Abendstern von abgemeldet (Und du wirst strahlen, heller als die Sonne.) ================================================================================ Kapitel 3 - Die Unterredung --------------------------- Ich wusste nicht, wie lange ich in meinem Zimmer saß und, die Knie an mich gezogen, schluchzte, doch irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein. Als ich von einem pochenden Geräusch hinter mir erwachte, war Hilal bereits aufgegangen und verbreitete sein silbernes Licht. Als ich die Augen aufschlug kehrte sofort kehrte meine Nervosität zurück. Wie lange hatte ich geschlafen? Waren Kaseng und seine Begleiter bereits zu Bett gegangen? Und was war mit Hadim? Wie war die Unterredung verlaufen? Mir wurde übel, als ich darüber nachdachte, was mir womöglich bevorstand, sollte der Berater sich bei dem Wirt über mich beschwert haben. Das Klopfen hinter mir wurde lauter. Erst da bemerkte ich wo ich war – noch immer mit dem Rücken an meiner Kammertür lehnend. Hastig stand ich auf und öffnete vorsichtig selbige. Ich war äußerst überrascht Jasira dort stehen zu sehen, mit einem Bündel Kleidung in Händen. Ich musterte sie fragend, während sie sich alle Mühe gab meinen Blick so ausdruckslos wie möglich zu entgegnen. Sie blickte unschlüssig zu Boden, und erst da bemerkte ich, dass ich noch immer das Kostüm trug, das nun vom Tragen zerknittert war und man durch den dünnen Stoff Blessuren sehen konnte. Endlich ergriff sie das Wort: „Hier, dein Kaftan. Wir haben ihn gewaschen, als du geschlafen hast. Gute Nacht.“ Damit drückte sie mir das Stück Stoff in die Hände und drehte sich um. Während ich die Tür leise schloss begutachtete ich es eingehender. Das war keines meiner Kleidungsstücke ... aber warum hatte sie dann ...? Ich riss die Tür wieder auf. Die nun grinsende Magd stand vor mir, so als wäre sie nie weggegangen. „Dachte mir schon, dass du’s begreifen würdest.“ ,fing sie sofort an, „Sieh mal, Stummfisch, ich mag dich ja fast. Ich will dir helfen. Hör zu.“ Sie holte tief Luft und warf vorsichtig einen kurzen Blick über die Schulter. „Der Alte ist gerade in die Kammer des Beraters gerufen worden. Du weißt schon, die die im obersten Stock, der direkt unter der Dachkammer, mit den vielen Löchern im Boden, liegt. Wenn du meinen alten Kaftan anziehst – für den du mir später aufkommen wirst – würde deine Kleidung nicht schmutzig werden falls ... nun ja. Wie gesagt, eine gute Nacht.“ Damit drehte sie sich um und ging den Flur hinunter, ihre weiten Leinenhosen in der Luft flatternd. Ich starrte ihr wie gebannt nach, als langsam die Bedeutung ihrer Worte zu mir durchsickerte. Sie hatte noch nie etwas Nettes für mich getan! Hastig huschte ich ihr nach und ergriff ihre Schulter. Sie erschrak deutlich. „Bei den Göttern, Mädchen! Du bist ja leiser als 'ne Katze auf der Jagd nach 'ner Wüstenmaus! Was gibt’s denn noch?“ Ich schluckte. „Warum?“ flüsterte ich. Sie lächelte halbherzig. „Ne Schande, dass du nicht sprichst, Kind. Du wärst tatsächlich was wert wenn du’s könntest.“ Sie schüttelte den Kopf. „Jedenfalls hab ich gesehn was die Hure des Beraters mit dir gemacht hat – und es war falsch, dass du dafür bestraft wurdest. Ich mag dich nicht sonderlich – aber Hadim ist ein Hurensohn ohne jede Würde. Und außerdem, vielleicht bekommst du ja wirklich Ärger und verschwindest von hier. Je früher du es weißt, desto besser“, fügte sie schnippisch hinzu. Ich konnte sie nur fassungslos anstarren. Der Gedanke, dass die Magd, die hinter vorgehaltener Hand Umar immer berichtet hatte wo ich war und was ich tat, plötzlich als helfender Engel erschien war so absurd, dass ich leise zu kichern anfing. Sie bemerkte es jedoch nicht, sondern schlenderte nur pfeifend die Treppe zu den Küchen hinab. Eine seltsame Frau, dachte ich bei mir. Jedoch verschwand meine Belustigung sofort, als mir wieder einfiel worüber Hadim jetzt wohl mit Kaseng reden könnte. Wenn ich tatsächlich das Thema der Unterredung war, war klar welche Stellung der alte Wirt einnehmen würde – die gegen mich. Traurig, dass das der Mann sein sollte dessen Erbe ich eines Tages antreten würde. Aber was, wenn Kaseng mich in den Kerker werfen lassen wollte? Was, wenn er nur seinen wütenden Wachmann aufgehalten hatte, damit es kein Blutvergießen im Gasthof gab? Er sich meine Strafe für später aufheben würde? Sollte ich in einem stinkenden Rattenloch verfaulen? Schließlich war er ein hoher Mann, er konnte alles machen was er wollte ... Doch warum hatte er mich dann nicht gleich hinaus eskortieren lassen? Warum gab er mir noch eine Nacht in meinem zu Hause? Die Überlegungen verursachten mir Übelkeit. Es half alles nichts – ich musste wissen was sie besprachen. Als ich die alte Dachkammer betrat, kamen mir bereits die ersten Zweifel. Es ist absurd von mir hier heraufzukommen., schalt ich mich in Gedanken. Vorsichtig schlängelte ich mich an ein paar alten Tischen vorbei. Schließlich ist der Berater ein vielbeschäftigter Mann, warum sollte er sich mit jemand so Unbedeutendem wie mir beschäftigen? Geschickt duckte ich mich unter einem Spinnennetz durch. Wann war hier das letzte Mal sauber gemacht worden? Vermutlich erinnert er sich gar nicht mehr an mich und mein Missgeschick. Warum auch? Es passierte bestimmt ständig, dass ... So leise wie möglich kniete ich mich auf den morschen Holzboden und legte meinen Kopf auf die Bretter. Bestimmt sprachen sie bereits über die überstandene Reise Kasengs, und vergessen war – „Das Mädchen, das beim Essen bedient hat.“ Das Blut in meinen Adern gefror. Das war ohne Zweifel die Stimme unseres hohen Gastes gewesen. Sie durchstach mich, laut und dunkel, wie ein Dolch als sie durch den dünnen Holzboden drang. Und er hatte mich doch nicht vergessen. Panisch darauf bedacht nicht gehört zu werden, legte ich mich flach auf den Boden. Mein letztes Stündlein hatte geschlagen. Bestimmt würde ich zum Tode verurteilt werden. „Ja, genau die meine ich. Was könnt Ihr mir über sie erzählen, Wirt?“ Hektisch presste ich den Kopf gegen das Holz, ungeachtet der Staubwolke die mir in die Nase stob. Hadims leicht zitternde Stimme ertönte von unten. „Ein undankbares, kleines Ding ist das, Herr. Nichts als Ärger macht sie, jawohl! Hat noch nie etwas richtig machen können. Doch seid unbesorgt Eure Hoheit, sie wird ihre gerechte Strafe erhalten!“ Bis zu meinem Versteck war die unterdrückte Panik in Hadims Stimme zu vernehmen. Er bangt selbst um sein Leben, erkannte ich verblüfft. „Mir kam sie sehr tapfer vor“, murmelte der Berater. Es wurde still. „W-wie kommt Ihr ...?“, hauchte Hadim ungläubig. „Stell seine Herrschaft nicht in Frage, Wirt!“ Mit pochendem Herzen erkannte ich die Stimme des Mannes der mich bedroht hatte. „Schon gut, Hassim. Lass ihn los.“ Ein kurzer Moment der Stille folgte, nur von unregelmäßigem Keuchen durchzogen. „Sie hat keinen Laut von sich gegeben, als mein Mann ihr Leben bedrohte“, fuhr Kaseng, vermutlich an Hadim gewandt, fort. „S-sie spricht nicht, mein Gebieter.“ Plötzlich war die leichte Langeweile in der Stimme des Beraters, in Interesse umgesprungen. „Sie ist stumm?“ Offensichtlich verwundert über die Frage, fuhr Hadim nur stockend fort. „N-nein, das glaube ich nicht. Sie spricht schon, wenn man sie etwas fragt. Aber ohne Stimme. Sie flüstert. I-ich habe noch nie gehört, dass sie etwas laut gesagt hätte. Ich schätze, es ist eine Krankheit die ihre Stimme befallen hat.“ „Ist sie mit Euch verwandt?“, fuhr der Berater ruhiger fort. „Oh nein, Gebieter!“, beeilte sich Hadim zu erläutern, „Sie ist nichts weiter, als eine dreckige Waise.“ Etwas in meiner Burst krampfte sich zusammen, als er fortfuhr. „Ich habe sie aus reiner Herzensgüte bei mir aufgenommen und großgezogen, doch ist sie nicht von meinem Blute. Vielmehr ist sie -“ „Sie ist sehr schön.“ Wäre Unglauben schmerzhaft gewesen, hätten sowohl Hadim als auch ich in diesem Moment vor Schmerz aufgeschrieb. Was hatte er gerade gesagt? Ich konnte hören wie der Wirt scharf die Luft einsog und offenbar versuchte seine Überraschung zu verbergen. „J-ja, das ist sie wohl, Herr.“ „Ist sie noch von Wert?“ fragte der Berater, das letzte Wort überdeutlich betonend. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Warum fragte der Berater des Sultans nach meiner Jungfräulichkeit? „Selbstverständlich. Ich hätte niemals zugelassen, dass sie Euch unter die Augen kommt, wäre sie bereits . . .“ Eine Pause folgte und Schritte waren zu hören, so als ginge jemand im Kreis. Darauf bedacht, auch ja alles mitanzuhören was unten gesprochen wurde, presste ich den Kopf fester gegen die Bodendielen. „Wieviel?“ Die Stimme des Beraters war leise und bestimmt, doch wurden die ruhelosen Schritte schneller. „Ihr ... Ihr könnt das nicht ernst meinen, Hoheit! Sie ... sie ist nur eine niedere Magd! Ohne jegliche Herkunft!“ Plötzlich war ein metallisches Schaben zu hören, wie von einer gezogenen Waffe. Eine dunkle Stimme knurrte etwas, das ich nicht hören konnte. Erst nach einigen Augenblicken sprach Hadim weiter, jedoch klang er jetzt keuchend und gepresst. „Verzeiht mir Herr. Ich meinte nicht, Euren unfehlbaren Verstand in Frage zu stellen.“ Er verstummte, offensichtlich in der Hoffnung Absolution für seinen Fauxpas zu erhalten. Doch alles blieb still. Er fuhr zögernd fort. „Doch da gibt es etwas, dass Ihr nicht wissen könnt, Gebieter. Sie ist nicht ...“ Er schien nach Worten zu ringen. „Schon ihre Eltern müssen geahnt haben, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Und haben sie in einem meiner Zimmer zurückgelassen, mit nichts weiter als einem Vornamen. Stellt euch das vor! Ihre leiblichen Eltern haben sich nicht einmal die Mühe gemacht sie aufzuziehen! Ich verwette meine Ehre, Herr, ihr Blut ist befleckt.“ Die Schritte verstummten. Ich riss mich vom Boden los und schloss bittend die Augen. Bei allen Göttern, bitte lasst das alles nur ein Traum sein, flehte ich innerlich. Von unten war nichts mehr zu hören. „Ihr mögt Recht haben, Wirt. Doch ihre Herkunft wird nicht mehr von Bedeutung sein, sobald sie Euch verlässt.“ Mein zu Hause verlassen? „Aber Herr -“, begann Hadim, wurde jedoch von der donnernden Stimme des Beraters unterbrochen. „Ich will keine weiteren Einwände! Wagt es nicht, Euer Wort gegen das meine zu richten!“, zischte er mit einer plötzlichen Härte, die mich zusammen zucken ließ. „Wie Ihr wünscht, Hochwohlgeborener. Verzeiht meine Torheit.“ Das Zittern in des alten Wirtes Stimme war kaum zu überhören, als er fortfuhr. „Ich werde sofort jemanden zu ihr schicken, damit sie sich bereit hält, wann immer Ihr aufbrechen mögt.“ Ein Lehnsessel knarzte laut. „Gut“, ließ sich der Berater vernehmen. „In Anbetracht der Pläne, die ich für sie habe, sollten wir uns rasch auf einen guten Preis einigen.“ Ich richtete mich auf. Erst jetzt bemerkte ich die Tränen die mir über die Wangen liefen, und sich mit dem Staub und Schmutz zu meinen Füßen vermengten. So viel Schmerz wie noch nie stieg in mir auf. Meine Eltern. Ich hatte nicht oft über sie nachgedacht, es immer aus meinem Bewusstsein verdrängt. Mich mit dem Gedanken getröstet, dass sie einfach schlechte Menschen waren. Wer schließlich würde ein Baby in einem Gastzimmer zurücklassen? Auch Hadim hatte sie niemals erwähnt. Doch jetzt hatte er gesagt, es hätte an mir gelegen. Dass ich schmutziges Blut hatte, und er mich deshalb nicht gehen lassen konnte. Hatte er meine Eltern gekannt? Wusste er, warum sie mich verstoßen hatten? Hatte er ihre Beweggründe verstanden, sie vielleicht sogar darin bestärkt? Wie viel hatte man ihm wohl angeboten, damit er das schandhafte Kind aufnahm? Wieviel bezahlte man ihm nun, damit er es weiterreichte? Wie taub durchquerte ich die Dachkammer, zurück zu den Stufen, die hinunter führten. Ich hatte mir die ganze Zeit über eingeredet hier ein Heim zu haben. Die adoptierte Tochter des Wirtes, der trotz seiner Wutanfälle ein guter Mensch war. Erbin des Alten Kaftan. Eine Rolle die das Leben mir zugespielt hatte und die ich bereit gewesen war anzunehmen. Ich hatte mich so in sie hinein versetzt, dass ich am Ende tatsächlich gedacht hatte, sie wäre für mich bestimmt. Ich hatte mich selbst belogen. Für Hadim – oder meine leiblichen Eltern - war ich nicht mehr wert, als ein Kamel auf dem Markt. Und jetzt sollte ich wie eines verkauft werden. Zitternd öffnete ich die Tür, die aus der Dachkammer führte. Ich musste schnell zurück in meine Kammer, bevor Hadim sich daran erinnern konnte, jemanden - „Hast du genug gehört?“ Umar grinste mich schadenfreudig an. Ich blieb steif auf den Stufen stehen. Woher weiß er ...? Jasira, diese Schlange!Bei der nächsten Gelegenheit würde ich ihr Kamelkot in die Suppe tun ... falls es ein nächstes Mal gab. „Du solltest dein Gesicht sehen, Mädchen. Gefällt dir wohl nicht, was der alte Hadim wirklich über sein Töchterchen denkt, hmm?“ Stumm blickte ich zu ihm auf. Noch immer standen mir Tränen in den Augen, die ich verbissen versuchte am hinab rinnen zu hindern. Doch Umar lachte bloß. Wie ich ihn doch hasste. Ihn und die Gemeinheiten mit denen er mich seit Jahren traktiert hatte. Den Spott, die Verleumdungen. Vor meinem geistigen Auge sah ich einen Umar, der Hadim immer wieder Lügengeschichten über mich erzählte, was ich nicht alles falsch gemacht hatte. Die Schriemen auf meinem Rücken waren stumme Zeugen der Wirkungen dieser Taten. Umar, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit die unangenehmsten Arbeiten nur mir aufgehalst hatte. Umar, der immer an meiner Tür gelauscht hatte, sobald ich zu Bett gegangen war. Es war zu viel. Alles an ihm widerte mich an. Hasserfüllt funkelte ich ihn an und öffnete den Mund, wie um ihn anzuspucken. Und wenn es meine Kehle sprengen würde, dieses Mal würde ich den Schmerz ignorieren und ... Doch ich kam nicht dazu. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Arm über dem Kopf des Knechtes auf. Ein Arm, der mit einem dicken Holzstück bewaffnet war, das jetzt, den noch immer grinsenden Mann, hart am Hinterkopf traf. Noch bevor der verwunderte Gesichtsausdruck aus seinem Gesicht verschwunden war, sackte er wie ein nasser Lappen zusammen. Fassungslos starrte ich die Stelle an, an der er soeben noch gestanden hatte. Ein lautes Lachen neben mir riss mich aus meiner Trance. „Schau nicht so perplex, Tamima! Er hatte es verdient, dieser Hurensohn.“ Abfällig starrte Irfan auf Umars bewusstlose Gestalt. Ein breites Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Erst dann fiel sein Blick auf mich. „Das war schon lange fällig, ich ... was ist los, Kleine?“ Besorgt sah er mich an, als er die Tränen in meinen Augen entdeckte. „Hat dir dieses Stück Dreck etwas getan?“ Mir diesen Worten gab er dem Bewusstlosen noch einen gut gezielten Tritt in die Rippen. Er musterte mich besorgt. Ich blickte zu Boden. „Ist schon gut, Tami.“, murmelte er. „Bringen wir dich erst mal in die Küche, damit du etwas trinken kannst. Dann kannst du mir erzählen was geschehen ist, wenn du möchtest.“ Damit zog er mich sanft am Arm von Umar weg, der wie schlafend auf der Treppe lag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)