch obwohl sie dem Fluss folgten, so schnell sie nur konnten, hatten sie keine Chance, die beiden einzuholen. Irgendwann gaben sie entmutigt auf und landeten am Ufer. »Meint ihr, das sie… irgendwo weiter unten ans Ufer geschwommen sind?«, fragte Thin leise, als sie gemeinsam am Feuer saßen und still vor sich hin brüteten. »Ich hoffe es… ich meine, es kann doch nicht sein, das sie…«, Tay schüttelte heftig den Kopf und drängte sich noch näher an Amethysta. »Ich glaube, wenn sie noch leben würde, dann wäre sie schon viel weiter oben aus dem Wasser geklettert… Ich… glaube, das sie… es nicht geschafft hat…«, Lif vergrub das Gesicht in den Armen. »Ein weiteres sinnloses Opfer in einem sinnlosen Krieg.« »Aber Lif, sie kann doch nicht… sie darf einfach nicht…«, Thin brach zitternd ab, stürzte herum und verbarg ihr Gesicht an Azuritias Schuppen. »Lif, wie kann dich so etwas nur so kalt lassen?«, fragte Tay entsetzt über den gleichgültig anmutenden Tonfall, den der blinde Mann angeschlagen hatte. »Tay, es lässt mich nicht kalt, aber weißt du eigentlich, wie lange dieser Krieg zwischen dem König und uns schon geht? Weißt du, wie viele Menschen ich schon hab sterben sehen? Ich war nicht immer blind, ich habe sehen können, was dein Vater ihnen angetan hat! Ich habe jeden einzelnen von ihnen mit Namen gekannt, ich war mit so unendlich vielen befreundet! Einigen hast du selbst zu Tode verurteilt, vergiss das niemals, Prinz Tayshi! Verdammt, es lässt mich nicht kalt, aber ich habe lernen müssen, mit so etwas zu leben. Und es bringt auch nichts, wenn wir die Augen vor Tatsachen verschließen«, antwortete Lif und lehnte sich erschöpft an Smarada. Tay schaute ihn einen Moment lang wortlos an. »Ich dachte, dass du meine Vergangenheit hinter uns gelassen hast und mich deswegen nicht mehr verurteilen würdest, aber ich sehe, ich habe mich getäuscht«, antwortete Tay kühl. »Ich habe dich niemals deswegen verurteilt, und ich tue es auch heute nicht. Aber bei allem was du sagst und tust, solltest du vielleicht einmal versuchen, den Blickwinkel zu ändern«, erklärte Lif bissig. »Okay, entschuldige, was ich gesagt habe, war nicht gerecht. Aber was du gesagt hast auch nicht.« »Lif, Tay, hört doch bitte auf zu Streiten. Ist es denn nicht schrecklich genug, was geschehen ist?«, mischte sich Thin ein, doch die beiden Männer ignorierten sie. »Ich habe lernen müssen, zurückzuschlagen, wenn mir jemand wehtun will«, verteidigte sich Lif. »Das ist aber verdammt nicht noch mal nicht allein meine Schuld. Ich kann nichts für das, was mein Vater getan hat. Ich habe es mir nicht ausgesucht, ebenso wenig, wie ich mir ausgesucht habe, die Seiten zu wechseln. Das Schicksaal selbst hat mich dazu gezwungen«, knurrte Tay. »Das ist mir durchaus bewusst. Aber darum geht es hier auch gar nicht«, fauchte Lif. »Worum geht es dann?« Lif schwieg. Tay schnaubte durch die Nase und stand auf. »Ich geh und schau, ob ich irgendetwas am Wasser entdecken kann. Vielleicht haben sie es ja doch geschafft«, erklärte er und wollte gehen. »Du hast mich belogen, Tay«, merkte Lif leise an. »Ach ja? Inwiefern?«, erkundigte sich der schwarzhaarige. »Du sagtest, sie sei nicht mehr für dich, als eine Freundin. Aber ich weiß, wie du sie ansiehst. Und ich höre, wie sehr sein Herz schlägt, wenn sie bei dir ist«, erklärte Lif. Tay lächelte geringschätzig. »Da bin ich aber nicht der Einzige, mein bester«, sprach er und verschwand mit Amethysta aus dem Licht. »Lif, was… ich verstehe nicht…«, Thin schaute fragend ihren Bruder an. »Das musst du auch nicht. Das ist etwas nur zwischen Tay und mir. Vergiss es einfach. Hoffe lieber, das Rubia auf Ayra ebenso gut aufpassen kann, wie Smarada auf mich, dann wird alles gut…«, antwortete der und legte sich neben seinem Drachen zu Boden. Thin schaute ihn einen Moment lang an, dann stand sie auf und folgte Tay. Der stand am Wasser und starrte stumpf vor sich hin. »Tay?«, fragte sie leise. »Ja?« »Glaubst du, das Lif recht hat?« »Nein. Er darf einfach nicht recht haben. Das wäre… einfach nicht fair. Wieso hat euch dieses… Wesen eigentlich verfolgt?«, Tay schaute sie fragend an. »Ich weiß es nicht. Wir waren schon fast bei der Stadt, da sind Azuritia und Smarada ziemlich nervös geworden und wollten nicht weiter. Na ja, Lif und Smarada kennen sich ja schon ziemlich lange, deswegen hat er dem Drachen gleich vertraut und wir haben abgedreht. Da haben wir aus der Ferne dieses… Ding auf uns zufliegen sehen und sind geflohen, bevor es heran war. Wir hatten einen Vorsprung, weil Smarada ein paar gute Tricks kennt, aber in der weiten Ebene, die folgte, konnten wir ihn nicht weiter ausbauen. Im Gegenteil, auch wenn es außer Sichtweite war, ist es ja doch immer näher gekommen. Und na ja, irgendwann seid ihr beide ja zu uns gestoßen. Was war das eigentlich, was du so entsetzt hinterher gestarrt hast, bevor es Ayra getroffen hat?«, wollte Thin wissen. »Ein Tagebuch. Wir haben es in einer anderen Stadt gefunden, in den Händen eines toten Mädchens. Vielleicht steht dort, was hier geschehen ist, aber das werden wir wohl nicht allzu bald herausfinden können. Wir könnten es suchen, aber ob wir es finden werden…«, Tay zuckte mit den Schultern. »Erst einmal sollten wir Ayra wieder finden. Sie ist bestimmt weiter unten ans Ufer geklettert, und wir waren einfach nicht schnell genug, das Wasser fließt ja viel schneller, als die Drachen fliegen. Oder Rubia hat sie herausgezogen«, überlegte er. Thin lächelte traurig. Sie musste daran denken, wie oft sie schon solche Überlegungen hatte, um dann doch irgendwann festzustellen, dass die Personen doch nicht wiederkommen würden. Obwohl sie nie in die Kämpfe verwickelt war, hatte sie dennoch einige Leute nicht wieder gesehen, die einst ausgezogen waren. Sie hatte niemals jemanden sterben sehen, doch war der Tod immer Teil ihres Lebens gewesen. Sie schwieg einfach. Sie wusste nicht, was sie glauben sollte, was sie hoffen sollte, ob noch Hoffnung bestand. Sie sah die Hoffnungslosigkeit in Lifs Augen, die, obwohl sie selbst nichts sahen, so unendlich viel über ihn verrieten, und sie sah die Besessenheit in Tays Augen, der einfach nicht glauben konnte, und auch nicht wollte, sondern verzweifelt auf etwas gierte, von dem sein Kopf ihm sagte, das es nicht möglich war. Auch Thins Kopf sagte ihr, dass sie sich besser mit dem Unvermeidlichen abfinden sollte, doch ihr Herz stimmte mit dem Tays überein. »Meinst du, das Buch ist wichtig?«, fragte sie leise. »Das könnte es sein, aber das wissen wir erst, wenn wir es gelesen haben«, antwortete er. »Dann sollten wir erst das Buch suchen«, fand Thin. Tay starrte sie fassungslos an. »Und Ayra im Stich lassen?«, fragte er. »Ayra hat Rubia bei sich, wenn sie noch lebt, dann wird die Drachin sie mit ihrem Leben verteidigen, und du weißt ja selbst, dass sich kaum einer freiwillig mit einem Drachen anlegt. Er könnte böse werden«, erklärte sie. Tay schauderte, er erinnerte sich noch sehr genau an Azuritia und vor allem Smarada, dessen Zorn er auf keinem Fall auf sich ziehen wollte. Doch bevor er antworten konnte, fuhr Thin auch schon fort: »Ihr wird nicht mehr geschehen, als schon passiert ist, doch wenn es regnet oder dergleichen könnte das Buch für immer zerstört werden. Mir gefällt der Gedanke, sie erst einmal ihren Schicksaal zu überlassen, auch nicht, doch wenn sie wirklich tot ist, dann haben wir nichts gewonnen. Im Gegenteil, vielleicht haben wir dann etwas ungemein Wichtiges für immer verloren.« Tay überlegte einen Moment, dann nickte er langsam, verzog dabei jedoch eine Miene. »Du hast recht. Dann lass uns mit Lif sprechen und dann zurückfliegen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)