Requiem von Glasschmetterling (Wichtelstory 2008 für Wombat) ================================================================================ Kapitel 5: Gespräch ------------------- Requiem – Kapitel 5: Gespräch Noch immer spürte sie die bleierne Müdigkeit, die sie schon den ganzen Morgen lang erfasst hatte, als sie gemeinsam mit Draco Malfoy über den schmalen Vorgartenweg hin zu dem kleinen Haus schritt. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, doch sie nahm das Geräusch nur distanziert wahr, genauso wie ihr an diesem Morgen alles merkwürdig gedämpft vorkam, entfernt, fürchterlich weit weg und doch für ihren Geschmack viel zu nahe. Sie hatte nicht geschlafen in dieser Nacht, zu nahe waren ihr die Bilder aus dem Denkarium gegangen, zu schnell hatten sie sich in ihren Geist geschoben, sobald sie die Augen schloss und das Licht ausmachte. Schließlich war sie in den Morgenstunden zum leisen Gedudel des magischen Radios eingedöst, nur um wenige Minuten später bereits von ihrem Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden... und nun war sie hier. Malfoy hatte nichts gesagt, wofür sie ihm auf einer unterschwelligen Ebene sogar dankbar war, doch das kam nicht in ihrem Verhalten zum Ausdruck – unausgeschlafen war sie immer unausstehlich, und sie fürchtete, dass er im Moment die ganze Wucht ihrer schlechten Laune abbekam. Besonders, weil der Kaffee im Hôtel Magique einfach nur grauenvoll war und ihre Lebensgeister sich nicht einmal im Schlaf drehten, wenn sie einen halben Liter davon in sich hineinkippte. Malfoy hielt ihr die helle Holztür des Hauses auf und sie trat in den Flur, nur am Rande bemerkte sie, wie er ihr folgte und ihr den Mantel abnahm. Der Raum wirkte merkwürdig... normal und vage fragte sie sich, ob sie hier nicht irgendein Anzeichen dafür entdecken könnte, dass der Mann, der hier lebte, Freude daran hatte, andere Menschen zu quälen. Aber sie entdeckte nur gerahmte Fotos an den Wänden, Carrows Sohn winkte ihr aus ihnen entgegen, manchmal gemeinsam mit seiner Frau, manchmal ohne sie, und als sie weiterging, konnte sie einige Bilder von seiner Enkelin entdecken, mal mit ihrer Eule oder auf ihrem ersten Besen, dann wieder bei ihrem Abschluss auf Hogwarts. Hermine schüttelte den Kopf. Sie arbeitete lange genug für das Ministerium, um zu wissen, dass nicht jeder Verbrecher so aussah – und warum sollte dasselbe nicht auch für sein Haus gelten? Eine pummelige Aurorin kam aus der Küche, ihren Zauberstab in der Hand, und schob sich lächelnd eine Strähne ihres blonden Haares hinter die Ohren. „Mrs Weasley, Ma'am, Mr Malfoy – Mr Carrow wartet im Wohnzimmer auf Sie. Gehen Sie ruhig schon hinein, ich komme dann nach.“ Die Frau wies auf die Tür und gleich darauf schrillte ein Teekessel, was sie veranlasste, in die Küche zu wuseln; Malfoy hob die Augenbrauen und blickte zu ihr, doch sie winkte nur unwirsch ab und trat in den angrenzenden Raum. Das Feuer im Kamin loderte hell und Amycus Carrow saß in dem großen Lehnstuhl daneben, Hermine nickte ihm langsam zu, um ihren ohnehin schon pochenden Kopf nicht zu sehr zu belasten, und wollte schon zu einem der Sessel treten, als sie Malfoys Starre neben sich mehr spürte als dass sie sie sah. So unauffällig wie möglich wandte sie sich ihm zu, der Ausdruck von Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht musste selbst ihrem Verdächtigen aufgefallen sein und sie stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. „Reißen Sie sich zusammen!“ Ihre Stimme war ein bloßes Zischen, doch der Mann neben ihr reagierte darauf und rang sich sogar ein Lächeln ab, während er gemeinsam mit ihr Platz nahm. „Mrs Weasley...“ Carrows Stimme klang brüchiger, als sie sie in Erinnerung hatte, doch seine dunklen, eingefallenen Augen musterten sie klar, wenn auch nicht mit der alten, bösartigen Schärfe, die einst in ihnen gesteckt hatte. „Und Malfoy... was für eine nette Überraschung.“ Von der einstigen Massigkeit des Mannes war nicht viel geblieben und wie er in seinem Stuhl saß, wirkte er bedeutend älter, als er wirklich war, seine dünnen Finger hatten sich um eine Teetasse geschlungen und sein weißer Haarschopf wirkte ausgedünnt. „Starr mich nicht so an, Malfoy – auch wenn die Dementoren nicht mehr hier sind, ist Askaban kein angenehmer Ort. Und wenn du nicht so geschickt darin wärst, dich aus allem herauszuwinden, hättest du das am eigenen Leib erfahren... aber jetzt sitzt du hier mit einer Beamtin des Ministeriums. Reichtum richtet eben doch alles.“ Er entgegnete nichts, doch Hermine, die ihm einen schnellen Blick zuwarf, bemerkte, dass ein wütendes Funkeln in seine Augen trat – was auf jeden Fall besser war als dieser fassungslose Ausdruck. „Wir sind wegen den Morden an Felice Nott und Andrew Zabini hier, Mr Carrow.“ Er lachte trocken, ein Geräusch, das schnell in ein schweres Husten überging, und in Hermine regte sich der Wunsch, ihm zu helfen, bis sie sich ins Gedächtnis rief, wer ihr gegenübersaß. „Sehen Sie mich an. Ich habe vielleicht früher gemordet – jetzt tue ich es definitiv nicht mehr.“ „Man muss nicht selbst den Zauberstab erheben, um jemanden zu töten“, entgegnete Malfoy frostig und fixierte Carrow mit einem Blick, den Hermine noch nie bei ihm gesehen hatte, der aber Wut sehr, sehr nahe zu kommen schien. „Natürlich muss man das nicht... aber ich stehe hier unter Hausarrest, jeder meiner Kontakte mit der Zaubererwelt wird überwacht, und nur mein Sohn und seine Familie dürfen mich besuchen... wie sollte ich irgendjemandem den Auftrag geben, Morde zu begehen?“ Carrow hustete erneut, er schien sich in Rage geredet zu haben und seine Stimme war immer eindringlicher, immer zischender geworden, während er sprach. Hermine antwortete nicht und warf Malfoy, der den Eindruck machte, etwas entgegnen zu wollen, einen scharfen, warnenden Blick zu, der ihn überraschenderweise sogar wirklich innehalten ließ. Carrow sank in seinen Stuhl zurück. „Abgesehen davon... warum sollte ich das tun? Warum sollte ich Kinder töten?“ „Aus Rache?“ Malfoy hatte ausgesprochen, was sie dachte, doch Carrow schüttelte nur langsam, fast bedächtig den Kopf. „Ich bin ein alter Mann... ich fühle mich so, auch wenn der Kalender vielleicht etwas anderes sagt... und ich hatte viel Zeit, mit dem, was geschehen ist und was ich getan habe, abzuschließen. Sie sind ebenfalls froh, nicht mehr für einen Todesser gehalten zu werden, Malfoy – gestehen Sie mir dasselbe zu... auch wenn Sie vielleicht einen weniger hohen Preis für diese Errungenschaft gezahlt haben.“ „Sie haben abgeschlossen, Mr Carrow – Ihre Schwester hat das allerdings nicht“, wandte Hermine nach kurzem Schweigen ein, da Malfoy keine Anstalten machte, etwas zu erwidern, sondern abwesend in die tanzenden Flammen des Kamins starrte. Carrow nickte langsam. „Ja... Alecto war der Sache des Dunklen Lords immer stärker zugetan als ich... und wäre niemals bereit, ihren Ansichten abzuschwören, um aus Askaban entlassen zu werden – auch wenn ich gehört habe, dass das Ministerium ein entsprechendes Angebot gemacht hat.“ „Die Abteilung für magische Strafverfolgung hat ihr zum selben Zeitpunkt wie Ihnen eine Amnestie angeboten, die sie allerdings kategorisch abgelehnt hat“, bestätigte Hermine knapp und Carrow seufzte langsam auf. „Wenn ich ehrlich bin, dann überlege ich manchmal, ob es nicht besser gewesen wäre...“, wisperte der alte Mann und Malfoy blickte abrupt auf, fixierte ihn eindringlich. „Was meinen Sie?“ „Das Angebot ausgeschlagen zu haben... immerhin würde Asoria mich dann vielleicht noch besuchen.“ „Asoria?“ Hermine hob die Brauen. „Meine Enkeltochter... sie hat mich und Alecto früher in Askaban besucht, zuerst als kleines Mädchen mit ihren Eltern, danach auch alleine, vielleicht der einzige Lichtblick, den ich in dieser Zeit hatte... ich hatte die Amnestie zum Teil auch angenommen, um sie öfter zu sehen... aber sie kommt nicht. Seit zwei Jahren bin ich hier, und sie kommt einfach nicht...“ Trotz des dumpfen, pochenden Schmerzes in ihrem Kopf spürte Hermine, wie alle Alarmglocken in ihrem geschulten Geist ansprangen, und ein schneller Blick zu Malfoy zeigte ihr, dass es bei ihm nicht anders aussah. „Wie alt ist sie?“ Hermine versuchte, die plötzliche Aufregung, die sie erfasst hatte, so gut wie möglich zu verbergen, und konzentrierte sich auf ihre Müdigkeit, so gut sie es vermochte. „Asoria?“ Carrow wirkte überrascht, stellte sie mit einem stummen Fluch fest, und sie bemühte sich, ein wenig zu lächeln. „Ja... wir haben sie auf den Bildern im Flur gesehen, und ich bin eben neugierig, was Kinder angeht. Das Los einer Mutter, fürchte ich.“ Der Mann wirkte beruhigt, auch wenn sie sich dessen nicht ganz sicher sein konnte, immerhin war er ein Todesser gewesen, eine Bezeichnung, die Verstellungskünste definitiv mit einschloss. „Oh... sie müsste jetzt achtzehn sein, hat im letzten Jahr Hogwarts abgeschlossen.“ Hermine lächelte so gewinnend, wie sie eben vermochte, während Eis sich in ihrem Magen ausbreitete. „Nun... dann bleibt mir wohl nicht mehr übrig, als Ihnen für Ihre Zusammenarbeit zu danken, Mr Carrow.“ Der alte Mann schüttelte den Kopf und fixierte sie mit einem durchdringenden Blick. „Als ob mir eine wirkliche Wahl geblieben wäre. Mrs Weasley, Mr Malfoy.“ Sein Tonfall war eindeutig, und Hermine floh fast aus dem Wohnzimmer hinaus in den Flur, wo sie fast mit der blonden Aurorin zusammenstieß, die ein Teetablett vor sich hertrug. „Sie gehen schon? Bleiben Sie nicht noch ein wenig?“ Sie schüttelte den Kopf, erklärte, sie müsste dringend zurück zu ihrer Tagung in Paris zurück und zog Malfoy mit sich bis hinaus auf die Straße, wo er das quietschende Gartentor hinter sich schloss. Gemeinsam apparierten sie zurück ins Hotel, ohne noch ein Wort zu verlieren, und der Weg von dem kleinen Hof hinauf in ihr Zimmer kam ihr vor wie eine kleine Ewigkeit. Erst als sie auf zwei Sesseln in der kleinen Sitzecke ihrer Suite Platz nahmen, erlaubte sie sich, erschöpft aufzuseufzen. „Sie hatten Recht.“ „Was?“ Malfoy blickte auf, offensichtlich überrascht von diesem Eingeständnis, und Hermine ließ sich nach hinten sinken, starrte nachdenklich die verzierte Decke des Zimmers an. „Sie hatten Recht mit ihrer Spur zu Carrow... auch wenn nicht genau auf die Art und Weise, die Sie vermutet haben.“ „Dass ich das einmal von Ihnen hören würde, hätte ich nie gedacht.“ Er lächelte leicht, doch zu ihrer Überraschung lag keine Verachtung in seinem Tonfall... nur ehrliche Amüsiertheit. „Aber Asoria scheint mir ein heißer Tipp zu sein... wir sollten mit ihr sprechen, bevor ihr Großvater auf die Idee kommt, sie zu warnen.“ Hermine nickte langsam. „Was ist mit Alecto? Sollten wir nicht auch sie befragen?“ „Ich weiß nicht, ob das besonders... erfolgreich wäre“, entgegnete Malfoy nachdenklich und starrte auf die leichte Spiegelung in der Glasplatte des Tisches. „Sie hat sich nie besonders kooperativ erwiesen, was das Ministerium anging – und mir würde sie wohl eher an die Gurgel springen, als mit mir zu sprechen. Ich denke, es ist besser, wir halten uns an Asoria.“ „Wissen sie etwas über sie, abgesehen davon, dass sie die Enkeltochter von Amycus Carrow ist?“ Nachdenklich betrachtete sie Malfoy, seine Instinkte, was Todesser anging, waren offensichtlich besser als die ihren – ein Faktum, das nicht weiter verwunderlich war – und die Feststellung entlockte ihr ein sarkastisches Lächeln. Malfoy schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe nicht gehört, dass sie auf Hogwarts besonders aufgefallen wäre... aber mein Interesse für die Schule war vielleicht nicht ganz so groß, wie es hätte sein sollen, bevor Scorpius in die erste Klasse kam.“ „Dann schreibe ich an Kingsley... das Ministerium kann sicher herausfinden, was sie im Moment macht und wo sie wohnt.“ Das Klopfen am Fenster ließ Hermine herumfahren und bevor sie noch dazu kam, zu überlegen, von wem der Brief sein konnte, hatte sie schon das Fenster geöffnet und die Eule hereingelassen. Sie war ein Ministeriumstier, und hastig griff sie nach dem kleinen, zusammengerollten Stück Pergament, das an ihrem Fuß befestigt war. Hermine, dein Besuch bei Amycus Carrow ist offenbar öffentlich geworden, denn mich haben einige Anfragen von verschiedenen Zeitungen erreicht. Allerdings ist die Neugier der Presse nicht nur in diesem Punkt geweckt, sondern auch, was dich und Draco Malfoy angeht... bereite dich darauf vor, dass die Abendausgabe des Tagespropheten weder für dich noch für ihn besonders angenehm sein wird. Ich weiß nicht, ob eure Nachforschungen schon irgendeine Spur geliefert haben – Donalds hat auf jeden Fall keine – aber ich bitte dich, dich zumindest für die nächsten Tage zurückzuhalten. Das politische Parkett ist glatt, national wie international, und dieser Fall weist genug Brisanz auf, um solche Dimensionen zu erreichen. Pass auf dich auf. Kingsley Abrupt stieß Hermine die Luft aus, von der sie gar nicht gemerkt hatte, dass sie sie angehalten hatte, und ließ sich zurück auf ihren Stuhl sinken. „Was ist?“ Malfoy betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen, doch sie seufzte nur leise auf und reichte ihm den kurzen Brief. „Lesen Sie selbst.“ Sie war selbst zu aufgewühlt, um ihn zu beobachten, doch während sein Blick über die Zeilen flog, schien er in sich zusammenzusinken, bis er schließlich so niedergeschlagen aussah, wie sie sich fühlte, und langsam den Kopf schüttelte. „Und was machen wir jetzt?“ „Wenn ich das wüsste...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)