My Miley (Liley) von EmiLy_RoHan (Tell Your Father To Stop) ================================================================================ Kapitel 4: Desperate Fury ------------------------- MY MILEY TELL YOUR FATHER TO STOP LILEY Kapitel 04 „Hm... Ich liebe dich.“, Lillys Finger schlossen sich sanft um Mileys Körper. Sie vergrub ihr Gesicht in den braunen Locken ihrer Liebe und murmelte es leicht in sich hinein. Die Sonne war ihr direkt in das geschundene Gesicht gefallen und hatte sie unbarmherzig aus ihrem Traumland geholt, nur um sie gleich wieder dorthin zu entlassen. Mileys Rücken war ihr zugewandt. Die Brünette hatte ihr Gesicht halb in Olivers Kissen versteckt und bemerkte die kriechenden Finger der Blondinen nicht, die sich um ihren Bauch schlangen und unter ihr Top verschwanden. Lilly seufzte erleichtert. Mileys Präsenz war immer alles gewesen, was sie gebraucht hatte, um sich wieder zu beruhigen. Ihre Nähe hatte ihr geholfen über den Tod ihrer Mutter hinweg zu kommen und sie würde ihr auch jetzt helfen. Sie würden sich nicht unterkriegen lassen. Auch nicht von Mileys Vater. „Wach auf, Miles. Wach auf.“, Lillys Hand klopfte sanft gegen Mileys Bauch, aber die Brünette rührte sich kein bisschen. „Komm schon, Babe. Oliver kann schließlich nicht ewig darauf warten, dass wir sein Zimmer wieder frei machen.“ „Nur noch fünf Minuten...“, Miley rollte sich auf die andere Seite und kuschelte sich gegen Lillys Brust, die sich stetig hob und senkte. Miley lächelte leicht in sich hinein. Es gab keinen Ort auf der Welt, an dem sie sich sicherer fühlte. „Keine fünf Minuten mehr, Baby. Wir müssen nach Jackson sehen.“, traurig eine Strähne aus Mileys Stirn streichend, beugte sie sich zu ihr herunter und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich liebe dich und ich würde wirklich nichts lieber tun, als hier liegen zu bleiben und das für den Rest meines Lebens, aber wir müssen jetzt aufstehen.“ Es war kaum merklich ein Flüstern, was ihren Lippen entwich. „Ich will mir gar nicht vorstellen, was Dad ihm vielleicht angetan hat...“, die Brünette schniefte und wie am Abend zuvor stach es Lilly mitten in ihr ohnehin schon angeschlagenes Herz. Sie biss ihre Zähne aufeinander und sah weg. Sie konnte nicht mit ansehen, wie schlecht es Miley ging. „Denk nicht darüber nach. Jackson ist stark, er wird es schon schaffen.“, sie konnte nichts anderes tun, als es immer wieder zu wiederholen und zu hoffen, dass stimmte, was sie sagte. Natürlich war Jackson stark. Aber war er auch stark genug? Lilly war sich da nicht sicher. „Danke, dass du für mich da bist, Lilly. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.“, Miley hob ihren Kopf und ihre Augen trafen sich. Aber Lilly konnte nicht umhin, daran zu denken, dass sie ohne ihre Gefühle jetzt nicht in diesem Schlamassel stecken würden. Miley seufzte leise. „Mach dich nicht selbst fertig. Es ist nicht deine Schuld, dass wir uns lieben. Oder bereust du es?“ Die Unsicherheit in Mileys Stimme ließ sie erstarren und ihre Augen weiteten sich leicht. Die Blondine drückte Miley auf den Rücken und beugte sich über sie. „Das darfst du nicht einmal denken, klar? Ich liebe dich mehr, als alles andere auf der Welt und ich würde es für nichts ungeschehen machen wollen. Ich kann ohne dich nicht leben. Das konnte ich noch nie. Das musst du mir glauben. Ich werde dich nie verlassen, ich werde unsere Beziehung nie bereuen.“, sie fixierte ihren Blick auf Miley. Sie wollte, dass die Brünette verstand. Miley starrte ihre Liebe an, dann legte sie ihre Hände auf Lillys Wangen und küsste ihre Stirn. „Ich würde nie an dir zweifeln, Lil.“, die Blondine beugte sich runter zu ihrer festen Freundin und drückte ihr einen festen, besitzergreifenden Kuss auf den Mund. Miley spürte den Schmerz in ihrer Wange, aber sie ignorierte ihn. Lillys Lippen auf ihren zu spüren, war all den Schmerz mehr als wert. Lillys Hände glitten über Mileys Seiten und sie küsste ihren Nacken entlang. Miley schloss ihre Augen und ihr Mund öffnete sich, um nach Luft zu schnappen. „Hab keine Angst, Miley. Hab keine Angst.“, Lilly flüsterte es gegen ihre Haut, als ihre Hand unter Mileys Top glitt und sanft über Mileys Bauch strich. Die Brünette schloss ihre Augen fest und vergrub ihre Hände in Lillys Haar. „Wenn ich mit dir zusammen bin, habe ich nie Angst.“, Lillys Lippen zielten wieder auf Mileys Mund, als ein Klopfen an der Tür zu vernehmen war. Miley öffnete sanft ihre Augen und lächelte Lilly warm an. Die Blondine erwiderte ihr Lächeln und sie vergaßen alles über die Person, die auf der anderen Seite der Tür wartete. „Ist alles okay bei euch? Seid ihr wach?“, Olivers gedämpfte Stimme drang durch die Tür und Lilly setzte sich auf. Sie strich ein letztes Mal liebevoll über Mileys Wange, dann trat sie zur Tür und öffnete sie, bevor Oliver sie eintreten musste. „Morgen, Ollie.“, Lilly lächelte ihn dankbar an und er seufzte erleichtert. „Ich dachte schon ihr zwei würdet etwas Dummes machen.“, er blickte über Lillys Schulter zu Miley, die sich aufsetzte und ihn ebenfalls anlächelte. Wenn auch viel gequälter. Es fühlte sich falsch an, ihn anzulächeln, wo sie doch nicht wusste, was mit ihrem Bruder passiert war. Lilly war eine Ausnahme. Lilly war ihr sicherer Hafen. Olivers Lächeln verblasste etwas. „Wir kommen gleich nach unten, okay?“, er nickte stumm und drehte sich um und Lilly trottete zurück zum Bett, setzte sich auf die Kante und fixierte Miley mit ihrem eindringlichen Blick. „Mach dir keine Sorgen. Alles wird wieder gut. Ich verspreche es dir.“ Miley nickte zaghaft und ergriff die Hand, die Lilly ihr entgegen streckte. Sie würde Lilly vertrauen. Sie musste es. Lilly zog die Brünette auf die Füße und Hand in Hand verließen sie Olivers Zimmer. Auf dem Treppenabsatz blieb Lilly plötzlich stehen. Miley blickte sie verwirrt an. „Was ist? Alles okay, Lil?“, sie strich eine Haarsträhne aus dem zerknirscht wirkenden Gesicht. „Wollen wir... ich meine... Was ist mit Olivers Eltern? Sollen wir es ihnen... erzählen? Das mit uns, meine ich.“, Miley wusste keine Antwort auf diese Frage. Sie war noch nicht bereit dafür, all den Hass zu ertragen, den die Welt ihr zeigen würde. Aber Olivers Eltern... sie würden das verstehen oder nicht? „Ollie hat kein Problem damit... und er muss seine Einstellung ja auch irgendwo her haben.“, sie zuckte halbherzig mit den Schultern und Lilly rieb sich das Gesicht mit den Händen, bevor sie einen Entschluss fasste. Miley und sie konnten nicht ewig davor weg laufen. Vier Monate waren eine lange Zeit. Sie nahm wieder Mileys Hand und ging die Stufen hinunter. Die Okens saßen zusammen am Küchentisch und frühstückten. Vater Jared Oken, Mutter Nancy Oken, Oliver und sein kleiner Bruder Mitchel. Sie alle hoben ihre Köpfe, als die zwei Mädchen das Zimmer betraten. Lilly schlug das Herz bis zum Hals. Die Okens waren wie ihre zweite Familie. Sie wollte sie nicht auch noch verlieren. Mrs. Oken, manchmal etwas unheimlich, wenn sie ihre Mann-Stimme auspackte, wann auch immer Oliver etwas Unanständiges oder Dummes machte, lächelte sie beide freundlich und warmherzig an und deutete auf die zwei freien Stühle am Tisch. Mr. Oken wandte sich wieder seiner Zeitung zu und Mitchel fuhr fort, sich seine Cornflakes in den Mund zu stopfen. Olivers Miene war unergründlich. Sein Blick lag auf Lillys und Mileys Händen, die einander immer noch festhielten. Lilly zog Miley zu den Stühlen und die beiden ließen sich auf die Stühle sinken. Sie frühstückten in Stille. Niemand verlor ein Wort über die Tatsache, dass sie beide hier waren und nicht bei Miley Zuhause, aber die Brünette konnte spüren, dass den beiden Erwachsenen die Fragen auf den Zungen brannten wie heiße Lava. Und sie konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Lilly aß mit ihrer linken Hand, weil sie Mileys partout nicht loslassen wollte. Sie konnten das hier tun. Hier mussten sie ihre Beziehung nicht verstecken. Denn auch wenn sie es Mr. und Mrs. Oken noch nichts erzählt hatten, sie würden ihnen die Wahrheit sagen, wenn sie sie danach fragten. Es gab Miley ein gutes, warmes Gefühl. Ihre Hand kribbelte. Lilly hingegen kämpfte im Hinterkopf immer noch gegen ihre Zweifel. Taten sie das Richtige? Würde die Welt sie akzeptieren? Was würde die Polizei mit Robbie Ray machen und wie ging es Jackson? Und die wichtigste Frage. Wo würden sie und Miley bleiben? Ihr Vater hatte sich ziemlich klar ausgedrückt, als er ihr gesagt hatte, dass er sie nicht wieder aufnehmen würde, wenn sie lieber bei den Stewarts anstatt bei ihm bleiben wollte. Aber würde er unter diesen Umständen nicht verstehen? Er musste. Er musste einfach. „Lilly, Schatz. Du isst ja kaum etwas. Ist alles in Ordnung?“, Mrs. Oken sah Lilly besorgt an und legte ihre Hand über den Tisch auf Lillys. Die Blondine sah auf. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie nur in ihrem Frühstück herum gestochert hatte. Sie räusperte sich. „Sicher... Alles... Alles bestens.“, sie zwang sich zu einem Lächeln und fühlte, wie Miley ihre Hand etwas fester drückte. Lilly schenkte ihr ein etwas herzlicheres Lächeln und Oliver räusperte sich. Lilly sah ihn an und er deutete mit seinen Augen auf seine Eltern. Aber Lilly reagierte nicht auf ihn. Oliver seufzte. „MileyundLillywurdenvonRobbieRayherausgeschmissen!“, er sprach die Worte so schnell, dass kaum auszumachen war, was er da von sich gegeben hatte. Seine Eltern musterten ihn milde interessiert. Lilly trat unter dem Tisch gegen sein Schienbein. „Ouch!“ Er hielt sich sein Bein. Mr. Oken wandte sich an Lilly. „Robbie Ray hat euch zwei heraus geworfen? Wieso?“, er zog seine Augenbrauen zusammen. Mr. Oken hatte seinen Sohn schon immer als einziger verstehen können, was ihm jetzt wohl endlich zugute kam. Miley strich mit ihrem Daumen über Lillys Hand. „Mileys Dad... Er...“, Lilly öffnete ihren Mund etwas weiter um ihm zu antworten, aber sie war wie gelähmt. Miley rutschte mit ihrem Stuhl näher an sie heran und legte ihre Hand stattdessen auf Lillys Oberschenkel und strich beruhigend auf und ab. Lilly atmete etwas wackelig ein. „Miley und ich sind ein Paar. Deswegen wollte er uns nicht mehr bei sich im Haus haben.“ Sie wartete auf den großen Knall. Den Ausbruch von Schreien und Toben, die wütenden Gesichter. Aber die Okens saßen nur da und sahen sie an. Und dann, dann lächelte Mrs. Oken etwas traurig und erhob sich. Lillys Hand schnappte sich Mileys. Ganz fest. Sie konnte nicht noch mehr Menschen in ihrem Leben verlieren. Lilly stand auf. „Bitte, ich weiß, das ist nicht ganz, was Sie von mir erwartet haben und ich kann verstehen, wenn Sie enttäuscht oder angewidert sind, aber...“, ihre Ansprache wurde harsch unterbrochen, als Mrs. Okens Arme sich um sie schlossen und sie ganz fest hielten. „Mach dir keine Sorgen, Lilly. Du gehörst praktisch zur Familie. Wir beurteilen dich nicht nach deinen Vorlieben oder dem, was du tust.“, sie strich sorgend durch Lillys Haar und die Blondine fühlte Tränen in ihre Augen schießen. Sie presste ihr Gesicht in Nancy Okens Schulter und schluchzte. Mileys Herz machte einen kleinen Hüpfer. Natürlich konnte sie es nicht leiden, Lilly so zu sehen, aber dass Mr. und Mrs. Oken sie so unterstützten... Oliver zwinkerte ihr zu und kicherte und Mitchel saß nur da und starrte sie alle an, als wären sie verrückt. Mr. Oken lächelte verhalten hinter seiner Zeitung. Lilly wischte sich über das Gesicht und schniefte, bevor sie sich von Mrs. Oken trennte und sich räusperte. „Sie haben keine Ahnung, wie viel mir das bedeutet. Wie viel es uns bedeutet.“, sie ergriff erneut Mileys Hand, als sie sich wieder setzte. Die Brünette legte ihren Kopf auf ihre Schulter. „Wir werden euch zwei immer lieben, Lilly.“, Mr. Okens warmes Lächeln ließ Lilly endgültig alle Sorgen vergessen. Sie würden es schon schaffen. Sie und Miley. Und niemand konnte ihnen etwas anderes erzählen. •◘○ Miley starrte die weißen Türen des Krankenhauses an. Lillys Hand war warm in ihrer eigenen, als sie voran ging, einen stoischen Blick aufgesetzt. Miley wusste, wie schwierig es für die Blondine war, hierher zurück zu kehren. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte sie Krankenhäuser nicht einmal mehr angesehen. Aber jetzt war sie hier. Nur für Miley nahm sie diese Schmerzen auf sich. Die Brünette konnte die Schatten hinter ihren Augen entlang geistern sehen. Die Schatten vergangener Wunden, deren Narben noch frisch waren und Miley wurde das Gefühl nicht los, dass etwas Ähnliches auch in ihren Augen zu finden war. Sie biss sich auf die Unterlippe. „Warte, Lilly. Warte.“, Miley zerrte an Lillys Hand und die Blondine drehte sich zu ihr um. Ihre Augen so fragend und verzweifelt, dass die Brünette für einen Moment vergaß, was sie eigentlich hatte sagen wollen. Sie legte ihre Arme um Lillys Hals und drückte sich nah an ihre Freundin. „Ist... Ist alles in Ordnung?“, Lilly schlang sanft ihre Arme um Mileys Taille und hielt sie sorgfältig. „Du musst das nicht tun. Du musst noch nicht da rein gehen, Baby. Es liegt ganz allein bei dir.“ Die Brünette nickte leicht in Lillys Nacken. „Du bleibst bei mir, richtig? Du lässt mich nicht allein...“, Lilly strich ihr durch die Haare und schüttelte den Kopf. Miley schmiegte ihren Kopf unter Lillys Kinn und krallte ihre Hände in Lillys Schultern. „Dann... sollten wir wohl reingehen, richtig?“ Lilly löste sich von ihr, nahm wieder ihre Hand und sah weg. Miley konnte sich nicht vorstellen, wie viel Selbstbeherrschung Lilly dafür mitbringen musste. Diese Art der emotionalen Belastung hielt doch niemand lange aus. Miley wusste nicht, ob sie es aushalten würde... Und sie wusste nicht, was sie erwarten würde. Wieso hatte ihr nur niemand sagen wollen, was ihrem Bruder fehlte? Brauchte er vielleicht einen chirurgischen Eingriff, weil sein Vater ihn zu Brei geschlagen hatte? Sie wollte nicht darüber nachdenken, was aus Robbie Ray geworden war. „Miles, bleib ganz ruhig. Ich bin sicher, sie brauchen nur einen halbwegs anständigen Angehörigen. Nur weil wir hier sind, heißt das ja nicht, dass er nie wieder gesund wird. Es ist doch gut, dass die Polizei rechtzeitig erschienen ist, um Schlimmeres zu vermeiden.“, Lillys Lippen zitterten. Die Gefühle fraßen sie von innen auf. Ihre tote Mutter lag schwer auf ihrer Seele. Aber sie würde stark bleiben. Für Miley. Für ihren Engel. „Du hast wahrscheinlich Recht...“, Miley nahm einen tiefen Atemzug, dann nickte sie und Lilly ging erneut voraus. Miley starrte ihren Hinterkopf an. Diesen blonden Hinterkopf, der voller Geheimnisse war, die Miley noch nicht alle entschlüsselt hatte. Lillys Wärme beruhigte sie. Auch wenn ihre Handflächen schwitzten und glitschig waren, Miley ließ sie nicht wieder los. Sie würde sie nie wieder loslassen. Sie würden sich ein neues Leben aufbauen. Lilly und sie. Und Jackson, sobald er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Sie fragten an der Rezeption nach Jacksons Zimmernummer und wurden auf die Intensivstation geschickt. Aber der freundliche Empfang sorgte bei Miley nicht gerade für große Hoffnung. Menschen waren immer netter zu dir, wenn sie wussten, dass dich etwas Schreckliches erwartete. Lilly sah sie nicht mehr an. Immer wenn Miley versuchte, Blickkontakt herzustellen, wich sie aus oder beschleunigte ihre Schritte und zog Miley hinter sich her. Aber die Brünette ging nicht darauf ein. Lilly hatte genug Probleme, mit denen sie sich jetzt gerade auseinander setzen musste. Und Miley würde sie bestimmt nicht belästigen, wenn es ihr so schlecht ging. Sie hielten vor einer weiteren Tür. Mileys Atem stockte, als Lilly wieder sprach. „Du musst nicht gehen, wenn du nicht willst. Du musst nicht.“, Lillys Gesicht wurde von ihrem blonden Haar verdeckt und das, was Miley erkennen konnte, war nur aschfahle, blasse Haut. Aber das Problem war, dass das, was Lilly sagte, nicht stimmte. Doch, sie musste dort hinein gehen. Sie musste nach ihrem Bruder sehen. Dieses Mal war Miley diejenige, die sich bewegte. Sie streckte ihre Hand nach der Tür aus und machte einen Schritt auf sie zu, dann blieb sie wieder stehen. Ihre Augen huschten zu Lilly, dann zu der weißen Bank, die an der Tür stand. Sie ließ Lillys Hand los. Der Kopf der Blondine wippte nach oben und ihre verzweifelten Augen bohrten sich in Mileys ruhige und entschlossene. „Bitte, kannst du hier warten? Ich würde... lieber allein rein gehen.“, sie wusste nicht, was genau sie befallen hatte, aber sie wusste, dass sie diesen Gang allein würde gehen müssen. Lilly blickte sie verwirrt an. „Miles, ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist.“, Lillys Arme hingen leblos und träge an ihren Seiten, aber ihre rechte Augenbraue zuckte unaufhörlich und Miley konnte sehen, wie sie ihre Zähne aufeinander presste. Lilly war ein emotionales Wrack. Zumindest in diesem Moment. Die Brünette lehnte sich vor, legte ihre Hände auf Lillys Schultern und gab ihr einen kleinen Kuss auf den Mund. Lillys Augen schlossen sich sofort in hilflosem Einverständnis und öffneten sich nicht wieder, als Miley sie allein im Gang zurück ließ. Sie schloss die Türen hinter sich und blickte durch das Glas auf ihre feste Freundin, die sich blindlings gegen die Wand fallen ließ und daran herunter rutschte. Aber Miley konnte ihr im Moment nicht helfen. Sie musste nach Jackson sehen. Ihr großer Bruder brauchte sie im Moment dringender als Lilly. Und er hatte dafür gesorgt, dass sie sich endlich wiedersehen konnten. Sie beeilte sich, den Gang zu durchqueren und blickte hier und da weiße Türen mit Nummern darauf an. Sie rannte fast, als sie endlich Jacksons Tür sehen konnte. Sie war geschlossen, aber Miley klopfte nicht an. Sie stieß sie fast gewaltsam auf und trat in das stille Zimmer. Fast erwartete sie ihren Vater hier zu sehen. Besorgt in einem Stuhl schlafend. Aber natürlich war er nicht hier und Miley fühlte, wie die Einsamkeit in ihren Magen sickerte. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie Lilly mit sich genommen hätte. Reiß dich zusammen, Miley. Du brauchst Lilly nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. Ihr Blick wanderte zum Bett und zu dem Menschen, der darin lag. Jackson trug keine Sauerstoffmaske. Sein Mund stand leicht offen und soweit Miley sehen konnte, war er auch an keine Geräte angeschlossen. Hätte sie nicht gewusst, dass er in diesem Zimmer lag, hätte sie ihn nicht einmal erkannt. Sein Gesicht war fast bis zur Gänze bandagiert. Die unsichere Brünette ging auf das Bett zu. Wieso war er nirgends angeschlossen? Wieso war da kein Herzmonitor, der seinen kritischen, aber stetigen Herzschlag anzeigte? Oder seine Sauerstoffsättigung? Was war hier nur los? Sie stoppte neben ihm und sah auf ihn hinab. Er lag ganz ruhig da, nichts an seinem Körper bewegte sich. Kein Härchen rührte sich. Seine Hände lagen an seinen Seiten und die Decke war bis zu seiner Brust hochgezogen. Horror zog in ihren Bauch und kroch durch ihr ganzes System, als sie mit Schrecken und Entsetzen feststellte, dass Jacksons Brust sich nicht einmal bewegte. Es gab kein stetiges Auf und Ab. Nicht einmal den Hauch der Annahme, dass er überhaupt atmete. Mileys Knie fühlten sich plötzlich sehr weich an. Sie griff mit ihren Händen nach dem Stuhl, der neben dem Bett stand und ließ sich darauf sinken. Sie zitterte am ganzen Körper. Langsam drang die Information in ihr Bewusstsein und sie bedeckte ihren Mund mit den Händen, als Tränen aus ihren Augen auf ihre Beine tropften. Sie wollte schreien, aber sie konnte nicht sprechen. Wollte zu Lilly rennen, konnte aber nicht aufstehen. Sie wollte atmen, aber kein Funken Luft drang in ihre jetzt leeren Lungen. Sie konnte nichts sehen, konnte nichts hören und konnte nicht fühlen, als die Tür geöffnet wurde und ein Mann mit weißem Kittel das Zimmer betrat. Miley sah ihn nicht an. Sie konnte sich nicht rühren. Lilly hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben und versuchte, nicht vollends zusammen zu brechen. Sie hatte ihre Knie an die Brust gezogen und ihre Augen so fest geschlossen, dass in ihrem Kopf absolute Dunkelheit herrschte. Ihre Gedanken waren blank. Es fühlte sich an, als räumte jemand Gefühle und Gedanken durch ihren Schädel und achtete nicht darauf, ob etwas dabei zu Bruch ging. Miley war nicht bei ihr. Sie hatte sie allein gelassen mit ihrem Schmerz und vielleicht war das ganz gut so. Lilly wollte Miley damit nicht belasten. Es war Monate her. Sie sollte darüber hinweg sein, aber das war sie nicht. Sie wollte nicht darüber nachdenken, konnte aber nicht anders. Und jetzt war Jackson im Krankenhaus und würde es vielleicht nicht schaffen und sie würde einen weiteren Menschen verlieren, der ihr viel bedeutete. Wie viel wollte Gott ihr noch nehmen? Durch wie viele Prüfungen wollte er sie denn noch schicken? Hatte sie nicht bewiesen, dass sie stark genug war, um es zu schaffen? Und jetzt setzte er wegen ihr auch noch Mileys Glück aufs Spiel. Nur, um ihr eine Lektion zu erteilen. Was hatte sie getan, dass sie so etwas verdiente? Und wieso hatte Miley das verdient? Wieso ihre Mutter? Wieso Jackson? Nur Robbie Ray schien nie etwas zu geschehen. Sie ächzte schmerzhaft und hob ihren Kopf von ihren Armen. Ihr Hinterkopf schlug gegen die Wand, an der sie lehnte und sie öffnete ihre geschwächten Augen. Das Licht brannte, aber Lilly schloss sie nicht. Sie starrte in das grelle, kalte Krankenhauslicht. Sie hatte es nicht verdient, so behandelt zu werden. Sie hatte es nicht verdient, immer wieder durch diesen Schmerz zu gehen. Langsam, wenn auch bestimmt, stemmte sie sich auf die Füße und biss die Zähne zusammen. Jackson ging es gut, es musste ihm ganz einfach gut gehen. Lilly wischte sich über die Augen und ballte ihre Hände zu Fäusten. Nein, sie würde nicht klein beigeben. Sie würde es ihrer Mutter zeigen. Sie würde es allen zeigen. Lilly Truscott war stark und Jackson würde wieder gesund werden. Lilly drehte sich zu den Türen zur Intensivstation und wollte gerade hindurch gehen, als sie eine brünette Figur von der anderen Seite auf sich zukommen sah. Erleichterung durchströmte sie, als sie Miley erkannte. Sie hätte fast gelächelt, hätte Miley nicht die Tür aufgeschlagen und sich in ihre Arme geworfen, um restlos zusammen zu brechen. Lillys Arme hingen an ihren Seiten, als Miley ihre um ihren Nacken schlang und in ihre Schulter weinte. Lillys Lippen zitterten, ihre Augen weit aufgerissen. Mileys Griff war so stark, dass sie kaum atmen konnte, aber die Luft blieb ihr ohnehin bei jedem zweiten Atemzug im Hals stecken. Die einzig logische Erklärung flog immer wieder durch Lillys Kopf, aber sie wollte nicht zur Ruhe kommen. Sie rannte und rannte in ihr herum wie ein Verrückter. Warf Sachen um, trat nach Gefühlen und Emotionen und brachte ihre Gedanken durcheinander. Und etwas in ihr zerbrach mit einem lauten Scheppern, was in ihren Ohren widerhallte. Ein lautes Dröhnen machte sie blind und taub für alles, außer der Person, die sie fest umklammerte. Lillys Hände zuckten und agierten von allein, schlossen sich fest um Mileys Rücken und hielten sie so nah an sich, dass sie nicht mehr wusste, wo sie begann und Miley endete. Ihre Lunge schnürte sich immer weiter zu. Sie krächzte. „Miley...“, aber Miley packte ihren Kragen und schüttelte sie. Sie schüttelte sie und schlug sie mit dem Rücken gegen die Wand und Lilly hatte sie nie wütender und trauriger zugleich erlebt und alles in ihrem Kopf schrie nach Freiheit und Gegenwehr, aber sie rührte sich nicht, als Miley sie an schrie. „Wieso Jackson?! Wieso Jackson, Lilly?! Wieso musste Jackson sterben?!“, sie schlug Lillys Rücken immer wieder gegen die Wand und die Blondine wusste, dass sie dort morgen blaue Flecke haben würde, aber sie wehrte sich nicht. Denn vielleicht dachte Miley ja, es war alles ihre Schuld. Und wenn sie das dachte, dann hatte sie Recht. Denn es war ihre Schuld. Und Lilly würde das nicht bestreiten. Sie hatte jeden einzelnen Schlag verdient. „Du hast gesagt, er wird wieder werden! Du hast gesagt, er wird leben! Du hast gelogen! Lügner! Lügner! Lügner!“, Lillys Hinterkopf schlug gegen die Wand, als sie die Augen schloss. Sie spürte einen splitternden Schmerz in ihrem Kopf. Ein Schwindelgefühl machte sich in ihr breit. Er schlug ein zweites Mal dagegen und Lillys Kopf wurde schwarz. Lilly rutschte aus Mileys Fingern auf den Boden, ihre Augen geschlossen, ihr Körper schlaff. Miley atmete schwer, als sie dabei zusah, wie Lillys Körper vor ihr in sich zusammen sackte. Und erst jetzt. Erst jetzt drängte sich alles in ihre Gedanken. Sie hatte Lilly verletzt. Sie hatte ihr weh getan. Sie hatte sie bewusstlos geschlagen. Miley sank vor ihrer Freundin in die Knie und neue Tränen liefen über ihre ohnehin schon nassen Wangen, als sie mit zitternden Fingern ein paar Haare aus Lillys aschfahlem Gesicht strich. Sie hatte Lilly weh getan. „Lilly...? Lilly, komm schon... das ist nicht witzig. Lilly...“, sie rüttelte an Lillys Schulter, obwohl sie wusste, dass Lilly nicht antworten würde. Sie war bewusstlos. Sie atmete und Miley konnte einen Puls an ihrem Hals schlagen sehen, aber sie war nicht bei Bewusstsein. Miley ließ ein abgewürgtes Schluchzen ertönen, bevor sie Lillys Arm um ihren Hals schlang und die Blondine in die Intensivstation zerrte. Sie waren in einem Krankenhaus. Irgendjemand musste ihr helfen können. Miley hatte sich nie in ihrem Leben so sehr gehasst. •◘○ Überraschender Weise tat ihr Hinterkopf nicht einmal weh. Ebenso wenig wie der Rücken, auf dem sie lag. Tatsächlich hatte sich Lilly in all ihren Jahren nicht so schmerzfrei gefühlt. Ihre Augen waren schwer und wollten sich nicht öffnen, aber sie konnte nicht den ganzen Tag damit zubringen, zu schlafen. Sie musste zurück zu Miley, sich bei ihr entschuldigen. Miley hatte jedes Recht der Welt gehabt, sie so zuzurichten. Lilly hätte wohl dasselbe getan, hätte sie sich selbst gegenüber gestanden. Sie nahm es ihr nicht übel. Lillys Augen öffneten sich langsam und schwer und zum zweiten Mal stach ihr das grelle Licht des Krankenhauses ins Auge. Dieses Mal gab sie sich dem Verlangen sie zu schließen hin und stöhnte ungehalten, weil sie nichts sehen konnte. Ein Stühlerücken war zu vernehmen und dann war da eine Hand, die über ihr Gesicht strich. Eine weiche Hand, die sie überall wiedererkannt hätte. „M-Miley?“, ihre Stimme war schwach und krächzend und so leise, dass es sie selbst erschreckte. „Es tut mir so Leid, Lilly. Es tut mir so unendlich Leid. Ich liebe dich. Oh Gott, es tut mir so Leid.“, Mileys melodische Stimme zu hören, ließ Endorphine in Lillys Kopf strömen, die alles wieder zusammensetzten, was Jacksons Tod auseinander genommen hatte. „Ich- Ich liebe dich... auch.“, Lilly zwang ihre Augen einen Spalt offen und wurde von zwei besorgten, schuldbewussten, verzweifelten Blauen begrüßt, die traurig auf sie herab blickten. Miley weinte schon wieder und Lilly wollte nichts lieber, als die Tränen weg zu wischen, aber ihr Arm war zu schwach. Sie versuchte es trotzdem. „Du kannst dich nicht wirklich bewegen. Sie haben dich unter Schmerzkiller gesetzt, versuch es also besser nicht, okay?“, Miley schniefte und Lilly nickte langsam und ruckartig. Miley schniefte wieder und wischte sich über die Augen. „Es tut mir ja... so Leid, Lilly.“ Lilly schüttelte den Kopf. „Es ist okay, Miley. Ich... hatte es verdient.“, Mileys Augen weiteten sich leicht und sie schüttelte vehement mit dem Kopf. Lillys Augen öffneten sich etwas weiter und sie konnte erkennen, dass sie allein waren. „Wie kannst du das sagen? Du... Du hast überhaupt keine Schmerzen verdient... Du bist immer für mich da und ich... ich, oh mein Gott. Ich bin genauso schlimm, wie mein Dad.“, sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und sank auf ihren Stuhl zurück, den sie nah an Lillys Bett gezogen hatte. „Nein, Miley. Nein, du bist nicht wie dein Vater.“, Lilly sprach es mit einer solchen Bestimmung, dass Miley wieder aufblickte. „Ich war diejenige, die dir Hoffnung gemacht hat, obwohl ich wusste, dass es sehr gut sein kann, dass er es nicht schafft. Ich habe dir falsche Hoffnung gemacht. Ich... Ich hab dich angelogen. Und du hattest jedes Recht, das zu tun, was du getan hast.“ Lillys Kinn zitterte leicht, weil sie ihre Zähne so fest aufeinander presste. Mileys Augen flogen durch den Raum. „Ich hatte nicht das Recht, dir so weh zu tun. Ich kann verstehen, wenn du mir nicht verzeihen kannst und wenn du Dinge zwischen uns beenden willst...“ „Miley, ich liebe dich. Du warst geschockt. Du warst emotional am Ende. Ich verstehe dich. Ich werde dich nicht verlassen. Ich werde dich nie verlassen.“, Lillys Arm zitterte und sie schob ihn mit aller Kraft über das Bett in Richtung Miley. Die Brünette griff danach und ihre Finger schoben sich ineinander. „Glaub mir, ich weiß, wie es dir geht.“ „Aber als deine Mutter gestorben ist, bist du nicht herum gerannt und hast Leute, die du liebst bewusstlos geschlagen. Du hast mich nie so angefasst, als du getrauert hast. Du warst immer so... sanft.“, die Brünette erhob sich und beugte sich über Lilly, küsste ihre Stirn. „Ich habe dich nicht verdient.“ „Du verdienst viel mehr als mich. Jeder verarbeitet Schmerz anders. Es ist nicht deine Schuld.“, die Blondine drückte Mileys Hand und sah dann voll zu ihr auf. „Halt mich.“ Ihre Bitte war klein und fragend und unsicher und Miley war sich für einige Sekunden nicht klar, ob sie das wirklich gehört hatte. „Halt mich. Bitte.“ Mileys Herz zerbrach bei diesem Anblick. Hier stand sie bei Lillys Bett, nachdem sie selbst der Grund dafür gewesen war, dass sie überhaupt hier gelandet war und Lilly... Lilly flehte sie praktisch an, ihr nah zu sein. Miley hob die Decke an, unter der Lilly lag, streifte ihre Schuhe ab und glitt neben der Blondinen in die warmen Kissen. Lilly legte ihren Kopf auf Mileys Schulter und versuchte, sich auf die Seite zu drehen, schaffte es aber nicht. Sie seufzte resigniert und begnügte sich damit, dass Mileys Arme sich um sie schlossen. Lilly schloss ihre Augen in Glück. „Bitte, schlag mich nie wieder.“, Lillys Stimme war leise und Miley biss ihre Zähne aufeinander und nickte in ihr Haar. Es roch so gut und Lillys Wärme kroch in ihren ganzen Körper, wärmte sogar ihre Fingerspitzen. Seit Jackson hatte ihr Körper alles eingestellt und sie war eiskalt durch die Gänge gelaufen. Aber mit Lilly hier bei ihr, war ihr warm. „Nie wieder. Ich verspreche es dir.“, eher würde sie sich das eigene Herz heraus schneiden. Sie würde Lilly nie wieder weh tun. Nie wieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)