Quo vadis? von cooking_butty ================================================================================ Kapitel 1: Kopfsache -------------------- Die Tour war vorbei - endlich. Seit jene begonnen hatte, fühlte sich Farin irgendwie…unwohl. Er hatte fast andauernd Kopfweh, phasenweise sah er ganz verschwommen, öfters war ihm auch schwindlig. Er hatte dies alles auf die Strapazen einer Tournee geschoben, immerhin wurde auch er immer älter. Nun war diese schon zwei Wochen vorbei und ihm ging es immer noch nicht besser. Da ihm dieser Zustand nicht mehr geheuer war, beschloss er, zum Arzt zu gehen. Hier saß er nun, in einem Wartezimmer und las eine völlig uninteressante Zeitschrift, nur, damit er etwas zu tun hatte. Er blickte kurz aus dem Fenster und bemerkte, dass es zu schneien begonnen hatte - für Anfang Dezember nichts Ungewöhnliches. Endlich wurde sein Name aufgerufen. Im Behandlungszimmer beschrieb er dem Arzt seinen Zustand, woraufhin dieser ein paar Untersuchungen durchführte. Farin wurde etwas nervös, als er den besorgten Gesichtsausdruck des Mediziners bemerkte. „Herr Vetter, ich will Sie wirklich nicht beunruhigen, aber ich möchte, dass Sie sich noch mal von einem Spezialisten untersuchen lassen.“ „Warum denn das?“ „Machen Sie sich bitte keine Sorgen, das ist reine Routine.“ „Reine Routine? Könnten Sie mir vielleicht sagen, um was es hier geht?“ „Ich möchte keine voreiligen Schlüsse ziehen, Herr Vetter. Lassen Sie sich von einem Neurologen untersuchen, der kann Ihnen da sicher besser helfen als ich.“ Der Arzt gab Farin noch die Überweisung ins Krankenhaus, danach verabschiedeten sie sich. Der große Blonde ging verunsichert nach Hause. Der Mediziner hatte ihm etwas verschwiegen, dass hatte er gemerkt. Warum musste er bloß zu einem Neurologen? Musste er sich Sorgen machen? Noch am selben Tag fuhr er ins Krankenhaus. Er wollte so schnell wie möglich wissen, was mit ihm los war. Im Krankenhaus wurde ein CT und danach noch ein MRT gemacht. Der Neurologe erzählte Farin etwas von einem fremden Gewebe im Gehirn und dass sie eine Biopsie machen wollten. Schon alleine das Wort „Biopsie“ ließ ihn erschauern. Schließlich wusste er, was das bedeutete. Nach eben jener hatte er dann die Gewissheit: er hatte einen - bösartigen - Gehirntumor. Ihm wurde gesagt, dass er eine sehr aggressive Therapie benötigte, um zu überleben. Würde er diese ablehnen, würde er nur noch etwa vier Monate haben. Natürlich willigte er in die Therapie ein, er wollte doch leben! Zeit, den Schock zu verdauen, hatte er nicht wirklich. Ein Onkologe klärte Farin über den genauen Ablauf auf, während er in ein Zimmer gebracht wurde, wo er schon die erste Chemo-Therapie erhielt. Die erste Nacht sollte er noch im Krankenhaus verbringen. Nun lag er alleine in diesem sterilen Einzelzimmer auf der Onkologie, die Medikamente tropften über einen Zugang in sein Blut. Mittlerweile war es Abend geworden. Er musste unbedingt mit jemandem reden, wollte jemanden bei sich haben, damit er die erste Nacht nicht alleine verbringen musste. Doch wen sollte er anrufen? Seine Familie, Rod und viele seiner Freunde wohnten in Berlin und Farin wollte nicht, dass sich jemand von ihnen so spät noch auf den weiten Weg machen musste. Bela wohnte schon näher, aber dieser hatte erst vor kurzem eine gute Freundin durch Krebs verloren, da wollte er ihn nicht schon wieder damit konfrontieren. Er wollte es ihm schonend beibringen und das geht in einem Krankenhaus schwer. Da läutete etwas in seinem Rucksack. Es war das Handy seiner Schwester Julia, die es bei ihrem kurzen Treffen tags zuvor vergessen hatte und welches er ihr so bald wie möglich hatte bringen wollen. Er selbst besaß ja kein Mobiltelefon. Das Display zeigte an, dass er von sich zu Hause aus angerufen wurde. „Hallo?“, fragte er, nachdem er abgehoben hatte. „Hey, Bruderherz, wo bist du denn?“ Der Angesprochene musste lachen. „Warum lachst du?“, hörte er Julia fragen. „Das ist doch total irre. DU rufst von MEINEM Telefon aus MICH auf DEINEM Handy an!“ „Verrückt, in der Tat. Aber sag mal, wo bist du eigentlich?“ „Warum willst du das wissen?“ „Na, weil ich in deinem Haus stehe, aber keiner da ist. Also, wo bist du?“ „Ich…bin im Krankenhaus“, antwortete Farin ernst. Seine Schwester merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. „Was ist denn los?“ „Komm einfach her. Ich erklär dir alles, wenn du da bist.“ Julia war mit ihrem Sohn Tom zu ihrem Bruder gefahren, um diesen zu besuchen. Sie hatte Probleme und brauchte seine Hilfe. Als sie mit ihm telefonierte, merkte sie, dass dieser noch größere zu haben schien. Besorgt gab sie ihrem Sohn die Anweisung, sich um den Hund zu kümmern. Sie meinte noch, dass sie diese Nacht vielleicht nicht zurückkommen werde, aber Tom war alt genug, um alleine klar zu kommen, außerdem kannte er sich im Haus seines Onkels gut aus und wusste, was er tun durfte und was nicht. Als Julia an der Information nach ihrem Bruder fragte, bekam sie einen Schock, nachdem sie erfuhr, dass dieser auf der Onkologie-Station lag. Das konnte doch nur eins bedeuten. Verunsichert und auf alles vorbereitet ging sie zu seinem Zimmer, holte tief Luft, bevor sie leise die Tür öffnete. Farin hatte den Kopf zum Fenster gedreht und schien sie nicht zu bemerken. Sie musterte ihn, während sie an sein Bett schlich. Er lag mit der linken Seite dem Fenster zugewandt, der Kopfteil des Bettes war etwas aufgestellt. Sein rechter Arm lag ausgestreckt neben seinem Körper, an ihm heftete eine Infusion. Den linken hatte er angewinkelt auf seinen Bauch gebettet. Als Farin sie bemerkte, richtete er sich auf. „Hey“, begrüßte er seine Besucherin. „Hey, mein Großer!“ Die Geschwister umarmten sich liebevoll. „Was hast du?“, fragte Julia ihn direkt. Sie konnte diese große Ungewissheit nicht mehr länger ertragen. Farin nahm ihre Hand, sah ihr in die Augen, als er antwortete: „Ich habe Krebs…Gehirntumor.“ Julia schluckte schwer. „Wie…also, wie…stehen deine Chancen?“ Sie traute sich kaum, diese Frage zu stellen, aber sie musste es einfach wissen. „Ich…muss richtig kämpfen, um es zu schaffen.“ „Und was…wenn du nicht mehr kannst? Wirst du dann…?“ Sie begann zu weinen, spürte, wie sie von ihrem Bruder in die Arme genommen wurde. „Soweit lass’ ich es nicht kommen, hörst du?“ „Aber…“ „Schhhh…Ich werd das schon schaffen!“ „Und das?“, fragte sie, auf den Infusionsbeutel deutend, als sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Chemo.“ Sie betrachtete ihren Bruder eine Weile. Sie konnte kaum glauben, dass dieser große, aufgeweckte, immerfröhliche Blonde todkrank war. Jener, der ihr das Autofahren, Motorradfahren und Gitarre spielen beigebracht hatte, mit dem sie einige sehr schöne Urlaube erlebt hatte und mit dessen Berühmtheit sie früher bei ihren Freundinnen immer angeben konnte. Was wäre, wenn er es nicht schaffen würde? Farin, der sich mittlerweile wieder zurück gelehnt hatte, bemerkte, wie seine Schwester immer sentimentaler wurde und zog sie zu sich hinunter. „Denk nicht mal dran!“, flüsterte er ihr zu. Julia begann leicht zu lachen. „Das ist alles verkehrt rum“ „Hä?“ Ihr Bruder sah sie verwirrt an. „Na, eigentlich sollte ich dir jetzt Mut machen, dir sagen, dass du nicht aufgeben darfst, dass du kämpfen musst und stattdessen...“ Farin lächelte. Nach einiger Zeit fragte er: „Was wolltest du eigentlich bei mir?“ Seine Schwester seufzte. „Matthias und ich...wir werden uns scheiden lassen!“ Er küsste sie sanft auf den Kopf. "Das tut mir Leid." „Es hat nicht sollen sein“, meinte Julia resignierend. „Und was ist mit Tom?“ „Der ist bei dir zu Hause.“ „Du lässt ihn alleine in meinem Haus?“, gespielt entrüstet sah er sie an. „Hey, er ist 13. Er weiß, was er darf und was nicht.“ „Na und? Glaubst du, das hat mich damals abgehalten, was anzustellen?“ „Er wird schon nichts tun!“ „Na, das will ich auch hoffen...“ Nach einer Weile schlief er, von Julia bewacht, ein. Als er seine Augen wieder öffnete, war es draußen schon hell. Die Infusionsnadel war entfernt worden, ein Pflaster klebte über der Einstichstelle. Seine Schwester lag an seiner Seite, eng an ihn gekuschelt, wie sie es sonst tat, wenn sie gemeinsam bei Unwetter in einem Zelt schliefen. Er strich ihr sanft über den Kopf. Sie bewegte sich, kurz darauf sah sie ihn mit verschlafenen Augen an. „Hab ich dich geweckt?“, fragte er vorsichtig. Sie schüttelte den Kopf. „Lügnerin!“ „Wie geht's dir heute?“ Sie stand auf und setzte sich in den Besuchersessel. „Geht so...“ Die Tür ging auf und eine Schwester betrat das Zimmer. Sie brachte das Frühstück - ein Marmeladenbrötchen und eine Tasse Tee. Sie schüttelte das Kissen aus, öffnete das Fenster und meinte, dass der Arzt bald kommen werde. Nachdem sie gegangen war, bot Farin Julia das Brötchen an. „Jan, das musst du essen.“ „Aber ich hab keinen Hunger.“ „Iss, du wirst das noch brauchen!“ Trotzig verzehrte er das Frühstück. Bald darauf kam der Arzt mit einem detaillierten Therapieplan. Nachdem Farin und seine Schwester noch einmal über den Ernst der Lage aufgeklärt wurden, durften sie nach Hause gehen. Zu Hause trafen sie auf Tom, der sich gerade eine DVD ansah und setzten sich zu ihm aufs Sofa. „Na, alles klar?“, fragte Farin. „Klar, und bei dir?“ Farin und seine Schwester sahen sich kurz an, was der Junge nicht bemerkte, da er den Film ansah. „Alles in Ordnung“, log der Gitarrist. Er wollte es seinem Neffen zu einem anderen Zeitpunkt sagen, wenn er wusste, was er sagen sollte. Er bekam von seiner Schwester einen Blick zugeworfen, der sowohl einen Vorwurf als auch Dankbarkeit ausdrückte. Als Julia in die Küche ging, um Tee zu machen, musste sie dabei dem Hund ausweichen, der auf sein Herrchen zustürmte. „Hey, mein Kleiner“, rief Farin und begrüßte den schwarzen Labrador ausgiebig. „Na du, hat man sich gut um dich gekümmert?“, fragte er, mit einem Blick zu Tom. Dieser rollte die Augen und antwortete genervt mit „Selbstverständlich“. Farins Schwester kam mit drei Tassen Tee zurück und zu dritt sahen sie sich den Film an. Nach dessen Ende zog sich der Jugendliche in eins der Gästezimmer zurück. „Weiß er, was bei euch los ist?“, fragte Farin. „Ich glaub schon.“ „Aber gesagt habt ihr ihm noch nichts, oder wie?“ „Genau.“ Sie saßen sich ein paar Minuten schweigend gegenüber. Er legte sich hin und starrte an die Decke. „Wie geht’s jetzt weiter?“, fragte er verunsichert. Julia zuckte mit den Schultern. „Wir werden hier bleiben, damit ich dir helfen kann“, antwortete sie nach kurzem Überlegen. „Das kann ich nicht von dir verlangen!“, protestierte ihr Bruder. „Doch, das kannst du.“ Sie setzte sich zu ihm und bettete seinen Kopf auf ihren Schoß. Sie sah, wie er wieder etwas sagen wollte, doch sie legte ihm einen Finger auf den Mund und brachte ihn zum Schweigen. „Ich brauch dich einfach, verstehst du? Ich kann dich doch nicht verlieren!“ Sie begann leicht zu weinen. Sie hatte eigentlich vorgehabt, nicht damit anzufangen, wollte stark sein, aber jetzt konnte sie einfach nicht mehr, sie musste es raus lassen. Ihr Bruder nahm sie in den Arm und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Also purer Egoismus, oder wie?“, fragte er grinsend. Sie sah ihn an. „Natürlich, was denkst du denn? Glaubst du, ich tu das für dich?“ „Na, dann is ja gut.“ Er wischte ihr die Tränen von den Wangen. „Ich freu mich, dass ihr hier seid“, fügte er leise hinzu. Da fiel ihm noch etwas ein: „Und was ist mit Tom? Der muss doch zur Schule!“ „Der wird erstmal bei Matthias wohnen und am Wochenende kommt er zu uns. Und nach der Scheidung...“ „Ja genau, was danach?“ „Danach wohnt er halt bei Mama!“ „Das kannst du ihm nicht antun!“ „Hey, tu nicht so! Das kriegen wir schon irgendwie hin!“ Julia stand auf, ging weg, um gleich darauf mit einer Decke und einem Zettel wieder zurück zu kommen. Sie setzte sich wieder zu Farin und deckte ihn zu. Dann studierte sie das Blatt Papier, den er als seinen Therapieplan erkannte. „Und was ist mit Matthias?“, fragte er. „Was soll mit ihm sein?“ „Warum bleibt das mit Tom nicht auch nach der Scheidung so?“ „Also erstens: Was ist so schlimm daran, wenn er bei Mama wohnt? Und zweitens: Matthias will in die Staaten auswandern!“ „Warum denn das?“ „Frag mich nicht“, seufzte Julia. „Und was ist mit deiner Arbeit?“ „Jan, lass mich das regeln, okay?“ Nach kurzem Schweigen fragte Farin, auf den Zettel deutend: „Und, wie sieht’s aus?“ „Also, diese Woche hast du nur noch einmal Chemo, in zwei Tagen. Nächste Woche hast du dann noch zwei Mal Chemo und übernächste Woche eine Operation. Wenn alles gut geht, kannst du Weihnachten zu Hause verbringen.“ „Das ist gut...“ „Hast du Angst?“, fragte sie ihn nach einer Weile. Er sah ihr in die Augen und nickte. „Ich auch“, flüsterte sie, während sie ihrem Bruder durch die Haare strich. Nach dem Mittagessen beschlossen die Beiden, mit dem Hund spazieren zu gehen. „Wem wirst du’s eigentlich sagen?“, fragte Julia nach einer Weile, in der sie schweigend nebeneinander her gegangen waren. Farin überlegte eine Weile und meinte dann, dass er es nur dem engsten Familien- und Freundeskreis offenbaren will. „Also nicht öffentlich?“ „Genau.“ „Wann wirst du’s ihnen sagen?“ „Demnächst!“ Schweigend gingen sie nebeneinander her. Dann meinte Julia: „Ich glaub, ich werd kündigen!“ „Wegen mir jetzt?“, fragte sie ihr Bruder entrüstet. „Nein…es is…einfach nicht mehr das, was es am Anfang war. Ich mein, ich will da einfach nicht mehr hin! Seit der neue Chef da is, da hat sich so vieles verändert…ich brauch einfach eine Auszeit. Ich muss mir überlegen, was ich wirklich will. Vielleicht probier ich mal was Neues aus!“ „Da komm ich dir sehr gelegen, oder wie?“ „Irgendwie schon, ja!“, meinte sie, ihn anlächelnd. Sie bemerkte, wie Farin immer langsamer wurde. Sie sah sich um und entdeckte eine Bank, nicht weit von ihnen entfernt. „Sieh mal, da drüben können wir uns hinsetzen.“ Sie hackte sich bei ihm unter und führte ihn zur Bank. Er sah sie dankbar an, als sie sich niederließen. Sie gingen erst wieder, als ihnen kalt wurde und die Sonne im Untergehen war. Es war erst Nachmittag, aber im Winter wurde es eben früher dunkel. Nach dem Abendessen wünschten sie sich eine gute Nacht, da sich jeder in sein Zimmer zurückziehen und lesen wollte. Julia schlief tief und fest. Sie bemerkte nicht, wie ihr Bruder mindestens die halbe Nacht auf der Toilette verbrachte, um sich die Seele aus dem Leib zu kotzen. Erst, als sie am Morgen sein Zimmer betrat, um ihn zu wecken, bemerkte sie, dass er blass und die Haut um seine Augen dunkler geworden war. Sie beschloss, ihn schlafen zu lassen und später wiederzukommen. Am späten Vormittag schlich sie noch einmal zu ihm, bewaffnet mit einer Tasse Tee. Farin wachte erst auf, als er spürte, wie sich jemand auf sein Bett setzte. „Hey du“, sagte Julia sanft, als er seine Augen öffnete. „Hey“, er musste sich räuspern, um überhaupt etwas aus seiner Kehle herauszubringen. „Keine angenehme Nacht, hm?“ „Für dich anscheinend schon!“ Sie reichte ihm die Tasse, die er genüsslich leerte. „Du, ich werd jetz einkaufen fahren. Soll ich dir irgendwas mitnehmen?“ Ihm fiel nichts ein, was er hätte brauchen können, also verneinte er ihre Frage. Nachdem Julia gegangen war, zog sich Farin an, ging in die Küche, um die Tasse in den Geschirrspüler zu stellen und dann weiter zu Tom. Nachdem er kurz an die Tür geklopft hatte, öffnete er sie einen Spalt, streckte seinen Kopf rein und fragte: „Darf ich reinkommen?“ Auf das „Klar“ betrat er das Zimmer. Er sah seinen Neffen auf dem Bett sitzen und erkannte die laufende Musik als das aktuelle ‚Die Ärzte’- Album ‚Geräusch'. „Und was sagst dazu?“, fragte er, auf die CD bezogen. „Is ziemlich…gut!“ „Klingt aber nicht sehr begeistert!“ Er setzte sich zu Tom. "Doch doch, es ist wirklich gut." "Dankeschön." Er betrachtete den Jungen von der Seite. „Und, wie geht’s dir so?“ Der Kleine schien zu überlegen, ob er die Wahrheit sagen, oder doch nur mit einem kurzen „Gut“ antworten sollte. Am Ende entschied er sich doch für ersteres: „Meine Eltern…sie werden sich scheiden lassen, oder?“ Farin legte ihm seinen Arm um die Schultern und drückte ihn nickend an sich. „Is wahrscheinlich auch besser so“, meinte Tom. „Warum?“ „Ich weiß nicht…in letzter Zeit haben sie eigentlich nur noch gestritten. Weil, Papa will nach Amerika auswandern, aber Mama will das definitiv nicht. Und ich will auch nicht nach Amerika.“ „Würd ich auch nicht!“ Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander. „Was hast du eigentlich im Krankenhaus gemacht?“ Farin wusste, dass auch er jetzt mit der Wahrheit rausrücken musste, doch einfach war es nicht. „Weißt du, ich hab ein paar Untersuchungen machen lassen…“ „Und, was kam da raus?“ „Ich…also“, er drehte sich so, dass er seinem Neffen direkt in die Augen sehen konnte. „Tom, ich…hab einen Gehirntumor.“ Der Junge sah ihn geschockt an. Er brauchte etwas Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. „Wirst du’s…schaffen?“, fragte er nach einer Weile. „Was anderes hab ich nicht vor!“ „Nein, ich meine…wie stehen deine Chancen?“ „Die stehen auf ‚Zähne zusammenbeißen und durchhalten’.“ „Also schlecht.“ „Ich kann’s schaffen, sagen wir's so.“ Tom lehnte sich an seinen Onkel. „Also bleiben wir jetz bei dir?“ „Hat zumindest deine Mutter so gesagt…“ „Gut!“ „Wirklich?“ „Ja...Dann müssen wir aber noch unsere Sachen holen…ohne meine ‚Simpsons’-DVDs geh ich ein!“ Lachend stand Farin auf. „Ich glaub, da wird sich was machen lassen!“ Er ging Richtung Tür. „Onkel Jaaan!“, fragte der Jüngere gedehnt. „Was denn?“, stellte der Angesprochene im selben Tonfall eine Gegenfrage. „Sehen wir uns einen Film an?“ „Klar, warum nicht?“ Zwei Tage später fuhr Julia ihren Bruder wieder ins Krankenhaus für die nächste Chemo-Therapie. Er musste nur während der Therapie dort bleiben, danach konnten sie gleich wieder nach Hause fahren. Die beiden hatten sich Karten mitgenommen, mit denen sie nun, auf dem Bett sitzend, spielten. Während er jene mischte, meinte Farin: „Ich treff mich morgen mit Bela, Rod, Axel und Patty in der Pizzeria, damit wir über das kommende Jahr reden können." „Wirst du’s ihnen sagen?“ „Ich glaube nicht. Weißt du, ich möcht’s jedem einzeln sagen, damit ich besser auf ihre Reaktion eingehen kann, oder so! Du weißt, was ich meine, oder? Vor allem bei Bela, weil der hat erst vor kurzem jemanden durch…Krebs verloren…da kann ich nicht einfach so daher kommen und sagen ‚Hey, ich hab einen Gehirntumor’.“ „Okay, versteh schon", sie hob eine Karte vom Boden auf. „Wie willst du denn, dass es weitergeht mit...Farin Urlaub?“ Schließlich standen die Veröffentlichung seiner neuen Platte und die Tour an. „Ich hab gedacht, dass ich mache, was geht. Weil das Album und die Fotos sind ja schon fertig. Jetz kommt nur Promo, und so viel ist das auch nicht. Für die Tour lass ich noch alles offen, weil verschieben kann man die immer noch!“ „Hast du dir das auch gut überlegt? Nicht, dass dir das alles zu viel wird!“ „Absagen kann ich immer noch...“ Er teilte die Karten aus und für eine Weile waren sie viel zu konzentriert, diese zu ordnen, um das Gespräch weiter zu führen. „Soll ich da morgen mitkommen?“, fragte Julia, als sie mit dem Spiel begann. „Du musst nicht, aber ich würd mich freuen!" „Schleimer“, sie stupste ihren Bruder leicht an der Schulter, beide stimmten in ein fröhliches Lachen ein. „Mama kommt übrigens morgen“, sagte Farin, immer noch schmunzelnd. „Was?“ „Na, ich hab mir gedacht, du willst sicher mit ihr über deine anstehende Scheidung reden und ich muss ihr auch noch was sagen...“ „Na toll“, seufzte Julia. „Hey, nicht gleich so begeistert!“ Den Rest der Zeit besprachen sie, was sie in den nächsten Tagen alles machen wollten und schneller als sie dachten waren die zwei Stunden vorbei und sie konnten gehen. Zu Hause angekommen legte sich Farin erst mal in sein Bett, um sich etwas auszuruhen. Sein Arm schmerzte von der Infusion. Er wusste nicht genau, was in dem Tropf gewesen war, es schien aber ziemlich heftig auf seinen Körper zu wirken. Während ihr Bruder schlief, suchte Julia im Internet Infos über Gehirntumore und fand einige nützliche Tipps. Sie schrieb ihm eine Notiz, bevor sie noch einmal ins Krankenhaus fuhr, um sich alle Untersuchungsunterlagen ihres Bruders zu holen, da sie in einem Forum gelesen hatte, dass das sehr ratsam wäre. Es bedurfte einiges an Zeit, aber schließlich hatte sie alle MRT- und CT-Bilder auf CD und Kopien der Untersuchungs- und Behandlungsberichte. Zuhause ordnete sie diese in eine Mappe ein und begann eine Art Tagebuch, in das sie eintrug, wann Farin was bekommen und wie er darauf reagiert hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)