Schlaflos von Cookie-Hunter (Der Albtraum endet nie...) ================================================================================ Kapitel 7: Oh happy day? ------------------------ Ächzend schleppten sie die vielen Tüten zum Wagen und verstauten diese so gut es ging im Kofferraum, sowie der Rückbank. Kyo stöhnte auf: „Doch mehr, als ich gedacht habe.“ Er sah noch einmal über den Berg an Klamotten. „Es war aber notwendig“, wandte Toshiya ein und nahm schon mal auf dem Fahrersitz Platz. Ein Blick auf die Uhr im Wagen ließ ihn hektischer werden. „Steig ein, Kyo. Akio hat bald Schulschluss. Und die beiden brauchen nicht lange von der Schule zu mir. Der Junge soll doch was Warmes auf den Tisch bekommen, wenn er bei mir ist.“ „Soll ich dir dabei helfen?“ „Nicht notwendig. Es gibt Omlette Reis, wie mein Kleiner es sich gewünscht hat, letztes Wochenende. Jetzt guck nicht so komisch. Ich fand es auch seltsam, schließlich ist er aus dem Alter eigentlich raus. Aber wenn es ihn glücklich macht, dann soll er das auch bekommen.“ Toshiya warf einen Blick über die Schulter und reihte sich mühelos in den Verkehr ein. „Ich entschuldige mich übrigens jetzt schon mal bei dir.“ Verwirrt wandte Kyo seinen Kopf zur Seite. „Hä?“, war seine einzige Antwort darauf. Der Größere lächelte ein wenig verlegen. „Wenn mein Sohn in meiner Nähe ist, neige ich dazu, alles andere um mich herum zu vergessen. Dann konzentriere ich mich mit nahezu jeder Faser auf ihn, weil mir die Zeit mit ihm so wichtig geworden ist, seitdem Akemi und ich uns getrennt haben.“ Da war er wieder. Dieser traurige Blick. „Die Anderen haben sich schon darüber lustig gemacht.“ Er grinste breit und lachte. „Als ob die manchmal besser wären.“ „Das kann ich nicht beurteilen. Schließlich habe ich euch noch nicht mit euren Kindern gesehen. Aber ich nehme deine Entschuldigung an. Ich kann verstehen, warum du dich so verhältst. Mach dir um mich keine Sorgen.“ Zuversichtlich sah der ehemalige Sänger zu dem guten Freund hinüber. Er wollte Toshiya nicht in seinem Sein beeinträchtigen, geschweige denn ihm etwas von der kostbaren Zeit mit dem geliebten Sohn stehlen. Kinder waren bis zu einem gewissen Alter unbedarft und rein. Ein Lächeln und man fühlte sich von seinen Sünden gereinigt. Das kindliche Vertrauen war etwas kostbares, denn es verschwand einfach zu schnell. Wurde verunreinigt von den Erwachsenen und deren kalter Welt. Und so lange Akio noch so ein unschuldiges Wesen zu sein schien, wollte er nicht unbedingt in dessen Nähe, wenn es nicht sein musste. Wollte ihn nicht mit seiner schwerwiegenden Sünde beschmutzen. „Ach, Mist“, holte der Jüngere ihn schreckhaft aus seinen Gedanken. „Ich brauch noch Sprossen für den Om-Reis.“ „Musst du mich wegen ein paar Sprossen so erschrecken?“ „Gomen, aber was soll ich machen, wenn mir sowas ganz spontan einfällt? Auf jeden Fall brauchen wir noch welche.“ Toshiya sah sich einmal kurz um, damit er die richtige Richtung zum nächsten Supermarkt fand. „Fällt dir noch etwas ein? Wenn wir schon mal da sind...“ Kyo schüttelte verneinend den Kopf. Er hatte alles was er brauchte. Eigentlich sogar noch viel, viel mehr als er benötigte. Vor allem war er aber glücklich. Und das war schließlich etwas unbezahlbares. Toshiya fuhr auf den Parkplatz des Supermarktes und holte nach dem Anhalten seine Brieftasche vom Rücksitz aus der Jackentasche, meinte: „Dann renn ich mal schnell rein, wenn du nichts dagegen hast. Geht ganz fix.“ Mit einem Grinsen verabschiedete er sich und eilte auf den Eingang zu. Und mit jedem Meter, jedem Schritt, den sich Toshiya von dem Wagen entfernte, fühlte Kyo sich einsamer. In den letzten zwei Tagen hatte er sich so an die Anwesenheit des Anderen gewöhnt. Eine Tatsache, die ihm erst jetzt richtig bewusst wurde. Aber 15 Jahre Einsamkeit machten einen süchtig nach jedem kleinen bisschen Zuneigung. Man gierte fast buchstäblich nach ihr und sog alles in sich auf, schloss es tief in sich ein, damit nicht das Geringste von der Wärme wieder verschwinden konnte. Dennoch sollte er aufpassen, dass er nicht anfing zu klammern. Dadurch würde er seine Freunde nur in Bedrängnis bringen. Plötzlich wurde die Tür neben ihm aufgerissen. Kyo zuckte zusammen und dachte im ersten Moment, dass einer den Wagen stehlen wollte. Mit ihm darin! Es war aber „nur“ Toshiya, der, schwer atmend wieder einstieg. „Ganz fix, wie ich es gesagt habe.“ Er drückte Kyo das Glas mit dem Gemüse und die Brieftasche in die Hände und fuhr los. Diesmal aber wirklich nach Hause. Oben in der Wohnung angekommen, verkroch sich Kyo mit den Einkäufen in seinem Zimmer, um alles von den dummen Zetteln etc. zu befreien und anschließend in den Schrank zu packen. Er durfte ja nicht beim Kochen helfen. Dabei gab es bei dem Rezept nun wirklich nicht viel, was man hätte falsch machen können. Nun, er hätte nicht die Liebe in dieses Gericht stecken können, wie Toshiya es vermutlich tat. Es läutete und in Kyo verkrampfte sich alles. Jetzt würde ihm wieder ein Teil der Gegenwart begegnen, der ihn einschüchterte. Wie würde Toshiyas Ex-Frau auf ihn reagieren? Bestimmt wusste sie um ihn und sein Geheimnis. Und Akio? Hätte er Angst vor ihm, weil er ein Fremder war? Fröhliches Lachen schallte zu ihm herüber. Es war Toshiyas und das glockenhelle Lachen eines kleinen Jungen. Sie waren da. Eindeutig. Er war kurz davor, aufzustehen und die Tür abzuschließen, damit ihn die Realität nicht einholen konnte. Damit ihm nicht vor Augen gehalten wurde, dass er sein Leben vergeigt hatte. Wenn er sich damals doch nur besser unter Kontrolle gehabt hätte... Wenn er diese Frau von Anfang an abgewimmelt hätte... Dann würde er in seinem eigenen Heim sitzen, umgeben von einer eigenen Familie. Das Lachen seiner Kinder würde auch ihn zu einem Lachen bewegen können. Er hätte einige schöne Erinnerung in seinem Kopf. Der Tag seiner Hochzeit, die Geburt des eigenen Kindes, die ersten Schritte von diesem. All das, wovon so viele glückliche Paare und Eltern schwärmten. Er hörte Kinderfüße an seiner Tür vorbei eilen und wie eine Tür auf und mit einem Moment Verzögerung wieder zu geschmissen wurde. Kindlicher Übermut vom Feinsten. Wie der Kleine wohl aussah? Hatte er viel von Toshiya geerbt? Das könnte er ganz leicht herausfinden. Dafür müsste er nur dieses Zimmer verlassen. Doch er wollte nicht stören. „Papa, ich hab Hunger“, tönte es laut durch die Wohnung, worauf Toshiyas Lachen zu hören war. „Einen kleinen Moment musst du dich noch gedulden. Der Tisch muss noch gedeckt werden.“ „Das kann ich machen.“ Ein sehr aufgewecktes Kind mit einem sonnigen Gemüt. In der Hinsicht war er dem Bassisten sehr ähnlich. „Das mach ich gleich schon. Du kannst mir aber trotzdem einen Gefallen tun und mal zum Gästezimmer gehen. Da ist ein alter Freund von mir drin. Den wollen wir ja nicht verhungern lassen. Machst du das?“ 'Toshiya, du Dummkopf. Warum willst du mich nur mit aller Kraft in deine kleine, heile Welt bringen? Außerdem kann ich doch jedes Wort hören, was du da sagst.' Laute Schritte eilten auf das Zimmer zu und ein herzhaftes Klopfen erschallte. „Hallo? Du da drinnen. Es gibt Mittagessen.“ 'Soll ich ihn ignorieren? Nein, das wäre unhöflich. Und würde mich auch nur in das alte Schema von damals werfen, als ich niemanden zu mir gelassen habe. Reiß dich zusammen, Tooru. Fang nicht wieder an, wie damals.' Den Blick starr auf die Tür gerichtet stand er auf und öffnete diese. Vor ihm stand ein kleiner, grinsender Junge, der ihm zu winkte. Schüchtern war anders. Ein strahlendes Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht. „Hallo, ich bin Akio. Und wer bist du?“ „Ich bin Kyo.“ Der Kleine hatte eine Aura an sich, die ihn sich öffnen ließ. Die reine Aura eines Kindes eben. „Komm mit Kyo. Papa hat Essen gemacht.“ Ohne Scheu griff Akio nach der tätowierten Hand des Älteren und zog ihn lachend hinter sich her. „Ich hab ihn gefunden.“ So schön es auch war, einfach so akzeptiert zu werden, so beschlich ihn auch das Gefühl, dass dies hier... falsch war. Er spürte förmlich, wie etwas von dem Blut auf seiner Hand auf die des Jungen überging. Gerade wollte er sich losreißen, da kamen sie bei Akemi und Toshiya an und Akio sprang seinem Vater in die Arme. „Sie sind also 'Kyo'?“ Selbiger zuckte zusammen, war ihre Stimme doch abwertend und kalt. Mehr als eine knappe Verbeugung mit gesenktem Blick und einer schüchtern gemurmelten Begrüßung, brachte er nicht zustande. Sie inspizierte den ehemaligen Sänger von oben bis unten, sah dann ernst zu ihrem Ex. „Warum hast du mir nicht erzählt, dass dein alter Freund wieder draußen ist und jetzt bei dir wohnt?“ Kyo merkte eindeutig, dass er in ihren Augen nichts wert war. Aber das wusste er selbst. Er war unterste Schublade. Und seine Aufenthaltsgenehmigung für diese Lade, war noch lange nicht abgelaufen. „Meinst du allen ernstes, ich-“ „Moment“, unterbrach Toshiya sie. „Ich denke, das ist ein Thema, dass wir unter vier Augen besprechen sollten. Akio-chan, geh du schon mal mit Kyo in die Küche und pass mit ihm auf das Essen auf.“ Akio wurde wieder auf den Boden abgesetzt. „Machst du das für mich?“ Der Junge nickte, schnappte sich einfach eine Gürtelschlaufe von Kyos Hose und zog ihn wieder mit sich. Mit einem mulmigen Blick sah der Ältere der beiden Männer auf die Eltern des kleinen Hosenmatzes. Er wollte nicht, dass sein Freund sich mit seiner ehemaligen Frau stritt. Schon gar nicht, wenn dessen Sohn anwesend und er selbst auch noch der Grund für die Auseinandersetzung war. Nach einem kurzen Zögern gab er dem Ziehen an seiner Hose nach. In der Küche atmete er erst einmal tief ein, wollte dadurch den aufkommenden Stress unterdrücken. Wenn er Toshiyas Glück im Weg stehen würde, dann würde er sich seine Sachen schnappen und von hier weg gehen. Sich was nach Kräften was Eigenes suchen. Vielleicht konnte sein Bewährungshelfer ihm dabei helfen. Der hatte bestimmt viel um die Ohren, aber er war schließlich dafür da, jemandem wie Kyo zu helfen. „Komm, wir decken schon mal den Tisch“, schlug er dem Jungen vor, der eifrig nickte. Kyo ging zum Schrank und holte die Teller hervor, während Akio aus einer der Schubladen Besteck holte. Aus dem Flur schallten die Stimmen von Akemi und Toshiya durch die Tür zu ihnen herüber. „Du holst einen Straftäter in deine Wohnung? Ohne mir Bescheid zu sagen? Was, wenn er Akio weh tut? Hast du darüber eigentlich schon mal nachgedacht?“ 'Als ob ich fähig wäre einem Kind Leid zuzufügen. Schon gar nicht, wenn er zu meiner Band, meiner 'Familie' gehört.' „So was würde Kyo nie tun. Das weiß ich. Ich kennen ihn schon so lange. Ich vertraue ihm.“ 'Danke Toshi.' „Ach ja? Du hättest ihm den Mord damals auch nicht zugetraut. Habe ich recht? Und wenn er so was noch mal tut? Wer weiß, wer als nächstes draufgehen muss.“ „Das war ein Unfall, Akemi! Ein beschissener, unglücklicher Unfall. Das wird nie wieder passieren!“ „Woher willst du das wissen? Na? Woher? Es gibt keine Sicherheit dafür. Ich will nicht, dass Akio in der Nähe von jemandem wie ihm ist!“ 'Nein, nimm ihm seinen Sohn nicht weg. Nicht wegen mir.' Ein Zupfen an seinem Shirt lenkte ihn ab. Er hatte gar nicht mitbekommen, wie sich seine Finger in die Tischplatte gekrallt hatten. Sein Blick fokussierte sich wieder und trafen auf die Augen des kleinen Jungen. „Tut dir was weh?“ Verneinend schüttelte Kyo den Kopf. Auch, wenn das eben schon ein Stich ins Herz war, Schmerzen hatte er nicht. Nur Angst. Wenn Toshiya das verlieren würde, was ihm am Wichtigsten war, wäre auch ihre Freundschaft in Gefahr. Dabei hatte gerade der Größere in den letzten Jahren mit am deutlichsten gezeigt, dass er ihr Freund war und noch immer dazu gehörte. Ein Recht auf Leben hatte. „Du kommst mir irgendwie bekannt vor.“ Ein Lächeln zeigte sich auf Kyos Lippen, war aber schnell wieder verschwunden. „Kann sein.“ Kyo schob die Pfanne mit dem Reis von der Herdplatte und stellte selbige aus. Das Essen sollte immerhin noch genießbar sein und nicht schwarz wie ein Stück Kohle. „Weißt du, worüber Otou-san und Okaa-san streiten?“ Ermattet ließ Kyo sich auf einem der Stühle nieder. Wie sollte er dem Jungen das erklären? War er überhaupt der Richtige dafür? „Sie streiten wegen mir“, eröffnete Kyo seine Antwort und wurde neugierig angesehen. „Deine Mama hat Angst vor mir.“ „Wieso?“ Kinder und ihre naive Neugier. Mussten immer alles hinterfragen. „Weißt du... ich habe mal einer Frau sehr weh getan. So weh, dass diese Frau gestorben ist.“ Mittlerweile kommen die aufgebrachten Stimmen aus dem Wohnzimmer. Akio hatte sich auf den Stuhl gegenüber von Kyo gesetzt, die Ellenbogen auf dem Tisch und das Kinn auf die Hände gestützt. Er lauschte neugierig und interessiert dem, was der Mann dort vor ihm zu erzählen hatte. „Warum hast du ihr denn weh getan?“ „Sie mir etwas Böses angetan hatte. Aber ich wollte sie nicht verletzen. Schon gar nicht, dass sie stirbt. Dennoch musste ich für lange Zeit weg und durfte deinen Papa und viele andere nette Menschen nicht besuchen.“ „So was wie Hausarrest?“ Kyo nickte lächelnd. „Ja, so ähnlich wie Hausarrest.“ „Hausarrest ist doof. Den ganzen Tag muss man in seinem Zimmer sitzen.“ Seufzend senkte der Junge den Kopf und legte ihn auf die, mittlerweile verschränkten, Arme. Kyo tat es dem Kind gleich, machte es sich auf der Tischplatte neben dem Teller bequem. „Ich hatte meinen Hausarrest verdient. Deswegen finde ich es nicht ganz so schlimm.“ Zumal er eigentlich auch noch eine Weile länger hätte bleiben müssen. So war es ihm jedoch auch ganz recht. Die Typen dort waren teilweise so hart gesotten, dass man sich nicht einmal traute zu atmen, wenn sie an einem vorbei gingen. Typen, bei denen man Angst hatte, dass sie nachts in deine Zelle kamen, nur um dich windelweich zu prügeln. Einfach so. Aus Spaß an der Sache. Und das hat er einigen zugetraut. „Ich mag nicht, wenn Otou-san und Okaa-san sich anschreien.“ Welches Kind mochte das schon. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Akemi kam mit hochrotem, erzürnten Gesicht herein gestürmt. „Akio, wir gehen wieder.“ „Aber das Wochenende ist doch noch gar nicht vorbei.“ Mit großen Augen sah er zu von seiner Mutter zu seinem Vater, der geschockt in der Küchentür stand, und wieder zurück. „Ich will noch hier bleiben.“ „Nein, du kommst jetzt mit! Ende der Diskussion.“ Sie war vollkommen hysterisch. Ihr Gesichtsausdruck verriet einem schon: Sie ließ nicht mehr mit sich reden. „Ich werde keinen Augenblick länger dulden, dass du und dieser gewalttätige Mann zusammen in einem Raum seid.“ „Aber-, aber-“ „Kein 'aber', junger Mann.“ Sie fasste ihren Sohn ungeduldig am Handgelenk und zerrte ihn vom Stuhl herunter. „Akemi, sei vernünftig. Er ist hier sicher“, redete Toshiya auf seine Ex ein, kam sich aber vor, als würde er gegen eine Wand sprechen. „Ihm wird hier nichts passieren.“ „Lass gut sein, Toshiya.“ Mit gesenktem Blick stürmte Kyo aus der Küche. Wegen ihm würde Toshiya etwas verlieren, was ihm am Herzen lag. Das konnte Kyo nicht zulassen. Seine Füße trugen ihn zum Badezimmer, seine Hände schlossen wie automatisch die Tür von innen ab. Toshiya wusste nicht wohin. Sollte er Kyo folgen oder weiter versuchen Akemi aufzuhalten? Er kannte das Geräusch. Es war eindeutig die Badezimmertür. Aber war es nicht normaler, dass man sich in sein Schlafzimmer zurückzog, anstatt... dem... Bade...zimmer? „Kyo! Nein!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)