Das Herz des Ozeans von Julchen-Beilschmidt (My Heart will go on) ================================================================================ Kapitel 6: Ernüchterung ----------------------- Ernüchterung   Die Musik der dritten Klasse war eine völlig andere. Sie war wild, ungezügelt und laut. Die Stimmung an sich war eine komplett andere. Alle klatschten zur Musik, tranken Bier oder rauchten. Ein paar Musikanten hatten sich zusammengefunden und spielten auf Geigen, Dudelsäcken, Löffeln, Trommeln und noch vielem mehr eine lustige Melodie, die sie aus ihrer Heimat kannten. Alle Männer, Frauen und Kinder tanzten gemeinsam, völlig ohne Rhythmus. Einige schnell und andere, so wie Valnar mit einem kleinen Mädchen, etwas langsamer. Er drehte sie immer wieder im Kreis und ihr Rüschenkleid flatterte wild umher. Oder Asmos, der mit einem jungen Fräulein, ungefähr in Alaines Alter eng mit ihr auf der Tanzfläche umherwirbelte. Ein Mann, der neben Alaine saß, fragte nach einem Mann, aber zum einen verstand Alaine nicht die Sprache ihres Gegenübers und zum anderen war die Musik sehr laut. Sie bedeutete ihm dass sie nichts verstand. Ghardar kam gerade vorbei und brachte etwas zu trinken. Alaine nahm eines der Gläser und trank etwas, was ziemlich bitter und nach Alkohol schmeckte. Es war Malzbier. Sie klatschte wieder in die Hände und sah den beiden zu. In einer Ecke krachte es fürchterlich und Glas und Holz ging zu Bruch. Schnell sah die junge Frau zu dem Unfall. Aber der Mann, der auf den Tisch mit den Gläsern gefallen war rappelte sich lachend schnell wieder auf und verlangte das nächste Glas. Alaine konnte sich nur über so viel Ausgelassenheit wundern. Niemand sagte etwas oder sah sich auch nur danach um. Alle waren in ausgelassener Stimmung. Das Lied hörte auf und alle gaben begeisterten Applaus. Valnar ließ von der kleinen ab und erklärte, dass er jetzt mit Alaine tanzen wollte. Die jedoch fand das als keine gute Idee. Aber durch viel bitten überredete der junge Mann sie doch noch. Schnell zog er sie in die Menschenmenge. “Aber Valnar… ich… ich kann das nicht.” “Wir müssen etwas enger zusammen.” sagte er und zog sie näher zu sich. Die eine Hand behielt er auf ihrer Taille, die andere hielt er in seiner. Und schon ging es los. Erst bewegten sie sich langsam, galoppierten erst von rechts nach links durch die feiernden Menschen hindurch, aber als Valnar sie aufforderte die Augen zu schließen und einfach nicht nachzudenken klappte es auf Anhieb. Alaine kniff die Augen zusammen und kreischte vor Freude. Die beiden wirbelten durch den gesamten Raum und verschafften sich so eine Schneise zu einem Podest, wo auch Asmos gerade mit dem Mädchen, die Arme ineinander verschränkt, tanzte. Valnar strich sein Haar, das ihm ins Gesicht hing etwas zurück, steckte seine Hände in die Hosentaschen und steppte wild drauf los. Alaine, die ihm zugesehen hatte, zog ihre Schuhe aus und warf sie zu einer anderen Frau, die auf sie aufpassen sollte. Dann raffte sie ihr Kleid etwas hoch, damit man die Füße sehen konnte und zeigte dem Maler was eine junge Frau wie sie alles was sie drauf hatte. Diesmal war es Valnar der nicht schlecht staunte. Dieser Stepptanz ging einige Male wie ein Duell zwischen beiden hin und her. Dann verschränkten die beiden die Arme ineinander und drehten sich wie wild umher. Dann ergriff er ihre Hand und drehten sich um einen gemeinsamen Mittelpunkt. Alaine wurde schnell übel davon, konnte aber Valnar nicht loslassen, da sie sonst in die Menschenmenge gefallen wäre. Sie lachte vergnügt auf und musste die Augen zusammenkneifen, dass sie die Geschwindigkeit nicht mehr so bemerkte.   Und Asgar? Der unterhielt sich mit einigen Geschäftsmännern im Rauchzimmer über Geld und seine Anwälte, die seine Angelegenheiten erledigen würde. Neugierig von dem was seine zukünftige Frau gerade tat, schickte er Abraxas los, sie zu suchen.   Mittlerweile waren Valnar und Alaine von der Tanzfläche gegangen um etwas zu trinken. Er reichte ihr ein volles Glas und nahm sich ebenfalls eins. Ghardar hatte mit einem Freund Armdrücken angefangen und es sah so aus als wenn beide vorher aufgeben würden. Der Maler trank langsam und Schluck weise, Alaine jedoch schluckte das Getränk begierig hinunter. Als sie das Glas von ihren Lippen absetzte sah Valnar auf die Menge von Bier die sie gerade getrunken hatte. Das Glas war fast zu drei viertel leer. Valnar machte natürlich große Augen. “Was? Dachten Sie ein Mädchen aus der ersten Klasse verträgt nichts?” fragte sie lächelnd. In dem Moment stürzte ein Mann direkt in Valnar hinein. Er war völlig betrunken. Das Bier aus Valnars Glas schwappte auf das Kleid von Alaine. Schnell stieß er den Mann weg und fragte ob es ihr gut ginge. Alaine nickte nur lächelnd. Da knallte eine Faust auf den Tisch neben ihnen. Ghardar hatte verloren und forderte eine Revanche. “Also.” sagte Alaine. Sie stellte ihr Glas ab und nahm frech Ghardar seine Zigarette aus den Mund und zog daran. “Ihr Jungs glaubt, ihr seid harte Burschen? Könnt ihr dann auch das hier?” Sie bat, dass Valnar ihr Kleid hochhielt, dass ihre Füße zu sehen waren. Dann konzentrierte sie sich und stellte sich mit ihrem gesamten Gewicht auf ihre großen Zehe, die Arme nach oben gestreckt. Das konnte sie ein paar Sekunden aushalten und fiel dann in Valnars Arme. Alle, die zugesehen hatten, starrten Alaine mit offenen Mündern an. Sie lachte. Alle Anwesenden klatschten anerkennend. So etwas hatten sie noch nie gesehen. “Das hab ich seit einer Ewigkeit nicht mehr getan.” sagte sie.   In dem Moment schlich Abraxas die Treppe hinunter und fand sofort das Fräulein seines Herren. In den Armen Valnars. Und sie lachte vergnügt. Und wieder setzte Musik ein. Asmos ergriff Alaines Hand und sie Valnars und so tanzten sie in einer Reihe umher. Für Alaine war es ein unvergesslicher Abend in der dritten Klasse gewesen…   Doch der Morgen danach…   Alaine und Asgar saßen auf ihrem Promenadendeck und Frühstückten. Alaine, die noch etwas geschafft war rührte langsam in ihrem Tee umher. Sie hatte ihr Haar locker seitlich geflochten und trug ein weißes Spitzenkleid mit kleinen gestickten Blumen im vorderen Ausschnitt. Eine Magd bot Asgar Kaffee an, den er mit einem nicken ablehnte. Sie bemerkte den Blick ihres Verlobten auf sich. Sie lächelte kurz und strich den Rest Tee, der auf dem Löffel war am Rand der Tasse ab. Dann stellte er seine Tasse beiseite und sah Alaine ernst an. Die Dienstleute entfernten sich rasch, damit die beiden ungestört waren. “Ich hatte gestern gehofft du würdest noch zu mir kommen.” sagte er. “Ich war sehr müde.” erklärte sie. Sie ahnte, was er gewollt hatte, allerdings hatte ihr Zustand sie daran gehindert. Alaine hatte auch kein großes Interesse gehabt, so, wie er sich am gestrigen Abend wieder benommen hatte. Es war wieder reines Platzhirschgehabe gewesen um klar zu machen, wem Alaine gehörte. “Du… musst dich zweifellos unter Deck etwas verausgabt haben.” mutmaßte er sarkastisch. Sie fühlte sich ertappt, da gab es nichts was diese Tatsache abtun konnte. Aber sie wusste von wem Asgar diese Information hatte. “Du hast also deinen Totengräber von Diener beauftragt mich zu verfolgen, typisch für dich.” sagte sie nach einigem überlegen. “Du wirst dich nicht noch einmal so aufführen Alaine, hast du verstanden?” antwortete er nachdrücklich. “Ich bin keiner deiner Vorarbeiter die du herumkommandieren kannst. Ich bin… deine Verlobe Asgar.” “Meine Verlobte. MEINE VERLOBTE, GENAUSO IST ES! UND MEINE FRAU!” Asgar wurde zornig und sprang auf, wobei er den Tisch beiseite stieß. Das Geschirr flog im hohen Bogen über den Boden und zersprang in viele tausende Scherben. Er lehnte ich vor ihr auf die Stuhllehne, damit sie ihn auch ansah wenn Asgar sie anschrie. “Praktisch meine Frau wenn auch noch nicht vor dem Gesetz und deswegen wirst du mich ehren. Du wirst mich so ehren wie es einer Frau gehört ihren Mann zu ehren. Denn ich werde mich nicht zum Narren machen Alaine.” Seine Wut verebbte etwas, doch das nachdrückliche Drohen blieb in seiner Stimme erhalten. Alaine war vollkommen verschüchtert. Sie sah ihn an, wie ein Kaninchen vor einer Giftschlange, bereit ihr Gift in ihren Körper zu verbreiten. “Gibt es noch irgendwelche Unklarheiten?” Aber Alaine schüttelte den Kopf. Somit verließ Asgar den Frühstückstisch. Alaines Zofe eilte sofort zu ihr um ihr zu helfen das Chaos fort zu schaffen. Sie schluchzte unaufhörlich und entschuldigte sich tausendmal und wollte ihr helfen. Aber Trudy, wie die Zofe hieß meinte dann immer dass es nicht ihre Schuld gewesen sei und dass es schon in Ordnung ginge. Kraftlos sackte sie zu Boden und versuchte einen Weinkrampf zu verhindern.   Nach diesem Anfall hatte Asgar sich nicht mehr in der Nähe von Alaine nicht blicken lassen. Auch nicht vor der Sonntagsmesse, die im Speisesaal gehalten werden sollte. Trudy schnürte Alaine gerade ihr Korsett, als Aysha herein kam und nach Tee verlangte. Alaine hielt sich am Bettpfosten fest um nicht durch das zurren der Bänder zu wanken. Sie drehte sich zu ihr um, aber sie bedeutete ihr, dass sie Alaines Korsett zu Ende schnüren würde. Sofort spürte sie einen stärkeren Druck auf ihrem schon so schmalen Bauch. “Du wirst diesen Jungen nicht wieder sehen, hast du mich verstanden? Alaine, ich verbiete es.” “Ach, hör bitte auf Mutter, du bekommst nur wieder Nasenbluten.” schnell drehte Aysha sie herum. “Das hier ist kein Spiel. Du weißt ganz genau wir haben kein Geld mehr. Wir sind in einer prekären Lage.” sagte sie im vollen ernst. “Ich weiß dass unser Geld weg ist. Du erinnerst mich täglich daran.” antwortete Alaine unbeeindruckt. “Dein Vater hat uns nichts weiter als einen Schuldenberg hinterlassen, der sich hinter einem guten Namen versteckt. Dieser Name ist die einzige Karte die wir noch ausspielen können. Ich versteh dich einfach nicht. Die Verbindung mit Hokley ist tadellos, sie wird unser Überleben sichern.” “Wie kannst du mir nur solche Last aufbürden?” “Warum bist du nur so selbstsüchtig?” “Ich bin selbstsüchtig?” fragte Alaine erbost. Nur um den Namen DeWitt Bukater wieder strahlen zu sehen, musste sie Asgar heiraten. Denn sein Vater würde ihm Millionen vererben, wenn Asgar heiraten würde. “Willst du etwa dass ich als Näherin unser Geld verdiene? Ist es das was du willst? Willst du dass all unsere schönen Sachen versteigert werden? Und unsere geliebten Erinnerungen verstreut werden?” Aysha drehte sich weg. Beinahe hätte sie geweint. Doch sie musste stark bleiben. Alaine seufzte. “Es ist so ungerecht.” flüsterte sie. “Natürlich ist es ungerecht. Wir sind Frauen. Unsere Entscheidungen sind niemals leicht zu treffen.” stimmte Aysha ihr zu. Dann mahm sie Alaines Gesicht in die Hände, küsste Alaines Wange und schnürte ihr Korsett zu Ende. Schöner wäre es gewesen, wenn sie in eine Zwangsjacke gesteckt hätten, statt in ein Korsett. Dann wäre nur ihr Körper gefesselt, aber nicht ihre Seele.   Die Sonntagspredigt hatte begonnen. Vincent Smith eröffnete das Gebet mit einem Lied. Es handelte davon dass die Seefahrer sicher zu ihrem Heimathafen zurückkehren sollten. Valnar war auch unterwegs um Alaine zu sehen. Er trug wieder seine üblichen Sachen. Auf dem Weg begegnete er Aaron Andrews wie er auf einer Bank auf der Hälfte der Treppe Unterlagen studierte. Sie begrüßten sich freundlich. Vor der Tür zum Speiseraum versperrte ein Angestellter ihm den Weg und behauptete steif und fest, dass er ihn hier noch nie gesehen habe. Abraxas kam zu den beiden von dem Lärm aufmerksam geworden. Asgar sah, wie sein Kammerdiener den Saal verließ, nur Alaine sah hinab in ihr Gesangbuch und bekam davon nichts mit. “Ich will nur kurz mir ihr reden.” meinte er ruhig zum Kammerdiener. “Mr. Hokley und Miss DeWitt Bukater sind ihnen weiterhin für ihre Dienste sehr verbunden. Sie hatten mir Gebeten ihnen das als Zeichen ihrer Anerkennung zu geben.” Abraxas hielt ihm einen zwanzig Filar- Schein hin. Aber Valnar wollte das Geld nicht. “Und ich soll Sie nochmals daran erinnern, dass Sie eine Fahrkarte der dritten Klasse haben und ihre Anwesenheit hier nicht länger erwünscht ist.” fügte er mit aller Kälte hinzu. Noch immer bat Valnar nur kurz mit ihr zu reden. Aber er wurde freundlich zurückgewiesen. Abraxas reichte das von Valnar zurückgewiesene Geld an den Butler neben ihm und bat darum Valnar wieder in die Räumlichkeiten der dritten Klasse zurück zubringen. Das Lied hörte auf und Alaine sah auf in den strahlend blauen Himmel den sie von einem Fenster sehen konnte. Ihr Blick war verträumt.   Nach dem Gottesdienst lud Mr. Andrews Alaine, ihre Mutter und Asgar zu einem Rundgang ums Schiff ein. Er zeigte ihnen die Brücke als der Funker mit einer Eisbergwarnung kam. Aysha, sowie Alaine wechselten beunruhigte Blicke mit dem Kapitän. “Kein Grund zur Aufregung. Zu dieser Jahreszeit völlig normal. Wir legen noch an Geschwindigkeit zu. Ich habe angeordnet den letzten Kessel zu beheizen.” Aysha sah schon viel beruhigter aus, doch Alaine war sich dem nicht so sehr sicher. Etwas in ihr ließ ihr keine Ruhe wegen dieser Meldung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)