Abendstern von abgemeldet (Und du wirst strahlen, heller als die Sonne.) ================================================================================ Kapitel 1 - Hoher Besuch ------------------------ Die Luft in Shrida schmeckte immer salzig. Niemand hatte je den Grund dafür finden können, warum hier, tausende Meilen vom Meer entfernt, mitten in der Wüste, Salz in der Luft lag. Nicht, dass es noch irgendjemandem auffiel. Viel mehr hatte man sich daran gewöhnt, an das leichte Kratzen im Hals und den ständigen Belag in der Nase wie an einer alten Narbe, die manchmal Nachts im Bett zu stechen begann. Die Händler, die bereits das Land der Sonne verlassen hatten und auf ihren Reisen weite Teile der Welt erkundeten, waren sich einig, dass es der Geruch war, der die Wüstenstadt so einzigartig machte. Ich stimmte ihnen da voll und ganz zu. Nicht, dass ich jemals die alte Sandsteinstadt verlassen hatte, oh nein. Ich hatte schon Mühe damit, mich außerhalb der Mauern meines Zuhauses zurechtzufinden. Tamima die Taube nannte man mich deswegen. Immer bemüht nicht ihr Nest zu verlassen. Und auch heute, an diesem heißen Morgen, als die Sommersonnenwende nicht mehr weit bevorstand, konnte ich mir keinen anderen Ort vorstellen, an dem ich leben könnte. Leben wollte. Nur dass ich damals noch nicht wusste, wie sehr ich mich irren würde. Nicht, dass ich feige wäre. Hamid, mein Ziehvater, mochte da anderer Meinung sein, aber ich war sehr wohl mit einem guten Teil an Mut gesegnet. Zumindest manchmal. Da schlug etwas gegen die Tür. Erschrocken riss ich die Augen auf, und die letzten Reste des Schlafes verschwanden. Ich sprang aus dem Bett. Mein erster Gedanke war natürlich bei den Gästen. Ob ein Trunkenbold noch nicht zu Bett gegangen war und sich in der Tür geirrt hatte? Bei den Göttern, es war doch schon kurz vor Sonnenaufgang! Diese Säufer hatten wirklich keinen Sinn für Anstand. Ich sprang aus dem Bett. Wenn einer der Gäste von unten jetzt noch heraufkam, würde es sicher nicht dienlich sein wenn er mich im Bett vorfände. Innerlich verfluchte ich Hamid dafür, mir kein Schloss an der Tür zuzugestehen. Noch immer zürnend, zog ich mir meinen alten Kaftan an. Der raue Stoff krazte etwas als ich meinen dünnen Körper hineinzwängte. Mit raschen Schritten durchmaß ich meine kleine Kammer und wollte schon nach der eisernen Schnalle greifen, als das Holz knarrend aufgeworfen wurde. „Wo bleibst du, Mädchen?“, brüllte mir Umar ins Gesicht. Verunsichert zuckte ich zurück. Der erste Knecht des Wirtes glaubte immer, dass mit purer Lautstärke alles schneller getan werden würde. Meistens hatte er damit auch Recht - aber es war doch praktisch noch Mitternacht! Hilal, der Wüstenmond, war noch nicht einmal untergegangen! Unschlüssig stand ich im Türrahmen. „Steh nicht hier so dumm! Runter mit dir, Kaseng wird in wenigen Stunden hier sein!“ Ich brauchte ein Weile um den Sinn seiner Worte zu verstehen. Es brauchte einen weiteren bösen Blick des Knechtes bis mir wieder einfiel was denKnecht veranlasste mich um meinen Schlaf zu bringen. Kaseng kam! Wie hatte ich das nur vergessen können? Seit Monaten machte Hamid uns die Hölle heiß, weil der Berater des Sultans hier übernachten würde. Sofort begann mein Puls zu rasen. Der Alte Kaftan hatte seit Jahren keinen so hohen Besuch mehr gehabt – kein Wunder, dass Umar verrückt spielte. Ich nickte also nur kurz und versuchte mich an Umars breiter Gestalt vorbeizudrängen, um nach unten in die Küche zu kommen. Mir wurde mein Weg jedoch von seinem Arm versperrt. Ich sha zu ihm auf. „Und beeil dich“, fügte er überflüssigerweise hinzu. Ich konnte seine gelben Zahnstummel zählen, als er zu mir herunter grinste. Abermals nickte ich kurz. Dann duckte ich mich und entwand mich ihm. Der staubige Holzboden knirschte unter meinen bloßen Füßen, als ich mich beeilte nach unten zu kommen. Seit ich denken konnte war der Alte Kaftan mein Zuhause gewesen, trotz meiner ewigen Streitigkeiten mit Hamid, dem Wirt, und seinen Knechten. Das Gasthaus lag im äußersten Teil Shridas, dort wo die Feigenwälder begannen und anständige Leute aus Angst vor Straßenräubern nie einen Fuß hinsetzten. Dennoch ging das Geschäft gut – besonders heute, da der edle Imran Kaseng, der höchste Berater des Sultans, hier nächtigen würde. Er war gerade von einer langen Reise in die Länder der Sonne zurückgekehrt, und hatte seinen Besuch schon Monate im voraus angekündigt. Er hatte den ganzen Hof für dieses Nacht reservieren lassen und sogar Befehl gegeben, 12 der edelsten Zimmer herzurichten. Hamid hatte teure Bauchtänzerinnen und soviel Lampenöl bestellen lassen, dass es reichen würde einen Elefanten zu braten. Imran würde Geld zu uns bringen, soviel war sicher. Von unten waren bereits die lauten Stimmen der Köchinnen zu hören, die die Küchenmägde anbrüllten, endlich wach zu werden und an die Arbeit zu gehen, und das unwillige Murren der Knechte, die die geschlachteten Ochsen brachten. Der große Gastraum war erfüllt vom Licht der Lampen und dem Lärm der Diener. Noch bevor ich Zeit hatte in die Küche zu huschen, um mir etwas Brot und Feigen für mein Frühstück zu besorgen, rief mir einer der Knechte, Irfan, zu, mitanzupacken, als er und 3 weitere mühsam einen Tisch hochhievten. Ich lief zu ihm, packte die Ecke des Holzes und gemeinsam konnten wir ihn in den kleinen Gastraum transportieren, der allem Anschein nach zu einer Abstellkammer umfunktioniert worden war. Während des Tragens hörte ich den Knecht leise fluchen: „Diese verdammten Tänzerinnen! Erst kommen sie um Stunden zu spät und dann verlangen sie von uns die Bühne zu vergrößern! Als hätten sie vor mit Tigern und Löwen zu tanzen, anstatt mit Ringen! Bei den Göttern, verflucht seien die Frauen!“ Während dieser Schimpftirade musste ich mehrmals schmunzeln. Irfan war ein herzensguter Kerl, vermutlich einer der wenigen liebenswerten Männer die ich je kennengelernt hatte – aber nie war er zufrieden mit irgendetwas. Zum Glück war er genau mit der richtigen Frau gesegnet worden, denn seine Verlobte Amina war ein Engel der Geduld. Ich hatte sie einmal getroffen, als Hadim Irfan hatte ausprügeln lassen, weil er zu spät zur Arbeit erschienen war. Um das Leben ihres Verlobten zu retten war sie bis zum Äußersten gegangen. Unangenehm berührt schüttelte ich den Kopf um das Spukbild zu vertreiben. Es gab Dinge über die man nicht nachdenken dufte, wenn man bereits 17 Lebensjahre zählte und weder Mann noch Familie hatte. Die Stunden vergingen kriechend. Hadim war zur Hochform aufgelaufen und sein alter, zahnloser Mund schrie Beschimpfungen in alle Richtungen. Niemand entkam heute seinen scharfen Augen. Nicht, wenn alles perfekt für den Berater des Sultans sein sollte. Gerade als ich in der Küche Kohle für den Ofen nachlegte, hörte ich das Klopfen seiner Krücke auf dem Boden. „Beeilung Mädchen! Für was gebe ich dir denn zu essen, wenn du nicht einmal imstande bist einfachste Arbeiten zu erledigen? Etwas so Undankbares wie dich habe ich in all meinen Jahren noch nicht erlebt!“ Ich hörte auf, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Jedes Mal wenn Gäste kamen, musste ich mir diesen Vortrag von ihm anhören. Natürlich hatte er auf der einen Seite Recht und ich schuldete ihm Dankbarkeit dafür mich aufgezogen zu haben. So habgierig und machtsüchtig Hadim auch war, so hatte er mich doch aufgenommen als meine Eltern mich als Baby in einem der Zimmer des Alten Kaftans zurückgelassen hatten. „Ohne je einen Peso von dir zu verlangen!“, fuhr er seine Litanei wie immer fort. Nein, Geld hatte er von mir nie gewollt, wohl aber vollkommenen Gehorsam, wie von seinen anderen Dienern auch. Wenn Hadim etwas sagte, wurden Himmel und Erde umgekrempelt, bis sein Befehl erfüllt war. Und sollte das nicht schnell genug passieren, war der alte Mann immer rasch mit seiner Peitsche gewesen. Egal ob Köche, Knechte oder leibeigene Diener, keiner war von ihm verschont geblieben. Am allerwenigsten ich. Aber alles schien gut zu laufen, die Tänzerinnen waren zwar noch nicht da, die Bühne jedoch fertig dekoriert und die Öfen liefen auf Hochtouren. Den ganzen Tag verbrachten die Mägde und Knechte des kleinen Gasthofes emsig mit Putzen, Kochen und herrichten des ganzen Hofes, den ich zum Schluss noch nie in größere Pracht erstrahlen hatte sehen. Jetzt fehlte nur noch Kaseng selbst. Doch der alte Berater des Sultans, der ohnehin für seine Unpünktlichkeit bekannt war, ließ sich nicht blicken. Als die Sonne langsam schon am Horizont unterging, gab auch ich meine Habachtsstellung auf und setzte mich an eines der Fenster. Gelangweilt ließ ich meinen Blick über die leere Straße gleiten. Der Alte Kaftan war das am weitesten außerhalb der Stadt gelegene Gasthaus Shridas, und so kam selten etwas den alten, ausgepferchten Weg entlang der von den Mangohainen und den Palmenwäldern in die Wüstenstadt führte. Oft schon hatte ich die reichen Händler mit ihren Wächtern und Dienern gesehen, wie sie vollbepackt in die Stadt einzogen. Noch öfter jedoch hatte ich mir gewünscht mit ihnen zu ziehen. Ich wusste, dass ich es schaffen könnte. Hadim konnte sagen was er wollte – in mir steckte etwas Großes. Nur hatte ich es bisher noch nicht finden können. Plötzlich nahm ich eine Bewegung im Dunkeln des Mangohaines war. Verwundert kniff ich die Augen zusammen. Da ertönte aus der Ferne ein Horn. Alarmiert sprang ich auf. Kaseng war da! Die Angehörigen des Palastes führten immer ein Horn mit sich auf ihren Reisen, so dass sie Shridas Garde, die an den Stadtmauern kampierte, ein Zeichen gaben sie nicht anzugreifen. Hastig betrat ich den Gastraum, der von der stundenlangen Arbeit sehr verändert war. Die Wände aus leicht fleckigem Sandstein waren mit edlen Teppichen bedeckt, goldene Öllampen hingen von der Decke und gut 2 Dutzend dicke Liegekissen bedeckten den Boden. Hadim hatte wirklich keine Kosten gescheut, den Berater zu empfangen. Wenn man vom Teufel sprach, da stand der alte Wirt auch schon am Fenster und starrte in die aufkommende Dunkelheit hinaus. War es möglich, dass er das Horn überhört hatte? Vorsichtig trat ich neben ihn. Sofort wandte er sich um. „Was ist los, Mädchen? Du solltest doch die restlichen Lampen anzünden und dich bereithalten wenn der Gast kommt! Was stehst du hier so unnütz herum?“ Ich schüttelte den Kopf und zeigte mit der Hand nach draußen. Kaseng konnte jede Minute hier sein! Hadim jedoch riss nur der heute ohnehin überspannte Geduldsfaden. „Mach gefälligst den Mund auf, Mädchen! Niemand führt Hadim Alkarra an der Nase herum!“ Mit diesen Worte schlug er mich heftig auf den Arm. Es tat nicht wirklich weh, ich hatte härtere Hiebe erhalten, aber ich hasste es dennoch. Es war nicht meine Schuld dass ich nicht. . . „Das Horn. Der Berater wird bald hier sein“, formten meine Lippen die Worte. Sofort ließ der alte Mann von mir ab. Trotz seines Alters hatte er gute Ohren. Alarmiert wandte er sich wieder dem Fenster zu. Obwohl nichts zu sehen war, schien er genug zu erkennen und warf sich herum. Seine Stimme hallte von allen Wänden wieder als er zu schreien begann. „ER IST HIER! WENN ES IRGENDEINER VON EUCH DRECKFRESSENDEN HUNDESÖHNEN WAGT, NICHT AUGENBLICKLICH BEI DER ARBEIT ZU SEIN, WERDE ICH SEINE EINGEWEIDE EIGENHÄNDIG AUF EINEN SCHASCHLICKSPIEß STECKEN UND ÜBER DEM FEUER RÖSTEN!“ Und so weiter. Ich hörte nicht mehr zu, denn ich war schon in die Küche gehuscht und hatte mich mit den anderen Mägden ans Fenster gedrängt, um von Hadim unerkannt einen Blick auf den Zug des Beraters zu erhuschen. Und wir wurden nicht enttäuscht. Bereits wenige Augenblicke, nachdem ich mich zwischen zwei schwitzende Küchengehilfinnen gezwängt hatte, erschien ein Reiter zwischen den Bäumen. Er ritt einen edlen Araber und war in den Farben des Sultans, weiß und gold, gekleidet. Gerade als er erneut sein Horn an den Mund legte, erschienen 10 weitere Reiter aus dem Hain. Ich konnte sofort sehen, dass es die Wachen des Beraters waren, da ihre Rundschwerter lang und gefährlich an ihren Seiten hingen und sie Pfeil und Bogen über den Schultern hingen hatten. Ich hielt den Atem an, als das Signalhorn zum zweiten Mal ertönte. Endlich trat auch Imran Kaseng persönlich auf die Straße. Er sah genau so aus wie die Händler ihn beschrieben hatten – markante Gesichtszüge, der lange schwarze Bart eines weisen Mannes und die Goldketten eines Reichen. Hoch erhoben saß er auf seinem Ross. Er ließ einen müden Blick über die Ebene wandern, bis er das Gasthaus erkannte. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Gesichtszüge, als er das Signal zum Weiterzug gab. Und schon schossen er und sein schwarzer Hengst voran. Die Wachen hatten Mühe ihn in einem Kreis zu umschließen. Die Mägde rannten sofort zu den anderen Fenstern, um einen besseren Blick auf ihn zu ergattern, als er die Straße entlang ritt. Ich jedoch folgte einem inneren Impuls und blieb. Und als man das Getrampel der Pferde schon hören konnte, sah ich tatsächlich noch jemanden aus dem Hain heraustreten. Es waren 3 kräftige Kamele, die, müde von Tagesritt nicht mehr mit den Pferden mithalten konnten. Sie waren schwer beladen. Auf ihren Rücken saßen, mehr schlecht als recht, 6 Frauen, die sich mit aller Kraft in den Sätteln halten mussten, um nicht zu fallen. Verwundert runzelte ich die Stirn. Warum hatte der Berater des Sultans eine Karawane an Frauen im Schlepptau? Ich beugte mich weiter nach vorne, um sie besser sehen zu können, als mich ein harter Schlag gegen den Kopf Sterne sehen ließ. Hinter mir hörte ich Umars schneidende Stimme. „Gefällt dir das, Mädchen? Den ganzen Tag am Fenster zu sitzen und nichts zu tun? Du bist wirklich dümmer als ich dachte. An die Arbeit, bevor ich dir deine Haare ausreiße.“ Ich sah ihn ausdruckslos an. Seit Jahren hatte Umar keine Gelegenheit ausgelassen mich zu beleidigen, weil er genau wusste, dass ich Hadim nichts erzählen würde. So würde es auch heute sein. Also nickte ich nur stumm und drehte mich um, um mit den anderen Mägden Essen auf die Teller zu laden. Doch der breite Arm des Knechtes versperrte mir abermals den Weg. „Nicht in die Küche, Mädchen. Jasira kocht besser als du, und wir haben hier genug Leute – du wirst bedienen. Damit du endlich mal was von dir zeigst.“ Fassungslosigkeit stand in meinem Blick, als ich ihn einen langen Moment anstarrte und dann ein in Leinen gewickeltes Bündel entgegennahm. Ich hatte von mir geglaubt, über Emotionen wie Wut zu stehen. Ich hatte geglaubt, es gäbe für mich keine Steigerung des verständnislosen Kopfschüttelns und dem emotionslosen Schulterzucken. Aber in diesem Augenblick war ich kurz davor, zum ersten Mal in meinem Leben, zu schreien. Umar starrte mich erwartungsvoll an, sein unrasiertes Gesicht glänzend vor Schweiß. „Möchtest du etwas sagen, Kleines? Oh, nein, richtig – Reden tust du ja nicht.“ Er lachte sein kehliges Lachen, dass mir immer einen schmerzhaften Schauer über den Rücken jagte. Kopfschüttelnd wandte ich mich um. Nicht hier. Nicht für ihn. Ich nahm die kleine Hintertreppe zu den oberen Stockwerken. Leise stahl ich mich durch die dunklen Korridore zu meiner Kammer, dabei wohlweislich auf den Zehenspitzen gehend, um ja kein Knartzen der Dielen zu beschwören. Endlich in meiner Kammer angelangt, hatte ich mich auch schon wieder einigermaßen beruhigt. Hadim hatte noch nie einen Deut auf mich gegeben, außer darauf wie verlässlich ich als Arbeiterin war, warum sollte er sich jetzt darum bemühen mich zu demütigen? Ihm war bestimmt nicht bewusst, wie groß die Schande für ein Mädchen meines Alters war Männer in einem Gelage zu bedienen, während die Tänzerinnen am Werk waren, dachte ich naiv. Für gewöhnlich war das die Aufgabe verheirateter alter Frauen oder Stundenmädchen. Für jeden, der nicht eins von beidem war, bedeutete es Verruf. Nicht, dass die Tochter eines Wirtes – ob jetzt leiblich oder eine Waise – besonders viel Ehre besäße. Dennoch fühlte ich mich wohler mich in der Küche mit den Mägden zu verstecken, wenn im Gastsaal ein Gelage abgehalten wurde. Kindische Furcht vielleicht – oder doch etwas mehr? Aber welche Alternativen hatte ich? Hadims Befehl zu verweigern wäre Selbstmord. Er war noch nie zimperlich mit irgendjemandem umgegangen - seine erste Frau hatte er sogar tot geprügelt, weil sie sich weigerte auf des Wirtes Befehl die Annäherungsversuche eines reichen Gastes zu erwidern. Damals hatte ich mich hinter einem Vorhang versteckt gehalten, bis das Blut der Frau die Dielen durchnässt hatte. Und ich wollte nicht sterben. Also blieb nur noch das Kostüm. Mit zitternden Händen ging ich die Treppe hinab. Das Kleid, das praktisch nur aus einem roten, halbdurchsichtigen Tuch bestand und das ich mir um die Handgelenke und den Körper gewickelt hatte, zeigte mehr als es verdeckte. Mit bedrückender Gewissheit war ich mir jedes Blickes der Mägde, die in Scharen auf und ab liefen, bewusst. Ich hatte nie wirklichen Anschluss unter ihnen gefunden. Nicht, weil ich etwas gegen sie hatte – sie waren mir höchstens vollkommen gleichgültig - eher weil sie nie versucht hatten sich mir zu nähern. Stummfisch nannten sie mich hinter vorgehaltener Hand. Verübeln konnte ich es ihnen ja nicht. Aber vielleicht hätte ich mich in früheren Jahren mehr um sie bemühen sollen, einfach um mehr Standfestigkeit im Haus zu erlangen. Jetzt, da ich schon fast 18 Jahre zählte, hatte ich mir, als die Tochter des Wirtes, noch immer nicht den nötigen Respekt – in erster Linie vor mir selbst – erarbeitet. Wie wenig einen doch an einem Orte hielt . . . „Tamima! Träumst du schon wieder? Wo hast du denn den Schleier her?“, wurde ich von Irfan aus meinen Gedanken gerissen. Er hatte verwundert die Augenbrauchen hochgezogen und musterte mich von oben bis unten. Ich lächelte ruhig, und formte wortlos mit den Lippen die Silben „Ha – dim.“ Der junge Mann legte den Krug mit schwerem Met, den er soeben noch getragen hatte, ab. „Lass mich raten. Umar hat sich wieder bei dem Alten schön geredet und dir Ärger gemacht? Wenn ich den in die Finger bekomme...“ Er hob drohend die Hand, was mich zum lachen brachte. Der gute alte Irfan hatte mir schon geholfen, als ich noch in den Tragetüchern der Köche die Tage verbrachte, und stand mir noch immer zur Seite. Aber heute war es eine schlechte Zeit, um den Helden zu spielen. Ich ergriff seinen Arm und zwang ihn mich anzusehen. „Bitte nicht. Es würde alles nur . . .“ Ich verstummte und ließ mein unnatürlich langes Flüstern in meinem Kopf abklingen. Er sah mich traurig an. Dann hob er den Krug wieder auf seine Schultern. „Eines Tages kommst du hier raus, Tami. Da bin ich mir sicher. Kopf hoch. Und nicht schüchtern sein bei den Gästen!“ Rief er mir noch hinterher als er schon die Treppe zum Keller halb hinabgerannt war. Ich stimmte ihm im Geiste zu. Die Küche war so vollgestopft wie ich sie noch nie erlebt hatte. Teller, beladen mit Essen und Fässer voller Met und Wein, stapelten sich überall auf Bänken, Tischen und Platten. Die Öfen liefen auf Hochdruck und gut ein halbes Dutzend Kinder aus der Außenstadt waren damit beschäftigt den schwitzenden Köchen die Zutaten zu reichen. Hadim schien keine Kosten gescheut zu haben um alles zu Kasengs Zufriedenheit auszurichten. Wo man vom Teufel sprach, da stand der alte Mann an einem der Tische und beobachtete seine Diener, wie sie in der Hitze der offenen Feuern halb gegart wurden. Anscheinend war die Begrüßungszeremonie bereits vorüber und die Tänzerinnen hatten ihre Show begonnen. Als hätte er meine Gedanken gehört, wandte er sich um. Bei meinem Anblick begann er seinen weißen Bart mit seinen Fingern zu zwirbeln, etwas was er immer tat wenn alles zu seiner Zufriedenheit ablief. „Ah, mein gutes Mädchen. Du bist früh. Die anderen haben sich noch Zeit genommen, um sich herzurichten. Geh schon mal in den Gastraum und halte dich bereit, sollten unsere ehrwürdigen Gäste etwas brauchen. Wir haben hier eine große Gesellschaft heute. Der Berater, seine Wachen, der Fahnenmann und ihre edle Fracht. Da brauchen wir genug Leute, um sie bei Laune zu halten.“ Bei den Worten rieb er sich freudig die Hände. Er machte ein Vermögen heute, keine Frage. Kapitel 2 - Ein kleiner Vorfall ------------------------------- Damit stieß er mich auch schon in den mit Lampen erleuchteten Saal. Die Atmosphäre um mich herum veränderte sich mit einer solchen Geschwindigkeit, dass ich mir wie in ein anderes Haus versetzt vorkam. Hatten gerade noch geschäftiger Lärm, gehetzte Streitgespräche und unterdrücke Flüche den Raum erfüllt, so war im Gästesaal nur die leise Musik der Tänzerinnen und das Lachen der Männer zu hören. Ich schätzte die Gesellschaft auf etwa 13 Mann, die Wachen vor der Tür nicht mit eingeschlossen. Der Berater selbst war leicht aus der Gruppe seiner Untergebenen auszumachen. Die prunkvolle Kleidung und der teure Turban gebührten nur jemandem von hohem Rang. Auch hatte er den erhabenen Blick und die weltgewandte Gestik eines Mannes, der schon sehr viel erlebt hatte. Wie hypnotisiert beobachtete er das Werk der Tänzerinnen, die wohl soeben begonnen hatten. Doch mir blieb nicht viel Zeit ihn zu betrachten, denn eine laute Männerstimme, am anderen Ende des Saales, rief nach Bedienung. Das war dann ja wohl ich. So unauffällig wie möglich, huschte ich an der Wand entlang in die Richtung, in der ich meinen Gast vermutete. Erst als ich etwa die Hälfte des Raumes durchquert hatte, wurde mir klar, dass ich eigentlich keine Ahnung hatte wer genau mich gerufen hatte. Ich hob auf gut Glück den Kopf – und sah mich Auge in Auge mit den sechs schönsten Frauen gegenüber, die ich jemals gesehen hatte. Sie standen in der halb offenen Eingangstür des Gasthofes. Jede von ihnen war in edle Tücher gewickelt, solche wie es immer nur aus Erzählungen aus dem Palast vorkam und über und über mit Schmuck behängt. Einige trugen weite Schleier, andere waren noch in Reisemäntel gehüllt, da die Nächte in de Wüste sehr viel kälter waren als in der Stadt, und sie allesamt sahen aus, als wären sie kurz vor dem Erfrieren. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Den Frauen einen Platz anbieten, wie ich es normalerweise getan hätte? Aber die Gesellschaft heute war geschlossen und der Alte Kaftan ausverkauft. Doch konnte ich mit gutem Gewissen die frierenden Grazien vor die Tür werfen? Die Entscheidung wurde mir abgenommen, als vom Küchendurchgang Hadims laute Stimme ertönte. „Habt ihr Euch etwas aufgewärmt, Teuersten? Es tut mir so unendlich Leid, dass wir Euch nicht besser in Empfang nehmen konnten – doch wie ich bereits dem hochwohlgeborenen Berater erklärte, gab es ein furchtbares Missverständnis mit meinen Dienern. Sie dachten allen ernstes Ihr wäret . . .“ Er gestikulierte wild mit den Händen, überraschend agil für sein Alter. Die ihm am nächsten stehende Frau, eine hochgewachsene Schönheit mit roten Haaren und in einen dicken Umhang gewickelt, hob souverän eine Braue. Sofort verstummte der Wirt. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen – hatte der große Hadim gerade vor einer Frau gekuscht? „J-jedenfalls werden sie dafür bestraft werden, das versichere ich Euch. Und nun, darf ich Euch zum Feuer geleiten damit ihr Eure armen Knochen aufwärmen könnt?“ Er führte sie mit einer fließenden Handbewegung, ohne einmal seinen Redeschwall zu unterbrechen, zu einigen Sitzkissen am anderen Ende des Gastraumes, wo die Feuer gerade entfacht worden waren. Ungläubig starrte ich ihnen nach. Noch nie hatte ich erlebt, dass der Wirt so demütig mit „Weibern“ gesprochen hatte. Wer waren diese Schönheiten nur? Königinnen aus den Ländern, die Kaseng bereist hatte? Ein harter Ruck an meinem Haarschopf, den ich mir mit einem Band sorgsam zurück gebunden hatte, ließ mich auffahren. Umars fiebrige Augen glotzten mich dumpf an. Er beugte sich zu mir herunter und zischte: „Was stehst du hier herum, du dumme Gans? Wir haben wichtige Gäste und alles was du tust, ist wie ein Kamel vor dem Stadttor zu stehen? Soll der Berater etwa denken, wir würden unsere Mädchen nicht erziehen? Los, bring seinen Männern Met, bevor ich dir Beine mache!“ Mit diesen Worten drückte er mir ein Tablett mit Eisenkrügen in die Hände und schubste mich von der Wand weg, mitten zwischen die grölenden Wachmänner, die dem Schauspiel der Tänzerinnen auf der Bühne begeistert zusahen. So unauffällig wie möglich, reichte ich jedem einen Krug mit dem süßlichen Getränk, während ich verstohlen immer wieder verwunderte Blicke zu den Frauen in der Ecke warf, die nun Mäntel und Schleier abgelegt hatten. Ich hatte mich nicht geirrt – ihre Schönheit stellte sogar die Tänzerinnen weit in den Schatten. Aber was hatten sie in Gesellschaft des Zuges des Beraters zu suchen? Da winkte mich eine von ihnen herüber. Mit dem leeren Tablett unter dem Arm schlängelte ich mich zwischen den Männern hindurch, die mich keines Blickes würdigten und nur unwillig grunzten, als ich über Beine und Kissen stieg. Von draußen herein drang das Getrampel von angebundenen Kamelen. Erst da fiel mir wieder ein, dass ich ja länger am Fenster gesessen und so die kleine Kameltruppe entdeckte hatte, die den Reitern gefolgt war. Mit Sicherheit waren die sechs in Seide gehüllten Frauen vor mir. dieselben wie die auf den Tieren. Doch warum zogen Frauen, die eindeutig nicht den Status von Huren hatten, mit dem Berater des Sultans auf einfachen Kamelen mit? Endlich war ich bei ihnen angekommen und die, die mich hergerufen hatte, erhob sich halb von ihrer Position auf den Kissen. „Uns ist noch kalt, Magd. Bring uns doch etwas, um uns aufzuwärmen.“ Sie strich sich mehrmals ihre dunklen Locken aus dem Gesicht, während sie sprach. Sie hatte einen sehr bäuerlichen Akzent, der im starken Kontrast mit den edlen bernsteinfarbenen Augen stand, die das dunkle Gesicht verzierten. Ich nickte nur und wand mich um. Obwohl sie zweifellos eine der bezaubernsten Frauen war die ich jemals gesehen hatte, hatte ihr Gehabe nichts Wertvolles an sich. Sie hätte genauso gut eine Leibeigene sein können, wäre sie nicht in edle Stoffe gehüllt gewesen. Als ich die Küche betrat, empfing mich hektischer Betrieb. Die anderen Dienerinnen, die heute zur Bedienung eingeteilt worden waren, schienen allesamt von den Tänzerinnen in Anspruch genommen worden zu sein. Auch fehlten wegen einer kürzlichen Seuche 2 der Köchinnen. Und einige Knechte – unter ihnen auch Irfan – hatten sich mit Bier und Met zugetrunken und schliefen im Keller. Wenn Hadim davon erfuhr, waren sie so gut wie tot. Ich schob zwei der Kinder, die zur Aushilfe aus der Stadt herbeigeholt worden waren, beiseite und goss heiße, mit Feigenwein versetzte Kamelmilch in sechs Schalen. Das Kind neben mir schien mich zu beobachten. „Sind die für die Haremsdamen? Bei den Göttern, so schöne Frauen hab ich noch nie gesehen!“ Das Mädchen neben ihm schien darüber erzürnt zu sein und plapperte etwas dem ich keine Beachtung mehr schenkte. Haremsdamen? Es machte Sinn, an ihrer Schönheit gemessen. Doch warum sollte der Berater seinen Harem mit auf eine Reise nehmen? Es wurde als unmännlich angesehen seine Frauen überallhin mitzuschleppen. Verwundert runzelte ich die Stirn. Nun ja, es war ja nicht meine Sache. Wieder im Gastraum angekommen, schien die Stimmung wie gewandelt zu sein. Die entspannte Atmosphäre von vorhin war einer ausgelassenen Trunkenheit gewichen. Wieviel Wein hatten die Männer des Beraters denn schon bekommen? An der Wand entlang huschend, bahnte ich mir einen Weg zu den weiblichen Gästen vor. Auch sie schienen schlagartig besser gelaunt zu sein, als sie ihre Getränke sahen. Während ich sie austeilte besah ich mir die Frauen etwas genauer. Einige von ihnen waren noch halbe Mädchen, nicht älter als ich. Überhaupt nicht so, wie die erfahrenen Haremsdamen von denen ich gehört hatte, die oft mehrfache Mütter waren. Wären sie nur nicht so unfreundlich gewesen, hätte ich fast ihren Gesprächen zuhören mögen, nur um in ihrer Nähe zu sein. Doch nur eine Einzige nahm überhaupt Notiz von mir, eine der Älteren, die, die vorhin so gekonnt Hadim mit einem Blick in die Schranken gewiesen hatte. Sie sah kurz auf, als ich ihr ihre Schale reichte und ich warf einen Blick auf ihr sehr ungewöhnliches Gesicht. Ihre Augen waren eine Spur zu groß für die feinen Gesichtszüge, das Haar zu rötlich um aus diesen Gefilden stammen zu können, die Lippen sehr dunkel. Sie lächelte mich kurz an, als sie ihr Getränk entgegennahm. „Danke dir“, war ihre kurze Entgegnung und schon wandte sie sich um, um wie die anderen die Tänzer zu beobachten. Als ich nur noch eine Schale zu verteilen hatte, richtete sich die Letzte der Damen auf. Sie zeigte einen sehr gelangweilten Gesichtsausdruck und hatte einen Schmollmund der ihr ein etwas lahmes Aussehen vermittelte, jedoch die Oberweite und Hüften einer zweifachen Mutter. Umwirsch fuhr sie mich an: „Kamelmilch? Willst du mich etwa beleidigen, du Trampel? Bring mir etwas Besseres, aber mach schnell!“ Ich starrte sie nur fassungslos an. Keiner unserer Gäste hatte sich je herausgenommen so mit den Bediensteten zu sprechen – schon gar keine Frau die vermutlich weniger Jahre zählte als ich. Noch bevor ich reagieren konnte, drückte sie mir mein Tablett, mit einer für ihren weiblichen Körper erstaunlichen Gewalt, fest in die Hände und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Dann ging alles schrecklich schnell. Das Gleichgewicht verlierend versuchte ich mit den Händen wedelnd, mich vor einem Sturz zu bewahren, doch ich hatte nicht an die heiße Kamelmilch in meiner Hand gedacht, die mir nun in hohem Bogen entglitt. Noch bevor ich auf dem Boden aufkam war mir klar, dass Hadim mich umbringen würde. Neben mir hörte ich einen lauten Fluch. So schnell ich konnte zog ich mich, noch immer am Boden, auf die Knie hoch und wandte mich um, in der Hoffnung nicht allzu viel Schaden angerichtet zu haben. Aber es schien, als wären mir die Götter nicht hold. Einer der Wachen, ein wahrhafter Riese, der kaum 2 Schritte von mir auf den Kissen gelegen und die Tänzerinnen beobachtet hatte, sprang ruckartig auf. Auf seinem Schoß lag meine Schale, jedoch leer. Um sie herum breitete sich mit beunruhigender Geschwindigkeit ein großer, dunkler Fleck aus. Noch bevor ich Zeit hatte mich aufzurichten, hatte er sich mit einem Brüllen auf mich gestürzt und zog mich so fest an den Haaren hoch, dass ich schmerzerfüllt das Gesicht verzerrte. Doch es war noch nicht vorbei. Über mir hörte ich ihn donnernd brüllen. „UNWÜRDIGE! SO ETWAS UNFÄHIGES WIE DICH HABE ICH AUF ALL MEINEN REISEN NOCH NICHT ERLEBT! DICH WERDE ICH LEHREN WIE MAN EINEN MANN DER GARDE DES SULTANS BEHANDELT!“ Ich hörte wie er sein Rundschwert aus der Scheide zog und es auf meinen erhobenen Arm niedersausen ließ. Angsterfüllt schloss ich die Augen. So sollte ich also enden. Ohne meinen Arm war ich zu nichts zu gebrauchen – selbst wenn ich die Genesung überleben sollte. Hadim würde ebenso wenig einen Peso in meine Erhaltung stecken, als er sich todesmutig zwischen die Klinge und mich werfen würde. Hoffentlich nur war das Schwert auch scharf genug, damit er nicht mehrmals zuzuhacken hatte. In Erwartung des Schmerzes, der mich jeden Moment durchfahren würde, senkte ich den Kopf. Doch das erwartete Martyrium blieb aus. Wollte dieser Mann etwa, dass ich aufsah und ihm ins Gesicht blickte, während er mir den Arm abhackte? Das konnte niemand von mir erwarten. Stur hielt ich die Augen geschlossen und weiter den Kopf gesenkt. Doch nichts geschah. Regungslos verharrte ich. Plötzlich war es sehr still in meiner Dunkelheit geworden. Beunruhigend still. Die Musik der Tänzerinnen war verstummt und das Lachen der Männer verebbt. Nicht einmal mehr das gedämpfte Werken aus der Küche war zu hören. Seltsamerweise war auch die zerrende Hand in meinem Haar verschwunden. Nach einem langen Moment der Stille öffnete ich die Augen halb und schielte vorsichtig nach oben. Der Mann über mir hielt noch immer seine Waffe hoch erhoben, so als wolle er gerade den finalen Schlag tun. Doch tat er es nicht. Und jetzt sah ich auch warum. Ein anderer Arm hatte sich um den seinen geschlungen und hielt ihn zurück. Verwirrt richtete ich mich etwas auf. Ein anderer Bewacher des Beraters hatte sich hinter den ersten gestellt und hielt ihn mit aller Kraft davon ab zuzuschlagen. Verwirrt sah ich mich um. Zu meinem Erstaunen waren die Augen aller von mir abgewendet und auf einen Punkt in der entgegengesetzten Richtung gerichtet. Als ich den Blicken der anderen folgte, erkannte ich auch was mich soeben gerettet hatte: Kaseng. Der Berater des Sultans hatte seine Hand erhoben und hielt die Handfläche ausgestreckt. Anscheinend ein Signal an seine Männer, den Riesen neben mir aufzuhalten. Aber warum? Fragend sah ich ihn an, den Mann, dessen Frauen hinter mir saßen, und dem ich mein Leben verdankte. Sein Blick traf meinen augenblicklich. Die dunklen Augen hatten mich scharf ins Visier genommen und beobachteten jede meiner Bewegungen mit einer Intensität die mir das Gefühl gab, als würde er direkt durch mich hindurch sehen können. Ich stand vorsichtig auf, bemüht mich trotz der Schmerzen auf meiner Kopfhaut mich so gerade wie möglich zu halten. Sogar durch meine Verwunderung und den Schock hindurch emfand ich tiefe Angst vor seinem Blick. Er bedeutete nichts Gutes. Kaseng senkte langsam die Hand und endlich kehrte wieder Leben in seine Gefolgsleute zurück. Die beiden Männer neben mir, die nach wie vor ineinander verkeilt waren, ließen voneinander ab und auch die Tänzerinnen nahmen ihre Arbeit wieder auf, als wären sie aus einer plötzlichen Trance erwacht. Es schien, als sie nichts geschehen, und endlich erschienen auch die anderen Bedienerinnen aus der Küche, mit Tabletts voller Met, süßen Weinen und Speisen. Der Mann der Garde, der mich angegriffen hatte, blieb als einziger stehen, seine Arme noch immer bebend. Einer der anderen Männer rief ihm etwas Scherzhaftes zu, dem allgemeines Gelächter folgte. Die Atmosphäre entspannte sich zusehends und ich bückte mich um das Tablett und die Schale aufzuheben. Mit hastigen Schritten lief ich auf die Küche zu. Noch bevor die Tür hinter mir zugefallen war, hatte Hadim mich eingeholt. Ich hatte den alten Mann in meinem Leben noch nie so erbost erlebt. Die Ader auf seiner Stirn pulsierte gefährlich und er zupfte und zerrte an seinem Bart, als wollte er ihn ausreißen. Dann schnellte er nach vorn und griff mir unter das Kinn, zog meinen Kopf zu sich herauf. „Was glaubst du, was du da eben getan hast?“, flüsterte er. Selbst wenn ich antworten hätte wollen, in dieser Position war es mir unmöglich. Seine Han hatte sich um meinen Kiefer geschraubt und hinterließ schmerzhafte Druckstellen auf meinem Kinn. Doch das schien ihn nur noch mehr aufzuregen. In Windeseile zog er mich von der Tür weg und auf einen Seitenkorridor. Seine Stimme überschlug sich, als er anfing zu schreien. „WAS GLAUBST DU, WAS DU DA EBEN GETAN HAST?“ Ich wollte ihm sagen, dass es ein Unfall gewesen war, dass mich eine der Frauen gestoßen hatte, doch wie immer versagten mir meine Stimmbänder den Dienst. Es war wie eine eiserne Faust die sich um sie legte, sobald ich versuchte mehr als ein Flüstern herauszubringen. Damit hatte ich zu leben gelernt, war es ja, seit ich denken konnte, niemals anders gewesen. Doch nie, niemals hatte ich es so sehr gehasst wie in diesem Augenblick. Hadim schrie weiter, seine Nase kaum Fingerbreit von meiner entfernt „DU HAST DICH VOR DEM BERATER DES SULTANS BENOMMEN WIE EIN KAMEL! Er hätte uns alle umbringen lassen können!“ Er presste den letzten Satz zwischen den Zähnen heraus, wollte nicht, dass er gehört würde. Anscheinend des unterdrückten Schreiens müde geworden, fing er an mich zu schlagen. Gegen den Arm, den Rücken, das Gesicht. Ich zuckte nicht zusammen, nicht einmal, als ich spürte wie sich seine Nägel in das Fleisch meiner Schulter bohrten. Dann sah er sich um, wohin er seinen Stock gelegt hatte. Diesmal erstarrte ich. Hatte er vor, mich vor den Kindern, Mägden und Köchen im Korridor umzubringen? Da erschien durch die Tür zum Gastraum Jasira, eine der Bedienerinnen. Sie trat an ihn heran und versuchte, sich Gehör zu verschaffen. Zuerst ließ Hadim sich nicht davon abhalten, bis sie ihn direkt ansprach, offenbar verängstigt von seinem unermüdlichen Versuch mir die Knochen zu brechen. „Herr. Herr so hört mich doch an! Es ist wichtig!“, flehte sie, an seinem Kaftan ziehend. Der Wirt gab mir einen letzten Stoß, der mich rücklings gegen einen Tisch warf, bevor er sich der jungen Frau zuwandte, die mir einen besorgten Blick zuwarf. „Was ist los, Mädchen? Wenn du es wagst, dich wegen Nichts in meine Geschäfte einzumischen, dann -.“ Er hob drohend die Hand, doch sie schnitt ihm das Wort ab. „Nein, Herr, es geht um den Berater! Er hat mir befohlen Euch zu sagen, dass Ihr ihn treffen sollt, sobald das Fest vorüber ist. In seinem Zimmer!“ So schnell wie die Wut des Alten gekommen war, so schnell verschwand sie auch wieder und der Wirt verlor jegliche Farbe. Er sah aus, als wäre ihm der Teufel persönlich erschienen und hätte ihn zu einem Glas Tee eingeladen. So schnell wie ich konnte rappelte ich mich hoch und, obwohl mein Rücken und der Rest meines Körpers furchtbar schmerzten, lief ich zu den Bedienstetenzimmern. Mit einem verzweifelten Japsen, rannte ich in meine Kammer und zog die Tür hinter mir zu. Verzweifelt lehnte ich mich dagegen. Was konnte der Berater nur von dem Wirt wollen? Und, was noch wichtiger war – hatte es etwas mit mir zu tun? Kapitel 3 - Die Unterredung --------------------------- Ich wusste nicht, wie lange ich in meinem Zimmer saß und, die Knie an mich gezogen, schluchzte, doch irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein. Als ich von einem pochenden Geräusch hinter mir erwachte, war Hilal bereits aufgegangen und verbreitete sein silbernes Licht. Als ich die Augen aufschlug kehrte sofort kehrte meine Nervosität zurück. Wie lange hatte ich geschlafen? Waren Kaseng und seine Begleiter bereits zu Bett gegangen? Und was war mit Hadim? Wie war die Unterredung verlaufen? Mir wurde übel, als ich darüber nachdachte, was mir womöglich bevorstand, sollte der Berater sich bei dem Wirt über mich beschwert haben. Das Klopfen hinter mir wurde lauter. Erst da bemerkte ich wo ich war – noch immer mit dem Rücken an meiner Kammertür lehnend. Hastig stand ich auf und öffnete vorsichtig selbige. Ich war äußerst überrascht Jasira dort stehen zu sehen, mit einem Bündel Kleidung in Händen. Ich musterte sie fragend, während sie sich alle Mühe gab meinen Blick so ausdruckslos wie möglich zu entgegnen. Sie blickte unschlüssig zu Boden, und erst da bemerkte ich, dass ich noch immer das Kostüm trug, das nun vom Tragen zerknittert war und man durch den dünnen Stoff Blessuren sehen konnte. Endlich ergriff sie das Wort: „Hier, dein Kaftan. Wir haben ihn gewaschen, als du geschlafen hast. Gute Nacht.“ Damit drückte sie mir das Stück Stoff in die Hände und drehte sich um. Während ich die Tür leise schloss begutachtete ich es eingehender. Das war keines meiner Kleidungsstücke ... aber warum hatte sie dann ...? Ich riss die Tür wieder auf. Die nun grinsende Magd stand vor mir, so als wäre sie nie weggegangen. „Dachte mir schon, dass du’s begreifen würdest.“ ,fing sie sofort an, „Sieh mal, Stummfisch, ich mag dich ja fast. Ich will dir helfen. Hör zu.“ Sie holte tief Luft und warf vorsichtig einen kurzen Blick über die Schulter. „Der Alte ist gerade in die Kammer des Beraters gerufen worden. Du weißt schon, die die im obersten Stock, der direkt unter der Dachkammer, mit den vielen Löchern im Boden, liegt. Wenn du meinen alten Kaftan anziehst – für den du mir später aufkommen wirst – würde deine Kleidung nicht schmutzig werden falls ... nun ja. Wie gesagt, eine gute Nacht.“ Damit drehte sie sich um und ging den Flur hinunter, ihre weiten Leinenhosen in der Luft flatternd. Ich starrte ihr wie gebannt nach, als langsam die Bedeutung ihrer Worte zu mir durchsickerte. Sie hatte noch nie etwas Nettes für mich getan! Hastig huschte ich ihr nach und ergriff ihre Schulter. Sie erschrak deutlich. „Bei den Göttern, Mädchen! Du bist ja leiser als 'ne Katze auf der Jagd nach 'ner Wüstenmaus! Was gibt’s denn noch?“ Ich schluckte. „Warum?“ flüsterte ich. Sie lächelte halbherzig. „Ne Schande, dass du nicht sprichst, Kind. Du wärst tatsächlich was wert wenn du’s könntest.“ Sie schüttelte den Kopf. „Jedenfalls hab ich gesehn was die Hure des Beraters mit dir gemacht hat – und es war falsch, dass du dafür bestraft wurdest. Ich mag dich nicht sonderlich – aber Hadim ist ein Hurensohn ohne jede Würde. Und außerdem, vielleicht bekommst du ja wirklich Ärger und verschwindest von hier. Je früher du es weißt, desto besser“, fügte sie schnippisch hinzu. Ich konnte sie nur fassungslos anstarren. Der Gedanke, dass die Magd, die hinter vorgehaltener Hand Umar immer berichtet hatte wo ich war und was ich tat, plötzlich als helfender Engel erschien war so absurd, dass ich leise zu kichern anfing. Sie bemerkte es jedoch nicht, sondern schlenderte nur pfeifend die Treppe zu den Küchen hinab. Eine seltsame Frau, dachte ich bei mir. Jedoch verschwand meine Belustigung sofort, als mir wieder einfiel worüber Hadim jetzt wohl mit Kaseng reden könnte. Wenn ich tatsächlich das Thema der Unterredung war, war klar welche Stellung der alte Wirt einnehmen würde – die gegen mich. Traurig, dass das der Mann sein sollte dessen Erbe ich eines Tages antreten würde. Aber was, wenn Kaseng mich in den Kerker werfen lassen wollte? Was, wenn er nur seinen wütenden Wachmann aufgehalten hatte, damit es kein Blutvergießen im Gasthof gab? Er sich meine Strafe für später aufheben würde? Sollte ich in einem stinkenden Rattenloch verfaulen? Schließlich war er ein hoher Mann, er konnte alles machen was er wollte ... Doch warum hatte er mich dann nicht gleich hinaus eskortieren lassen? Warum gab er mir noch eine Nacht in meinem zu Hause? Die Überlegungen verursachten mir Übelkeit. Es half alles nichts – ich musste wissen was sie besprachen. Als ich die alte Dachkammer betrat, kamen mir bereits die ersten Zweifel. Es ist absurd von mir hier heraufzukommen., schalt ich mich in Gedanken. Vorsichtig schlängelte ich mich an ein paar alten Tischen vorbei. Schließlich ist der Berater ein vielbeschäftigter Mann, warum sollte er sich mit jemand so Unbedeutendem wie mir beschäftigen? Geschickt duckte ich mich unter einem Spinnennetz durch. Wann war hier das letzte Mal sauber gemacht worden? Vermutlich erinnert er sich gar nicht mehr an mich und mein Missgeschick. Warum auch? Es passierte bestimmt ständig, dass ... So leise wie möglich kniete ich mich auf den morschen Holzboden und legte meinen Kopf auf die Bretter. Bestimmt sprachen sie bereits über die überstandene Reise Kasengs, und vergessen war – „Das Mädchen, das beim Essen bedient hat.“ Das Blut in meinen Adern gefror. Das war ohne Zweifel die Stimme unseres hohen Gastes gewesen. Sie durchstach mich, laut und dunkel, wie ein Dolch als sie durch den dünnen Holzboden drang. Und er hatte mich doch nicht vergessen. Panisch darauf bedacht nicht gehört zu werden, legte ich mich flach auf den Boden. Mein letztes Stündlein hatte geschlagen. Bestimmt würde ich zum Tode verurteilt werden. „Ja, genau die meine ich. Was könnt Ihr mir über sie erzählen, Wirt?“ Hektisch presste ich den Kopf gegen das Holz, ungeachtet der Staubwolke die mir in die Nase stob. Hadims leicht zitternde Stimme ertönte von unten. „Ein undankbares, kleines Ding ist das, Herr. Nichts als Ärger macht sie, jawohl! Hat noch nie etwas richtig machen können. Doch seid unbesorgt Eure Hoheit, sie wird ihre gerechte Strafe erhalten!“ Bis zu meinem Versteck war die unterdrückte Panik in Hadims Stimme zu vernehmen. Er bangt selbst um sein Leben, erkannte ich verblüfft. „Mir kam sie sehr tapfer vor“, murmelte der Berater. Es wurde still. „W-wie kommt Ihr ...?“, hauchte Hadim ungläubig. „Stell seine Herrschaft nicht in Frage, Wirt!“ Mit pochendem Herzen erkannte ich die Stimme des Mannes der mich bedroht hatte. „Schon gut, Hassim. Lass ihn los.“ Ein kurzer Moment der Stille folgte, nur von unregelmäßigem Keuchen durchzogen. „Sie hat keinen Laut von sich gegeben, als mein Mann ihr Leben bedrohte“, fuhr Kaseng, vermutlich an Hadim gewandt, fort. „S-sie spricht nicht, mein Gebieter.“ Plötzlich war die leichte Langeweile in der Stimme des Beraters, in Interesse umgesprungen. „Sie ist stumm?“ Offensichtlich verwundert über die Frage, fuhr Hadim nur stockend fort. „N-nein, das glaube ich nicht. Sie spricht schon, wenn man sie etwas fragt. Aber ohne Stimme. Sie flüstert. I-ich habe noch nie gehört, dass sie etwas laut gesagt hätte. Ich schätze, es ist eine Krankheit die ihre Stimme befallen hat.“ „Ist sie mit Euch verwandt?“, fuhr der Berater ruhiger fort. „Oh nein, Gebieter!“, beeilte sich Hadim zu erläutern, „Sie ist nichts weiter, als eine dreckige Waise.“ Etwas in meiner Burst krampfte sich zusammen, als er fortfuhr. „Ich habe sie aus reiner Herzensgüte bei mir aufgenommen und großgezogen, doch ist sie nicht von meinem Blute. Vielmehr ist sie -“ „Sie ist sehr schön.“ Wäre Unglauben schmerzhaft gewesen, hätten sowohl Hadim als auch ich in diesem Moment vor Schmerz aufgeschrieb. Was hatte er gerade gesagt? Ich konnte hören wie der Wirt scharf die Luft einsog und offenbar versuchte seine Überraschung zu verbergen. „J-ja, das ist sie wohl, Herr.“ „Ist sie noch von Wert?“ fragte der Berater, das letzte Wort überdeutlich betonend. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Warum fragte der Berater des Sultans nach meiner Jungfräulichkeit? „Selbstverständlich. Ich hätte niemals zugelassen, dass sie Euch unter die Augen kommt, wäre sie bereits . . .“ Eine Pause folgte und Schritte waren zu hören, so als ginge jemand im Kreis. Darauf bedacht, auch ja alles mitanzuhören was unten gesprochen wurde, presste ich den Kopf fester gegen die Bodendielen. „Wieviel?“ Die Stimme des Beraters war leise und bestimmt, doch wurden die ruhelosen Schritte schneller. „Ihr ... Ihr könnt das nicht ernst meinen, Hoheit! Sie ... sie ist nur eine niedere Magd! Ohne jegliche Herkunft!“ Plötzlich war ein metallisches Schaben zu hören, wie von einer gezogenen Waffe. Eine dunkle Stimme knurrte etwas, das ich nicht hören konnte. Erst nach einigen Augenblicken sprach Hadim weiter, jedoch klang er jetzt keuchend und gepresst. „Verzeiht mir Herr. Ich meinte nicht, Euren unfehlbaren Verstand in Frage zu stellen.“ Er verstummte, offensichtlich in der Hoffnung Absolution für seinen Fauxpas zu erhalten. Doch alles blieb still. Er fuhr zögernd fort. „Doch da gibt es etwas, dass Ihr nicht wissen könnt, Gebieter. Sie ist nicht ...“ Er schien nach Worten zu ringen. „Schon ihre Eltern müssen geahnt haben, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Und haben sie in einem meiner Zimmer zurückgelassen, mit nichts weiter als einem Vornamen. Stellt euch das vor! Ihre leiblichen Eltern haben sich nicht einmal die Mühe gemacht sie aufzuziehen! Ich verwette meine Ehre, Herr, ihr Blut ist befleckt.“ Die Schritte verstummten. Ich riss mich vom Boden los und schloss bittend die Augen. Bei allen Göttern, bitte lasst das alles nur ein Traum sein, flehte ich innerlich. Von unten war nichts mehr zu hören. „Ihr mögt Recht haben, Wirt. Doch ihre Herkunft wird nicht mehr von Bedeutung sein, sobald sie Euch verlässt.“ Mein zu Hause verlassen? „Aber Herr -“, begann Hadim, wurde jedoch von der donnernden Stimme des Beraters unterbrochen. „Ich will keine weiteren Einwände! Wagt es nicht, Euer Wort gegen das meine zu richten!“, zischte er mit einer plötzlichen Härte, die mich zusammen zucken ließ. „Wie Ihr wünscht, Hochwohlgeborener. Verzeiht meine Torheit.“ Das Zittern in des alten Wirtes Stimme war kaum zu überhören, als er fortfuhr. „Ich werde sofort jemanden zu ihr schicken, damit sie sich bereit hält, wann immer Ihr aufbrechen mögt.“ Ein Lehnsessel knarzte laut. „Gut“, ließ sich der Berater vernehmen. „In Anbetracht der Pläne, die ich für sie habe, sollten wir uns rasch auf einen guten Preis einigen.“ Ich richtete mich auf. Erst jetzt bemerkte ich die Tränen die mir über die Wangen liefen, und sich mit dem Staub und Schmutz zu meinen Füßen vermengten. So viel Schmerz wie noch nie stieg in mir auf. Meine Eltern. Ich hatte nicht oft über sie nachgedacht, es immer aus meinem Bewusstsein verdrängt. Mich mit dem Gedanken getröstet, dass sie einfach schlechte Menschen waren. Wer schließlich würde ein Baby in einem Gastzimmer zurücklassen? Auch Hadim hatte sie niemals erwähnt. Doch jetzt hatte er gesagt, es hätte an mir gelegen. Dass ich schmutziges Blut hatte, und er mich deshalb nicht gehen lassen konnte. Hatte er meine Eltern gekannt? Wusste er, warum sie mich verstoßen hatten? Hatte er ihre Beweggründe verstanden, sie vielleicht sogar darin bestärkt? Wie viel hatte man ihm wohl angeboten, damit er das schandhafte Kind aufnahm? Wieviel bezahlte man ihm nun, damit er es weiterreichte? Wie taub durchquerte ich die Dachkammer, zurück zu den Stufen, die hinunter führten. Ich hatte mir die ganze Zeit über eingeredet hier ein Heim zu haben. Die adoptierte Tochter des Wirtes, der trotz seiner Wutanfälle ein guter Mensch war. Erbin des Alten Kaftan. Eine Rolle die das Leben mir zugespielt hatte und die ich bereit gewesen war anzunehmen. Ich hatte mich so in sie hinein versetzt, dass ich am Ende tatsächlich gedacht hatte, sie wäre für mich bestimmt. Ich hatte mich selbst belogen. Für Hadim – oder meine leiblichen Eltern - war ich nicht mehr wert, als ein Kamel auf dem Markt. Und jetzt sollte ich wie eines verkauft werden. Zitternd öffnete ich die Tür, die aus der Dachkammer führte. Ich musste schnell zurück in meine Kammer, bevor Hadim sich daran erinnern konnte, jemanden - „Hast du genug gehört?“ Umar grinste mich schadenfreudig an. Ich blieb steif auf den Stufen stehen. Woher weiß er ...? Jasira, diese Schlange!Bei der nächsten Gelegenheit würde ich ihr Kamelkot in die Suppe tun ... falls es ein nächstes Mal gab. „Du solltest dein Gesicht sehen, Mädchen. Gefällt dir wohl nicht, was der alte Hadim wirklich über sein Töchterchen denkt, hmm?“ Stumm blickte ich zu ihm auf. Noch immer standen mir Tränen in den Augen, die ich verbissen versuchte am hinab rinnen zu hindern. Doch Umar lachte bloß. Wie ich ihn doch hasste. Ihn und die Gemeinheiten mit denen er mich seit Jahren traktiert hatte. Den Spott, die Verleumdungen. Vor meinem geistigen Auge sah ich einen Umar, der Hadim immer wieder Lügengeschichten über mich erzählte, was ich nicht alles falsch gemacht hatte. Die Schriemen auf meinem Rücken waren stumme Zeugen der Wirkungen dieser Taten. Umar, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit die unangenehmsten Arbeiten nur mir aufgehalst hatte. Umar, der immer an meiner Tür gelauscht hatte, sobald ich zu Bett gegangen war. Es war zu viel. Alles an ihm widerte mich an. Hasserfüllt funkelte ich ihn an und öffnete den Mund, wie um ihn anzuspucken. Und wenn es meine Kehle sprengen würde, dieses Mal würde ich den Schmerz ignorieren und ... Doch ich kam nicht dazu. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Arm über dem Kopf des Knechtes auf. Ein Arm, der mit einem dicken Holzstück bewaffnet war, das jetzt, den noch immer grinsenden Mann, hart am Hinterkopf traf. Noch bevor der verwunderte Gesichtsausdruck aus seinem Gesicht verschwunden war, sackte er wie ein nasser Lappen zusammen. Fassungslos starrte ich die Stelle an, an der er soeben noch gestanden hatte. Ein lautes Lachen neben mir riss mich aus meiner Trance. „Schau nicht so perplex, Tamima! Er hatte es verdient, dieser Hurensohn.“ Abfällig starrte Irfan auf Umars bewusstlose Gestalt. Ein breites Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Erst dann fiel sein Blick auf mich. „Das war schon lange fällig, ich ... was ist los, Kleine?“ Besorgt sah er mich an, als er die Tränen in meinen Augen entdeckte. „Hat dir dieses Stück Dreck etwas getan?“ Mir diesen Worten gab er dem Bewusstlosen noch einen gut gezielten Tritt in die Rippen. Er musterte mich besorgt. Ich blickte zu Boden. „Ist schon gut, Tami.“, murmelte er. „Bringen wir dich erst mal in die Küche, damit du etwas trinken kannst. Dann kannst du mir erzählen was geschehen ist, wenn du möchtest.“ Damit zog er mich sanft am Arm von Umar weg, der wie schlafend auf der Treppe lag. Kapitel 4 - Über Elternliebe und den Abschied --------------------------------------------- Die Flure und Küchen des Alten Kaftan waren wie leergefegt. Nicht eine einzige Magd schien noch auf den Beinen zu sein, kein Knecht ließ sich blicken, und sogar die Stallburschen hatten sich bereits zu Bett begeben. Offenbar war es später als ich geglaubt hatte. Hilal war zwar schon vor Stunden aufgegangen, doch noch graute der Morgen nicht. Irfan, der vor mir auf einem umgedrehten Fass lümmelte, nahm einen langen Zug aus seinem Krug, den er gut zum 10ten Male in dieser Nacht mit Met gefüllt hatte. Bereits seit Stunden saßen wir in der Bedienstetenküche und er hatte mir wortlos zugehört, als ich stockend über das Gespräch zwischen Hadim und Kaseng berichtete hatte. Jetzt legte er seinen Krug langsam ab und richtete sich halb auf, um mir eindringlich in die Augen zu sehen. „Und weißt du was genau der Berater von dir will? Vielleicht wird er dich gar nicht mitnehmen und handelt nur einen Preis aus, um dein Bett zu teilen. Du hast doch gesagt wie er dich beim Essen beobachtet hat.“ Ich schüttelte zweifelnd den Kopf. „Nein.“ flüsterte ich, „Das wäre unsinnig. Dafür hätte er Hadim nicht all diese Fragen über mich gestellt, und es bei simplem Feilschen belassen.“ Irfan nickte unwillig. Es leuchtete ihm ein. „Aber Interesse an dir hat er. Sonst wäre er überhaupt nicht bereit gewesen über einen Preis zu verhandeln. Dennoch, wenn er beabsichtigt dich mit ihm zu nehmen. . .“ plötzlich verstummte er, so als wäre ihm plötzlich eine Idee gekommen. „Hast du den Harem gesehen den er mit sich führte?“ Ich nickte, verharrte jedoch, als die Bedeutung seiner Worte langsam zu mir durchsickerte. Er konnte doch nicht. . . „Vielleicht sollst du seine neue Haremsdame werden.“, sagte er leise. Ich starrte ihn ungläubig an. Ich, die Mätresse eines so reichen Mannes? Nie im Leben! Irfan musste meinen zweifelnden Blick richtig gedeutet haben. „Denk doch darüber nach, Tami. Du bist sehr schön, jung und ungebunden. Nach mehr wird er wohl nicht gesucht haben.“ Ich winkte ab. Kaseng hatte bereits 6 unglaubliche Schönheiten, jede von ihnen ließ mich daneben absolut reizlos aussehen. Ich versuchte es Irfan zu erklären, doch er unterbrach mich. „Tamima, sei nicht naiv. 6 Frauen sind für einen Mann seines Amtes doch nichts! Sogar einige meiner Freunde haben 3 oder 4 Frauen – da wäre es eine Schande für den Berater des Sultans nur. . .“ er verstummte, als er den traurigen Ausdruck auf meinem Gesicht sah. Ich konnte meine Gram über die ungerechte Behandlung der Frau in unseren Länder nicht verbergen. Obwohl ich seit Langem wusste wie die Dinge in den Ländern der Sonne standen, bekümmerte es mich immer noch dass eine Frau nicht selten noch unter den Dienern gewertet wurde. Anders als die anderen Märkte hatte ich mich nie damit abfinden können und konnte ihre Schwärmeereien von Heirat, Kindern und einem reichen Mann nicht teilen. Denn die reichen Frauen wurden zwar mit Schmuckstücken und Luxus überschüttet, aber frei waren auch sie nicht. Und je ärmer sie wurden, desto schlechter stand ihre Position. In den meisten Fällen musste sie sich als zweite oder weitere Frau eines Mannes zufriedengeben. Ich seufzte. Ob meine Mutter auch nur eine Mätresse gewesen war? Oder womöglich eine Hure? „Es ist was der alte Hadim über deine Eltern gesagt hat, oder?“ Ich sah zu Irfan auf. Wie schon so oft hatte er meine Gedanken erraten. Noch bevor ich irgendetwas erwidern konnte bildeten sich erneut Tränen in meinen Augen und beschämt schloss ich die Lider. Als ich eine vorsichtige Berührung an meiner Wange spürte, zuckte ich zurück und riss die Augen auf. Der Knecht hatte mitten in der Bewegung innegehalten, die Hand in der Luft verharrend. Anscheinend hatte er versucht mir die Tränen wegzuwischen. Ich lächelte halbherzig. „Er hat gesagt ich hätte beflecktes Blut. Was wenn meine Eltern . . .“ ich beendete den Satz nicht. „Ich habe deine Eltern da anders in Erinnerung.“, flüstere er. Überrascht richtete ich mich auf. Irfan hatte meine Eltern gekannt? Ich sah in auffordernd an. „Damals war ich noch ein halbes Kind, kaum mehr als so groß“, er hielt die Hand an seinen Brust. „Es war lange Zeit bevor Hadim mich als Knecht aufnahm. Ich arbeitete als einfacher Stallbursche, oder mal hier, mal da, als deine Eltern den Alten Kaftan aufsuchten. Ich schwöre dir ich habe ihr Andenken nie aus meinem Gedächtnis vertreiben können.“ Seine Stimme klang weit entfernt als er sich erinnerte. „Sie sind beide auf edlen Pferden angeritten, weißen Hengsten, so wie man sie nur in den westlichen Ländern findet. Ich dachte sie wären reiche Bürger, oder Ähnliches. Dennoch waren sie einfach gekleidet und benahmen sich nicht mit dem den Städtern eigenen Hochmut. Doch sie bezahlten mit echten Goldstücken. Und sie hatten ein kleines Baby bei sich.“ er sah mich an, und in seinen Augen spiegelte sich der Glanz von Erinnerung. „Sie blieben nur wenige Tage und sprachen nicht viel mit den anderen Gästen. Wenn man sie ansprach und nach ihrem Verdienst fragte, oder woher sie kamen, waren sie sehr zurückhaltend. Sie ließen dich nie aus den Augen.“ er schmunzelte. „Wir hätten zwar genug Personal gehabt um dich ihnen abzunehmen, sodass sie sich die Stadt ansehen konnten, so wie es Durchreisende gerne tun, doch jedes Mal lehnten sie ab. Es schien als konnten sie dich keine Sekunde lang aus den Augen lassen. Der Blick mit dem deine Mutter dich immer ansah. . .ich habe seit diesem Tag nie wieder so viel Liebe gesehen.“ Er verstummte nachdenklich. Ich jedoch wollte ihn zum weiterreden animieren, wollte mehr hören von meinen Eltern. Mehr davon dass sie mich geliebt hatten. Mehr von meiner. . . „Erzähl mir von meiner Mutter.“ bat ich leise. „Sie war die bei weitem schönste Frau die ich jemals gesehen hatte. Es war offenkundig dass sie nicht aus Mangalin oder den Nachbarländern stammte. Ihre Haut hatte die Farbe weißen Sandes und ihre Augen waren so grün wie die Haine. Eine sehr seltene Konstellation. Sie musste von sehr weit her sein, und zog sofort alle Blicke auf sich. Du hast sehr viel von ihr.“ Ich betrachtete die Holzmaserung des Tisches. „Meine Augen sind aber schwarz.“,flüsterte ich. Und ich bin gewöhnlich, fügte ich in Gedanken hinzu. Ob sie mich deshalb zurückgelassen hatten? Hatten sie ein schöneres Baby gewollt? Eines das besser zu ihnen passte? „Deine Augen sind die deines Vaters. Er stammte eindeutig von hier, ein ehrlicher Mann, vielleicht mit einer Spur Seefahrerblut in sich. Er hat deine Mutter auf Händen getragen, soviel konnte ich sehen.“ „Wie hießen sie?“ „Das weiß ich nicht. Sie haben niemandem ihre Namen genannt, noch woher genau sie kamen. Doch ich hörte wie der Mann deine Mutter einmal bei ihrem Namen rief. Ich glaube es war Merle.“ „Diesen Namen habe ich noch nie gehört.“ flüsterte ich verwundert. Er lächelte. „Es ist ein sehr seltener Name. Amina sagte mir einmal es bedeute die Besondere. Ich schätze sie haben dich nach deiner Mutter benannt. Tamima, die Vollkommene.“ Offenbar hatte er mich mit der letzten Bemerkung aufmuntern wollen. Doch ich starrte verbissen das Holzmuster des Tisches an, während sich erneut heiße Tränen in meinen Augen bildeten. Ich und vollkommen? Reflexartig legte ich eine Hand vorsichtig um meinen Hals. Beflecktes Blut, dachte ich. Wenn jemand unter dem Fluch des Blutes litt, so hieß es, dass die Götter ihn für die Untaten bestraft hatten, die er erst noch im Laufe seines Lebens begehen würde. Die Urteilsvollstreckung war, etwas von ihm selbst zu nehmen. Doch wie groß musste mein Vergehen sein, dass man mir die Stimme genommen hatte? Als Kind hatte mich einmal ein fahrender Heiler untersucht. Er hatte gesagt er verstehe nicht, was der Grund für meine Stummheit sein könne, da ich körperlich in der Lage sein müsste, ebenso zu sprechen wie andere. Ich konnte mich noch genau an seinen Gesichtsaussdruck erinnern, als er mir sagte, es müsse eine Strafe der Götter sein. „Tamima, sie mich an.“ Langsam hob ich den Blick. Irfan's Gesicht war nur wenige Handbreit von meinem entfernt. „Warum zweifelst du so an dir? Du bist im Begriff eine der meist beneideten Frauen in ganz Mangalin zu werden! Niemand wird es mehr wagen dich schlecht zu behandeln! Du wirst niemals wieder unter Männern wie Uram leiden müssen!“ Ich nickte, als ich den schweren Kloß in meinem Hals hinunterschluckte. „Ich werde mein Zuhause verlassen.“ flüsterte ich. „Alles was ich kenne, alles was mir etwas bedeutet.“ ich verstummte, als Wut über den Wirt in mir hochstieg, der mich verkauft hatte. „Das ist nicht wahr, Tamima.“ seine Stimme war eindringlich. „Dies ist nicht dein Zuhause. Das war es niemals.“ ich blickte ihn an, erwartete fast einen hämischen Ausdruck auf seinem Gesicht zu sehen, doch in seinem Blick lag kein Hohn. „Du bist nicht dafür bestimmt hier als Magd zu versauern, bis ein betrunkener Gast dich in sein Bett holt. Du gehörst nicht hierher. Und vielleicht ist dies deine einzige Chance, hier herauszukommen.“ So hatte ich das noch nie betrachtet. Vielleicht ist dies wirklich keine Strafe, sondern eine unverhoffte Gelegenheit, dachte ich. Wenn ich mit dem Berater folgte, würde ich zu einem angesehenen Mitglied des Hofstaates werden. Haremsdamen wurden mit Luxus und Ehrerbietung überhäuft. Viele der Geschichten, die spätabends immer an Kaminfeuern erzählt wurden drehten sich um deren Leben. Sie wurden als Ikone gefeiert, und von Frauen der niederen Klassen beneidet. Doch was sollte ich dort? Ich war doch nichts als eine Magd! „Ich gehöre dort nicht hin, Irfan. Das bin nicht ich.“ Er schüttelte den Kopf. „Wer sagt das? Uram? Der alte Hadim? Lässt du etwa deren Meinungen über deine Zukunft entscheiden?“ „Nein. Aber dieses Leben ist nicht für mich bestimmt. Wie könnte ich -“ „Die Entscheidung liegt nicht mehr in deiner Hand, Tamima. Du weißt dass du dich nicht weigern könntest.“ Irfans Stimme war ungewollt scharf, bevor er sich einbremste. „Du hast alles, was die Frauen von heute Abend hatten. Außer vielleicht seidene Umhänge.“ „Und eine Stimme.“ Er verstummte. Er musste die Bitterkeit in meinen Worten erkannt haben. Denn obwohl ich durchaus im Stande war ein Gespräch zu führen, so musste es um mich herum sehr, sehr leise sein, damit man mich verstehen konnte. Es brauchte viel Übung mein tonloses Flüstern immer richtig zu interpretieren. Außerdem war ich schüchtern, und außer mit Irfan hatte ich kaum mit überhaupt jemandem je geredet. Der Knecht war der Einzige, den es anscheinend nicht abschreckte dass er sich zu mir hinunterbeugen musste um mich zu verstehen. „Du bist nicht stumm, Tamima.“ er klang jetzt sehr leise. „Du wirst dich nicht mehr daran erinnern können, aber ich weiß es noch genau. Nachdem deine Eltern dich hier zurückgelassen hatten, wurde die alte Mushin beauftragt, dich tagsüber von den anderen fernzuhalten, damit sie nicht durch Kindergeschrei gestört wurden. So wurde es mit den Kindern der Mäge immer gehalten, denn Mushin war taub und es machte ihr nichts aus. Mich hatte man beauftragt ihr jeden Tag Essen zu bringen und zu sehen, wie es dir ging. Als ich das erste Mal ihr Quartier unten im Keller betrat, glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen.“ Er verstummte, als wäre er sich nicht sicher ob er zu viel gesagt hatte. Ich sah ihn flehend an, doch er wich meinem Blick aus. „Was hast du gehört?“, fragte ich leise. „Säuglinge . . .weißt du, sie schreien ganz furchtbar. Selbst wenn sie nur daliegen und man sich nicht ständig mit ihnen beschäftigt, brüllen sie fast ohne Unterlass. Du jedoch hast nie geschrien. Du hast“ er holte tief Luft, als stünde er vor einer schwierigen Entscheidung. „Du hast gesungen.“ Stille breitete sich aus, und als er mich ansah hatte ich da seltsame Gefühl gar nicht da zu sein. „Ich sage die Wahrheit, so seltsam es auch klingt. Du hast gesungen, wann immer ich Mushin besucht habe. Zuerst dachte ich, sie hätte Besuch, oder hätte plötzlich ihr Gehör wiedererlangt und selbst vor Freude gesungen. Doch nach einer Weile wurde mir klar, dass du es warst. Es klang sehr . . . . seltsam und nach wenigen Tagen schon ertappte ich mich dabei des Nachts in euer Zimmer zu schleichen wenn deine Amme schlief. Ich habe oft Stunden vor der Tür gesessen und habe dir zugehört. Es hörte sich an wie ein Kleinkind, das die Worte seiner Umgebung wiederholt bevor es wirklich zu sprechen lernt. Ich hatte schon oft von Säuglingen gehört, die früher zu sprechen anfingen als andere, doch noch nie habe ich Geschichten über Singende gehört. Du hast Arien gesungen wenn du allein in deinem Bett lagst und schlafen solltest.“ Sein Blick war auf die Tischplatte geheftet und der schluckte. „Das Merkwürdigste jedoch war, dass ich kein Wort von dem verstanden habe was du gesungen hast. Du hast eine Sprache benutzt, die ich noch nie gehört hatte. Zuerst dachte ich, du würdest nur vor dich hin brabbeln und zufällig verschiedene Tonhöhen versuchen, doch nach einer Weile wurde mir klar, dass ein Sinn dahinter steckte.“ er schüttelte den Kopf, wie um die Erinnerung zu vertreiben „Es hat mir große Angst gemacht.“ „Wie haben die anderen reagiert?“ flüsterte ich, unsicher ob seine Worte vom vielen Met herführten, oder der Wahrheit entsprachen. „Ich habe es ihnen nicht erzählt. Die anderen Stallburschen habe ich bestochen, damit nur ich die Botengänge zur alten Mushin machte, und sie hatte niemanden sonst, der sie je besuchte. Ich weiß nicht, ob sie geahnt hat, das du anders bist als die Säuglinge, die sie bisher für die Häuser der Umgebung aufgezogen hatte, doch wenn sie es tat, so erzählte sie niemandem davon. Und ich hatte Angst, dass Hadim mich auspeitschen lassen würde, wenn ich über singende Babys und fremde Sprachen erzählen würde. Was er vermutlich auch getan hätte.“ „Aber warum hat mir nie jemand davon erzählt?“ „Bis heute weiß niemand davon.“ Ich schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich. Irgendwer muss das . . . mich doch gehört haben.“ „Es hat nach wenigen Wochen aufgehört. Von einen Tag auf den anderen, ist dein Gesang verstummt. Ich habe nie herausgefunden, was geschehen war. Doch seit diesem Tag habe ich nie wieder deine Stimme gehört.“ Bedauern lag in seinem Blick und wandte das Gesicht ab. Soll ich ihm glauben?, fragte ich mich in Gedanken. Ich erinnere mich an nichts. Aber der Gedanke, eine Stimme gehabt zu haben, selbst wenn er so absurd war, hatte etwas seltsam Tröstliches. Was wenn ich es einfach verlernt hatte zu sprechen? Wenn ich den Schmerz in meiner Kehle ignorierte, konnte ich vielleicht. . . „Tamima?“ Ich blinzelte verwirrt. Ich sah auf. Irfan blickte mir besorgt in die Augen. „Geht es dir gut?“ widerholte er. Ich versuchte das Summen in meinem Kopf zu übertönen. „Ja. Ich wünschte nur meine Eltern hätten eine Nachricht hinterlassen, die alles erklärt hätte.“ Er blickte mich voller Verständnis an. Dann verfinsterte sich sein Blick plötzlich, doch so schnell die Regung auch gekommen war, so schnell verschwand sie erneut aus seinen Zügen. „Sie haben dich sehr geliebt.“ Gerührt griff ich nach seiner schwieligen Hand, die er flach auf den Tisch gelegt hatte. Sie war fast doppelt so groß wie meine. Mühelos umschloss er sie. Es war so viel einfacher ihm zu glauben als mich anderen Gedanken zu stellen. So viel weniger schmerzhaft. „Warum habe ich damit aufgehört?“ „Ich weiß es nicht, Tamima. Es war als wäre ein Vorhang über dich gefallen. Ein Vorhang, vondem ich bis heute nicht geschafft habe, dass er sich öffnet.“ Plötzlich beugte er sich zu mir nach vorne, enger als er mir je zuvor gekommen war. Reflexartig lehnte ich mich zurück und presste den Rücken gegen die Wand hinter mir. Er zögerte und hielt inne als er mein entsetztes Gesicht sah. Dann schmunzelte er, wie plötzlich aus einer Trance erwacht. „Weißt du Tami, der Berater hat in gewisser Hinsicht großes Glück. Ich wünschte ich könnte seinen Preis überbieten.“ Verwirrt über seine Worte und die plötzliche Nähe entzog ich meine Hand der seinen, als hinter mir das Knarren von Scharnieren zu hören war. Irfan sprang sofort auf und ich wandte mich um. Die Tür hinter mir war aufgegangen und eine von Kasengs Wachen stand im Rahmen. Er richtete das Wort an Irfan. „He Diener, habt ihr das Mädchen gesehen das gestern bedient hat? Sie soll sich unverzüglich im Gastraum einfinden, auf Befehl des Beraters. Wir reisen früher ab als geplant.“ Zitternd erhob ich mich von meinem Stuhl. Als der Mann mich erblickte verfinsterte sich seine Miene. „Na endlich hab ich dich gefunden. Los, beweg dich!“ Damit durchmaß er mit wenigen Schritten den Weg bis zu mir und umfasste grob meinen Arm. Schon wollte er mich loszerren, als Irfan neben mir auftauchte und ihn innehalten ließ. Er wandte sich mir zu. „Tamima.“ er schien um Worte zu ringen, um etwas das er sagen konnte, sollte dies unser endgültiger Abschied sein. „Sei mutig.“ Damit trat er einen Schritt zurück und ließ mich mit meinem Bewacher passieren. An der Tür wandte ich mich noch einmal um, doch er blickte mich nicht an. Ich hoffte sehr, dass es nicht das letzte Mal sein würde dass ich ihn sah. Der große Gastraum war in den letzten Stunden sehr verändert worden. Die Bühne und die Tische waren weggeräumt worden, und die Liegekissen stapelten sich an den Wänden. Die Türen waren weit geöffnet und von draußen drang das Wiehern der Pferde, die von den Stallburschen gesattelt wurden. Die Dunkelheit fraß sich wie ein hungriges Monster durch die Fenster. Ein Gefühl von Aufbruch lag in der Luft. Die Wachen des Beraters hatten sich alle in einer langen Reihe vor der Tür aufgebaut, anscheinend in Erwartung Kasengs und auch die Haremsdamen ließen noch auf sich warten. Mich hatte man zwischen zwei der Wachen an der seitlichen Wand platziert, vermutlich um mich am weglaufen zu hindern. Doch keiner von ihnen hatte mir erklärt was sie mit mir machen würden. Hätte ich wenige Stunden vorher nicht Hadims und Kasengs Gespräch mitangehört, so wäre ich nun davon überzeugt, meinem baldigen Tod ins Auge zu sehen. Doch ich widerstand dem Drang einen der Wachen nach Auskunft zu bitten. Auf der der Eingangstür gegenüberliegenden Treppe erschien plötzlich Hadim, der, schwer auf seinen Stock gestützt, auf mich zuhumpelte. Ich straffte mich reflexartig, in Erwartung einer Tracht Prügel. Erst dann fiel mir ein dass er ja bei mir in Ungnade gefallen war. Ich würde mich nicht von dem Mann schlagen lassen, der mich soeben wie ein Stück Vieh verkauft hatte. „Ah, das bist du ja Tamima.“ ein Welle rumgeschwängerter Luft schlug mir entgegen. Ich runzelte die Stirn. Der Wirt trank doch sonst niemals! „Ich habe wunderbare Neuigkeiten für dich. Ich habe mich für dich eingesetzt und dir einen Posten im Palast besorgt!“ Sein Grinsen wurde breiter, doch es erreichte nicht die Augen. Ich tat so als sei ich überrascht. „Einen Posten? Als was?“, wisperte ich. „Als eine der neuen Haremsanwärterinnen. Du wirst soviel Ehre über den Alten Kaftan bringen, Kind.“ er verstummte, doch ich konnte schwören ein „und mir Geld!“ unter seinem Atem zu hören. Meine Augenbrauen schossen hoch. Anwärterinnen? Ich dachte er hätte mich schon ausgesucht? Hadim schien meine Überraschung falsch zu deuten. „Ah ich wusste du wärst erfreut. Ich habe Jasira deine Sachen packen lassen, die Stallburschen verstauen sie bereits auf den Lastkamelen.“ er legte eine schwere Hand auf meine Schulter, die, die er noch vor wenigen Stunden benutzt hatte um mich zu schlagen. „Endlich bist du -“ Er verstummte schlagartig als Kaseng auf der Treppe erschien. Er war in weite Gewänder gehüllt, und trug einen roten Turban auf dem Kopf. Den langen Bart schien er frisch gebürstet zu haben. Er gab dem Oberhaupt seiner Garde ein Zeichen, und dieser verneigte sich tief. Kaseng musterte die Reihe seiner Untergebener mit Befriedigung, da keiner von ihnen vor Trunkenheit schwankte. Dann erblickte er mich und sein Blick traf den meinen. Ich versuchte, alle Abscheu die ich hatte, in ihn zu legen. Kaseng trat auf mich zu. Beflecktes Blut, schoss es mir durch den Kopf. Was wenn er dachte, ich hätte keinen Anstand und wäre es ohnehin nicht wert respektvoll behandelt zu werden? Ich verneigte mich. Als ich mich wieder aufrichtete sah ich, dass er sich bereits an Hadim gewand hatte. Seine Lippen zuckten verdächtig, bevor er zu sprechen begann. „Das ist sie?“ Ich blickte hoffnungsvoll auf. Vielleicht war ich ihm ja doch nicht gut genug, und er würde mich hierlassen? „J-ja Herr. Das ist sie.“ Kaseng wandte mir den Kopf zu, dann schloss sich seine Hand um mein Kinn. „Ihr habt nicht zuviel versprochen.“ flüsterte er, als sich der Druck seiner Finger verstärkte. Er hob die andere Hand, und die Wachen verließen den Raum. „Wie ist dein Name?“ fragte er. Stille. Hadim neben mir keuchte leise. „Ich habe dich etwas gefragt, Mädchen.“ Ein gefährlicher Unterton lag in seiner Stimme, der mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass man auf seine Fragen nicht antwortete. Ein scharfer Schmerz auf meinen Zehen ließ mich zusammenzucken. Hatte der Wirt mich gerade getreten? Ich starrte ihn von der Seite her an. „S-sie ist schüchtern, Herr. Ihr Name ist -“ „Ich will es von ihr hören, Wirt.“ Erneut fixierte sein Blick mich. Seine Augen hatten einen fast schwarzen Ton angenommen. Ich hatte das Gefühl sie würden mich durchbohren. Plötzlich verschand jeglihe Dankbarkeit, die ich für meien Rettung noch für ihn empfunden hatte. Mögt Ihr in der Hölle schmoren, dachte ich. „Tamima.“ flüsterte ich, so leise ich konnte. Ein leichtes Lächeln umspielte sein Lippen und Zufriedenheit machte sich auf seinem Gesicht breit. „Es freut mich deine Bekanntschaft zu machen.“ Seine Hand um mein Kinn lockerte sich, als er in seine Tasche griff und einen Beutel hervornnahm. Er gab ihn Hadim. „35 Goldstücke, wie vereinbahrt. Ihr dürft Euch jetzt zurückziehen, Wirt. Ich lasse einen Boten schicken, wenn wir das nächste Mal hier nächtigen werden.“ Hadim wog den Beutel in seiner Hand. Offenbar mit dem Inhalt befriedigt, verneigte er sich, und ging auf die Küche zu. In der Tür verharrte er kurz, und warf mir einen Blick zu. Ich jedoch starrte den Mann vor mir an, der noch immer nicht mein Kinn losgelassen hatte. Einer seiner Finger strich sanft über meine Lippen, während sich sein Gesicht zu einem triumphierenden Lächeln verzog. Einem inneren Reflex folgend, öffnete ich blitzschnell den Mund, und schnappte nach seinem Finger. Schockiert riss er seine Hand weg, und starrte mich an. Dann spürte ich einen harten Schlag gegen den Hinterkopf und meine Knie gaben nach. Als der Boden plötzlich mit erschreckender Geschwindigkeit näher kam, hörte ich vor mir den entsetzten Aufschrei einer Frau. Dann wurde alles dunkel. Kapitel 5 - Neue Bekanntschaften --------------------------------- „Lass sie doch schlafen, Kishe.“ Eine heftige Bewegung unter mir ließ mich aufschrecken. Als die Benommenheit aus meinem Körper wich, breitete sich Unbehagen in mir aus. Wo war ich? Soviel ich sagen konnte lag ich, ziemlich unbequem, auf einem sich im Takt von Hufschlägen bewegenden Objekt. Kamele?, fragte ich mich, als mir der starke Geruch dieser Tiere in die Nase stieg. Vorsichtig bewegte ich den Kopf ein klein wenig. Sofort durchzuckte mich jedoch brennender Schmerz und ich stellte jeden weiteren Versuch ein, mich aufzurichten. Das dumpfe Pochen in meinem Hinterkopf rief mir mit ungewollter Heftigkeit meine letzten wachen Minuten in Erinnerung. Die Scham von Hadim verkauft zu werden, die Bestürzung über Irfans Geständnis meine Eltern gekannt zu haben, und mein Zorn Kaseng gegenüber kamen mir zu Bewusstein. Der Berater des Sultans. . . Unwohlsein stieg in mir auf. Eine Stimme neben mir ließ mich schmerzhaft zusammenzucken. „Ich werde sicher nicht Schuld sein, wenn sie sich Frostbeulen holt.“ Aufmerksam geworden lauschte ich in die Dunkelheit und beglückwünschte mich insgeheim zu dem Inpuls, nicht die Augen zu öffnen. „Was kümmerts dich? Außerdem ist sie eine Magd. Sie dürfte kalte Nachtluft gewohnt sein. Wer weiß, vermutlich schläft sie ohnehin im Freien.“, sagte jemand Zweites. „Oder einem Stall!“, fügte eine besonders hohe Stimme eifrig hinzu. „Daher kommt also dieser Geruch!“ meldete sich die zweite Stimme wieder. Sie klang gehässig. Ich schnaubte leise. Diese Stimme kannte ich. Sie gehörte der Frau, die mich bei dem Fest in die Arme – und die offene Schwertklinge – des Mannes gestoßen hatte. War ich etwa in Gesellschaft der Haremsdamen? Welch Glück,dachte ich sarkastisch. „Wach bitte auf.“, hörte ich wieder die erste Stimme direkt neben meinem Ohr flüstern. Ich fuhr erschreckt auf, was ein Inferno von Schmerzen in meinem Hinterkopf auslöste. Als die blendende Wirkung des Kopfschmerzes nachließ öffnete ich die Augen. Dunkelheit umgab mich und es dauerte eine Weile ehe ich erkannte wo ich war. In der Karawane des Beraters, der an der Spitze vor uns ritt, irgendwo auf einer staubigen Straße, mit Tüüchern auf einem Kamelrücken festgezurrt. Neben mir, gegen den zweiten Höcker des Tieres gelehnt, saß eine der Frauen die ich im Alten Kaftan gesehen hatte. Sie hatte aschblondes Haar und erstaunlich helle Augen. „Wusste ich doch dass du wach bist.“ sagte sie lächelnd. Sie hatte ein sehr einladendes Gesicht, und schmale Lippen. Ich lächelte zurück. „Wird sie jetzt den ganzen Weg mit uns kommen?“ ertönte eine flüsternde Stimme hinter mir. Ich wandte mich interessiert um - und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Auf dem Kamel direkt hinter mir saßen ebenfalls zwei Frauen – die sich bis aufs Haar glichen. Ich hatte schon häufig von dieser seltenen Art von Zwillingen gehört, doch war ich noch nie einem Paar begegnet. „Ich hoffe doch nicht.“, flüsterte die Andere der Ersten ins Ohr, so leise dass ich es kaum hören konnte. „Was wenn sie Flöhe hat?“ Ich drehte mich wieder um. Ich hatte keine Lust mich damit zu beschäftigen. Erstaunt stellte ich fest, dass die Blonde mir einen mitleidigen Blick zuwarf. „Gib nichts auf sie.“ flüsterte sie leise. „Die sind es nicht anders gewöhnt. Ich bin übrigens Kishe.“ fügte sie etwas lauter hinzu, wie um die anderen zu erinnern, dass sie sie hören konnte. Ein leises Hüsteln links von mir ließ mich abermals wenden. Eine andere Frau, die in teure Seide gehüllt war, sah mich mit großen Augen an. Sie war von sehr dunkler Hautfarbe und ihre Haare waren kurz über den Ohren abgeschnitten. Sie räusperte sich. „Malika von Kafka. Du wirst vermutlich von mir gehört haben, hoffe ich?“ Ich machte den Versuch wissend zu lächeln, obwohl ich das natürlich nicht hatte. Sie schein befriedigt und folgte meinem Blick als ich die Frau neben ihr in Augenschein nahm. Es war jene die mich bei dem Fest gestoßen hatte. Sie sah mich herausfordernd an und ein seltsam überlegenes Lächeln lag auf ihren Lippen. „Ich bin Jasmin. Die Ehre ist ganz deinerseits, ehemalige Leibeigene.“ Dann drehte sie sich abrupt um und wandte mir den Rücken zu. Es wurde still und ich erkannte dass es nun an mir war mich vorzustellen. „Mein Name ist Tamima.“ murmelte ich, bemüht etwas Stimmkraft in mein lautloses Flüstern zu bekommen. Vergeblich. Malika schien die Einzige zu sein, die mich gehört hatte, denn mit neuem Interesse drehte sie sich etwas weiter mir zu. „Was für ein . . .außergewöhnlicher Name. Aus welcher Familie stammst du?“ Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg. „Ich weiß es nicht.“ flüsterte ich. Ihre Augen weiteten sich, doch sie lehnte sich interessiert weiter zu mir. „Was hast du gesagt? Du musst lauter sprechen.“ „Ich sagte dass ich es nicht weiß.“ gab ich zurück. „Wie, du weißt nicht wer deine Familie ist?“, fragte eine der Zwillinge hinter mir. Sie hatten sich beide weit über die Höcker der Kamele nach vorn geneigt um einen besseren Blick auf mich zu haben. Ich sah sie verwundert an. Es war doch nichts Seltenes seine Eltern, oder deren Namen, nicht zu kennen. Oder doch? „Bedrängt sie nicht so. Sie ist bestimmt sehr müde.“, warf Kishe ein. Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln. „Das sind übrigens Arwa und Nabila. Die berühmten Zwillinge aus Kerwin.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Kerwin lag sehr weit südlich von hier. Es war das kleinste der Sieben Länder der Sonne, dessen Mitte Mangalin bildete, in dem wir uns gerade aufhielten und in dem auch Shrida, die Hauptstadt und der Sitz des Sultans lag. Kerwin lag mehrere Wochen von hier entfernt. Kamen alle Frauen von soweit her? Neugierig warf ich einen Blick in die Runde. Außer Jasmin beobachteten mich alle, so als wäre ich ein Vieh auf dem Markt. Staunend stellte ich fest, dass offenbar niemand aus diesen Gefilden stammte. Malika kam ganz eindeutig aus Morin, dem nördlichsten der Länder, das für die dunkle Haut und edle Abstammung ihrer Bewohner bekannt war. Kishe mit ihrem hellen Teint war vermutlich aus Rin, das an der Küste gelegen war. Doch von den kühnen Reitern, als die die Rin galten sah man ihr nichts an. Mehr schlecht als Recht hielt sie sich im Sattel und klammerte sich halb an dem Kamelhöcker fest. Jasmin jedoch kam ganz eindeutig von hier. Die cremefarbene Haut und die dunklen Augen waren Mangalin in ihrer Urform, auch wenn sie eine seltsam vorhängende Unterlippe hatte, die an einen überzüchteten Hund erinnerte. Ob es Inzest in ihrer Familie gegeben hat?, fragte ich mich. Sofort nahm ich mir den Gedanken übel. Ob ich es wollte oder nicht, diese Frauen würden ab jetzt mit mir zusammen um die Gunst des Mannes der vor uns ritt buhlen. Besser ich machte sie mir nicht zu Feinden. Als ich noch einen Blick durch die Runde warf, stutze ich plötzlich und lehnte mich leicht zu Kishe hinüber. „Wart ihr nicht zu sechst?“ fragte ich leise, bemüht meine Verwunderung zu verbergen. Sie lächelte, als sie sich zu mir beugte. Offenbar hatte sie vor mir ebenso flüstern zu antworten. „Oh, doch sind wir.“ Sie sah sich suchend um, offensichtlich frustriert. „Velia?“ sie erhob die Stimme leicht, und hinter den Zwillingen trabte plötzlich ein weiteres Kamel aus der Dunkelheit hervor, das überwiegend mit Gepäckstücken beladen war. Darauf saß eine weitere Frau, die, im Gegensatz zu den anderen, die Zügel ihres Reittieres festhielt und es offenbar lenkte. Ich erkannte sie sofort an den hellen, grünen Augen wieder. Es war die Frau, die im Alten Kaftan als Einzige nett zu mir gewesen war. Doch jetzt waren ihre Züge starr und als ich ihren forschenden Blick erwiderte, waren ihre Augen so kalt, dass es mir ein Schaudern über den Rücken jagte. „Das ist Velia. Sie ist fast von Anbeginn der Reise hier.“ klärt mich Kishe hilfsbereit auf. Ich ignorierte ihre Hilfsbereitschaft, denn etwas im Blick der Frau hinter mir hielt mich fest. Sie starrte mich an, als wolle sie mich mit bloßer Willenskraft durchbohren. Die Haare in meinem Nacken stellten sich alarmiert auf. Erst nach einem weiteren Moment konnte ich mich losreißen. Arwa und Nabila hinter mir fingen ein Gespräch darüber an wie sehr sie sich auf ihr baldiges Leben im Palast freuten. Bald bemerkte ich, dass sie die nervtötende Art hatten die Sätze der jeweils Anderen zu beenden. Auch Kishe beteiligte sich an der Unterhaltung, und bald schon hatte Malika ihren Stolz überwunden und redete auch mit. Fürs Erste war ich aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit genommen, und dafür war ich dankbar. Irgendwann passierten wir die Stadtmauern, doch ich verschwendete keine Blicke an die Umgebung. Es war ohnehin alles in Dunkelheit getaucht und die farblosen Fassaden der Häuser reizten mich nicht. Ich legte den Kopf auf den Hals des Kamels. Nachdem ich einige Zeit zu schlafen vorgegeben hatte, wand ich mich noch einmal vorsichtig um. Kishe, die Zwillinge, Jasmin und Malika waren nun in ein ungezwungenes Gespräch über höfische Etikette versunken. Da die letzte Reiterin als Einzige schwieg erwartete ich halb erneut ihrem kalten Blick zu begegnen, doch Velia lehnte bequem auf ihrem Reittier und schenkte ihrer Umgebung keine Beachtung. Ihre Haltung machte deutlich dass sie eine geübte Reiterin war. Ob sie wohl wie Kishe aus Rin kam? Ich betrachtete sie eingehender. Ihre Haut war sehr hell, wie Alabaster und ihre Augen von einem so intensiven Grün, dass es an reine Smaragde erinnerte. Die feuerroten Haare verliehen ihr ein sehr eigenwilliges, wildes Aussehen dass sie auf eine seltsame Art sehr schön und dennoch ausergewöhnlich machte. Doch ich hatte noch nie von einem Ort in den Ländern der Sonne gehört, der eine so seltsame Konstellation hervorbrachte. Ich entschied, es vorerst zu vergessen und dem Gespräch meiner redseligeren Begleiterinnen zu lauschen. Schließlich würde ich einige Informationen brauchen können. „Habt ihr Jakib denn schon einmal gesehen?“ fragten die Zwillinge Arwa und Nabila gleichzeitig. Kishe schüttelte bedauernd den Kopf. „Aber er soll sehr gutaussehend sein.“, warf Malika ein. „Wir werden es bald herausfinden“, sagte Nabila, was Arwa ein schrilles Lachen entlockte. „Könnt ihr euch vorstellen wie er so . . . ist?“ fragte sie weiter. Malika lehnte sich missbilligend ein Stück zurück, doch Jasmin fing den Faden gekonnt auf. „Eine gute Frage. Fast zu gut um durch jemand anderen als ihn selbst beantwortet zu werden.“ Ein verschwörerisches Blitzen trat in ihre Augen, doch verschwand es so schnell wieder wie es gekommen war. Das Gespräch ging in diesem Stil weiter und schnell verlor ich jegliches Interesse daran. Diese Frauen waren auch nicht anders als die Mägde des Alten Kaftans – nur in edle Gewänder gehüllt. Die Erinnerung an das alte Gasthaus, das ich noch wenige Stunden zuvor mein Heim nannte, ließ mich wehmütig den Kopf auf die Arme legen. Würde ich es jemals wiedersehen? Ich dachte an meine Eltern und die Dinge, die ich in der letzten Stunde erst über sie erfahren hatte. Seltsamerweise streiften meine Gedanken zu Irfan, und der seltsamen Bemerkung die er zum Schluss gemacht hatte. Er würde mich kaufen wenn er könnte? Was meinte er damit? Und . . . warum hatte er versucht mich zu küssen? Eine Welle des Unbehagens durchfuhr mich als ich daran zurückdachte. Irfan war mein engster Vertrauter gewesen seit ich denken konnte. Was wenn er tatsächlich ein romantisches Interesse an mir hegte? Und warum widerstrebte mir der Gedanke so? Es hätte mich immerhin vor dem Berater errettet, wenn er mich zur Frau genommen hätte. Jetzt ist es einerlei, dachte ich bekümmert. Ich werde ihn nie wiedersehen. Unwillkürlich seufzte ich. Sofort war Kishes Aufmerksamkeit an mir wieder geweckt. „Und was ist mit dir, Tamima?“ Ich sah sie verständnislos an. Worüber hatten die Anderen denn gerade gesprochen? Ich ließ den Teil der Unterhaltung, den ich noch mitverfolgt hatte Revue passieren. Dann sagte ich das Einzige was mir in den Sinn kam. „. . .wer ist Jakib?“ Stille folgte meinen Worten. Schon dachte ich, sie hätten mich nicht gehört, als Malika sich etwas zu mir beugte. „Meinst du das im Ernst?“, fragte sie leise. Andere nickten. Der Hohn war plötzlich aus ihren Worten verschwunden und hatte maßlosem Erstaunen platz gemacht. Ich nickte langsam. Vermutlich war das ein Fehler, schoss es mir durch den Kopf. Doch jetzt konnte ich es nicht mehr ändern. „Jakib ist der Sultan, Magd.“ zischte Jasmin, deren Augen mich fixierten, mir zu. „Für wen hast du denn gedacht dass du hier bist?“ Die unverhohlene Abscheu in ihren Worten überraschte mich zutiefst. Doch noch mehr taten es ihre Worte. „Der Sultan ist es? Ich dachte. . . der Berater. . .“ ich verstummte, als mir klar wurde dass ich einem Denkfehler unterlegen war. Einer der Zwillinge lachte wiehernd auf. „Kaseng?“ heulte sie schrill. „Du dachtest wir wären für ihn bestimmt?“ Allgemeines Gelächter erhob sich. „Sie kann es doch nicht wissen, Nabila. Sie hat nicht seit Monaten darauf gehofft ausgewählt zu werden, so wie du.“ schnappte Kishe zurück. Ich warf einen überraschten Seitenblick auf die Blonde. Warum verteidigte sie mich? Nabila schwieg gekränkt. Arwa übernahm das Wort. „Aber warum bist du dann überhaupt mitgekommen, wenn du dachtest . . .?“ „Wer weiß, vielleicht hat sie eine Schwäche für alte Männer.“ zischte Jasmin. „Was glaubst du was sie dort den ganzen Tag getan hat? Etwa in der Küche gestanden? So dünn wie sie ist?“ Malika richtete sich kerzengerade auf und lehnte sich so weit von mir weg wie es ihr möglich war ohne zu fallen. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Ekel und Misstrauen. „Hat man sie denn nicht . . .überprüft?“ fragte sie schließlich. Sofort wanderten alle Blicke zu meinen Beinen. Als ich merkte worauf sie anspielten stieg mir die Hitze ins Gesicht, krampfhaft versuchte ich den staubigen, mit Spinnweben überzogenen Kaftan über meine Knie zu ziehen. Sie halten mich für eine Hure, wurde mir schmerzhaft klar. „Sie wollte doch nicht einmal freiwillig mit!“ rief Arwa aus. Nabila nickte heftig. „Hassim hat erzählt sie hätte versucht Kaseng zu beißen.“ Sie spuckte das Wort förmlich aus, als sei sie froh es nicht in ihrem Mund tragen zu müssen. Malika fixierte mich. „Wirklich?“ fragte sie. Ich nickte langsam. Welchen Sinn hätte es gehabt es zu leugnen? Früher oder später würden sie es ohnehin erfahren. Malika sog scharf die Luft ein. Entrüstet drehte sie sich weg. Offenbar war die Unterhaltung für sie nun beendet. Ich seufzte auf. Einen Moment war alles still und ich hoffte nun aus dem Kreuzverhör genommen zu sein. Eine neue Stimme ließ mich jedoch aufhorchen. Als ich mich zu ihr umdrehte sah ich Velia, die ihr Kamel weiter nach vorne zu meinem geführt hatte. Aus ihren grünen Augen blitze eine Mischung aus Misstrauen und versteckter Neugierde. „Du wolltest nicht mitkommen? Hat man. . .“ sie verstummte, scheinbar unschlüssig was sie sagen sollte. „. . . hat man dich gezwungen?“ Ich dachte über ihre Frage nach. Wenn ich ja sagte würde es den Anschein erwecken als wollte ich gar nicht hier sein – was auch stimmte. Doch das wäre mit Sicherheit kein gutes Eingeständnis. Nein zu sagen wäre jedoch eine glatte Lüge. „Ja und nein.“ gab ich nach einer kurzen Pause zurück. „Ich . . . .ich wusste nicht dass ich mit euch kommen sollte. Der Berater des Sultans hat meinem Ziehvater Geld gegeben um mich mitzunehmen.“ Eine tiefe Falte grub sich zwischen ihre Brauen. „Ohne dein Einverständnis? Warum hat er das getan?“ Ich zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich dachte er wollte eine neue Haremsdame . . .“ „Nicht das.“, sie winkte ab. „Dein Ziehvater. Warum hat er dich verkauft?“ „Weil er sie nicht mehr wollte, natürlich!“ zischte Jasmin gerade leise genug zu Malika, dass nur ich es hören konnte. Sie begann daraufhin leise zu kichern. Mir stieg die Schamesröte ins Gesicht. Velias Blick verdüsterte sich. „Ich weiß es nicht.“ gab ich zögernd zu. „Ich bin ja nicht seine richtige Tochter. Ich schätze. . .“ ich verstummte und schüttelte den Kopf. Diese Geschichte sollte hier nicht erzählt werden. Und je weniger die anderen über mich wussten, desto besser. Da Velia auch keine Antwort zu erwarten schien, ritt sie einfach stumm neben mir her. Ich lehnte mich zurück. „Mach dir keine Sorgen. Spätestens wenn du es in den Harem geschafft hast wird ihnen das Reden vergehen.“ flüsterte Kishe neben mir so leise dass nur ich es hören konnte. Ich lächelte sie dankbar an. Sie neigte den Kopf, offenbar erwartete sie nicht dass ich ihr die Geschichte erzählte. Sie fing an, mir sympathisch zu werden. „Warum sprichst du eigentlich nicht?“ fragte plötzlich Arwa hinter mir. Auch das noch, dachte ich. Ich machte mir nicht einmal die Mühe mich zu Arwa umzudrehen. „Ich kann es nicht.“ Anscheinend hatten die Zwillinge meine Antwort nicht gehört, doch Malika erwies sich als sofortige Übersetzerin, da sie sich erneut fast bis zu meienr Schulter über den Rücken des Kamels gelehnt hatte. „Sie sagt sie kann es nicht.“ Die Beiden murmelten etwas, das ich nicht hören konnte. Dann meldeten sie sich gleichzeitig. „Warum nicht?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich kann es einfach nicht. Seid ich ein Kind war.“ Malika gab die Nachricht weiter. Offenkundig genoss sie die wichtige Rolle, die sie in dem Gespräch innehatte. „Jeder kann sprechen!“ warf Nabila irritiert ein. Ich schüttelte nur resigniert den Kopf. Wie sollte ich ihnen etwas erklären, das ich selbst nie verstanden hatte? Während Arwa ihrer Schwester etwas zuflüsterte, das ich nicht hören konnte, fiel mir mein letztes Gespräch mit Irfan wieder ein. Er sagte ich hätte gesungen anstatt wie normale Säuglinge zu schreien. Doch zu sprechen hatte ich nie begonnen. Sollte ich ihnen davon erzählen? Nein, dachte ich. Sie würden mich für verrückt halten. Also ignorierte ich das leise Murmeln hinter mir, und konzentrierte mich ganz auf das Steinpflaster unter den Hufen des Kamels. War es noch weit bis zum Palast? Als in der Nähe ein Gong ertönte verstummten die Gespräche der Anderen. Verwundert blickte ich in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war, doch die Dunkelheit versperrte mir die Sicht. „Wir sind gleich beim Palast.“ flüsterte Kishe mir hilfsbereit ins Ohr. Da flammten vor mir eine Reihe von Laternen auf und im nächsten Augenblick sah ich das gewaltige Gebäude auch schon. Von einer hohen Steinmauer eingeschlossen, stand der Palast in einem großen Park, der von akribisch gepflegten Gärten und Wäldern gesäumt wurde. Das große Hauptgebäude war eine hohe Kuppel, die aussah als habe man eine riesige, weiße Kugel in der Erde versenkt. Jeweils an den Enden der Kuppel standen 4 hohe Türme, die oben spitz zuliefen. Sie waren durch ein gewundenes System von Gängen mit der Kuppel verbunden und schienen zusammen das Hauptgebäude darzustellen. Rechts und links davon schlossen zwei rechteckige Flügel an, die seitlich versetzt gebaut waren, so dass es den Anschein hatte als würde das Gebäude ankommende Gäste umarmen. Die goldenen Dächer glitzerten im Mondlicht, und die weißen Wände leuchteten. Alle Wege der Palastanlage waren aus hellem Stein geschlagen und ein marmorner Vorplatz war für Kutschen oder Ähnliches angelegt worden. In dessen Mitte, an der Frontseite des Hauptgebäudes lag ein großes Becken, das mit Wasser gefüllt war und auf dessen Oberfläche Seerosen wuchsen. Obwohl es Nacht war, konnte man den Prunk und Luxus, den der Palast ausstrahlte, förmlich spüren. Die Karawane folgte einem kleinen Seitenweg zur linken Seite des Palastes, und wenig später kamen wir bei den Ställen an. Der Berater und seine Garde, die in einiger Entfernung vorausgeritten war, ritten zu getrennten Einrichtungen für ihre Pferde. Wir wurden aufgefordert gleich hier abzusitzen. Das Absitzen stellte sich als unerwartet schwer heraus, denn obwohl Jasmin und Kishe verzweifelt versuchten die Kamele dazu zu bringen sich hinzulegen, um das Absteigen zu erleichtern, rührten sich die gutmütigen Tiere keine Handbreit. Nur Velia gelang es mit einem gezielten Sprung von ihrem Tier herunterzukommen und führte es, ohne sich um uns zu kümmern zu einer der Boxen. Wir Übrigen warteten auf die Stallburschen, die, nachdem sie die Pferde der Männer versorgt hatten, herbeigeeilt kamen. Meine Beine waren von dem harten Sattel wundgescheuert, und mein Rücken schmerzte als es mir endlich gelang von meinem Tier abzusteigen. Malika, die neben mir stand, machte eine abfällige Bemerkung über zu wenige Sitzpolster und mehr schlecht als recht humpelte sie mit uns zu einem Eingang der Ställe, an dem Velia und einer der Stallburschen bereits warteten. Einige missgünstige Seitenblicke Malikas zeigten mir, dass sie keinerlei Blessuren davongetragen hatte, aber es mir übel nahm, dass ich nicht wie sie humpelte. Der Junge neben ihr winkte uns zu, ihm zu folgen. Obwohl meine Beine es mir am nächsten Tag bestimmt vergelten würden, folgte ich dem zügig voranschreitenden Mann so schnell ich konnte. Die Anderen waren gehörig langsamer. Wir gingen parallel zur Außenmauer des Palastes, bis wir einen schwach erleuchteten Dienstboteneingang erreichten. Dort blieb unser Führer stehen und gebot uns zu warten. Dann ging er den selben Weg wieder zurück, doch nicht ohne sich mehrmals nach uns umzudrehen. Vermutlich hat er noch nie so schöne Frauen gesehen, schoss es mir durch den Kopf. Vor mir ertönte ein Räuspern. Nabila und Arwa, die sich vor mich gestellt hatten traten hastig einen Schritt zurück. In einem Rahmen aus hellem Licht stand ein in eine weite Robe gehüllter Mann und hielt eine Fackel. Er sah aus wie ein Mönch, nur dass er kaum mehr als 20 sein konnte und beträchtlich längeres Haar hatte. Seine Stimme war ungewöhnlich klar als er zu sprechen begann. „Willkommen im Palast, Anwärterinnen. Ich werde euch eure Quartiere zeigen, bis ihr in den eigentlichen Haremsflügel wechselt. Bitte folgt mir so leise wie möglich, die Anderen schlafen bereits.“ Dann, ohne ein weiteres Wort, drehte er sich auf dem Absatz um und ging den marmornen Flur entlang. Erstaunt stellte ich fest, dass er keine Schuhe trug. Als ich hinter den Zwillingen den Gang betrat wurde mir klar warum – der Boden war wie von einem unterirdischen Feuer gewärmt. Anscheinend hatten sie hier im Palast eine Möglichkeit gefunden Fußböden zu heizen. Die wohlige Wärme im Inneren war eine wohltuende Abwechslung zu der kalten Nachtluft draußen. Der Flur war zu beiden Seiten in regelmäßigen Abständen von schmalen Holztüren durchzogen, die allesamt geschlossen waren. Als wir sie jedoch passierten öffneten sich einige davon und ich erhaschte kurze Blicke auf neugierige Augenpaare die uns musterten. Als unser Führer den Kopf zu ihnen wand schlossen sich die Türen sofort wieder. Entlang des Weges blieb er immer wieder kurz stehen, um auf eine der Türen zu deuten. Dies waren die Räume die für eine von uns vorbereitet worden war. Zuerst wurden Malika, Jasmin und dann den Zwillingen ihre Räume gezeigt. Letztere schienen den Tränen nahe da sie nicht zusammen in einem Zimmer bleiben konnten. Unser Führer verzog keine Miene, während wir eine lange Wendeltreppe hochstiegen. Auch im nächsten Stockwerk waren der Boden beheizt und die Wände mit Lampen erleuchtet. Nach einer Weile blieb er erneut vor einer Tür stehen. Diesmal zeigte er auf mich. „Dein Quartier. Ich empfehle dir wärmstens darin zu bleiben bis die Diener dich morgen Früh wecken. Solltest du etwas brauchen, so läute an der Glocke. Jemand wird zu dir kommen.“ Damit ging er weiter, Kishe und Velia im Schlepptau. Obwohl die Blonde kurz zögerte drehte sie sich zum Abschied nicht zu mir um, und ich war seltsam enttäuscht darüber. Ob ich bald die Gelegenheit haben würde sie wiederzusehen? Ich betrat mein neues Zimmer, das für einen Palast erstaunlich einfach, aber komfortabel eingerichtet war. Jetzt war ich also angekommen. Doch sollte ich darüber nun froh sein, oder nicht? Kapitel 6 - Ein Morgengruß -------------------------- Ich schlief nicht gut in jener ersten Nacht. Nachdem die leisen Schritte vor meiner Zimmertür endlich verstummt waren hatte ich noch längere Zeit mit dem Gedanken gespielt, mich einfach hinaus zu schleichen. Irgendwohin, nur weg von hier. Ich wusste schließlich wo die Stallungen waren. Wenn ich mir ein Pferd nehmen würde und zurück nach Hause ritt? Würde ich weit genug kommen bevor sie mein Verschwinden bemerkten? Doch was würde ich tun wenn ich ankäme? Hadim bestechen mich zu verstecken und bei sich zu behalten? Irfan's Angebot annehmen? Oder mich gleich als Stundenmädchen verdingen, die einzige Laufbahn die mir sonst bevorstünde? Allzu bald hatte ich diese sinnlosen Pläne aufgegeben. Ob ich es akzeptieren wollte oder nicht – dies hier war, vorerst, mein Zuhause. Also hatte ich resigniert die Vorhänge vor meinen Fenstern zugezogen und die Lampen gelöscht, bevor ich, vollkommen bekleidet, zwischen die Laken geschlüpft war und einfach nur die Welt mit all ihren Insassen ausblenden wollte. Die bleierne Müdigkeit, die vom langen Reiten über mich hergefallen war, hatte mir da einen gnädigen Dienst erwiesen und so war ich in einen unruhigen Schlaf gesunken. Doch bereits lange vor Sonnenaufgang war ich wieder erwacht. Da es für mich hier jedoch nichts zu tun gab und ich mich nicht getraute eine Lampe anzuzünden und meine Kammer zu verlassen, war ich bald wieder eingenickt. Jetzt jedoch riss mich ein leises Klopfen gnädigerweise aus dem Halbschlaf. Alarmiert richtete ich mich auf und blickte zur Tür, die nun langsam nach innen geöffnet wurde. Halb erwartete ich einen der Wachmänner, der mich unwirsch aus dem Bett scheuchen würde. Doch nur eine Frau war es, die, offenkundig darum bemüht keinen Lärm zu machen, in mein Zimmer trat. Sie war in einfache schwarze Gewänder gehüllt und ihr Blick war fest zu Boden gerichtet. Eine Dienerin, erkannte ich die gebeugte Haltung sofort wieder. Schließlich war ich hier im Palast des Sultans. Diener gab es hier vermutlich mehr als man zählen konnte. Die Frau schloss die Tür leise hinter sich. In Händen hielt sie ein kleines Tablett, das mit mehreren Tüchern bedeckt war. Gekonnt balancierte sie es in einer Hand während sie mit der anderen eine der Lampen neben der Tür entzündete. Erst dann wand sie sich zu mir um, bereit zurückzuspringen wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte. Ihre Augen weiteten sich jedoch als sie die meinen trafen. Sie hatte offenbar nicht erwartet mich bereits wach anzutreffen. „Guten Morgen, Mylady.“ sagte sie leise und ein leichtes Zittern lag in ihrer Stimme. „Ich hoffe Ihr habt wohl geruht. Ich bringe Euch Euer Frühstück.“ Mit diesen Worten verneigte sie sich, wobei sie sorgsam darauf achtete das Tablett nicht fallen zu lassen. Soll ich ihr antworten?, fragte ich mich verunsichert. Noch nie hatte mich jemand mit 'Mylady' angesprochen. „. . .Danke.“ flüsterte ich, bemüht ihr aufmunternd zuzulächeln als sie sich wieder aufrichtete. Sie kam bedächtig auf mich zu und stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch neben dem Bett ab. Als sie das Tuch darüber wegzog schlugen mir sofort der Duft von getrockneten Feigen, frischen Früchten und würzigem Brot entgegen. Wie auf Kommando begann mein Magen laut zu knurren. Ich hatte gar nicht bemerkt wie hungrig ich eigentlich war. Als ich mich aufrichtete um nach dem Essen zu greifen hörte ich wie die Dienerin neben mir scharf die Luft einsog. Ich blickte verwundert zu ihr auf. „Mylady, habt Ihr etwa in Euren Kleidern geschlafen?“ Ich zuckte die Schultern, doch Schamesröte stieg mir bereits ins Gesicht. „Ich habe nichts anderes.“, erwiderte ich. Ein Ausdruck schierer Verwunderung trat auf ihr Gesicht. Sie war vermutlich in meinem Alter, doch einige tiefe Falten auf ihrer Stirn zeugten von viel durchlebtem Leid. Als sie den Kopf zur Seite wandte, fielen ihre langen scharzen Haare nach vorn, und entblößten ihr rechtes Ohr. Zu meinem Entsetzen sah ich, dass das Ohrläppchen gespalten war, als hätte man es mit einem Messer durchtrennt. Was wohl mit ihr passiert ist?, stellte ich mir eine jener Gedankenfragen dich ich ohnehin nie würde beantworten können. „Man hat mir nichts mitgegeben bevor ich hierher kam.“ fügte ich hinzu. Das schien sie aus ihrer Starre zu erwecken. „Habt Ihr denn nicht in den Schränken nachgesehen?“, verwundert deutete sie auf eine schmale Tür neben einigen Regalen an der gegenüberliegenden Wand. Auf meinen erstaunten Blick hin ging sie darauf zu und öffnete sie. Als sie hindurchtrat erkannte ich, dass dort noch ein Raum war, der an den meinen angeschlossen war. Doch die Dunkelheit darin machte es mir unmöglich etwas zu erkennen. Wenig später trat die Dienerin wieder heraus. In Händen hielt sie einige Stoffbündel. „Hier ist etwas das Ihr des Nachts tragen könnt.“ sie legte ein weißes Leinenhemd, das mir bis zu Knöcheln reichen würde, auf die unberührte Bettseite neben mir. „Und das hier wünschen die Lehrmeister dass ihr während des Unterrichtes anlegt.“ Vorsichtig breitete sie ein dunkelblaues Seidenkleid mit langen Ärmeln vor mir aus, auf dessen Vorderseite kunstvoll hellblaue Schlaufenmuster genäht waren. Als ich es vorsichtig berührte war ich an die Oberfläche von Wasser erinnert. Erstaunt strich ich darüber. Ein leises Kichern des Mädchens neben mir ließ mich zurückzucken. „Ihr müsst Tamima sein, die Lady aus der Vorstadt.“, kicherte sie, wurde jedoch sofort wieder ernst und blickte beschämt zu Boden. Ich nickte halbherzig. „Vorstadt würde ich es nicht nennen. An guten Tagen hat man einen Blick auf die äußeren Tore erhaschen können, mehr auch nicht.“ ich schmunzelte. „Was hat mich verraten?“ Sie lachte leise, ein Klang der in der morgendlichen Stille seltsam gut tat. „Euer Erstaunen über die Kleider, Mylady. Die anderen Damen sind solche Gewänder gewöhnt, falls sie nicht schon in ihnen gebohren wurden.“ „Sind denn alle Haremsdamen reich?“ „Die Meisten.“, erwiderte sie zögernd. Offenbar fing sie an zu bereuen, ein Gespräch mit mir begonnen zu haben. „Versteht Ihr, die Einzigen denen es gestattet ist, Damen für den Sultan auszusuchen, sind dessen Berater. Da Sultan Jakib nur einen, Imran Kaseng, in diesen Status erhoben hat, kann nur dieser die Frauen aussuchen. Und . . . Imran ist nicht mehr allzu jung. Er ist behäbig geworden mit den Jahren und verkehrt nur noch mit den reichen Herrschaftshäusern, die ihm und seinen Leuten Kost und Logis spendieren. Und diese Familie haben meist die eine oder andere Tochter oder Enkelin, die sie gerne im Palast wissen würden. Viele der Damen buhlen sogar um die Aufmerksamkeit Kasengs. Ihr seid eine wahrhafte Ausnahme, Mylady.“ „Das freut mich.“ flüsterte ich lächelnd, obwohl mir nicht danach zumute war. Hätte Kaseng mich im Alten Kaftan nicht gesehen, so wäre ich jetzt also nicht hier. Ich nahm mir ein Stück Brot, das saftig und frisch war, und die Dienerin begann Kleider aus dem Nebenzimmer zu holen und öffnete die Fenster. Als das getan war lehnte sie sich stumm an die Wand neben der Tür und blickte zu Boden. Nur mein leises Kauen war in der morgendlichen Stille zu hören. Mir fiel auf, dass sie unruhig voon einem Fuß auf den anderen trat. „Möchtest du auch etwas essen?“ fragte ich vorsichtig, da ich nicht wusste worüber ich hätte mit ihr sprechen können. Sie blickte auf, maßloses Erstaunen in ihrem Gesicht. „Oh nein, danke vielmals Mylady. E - es ist mir nicht gestatten Euer Essen zu teilen.“ stammelte sie, offenbar von der Frage überrascht. Das ist sie wohl noch nie gefragt worden, schoss es mir durch den Kopf. „Das wusste ich nicht.“ sagte ich leise, bemüht meine Verwunderung zu verbergen. Ich versuchte aufmunternd zu lächeln, doch sie drückte sich nur noch mehr gegen die Wand. „Magst du dich nicht setzen?“, fragte ich nach einer Weile. Die steife Förmlichkeit wie sie in der Ecke stand missfiel mir. Ich deutete auffordern auf das Bett. Nach kurzem Zögern nickte sie zögerlich. Es kam mir falsch vor, zu Essen während sie nichts zu sich nahm, doch mein knurrender Magen ließ mich nicht fasten. Als ich mir das letzte Stück Brot in den Mund geschoben hatte schien die Befangenheit der Dienerin ein klein wenig geschwunden zu sein. Ich nutze den Augenblick. „Darf ich dich bitten nicht 'Mylady' zu mir zu sagen? Für gewöhnlich bin ich ganz andere Ausdrücke gewohnt.“ Sie lächelte zurückhaltend. „Verzeiht Mylady, doch das wäre zuviel verlangt.“ Ich erwiderte nichts. Da sie sich nun wieder etwas weiter von mir weglehnte entschied ich mich es für nun bei der übertriebenen Höflichkeit zu belassen um sie nicht zu verunsichern. „Und wie ist dein Name?“ „Dienerin Masuda, Mylady.“, erwiderte sie. Mit einem Unterton, den ich nur als hoffnungsvoll deuten konnte, fügte sie hinzu „Wenn Ihr in den Harem aufgenommen werdet werde ich als Eure persönliche Kammerdienerin eingestellt. Das heißt“, fügte sie schnell hinzu, und der Unterton ihrer Stimme klang traurig „wenn Ihr mit meinen Diensten zufrieden seid.“ Ich sah sie aufmunternd an und sie lächelte, etwas dass sie anscheinend sehr oft tat. Die dunklen Furchen auf ihrer Stirn verschwanden jedoch nicht. „Und wenn ich nicht aufgenommen werde?“ Sie zuckten mit den Achseln. „Ich weiß nicht, Mylady. Dies hier ist das erste Mal, dass ich im Palast diene. Noch bin ich nicht mit den Gebräuchen vertraut.“ Sie erhob sich und nahm das blaue Kleid in ihre Arme. „Soll ich Euch beim Ankleiden behilflich sein?“ Ich verneinte. Mit dem Kleidungsstück zog ich mich hinter einen reich verzierten Paravant, der in der Ecke stand, zurück. Das nachtblaue Kleid fühlte sich unnatürlich weich auf der Haut an, als ich aus dem schmutzigen, alten Kaftan schlüpfte. Von draußen hörte ich nun eilige Schritte vorbeihuschen und erkannte dass der Palast wohl nun langsam erwachte. Wie viele Menschen hier wohl lebten? „Sobald ihr Euch fertig umgezogen habt, Mylady, bringe ich Euch zu einem der Säle wo Ihr mit den anderen Anwärterinnen zusammentreffen werdet und die Einteilung bekannt gegeben wird.“ Ich gab ein unhörbares Stöhnen von mir während ich krampfhaft versuchte mich in das extrem enge Kleidungsuntensil hineinzukämpfen und ihr gleichzeitig zuzuhören. Röte schoss mir ins Gesicht als mir klar wurde dass ich noch nie ein Kleid getragen hatte. Ein Kaftan, weite Hosen und Hemden, im Winter vielleicht eine langer Mantel darüber, das war meine Garderobe gewesen. „Braucht. . .braucht Ihr Hilfe, Mylady?“ hörte ich eine vorsichtige Stimme aus dem Raum hinter mir. Ich schüttelte den Kopf, bevor mir klar wurde dass sie das nicht würde sehen können. Es wäre doch wahrhaftig zu dumm gewesen wenn ich nicht in der Lage wäre – geschafft! Ich trat hinter dem Paravant hervor. Masuda hatte inzwischen das Bett gemacht und stand nun mit dem leeren Frühstücksgeschirr neben der Tür. „Es steht Euch gut, Mylady.“ sagte sie lächelnd. „Seid Ihr bereit zu gehen?“ Ich nickte und ließ mich durch die Tür manövrieren. Die Flure sahen bei Tageslicht sehr verändert aus. Das helle Creme der Wände bot einen schönen Kontrast zu dem gleißenden Sonnenlicht, das durch die an allen Ecken und Enden vorhandenen Erkerfenster schien. Auf den steinernen Bänken, die vor ihnen gebaut waren, lümmelten hier und da einige Diener, die alle in dieselbe schwarze Kluft wie Masuda gehüllt waren. Als sie die Dienerin sahen wandten sie sich gesprächig um, doch als sie mich hinter ihr erblickten, verfinsterten sich ihre Blicke sofort und sie täuschten emsige Geschäftigkeit vor. „Haremsdamen haben keinen guten Ruf bei euch, oder?“ fragte ich Masuda einmal, nachdem gleich drei Dienerinnen vor mir Reißaus genommen hatten. Erstaunt stellte ich fest, dass ich mich zu ihr herunterbeugen musste. „Nicht. . .wirklich“ gab sie ebenso leise zurück. Es gefiel mir dass sie offenbar keinen Anstoß daran fand dass ich ständig flüsterte. Es war seltsam befreiend. „Wir werden bald da sein, Mylady.“ Ich schmunzelte. „Das hast du schon vor 5 Minuten gesagt. Es ist riesig hier! Ich bezweifle jemals den Weg zurück finden zu können.“ „Ihr werdet Euch daran gewöhnen, Mylady. Am Anfang ist es immer verwirrend. Was denkt Ihr wie lange ich brauchte, um-“ Sie verstummte schlagartig als eine hochgewachsene, dunkelhäutige Schönheit, ganz purpurn gekleidet, auf uns zukam. Sie hatte ihre kurzen schwarzen Haare mit Klammern hochdrapiert und trug schwere, goldene Ohrringe. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich Malika. Als sie mich sah streckte sie unmerklich den Rücken durch und legte den Kopf schief. „Ah du bist das, Tamima.“ sie lächelte kurz. „Ich suchte gerade nach jemandem der mir den Weg in den Saal zeigen würde. Hättest du gedacht, dass es hier so gewaltig ist?“ Sie stellte sich neben mich, wobei sie mich um gut zwei Köpfe überragte und nahm meinen Arm. Unwillkürlich zuckte ich bei der Berührung zusammen, doch widerstand dem Implus sie fortzuschütteln. „Wollen wir?“ fragte sie belustigt, doch das freudige Lächeln erreichte nicht ihre Augen. Ich sah Masuda an. „Ehrlich gesagt. . .ehrlich gesagt habe ich selbst keine Ahnung wo wir sind. Masuda begleitet mich.“ ich schenkte ihr ein Lächeln, doch das Mädchen blickte ernst und regungslos zu Boden. „Gute Idee.“ sagte Malika und plötzlich hatte ihr Ton etwas unüberboten Herrschaftliches, Kaltes. Ich zuckte zusammen als sie das Wort an Masuda richtete. „Dienerin, bringe uns zu den Anderen. Aber mach schnell, ich werde nicht wegen dir zu spät kommen.“ Ich sah die Dunkelhäutige fassungslos an, doch sie zog mich bereits mit sich hinter dem Mädchen her. Ich hatte Mühe mit ihnen Schritt zu halten, denn Masuda schlug plötzlich ein Tempo an, das mich glauben machte sie rannte mehr durch die Flure, als dass sie führte. Ob sie Angst vor Malika hat?, fragte ich mich verwundert. Doch sofort verwarf ich den Gedanken wieder. Sie mochte zwar etwas eingebildet sein, aber ansonsten war Malika bestimmt ein guter Mensch. Währenddessen tat diese ihr Möglichstes mich in ein Gespräch zu verwickeln. „Im Haus von Kafka, das ist unser Herrschaftshaus, musst du wissen, hatten wir auch Diener. Ich hatte ebenfalls meine eigene Kammerdienerin, doch sie war bei weitem fleißiger als die Diener hier. Ist dir aufgefallen wie unfassbar schmutzig es in den Zimmern ist? Ich habe doch tatsächlich Staub auf den Schränken gefunden. In einem Palast, kannst du dir das vorstellen?! Und dieses geschmacklose Garderobe!“ Von Malikas Blasiertheit überrascht hörte ich nach einer Weile auf ihren Worten Beachtung zu schenken. Alle paar Sätze gab ich ein zustimmendes Nicken von mir oder tat so als würde ich entrüstet den Kopf schütteln. Masuda tat mir aufrichtig Leid, da sie sich das Ganze auch anhören musste und es ja gegen sie gerichtet war. Und gegen dich. Oder hast du vergessen, was du bis gestern warst?, erklang eine vorwitzige Stimme in meinem Kopf. Ich versuchte die Gewissensbisse zu unterdrücken. Als wir aufgeregte Frauenstimmen hörten gab Malika neben mir einen begeisterten Ton von sich. „Wir sind gleich da!“ rief sie triumphierend und ließ meinen Arm los. Auch Masuda war neben uns stehen geblieben. „Durch dieses Tor, Mylady und Lady Malika.“ sagte sie in einem Tonfall, den ich nur als ergeben bezeichnen konnte. Verwundert zog ich die Augenbrauen hoch, doch Malika schien kein Problem mit der plötzlichen Unterwürfigkeit des Mädchens zu haben. Sie nickte nur kurz. „Du darfst jetzt gehen, Dienstmagd.“ Sofort verschwand die Dienerin. Bedauernd sah ich ihr nach als Malika mich nach sich voran zog. Ihre Gesellschaft war mir lieb gewesen. Kapitel 7 - Auftakt ------------------- Kaum einige Schritte weiter schwoll das leise Getuschel zu einem lauten Gedränge an. Als Malika und ich um eine Ecke bogen, kamen wir zu einem kreisförmigen, überdachten Innenhof. Er war mit weißem Marmor ausgelegt und aus allen Richtungen mündeten Gänge in ihn, wie Quellen in einen See. Aus diesen strömten nun aufgeregte junge Frauen und Mädchen aller Herkunftsländer. Malika zögerte einen Augenblick und sog erstaunt die Luft ein, als sie einige Frauen aus ihrer Heimat Morin erblickte diese ihr neugierige Blicke zuwarfen. Dann folgte wir den anderen auf einen hohen Torbogen zu, in dessen Rahmen edle Verziehrungen eingearbeitet waren. Dahinter erstreckte sich ein großer, breiter Saal. Von der hohen Decke hingen Dutzende von Öllampen, und leise Musik drang aus einer Ecke, in der eine alte Dienerin saß und auf einer kleinen Harfe spielte. Der schwere Geruch von Jasmin lag in der Luft. Etwas von uns entfernt erspähte ich auch die Namensvetterin dieser Blume. Jasmin war in ein Gespräch mit einigen anderen Frauen verwickelt, doch als sie uns erspählte kam sie rasch auf uns zu. „Wie wunderbar, Euch zu sehen, Malika von Kafka.“, begrüßte sie Malika sofort mit schmeichlerischer Stimme. Diese errötete leicht als der Adlestitel ihrer Familie fiel und verlor sofort jegliches Interesse an mir. Ich erwartete, dass Jasmin nun auch mich begrüßen würde, doch zu meiner Verwunderung ignorierte sie mich. „Habt Ihr schon die Wandteppiche gesehen?“, fuhr sie fort auf Malika einzureden. „Sie sind jemandem wie Euch gerade würdig.“ Damit platzierte sie sanft eine Hand auf Malikas Schulter und führte sie auf die andere Seite des Saales. Ich blieb allein zurück und starrte den beiden leicht verletzt hinterher. Hatte Jasmin mich mit Absicht ignoriert? Den Gedanken beiseite schiebend, konzentrierte ich mich auf die anderen Leute im Saal. Bis auf einige umherschwirrende Diener waren es ausschließlich junge Frauen, etwa zwei Dutzend, die allein oder in kleinen Gruppen verteilt standen. Unterdrücktes Gekicher und leises Geplauder drang an meine Ohren. Es schien als wären die meisten der Frauen schon längere Zeit hier. Ich kam mir sehr fehl am Platze vor. Außer Malika und Jasmin konnte ich keine vertrauten Gesichter erkennen. Und ich hatte weder die Courage, noch das nötige Auftreten, um mich in ein fremdes Gespräch einzumischen. Ich pickte einige imaginäre Staubkörnchen von den Schultern meines Kleides und sah mich fragend um. Was sollte ich hier? Mein Blick glitt zu den hohen Fenstern an den Seiten des Saales, durch die nun die frühe Morgensonne schien. Im Alten Kaftan hätte ich jetzt genug zu tun gehabt. Plötzlich kam es mir lächerlich vor, hier in einem prunkvollen Saal zu stehen und mich zu langweilen während Irfan und die Anderen arbeiteten. Ich vermisse sie wirklich, dachte ich betrübt. Vor allem, wenn man bedacchte dass sie gewiss keinen Gedanken an mich verschwendeten. Ein lauter Gong ertönte. Ich blickte auf und bemerkte dass die anderen Frauen in aller Eile einen Halbkreis bildeten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saales war ein kleines Podium an der Wand angebracht und darauf standen drei, in weiße Roben gehüllte Männer. Erstaunt erkannte ich unseren Führer von gestern unter ihnen. Er hielt eine dicke Kupferscheibe in der einen Hand und einen mit Stoff umwickelten Schläger in der anderen. Der Mann neben ihm war bedeutend älter, langes weißes Haar fiel ihm auf die Schultern. „Ich entbiete euch einen guten Morgen, Anwärterinnen.“, begann er mit lauter Stimme, die von den Wänden widerhallte, „Ich möchte unsere allwöchentliche Versammlung gerne mit etwas Erfreulichem beginnen. Der alte Mond ist verschwunden und somit ist auch wieder einigen der Anwärterinnen die Gunst zuteil geworden, in den Harem des ehrwürdigen Sultans Jakib Suero aufgenommen worden zu sein.“ Er machte eine kleine Handbewegung, auf dessen Befehl vier Frauen das Podium betraten. Jede von ihnen war über und über mit Schmuck und Juwelen behängt. „Darf ich euch die neuesten Mitglieder des Harems vorstellen,“ fuhr de alte Mann fort, während er eine Hand hob, „Lady Aischa, Lady Marina, Lady Karma und Lady Dua.“ Die ehemaligen Anwärterinnen verbeugten sich elegant, wobei ihre prunkvollen Kleider in der Luft raschelten. Zu meinem Erstaunen stelle ich fest dass sogar diese juwelenbesetzt waren. Der Redner faltete die Hände vor der Brust. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen als er sah, dass alle still geworden waren und wie gebannt auf die neuen Haremsdamen starrten. „Diese oberste Ehre die einer Frau zuteil werden kann könnt auch ihr erreichen, Anwärterinnen. Da ihr vom obersten Berater des Sultans erwählt wurdet gehört ihr nun zu den wenigen Auserwählten die sich die Gunst des Herrschers der Sieben Länder verdienen dürfen. Dies ist eine Ehre die ihr alle zu schätzen wissen müsst.“ Er verstummte und ein Geräusch hinter mir ließ mich aufhorchen. „Ich bin bereits seit drei Monden hier.“, zischte eine leise Frauenstimme. „Und Lady Aischa nur zwei. Es ist ungerecht!“ Ich wandte mich unauffällig um. Die junge Frau genau hinter mir, mit gelblicher Haut und hellen Haaren, starrte verbissen zu Boden. Ihr Gesicht war von Wut und Schmerz verzerrt. Eine Andere versuchte ihr Bestes sie zu besänftigen. „Keine Sorge, Irma. Du hast noch 2 Monde Zeit. Bestimmt wird der Sultan früher oder später nach dir rufen lassen. Beruhig dich einfach.“ „Du hast ja keine Ahnung, Harun! Du bist erst seit Kurzem hier. Du weißt einfach nichts!“, fauchte die Erste zurück. Die Andere schwieg betreten, und ich wandte mich wieder dem Podium zu, wo der Redner von Neuem begonnen hatte zu sprechen. „Natürlich wird dennoch nicht jeder von Euch die Ehre werden zuteil einen Platz im Herzen unseres gütigen Sultans zu erlangen. Ihr werdet hart an euch arbeiten müssen um es in diese Position zu schaffen. Dafür“, der Mann machte eine Handbewegung und zeigte auf die Männer links und rechts von ihm. „Dafür werden wir euch zur Seite stehen. Sobald wir erkennen dass ihr für die Ehre, dem Sultan Auge in Auge gegenüberzustehen, bereit seid, werden wir euch bei zu Vorführungen mittanzen lassen.“ Er wurde lauter, „Für alle Neulinge möchte ich noch einmal betonen, dass für euch dieselben Regeln gelten wie für alle anderen. Unwissenheit wird euch nicht vor Strafen schützen! Alles was vor eurem Einzug in den Palast von Belang war, hat nun seine Bedeutung verloren. Ihr schlaft, esst, denkt, fühlt und atmet nur noch um dem allmächtigen Sultan zu dienen.“ seine Stimme nahm an Schärfe zu. „Ihr werdet in den nächsten Monden alles über Sitten und Gebräuche des Palastes, Ausdrucksweise und Etikette lernen, sowie über das von einer Haremsdame erwartete Verhalten. Sollte eine von euch nicht bereit sein, sich den Anweisungen des Sultans oder seiner Bediensteten zu beugen, so wird euch eine schlimme Strafe erwarten, bis hin zur Verbannung aus dem Palast.“, er hob beschwörerisch die Hände, „ Ich wünsche keiner von euch, dass sie Schande über sich bringt. Ab dem heutigen Tag dient ihr mit Körper und Geist unserem Sultan, und sonst niemandem.“ Er verstummte. Während seiner Rede hatten sich meine Nackenhaare aufgerichtet und ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt. Wut über das Gehörte stieg in mir auf. Als hätte ich es nötig es mir zu verdienen das Bett eines Mannes zu teilen!,dachte ich wütend. Der dritte Mann auf dem Podium war nun einen Schritt vorgetreten. Er hatte kurz geschorenes schwarzes Haar und hielt eine lange Pergamentrolle vor sich ausgebreitet. „Die Einteilung für die folgenden Monde ist wie folgt: Anwärterinnen Habiba, Muchlisa, Nurunissa, und Latifa werden aufgerufen sich im purpurnen Saal einzufinden. Anwärterinnen Asla, Harun, Irma, und . . .“ Eine lange Liste von Namen folgte, doch meinen konnte ich nicht hören. Immer öfter verließen kleine Gruppen von Frauen den Saal. Offenbar war der formelle Teil der Versammlung bereits vorüber. „. . .Jasmin und Djalila. Die letzte Gruppe, bestehend aus den Anwärterinnen, dessen Namen noch nicht aufgerufen wurden, mögen sich bitte im grünen Saal einfinden.“ Abermals schlug der linke der Männer den Gong und sie verließen das Podium. Dies schien ein Signal gewesen zu sein, denn auch die letzten der Frauen eilten nun rasch durch das Tor hinaus. Nach nur wenigen Augenblicken war der Saal wie leergefegt und nur noch einige Nachzügler, mich inbegriffen, hielten sich darin auf. Grüner Saal. . ., dachte ich. Wo konnte der sein? Ratlos betrat ich den kleinen Innenhof, der durch Fenster in der Decke nun in gleißendes Licht getaucht war. Doch da endete meine Orientierung auch schon. Gut ein Dutzend Türen gingen von dem kreisrunden Hof aus, und sie alle sahen identisch aus. Ich würde unmöglich die Tür finden durch die ich gekommen war, geschweige denn die durch die ich jetzt gehen musste. Eine schwere Hand auf meiner Schulter ließ mich aufschrecken. Ich drehte mich um. Ein großgewachsener Mann mit dunkelbraunem, kinnlangem Haar stand hinter mir, in eine dunkelbraune Robe gehüllt. Er konnte nicht älter als 25 sein, doch waren seine Schultern breiter als die Urams. Ich zuckte unwillkürlich zurück. Der Griff um meine Schulter verstärkte sich. „Wurdest du auf dein Zimmer zurückbeordert?“ fragte der Mann mit ruhiger Stimme. Ich schüttelte den Kopf. Sofort verschwand die Hand auf meiner Schulter wieder. „Dann verzeiht, Teure. Ich bin eingeteilt die Neulinge unter euch zu den Sälen zu eskortieren, doch wie es scheint seid ihr die einzige die Hilfe benötigt.“ Er lächelte verschmitzt. „Gehe ich Recht in der Annahme, Tamima gegenüberzustehen?“ Ich nickte stumm. Der Mann verbeugte sich. „Es ist mir eine Ehre. Mein Name ist Karim Kuero.“ Er bot mir den Arm an. „Nun, möchtet ihr eine Eskorte?“ Ich schüttelte reflexartig den Kopf und beäugte seinen Arm misstrauisch. Er zog ihn langsam zurück, und zog die Augenbrauen hoch. Seine Augen nahmen einen seltsam überlegenen Ausdruck an. „Also wisst Ihr bereits wo Ihr hinmüsst? Für gewöhnlich werden die Lehrmeister sehr ungehalten wenn man sie warten lässt.“ Ich sah ihn zweifelnd an. Seltsamerweise empfand ich Furcht vor ihm. Doch allein durch den Palast wandeln wollte ich auch nicht. Nach kurzem Zögern nickte ich schließlich. „Es wäre mir eine Ehre.“, flüsterte ich. Er nickte und das höfliche Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. „Wohin seid Ihr beordert worden?“ „Mein Name wurde nicht genannt, denke ich.“ „Dann vermutlich der grüne Saal. Er ist am weitesten entfernt. Doch ich kann Euch in Kürze dorthin bringen.“,er trat einen Schritt auf mich zu, „Folgt mir bitte.“ Damit wandte er sich ab und ging voran, durch eine der Türen zu meiner Rechten und ich fand mich bald in einem Flur auf der Nordseite wieder. Bis hierher war die Sonne noch nicht gedrungen und die herbstliche Kühle der Nacht strich noch durch die offenen Fensterbögen. Die Nächte in Mangalin sollten die schlimmsten in allen Sieben Ländern sein, so hatte ich Händler sagen hören. Als ich mir jetzt die Arme um die Schulter schlang, glaubte ich daran. Während wir durch immer verwinkeltere Flure bogen, begann ich mir ernsthafte Sorge wegen der Größe des Palastes zu machen. Er hatte – mindestens – vier Stockwerke und jedes von ihnen war geradezu lächerlich verschachtelt. Wie soll ich mich hier jemals zurechtfinden? Ich sah mich nach einem Merkmal um das die Flure unterschied. Doch die hellen Wände und hohen Deckenbögen sahen überall gleich aus. „Sucht Ihr etwas, Tamima?“, ertönt Karims erstaunte Stimme neben mir. Er hatte seine Schritte verlangsamt und blickte mich fragend an, während ich mich bemühte ein teilnahmsloses Gesicht zu machen. „Den Weg zurück in mein Gemach. Ich befürchte heute Nacht in einem der Flure schlafen zu müssen.“ Er runzelte die Stirn, als er sich zu mir herunter beugte um meine Antowrt zu verstehen. Dann lachte er. „Seid unbesorgt, Tamima. Die ersten Wochen sind zweifelsfrei die schlimmsten. Doch noch ehe der neue Mond aufgegangen ist werdet Ihr Euch hier zurechtfinden wie in eurem alten Elternhaus.“ Er strich sich mit der Hand durch die Haare. „Obwohl ich Euch raten würde in der Bibliothek nach einer Karte zu bitten. Nur für den Anfang.“ Er lächelte noch immer, doch ich wandte den Kopf ab. Eine Bibliothek, dachte ich, fasziniert von dem Klang des Wortes. Ich war noch nie in einer Bibliothek. Wir gingen weiter und Stille breitete sich aus. Dieser Teil des Palastes schien wie ausgestorben zu sein. Nicht einmal die Diener, die auf dem Weg aus den Quartieren in den Versammlungssaal überall gewesen waren, waren hier zu sehen. Es war eine unbehagliche Stille, die nicht in dieses prunkvolle Gebäude passte. „Karim?“ begann ich vorsichtig, und der Mann neben mir wandte sich um. Er blinzelte leicht. „Meint Ihr mich?“ fragte er mit gespieltem Unwissen. Als ich nickte wurde seine Miene ernst. „Tamima, mir macht es zwar nichts aus, doch Ihr müsst mit der Etikette des Palastes vertraut sein, bevor Ihr einen schwerwiegenden Fauxpas begeht. Solange Ihr noch Anwärterin seid, müsst Ihr, mit Ausnahme der Diener, jeden mit Lord oder Lady ansprechen. Nur der Berater oder der Sultan sind davon ausgenommen, da sie bei ihren Titeln genannt werden müssen. Doch empfehle ich Euch nicht einen von Ihnen anzusprechen. In den meisten Fällen müsst Ihr warten bis das Wort an Euch gerichtet wird.“ Ich nickte. Als ob ich überhaupt jemanden ansprechen würde, dachte ich bitter. Nach kurzem Zögern startete ich noch einen Anlauf. „Lord Kuero?“ „Ja?“ „Darf ich Euch eine Frage stellen?“ Belustigung lag in seiner Stimme. „Gewiss doch.“ Ich holte tief Luft und wisperte. „Meine Dienerin erwähnte etwas von Lehrmeistern. Was. . .?“ Ich sah ihn fragend an. Er wurde erneut ernst und seine Miene nahm einen fast feierlichen Ausdruck an. „Bevor Ihr zum Sultan beordert werden könnt müsst Ihr gewisse Kenntnisse erlangen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass Ihr in Gegenwart Sultan Jakibs nicht durch falsches Verhalten peinlich berührt werden könnt.“, er wurde leiser, „Der Herrscher der Sieben Länder hat keinerlei Verständnis für Ungeschicklichkeit oder Unwissen. Zu Eurem eigenen Schutz hat der Berater des Sultans schon vor Jahren dafür gesorgt dass die Haremsdamen, bevor sie dem Sultan vorgestellt werden, in verschiedenen Bereichen und Belangen unterrichtet werden. Für diesen Zweck wurden Lehrmeister aus den verschiedenen Ländern angefordert um sie zu unterrichten. Ich zum Beispiel stamme aus Faren.“ Er lächelte. „Somit wurde nur für die Anwärterinnen eine Ausnahme in den Gesetzen der Länder gemacht und Frauen der Unterricht erlaubt.“ Ich runzelte ungläubig die Stirn. Unterricht? Was sollte man denn schon groß lernen, wenn alle Tätigkeiten, die von einem erwartet wurden, in einem Bett stattfanden? „Was wird denn unterrichtet?“, fragte ich leise. „Verschiedenes.“ erwiderte Karim. „Unter anderem gutes Benehmen, Etikette und Klasse. Gewählte Ausdrucksweisen und etwas Grundbildung.“ Ich blickte erstaunt auf. „Wozu? Haremsdamen werden doch nur für-“ Er schnitt mir das Wort ab. „Wo denkt Ihr hin, Tamima? Die Haremsdamen des Herrschers eines Landes sind dessen Symbol für Anstand und Würde. Sie müssen ebenso in der Lage sein edle Gäste zu amüsieren, Unterhaltungen zu führen und Feste zu leiten, wie dem Sultan jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Denkt Ihr denn sie wären fluchende Straßenmädchen? Es würde die Ehre des Sultans beschmutzen sich einen Haufen undisziplinierter Frauen zu halten, die nicht wissen wie sie die einfachsten Befehle ausführen können.“ Auf meinen ungläubigen Blick hin fuhr er mit eindringlicher Stimme fort. „Natürlich werdet Ihr kein Mitspracherecht bei politischen Belangen haben, oder die gleichen Rechte wie Personen des Hofstaates. Das und anderes ist einzig und allein dem Sultan und seinen Beratern vorbehalten. Doch der Palast eines Sultans ohne einen vorzeigbaren Harem ist eine Undenkbarkeit! Jedes Fehlverhalten der Damen hätte schwerwiegende Folgen für das Ansehen des Hofes. “ Ich schlug die Augen nieder, bemüht meine Überraschung zu verbergen. Also wurden die Haremsdamen als Aushängeschild für die Fortschrittlichkeit und den Anstand des Reiches verwendet. Daran hatte ich nicht gedacht. Dann verwandelte sich meine Überraschung in Wut. Wenn ich also aufgenommen werde, werde ich nicht nur dem Sultan als Bettsklavin zur Verfügung stehen müssen, sondern auch als wohl dressiertes Schoßhündchen, an dem er seine Großzügigkeit präsentieren kann., kombinierte ich. Hätte ich jemals Sympathien für den Sultan gehabt, so wären nun auch die letzen Funken davon verschwunden. Aus Angst, Lord Kuero könnte die Wut in mir bemerken, lenkte ich das Gespräch vorsichtig auf weniger gefährliches Terrain. „Wisst Ihr wer mein Lehrmeister sein wird?“ Karim breitete die Arme aus. „Nun den größten Teil Eurer Ausbildung werden die Mitglieder des Harems selbst bestreiten. In ihren Bereich fallen elegantes Auftreten, Bewegung und Balance, Tänze, soziale Fähigkeiten und anderes das Ihr beherrschen werden müsst, und das Euch ein Mann nicht beibringen kann.“, er räusperte sich, „Alles was darüber hinausgeht wird in Eurem Fall ein sehr gut ausgebildeter, fantastisch aussehender, junger Charmeur von einem Lehrmeister übernehmen.“ Ich runzelte die Stirn als ich nach und nach erkannte auf wen er anspielte. „Ihr?“, fragte ich leise. Beinahe hätte ich über die Beschreibung seiner selbst auflachen müssen. Er nickte. „Es wird Euch zweifelsfrei eine Ehre sein von mir in Eurer Ausbildung unterstützt zu werden. “ Ich blinzelte, überrascht von so viel Blasiertheit. Doch ich rang mir ein Lächeln ab. „Und was geschieht, wenn der Sultan dennoch nicht nach mir rufen lässt?“ Sein Lachen verblasste ein wenig. „Ihr werdet 5 Monde bleiben. Dies ist die oberste Grenze, solltet Ihr nicht in den Harem erhoben werden. Wenn Ihr bis dahin Eure Lehrmeister nicht von Eurem Können überzeugt habt, oder in den Vorführungen, bei denen der Sultan zugegen sein wird, nicht von ihm ausgewählt werdet, so werdet Ihr des Palastes verwiesen.“ Hoffnung stieg in mir auf. „Werde ich dann wieder nach Hause geschickt?“ Karim schüttelte bedauernd den Kopf. „Der, der Euch auswählte, in Eurem Fall Berater Kaseng, hat dadurch dass er Euch aus dem Haus Eurer Eltern geholt hat, seinen Teil eines Paktes erfüllt. Solltet Ihr nicht in der Lage sein die Gunst des Sultans zu gewinnen so werdet Ihr als Geschenk einem der Gäste oder Würdenträger des Sultans gegeben, der dann mit Euch verfahren kann wie es ihm beliebt. Wenn er beschließt, Euch dahin zurückzuschicken woher Ihr kamt, so ist das seine Sache. Doch es ist sehr viel wahrscheinlicher dass Ihr in den Harem des Betreffenden eingegliedert werdet. Es ist eine Ehre für jeden Mann eine ehemalige Anwärterin aus dem Palast zu besitzen. Kaum einer wird sich diese Chance entgehen lassen.“ Ich schluckte. Diese Möglichkeit klang noch viel unangenehmer als hier zu bleiben. Doch noch eine andere Frage stieg in mir auf. Warum machte man sich hier nur solche Mühe wegen des Harems? Es ist der Harem des Sultans., meldete sich die bereits vertraut gewordene Stimme in meinem Kopf wieder. Vermutlich wird alles das mit ihm in Berührung kommt, mit besonderer Sorgfalt behandelt und aussortiert. Du würdest einem Sultan doch auch keine verdorbene Milch servieren wenn er in dein Gasthaus käme, oder? Innerlich verfluchte ich die Stimme. Doch leider schien sie Recht zu haben. Ich verfiel wieder in Schweigen. Der Weg war noch um einiges länger als ich erwartet hatte. Ob Karim mit Absicht einen längeren Pfad gewählt hatte um mir das alles zu erklären? Plötzlich jedoch blieb er abrupt stehen und drehte sich zu mir um. „Wenn Ihr diesen Gang bis zum Ende geht, werdet Ihr den Eingang des grünen Saales bereits sehen. Ich muss noch etwas erledigen und werde dann gleich zu Euch stoßen.“ Damit verbeugte er sich galant und ging den Weg zurück den wir soeben gekommen waren. Als er hinter der Wegbiegung verschwunden war ging ich zögernd weiter. Kaum 200 SchrittE entfernt erkannte ich eine bogenförmige Öffnung in den Wand, die mit einem grünen Vorhang, in den silberne Muster eingenäht waren, vom Gang getrennt war. Dahinter hörte ich gedämpfte Stimmen, die jedoch erstarben als ich ihn vorsichtig beiseite schob. Fünf Frauen in edlen Gewändern saßen oder lagen auf breiten Sitzkissen überall in dem kleinen Saal verteilt. Sie sahen auf als ich vorsichtig eintrat. Mein Blick begegnete zwei hellen Augen und einem vertrauten Gesicht. „Tamima!“, rief Kishe aus, als sie mich erkannte. Ich lächelte, ehrlich erfreut sie wieder zu sehen. Ich schob mich an einer an der Tür stehenden hochgewachsenen Frau in Rot vorbei. Schon auf den ersten Blick wurde mir klar warum dieser Raum der „grüne Saal“ genannt wurde. Drei der Wände waren mit grünen Wandteppichen bedeckt, auf denen mit goldenem Garn Zeichen und Symbole eingenäht waren. Vermutlich waren es Worte, doch ich verstand zu wenig von Buchstaben als dass ich sie hätte entziffern können. Die vierte Wand, die die der Tür gegenüberlag, war jedoch vollkommen offen. Ein etwa hüfthoher Sockel bildete alles was noch an die frühere Außenmauer erinnerte. Ansonsten war die gesamte Wand, offenbar nachträglich, entfernt worden und enthüllte einen unvergleichlichen Blick auf die hinteren Gärten und Wälder des Palastes, die in der frühen Herbstsonne glitzerten. Ich wandte mich Kishe zu, die auf einem Sitzkissen lag und überrascht zu mir aufblickte. „Du bist ganz schön spät.“, bemerkte sie tadelnd, als ich mich auf ein Kissen neben ihr niederließ. „Ich befürchtete du hättest dich verlaufen.“ Ich lächelte amüsiert. „Hätte ich beinahe. Doch unser Lehrmeister hat mich hierher eskortiert. Sonst würde ich wohl noch immer in den Gängen herumirren.“, flüsterte ich, überrascht über meinen Redeschwall. Auch Kishe schien erstaunt, aber erfreut zu sein. „Ich bin auch abgefangen worden. Gerade als ich kurz davor war, einen der Diener um Hilfe zu bitten, hat eine der Haremsdamen, Lady Marina glaube ich, mich gefunden und hierher begleitet. Sie war unheimlich nett.“ Ich nickte. Vermutlich war es arrangiert worden dass auf jeden der Neuzugänge jemand gewartet hatte um uns zu eskortieren und unsere Fragen zu beantworten. Eine noble Geste, fand ich. Jedoch bestimmt nicht auf dem Mist des Sultans gewachsen. „Hast du dich mit ihr unterhalten ?“, wollte ich leise wissen. Sie nickte eifrig. „Ja. Die Ansprache der Lehrmeister war wirklich seltsam. Hättest du gedacht dass wir lernen müssen was eine Haremsdame ausmacht? Ich wünschte ich hätte das gewusst bevor ich meine Eltern bat mich dem Berater vorzustellen.“ sie verstummte, offenbar in Gedanken versunken. Ich dachte daran, was Karim gesagt hatte was mit den Frauen passierte die nicht zum Sultan gerufen wurden. Ich erschauderte als mir bewusst wurde was dieses Schicksal für die meisten der Anwärterinnen bedeuten musste. Schließlich hatten sie Familien, die sie liebten. Und die sie vermutlich niemals wiedersehen würden. Plötzlich jedoch hellte sich die Miene der blonden Frau auf. „Lady Marina hat mir noch etwas wirklich interessantes erzählt. Über den Sultan.“ sie hielt inne, offenbar eine Aufforderung von mir erwartend, weiterzusprechen. Da mein Interesse tatsächlich geweckt war, nickte ich aufmunternd und riss die Augen spielerisch weit auf. Sie schien es nicht zu bemerken. „Denk dir nur, eigentlich ist er gar nicht-“ Eine laute Stimme in meinem Rücken ließ sie zusammenfahren. „Einen wunderschönen guten Morgen, Anwärterinnen!“, dröhnte Karims Stimme zu uns herüber, als er den Raum betrat. Er war nun in eine weiße Robe gehüllt, auf dessen Brustseite das Emblem des Sultans, ein Wüstenfuchs, eingenäht war. Er hatte eine ehrfurchtgebietende Miene aufgesetzt. Sofort verstummte das Getuschel der anderen Frauen. Sie erhoben sich von ihren Kissen als Karim einen Platz an der Stirnseite des länglichen Raumes einnahm. Kishe und ich taten es ihnen gleich. Er lächelte und seine dunklen Augen blitzen auf. „Beginnen wir also mit dem Unterricht!“ „Wir reden später weiter.“, zischte Kishe mir zu, ihre Augen wie gebannt auf den Lehrmeister gerichtet. Als ich sie einen Augenblick aus den Augenwinkeln ansah sah ich zu meiner Überraschung mehr als nur Aufmerksamkeit in ihrem Blick. Bei weitem mehr. Kapitel 8 - Begegnung ---------------------- „Als Nächste noch Lady Dunada, ebenfalls ein Mitglied des Harems. Sie ist leicht an ihrer Abstammung zu erkennen, da sie die Merkmale einer Rin trägt. Ihr werdet sie vermutlich in den Gärten finden, doch seid gewarnt, sie ist nicht sehr zugänglich.“ Während ich versuchte, mir auch diesen Namen einzuprägen, ließ ich meinen Kopf müde gegen die hinter mir stehende Wand fallen. Wie erwartet war der Unterricht der Anwärterinnen nicht besonders einfallsreich. Karim hatte die letzten Stunden damit verbracht uns eine ewige Liste von Namen der Bewohner des Palastes zu erläutern, und woran man sie erkennen konnte. Offenbar wurde von uns erwartet, dass wir nicht nur alle Lehrmeister, sondern auch die oberste Garde, den Hofstadt und alle Haremsdamen sowie des Sultans als auch des Berater mit Namen kennen mussten. Am Anfang war ich noch bemüht gewesen mir alles zu merken, doch mittlerweile hatte ich aufgegeben. Der Palast hatte mehr Bewohner als manche Viertel der Wüstenstadt. Frustriert ließ ich meinen Blick in dem kleinen Saal umherhuschen. Die fünf anderen Anwärterinnen lagen, mehr gelangweilt als aufmerksam, auf ihren Kissen und eine von ihnen musste sich sogar verstohlen ein Gähnen unterdrücken. Auf einen Seitenblick Karims, der sich einem der Wandteppiche zugewandt hatte und augenscheinlich darauf aufgeschriebene Symbole erklärte, schossen sie jedoch wieder in die Höhe, bis einige Minuten später ihre Aufmerksamkeit erneut schwand. Nur Kishe schien eine Maske des Interesses aufgesetzt zu haben. Sie verfolgte mit bewundernswerter Wachsamkeit jede Ausführung des Lehrmeister. Ich bewunderte ihre Geduld, und nahm mir vor sie nach dem Unterricht zu fragen ob sie mir das eine oder andere erklären konnte. Wie sich herausstellte hatte der Sultan, Jakib Marmar Suero, trotz seiner jungen Jahre bereits nicht weniger als 23 Haremsdamen – eine Größe die den Harem seines Vorgängers, seines verstorbenen Onkels, um mehr als die Hälfte überstieg. Weiterhin gehörte es zu den Angewohnheiten des Sultan immer eine hohe Anzahl an Gästen zu seinem Amüsement im Palast zu empfangen, die kommen und gehen durften wie es ihnen beliebte. Große Feste standen mehrmals jeden Mond an und abendliche Veranstaltungen beherrschten den Großteil des Lebens im Palast. Wenn die Anwärterinnen auch nicht zu allen davon zugelassen wurden so mussten wir doch auch die Namen eines jeden Festes - und hohen Gastes - kennen und bei Bedarf anwenden können. Karim prophezeite uns, dass wir mehrere Wochen mit diesem Thema verbringen würden. Zum Glück jedoch blieb uns erspart die 500 Mann starke Palastgarde, die in einem Gebäudering innerhalb der äußeren Palastmauern lebte, namentlich kennen zu müssen. Ich blickte über den Mauersockel neben mir. Das große Fenster des Saales, das die ganze westliche Wand durchzog, bot einen schönen Ausblick über die Stadt hinter der Palastmauer. Ich konnte ich die hohe Stadtmauer sehen, die Shrida wie eine Schale umschloss und der helle Sandstein der Häuser glänzte golden in der langsam tiefer hängenden Sonne. Es war ein sehr malerischer Anblick. Hinter der großen Wüstenstadt jedoch erstreckte sich Ödland. Die einstigen Palmenwälder, die den Kern Mangalins gebildet hatten, waren von Sultan Salim vor über hundert Jahren abgeholzt worden, als Vorbereitung für den großen Krieg gegen die Beduinen. Nun hatten sich in der Halbwüste die Vorstädte Shridas und weiter entfernt kleinere Dörfer zusammengefunden, die wie weiße Flecken in der sonst roten Wüstenlandschaft lagen. Durch sie hindurch zog sich ein dickes, blaues Band, der Nuasa, der wichtigste und größte Fluss Mangalins. Er entsprang, soweit ich wusste, in den höchsten Gipfeln Morins Bergen und floss bis in den äußersten Winkel Kerwins, wo er die eisernen Gebirgen durchfloss und unbekannte Länder erreichte. Ich würde seinem Verlauf gerne folgen. . ., flüsterte das Stimmchen. „Ich denke, für heute ist es genug. Lasst uns morgen fortfahren.“, riss mich Karims Stimme aus meinen Gedanken. Als ich verschreckt aufsah, bemerkte ich, dass der tadelnde Blick des Lehrmeisters auf mir ruhte. Etwas beschämt stellte ich fest dass ich aufgehört hatte ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Als er sich von seinem Platz erhob, kam auch Bewegung in die Übrigen. Zwei, die sich besonders weit vom Fenster weggesetzt hatten, wohl um der sengenden Nachmittagssonne zu entgehen, sprangen augenblicklich von ihren Liegekissen auf und verneigten sich tief vor dem Lehrmeister. Auch die beiden anderen folgten ihrem Beispiel, ebenso wie Kishe und ich. Ich warf der Blonden einen neugierigen Seitenblick zu. Kishe war die letzten Stunden über seltsam abwesend gewesen. Während des Unterrichts hatte sie kaum ein Wort gesprochen und selbst als einige Diener uns um die Mittagszeit Getränke und Baklava gebracht und wir den Unterricht unterbrochen hatten, hatte sie kaum etwas gesagt. Jetzt stellte ich zu meiner Erleichterung jedoch fest, dass der angespannte Ausdruck auf ihrem Gesicht verschwunden war. Ich lächelte erleichtert und als wir den Saal verließen ging ich neben ihr her. „Hast du dir etwas gemerkt?“, fragte ich leise. Sie nickte. „Ich habe es versucht.“ Ein nachdenklicher Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. „Hättest du gedacht wie viele Menschen hier leben? Wenn man die Diener und die Garde dazurechnet sind es mehr als in ganz Calia!“ Ich nickte zustimmend. Calia musste ihre Heimatstadt gewesen sein. „Ich hoffe nur, dass ich den Weg in die Quartiere wiederfinde.“, murmelte sie. „Karim sagte wir könnten uns in der Bibliothek Pläne besorgen.“, erwiderte ich, bemüht ihre Stimmung aufzubessern. Stattdessen runzelte sie die Stirn. „Wer?“ „Lord Kuero, meinte ich.“ „Oh.“, sie nickte nachdenklich. „Dann sollten wir die Bibliothek vermutlich suchen. Hast du eine Idee, wo . . .?“ Ich schüttelte bedauernd den Kopf. Eine kurze Weile gingen wir schweigend nebeneinander her. Dann blieb Kishe langsam stehen und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich vermute sie liegt über der Versammlungshalle. Zwei Mädchen neben mir haben darüber gesprochen, dass sie da noch hin wollten.“, meinte sie hoffnungsvoll, doch ihre Stimme klang seltsam dünn. Ich nickte und drehte mich halb um. Die Versammlungshalle lag – vermutlich – nicht in dieser Richtung. Kishe jedoch blieb stehen wo sie war und trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Als ich mich zu ihr umwandte sah ich zu meinem Erschrecken dass der abwesende Ausdruck auf ihrem Gesicht zurückgekehrt war. Sie rieb sich mit einer Hand über die Schläfe und hatte die Lider halb geschlossen. Besorgt trat ich näher. Sie fing meinen Blick auf und ein leidender Ausdruck trat auf ihr Gesicht. „Tamima, würde es dir etwas ausmachen, allein hinzugehen? Ich fühle mich nicht sonderlich wohl und-“ Sie stütze sich gegen die Wand, offenbar schwindelig. Sie hielt sich die Stirn. Plötzlich dröhnte Karims Stimme den Korridor entlang, als er, einige Schriftrollen unter dem Arm, auf uns zukam. Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Wenn ihr beide die Quartiere sucht“, er deutete mit einer Hand über seine Schulter „die sind in dieser Richtung.“ Ich versuchte zu lächeln. „Danke.“, wisperte ich. „Doch wir wollten in die Bibliothek.“ Ich warf Kishe einen besorgten Blick zu, die offenbar mit aller Kraft versuchte nicht umzukippen. Zu meinem Entsetzen sah ich dass alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war. „Wenn Kishe sich wohl genug fühlt.“, setzte ich hinzu. Sofort verschwand das Lächeln des Lehrmeisters. Er trat einen Schritt näher an die Blonde heran. „Ihr müsst der andere Neuzugang meiner Gruppe sein, Kishe Umeri, nehme ich an?“ Sie nickte schwach. Er runzelte die Stirn. „Geht es Euch gut?“ Sie nickte abermals, doch ihre Blässe strafte ihre Worte lügen. Karim warf ihr einen langen Blick zu, dann wandte er sich zu mir um. „Ich denke Eure Begleiterin sollte sich in ihr Quartier zurückbegeben, Tamima. Erlaubt Ihr mir, sie dorthin zu bringen?“ Ich nickte zögernd, verwundert über die Frage. Er braucht meine Erlaubnis dazu? Er deutete eine Verbeugung an „Die Bibliothek, solltet Ihr noch dorthin wollen, liegt am Ende dieses Flures, auf der rechten Seite. Ihr solltet sie nicht verfehlen können.“ Kishe an seiner Seite rang sich ein schwaches Lächeln ab, dann drehte sie sich um und ging vorsichtig los. Karim folgte ihr und stützte sie vorsichtig ab. Stirnrunzelnd sah ich den beiden eine Weile nach. Dann begab auch ich mich auf den Weg. Wie sich bald herausstellte, war “gleich am Ende des Flures“ ein sehr dehnbarer Begriff. In diesem Stockwerk waren alle Gänge offenbar ganz besonders ineinander verschachtelt, und da immer wieder Abzweigungen von ihnen abgingen, hatte ich schon sehr bald die Orientierung verloren. Außerdem schien dieser Teil des Palastes um diese Tageszeit vollkommen leer zu sein. Hier und da huschten zwar einige geschäftige Diener umher, oder einzelne Anwärterinnen, die offenbar tief in Gedanken versunken waren, kreuzten meinen Weg, doch keine von ihnen blieb lange genug stehen als dass ich es gewagt hätte, sie nach dem Weg zu fragen. So kam es, dass die Sonne bereits hinter dem Horizont zu versinken begann, als ich endlich vor einem hohen, bogenförmigen Tor ankam, über dessen geöffneten Flügeln das Bild eines aufgeschlagenen Buches in die Mauer eingeritzt war. Die Bibliothek. Sie hatte dieselben Ausmaße, wie die darunter liegende Versammlungshalle, war jedoch bei weitem vollgestellter. Ihre hohe Decke war mit kunstvollen Mustern verziert und hohe Erkerfenster fingen die letzten Strahlen der Sonne auf. An den Wänden standen hohe Schränke, auf denen sich Schriftrollen aller Größen stapelten. Es roch nach Staub und altem Pergament. Innerhalb des Raumes waren bedeutend kleinere Regale angebracht, die zu beiden Seiten mit Büchern bedeckt waren. Interessiert ging ich auf sie zu. Auf den Rücken waren Worte und Symbole eingeritzt, die ich nicht verstand. Ehrfürchtig strich ich mit der Hand darüber. Als ich sie wieder zurückzog hatte sich eine dicke Staubschicht auf meinen Fingerkuppen gebildet. Vorsichtig zog ich eines der Bücher heraus und schlug die vergilbten Seiten auf. Ein leises Räuspern hinter mir ließ mich auffahren. Ich fuhr herum. Einer der Lehrmeister, in weiße Roben gehüllt, stand hinter mir und beobachtete mich misstrauisch. Mich daran erinnernd was Karim mir erklärt hatte, verneigte ich mich augenblicklich. Zu meinem Erstaunen wurde der Blick des Mannes, mit dem er mich zu durchdringen versuchte, tatsächlich etwas weicher. Er nickte mir als Gruß zu. „Was wollt Ihr hier, Anwärterin?“, fragte er. Seine Stimme klang ruhig und bestimmt. „Eine Karte des Palastes.“, flüsterte ich und legte unauffällig das Buch, das ich in Händen gehalten hatte, wieder zurück. „Ihr seid eine der Neuankömmlinge, oder?“ Ich nickte, unschlüssig ob dies etwas Gutes war oder nicht. Er lächelte jedoch, wodurch er eine Reihe erstaunlich weißer Zähne entblößte. „Uns ist es nicht erlaubt den Anwärterinnen Karten des gesamten Palastes auszuhändigen.“ Er verschränkte die Hände vor der Brust „Dort hinten jedoch hängt eine an der Wand, die ihr abzeichnen dürft. Wenn Ihr euch beeilt könntet Ihr noch vor Sonnenuntergang fertig sein.“ Ich nickte, dankbar für die Hilfe und zwängte mich nach einer kurzen Verbeugung an ihm vorbei. Als ich um eine Ecke in der Regalwand bog, bemerkte ich zum ersten Mal, wie still es hier war. Der dicke Teppich, der den ganzen Raum ausfüllte, verschluckte jegliche Geräusche. Doch selbst wenn es nicht so wäre, hätte ich schwören können, dass niemand hier war. Der Lehrmeister war offenbar nur durch Zufall hier – oder er beaufsichtigte die Bibliothek. Ansonsten schien sie wie ausgestorben zu sein. Ein Gefühl der Abgeschiedenheit, schwer wie Blei, lag über allem. Nach wenigen Augenblicken hatte ich die Karte gefunden, sie hing an einer Wand in der Ecke. Davor standen ein Tisch und ein hölzerner Stuhl, etwas das im allgemeinen Gebrauch nur selten benutzt wurde. Dennoch ließ ich mich auf das ungewohnt unbequeme Möbelstück nieder. Zu meinem Glück lagen auf dem Tisch einige Pergamentstücke, Tintenfässer und etliche Federkiele. Ich griff nach ihnen und machte mich daran die durch eine Öllampe an der Wand beleuchtete Karte abzuzeichnen. Bald jedoch schon wurde mir die Undurchführbarkeit dieses Vorhabens bewusst. Da ich in meinem Leben noch nie einen Federkeil in der Hand gehalten hatte, geschweige denn wusste, wie man ihn auf Papier führte, hatte ich größte Schwierigkeiten damit auch nur einen Strich auf das trockene Pergament zu machen. Als die letzten Strahlen der Sonne die hohen Fenster der Bibliothek kaum noch erreichten, erhob ich mich frustriert und nahm das Stück Pergament, auf dem ich bis jetzt zu zeichnen versucht hatte, samt Federkiel und Tintenfass, mit. Vielleicht würde ich auf eigene Faust eine Karte erstellen können, oder zumindest den Weg zurück einzeichnen. „Noch eine Anwärterin, zu so später Stunde?“, hörte ich die Stimme des Lehrmeisters, der mir geholfen hatte, durch die leere Bibliothek klingen. Ich hielt mitten in der Bewegung inne. Da ich mich an die Stille gewöhnt hatte drangen die Worte des Mannes übermäßig laut an mein Ohr. Ich überlegte. Mich konnte er damit unmöglich meinen, war ich doch in der hintersten Ecke des Raumes. Hatte sich also noch jemand hierher verirrt? Obwohl es schon fast dunkel wurde? „Verzeiht, Lord Raschid. Eigentlich habe ich mich nur verlaufen und suche nach Auskunft.“, erklang die leise Stimme einer jungen Frau. Unwillkürlich wandte ich mich um. Ich hatte die Stimme bereits einmal gehört, doch fiel mir die dazugehörige Person nicht ein. Vorsichtig ging ich näher heran. Ein schwacher Lichtstrahl drang zwischen den Regalen durch. Offenbar trug einer der beiden eine Lampe. „Vielleicht kann ich Euch ja helfen.“, bot Raschid an. Ein leises Schaben ertönte, als jemand ein Buch aus einem der Regale zog. Dann antwortete die Frau, und ihre Stimme hatte plötzlich etwas unverkennbar Schmeichelndes. „Möglicherweise könnt Ihr das, Lord Raschid. Ich bin auf der Suche nach den Sammelsurien der Mediziner.“ Eine Pause folgte und ich glaubte zu hören wie der Angesprochene scharf die Luft einsog. „Verzeiht, doch eine Anwärterin hat in diesen Teilen des Palastes nichts zu suchen. Es ist mir nicht gestattet, eine Ausnahme zu machen.“ Das leise Geräusch von Schritten und dann das Rascheln von Stoff waren zu hören. „Seid Ihr sicher, Mylord? Ich wäre Euch sehr . . . verbunden, wenn Ihr mir helfen würdet.“, gurrte sie leise. Einen Moment lang herrschte eiserne Stille. Mich beschlich das seltsame Gefühl, dass ich diesem Gespräch nicht lauschen durfte. Vorsichtig machte ich ein paar Schritte rückwärts und wandte mich Richtung Ausgang. Ich konnte mein Herz in der Brust schlagen hören. Was geht dort vor?, fragte ich mich. -Geh nachsehen., antwortete die vorwitzige Stimme in meinen Kopf. Doch ich ignorierte sie. Die Ruhe der Bibliothek und die aufkommende Dunkelheit nahmen plötzlich etwas Gespenstisches an. Raschids Stimme, lauter als für ein zweisames Gespräch nötig, durchdrang die Stille. „Ich glaube es ist besser, wenn Ihr geht, Anwärterin. Die Bibliothek wird in Kürze geschlossen werden. Es schickt sich nicht für die zukünftigen Frauen des Sultans in der Dunkelheit herumzuschleichen.“ Daraufhin hörte ich laute Schritte, offenbar die Lord Raschids, die sich rasch entfernten. Ich erkannte, dass dieser Aufruf auch auf mich bezogen war. So leise ich nur konnte drehte ich mich um und schlich, soweit wie möglich von dem langsam dem Ausgang zuschwebendem Lichtstrahl entfernt, davon. Doch die Götter der Heimlichkeit waren mir nicht hold. Kurz bevor ich um die letzte Ecke bog und das große Tor in mein Blickfeld trat, stieß ich mit jemandem zusammen, der den selben Weg gewählt hatte. Ich stauchelte als mein Gegenüber gegen mich prallte. Federkiel und Tinte fielen mir aus der Hand. Ein lautes Klirren ließ mich zusammenschrecken. Alarmiert blickte ich zu Boden, wo die Tinte des zerbrochenen Glases sich langsam auf dem Fußboden ausbreitete und zwei nackte Füße und einen Kleidersaum mit schwarzen Flecken übersäten. Ein sehr undamenhafter Fluch ertönte und als ich aufsah, erkannte ich Velia. Ihre Augen waren vor Erschrecken und Überraschung aufgerissen. In der einen Hand trug sie eine gelöschte Laterne, mit der anderen hielt sie den Saum ihres Kleides hoch, damit er nicht in der Luft rascheln konnte. Ist sie diejenige, die gerade mit Raschid gesprochen hat?, fragte ich mich leise und beobachtete sie vorsichtig während sie, einen weiteren Fluch ausstoßend, einen Schritt rückwärts machte und ihre mit Tinte befleckten Füße ausschüttelte. Als sie meinen Blick bemerkte verengten ihre Augen sich, und die Überraschung verschwand aus ihren Zügen. Sie warf mir einen abschätzenden Blick zu. Sie weiß, dass ich sie belauscht habe, erkannte ich, Was wird sie jetzt tun? -Das kommt darauf an, ob du hättest hören dürfen worüber sie gesprochen haben, oder nicht., flüsterte die Stimme. Unwillkürlich machte auch ich einen Schritt rückwärts. Velias Augenbrauen schossen in die Höhe. Bevor sie auch nur den Mund öffnen konnte wandte ich mich hastig um und verließ, so rasch es mir meine Würde und mein panisch klopfendes Herz erlaubten, die Bibliothek. In meinem Rücken konnte ich die stechenden Blicke spüren, die die Rothaarige mir nachwarf. Doch ich drehte mich nicht um, als ich die Bibliothek verließ, und hastete den Weg zurück den ich gekommen war. Im Stillen betete ich zu den Göttern, bald die Quartiere zu erreichen. Kapitel 9 - Trauernde Weiden ---------------------------- Zu meiner Überraschung wurde mein Wunsch erfüllt. Als die bleierne Dunkelheit der mondlosen Nacht über den Palast hereinbrach, hatte ich endlich die Quartiere, und auch mein eigenes Gemach, erreicht. Erleichtert stürmte ich hinein und ließ die schwere Holztür hinter mir ins Schloss fallen. Zu müde um über die gespenstige Begegnung in der Bibliothek nachzudenken, ließ ich mich aufs Bett fallen und noch bevor ich mich daran erinnern konnte mich auch nur unter die Decken zu legen, schlief ich ein. Eine dumpfe Erschütterung neben mir ließ mich aus dem Schlaf hochschrecken. Ich blinzelte verschlafen – und war mit einem Male hellwach. Ich war nicht in meinem Zimmer. Ich bezweifelte sogar, noch irgendwo im Palast des Sultans zu sein. Vor mir lag ein kleiner Raum. Die Wände waren mit edlen Verzierungen bedeckt, und die hohe Decke zierte das überlebensgroße Motiv eines Singvogels. Dasselbe Bild hing, auf einer edlen Leinwand mit goldenem Rahmen, an einer der Wände, die allesamt mit kunstvollen Motiven bemalt worden waren. Ein großes Fenster in meinem Rücken verbreitete helles Tageslicht. Und zu meinem Erstaunen gab es keine Tür. Wie bin ich hierher gekommen?, fragte ich mich verwundert. Ich drehte mich um und spähte durch das Fenster hinaus auf eine endlose, grüne Hügellandschaft. Zu meinem Schrecken erkannte ich, dass ich nicht mehr in Mangalin sein konnte. Das helle Tageslicht beleuchtete die einzigen Möbelstücke des Raumes: ein kleiner, weißer Stuhl, und eine Wiege, über der ein seidener weißer Vorhang hing. Sie sahen zu fein geschnitzt aus, um aus normalem Holz zu sein und glitzerten im hellen Sonnenlicht. Ich selbst, die ich an der gegenüberliegenden Ecke des Raumes gestanden hatte, ging interessiert darauf zu. Zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass meine Schritte kein Geräusch verursachten. Irgendetwas an diesem Raum traf mich seltsam vertraut. Als wäre ich schon einmal. . . Ich sollte den Gedanken niemals zu Ende führen. Das schöne Gemälde des Vogels, der in einer Nachtlandschaft auf einem Ast saß und offenbar den vollen Mond, Hilal, anzirpte, schwang plötzlich zur Seite. Schockiert machte ich einen Satz zurück, als eine in einen dunkelgrünen Reisemantel gehüllte Frauengestalt eintrat. Hinter ihr konnte ich einen Gang und steinerne Stufen erkennen, die von Fackeln beleuchtet waren. Sie berührte leicht den goldenen Rahmen, woraufhin das Bild geräuschlos wieder auf seinen Platz zurückschwang und den Durchgang verbarg. Verzweifelt sah ich mich um, auf der Suche nach einem Versteck, doch es war bereits zu spät. Die Frau sah auf, und ihre Augen, die dieselbe Farbe hatten wie das mit Gras bewachsenen Hügelland , das ich soeben gesehen hatte, trafen die Meinen. Bestimmt würde sie eine Erklärung haben wollen, wie ich- Doch ihr Blick wanderte an mir vorbei, und sie trat langsam auf die Wiege zu. Sie kann mich nicht sehen?, dachte ich erstaunt. Wie kann das sein? Ich stehe doch genau vor ihr! Wie kann sie da- -Die trauernden Weiden., wisperte die Stimme in meinem Kopf, die mich scheinbar nicht einmal in meinen Träumen in Ruhe ließ, und unterbrach meinen Gedankenschwall. Ich schluckte. In Mangalin kannte man die Welt des Traumes auch unter dem Namen “Das Land der trauernden Weiden“. Ich hatte nie verstanden woher dieser Ausdruck kam, doch nun erschien er mir seltsam passend. Man hinterfragte Träume nicht. Es bedeutete großes Unglück, wenn man sich zu viele Gedanken darüber machte. Man musste sie vorüber gehen lassen. Ein unbehagliches Gefühl stieg in mir auf. Als die Frau an mir vorbeiging, streifte mich ihr bodenlanger Mantel und ich konnte den Lufthauch spüren, den sie nach sich zog. Dies hier schien zu real für einen Traum zu sein. Sie setzte sich und ein plötzlicher Luftzug trug einen seltsamen Geruch zu mir. Flieder. Der Duft traf mich wie ein Hieb in den Magen und sofort verschwanden meine letzten Zweifel. Dies konnte nicht die Realität sein. Flieder war der wohl teuerste Duft, den man für Gold erstehen konnte. Nur die allerreichsten Frauen konnten sich auch nur selten damit umgeben und nicht einmal im Palast des Sultans hatte ich ihn wahrgenommen. Und dennoch fühlte ich mich, als kannte ich diesen Duft bereits von irgendwoher. Fasziniert trat ich näher an die Frau heran, die sich jetzt auf dem Stuhl niedergelassen hatte und sich die Kapuze aus dem Gesicht strich. Langes, schwarzes Haar kam darunter zum Vorschein, das wie ein Wasserfall über ihre Schultern hinunter zu ihren Hüften fiel. Ich erkannte es sofort. Mein Haar! War diese Frau etwa ich selbst, von der Welt der Träume verändert? Aber meine Augen waren doch nicht. . . Fasziniert trat ich näher. Sie hatte sich über die Wiege gebeugt und streckte die Arme hinein. Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie begann, die Wiege im Takt einer Musik, die ich nicht hören konnte, hin und her zu wiegen. Erst jetzt traf mich die vollkommene Stille, die hier herrschte. Es war nicht dieselbe, unbehagliche Ruhe wie ich sie in der Bibliothek gespürt hatte, sondern schien es, als habe jemand den Ton dieses Traumes einfach . . . verschwinden lassen. Die junge Frau begann nun leicht die Lippen zu bewegen. Offenbar sprach sie zu der Wiege, oder vielmehr dem Kind, das vermutlich darin lag. Ich beobachtete sie eine kleine Weile, wagte jedoch nicht, näher zu treten. Obwohl ich es nicht hören konnte, glaubte ich zu spüren wie die Luft um mich herum zu knistern begann. Verwirrt sah ich mich um. Alles war sah unverändert aus. Aber irgendetwas war da. Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf und mein Pulsschlag beschleunigte sich. Etwas Unheimliches ging hier vor. Eine seltsame Spannung schien den Raum zu erfüllen, und für einen kurzen Moment glaubte ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung in den stilisierten Malereien auf den Wänden zu erkennen, so als würden die Singvögel sich in die Lüfte erheben und die Pflanzen sich im Winde wiegen. Wie auf ein Kommando strich eine kleine Brise Abendluft, die nach Kräutern und Wasser roch, durch die Fenster herein. Einem inneren Impuls folgend streckte ich vorsichtig die Hand nach der Wiege aus. Da jedoch fuhr die Frau mit einer solchen Schnelligkeit und Wachsamkeit herum, dass ich zurückzuckte. Sofort verlor die Atmosphäre die geisterhafte Spannung, die soeben noch geherrscht hatte und alles lag wieder leblos da. Das Gefühl erinnerte mich daran, aus der Wärme gleißenden Sonnenlichtes plötzlich in den Schatten eines Hauses gezogen zu werden. Ihr Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. Doch galt der sowohl angstvolle, als auch autoritäre Blick, den sie über die Schulter warf, nicht mir, sondern einem in einen ledernen Umhand gehüllten Mann, der soeben lautlos durch das Gemälde eingetreten war. Er war jung und breitschultrig und hatte langes, dunkles Haar, das er zu einem Knoten im Nacken gebunden hatte. Er verneigte sich tief vor ihr. Sie nickte ihm zur Begrüßung zu und bewegte die Lippen, offenbar eine Frage formulierend. Der Mann begann zu sprechen als sie geendet hatte, erst langsam und gemessen, dann jedoch schnell immer aufgebrachter werdend. Er trat von einem Fuß auf den anderen und seine Hände umklammerten einander so fest, dass die Knöchel weiß waren. Er machte einen furchterregenden Eindruck. Die Frau jedoch zog lediglich die Augenbrauen hoch und schüttelte hier und dar verneinend den Kopf. Er verstummte und ging mit schnellem Schritt auf sie zu. Ich machte einen Satz rückwärts, als er sich an genau jene Stelle auf den Boden kniete, an der ich soeben gestanden hatte. Sie blickte gütig auf ihn herab, während er sprach. Nach einer Weile nickte sie und ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sie stand auf und drehte sich zu der Wiege um. Zärtlich strich sie über dessen zierlichen Rahmen und begann abermals zu sprechen. Auf dem Gesicht des Mannes machte sich Staunen breit, das jedoch bald Misstrauen wich. Unsicher verlagerte ich mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Plötzlich schnellte der Kopf des Mannes ruckartig herum. Für einen Augenblick ruhten seine Augen direkt auf meinen, dann wandte er sich ab und blickte zu Boden. Seine Lippen bewegten sich sachte, offenbar flüsterte er etwas. Die Frau warf ihm einen erstaunten Blick zu. Dann drehten sie sich beide in meine Richtung. Ihr Blick war neugierig, doch voller Zweifel. Suchend sah sie sich um, während ihre Lippen lautlos Worte formten. Er jedoch sah mich direkt an, und für einen Moment hatte ich keine Zweifel, dass er mich sehen konnte. Ich fröstelte unmerklich. Was geschieht hier?, dachte ich mit hämmerndem Herzen. Dies hier war nicht wie meine üblichen Träume. Nicht im Geringsten. Ich machte einen Schritt rückwärts. Plötzlich glitt der Boden unter meinen Füßen weg und etwas traf mich hart im Rücken. Ich sank zu Boden und das Bild vor meinen Augen verschwamm. Dunkelheit hüllte mich ein. Ich riss die Augen auf. Masuda starrte mich schockiert an. Ich war wieder in meinem Zimmer im Palast. Die frühe Morgensonne schien durch die halb geöffneten Samtvorhänge. Erleichtert stieß ich einen Seufzer aus. Dann fixierte ich Masuda. Die Dienerin hatte sich vor mir auf das Bett gekniet und rüttelte mit beiden Händen an meinem linken Arm. Ihr Griff war so hart, dass er schmerzte. Als sie die Verwunderung in meinem Gesicht sah, ließ sie los. Ich ließ mich müde auf die Kissen fallen. Ich bin wieder hier, dachte ich erleichtert. „Mylady! Was ist geschehen?“ Masudas Stimme klang panisch als sie sich zu mir herunter beugte. Doch ich hörte sie nur halb, dachte an den hellen Raum, die beiden Personen und die Wiege zurück. Hatte dieser Traum etwas zu bedeuten gehabt? Etwas Schlechtes? Vielleicht zeigt er ein Unglück an, das mir einmal geschehen wird. . . aber warum träume ich dann jetzt davon? Ein Schaudern befiel mich. Ich schüttelte unwillkürlich den Kopf, um das Spukbild zu vertreiben. Mir fiel auf, dass mir Haar nass am Gesicht klebte. Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn, die von Schweißperlen bedeckt war. Als ich an mir herabsah, bemerkte ich, dass mein Kleid, das ich gestern zu müde gewesen war, abzulegen, schweißnass an mir klebte. Was ist nur geschehen?. -Du hast geträumt., antwortete mir die nun schon bekannte Stimme kühl. -Aber wovon?Ich erinnere mich an nichts. . . wo war dieser Ort gewesen? Eine geheime Kammer im Palast? Doch die Gedankenstimme erwiderte nichts. Ich wandte mich fragend Masuda zu, in deren Augen noch immer eine Mischung aus Angst und Sorge stand. „Was ist passiert?“, fragte ich leise. Sie schüttelte ratlos den Kopf. „Als ich klopfte um Euch euer Frühstück zu bringen, habt ihr noch geschlafen. Ich habe also gewartet bis ihr erwacht damit ich euch beim Ankleiden helfen konnte, doch je länger ich wartete, desto mehr begann ich mir Sorgen zu machen.“ sie wurde merklich blasser, „Ihr habt Euch im Schlaf herumgeworfen wie eine Verfolgte, Mylady. Ich dachte Ihr stündet unter großen Schmerzen!“ Sie sah mich um Verständnis bittend an, während ich ihrem Blick fassungslos begegnete. Nach einigen Augenblicken der Stille, räusperte ich mich. „Es war nur ein kleiner Alptraum, Masuda. Nichts Ernstes.“, versuchte ich sowohl sie, als auch mich selbst zu beruhigen. Mein Blick fiel auf zwei unberührte Tablette mit Essen. Ich warf der Dienerin einen fragenden Blick zu. Sie errötete leicht.„Ihr habt gestern bereits geschlafen als ich Euch das Abendessen brachte, Mylady. Ich habe es hier hingestellt weil ich dachte Ihr würdet aufwachen und Hunger haben.“ Da fiel mir ein was ich ihr gestern noch hatte sagen wollen. „Masuda?“, begann ich leise, „Es tut mir Leid, dass ich zugelassen habe wie Malika mit dir gesprochen hat. Ich hätte sie zur Rede stellen müssen.“ Die Augenbrauen der Dienerin schossen in die Höhe. Einen Moment herrschte Stille, dann machte die Überraschung einem verlegenen Lächeln platz. „Sorgt Euch nicht darum, Mylady. Lady Malika hat das Recht mit den Dienern zu sprechen wie es ihr gefällt. Außerdem bedient sie sich nur dem gängigen Tonfall.“ Ich bemühte mich, meine Missbilligung zu verbergen, als sie sich erhob und mir wortlos das Frühstückstablett brachte. „Dennoch ist es nicht richtig.“, flüsterte ich, als sie sich zu mir setzte. „Ich würde es gerne wieder gutmachen.“ Sie schlug die Augen nieder, doch ich glaubte für einen Augenblick so etwas wie Unglauben in ihrem Blick zu erkennen. Dann jedoch lächelte sie zurückhaltend. „Ich danke Euch, Mylady. Doch das ist wirklich nicht nötig.“ Ich richtete mich auf als sie mir das Tablett aufs Bett legte und bat sie abermals, die Mahlzeit mit mir einzunehmen. Diesmal nahm sie zu meiner Überraschung an. Nach wenigen Minuten war das reichliche Essen verzehrt und ich lehnte mich zufrieden zurück. Dabei stieg mir der schale Geruch eines ungewaschenen Körper in die Nase. Ich stützte mich auf den Ellenbogen. „Masuda, glaubst du es wäre möglich, dass ich eine Kanne Wasser bekomme? Ich würde mich gerne waschen.“, flüsterte ich. Sie lachte leise auf. „Aber Mylady! Eine Kanne?“ Sie erhob sich kichernd. „Wenn Ihr es wünscht werde ich Euch gerne in die Badehäuser geleiten, wo ich Euch ein Becken einlassen werde.“ Ich stutze, überrascht. „Wäre das denn möglich?“ Sie nickte, wieder ernst geworden. „Natürlich. Die Quelle, die in den Teich vor dem Palast mündet, kann einfach angezapft werden. Das so gewonnene Wasser wird erhitzt und in verschiedene Zuber und Becken in den Badehäusern und den Gemächern des Sultans gebracht.“ Meine Augen weitete sich. „Müsst ihr das Wasser etwa tragen?“ Sie schmunzelte. „Schon seit Langem nicht mehr. Es wird durch Rohre in den Böden geleitet, wodurch diese in den kalten Monaten sogar geheizt werden können. Sultan Jakibs Vorgänger, sein verstorbener Onkel Sarim, hat dieses System entworfen. Er war sehr fortschrittlich, müsst Ihr wissen. “ Ich nickte langsam. Ich hatte Kaufleute über die ausgefeilte Technik des Palastes reden hören. Doch, dass es möglich war Badewasser durch die Mauern des Palastes zu leiten, hätte selbst ich nicht geglaubt. Sultan Sarim, schon ein alter Mann als er den Thron vor mehr als 20 Jahren bestiegen hatte, hatte viele Verbesserungen über Mangalin und die Nachbarländer gebracht. Er war selbst bei denen, die den Palast und seine Bewohner sonst verabscheuten, hoch angesehen gewesen. Auch ich lächelte als ich dieser genialen Idee ihren Respekt zollte. Dann sprang ich aus dem Bett. „Dann bitte, bring mich hin.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)