Romeo und Julius von Remy ================================================================================ Streit über Streit ------------------ Kapitel 6 – Streit über Streit „Wir sehen uns dann nachher!“, verabschiedete sich Reno noch, bevor er und Sina sich von Juan trennten. Wie der Blonde auf der Herfahrt erfahren hatte, hatten sie nur Mathe und Physik zusammen. Bis jetzt machte ihm das aber nicht groß etwas aus. Dann hing zumindest Sina wieder etwas mehr an ihm und sorgte sich auch um ihn. „Ich find' Juan irgendwie süß“, trällerte die Braunhaarige fröhlich, als sie den Biologieraum betraten. Ihr Freund zuckte deswegen nur leicht mit den Schultern. Juan war nett. Mehr nicht. Und auch nicht weniger. „Jetzt komm schon! Der wäre doch was für dich. Einen kleinen Hasen, den du beschützen kannst. Das willst du doch!“ Renos ständiges Desinteresse nervte Sina. Doch eigentlich konnte sie ja nicht viel dagegen tun, es aber zumindest probieren. Und das würde sie jetzt wohl auch tun. Nur kannte sie den Blonden wohl doch nicht so gut, wie sie dachte. Gerade was seinen Geschmack bei Jungs betraf. Natürlich mochte er die, die kaum auf sich selbst aufpassen konnten. Er fand das auch niedlich. Aber einen von denen zum festen Freund haben? Nein! Da war sie auf der falschen Schiene für ihn. Was sie einfach nicht wusste, war, dass er es lieber darauf anlegte, dass ihm jemand Schutz bot. Obwohl er das selbst auch erst bei Joe bemerkt hatte. Er brauchte damals schon jemanden, bei dem er sich anlehnen konnte, und durch den er sich um nichts wirklich kümmern musste. Ja, er wollte jemanden, bei dem er sich in Sicherheit wiegen konnte. Nur das. Und dafür wäre Juan wohl ungeeignet. Der brauchte doch erst einmal selbst jemanden, der ihn vor den Mädels schützte. „Du weißt doch gar nicht, ob er überhaupt auf Jungs steht. Mit einer Hete will ich nichts anfangen“, grummelte Reno und setzte sich an seinen Platz. Er legte den Kopf auf die verschränkten Arme und seufzte. Mit ein paar Heterosexuellen konnte man es sich auch ganz leicht versauen, wenn man versuchte, sie anzumachen. „Mit deinem Charme könntest du doch jeden umpolen.“ Breit grinste Sina, doch der Blonde würdigte sie keines Blickes mehr. Die Diskussion war beendet, also musste sie nicht mehr versuchen auf ihn einzureden. Aus ihm und Juan würde wohl nichts werden. Solange zumindest der Schwarzhaarige nicht etwas an Selbstbewusstsein gewinnen würde. Und dafür müsste er wohl erst einmal von seiner Mutter loskommen. „Dann eben nicht.“ Eingeschnappt marschierte die Braunhaarige zu ein paar anderen Mädchen und ließ Reno allein zurück. So konnte er zumindest in Ruhe etwas nachdenken. „Sie nervt wohl, genauso wie Maria“, murmelte da auf einmal jemand neben ihm. Leicht hob der Blonde den Kopf. „Du kannst mit deiner Maria zumindest Schluss machen. Sina dreht mir den Hals um, wenn ich auf einmal nichts mehr mit ihr zu tun haben will“, erwiderte Reno. Der, der da auf dem Platz neben ihm saß, war Jonas. Er hatte den Kopf in den Nacken fallen lassen und starrte an die Decke. „Denkst du nicht, dass ich auch tot wäre, wenn ich jetzt auf einmal mit ihr Schluss machen würde? Dann könnten wir die Theater-AG vergessen. Es würde nur noch Zoff geben“, brummte der Braunhaarige und ließ seinen Blick zu Reno schweifen. „Kann schon sein.“ Mehr und mehr drückte der Blonde seinen Kopf gegen seinen Oberarm. Irgendwie kam ihm das Stück, das er gewählt hatte, plötzlich wie eine verdammt dumme Idee vor. Vielleicht wäre etwas anderes doch besser gewesen. Aber sich jetzt noch umentscheiden? So kurzfristig? In ein paar Stunden müsste er es den anderen mitteilen. Bis dahin sollte er auch ein Skript haben, das er vorlegen konnte. Das würde er nie schaffen. Dann müsste er doch bei seiner Entscheidung bleiben. Obwohl es nicht gerade momentan zu seinen Gefühlsregungen passte. Sie würden ihm doch unbedingt wieder eine Hauptrolle zusprechen wollen. Doch dieses Mal würde er nicht einmal eine wollen. Nein. Dafür war er zu mies im Schauspielern. Sie könnten ihm einreden, was sie wollten. Keine große Rolle. Lieber wollte er dieses Mal etwas Kleines. Vielleicht nicht einmal eine Sprechrolle. Wäre ihm egal. „Reno?“ - Langsam blickte der Blonde auf und sah in die Augen eines für sein Alter viel zu jung wirkenden Jungen. - „Weißt du, wo Petra ist?“ Unwissend zuckte Reno mit den Schultern. „Bin ich Gott?“, murrte er noch und ließ den Kopf wieder auf seine Arme sinken. „Wollte ja nur fragen.“ Mit hochgezogenen Schultern verzog sich der Kleinere auf einen der vorderen Plätze. Da begann Jonas schon zu kichern. „Du hast ja wirklich einen schlechten Tag, wenn du selbst unseren kleinen Corvin so blöd anmachst.“ Normal war es wirklich nicht für Reno, dass er so schlechte Laune hatte. Aber Sina hatte es einfach mit ihrem Versuch geschafft, Juan für ihn interessant zu machen. Was konnte er aber dafür, dass der Neue einfach nichts für ihn war. Ändern konnte er es jetzt auch nicht. Ein Seufzen verließ die Kehle des Blonden, als der Lehrer den Raum betrat und somit auch Sina sich wieder zu ihrem Freund nach hinten gesellte. Auch wenn sie sich mit keinem Wort an ihn wandte. Nicht einmal eines Blickes würdigte sie ihn. Momentan war er es wohl für sie nicht wert. „Könntest du aufhören so eingeschnappt zu sein!“, grummelte der Blonde, als sie später zusammen zur zweiten Stunde gingen. „Dann könntest du es ja auch zumindest einmal mit Juan versuchen, sonst angle ich ihn mir“, erwiderte aber die Braunhaarige nur trotzig. Das ließ Reno kurz auflachen. „Du und dieses schüchterne Entchen? Der würde doch nur schreiend von dir davon laufen, genauso wie gestern von diesen vier netten Mädels.“ Er konnte das Kichern nicht mehr unterdrücken, als ihm Sina schon gegen die Schulter boxte. „Du warst auch mal eine ganze Zeit lang so. Und? Es ist wohl etwas Selbstsicheres aus dir geworden. Also mach dich nicht über ihn lustig!“ Mürrisch beschleunigte Sina ihren Schritt, so dass Reno ein ganzes Stück hinter ihr zurückfiel. Für einen Moment hielt er inne. Dadurch wurde er von einigen Schülern angerempelt, die an ihm vorbeidrängten. Immerhin war Stundenwechsel. Jeder wollte schnellst möglich zu seiner nächsten Unterrichtsstunde. Natürlich war er auch einmal so schüchtern und zurückhalten gewesen. Aber das war schon Jahre her. Noch vor Joe. Noch lange davor. Er konnte sich aber auch kaum vorstellen, dass sich Juan ändern könnte. Der war doch ein Muttersöhnchen. Wenn er nicht gar irgendwelche Komplexe gegenüber seiner Mutter hatte. Eingeschnappt ging Reno langsam weiter. Sollte sich doch dann Sina an den Schwarzhaarigen ranmachen. Interessieren würde es den Blonden sicher nicht. Wieso auch? Er wollte doch nichts von ihm. Was sollte es ihm auch bringen, wenn er versuchte, dass Juan vielleicht etwas von ihm wollte. Er würde sicher wieder wegziehen müssen. Zumindest sobald dessen Ma mal wieder von einem Kerl sitzengelassen worden war. So hatte es Reno zumindest verstanden. Er bog um die nächste Ecke und wäre beinahe wohl gegen jemanden gelaufen, wenn er nicht endlich den Blick gehoben hätte, den er schon die ganze Zeit nur auf den Boden gerichtet gehabt hatte. Der war eigentlich ohnehin interessanter, als alles andere. Bis zum Ende des Unterrichtes bekam Reno Sina kaum noch zu Gesicht. Nicht einmal während der Mittagspause hatte sie sich bei ihm wirklich lange blicken lassen. Wahrscheinlich war sie noch etwas sauer. Das würde sich aber wieder geben. Auch Juan sah er nicht mehr. Irgendwie bemerkte er ihn nicht einmal in Mathe. Vielleicht aber auch einfach nur, weil sich wieder einige 'Schaulustige' um den schüchternen Jungen gesammelt hatten und der Blonde so gar nicht an ihn heran kam. Neue waren eben immer ein Ereignis. Als der Schwarzhaarige nach dem Unterricht zu dem Zimmer ging, das ihm Reno heute morgen gesagt hatte, wurde dort schon lautstark diskutiert. Etwas zaghaft öffnete er die Tür. „Reno, auf was für eine Idee kommst du denn noch?“, grummelte ein blondes, etwas zu jungenhaft wirkendes Mädchen. Wenn ihr Haar wohl nicht schulterlang gewesen wäre, dann hätte Juan sie wirklich für einen Jungen gehalten, da sie auch etwas zu sehr wie einer gekleidet war. „Beruhig dich doch, Uma!“, versuchte eine andere Blondine, die ihr langes Haar zu einem Zopf gebunden hatte, die andere zu beschwichtigen. Doch ganz so gelang das nicht. Uma sprang auf – dadurch zeigte sich auch, wie groß sie war – und fing an, weiter zu zetern. „Romeo und Julius? Julius! Bist du irre?“, fauchte sie und Reno, der vorne vor der Tafel stand, trat noch einen Schritt weiter zurück. Und schon ging das Geschnatter weiter. Ein paar stimmten dem Vorschlag zu, ein paar der anderen nicht. „Es war doch nur eine Idee“, flüsterte der hellhaarige Junge, doch keiner hörte ihm wirklich zu. Immerhin waren sie auch viel zu laut. Irritiert blickte sich Juan um. Er wollte gerade nicht auf sich aufmerksam machen. Doch da fiel Renos Blick auf ihn. Schon im nächsten Moment sah der Blonde wieder in die andere Richtung. „Haltet doch jetzt endlich einmal die Klappe!“, zischte er da auf einmal, und es kehrte langsam auch Schweigen ein. Erneut wandte er sich zu Juan und lächelte etwas zaghaft. „Ist etwas durcheinander heute.“ Verlegen kratzte sich der Blonde am Hinterkopf. Das Verhalten seiner – eigentlich – Freunde war ihm peinlich. Obwohl gerade ihnen das wohl sein sollte. „Weil du auf einen so idiotischen Plan kommst!“, zeterte da schon wieder das großgewachsene Mädchen los. Doch sie wurde von Reno schon durch einen bösen Blick zum Schweigen gebracht. „So schlecht ist er nun auch wieder nicht“, murmelte Gwen. Empfing aber auch nur einige Seufzer dafür. „Nicht schlecht? Wir sollen eine schwule Version von Romeo und Julia spielen? Das ist schlecht!“, kommentierte da aber auch schon Jonas und erhielt von einem anderen Jungen schon den Ellenbogen in die Seite. „Hör auf, Timo!“, zischte der Braunhaarige, während sich Angesprochener lässig durch das helle Haar fuhr. „Du bist doch bi… Was regst du dich also über Schwule auf?“, murrte der Blonde. „Na und? Das heißt noch lange nicht, dass ich auch einen schwulen Romeo sehen will“, knurrte Jonas nur als Erwiderung. Bei einigen der anderen sah es auch nicht besser aus. Immer wieder brachen die Streitereien von neuem aus. „Könnte dauern, bis das ausdiskutiert ist“, meinte Reno, als er zu Juan trat, der dem Schauspiel weiter nur stumm folgte. „Aber sie wären perfekt für das Stück… Immerhin streiten sie sich wie die Montagues und die Capulets. Das ist doch schon einmal was…“ Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Dunkelhaarigen. Ungefähr dreißig Schüler hatten sich in dem kleinen Raum versammelt. Einige beteiligten sich angeregt an der Diskussion. Andere saßen nur schweigend dabei und hörten sich das alles erst einmal an. „So hab ich das Ganze noch gar nicht gesehen“, flüsterte Reno. Langsam schritt er von Juan weg und setzte sich breitbeinig aufs Pult. „So, nachdem jetzt wohl alle da sind, können wir ja abstimmen.“ – Er wandte seinen Blick noch einmal zu Juan, der nur knapp nickte. – „Wer ist jetzt dafür und wer dagegen?“ Kaum dass er den Satz beendet hatte, ging das Getuschel und teilweise auch Gestreite wieder los, bis endlich Sina sie einmal zur Ruhe züchtigte. „Ihr seid wirklich Ekel! Habt nicht einmal bemerkt, dass wir einen Neuen dazubekommen haben?“ Sina packte Juan am Handgelenk und zog ihn vor die Tafel. Irritiert blickte er in die Runde. Einige sahen ihn interessiert an, bevor ihre Blicke wieder auf die Braunhaarige fiel. „Das ist Juan“, verkündete sie, „er geht seit gestern auf unsere Schule und würde jetzt wohl gerne bei uns mitmachen.“ – Der Schwarzhaarige nickte nur etwas scheu. – „Vielleicht könnte ihm einmal jemand von euch erklären, um was es jetzt geht!“ Reno wollte sich schon zu Wort melden, doch mit einer knappen Handbewegung deutete Sina ihm an, dass er ruhig sein sollte. Er zog leicht die Schultern ein, als sich ein braunhaariges Mädchen aus der letzten Reihe meldete. „Wir diskutieren über Renos Vorschlag eine MxM-Version von Romeo und Julia zu spielen. Wie du vielleicht mitbekommen hast, sind damit nicht alle einverstanden.“ Als sie mit ihrer kurzen Erklärung geendet hatte, zog Sina scharf die Luft ein und stieß sie schließlich mit einen Seufzen aus. „Maria, könntest du das auch erklären ohne deinen… Fanfiktion-Gebrabbel?“, fragte sie und legte gleich den Kopf schief, während die andere etwas irritiert eine Augenbraue hob. „Was meinst du?“, wollte Marie da auch schon wissen. „MxM? Das versteh ja nicht mal ich, und ich hör mir deine Quaseleien über Rape, Slash, Death und was du noch alles so erzählst über dieses Fanfiktion-Zeug schon lang genug an“, seufzte sie. „Sag das doch gleich… Na ja, wie es Jonas nannte“ – Knapp warf sie dem Braunhaarigen, der ihr schräg gegenüber saß einen bösen Blick zu. – „Es soll eine schwule Version werden… Also Julia soll ein Junge sein und Julius heißen.“ Langsam nickte Juan. So hatte wohl jeder im Raum es verstanden. Obwohl er das ohnehin schon mitbekommen hatte, dass es wohl um eine solche Version von Romeo und Julia gehen sollte. Ihm schien die Idee ja sogar etwas zu gefallen. „Und das passt wohl nicht jedem“, meinte er da nur und blickte in die Runde. Einige nickten etwas geknickt, andere wandten sich ab und grummelten etwas mürrisch vor sich hin, und wieder andere seufzten nur. „Könnten wir jetzt vielleicht abstimmen?“, fragte Reno etwas gereizt. Langsam nervte es ihn wohl auch schon. „Ok“, stimmte ihm Sina zu und meinte zur Gruppe: „Wer ist dafür?“ Sofort schossen erste Arme in die Luft. Zuerst nur fünf oder sechs. Dann wurden es mit der Zeit mehr. Als es nicht so aussah, als ob sich noch jemand dafür entscheiden wollte, begann sie zu zählen. „Fünfzehn“, meinte sie zu Reno, doch da wurde sie von Juan angetippt. „Was denn?“, wollte sie höflichst wissen. „Du hast mich vergessen“, erwiderte er und lächelte zaghaft. „Ups… äh… sechzehn… nein, mit mir siebzehn“, teilte sie schließlich dem Blonden, der es sich jetzt schon im Schneidersitz auf dem Pult bequem gemacht hatte, mit. Der nickte nur langsam. „Und wir sind normalerweise… 32… mit Juan jetzt 33“, dachte er laut nach, „wenn keiner fehlt, müssten es 16 Gegenstimmen geben. Richtig?“ Etwas mürrisch hoben die restlichen Jugendlichen die Hände, als die anderen sie wieder gesenkt hatten. Sofort begann Sina wieder zu zählen und, wie Reno gesagt hatte, waren es 16. Ganz genau. „Na dann ist mit einer knappen Mehrheit dem Vorschlag zugesprochen…“ Manchmal klang sie wie eine Sprecherin im Parlament. Wahrscheinlich würde sie da auch irgendwann enden, wenn sie so weiter machen würde. 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