Postkarten von Idris (mehr oder weniger einsam) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Personen: Pascal und Frederik Nachdem er sich drei Wochen nicht gemeldet hatte, bekam ich eine Postkarte. Eine Postkarte! Ich meine, also bitte … Normale Menschen verschickten Strände oder Denkmäler und schrieben ‚Das Wetter ist schön, die Sonne scheint und wir liegen die ganze Zeit am Strand, viele Grüße, XXX’. ER schickte mir eine einsame Bucht in einer Schneelandschaft und schrieb nichts weiter als meine Adresse darauf. Er schrieb die Straße falsch, aber ich fand es generell ein Wunder, dass er sich tatsächlich gemerkt hatte, wo ich wohnte. Sein Name stand nirgendwo, aber ich erkannt natürlich seine hieroglyphenähnliche Handschrift. Er war nicht einmal im Urlaub, der Spinner, das wusste ich ganz genau. Zumindest war diese Postkarte ein Zeichen dafür, dass er seine Wohnung wenigstens einmal verlassen hatte in den letzten Tagen. Vielleicht hatte er sogar mal gegessen oder geschlafen. Irgendwie beruhigte mich das. Zuerst war ich erleichtert. Dann ziemlich sauer. Und dann vergeudete ich eine halbe Stunde wertvolle Lebenszeit damit, auf die seltsam düstere Schneelandschaft zu starren, und auf den vereisten Steg, der aussah, als ob darauf seit Ewigkeiten niemand mehr entlang gegangen sei. Es war die einsamste Postkarte, die ich je gesehen hatte. Ich wollte ihn anrufen, aber mir wurde klar, dass er nicht ans Telefon gehen würde. In vielerlei Hinsicht war er sehr zuverlässig und vorhersehbar. In anderer leider nicht. Also beschloss ich, persönlich vorbeizugehen und ihm seine blöde Postkarte an den Kopf zu werfen. „Oh Dios mio – es ist der laute Freund von Senior Frederik!“ Seine Nachbarin hatte mich noch nie gemocht. Das beruhte auf freundlicher Gegenseitigkeit. Sie hatte immerhin fünf Kinder, die viel mehr Lärm machten als ich jemals zustande gebracht hatte. Hoffe ich jedenfalls. „Ich bin gar nicht da – ignorieren sie mich.“ gab ich zurück. „Dios mio …“ stöhnte sie und verriegelte die Tür. „Hey, ich bin NICHT kriminell!“ fauchte ich. Ich weiß sowieso nicht, wieso sie mir immer das Gefühl gab, ICH sei derjenige, der hier nicht gut genug war. Wo ER doch das sozial inkompetente, ignorante Arschloch war. Aber die Welt ist eben ein ungerechter Ort. Nach dem siebzehnten Klingeln öffnete er die Tür. Seine Augenringe waren beinah so schwarz wie sein Rollkragenpullover und er sah auf hagere, geistesabwesende Art und Weise leider sehr gut aus. „Ich hasse dich immer noch“, informierte ich ihn. „…“ Er blinzelte ein wenig zerstreut und mir wurde klar, dass er schon wieder an seinem gottverdammten ‚Projekt’ saß und vermutlich seit mehr als drei Tagen nicht mehr geschlafen hatte. Natürlich. Was hatte ich eigentlich erwartet. „Oh man, ich bin´s.“ Ich zog eine Grimasse. „Pascal. Wir hatten Sex. Manchmal sogar guten. Ich habe dich gezwungen acht Mal 'Star Wars' mit mir anzusehen. Ich habe dich verlassen, weil du ein besessenes Arschloch bist.“ Ich fand, das war eine sehr treffende Zusammenfassung unserer Beziehung. Er schien mich daraufhin tatsächlich wieder zu erkennen. „Neun Mal“, korrigierte er automatisch und schob seine Brille ein Stück weiter nach oben. „Gefühlte neunzig Mal.“ Sein zweitliebstes Hobby, neben der Tatsache, mich zu ignorieren, war mich zu berichtigen. Das musste ihm einen totalen Kick geben, wenn er Recht hatte. Er bat mich nicht herein, aber daran war ich ja schon gewohnt. „Was soll das?“ fragte ich und warf ihm die Postkarte entgegen. Er fing sie beiläufig auf und betrachtete sie so desinteressiert, als hätte er sie noch nie gesehen. Ich nutzte den Moment, um an ihm vorbei in die Wohnung zu schlüpfen. „Mach lieber die Tür zu“, empfahl ich. „Sonst holt deine Nachbarin vielleicht noch die Polizei … deine Nachbarin, du weißt schon. Frau Moralez. Mit den tausend Kindern. Die schon seit drei Jahren gegenüber von dir … ach, ist nicht so wichtig.“ Ich schob die Hände in die Hosentaschen und blickte mich um. In gewisser Weise sah es in der Wohnung so aus wie auf der Postkarte. Leer. Jedes Mal, wenn ich auszog und mein ganzes Zeug mitnahm, blieben riesige Lücken zurück, die er nicht wieder auffüllte. Da drüben hatte zum Beispiel mein CD-Player gestanden. Und da war immer das kleine Häufchen gewesen, wo ich meine schmutzigen Socken gesammelt hatte. Bei jedem anderen hätte ich sentimentale Gründe vermutet, nur nicht bei ihm. Andererseits … was war diese Postkarte, wenn nicht sentimental? „Wenn du mich vermisst, hättest du es einfach nur sagen müssen“, stellte ich fest. „Möchtest du was trinken?“ gab er zurück. „Hast du was da?“ fragte ich perplex. „Nein?“ Ich seufzte und mir wurde klar, wie ekelhaft erfolgreich er meiner Frage ausgewichen war. Eine Postkarte. Ich konnte das immer noch nicht so richtig glauben. Andererseits war es so typisch. Er sagte etwas und doch wieder gar nichts, und es lag wieder alles an mir. Jeder andere verlassene Liebhaber hätte sich doch wenigstens zu Rosen oder einem rührseligen Gedicht aufgeschwungen, oder ein paar Lieder vor meinem Fenster gesungen. Mit Gitarre und so. Oder mir seitenweise Liebesbriefe geschrieben. Irgendetwas um zu zeigen, wie viel Mühe er sich gab und wie verzweifelt man war. Und was bekam ich? Eine einsame Postkarte. Ärgerlich riss ich sie ihm aus der Hand und wedelte damit aufgebracht vor seinem Gesicht hin und her. „Das hier, man! Was soll das werden?! Was soll ich damit anfangen?“ Er zuckte mit den Schultern und blickte an mir vorbei. „Ich habe sie gesehen und musste an dich denken.“ Wow. Ich ließ die Hand sinken, zu perplex um ihm zu sagen, wohin er sich das mal stecken konnte. Davon hatte ich genauer betrachtete immer noch nichts. Trotzdem war ich beinah irgendwie gerührt. Immerhin … ich war schon mindestens drei Minuten in seiner Wohnung und er hatte noch nicht ein einziges Mal in Richtung seines Schreibtisches geschielt. Sekundenlang standen wir schweigend voreinander. Irgendwie verpasste ich eine ganze Reihe an Dingen, die ich ihm an den Kopf werfen sollte, und er verpasste hoffentlich eine ganze Menge an Entschuldigung und Liebesschwüren, die er mir noch zu sagen hatte. „Bleibst du noch länger?“ fragte er schließlich in seiner typischen, an Unhöflichkeit grenzenden Direktheit. „Wieso?“ Er runzelte die Stirn. „Ich muss da noch was abtippen …“ „Ich hasse dich so.“ „… aber heute Abend kommt Star Wars, die Special Edition. Die musste ich nur sechsmal Mal mit dir ansehen.“ Ich klappte den Mund auf und wieder zu. Mir fehlten einfach die Worte. „Ich finde das relativ unsymmetrisch.“ Er hob die Schultern und blickte immer noch haarscharf an meinem Gesicht vorbei. Er war ein sozial inkompetentes Arschloch. Ein Autist. Ein Spinner. Ein besessener, irrer Verrückter. Und ich hasste ihn immer noch. Ich weiß nicht, wieso ich trotzdem blieb. Ich griff nach seinem Pullover und zog ihn zu mir. „Herrgott“, murmelte ich, „schick mir nie wieder so einsame Postkarten.“ Er legte die Arme um mich und ich spürte, wie er mit den Schultern zuckte. „Wieso nicht? Du bist doch hier.“ Ich habe das Gefühl, Frau Moralez war in dieser Nacht wieder sehr unzufrieden mit meiner Lautstärke. Anmerkung: Like it? Hate it? Let me know. ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)