Götterdämmerung von 35M3R0D ================================================================================ Kapitel 9: Orient ----------------- Ciel wusste nicht, ob er lieber lachen oder doch eher heulen sollte. Die Ironie der Situation liess ihn zum Lachen tendieren, aber wenn er sich seine verbrühten Hände so ansah, war ihm ganz eindeutig nach Heulen zumute. Agni hatte sich erholt, aber der Arzt hatte ihn angewiesen, für die nächsten paar Tage weiterhin das Bett zu hüten. Unter normalen Umständen hätte sich der Inder nie daran gehalten, aber der Quacksalber – wahrscheinlich hatte Ciel ihn ZU gut bezahlt – schaute mindestens einmal täglich rein, um sicher zu stellen, dass der Patient sich nicht überanstrengte. Das hiess für Ciel zum einen, dass sie mit ihrer Suche nicht vorankamen und zum anderen – und das war momentan sein grösseres Problem – dass Agni als Koch des Workhouses ausfiel. Dementsprechend hatte das Personal beschlossen, dass jetzt sein „Assistent“ – Ciel! – für ihn einspringen sollte. Der genaue Wortlaut war zwar eher gewesen „der verdammte Küchenjunge soll auch mal was machen! Immerhin schleicht er ständig um den Inder rum, da wird er wohl was gelernt haben!“, aber jeder Teil von ihm, der Aristokratie indoktriniert gekriegt hatte, weigerte sich das Wort „Küchenjunge“ auf sich selbst bezogen zu akzeptieren. Trotzdem änderte das nichts daran, dass er jetzt gewissermassen zum Aushilfskoch aufgestiegen war. Was ihn zu seinem momentanen Hauptproblem brachte: Er hatte, obwohl er doch "immer um Agni herumschlich", absolut keine Ahnung vom Kochen! Er warf den grossen, blubbernden Topf einen misstrauischen Blick zu. Sein Versuch mit dem Rezept, das Agni ihm aufgeschrieben hatte, etwas zusammen zu brauen, das im besten Fall auch noch geniessbar war, schien gerade erneut zu scheitern. Überhaupt war es bisher nicht besonders gut gelaufen. Da Agni den Grossteil des Tages in seinem Zimmer verbrachte, musste er sich allein mit dem unfreundlichen Küchenpersonal herumschlagen. Einer der Männer war schon kurz davor gewesen ihm eine zu scheuern, weil er zum dritten Mal das Essen verbrannt hatte. Wäre nicht in genau jenem Moment der Quacksalber hereingestolpert, hätte er es bestimmt auch getan. Die Erinnerung daran liess Ciel resigniert aufseufzen. So konnte es nicht weitergehen. Er löffelte mürrisch etwas von der Brühe auf einen kleinen Teller. Agni sollte das Zeug probieren, bevor er es den anderen vorsetzte. Ehe er allerdings an die Tür des Inders klopfte, richtete er noch einmal seine Escheinung. Dann atmete er tief ein. „Agni, ich bin es. Mach auf!“ Drinnen tat sich nichts. Ciel hob verwundert eine Augenbraue. Eigentlich war Agni um diese Uhrzeit immer wach. Das war seltsam. Er klopfte noch einmal, nur um erneut Stille als Antwort zu erhalten. „Was…?“ Ohne weiter darüber nachzudenken, griff Ciel nach dem Türknauf. Die Tür war wie erwartet unverschlossen, aber drinnen begrüsste ihn nur ein leerer Raum. Das Bett war gemacht und etwas an der kalten Atmosphäre machte deutlich, dass der Inder schon eine Weile weg sein musste. Ciel trat hinein. Er konnte nicht glauben, dass Agni einfach so weggegangen war, ohne ihm etwas zu sagen. Das war… Er konnte spüren, wie sein Herzschlag sich beschleunigt hatte. Das letzte Mal als Agni verschwunden war, hatte er am nächsten Tag einen Arzt gebraucht! Der Teller mit der Brühe glitt ihm aus den Fingern und schlug mit einem lauten Krachen auf den Boden... Das liess Ciel aufschrecken und sein Blick wanderte leicht benommen zum nassen Chaos am Boden. Er trat instinktiv einen Schritt zurück. Die Frage nach Agnis Verbleib wirbelte währenddessen geradezu panikerregend in seinem Kopf herum. Warum tat der Inder so etwas? Es gefährdete ihre Mission. Das musste er doch wissen! Es konnte doch nicht sein… Er brauchte jemanden, auf den er sich verlassen konnte. Jemanden wie… Sebastian Er wollte den Namen nicht denken. Es beschwor den Dämon, da war er sich sicher. Aber Agni war weg… schon wieder! Ciel atmete schwer, seine Hände in seinen Haaren vergraben. Er konnte nicht… er konnte das nicht allein. Sollten all diesen Wochen – Monate – wo sie sich jetzt schon in Londons Unterwelt herumtrieben umsonst gewesen sein? Das durften sie nicht! Er konnte nicht akzeptieren, dass er sich all diesen degradierenden Tätigkeiten ausgesetzt hatte, wenn er schlussendlich doch kleinbeigeben und Sebastian rufen musste. Er wollte das nicht! Aber jeder vernünftige Teil seines Wesens wusste, dass es ohne Agni zu gefährlich war hier weiter zu verweilen. Er wollte Rache, keinen verfrühten Tod in einem Strassengraben. Und er wollte auch nicht weiter so leben müssen… „Seba-…“ NEIN! Noch nicht. Nicht aus Verzweiflung! Ciel biss sich regelrecht auf die Zunge. Sein Herz raste immer noch. Er würde Sebastian nicht rufen, noch nicht. Erst würde er einen letzten Versuch unternehmen Agni zu finden. Falls ihm das nicht gelingen oder sich herausstellen sollte, dass der Inder endgültig unbrauchbar geworden war, würde er auf diese letzte Option zurückgreifen. Vorher nicht. Er konnte dem Dämon nicht so einfach diesen Triumph gönnen. Also atmete er einmal tief ein und ballte die Hände zu Fäusten. Noch war er nicht gänzlich am Tiefpunkt angelangt. ----- Ciel schlich durch die dämmrigen Strassen. Er hatte das Abendessen zurückgelassen, womit er es endgültig zu einem Schicksal als schwarze, ungeniessbare Melasse verdammte und stattdessen den Weg zu Laus Etablissement eingeschlagen. Das letzte Mal hatten die Handlanger des Chinesen Agni nach Hause geschleppt. Seine Chancen standen also gut, dass er auch jetzt wieder dort zu finden war. Mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen und gesenktem Blick wich er den Leuten auf der Strasse aus. Er brauchte keine unnötige Aufmerksamkeit. Wenn er eines auf der Strasse gelernt hatte, dann war es, dass man jemandem an seiner Gangart ansah, was für eine Art Mensch er war. Jene, die stolzierten waren nichts weiter als arglose Gecken. Es waren die, die schlichen, vor denen man sich in Acht nehmen musste. Er erreichte Laus Keller unbehelligt. Ins rote Licht des Abendrots getaucht, war Ciel beim blossen Anblick der schweren Holztür schon klar, dass er früh dran war. Möglicherweise zu früh, denn diese Art von Betrieb war normalerweise nur während der Nachtstunden aktiv. Er klopfte trotzdem. Doch wie schon bei Agnis Tür blieb sein Ruf unbeantwortet. Für einen Moment fühlte er sich erneut übermannt von dieser Flutwelle tiefster Frustration. Agni, wo zum Teufel bist du? Seine Faust kollidierte mit dem robusten Holz, was ihn schmerzhaft das Gesicht verziehen liess. „Vinny…“, die Stimme neben ihm klang zaghaft. Ciel zog seine Hand ruckartig zurück. „Was willst du hier?“ Er hatte sich nicht zum Sprecher umgedreht. „Ich…ich bin dir von der Kreuzung aus gefolgt. Also eigentlich hatte ich dich gerufen, aber du hast mich nicht gehört, wie’s scheint.“ Ian machte eine kleine, leicht verlegene Geste und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Es schien beiden klar zu sein, dass dies kein guter Zeitpunkt war. „Und was tust du hier?“, die Betonung sollte wohl die Anspannung überspielen. „Agni ist verschwunden.“ Der junge Earl wusste selbst nicht genau, warum er dem Strichjungen diese Information zukommen liess, aber momentan hatte er keine Nerven sich über solche Details den Kopf zu zerbrechen. Sein Blick war immer noch auf die Tür gerichtet. „Dein indischer Freund? Ich hab‘ ihn nicht gesehen. Denkst du, ihm ist etwas zugestossen?“ Ciel zuckte nichtssagend mit den Schultern, aber die mitfühlende Anteilnahme auf Ians Gesicht blieb bestehen. „Wenn du willst, kann ich dir helfen ihn zu suchen.“ Ciel winkte ab. „Du wird nicht nötig sein. Ich wüsste nicht wo.“ Er schob die Hände wieder in seinen Hosentaschen, als wolle er damit ausdrücken, dass die Diskussion beendet war, doch Ian schien den Wink nicht ganz zu verstehen. „Was willst du denn dann tun?“ „Nichts. Agni wird schon früher oder später wieder auftauchen… tut er immer.“ Sein Versuch unbekümmert zu klingen, wurde von dem forschenden Blick des Strichjungen irgendwie zunichte gemacht. Ciel musste sich abwenden. „Aber du bist doch extra hergekommen, um ihn zu suchen.“ „Na und wenn schon!“, fuhr Ciel ihn an. Sein Mass an Geduld war gerade endgültig überschritten worden. „Halt dich da raus! Das geht dich nichts an!“ Ian hob beschwichtigend die Hände. „Reg dich doch nicht so auf, Vinny. Ich versteh‘ ja, dass du dir Sorgen machst…“ „Ich mache mir keine Sorgen!“ Von dem aufgebrachten Ciel reichlich wenig beindruckt, tätschelte Ian bloss mitfühlend dessen Arm. „Wie auch immer. Wenn du Gesellschaft brauchst, kannst du auch gerne mit mir kommen. Du weisst ja wie’s läuft, ich bin heute Abend mit Lord Kent verabredet.“ Ciel atmete schwer. Hätte Ian nicht gerade den ominösen Mister Monokel erwähnt, hätte er ihm wahrscheinlich eine geknallt. So allerdings sah er sich gezwungen sich wieder zu beruhigen. Es war nicht seine Art so aus der Haut zu fahren. Das alles fing an ihm viel zu sehr zuzusetzen. Er atmete tief ein. „Kent?“ „Ja, er hat dir beim letzten Mal schon angeboten mitzukommen.“ Ciel nickte. „Ich erinnere mich.“ Eine bedeutungsschwangere Stille breitete sich zwischen den beiden aus. Neben ihnen wuselten konstant Leute durch die in Abendrot getränkten Strassen. Es war laut, deswegen war Ians Abwarten umso deutlicher. „Willst du denn, dass ich mitkomme?“ Ciel machte eine fahrige Geste, während Ians Blick irgendwo an ihm vorbei ging. „Klar will ich, dass du mitkommst. Sonst hätte ich es nicht angeboten…“ „Aber er ist doch dein bester Kunde?“ Ein resignierendes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Strassenjungen aus. „Ja, und genau deswegen muss ich ihn bei der Stange halten und ihm geben was er will.“ Ciel gab ein kleines Schnauben von sich. Natürlich war es ihm zuwider zu einem von Ians Freiern mitzugehen, aber es war auch die ultimative Gelegenheit mehr über den Kerl zu erfahren. „Also gut, ich komme mit.“ ~~~ „Was macht dieser Kent eigentlich so?“ Sie waren auf dem Weg zur Kreuzung, wo Ian sich schon das letzte Mal von ihm hatte aufgabeln lassen. „Keine Ahnung. Ich glaube, er hatte mal was erwähnt von wegen, dass er für eine grosse Firma arbeitet, die Ichweissnichtwas vertreibt.“ Ian schenkte ihm ein schräges Grinsen. Ciels Versuche jemanden auszuhorchen waren auch schon mal subtiler gewesen - dessen war er sich bewusst - aber mit Agni verschwunden und er selbst auf direktem Weg zu jemandem, der bereit war für sexuelle Dienste zu bezahlen, war es wirklich nicht verwunderlich, dass seine Finesse litt. „Der Mann scheint dich ja wirklich sehr zu interessieren.“ Ian versetzte ihm einen neckischen Boxer an die Schulter, welcher Ciel aber so aus dem Konzept brachte, dass er leicht strauchelte. „Was?!“ Das heitere Auflachen des Strassenjungen war die einzige Antwort. „Pass bloss auf, dass du dich nicht verliebst. Das ist tödlich fürs Geschäft“, er klopfte Ciel in brüderlicher Manier auf den Rücken, welcher ihm daraufhin nur einen verärgerten Blick zuwarf. Sie erreichten die Strassenecke, wo die Kutsche sie abholen sollte, ohne weiteres Aufsehen. „Ich hab' ihn mal am Hafen gesehen“, gab Ciel leise zu, während er sich in der eingeübten Pose an die Backsteinwand lehnte. Vielleicht war es ein unkluger Zug das Ian gegenüber zuzugeben, aber falls der andere Junge doch etwas wusste, war das wohl der beste Weg es herauszufinden. Erstaunlicherweise schaute dieser tatsächlich einen Moment lang verwundert auf, bevor er antwortete: „Ja, ich habe ihn da kennengelernt. Er hat sich über das Lagerhaus erkundigt.“ Ciel nickte. Also doch, irgendwas stimmte mit dem Kerl nicht, wenn er Informationen über das Funtom Lagerhaus wollte. Vielleicht war er nicht der Urheber, aber Dreck am Stecken hatte er auf alle Fälle, soviel war klar. Ciel nickte mehr zu sich selbst, während am Ende der Strasse eine Kutsche um die Ecke bog. ~~~ „Vinny… Vincent, ein klassischer Name. Gefällt mir.“ Kent hatte gelächelt und ihm die Hand gereicht. Es hatte beinah etwas von der üblichen Interkation mit Ciels Geschäftspartnern gehabt, nur dass er in einer Kutsche auf dem Weg zur Behausung eines dubiosen Freiers sass. Neben ihm plapperte Ian gelassen mit Kent, erzählt ihm alles und nichts. Ciel hielt sich raus und beobachtete stattdessen lieber ihre Umgebung. Wie er bereits angenommen hatte, war Kent ein Bourgeois, weit davon entfernt dem Adel anzugehören, aber reich genug, um sich ein Haus in einer von Londons besseren Gegenden leisten zu können. Als die Kutsche dann endlich anhielt, öffnete ihnen auch sogleich ein Bediensteter die Tür. Er trug keine Uniform und schien auch sonst nicht wirklich dem Standard zu entsprechen, den Ciel für sein eigenes Personal bevorzugte, trotzdem nickte er höflich und zog sich sofort wieder zurück, nachdem die Tür mit einem Klacken ins Schloss gefallen war. Kent geleitete sie hinein und schien der Tatsache, dass jeder schaulustige Nachbar, der hinter seinen Gobelin Vorhängen hervorspähte, sehen konnte, wen er hier in der Dämmerung in sein Haus einlud, wenig Aufmerksamkeit zu zollen. Ein Mann mit zumindest einem Minimum an Rückgrat. Ciel hätte das unter normalen Umständen schätzen können. „Tretet ein in mein bescheidenes Heim. Ian, du kennst dich ja schon aus; Vincent, verzeih mir, dass ich ein schlechter Gastgeber bin und heute keine Tour gebe“, er zwinkerte Ciel zu, „aber ich würde es bevorzugen, gleich in mein Büro zu gehen.“ Etwas in Ciels Magengrube zog sich zusammen – ob das nun daher rührte, dass Kent der einzige war, der darauf zu bestehen schien, seinen falschen Namen nicht durch eine grauenhafte Abkürzung zu verunstalten oder eher weil die Situation wesentlich schneller zum eiskalten Ernst geworden war als er sich das vorgestellt hatte, blieb dahingestellt. Eine warme Hand legte sich in sein Kreuz und begann ihn in Richtung Treppe zu schieben. Daneben schenkte ihm Ian ein aufmunterndes Grinsen. „Das wird schon werden“, formten seine Lippen tonlos. Doch Ciel konnte bloss ein genauso stummes „Warum Büro?“ zurückgeben. Ian zuckte mit den Schultern und deutete dann unauffällig auf den Ringfinger seiner rechten Hand, was Ciel dazu veranlasste sich inmitten seiner mittlerweile doch schon immens angewachsenen Nervosität eine geistige Notiz zu machen. Kent war also verheiratet; besass aber immerhin noch so viel Anstand keine Strassenjungs ins gemeinsame Ehebett zu lassen. Wieder etwas, das Ciel ihm eigentlich zugutegehalten hätte… eigentlich. Sie traten durch die Tür und Kent nahm ohne grosse Umschweife auf dem schweren Ledersessel Platz. Ian fiel auch sogleich vor ihm auf die Knie und fing an, an seinem Gürtel herumzufingern. Ciel konnte das ganze nur mit schockiertem Blick verfolgen, während er sich unweigerlich gegen die Wand presste. "Vinny ist noch etwas schüchtern", erklärte Ian, ohne sich zu dem anderen Jungen umzudrehen. "Er sollte vielleicht erstmal nur zuschauen." Kent nickte, hatte sich aber bereits in den Sessel zurückgelehnt und liess Ian machen. Ciel währenddessen war sich nicht sicher, wohin er den Blick richten sollte. Er wollte definitiv nicht Zeuge dieses Aktes sexueller Abartigkeit werden. Gleichzeitig war er sich aber bewusst, dass wenn er nicht hinsah, er wohl unweigerlich als unberührter Strichjunge auffliegen würde. Seine Augen wanderten also verzweifelt im Raum umher, schauend und nicht schauend, zutiefst verunsichert was sie sehen sollten und was nicht… bis sie an einem Zeitungsartikel hängen blieben. Ciel tat einen Schritt in Richtung des Schreibtisches, wo die Zeitung unter einigen anderen Dokumenten hervorlugte. Einige Stellen im Text waren unterstrichen oder umkreist, aber Ciel musste nicht näher hinsehen, um sie lesen zu können, er kannte den Artikel. Er hatte selbst für das Interview Rede und Antwort gestanden. "DIE FUNTOM COMPANY SETZT AUF GAS UND WEIST SO DEN WEG IN DIE ZUKUNFT?" Ciel erinnerte sich daran, dass er damals verärgert gewesen war, dass die Schlagzeile als Frage formuliert war. Der Artikel war etwa vier Monate alt und noch einige Zeit vor dem Vorfall erschienen. Es war also definitiv ungewöhnlich, dass Kent noch immer eine Ausgabe davon herumliegen hatte. Ciels spürte wie sein Blick unweigerlich wieder zu dem älteren Mann glitt und bereute es fast augenblicklich. Kent hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen, während seine Hände in Ians aschblondem Haarschopf vergraben waren und ihn antrieben sich schneller zu bewegen. Stöhnen und das gleichmässige Geräusch von… Ciel konnte es nicht wirklich benennen, halt von dem, was Ian da gerade mit deinem Mund tat, erfüllte den Raum. Ciel wollte wegsehen, aber sein Blick war wie gefangen von den rhythmischen Bewegungen… und dem Ekel. "Vincent", presste Kent heraus, "ich möchte, dass du dich um Ian kümmerst." Ciels Augen weiteten sich. Sich um Ian kümmern? Bedeutete das, was er dachte, dass es bedeutete? Ciel stand wie angewurzelt da. Er wusste nicht, was er tun sollte. Ians Hand – diejenige, die nicht gerade beschäftigt war – deutete ihm mit einer unauffälligen Geste an, dass er näherkommen sollte. Aber Ciel war immer noch zutiefst schockiert. Er konnte… wollte das nicht. Ians Winken wurde auffälliger und Ciel trat einen widerwilligen Schritt näher. Dann löste sich der Strichjunge vom Kent, der ein unzufriedenes Geräusch von sich gab, und griff nach Ciel. Er presste seinen Körper so dicht an jenen des anderen jungen Mannes, dass Ciel ihren Freier an ihm riechen konnte. Er musste sich beherrschen nicht das Gesicht zu verziehen und Ian wieder von sich zu stossen. "Spiel mit!" zischte ihm Ian ins Ohr. "Du musst nur deine Hand in meine Hose stecken, er schaut eh nicht so genau hin." Ohne Ciels Reaktion abzuwarten, wandte sich Ian wieder Kent zu und fuhr da fort wo er aufgehört hatte. Ciel konnte nachwievor nur starren. Seine Hand in Ians Hose stecken? Ciels Augen suchten verzweifelt nach einer anderen Möglichkeit und blieben erneut bei den Dokumenten auf dem Schreibtisch hängen. Unter der Zeitung, halb verdeckt, waren noch Briefe. Von hier aus konnte er den Absender nicht entziffern, aber wenn er näher rangehen würde… wenn er sich hinter Ian positionieren würde, so wie Kent das wollte… Also kniete er sich hinter den Strichjungen, und alles in ihm rebellierte gegen die Situation; besonders seine Nase. Der Geruch war einfach widerlich. Ciel musste den Würgereiz unterdrücken und vergrub sein Gesicht in Ians Nacken. Kent schien die Situation offensichtlich falsch zu interpretieren, denn er gab ein weiteres zufriedenes Grunzen von sich. Ciel wollte sich am liebsten übergeben. Wenigstens roch Ian normal… menschlich, nach Schweiss, Küche und etwas Rauch. Damit konnte er fast leben. Zögerlich schob Ciel seine Hand um den Körper des anderen jungen Mannes, während seine Augen weiter den Schreibtisch absuchten. Er schaute bewusst nicht hin, deswegen überraschte es ihm umso mehr als er schliesslich an dem Ort angelangte, wo eigentlich eine Beule hätte sein sollen. Seine Hand suchte tiefer, tastete den Schritt des anderen jungen Mannes ab und fand schliesslich dessen schlaffes Glied. Ciel konnte spüren wie sich seine Stirn runzelte. Ian griff nach seinem Handgelenk und führt Ciels Hand unter seinen Hosenbund. Er machte ein paar eindeutige Bewegungen mit seiner Hüfte und brachte den jungen Earl so dazu, sich noch enger an seinen Rücken zu pressen. Trotzdem änderte das nichts an der Tatsache, dass der Strichjunge offensichtlich nicht erregt war. Seine Hand, die immer noch von Ians umschlossen war, bewegte sich, bedeckt vom rauen Stoff der Hose, auf und ab. Sie simulierten was Kent von ihnen erwartete, und Ciel kam nicht umhin sich einzugestehen, dass er minimal beeindruckt von Ians Taktik war. Beindruckt und nachwievor im höchsten Mass angeekelt, aber trotzdem irgendwie beeindruckt. Seine Augen machten sie wieder auf die Suche nach den Dokumenten, während er so gut es halt ging, versuchte zu ignorieren, was sein Körper gerade tat. Unter der Zeitung lag ein geöffneter Brief, der ein Siegel trug, das er kannte: Der Baron von Rochester. Ciel atmete tief ein. Von hier konnte er den Inhalt des Briefs natürlich nicht ermitteln, aber allein die Tatsache, dass Kent einen Brief mit Rochesters Siegel besass, war verdächtig. Es musste also eine Möglichkeit geben – oder erschaffen werden – den Brief an sich zu nehmen. Vor ihm bäumte sich Kent mit einem letzten eindeutigen Stöhnen auf, bevor er völlig erschöpft in seinen Sessel zurücksank. Auch Ian lehnte sich zurück. Seine Hand, die Ciels angetrieben hatte, hatte abgelassen und der junge Earl versuchte nun vorsichtig – und ohne drauf aufmerksam zu machen, dass eindeutige Spuren fehlten – sich zu befreien. "Ian, du bist der Beste", murmelte Kent fast schon etwas geistesabwesend. Ciel stand auf und bewegte sich unauffällig zum Schreibtisch herüber. "Ich hoffe doch, Vincent hat sich gut um dich gekümmert. Ich bin immer dafür, Freunde am Spass teilhaben zu lassen." Er lachte müde. Ian war währenddessen auch aufgestanden und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Ciel konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass er Kent zuzwinkerte und sich dann auf seinem Schoss platzierte. Der ältere Mann zog ihn näher zu sich und flüsterte ihm ein paar Dinge ins Ohr. Ciel wollte definitiv nicht wissen was und versuchte stattdessen sich so leger und dezent wie möglich gegen die Schreibtischkante zu lehnen. Er war nicht sicher, ob es ihm gelang, denn, obwohl Ian sich kichernd an Kent schmiegte, war sein Blick konstant auf Ciel gerichtet und folgte ihm auf Schritt und Tritt. Der junge Lord atmete tief ein. Manchmal musste man gewisse Risiken eingehen. Also legte er den Finger an die Lippen und sah Ian direkt an, während seine andere Hand hinter sich griff und die Briefe unter seinem Hemd verschwinden liess. Für einen Moment weiteten sich Ians Augen, dann jedoch schlich ein harter Ausdruck in sie. Er lehnte sich weiter an Kent und nahm auch das ihm entgegengestreckte Geld mit einem zuckersüssen Lächeln entgegen, trotzdem war klar, dass er Ciels Verhalten nicht guthiess. Er warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, als sie schliesslich wieder die Treppe hinunter und in die Empfangshalle geleitet wurden. "Und, Jungs? Zum Abschluss noch ein Küsschen?" Kent lächelte ihnen schmierig entgegen und streckte Ian eine Münze hin. Dieser rollte mit den Augen, Ciel konnte es aus seiner Position genau erkennen, brachte dann aber seine Gesichtszüge sogleich wieder unter Kontrolle und stellte sich schon auf die Zehenspitzen, um Kents Wunsch nachzukommen. Dieser schüttelte allerdings den Kopf. "Nicht ich, Vincent. Der Junge sollte schliesslich etwas lernen." Ciels und Ians Blick trafen sich. In beiden war grösster Widerwillen abzulesen. Dann legte Ian wieder ein gezwungenes Lächeln auf und zog Ciel an seiner Jacke zu sich hin. Sanft legte er seine Wange an jene des anderen Jungen. "Wenn du mir das hier versaust, bring ich dich um", wisperte er im allersüsstesten Tonfall. Dann spürte Ciel auch schon weichen Lippen auf seinen. Erschrocken wollte er zurückweichen, aber Ian hielt ihm fest, während sich die Lippen weiter bewegten. Sie erkundeten seinen Mund, wollten dass er mitmachte, den Kuss erwiderte, aber Ciel stand da wie angewurzelt. Erst als er schliesslich ein paar weitaus weniger sanfte Zähne spürte, die sich an seiner Unterlippe zu schaffen machten, öffnete er instinktiv den Mund. Als Ian schliesslich von ihm abliess, schmeckte er Blut. Er verzog das Gesicht, versuchte aber im gleichen Mass gute Miene zum bösen Spiel zu machen als sie schliesslich zur Tür geleitet wurden. "Ich hoffe, du bringst Vincent das nächste Mal wieder mit", sagte Kent mit einem Winken bevor er die Tür schloss. Draussen versetzte ihm Ian einen harten Stoss an die Schulter. "Sag mal, spinnst du?! Du kannst ihn doch nicht bestehlen! So lädt er uns nie mehr zu sich ein, wenn er's bemerkt." Sie gingen zur Kutsche hinüber, die sie zurück in ihre eigene Nachbarschaft bringen sollte. Ciel zuckte nur mit den Schultern und stieg ein. "Dir ist das vielleicht egal, aber Leute wie Kent sind mein Lebensunterhalt. Also reiss dich gefälligst zusammen! Was hast du überhaupt mitgehen lassen?" Ciel sagte noch immer nichts, stattdessen lehnte er sich zurück und lauschte den Geräuschen der Strasse von draussen. TBC Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)