Schlaflos von Cookie-Hunter (Der Albtraum endet nie...) ================================================================================ Kapitel 27: Die Qual der Wahl ----------------------------- Als Kyo am nächsten Tag wieder bei der Arbeit erschien wurde er von ihrem kleinen Maskottchen förmlich umgerannt. Insgeheim hatte er ja schon damit gerechnet so stürmisch begrüßt zu werden, aber das übertraf es ja fast schon. Er hatte ja auch den Vordereingang nehmen müssen. Aber an diesem Morgen hatte er auch zu seinem Bewährungshelfer gemusst, weshalb er im Anschluss mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel hergekommen war. Ihm war zwar von Toshiya angeboten worden, dass dieser wartete und sie dann zusammen zur Arbeit fuhren, aber niemand hatte ja vorhersagen können, wie lange dieser Besuch dauern würde. Die Begrüßung von Haraide fiel da wesentlich kürzer und unspektakulärer aus. Von ihm wurde nur er einmal kurz und freundschaftlich in den Arm genommen. „Hast uns wirklich einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ „Hab ich schon von gehört.“ Mit einem leichten Lächeln strich er über den dunklen Haarschopf seines Anhängsels. „Nicht mehr traurig sein, Nobu-chan.“ „Bin ich aber. Immerhin hat mein großer Bruder versucht sich umzubringen.“ 'Großer Bruder'? Kyo blinzelte verwirrt. Der Ausdruck war ihm neu. So hatte ihn ihr Flummi ja noch nie genannt. Ihm war schleierhaft, wie der andere auf diese Idee kam. Bis ihm wieder einfiel, dass er gegenüber dessen Lebensgefährten Maboroshi erwähnt hatte, dass er in dem quirligen Etwas eine Art kleinen Bruder sah. Da lag wohl die Vermutung nahe, dass dieser es weiter erzählt hatte. Wie auch immer: Es bedeutete ihm viel, dass er dem Jüngeren so am Herzen zu liegen schien. Liebevoll drückte er den Kleinen an sich. Danke konnte er in letzter Zeit einfach nicht mehr oft genug sagen. Das war ihm klar. Er konnte es zehn Mal in der Stunde sagen, es würde nicht ausreichen. Während sie noch so dastanden und sich darüber freuten, dass Kyo nichts passiert und gesund und munter wieder zurück war, kamen zwei jüngere Mädchen hinter den Regalen hervor, die nach ein paar Übungsstücken fürs Klavier gesuchten hatten. Schüchtern, aber definitiv neugierig traten sie an die Gruppe heran. „Kyo-san?“, fragte die Eine leise, während die Andere sich halb hinter ihr versteckte. Der Angesprochene drehte sich herum. Er war ein wenig verwirrt. Konnte er sich doch nicht vorstellen, was die beiden Mädchen von ihm wollten. „Hai?“ „Er ist es wirklich“, quiekten sie vergnügt und fassten sich an den Händen. Jetzt wurde der Sänger doch ein wenig rot um die Nase. Die machten hier ja einen Wirbel um seine Person, das war er in der Form einfach nicht mehr gewohnt. Das Mädchen von eben wandte sich ihm wieder zu, wurde puterrot im Gesicht und spielte vor lauter Aufregung mit ihren Händen. „Wir haben Sie seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Da wollten wir nur sicher gehen, dass Sie es wirklich sind.“ Okay, woher wussten die, dass er ein paar Tage nicht gearbeitet hatte? „Geht es Ihnen gut? Wir sind große Fans von Dir en Grey und meine Freundin hier liebt ihren Gesang.“ Dafür bekam sie von dem anderen Mädchen einen leichten Schlag auf den Oberarm und einen bösen Blick. Anscheinend war es ihr unangenehm, dass das verraten wurde. „Es ist auf jeden Fall schön, dass sie wieder hier sind.“ „Danke, ich... fühle mich geehrt.“ Er deutete eine kleine Verbeugung an. Eine peinliche Stille legte sich über den Laden. Keiner wusste so recht, was er jetzt sagen oder machen sollte. Selbst Nobu stand ausnahmsweise still. Haraide war der Erste, der sich wieder fing und sich räusperte, wie auf Kommando sein charmantestes Lächeln aktivierte: „Habt ihr gefunden, was ihr gesucht habt?“ „Nun, nicht ganz. Ein ganz bestimmtes Übungsheft fehlt uns noch.“ „So, dann erzählt mir doch Mal, welches und ich helfe euch suchen. Notfalls können wir es ja bestellen.“ Er führte die beiden Mädchen zurück zu den Regalen mit den Heften, warf aber noch mal einen Blick über die Schulter und zwinkerte den Anderen zu. Kaum waren er und die beiden Kundinnen aus dem Sichtfeld, entspannten sich Kyo und seine Kollegen. Vor allem dem Sänger war die Situation gerade doch schon reichlich unangenehm gewesen. Dummerweise hatte er die Befürchtung, dass er derartige Gespräche noch öfter in den nächsten Tagen führen würde. Oh, wie hatte er doch gerade Sehnsucht nach Toshiyas kleinem, für ihn eingerichteten Gästezimmer. „Keine Zeit zum Trübsal blasen, Kyo. Wir bekommen in ein paar Minuten eine Lieferung. Da muss ausgepackt, überprüft und verstaut werden“, erklärte Toshiya und begab sich schmunzelnd hinter den Verkaufstresen, wo er nochmal einen Blick auf den Bestellschein für die besagte Lieferung warf, um sich zu überlegen, was wo hin sollte. Verstehend nickte Kyo und entledigte sich auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum seiner Jacke, die er dort über einen Stuhl warf. Er wollte sich noch einen Kaffee holen, um dann in aller Seelenruhe auf die besagte Lieferung zu warten. Allerdings hatte er plötzlich wieder Nobu an sich hängen, der es scheinbar sehr gemütlich fand Huckepack bei Kyo zu sitzen. Und bevor dieser sich beschweren konnte, wurde ihm ein Handy unter die Nase gehalten. „Sieh dir das an. Sieh es dir an!“, wurde er aufgefordert, weshalb er seinen Blick auf das Display richtete. Sofort weiteten sich seine Augen. „Nobu-kun, ist das, was ich da sehe, das, was ich denke?“ „Nicht ganz. Das ist nämlich erst deine Wohnung, wenn du dich für die entscheidest. Und das solltest du möglichst bald. Sonst schnappt sie dir jemand anderes weg. Aber vielleicht“, er blätterte ein paar Bilder weiter, „sagt dir die hier eher zu.“ Und schon wurde Kyo ein weiteres Bild von einer kleineren, aber nicht minder schönen Wohnung gezeigt. „Darf ich mir das kurz ausleihen?“ Er würde sich nämlich schon ganz gerne auch die ganzen anderen Bilder ansehen, die sich da offensichtlich noch auf dem Gerät befanden. Nobu händigte ihm sein Handy ohne wenn und aber aus. „Einfach nach links und rechts bewegen. Ich hab ganz schön viele Bilder von jeder der vier Wohnungen gemacht.“ Vier? Vier Wohnungen? Ein wenig baff sah er ihrem Flummi hinterher, der wieder in den Laden zurück hüpfte, auf direktem Weg in die Ecke mit den Schlagzeugen. Das würde gleich verdammt laut werden, so wie er den anderen kannte. Mit dem Handy bewaffnet ging Kyo zurück zum Verkaufsraum, ließ seinen Daumen über das Display und seinen Blick über die verschiedenen Bilder gleiten. Und es waren wirklich eine Menge davon. Beinahe hatte man das Gefühl, man würde sich in den einzelnen Wohnungen befinden und sich in jedem Raum einmal um sich selbst drehen. Sie waren alle viel kleiner, als die von Nobu. Zumindest, soweit er das noch von der Erinnerung an die Fotos davon beurteilen konnte. Nichtsdestotrotz hatte Nobu durch seine Kontakte einige wirklich schöne Immobilien gefunden. Der Kleine war ein wandelndes Wunder. Er würde sogar soweit gehen und sagen, dass dieses quirlige, herzerwärmende Etwas das achte Weltwunder war. Kyo blätterte immer wieder hin und her, um sich ja alles einzuprägen. Am auffälligsten war jedoch, dass man noch ein bisschen was machen musste. Bei jeder der Wohnungen. Aber größtenteils beschränkten sich diese Renovierungsarbeiten aufs Säubern, streichen oder einen vernünftigen Boden. Allerdings drängte sich in ihm die Frage auf, warum die leer standen. Da musste es doch einen Haken geben. Zielgerichtet ging er zu den Schlagzeugen, von wo man laute Rhythmen hören konnte. Mit wirbelnder Mähne saß der Jüngere da und schlug mit einer Begeisterung auf die Drums und Becken, dass Kyo unweigerlich an Shinya erinnerte wurde. An dessen leidenschaftliches Spiel, sowohl bei den Proben und erst Recht bei ihren Konzerten. Davon hatte er selbst zwar erst mehr mitbekommen, wenn eine neue DVD anstand, aber wie sollte man vergessen können, wie sich ein Mensch so sehr von seinem Spiel fesseln lässt, dass man auf den ersten Blick merkte, dass er mit Leib und Seele dabei war. So von dem Anblick eingenommen, vergaß er seine Frage und beobachtete den anderen lieber, merkte nicht einmal, wie sich ein zaghaftes Lächeln auf seine Lippen legte. Gott, er wollte Shinya mal wieder so erleben. Bei den Proben vor einiger Zeit, war noch alles ein wenig steif gewesen, die anderen vier trotz all der Energie, der Freude, der Begeisterung noch ein wenig zurückhaltend. Vielleicht hätte er sich aber auch einfach öfter umdrehen sollen und nicht die Augen die ganze Zeit geschlossen halten. Als ihn der Jüngere bemerkte, hielt dieser in seinem Spiel inne und sah ihn mit einem strahlenden Lächeln an. „Und? Gefallen dir die Buden? Sind doch ganz gut, oder?“ Meine Güte. So sehr hatte Kyo noch nie gegen den Drang ankämpfen müssen, jemanden in den Arm nehmen zu wollen. Wie konnte ein einzelner Mensch nur so niedlich sein? Den hatte man doch aus Zucker gegossen. Und wenn jemand wie er schon so etwas dachte, dann sollte das schon was heißen. „Ja, die sind wirklich fantastisch. Ich bin ganz erstaunt, wie du die gefunden hast.“ „Ach, das war ganz einfach. Zuerst hab ich Mimiko angerufen. Die kennt so viele Leute, die sich mit Wohnungen auskennen. Zudem eine Meisterin am Telefon. Dann hab ich noch bei meinem alten Freund Hakuro angerufen. Der kennt über ein paar Ecken auch ein paar Makler. Oh, nicht zu vergessen-“ „Danke, das reicht mir. Eine Rundrufaktion.“ Er war ja gewarnt worden. „Ich hätte trotzdem mal ein paar Fragen.“ „Welche denn?“ „Nun, zum einen: Wieso stehen die noch leer? Was sind die Haken? Sind die so teuer, oder..?“ Nobu nahm sein Handy wieder an sich, blätterte zurück. „Also, bei der hier ist eigentlich nur, dass die Fenster schon etwas älter sind. Aber es ist ganz schön kostspielig die austauschen zu lassen. Immerhin liegt die im fünfundzwanzigsten Stock.“ „Und wie alt?“ Immerhin lag das im Auge des Betrachters. Schließlich gab es Leute, die die Mode der letzten Saison für uralt hielten. Da wollte er sich lieber ein eigenes Urteil bilden. Nobu legte die Stirn in Falten, überlegte scharf. „Also, wie alt das Gebäude ist weiß ich gerade nicht mehr, aber die Fenster sind da schon seit über fünfzehn Jahren drin.“ Für ein Gebäude kein Alter, fand Kyo. Von Fenstern ganz zu schweigen. Dicht mussten sie also sein. „Okay, was ist mit der Zweiten?“ Der kleine Hopser verzog das Gesicht. „Da hat man den Vorbesitzer tot im Sessel sitzend aufgefunden. Seitdem will da halt keiner mehr rein“, gestand er leise. „Ist etwa sechs Jahre her. Aber sonst ist mit der Wohnung alles in Ordnung. Die Heizung läuft tadellos, der Fußboden ist neu gemacht. Und der alte Mann ist seelenruhig eingeschlafen. Der lag auch nur zwei Tage da und wurde dann von seinem Sohn gefunden.“ Mit großen, traurig Augen sah er zu Kyo. Man konnte sehen, dass ihm dieser fremde, ältere Herr Leid tat. Gleichzeitig war Kyo aber auch klar, dass er ihm das mulmige Gefühl nehmen wollte. Wirkte es doch wirklich ein wenig abschreckend in eine Wohnung zu ziehen, in der ein Mensch seinen letzten Atemzug gemacht hatte. Die Geschichten der anderen beiden Behausungen waren weitaus weniger tragisch. Die eine war vor kurzem erst frei geworden, der Kaufpreis der anderen war für die meisten schlichtweg zu hoch. „Das wäre das Nächste was ich dich noch fragen wollte. Was die mich kosten würden. Sowie die Lage. Wo befinden sich die Wohnungen denn?“ Der Kurze mit dem grünen Pony lachte: „Also, die dritte liegt bei uns im Haus. Direkt unter meinen vier Wänden. Ich kann ein gutes Wort für dich einlegen.“ An dem Grinsen Nobus konnte man erkennen, dass ihm dieser Gedanke am liebsten war. Liebevoll strich Kyo ihm über den Kopf. Es klang schon verlockend, sich in der Nähe eines bekannten Gesichts aufzuhalten. Vor allem die anderen Vier würden erleichtert sein, bei dem Wissen, dass jemand immer mal wieder nach ihm schauen würde. Dabei war der Sänger ja nun wirklich kein kleines Kind mehr. Dennoch musste er sich eingestehen, dass es gar nicht mal so schlecht war, wenn sich jemand hin und wieder die Zeit nahm, ihm Gesellschaft zu leisten. Wohl doch ein Kind. „Weißt du, Nobu. Ich kann das nicht so spontan entscheiden. Da gibt es verschiedene Faktoren, die zu berücksichtigen sind, wie die Höhe der Miete, die Lage und das alles.“ Was voll und ganz der Wahrheit entsprach. Das sollte schließlich eine wohl überlegte Entscheidung sein. So eine Wohnung behielt man normalerweise ja für eine Weile. „Kyo?“, rief Toshiya. „Hier.“ „Die Lieferung ist da. Kommst du mit anpacken?“ „Bin sofort bei dir.“ Er strich dem Jüngeren neben sich noch einmal über den Kopf. „Aber dass du mein Nachbar werden könntest ist schon mal ein deutliches Plus für Nummer drei.“ Damit ging Kyo zu Toshiya, verbeugte sich vorher noch leicht, als er an der Kasse vorbei kam, an der die beiden Mädchen von vorhin standen und ihre Notenhefte bezahlten, versuchte sogar noch so etwas wie ein Lächeln. Und schon bekam er das erste Paket in die Hand gedrückt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)