Schlaflos von Cookie-Hunter (Der Albtraum endet nie...) ================================================================================ Kapitel 26: Arigatô ------------------- Angestrengt fachmännisch drein blickend werkelte Die an der Kamera herum, um heraus zu finden, welcher Knopf was bewirkte. „Okay, ich glaube, jetzt hab ich es. Kann es los gehen?“ Fragend sah er zu dem Jüngeren. Dieser wirkte ein wenig nervös, spielte mit einem Schleifenband herum, um nicht an das Bevorstehende denken zu müssen. Es war seine Idee gewesen, jedoch behagte ihm das Kommende gerade gar nicht. Und all die Worte, die er sich zurecht gelegt hatte, waren jetzt in seinen Ohren schlecht und unbrauchbar. Wenn er sie aufgeschrieben hätte, wäre es dann jetzt besser? Nein, vermutlich nicht. Was nun? Ein Rückzieher kam nicht in Frage. Er wollte das Durchziehen. Lediglich der Anfang musste endlich mal gemacht werden. Ein wenig frustriert griff er in eine der Schachteln und brach sich ein Stück der darin liegenden Schokolade ab. Ihm war zwar schon flau von dem ganzen süßen Kram, aber er erhoffte sich irgendwie ein kleines Wunder von dem Ding. „Hey.“ Die hockte sich neben ihn, sah ihn von unten herauf an. „Was ist los?“ Leise grummelnd wandte Kyo sein Gesicht ab. Er merkte schon, wie er leicht rot auf den Wangen wurde. Das hier war ihm schon sehr peinlich. „Wir werden so lange von vorne anfangen, bis dir das Video gefällt. Es muss ja nicht auf Anhieb klappen.“ Da hatte Die allerdings auch wieder Recht. Sie hatten Zeit, um dieses Video so zu gestalten, bis er zufrieden war. Immerhin standen sie nicht unter einem solchen Druck, wie damals bei den PV's. Also konnten sie es ruhig locker angehen lassen. Eine Einsicht, die Kyo dabei half sich entspannter zu fühlen und die die zuvor ausgesuchten Worte mit einem Mal doch passend erscheinen ließen. „Sei einfach du selbst, Kyo. So mögen wir dich. So mögen dich die Fans. Und du dich auch bald selbst wieder.“ Mit einem zuversichtlichen, wenngleich auch ein wenig schiefen, Grinsen, bei dem man das Gefühl hatte, er würde gleich anfangen zu heulen. Er kam einfach nicht über den Vorfall hinweg. „Sag... Sag einfach das, was dir auf dem Herzen liegt und was du gefühlt hast, während du die Geschenke ausgepackt hast. Dann wird dein 'Danke' mit Sicherheit gut ankommen.“ Kyo nickte Die mit einem zuversichtlichen Grinsen zu, dann fuhr er sich seufzend durch die Haare, merkte, wie sein Puls vor lauter Vorfreude schneller wurde. Aber: Er fühlte sich gerade gut. Verdammt gut. „Du hast Recht. So werde ich es machen. Einfach gerade heraus sagen, was in mir vorging und vorgeht.“ Sich wappnend sah Kyo geradeaus, fokussierte einen Punkt an der gegenüber liegenden Wand. Mit jedem Moment, der verging fühlte er sich ein wenig glücklicher. Sein Blick richtete sich wieder nach rechts zu Die. „Ich bin soweit.“ „Gut.“ Daisuke schaltete die Kamera ein und trat ein paar Schritte zurück, um Kyo perfekt im Bild zu haben. Den Rest erledigte die Kamera eigentlich von alleine. Der Vorteil von intelligenter Technik. „Auf dein Zeichen geht es los.“ Kyo setzte sich aufrecht hin, atmete ein letztes Mal tief durch. „Kann los gehen.“ Der Aufnahmeknopf wurde betätigt und mit einem erhobenen Daumen signalisierte der Gitarrist, dass Kyo jetzt sprechen mit seinem Text los legen konnte. Dieser öffnete den Mund, brachte allerdings keinen einzigen Ton raus. Peinlich berührt fing er an zu lachen und sich verlegen am Hinterkopf zu kratzen. „Ganz ruhig. Du schaffst das.“ „Okay“, hauchte Kyo, machte sich noch ein Mal Mut. Hilfe suchend sah er sich noch einem in dem Konferenzzimmer um, ließ seinen Blick über all die Geschenke gleiten, woraufhin sich ein Lächeln auf seinen Lippen zeigte. „Etooo... Ihr seht vielleicht diese ganzen Präsente hier“, fing er an, ehe er seinen Blick wieder zur Kamera richtete. „Tja, die sind alle von euch. Aber das habt ihr euch ja denken können, nehme ich an.“ Er nahm sich einen der Briefe und eines der vielen Plüschtiere, die auf dem Tisch lagen. „Ich hab schon einiges ausgepackt, wie man vielleicht erkennen kann. Bis ich jedoch alles geschafft habe, wird es noch eine ganze Weile dauern.“ Er wedelte mit dem Zettel: „Ich habe jeden einzelnen Brief gelesen und werde das auch weiterhin. Hab mir schon überlegt die alle in ein paar dicke Ordner zu packen und die dann zu Hause irgendwo aufzustellen. Dann kann ich sie immer wieder lesen, wenn ich ein bisschen Aufmunterung brauche. Ich freue mich auch über all die kleinen Geschenke“, er wedelte mit dem Stofftier. „Das ist wirklich... lieb von euch.“ Kyo ließ seine Hände in den Schoß sinken, starrte kurz auf diese, ehe er von unten herauf in die Linse der Kamera sah: „Domo Arigatô.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Domo Arigatô dafür, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, etwas zu schicken. Dafür, dass ihr euch noch an Dir en Grey und an mich erinnert.“ Er sah wieder nach oben in die Kamera. „Vor allem aber dafür, dass ihr mir hierdurch ungemein den Rücken stärkt. Das tut gut. Wirklich gut. Es hilft mir. Ich kann euch gar nicht genug für eure Hilfe danken. Tut mir Leid, dass es nur so eine Videobotschaft ist, aber habt Verständnis dafür, dass es ein bisschen viel wäre, auf alles einzeln zu antworten.“ Er schwieg einen Moment. Er brauchte noch einen abschließenden Satz. Einen der gut war und nicht alles in der Luft schweben lassen würde, der gleichzeitig aber auch klar machte, dass die Botschaft hier zu Ende war. „Wer weiß, vielleicht bin ich eines Tages in der Lage euren Wünschen nachzukommen. Bis dahin... Nochmals vielen Dank. Ohne euch... Danke.“ Verlegen huschten seine Augen durch den Raum, ehe er schüchtern die Hand hob und zum Abschluss winkte. Daisuke stoppte die Aufnahme und ließ die Kamera sinken. Ein leichtes Lächeln zeigte sich in seinem Gesicht. „Ich denke, wir brauchen keine weiteren Aufnahmen. Das eben war perfekt.“ „Ja?“ „Jap. Das können wir so online stellen. Immerhin war es ja so geplant.“ „Stimmt“, bestätigte Kyo mit einem leisen Lachen. Die nickte in Richtung Tür, hinter welcher Kaorus Büro lag. „Kaoru lässt uns bestimmt an seinen Rechner, um das hoch zu laden.“ Mit einem zurückhaltenden Schuljungenlächeln sah Die zu Kyo. Irgendwie wollte er was machen. Irgendwas um seine schlechten Gedanken zu vertreiben. Um Kyo dabei zu helfen voran zu kommen und aus seiner kleinen Welt heraus zu helfen. Deswegen hatte er doch die Kamera ergriffen. Hatte er dem Jüngeren helfen wollen. Mit einem Seufzen setzte er sich auf den Stuhl neben den Anderen. „Du, Kyo.“ „Hm?“ „Wenn... Wenn du in Zukunft wieder Probleme haben solltest... du weißt, wo du uns finden kannst. Und das mit den Schlaftabletten... Lass sie bitte weg in Zukunft. Bitte.“ Mit einem betretenen Gesicht sah der Kleinere zu Boden. „Ich sollte es wissen, oder?“ Nervös fing er an die Hände aneinander zu reiben. „Ich sage es mir ja auch immer wieder. Seit... Seit so langer Zeit schon. Das mit den Tabletten war wirklich nur ein Unfall. Ich wollte nicht, dass es so weit kam. Außerdem ist das, wie wir alle wissen, nicht meine Methode.“ Zum Ende hin war er leiser geworden. Immerhin waren das gerade Worte, die böse Erinnerungen wach riefen. „Ich weiß nicht, warum ich es nicht schaffe zu euch zu kommen. Mit euch über das zu reden, was mich belastet. Das tut mir Leid. Aber mir reicht es schon, dass ihr immer wieder meine Nähe sucht. Das hilft mir. Auch jetzt seid ihr mir eine große Hilfe. Und ich bin euch sehr dankbar. Ihr habt mich nicht aufgegeben. Eine Tatsache, die mir sehr dabei geholfen hat ein wenig zu mir selbst zurück zu finden.“ Er rückte ein wenig an Die heran, der sich unbeholfen auf der Unterlippe biss. So fest, dass man schon befürchten musste, dass gleich Blut zwischen seinen Zähnen hervor quoll. Ein wenig unbeholfen wurde der Gitarrist von dem Sänger in den Arm genommen. „Danke für deine Hilfe.“ Schlagartig war Daisuke rot geworden. So rot wie früher seine Haare, als er merkte, wie sich zwei Arme um ihn schlangen. „K-Kein Problem“, nuschelte er und erwiderte die Umarmung, indem er eine Hand auf Kyos Arm legte. „Kein Problem.“ Bevor sie den kleinen Film veröffentlichen konnten, sprach Kaoru alles noch mal mit ihrem ehemaligen Manager ab. Nicht, dass der sich übergangen fühlte. Außerdem handelte es sich ja irgendwie um eine Bandaktivität, also sollte man dementsprechend agieren. Ihr Manager war richtig erfreut über dieses kleine Lebenszeichen des Sängers und versprach, sich sofort um alles zu kümmern, wenn sie ihm die Aufnahme zugeschickt hatten. Das würde keine fünf Minuten dauern, so seine Aussage. Vorsichtshalber warteten sie zehn Minuten, ehe sie ihre alte Homepage, sowie verschiedene andere Plattformen aufriefen, bei denen Dir en Grey angemeldet waren. Und tatsächlich: Überall sprang ihnen der Film förmlich ins Gesicht. „Woah, so viele Menschen haben das schon gesehen?“ Toshiya war völlig von den Socken, nachdem sie YouTube geöffnet hatten. „Das ist ja der Wahnsinn.“ „Und seht euch mal die vielen Kommentare an.“ Kaoru scrollte weiter hinunter. „Bei einigen steht sogar bei, von wo aus sie geschrieben haben. Japan, nochmal Japan, der da kommt aus Südamerika.“ Aufgeregt zeigte der Bassist auf eine Nachricht weiter unten: „Der da ist sogar aus Russland. Hast du gehört, Kyo?“, er sah zum Sofa, auf dem der Kleinere leicht apathisch saß. „Aus Russland.“ Kaoru klickte sich durch die verschiedenen Tabs. „Schaut mal, wie viele Kommentare wir auf den anderen Seiten haben. Ich möchte gar nicht wissen, wie das aussieht, wenn ich die alle aktualisiere.“ Er war sprachlos angesichts dieser vielen Rückmeldungen. Gleichzeitig war er auch ein bisschen Stolz auf ihre Fans. Dass sie immer noch so stark zu ihnen hielten, nach all dieser Zeit. Es zeigte ihm aber auch, dass sie es geschafft hatten. Es gab schließlich nicht viele Musiker, die von sich behaupten konnten, nach so langer Zeit noch immer in den Erinnerungen der Menschen zu sein. „Was sagen sie denn?“ So ein bisschen neugierig war Kyo dann doch. Schließlich war es ja sein Werk. Da interessierte ihn natürlich auch die Kritik. Mit einem Schmunzeln schaute Kaoru hinter seinem Monitor hervor: „Sie freuen sich über deine Freude und über das Lebenszeichen, das von dir beziehungsweise uns kommt.“ „Und sie würden sich freuen, wenn da noch mehr käme“, ergänzte Toshiya und in seinen Augen lag dieses Funkeln. Die Begierde etwas zu schaffen. Den gleichen Blick konnte Kyo auch in den Augen seiner anderen beiden Freunde sehen. Und er schwor: Wenn Shinya hier gewesen wäre, dann würden seine Augen ebenfalls so Funkeln. Ginge es nach ihnen würden sie sofort loslegen und das Studio für einige Tage nicht mehr verlassen. Jetzt lag es nur noch an ihm. Nur er musste das noch wollen. Ein ernstes Gesicht machend wanderte sein Blick von einem zum Anderen: „Ihr tut ja gerade so, als ob ich mir so einen Text einfach so aus dem Ärmel schütteln kann. Ich brauche da schon ein wenig Inspiration.“ Daisuke zuckte mit den Schultern: „Dann lass dir was einfallen.“ „Vielleicht hilft dir das“, meinte Kaoru und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. Er öffnete einige Ordner, suchte eine Musikdatei heraus und ließ diese abspielen. Es war ein Stück, das sich schon sehr lange in seinem Besitz befand und zusammen mit einigen anderen Dateien dieser Art immer das erste war, was er auf eine neue Festplatte packte. Das war eine der Melodien, die sie damals aufgenommen hatten, als alles begann und Kyo sich zurück gezogen hatte. Verträumt lauschte der Sänger dem Lied. Es war eingängig, bewegend und berührte etwas tief in ihm drin. Zugegeben, es war ein trauriges Grundthema, dennoch war es wunderschön. „Damit lässt sich was anfangen.“ Ehrlich gesagt hatte er bereits ein paar Zeilen im Kopf. Mit wachsender Begeisterung sahen die Anderen sich an. „Wir haben noch mehr.“ „Genug für zwei Alben?“ Er wusste nicht warum, aber ihm war dieser Satz gerade durch seine Gedanken geschwebt. Als wäre er eine Erinnerung. Aus lang vergangener Zeit. „Ja, kommt in etwa hin“, meinte Die erstaunt. „Woher weißt du das?“ „Ich habe keine Ahnung“, antwortete der Kleinste und fing leicht an zu lachen. Toshiya hob gleich abwehrend die Hände: „Ich hab kein Wort gesagt. Wirklich.“ Alle Blicke richteten sich abwartend auf den Band-Leader. „Von mir weiß er auch nichts. So viel Zeit hab ich ja nun auch nicht mit Kyo verbracht. Wann hätte ich-“ Er verstummte, als sich ein Erinnerungsfetzen an die Oberfläche kämpfte und ihm ein Bild zeigte. Das Bild, wie ihr Sänger in einem Krankenhausbett lag, schlafend, verbunden, angeschlossen an viele Kabel. „Ich hab es ihm doch erzählt“, gestand er. „Damals. Einen Tag nachdem wir Kyo gefunden und ins Krankenhaus gebracht haben. Da habe ich es erzählt. Auch wenn damals noch nicht alles ausgefeilt war und von den meisten Liedern nur das Grundgerüst stand. Ich hab ihm eigentlich nur gesagt, dass Die genug komponiert hat, dass es für zwei Alben reichen würde.“ Der Schwarzhaarige sah direkt zu Kyo. „Aber du warst in einem komatösen Zustand. Du hast zwar was mitbekommen, aber dann war es eher... körperlicher Natur.“ Kaoru merkte, wie die Augenbraue seines Gesprächspartners gefährlich nach oben wanderte. „Du hast auf kleine Berührungen reagiert. Aber, dass du dich an etwas erinnerst, das gesagt wurde... Wow.“ Verlegen sah Kyo zu Boden: „Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mich an alles erinnere.“ „Ich glaube doch.“ „Wie?“ Verwundert sah Kyo zu ihrem zweiten Gitarristen. „Was meinst du?“ Schief grinsend kratzte dieser sich am Hinterkopf. „Erinnerst du dich noch an unseren kleinen Spaziergang durch den Park, der zum Krankenhaus gehörte? Und an das Gefühl, dass du damals hattest?“ Kyo bejahte diese Fragen mit einem langsamen Kopfschütteln. „Welches Gefühl meinst du?“ „Das mit dem Kaninchen.“ „Ka-“ Ja, er erinnerte sich. Er wusste bis heute den genauen Grund nicht, aber er erinnerte sich an damals. „Tja, lag daran, dass ich an besagtem Tag nach deiner Einlieferung versucht habe, dich mit Hilfe des abscheulichen Krankenhauskaffees zu wecken.“ Schuldbewusst sah Dai zur Seite. Er schämte sich ein wenig für das kindische Verhalten von damals. „Dann weiß ich unbewusst wohl doch mehr, als gedacht“, murmelte Kyo. Ein seltsames Gefühl. Ähnlich einem Black Out und doch ganz anders. Wie viel würde wohl noch zum Vorschein kommen? Die Frage konnte er sich wohl nur selbst und mit der Zeit beantworten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)