Flüsternde Hände von Dahlie (...wenn Worte keine Bedeutung haben (Sasu*Saku)) ================================================================================ Kapitel 1: ~ Die unsichtbare Mauer ~ ------------------------------------ Jemand behauptete einmal, die Welt sei für alle Menschen gleich. Wir alle würden sie mit denselben Augen sehen. Doch dem muss ich widersprechen. Meine Welt ist anders, als die meiner Mitmenschen. Ich sehe sie anders… Warum ich sage sehen? Ganz einfach, ohne meine Augen wäre mein Leben kein Leben, sondern eine trostlose Welt ohne Farben, Formen und die winzigen Kleinigkeiten des Augenblicks. Ohne Worte, Melodien und Töne könnte ich leben, ich würde all die Dinge nicht vermissen. Aber ohne mein Augenlicht würde ich innerlich zerbrechen. Warum mir Worte, Melodien und Töne nicht wichtig sind? Man kann nichts vermissen, was man nicht kennt. Ich trage Hörgeräte auf beiden Seiten und bin trotzdem nicht in der Lage, die angeblich schöne Stimme von Whitney Houston wahrzunehmen. Das Einzige, was an mein Ohr dringt, ist der Bass. Natürlich vollkommen logisch, zumindest für mich. Hohe Töne sind im Allgemeinen nichts für mich, schließlich ersetzen meine Hörgeräte nicht mein fehlendes Gehör, sondern verstärken nur das, was noch vorhanden ist. Bei mir also alles, was sich im Tieftonbereich befindet. Weshalb ich die Musik von Nickelback bevorzuge, die tiefe melancholische Stimme des Frontmanns jagt mir jedes Mal eine Gänsehaut über den Rücken, aber lassen wir das. Ich möchte euch von dem Tag erzählen, an dem meine heile Welt aus den Fugen geraten ist. Es sollte eine Party wie jede andere werden und doch war mir bereits bei der Einladung klar, dass dem nicht so sein würde. Warum? Ganz einfach, weil wir Hörgeschädigten uns einfach nicht lange unter das andere Volk mischen können, ohne dabei aufzufallen. Was ich mit Volk meine? Nun ja, meine Welt besteht sozusagen aus zwei verschiedenen Welten. A) Wir tauben Spastiker, wie uns viele Außenstehende auf Grund der Gebärde nennen und- B) Der Rest der Welt und somit die `Hörenden` Ich weiß nicht mehr, wann mir zum ersten Mal die Grenze zwischen diesen zwei Völkchen aufgefallen ist, aber je älter ich wurde desto deutlicher sah ich die Linie, zwischen ihnen und uns. So auch heute. Einzig und alleine wegen meiner besten Freundin Hinata hatte ich mich dazu überreden lassen, diese Party zu besuchen. Ich frage mich heute noch, wie sie es schafft, Unglück aller Art magisch anzuziehen. Wie ich das meine? Sai, sie und ich ständen jetzt nicht vor der Haustür eines blonden, hyperaktiven Jungen, wenn Miss Hasenfuß vor drei Wochen, wie jeder normale andere Mensch auch, bei McDonalds bestellt hätte. Die Bestellung an sich war kein Problem gewesen, schließlich hatte Hinata alles, was sie haben wollte, auf einen Zettel geschrieben. Anders als ich besaß sie kein so genanntes Restgehör, sondern war gänzlich taub. Von weitem einen Tisch besetzend, hatte ich sie beim Bestellen beobachtet. Es bereitete mir immer ein großes Vergnügen, Miss Hasenfuß zu ertappen, wie sie rot anlief. Doch an diesem Tag sollte sie es einmal gründlich mit der Röte übertreiben. Während sie nämlich auf mich zusteuerte, wurde sie von einem hirnlosen, unfreundlichen Trottel angerempelt. Meine bestellten Cheeseburger machten sich also auf die Reise, einem jungen Mann in den Schoß zu fallen. Zuerst lachte er und reichte meiner Freundin die zwei bösen Übeltäter, doch statt sie mit einem reizenden Lächeln gehen zu lassen quatschte er wild drauf los. Ich schwöre, noch nie in meinem Leben war ich so froh gewesen, Lippenlesen zu beherrschen. Meine Augen hatten sich sofort zu Schlitzen verengt und ich hing nahezu an den Lippen des fremden Jungen. Überraschenderweise wollte er einfach nur ihre Handynummer haben, ein Gentleman der alten Schule also. Doch Hinata sah ihn nur mit verständnisloser Miene an, ihre Wangen wurden rot, was der Junge jedoch falsch verstand. Ich fiel fast vom Stuhl, als ich Sekunden später vernahm, dass er sie doch glatt auf Englisch und schließlich auf Französisch anmachte. Perfekte Aussprache, soweit ich das beurteilen konnte. Jedoch musste ich bei Hinatas Reaktion leise auflachen, denn ihr Gesichtsausdruck veränderte sich von hilflos zu panisch. „Also mein Spanisch ist leider schon ein wenig eingerostet, aber...“, die laute Überlegung des Jungen veranlasste mich dazu, mich meiner Freundin gegenüber zu erbarmen und ihr unter die Arme zu greifen. Doch dann war ich verblüfft stehen geblieben, denn der ungekannte Junge begann damit seltsame Verrenkungen zu machen und selbst wenn er nicht die passende Gebärdensprache für sein Anliegen benutzte, so war selbst Hinata klar, was er eigentlich die ganze Zeit über von ihr gewollt hatte. Die Röte auf ihren Wangen war erst der Beginn ihrer ungewollten Reaktion gewesen, nun glühte ihr Kopf förmlich. Denn noch immer zeigte er auf sie, dann auf sich und schließlich auf sein Handy, sein breites Grinsen ließ ihn dabei noch selbstbewusster erscheinen, als er eh schon war. Ich trat hinter meine Freundin und lächelte, dann wendete ich mich an ihn und erklärte den tatsächlichen Grund, weshalb Hinata ihm nicht antwortete. Im Gegensatz zu ihr war meine Aussprache nahezu fehlerfrei, was nicht zuletzt an meiner Mutter lag. Bereits im frühen Alter hatte ich mehr Zeit damit verbracht, Wörter richtig auszusprechen und mein körperliches Gleichgewicht zu trainieren, als mit Puppen zu spielen. An jenem Tag musste ich dem blonden Jungen jedoch etwas zu gute halten. Statt, wie viele vor ihm, mit eingekniffenem Schwanz die Mücke zu machen, hörte er sich alles in Ruhe an und schrieb am Ende seine Handynummer auf eine Serviette. Mit den Worten, wenn Hinata wollte könne sie sich ja bei ihm melden, er jedenfalls würde sich freuen. Erstaunt hatten wir ihm beide nachgesehen, als er winkend und breit grinsend McDonalds verlassen hatte. ~ Sai seufzte neben mir laut, als er seinen Schlafsack abstellte und hob die Hände, um etwas zu sagen. Wir drei gingen auf dieselbe Sonderschule und um ganz ehrlich zu sein, zu einer Sonderschule zählten wir die Penne, zu der wir Tag ein Tag aus fuhren, nicht. Schließlich wurde dort derselbe Stoff durchgezogen wie auf einem normalen Gymnasium. Einzig alleine die Klassen waren kleiner. »Ich hasse … Anstands-WauWau… spielen! « Seine Hände waren so schnell und sein Blick so empört, dass ich lachen musste. Ihm war es auch nicht recht, dass wir Hinata auf eine Party begleiteten, zu der wir ‚eigentlich‘ gar nicht eingeladen waren. »Entschuldige…« Ich legte jeweils einen Arm um den Hals meiner Freunde und grinste beide breit an, dann zerzauste ich ihnen die Haare und drückte auf den Klingelknopf. »Leute, schlimm… es… nicht werden. « Ich hoffte es zumindest. »Genießen wir…gute Essen und den Alk. Wer weiß, vielleicht macht… hier… Spaß! « Was ich persönlich bezweifelte, jedoch sagte ich wegen der verängstigten Gesichter meiner Freunde nichts. Die Tür sprang auf und das große Geburtstagkind sah uns hoch zufrieden an. Ihm war bereits klar, dass wir nicht wie seine anderen Freunde sein würden, sondern irgendwie anders und nicht normal, wie es die meisten definieren würden. Als ich ihm das per SMS gesagt hatte, war ich von seiner Antwort positiv überrascht gewesen. -Ich bin auch nicht normal, also werde ich unnormale Genossen ja wohl noch verkraften können- Alleine dies war ein Grund von vielen, warum ich Naruto Uzumaki als einen der wenigen Hörenden die ich kannte, äußerst sympathisch fand. Er war ein Spinner, ein Freak – doch er stand dazu und fand nichts dabei, wenn man sich nicht wie alle anderen Jugendlichen einreihte, um ja nicht aufzufallen. Naruto fand Auffallen absolut cool, weshalb Hinata wohl ein wenig Angst davor hatte, mit ihm alleine zu sein. „Ho, meine Freunde vom Planeten Mars!“, dabei machte er die Geste, als wolle er ET nach machen, der dabei war, nach Haus zu telefonieren. Ich verdrehte aus einem Impuls heraus die Augen, als Sai mir auch schon wie bescheuert auf die Schulter tippte. Naruto dagegen sah zufrieden in die Runde und riss uns unsere Schlafsäcke aus den Händen, um sie im Flur zu stapeln. »Was hat der gesagt? « Ich wehrte ab und tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stirn, das war für Sai Antwort genug. Wahrscheinlich konnte er sich zusammenreimen, dass Naruto eine hohle Anspielung gemacht hatte. „Hör mal Naruto, meinst du nicht Mars ist ein wenig weit hergeholt und kommt ET nicht von einem ganz anderen Planeten?“ Er schüttelte beschwichtigend den Kopf, seit ich ihm bei unserem letzten Treffen erklärt hatte, dass wir Hörgeschädigten ein wenig anders waren, glaubte er, wir kämen aus einer anderen Dimension. Ziemlich banal meiner Meinung nach, aber ich glaube so versucht er dem Unterschied zwischen ihm und uns einen Tritt zu geben. Ich sah, dass Hinata ihm ein Paket hinhielt und er es mit großen Augen musterte. „Das wäre doch nicht nötig gewesen!“ Sai, der an seiner Miene erkennen konnte, was abging, sah ihn ein wenig verwirrt an, für ihn war der Blonde ein kompletter Widerspruch, gegen all das, was er bis jetzt von hörenden Menschen kannte. Hinata bekam erneut rote Wangen und drückte es ihm in die Hände. „Wir…‘o‘en, dass es dir gefet.“, sprach sie leise und sah mich dabei flehentlich an. Wahrscheinlich wollte sie wieder mal wissen, ob sie sich mit ihrer Lautsprache zum Affen gemacht hatte, doch dieses Mal konnte ich nur den Kopf schütteln und grinsen. Zumindest war sie gerade besser gewesen als so manch andere Male. Hinata und ich hatten lange überlegt, was wir unserem neuen Freund schenken sollten, doch letzten Endes fiel uns nur eins ein. Er aß für sein Leben gerne Nudeln aller Art, also hatten wir kurzerhand einen Großeinkauf gestartet. Gerade als Naruto das Packet öffnen wollte und wir dabei waren unsere Jacken aufzuhängen, bemerkte ich einen schwarzhaarigen Jungen, der die Treppen herunter kam. Seine Frisur ähnelte einer Ananas, weshalb ich mich zusammenreißen musste, um nicht laut loszulachen. Sofort konzentrierte ich mich auf seine Lippen, was mir sichtlich schwer fiel, da er einen Dialekt sprach. „Ey Alter, Sasuke kotzt gleich, wenne nicht langsam dafür sorgst, dat Ino-Pig ne Mücke macht.“ Naruto stöhnte und ich sah vom einen zum anderen, schließlich erwiderte der Blonde: „Selbst Schuld. Hab‘ Teme gesagt, er soll nicht immer einen auf Mr-Ober-Cool machen.“ Er wendete sich wieder uns zu und nickte mit den Kopf nach oben. „Kommt schon, ich will euch nach oben verfrachten.“ Wortlos stieg ich die Treppen hinter ihm hoch und bemerkte dabei, wie sein Blick kurz auf Hinata fiel. Sie sah in ihrem roten Kleid wirklich hinreißend aus, weshalb ich in mich hinein grinsen musste. Naruto war dermaßen auffällig in meine beste Freundin verliebt, dass es mich wunderte, dass diese immer noch behauptete, dass sie von all dem nichts merken würde. Oben angekommen suchte Sai als erstes das Klo auf, während man mir eine Bierflasche in die Hand drückte und Hinata von Naruto mit gezogen wurde. Na toll! Alleine unter Leuten, wo mir nicht ein Gesicht bekannt vorkam. Unsicher umklammerte ich die Bierflasche fester und ging ins Wohnzimmer. Der gigantische Raum mit Kamin und Balkon war zum Mittelpunkt der Party umfunktioniert worden. Aus riesigen Boxen knallte Musik, was mir im ersten Moment wehtat, da meine Ohren eine solche Lautstärke nicht gewöhnt war. Ich schaltete meine Hörgeräte aus und spürte den Bass unter meinen Füßen. Kurz sah ich mich im Raum um, bevor ich mich Sekunden später auf einer schwarzen Couch niederließ und in den Polster zurücksank. Ich wusste jetzt schon, wie der Abend enden würde. Jede Minute würde wie eine Stunde dahin kriechen. Ich konnte mich jetzt schon dabei ertappen, wie ich immer wieder einen Blick auf die Uhr werfen würde, in der Hoffnung, irgendwann mit der Ausrede, ich wäre müde, was sowieso niemand auffallen würde, da die Party gut besucht war, mich mit meinem Schlafsack in eine Ecke verkriechen zu können. Gelangweilt sah ich durch das Wohnzimmer, einige Leute machten seltsame Verrenkungen. Wahrscheinlich versuchten sie zu tanzen, was unglaublich komisch aussah. Mein Blick wanderte zu den Jugendlichen am Rande. Als erstes fiel mir ein Junge mit feuerroten Haaren auf, er schien sich nicht am Gespräch seiner Freunde zu beteiligen. Meine Augen verengten sich zu Schlitzen und ich versuchte zu verstehen, worüber sie sich unterhielten. Augenblicklich verzog ich das Gesicht. Fußball… Bloß nicht! Da beobachtete ich doch lieber diesen Rothaarigen. Manchmal konnte es echt von Vorteil sein, anderer Menschen Lippen lesen zu können. Noch immer wirkte der Junge verstimmt und ich versuchte herauszufinden, woran das lag. Sein Blick ging nach links, also sah ich zum großen Fenster. Dort konnte ich nur zwei Personen ausmachen. Einen Jungen, der sich mit dem Rücken gegen das gigantische Fenster lehnte und in seiner rechten Hand eine Bierflasche hielt, deren Inhalt er immer wieder hin und her schaukelte. Wahrscheinlich war es ein Zeichen der Langeweile. Kurz reckte ich ein wenig den Kopf, denn ein Mädchen mit langen, blonden Haaren versperrte mir die Sicht auf ihn. Zuerst entdeckte ich schwarze Haare, die am Hinterkopf in alle möglichen Richtungen abstanden. Ich musterte sein Gesicht und fand es auf Anhieb ungewöhnlich hübsch für einen Jungen. Noch nie hatte ich so gleichmäßige und feine Züge gesehen. Seine helle Haut bildete einen auffallenden Kontrast zu seinen dunklen Augen, was sie nur noch mehr hervorhob. Mein Interesse war geweckt und ich stützte mein Kinn auf eine Handfläche. Irgendwie schien alles an diesem Jungen perfekt zu sein. Denn sein schwarzes T-Shirt versprach, einen gut gebauten Körper zu verdecken. Beschämenderweise pochte mein Herz augenblicklich schneller und ich versuchte die aufkommende Röte zu unterdrücken, die an meinen Wangen hochkroch. Es juckte mir in den Fingern, denn normalerweise hätte ich jetzt zu meiner Canon gegriffen und ihn aus irgendeinem vorteilhaften Winkel fotografiert. Nicht das ich ein Stalker war, der sich an Bildern fremder Menschen ergötzte. Viel mehr war es meine absolute Leidenschaft, die Welt durch die Linse zu beobachten. So konnte man wunderschöne Augenblicke für die Ewigkeit festhalten. Bilder zeigten meiner Meinung nach nur das, was der Mensch mit seinem Auge erfassen konnte. Lautlos und still. So wie ich meine Welt eben sah, unbeschreiblich schön. Kurz zuckte ich zusammen, als ich bemerkte, dass seine dunklen Augen in meine grünen sahen. Fast hatte ich gedacht, er hätte bemerkt, dass ich ihn beobachtete. Doch statt eine Reaktion zu zeigen, wendete er sich wieder dem blonden Mädchen zu. Sie schien unaufhörlich auf ihn einzureden, was, konnte ich nicht mit verfolgen, da sie mir den Rücken zugewendet hatte. Seufzend lehnte ich mich zurück und sah auf die heiße Blondine. Wahrscheinlich genoss er es, ihre Aufmerksamkeit erregt zu haben. Ich kannte dieses Spielchen der Jungen, sie taten häufig so, als wäre ihr Name Hase und sie wüssten von nichts. Oft genug hatte ich ihr Verhalten in den verschiedensten Situationen beobachtet. Überhaupt, beobachten war eines meiner liebsten Hobbys. Über diesen Weg erfuhr man mehr über seine Mitmenschen als man als Außenstehender vermuten konnte. Immer noch spürte ich den lauten Bass unter meinen Füßen und konnte es nicht lassen, diesen fremden Jungen zu beobachten, wenn auch nicht mehr so auffällig. Seine Art machte mich nervös und ich konnte noch nicht einmal sagen warum. Irgendetwas strahlte er aus, was mir keine Ruhe ließ. Noch nie war mein Blick so magisch von einem Jungen angezogen worden, wie an diesem Abend. Er ließ seinen Blick schweifen, dabei redete das Mädchen vor ihm unaufhörlich weiter. Ihre zarten Finger legten sich auf seine Schultern, es war als wollte sie demonstrieren – der gehört zu mir. Eine Geste, die, wie ich fand, einer Lüge gleich kam. Der schwarzhaarige Junge nahm seine Hände und zog ihre Arme von sich weg und zum ersten Mal an diesem Abend nahm ich war, dass seine Lippen sich bewegten. „Komm schon Ino, du weißt, dass ich nichts von dir will.“ Seine klaren Worte überraschten mich, er wusste also genau worauf ihre Gesten hinauslaufen sollten. Die Blondine schien enttäuscht, fast schon verletzt, denn ihre Haltung war nicht mehr ganz so majestätisch wie zu Beginn des Abends. Sie erwiderte etwas, doch er schien darauf keinen Wert zu legen. „Die Nummer zieht bei mir nicht.“, sprach er gelangweilt und nahm einen Schluck Bier. „Sieh dir Sabakuno an und du weißt selbst, dass du hier Scheiße laberst.“ In meinem Kopf klingelte es, sie hatte ihm also erzählt, dass sie jedes Mal eine Abfuhr bekam und kein Junge sie mochte. Die typische Mitleidstour eben. Ich war zwar schwerhörig, aber selbst solche Maschen versuchten die Mädchen bei uns an der Schule ebenfalls. Sai war eines ihrer liebsten Opfer. Wo ich gerade an Sai dachte, wo blieb der Kerl? Ich sah mich im Wohnzimmer um und bemerkte, wie ein schwarzhaariger Junge mit langen Haaren aufgeregt seinen Freunden in einer Ecke etwas erzählte. Seine Geste ließ auf ein Video-Spiel schließen und ich brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen. Mein Kumpel war wahrscheinlich vom Weg abgekommen und hatte sich Hals über Kopf in ein aufregendes, virtuelles Match gestürzt. Fragte sich nur wer dir arme Sau von Herausforderer war. Gelangweilt stand ich auf und begab mich auf den Balkon. Dort befanden sich bereits einige Raucher. Der kalte Wind blies mir um die Ohren und ich fröstelte, jedoch konnte ich auf dieser Weise frische Luft schnappen. Ich machte meine Hörgeräte wieder an und genoss die dumpfen Töne. Ganz ehrlich? Diese Party langweilte mich. Ich kannte niemanden, hatte keine Lust überflüssigen Gesprächen zu lauschen oder gar das Risiko einzugehen mich mit fremden Leuten zu unterhalten, nur um später festzustellen, dass sie die Mücke machten, wenn sie rausbekamen, dass ich Hörgeräte trug. Müde lehnte ich mich gegen das Geländer und sah auf die Dächer der anderen Häuser, gleichzeitig fragte ich mich, wie lange wir wohl hier bleiben würden, denn bis jetzt war dieser Abend ein absoluter Reinfall für mich. Warum hatte ich mich nur überreden lassen, mitzukommen? Jemand trat neben mich, doch ich ignorierte dies. Musste ja schließlich nicht mit jedem ein Plauschen anfangen. Ich nahm einen Schluck von meinem Bier und starrte weiter auf die Dächer. Allerdings störte mich ein hässlicher Geruch. Angewidert sah ich zu meinen Nebenmann und erkannte den schwarzhaarigen Jungen, den ich bis eben noch beobachtetet hatte. Genüsslich zog er an seiner Zigarette und musterte mich aus dem Augenwinkel. Sein Blick wirkte abschätzend und ich fühlte mich wie eine Ziege auf dem Markt. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen das Geländer und steckte seine freie Hand in die Hosentasche. Sein Blick traf meinen und es schien als würde er darauf warten, dass ich den Blickkontakt abbrechen würde. Doch das hatte ich nicht vor. Wenn Mr-Ober-Cool, wie Naruto ihn nannte, meinte, auf diese Art und Weise zeigen zu wollen, dass er der absolut tollste Junge auf diesem Planeten war, dann war es an der Zeit, dass ich ihm das Gegenteil bewies. Ein verführerisches Lächeln huschte über meine Lippen und ich wendete mich ihm zu. Nachdem ich einen Schritt auf ihn zugegangen war und nun gefährlich nahe bei ihm stand, hob ich meine Hand und nahm ihm die Zigarette aus dem Mund. An seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er wohl ahnte, was ich jetzt tun würde. Allerdings hatte ich nicht vor dieses Gift einzuatmen. Es sollte ja keine dieser billigen Anmache sein, davon bekam er schließlich genug. Lässig ließ ich die Zigarette vor seinen Augen auf den Boden fallen und trat sie aus. „Rauchen ist krebserregend und auch sonst seeeehr schädlich für den Körper. Wenn du jedoch das Bedürfnis hast, eines frühzeitigen Todes zu sterben, dann lass es mich wissen. Es geht auch ohne dabei die Luft seiner Mitmenschen zu verpesten.“ Ich konnte sehen, dass sein Mundwinkel verdächtig zuckte, dennoch behielt er die Fassung und nahm mir mein Bier aus der Hand. Kurz musterte er es, dann hielt er die Flasche über das Balkongelände und kippte sie aus. Sofort entgleisten meine Gesichtszüge und ich betete dass kein armes Männlein jetzt unten stand und die Flüssigkeit auf die Haube bekam. „Wenn du vor hast süchtig zu werden, dann sag es gleich. Ich kenne da andere Drogen, die nicht halb so typisch für Alkoholiker sind, wie die Kotze hier.“ Noch nie hatte man mich mit meiner eigenen Waffe geschlagen, doch noch weniger würde ich zugeben, dass er mich überrumpelt hatte. „Und was wären das für Drogen? Speed, LSD und Co. kann ich mir nämlich nicht leisten.“ Er reichte mir meine leere Flasche zurück und warf den Kopf nach hinten. Kurz schwieg er und es war, als würde er über eine passende Antwort nachdenken. „Wie wäre es mit PC Games oder Schokolade?“ Ich winkte ab und gähnte - wie langweilig - Schokoladensüchtig war ich schließlich schon. Ich kämpfte wie jedes andere Mädchen gegen meine kleinen Fettpölsterchen, aber die dunkle Versuchung war oft stärker als ich. „Fällt dir nichts Besseres ein? Will schließlich meinem Kumpel nicht den Thron als Zocker-König streitig machen.“ Der Schwarzhaarige hob überrascht eine Augenbraue und sprach: „Ach, du kennst den Typen, der gerade dabei ist, Dobe in seinem eigenen Revier zu schlagen?“ In meinem Kopf arbeiteten alle grauen Gehirnzellen auf Hochtouren. Wer war Dobe? Und in welchen Revier? Er meinte doch ein Computerspiel oder? Da ich unsicher wurde nickte ich nur und sah erneut auf die Dächer der fremden Häuser. Es war besser, wenn ich jetzt aufhören würde, mich mit jemandem zu unterhalten, der keine Ahnung hatte, worauf er sich einließ. Eine Weile lang sagte niemand von uns ein Wort, schließlich drehte er erneut seinen Kopf zu mir. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich, wie er mich erneut musterte. „Hast du einen Macker zu Hause sitzen oder warum ignorierst du mich?“ Ich sah zu ihm und erkannte, dass er lächelte. Gott, noch nie hatte ich einen solch attraktiven Jungen gesehen. Dieses Lächeln machte ihn noch unwiderstehlicher, als er eh schon war. Wusste er nicht, dass er eine große Anziehungskraft auf Mädchen ausübte? Die Antwort war klar, ja er wusste es! „Ist es Pflicht dich zu beachten?“, ich stellte eine Gegenfrage, was ihn dazu veranlasste die rechte Hand zu heben. „Non, so geht das Spielchen nicht. Ich habe zuerst gefragt, also bekomme ich zuerst eine Antwort.“ Ich seufzte und sprach: „Ich ignoriere dich nicht, sondern frage mich nur, was du hier willst.“ „Deinen Namen wissen.“, erwiderte er gelassen und ich musste grinsen. „Ja klar! Um ihn morgen wieder vergessen zu haben, oder um ihn zu behalten?“ „Jetzt so ganz ehrlich?“ Ich nickte und sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Meist erkannte ich daran, dass mein Gegenüber den lockeren Ton fallen gelassen hatte und nun in der Lage war, das, was er sagte, auch später noch zu vertreten. „Zuerst um ihn morgen nicht mehr zu wissen, aber….“ Ich wusste, dass er extra eine Kunstpause einlegte um die Spannung zu steigern, was ihm auch gelang. „Was aber?“ „Aber ich glaube nach deiner klaren Aussage gegenüber meinen Heißgeliebten Zigaretten, ist mir dein Name sogar schon eine Woche wert.“ Seine Ehrlichkeit gefiel mir und ich musste grinsen. Er tat es mir gleich und sah mich dann fragen an. „Na, auskunftsfreudiger?“ „Sakura und du?“ „Sasuke.“ Dies war der Abend, an dem ich Sasuke Uchiha kennenlernte. Er wagte es, meine geordnete Welt durcheinander zu wirbeln. Wie ein Sturm fegte er durch mein Innerstes. Dabei tat er nichts anders, als mit mir zu reden. Für jedes andere Mädchen wäre es bestimmt selbstverständlich gewesen, mit einem Jungen auf einer Party zu flirten, doch für mich war es das nicht. Schon gar nicht, wenn es ums reden ging. Ich verstand ihn und das ohne mich irgendwie anstrengen zu müssen, ihm folgen zu können. Sein Lippenbild war klar, seine Stimme dunkel und unheimlich beruhigend. Noch nie habe ich einen Abend unter Hörenden so genossen, wie in diesen Stunden. Wir redeten über Gott und die Welt, es nahm kein Ende und wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich noch Stunden lang mit Sasuke auf der Couch im Wohnzimmer sitzen können. Die Musik dröhnte in meinen Ohren, doch sie störte mich nicht. Stattdessen schaltete ich sie in meinem Kopf einfach aus. Ich brauchte meine Hörgeräte noch nicht einmal ausschalten. Überraschenderweise stellten wir viele Gemeinsamkeiten fest. Er war ebenfalls ein großer Fan von Star Wars und erwartete mit Spannung die siebte Episode. Fast über eine Stunde fachsimpelten wir darüber und ulkiger Weise muss ich gestehen, dass wir uns mit Sicherheit angehört haben wie zwei Freaks. Danach wechselten wir zu anderen Themen, Sport, Schule und schließlich landeten wir bei dem allseits gehassten Szenario Beziehungen und dem ganze Stress, der dazugehört. Sasuke seufzte tief, als ich das Thema angeschnitten hatte. Ich setzte mich aufrecht hin und musterte ihn vergnügt von der Seite, dabei nahm er einen kräftigen Schluck von seiner Cola. „Na? Keinerlei freiwilligen Auskünfte?“, ich konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen, schließlich machte er auf mich nicht gerade den Eindruck, als hätte er Probleme mit Frauen. „Toll, dass du mich an zu Hause erinnerst!“ Überrascht sah ich ihn an, denn ich verstand nicht ganz. Er bemerkte dies und erklärte widerwillig: „Mein Bruder hat vor einiger Zeit geheiratet und lebt seitdem in wilder Ehe. Das hat zur Folge, dass meine Mutter nun nach gewonnener Schlacht, was die erste Schwiegertochter angeht, mir im Nacken sitzt.“, er verdrehte die Augen, weshalb ich die Augenbrauen hoch zog. „Und das hat natürlich nur Nachteile. Lass mich raten und korrigiere mich, wenn ich falsch liegen sollte, ja?“ Skeptisch sah er mich an und ich hob einen Finger. „Erstens, sie hält jedes weibliche Wesen, das du aus irgendeinem Grund triffst oder gar mit nach Hause bringst für deine aktuelle Freundin. Zweitens, du hast Angst, in der Schule alleine bis zum Klo zu gehen, weil dir irgendein teuflisches Wesen einen Liebestrank einflößen könnte und drittens…“, Sasuke sah mich gespannt an, weshalb ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte. „… du kannst dich nicht binden, da du auf dem Fußballplatz eine Schlacht im Namen der Tore gewinnen musst und ohne dich wären deine Gefährten nichts!“ „Da hat jemand den Film Der Glücksbringer gesehen, Harry Potter gelesen und kennt sich mit Herr der Ringe aus.“, bemerkte Sasuke amüsiert, wogegen ich mich ertappt fühlte. „Hätte nicht gedacht, dass ich je ein Mädchen treffe, das Der Glücksbringer geguckt hat.“ Ich zuckte die Schultern und wollte mich nicht weiter dazu äußern. Diesen halben Porno hatte ich damals definitiv nicht freiwillig geguckt. Gezwungen von meinen Cousin und genötigt von seinen Kumpels, musste ich mir diesen Schund ansehen. Natürlich mit Untertitel, aber so ganz unter uns… es gab nicht viel Untertitel, denn die meiste Zeit würde gestöhnt und geschrien. „Und wie stehst du zum Punkt Beziehung?“ Seine Frage ließ meinen ganzen Körper erstarren, denn ich halte nicht viel davon, mit jemanden zusammen zu sein, dem man nicht vertrauen kann. Für mich hatte das Wort Beziehung eine ganz andere Bedeutung, als für Sasuke. Ich sah kurz zu Boden, dann hob ich meinen Blick wieder und sprach: „Weißt du… eine Beziehung ist für mich eine Verbindung zweier Menschen, die durchaus tiefer geht, als der äußere Schein.“ Sasuke sah mich stirnrunzelnd an, er verstand nicht, was mich selbst nicht besonders wunderte. Also begann ich erneut. „Kennst du das Sprichwort ‚Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern‘? Für mich ist es nicht Freundschaft, sondern Liebe. Und genau das ist der Punkt, weshalb ich nichts vom probieren und so halte.“, ich wusste, dass ich mich sehr schwammig ausgedrückt hatte, doch Sasuke schien es nichts auszumachen. Er schien zu überlegen und ich machte mich schon auf eine vernichtende Antwort gefasst. So la ‚du hast ein Dachschaden‘ oder so. Doch es kam anders, ganz anders. „Erinnert mich an eine Filmvorschau.“ Ich stutzte und sah ihn leicht verwirrt an, doch Sasuke schien es ernst zu meinen, denn er raufte sich die Haare. „Das Ganze spielt im Krieg, ein junger Offizier in hoher Position zeigt keinerlei Gefühle, bis er auf die junge Tochter eines Freundes trifft und sie ihm zeigt, was es heißt, Gefühle zuzulassen.“ Ich schnippte mit dem Finger und strahlte. „Du meinst Never forget! Sie waren Gegensätzlich und empfanden trotzdem so etwas wie Liebe füreinander. Allerdings wird davon kaum etwas gezeigt.“, ich erklärte, dass der Film sehr gewalttätig sei und man alle fünf Minuten eine andere Bombe hochgehen sehen würde. Dennoch gab ich nur das wieder, was mir mein Cousin vom Film erzählt hatte. „Schon geguckt?“, wollte Sasuke wissen und ich verneinte. „Wie gesagt, nur von anderen gehört.“ Überraschenderweise bemerkte ich ein leichtes Lächeln auf Sasukes Zügen. Mit einer unendlich großen Wucht wurde mir wieder bewusst, mit was für einen gut aussehenden Jungen ich mir hier schon seit Stunden unterhielt. Ich versuchte die aufsteigende Röte zu unterdrücken und glaube nicht, dass es mir in diesem Moment gelungen ist. „Vielleicht sollten wir uns den Film zusammen anschauen um uns ein Urteil darüber zu bilden.“ ~ Dieser Satz war die Aufforderung zu unserem ersten Date. Genau in diesem Moment hätte ich antworten sollen, dass ich nicht besonders scharf darauf bin Never forget! zu sehen und am nächsten Tag wäre Sasuke Uchiha aus meinem Leben verschwunden gewesen. Doch ich konnte nicht. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich in der Anwesenheit eines Hörenden, der nicht zu meiner Familie gehörte, wohl. Sasuke verursachte ein Kribbeln in meinem Körper, das mir bis dahin noch völlig unbekannt war. Erst später registrierte ich, dass es sich dabei um die ersten Anzeichen von Liebe handelte. Mit jeder weiteren SMS, die er mir schrieb, wurde das Herzklopfen deutlicher, heftiger und aufregender. Den ganzen Tag lang konnte ich auf einmal an nichts anderes mehr denken, als an die Vibration meines Handys und immer, wenn ich das kleine Briefzeichen entdeckte, musste ich unweigerlich lächeln und war umso enttäuschter, wenn er es mal nicht war. Bereits nach drei Tagen hatte ich das Gefühl, ich würde ihn schon mein ganzes Leben lang kennen. Ich lebte in einem Nebel, der sich Verliebtheit nannte und mein Verstand litt. Denn normalerweise plante ich jeden Schritt, den ich tat, wenn ich mit einem Hörenden in Berührung kam. Ich achtete auf das, was ich von mir gab, versuchte meine Unsicherheit zu überspielen und versuchte möglichst ‚normal‘ zu sein. Doch in Sasukes Anwesenheit fiel es mir so leicht, dass ich vollkommen vergaß, dass ich anders war als er. Und doch tat es gut, ein Stück dieser Normalität zu erleben, in der er lebte. Ich weiß, dass ich einen unheimlich großen Fehler damit beging, dass ich ihm nicht direkt zu Beginn von meinen Hörgeräten erzählt habe, doch ich konnte es nicht. Etwas hielt mich davon ab, auch wenn ich bis dahin noch nicht wusste, was es war. Der Samstagabend im Kino sollte ein ganz normales Date unter Jugendlichen werden, doch für mich waren diese 113 Minuten die längsten meines Lebens. Hochkonzentriert saß ich neben Sasuke und bemerkte, dass er grinste, als er mein ernstes Gesicht sah. Genervt streckte ich ihm die Zunge raus und versuchte erneut das Geschehen zu erfassen. Es war ein ausländischer Film, weshalb ich nicht Lippenlesen konnte. Mühsam konnte ich den Gesprächen folgen, auch wenn ich weniger als die Hälfte verstand. Durch bestimmte Handlungen der Schauspieler konnte ich mir die Dialoge zusammenreimen. Standen sich der Offizier und sein Vater gegenüber, dann redeten sie über irgendetwas. An ihrer Mimik konnte ich erkennen, dass es um etwas Unangenehmes ging. Dann knallte einer der beiden sein Glas auf den Tisch und ich reimte mir zusammen, dass die Person verärgert war oder etwas Störendes ausgemacht hatte, wie zum Beispiel ein Problem, das auf ihn zurollte. Aber der entscheidende Hinweis kommt meist zum Schluss. In diesem Fall war es die verkniffene Miene des Offiziers, und der herablassende Blick seines Vaters. Wegen all dieser kleinen Anhaltspunkte wusste ich am Ende, dass es in dem Gespräch um die große Liebe des Offiziers und seinen Ruf ging. Schwerstarbeit nannte meine Freundin Tenten einen Kinofilm ohne Untertitel immer. Und leider musste ich ihr zustimmen. So ein Film forderte so viel Konzentration, dass ich mich danach meist fühlte, als hätte ich eine vierstündige Mathe-Klausur hinter mir. Im Klartext: Ich war fix und fertig! Zusammen mit Sasuke trat ich schweigend nach draußen, während die anderen Menschen, die mit uns im Kinosaal gesessen hatten, vergnügt miteinander schwatzen. Ich dagegen brauchte erst einmal die kalte winterliche Luft, um wieder einigermaßen klar im Kopf zu werden. Es tat mir unendlich gut, in die Nacht hinauszutreten und den dunklen Himmel zu sehen. Sofort wurde meine Nase fast taub von der Kälte, doch das mochte ich. Mein Atem hinterließ eine Spur in der Luft und ich musste lächeln. „War der Film so schlimm, dass du dich erst jetzt dazu durchringen kannst, wieder eine Regung von dir zu geben?“, witzelte Sasuke trocken und ich verpasste ihm einen leichten Rippenstoß. „Blödmann!“ „Und?“, er sah mich fragend an. „Wie fandest du den Film?“ Ich seufzte tief und sprach: „Es wurde tatsächlich viel geballert, aber das war auch ganz gut so.“, sofort spürte ich seinen verwunderten Blick auf mir und mir lief eiskalt ein Schauer über den Rücken. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, denn ich hatte etwas Entscheidendes vergessen… In Sasukes Anwesenheit fühlte ich mich so wohl, dass ich vergas, dass ich schwerhörig war und genau das war der Knackpunkt, oder eher die Grenze zwischen uns. Er wusste nichts davon und ich hatte mir geschworen, dass ich es ihm auch niemals sagen würde. Denn ich wusste, würde ich ihm davon erzählen, würde die Verbindung zwischen uns abreißen. Sasuke wäre nicht der Erste, der sich aus Unsicherheit zurückziehen würde. Doch das wollte ich nicht. Ich will diesen Jungen halten, egal wie! Mittlerweile war ich so egoistisch, dass ich unbedingt weiter ein Teil seines Lebens sein wollte. Egal ob wir uns per SMS unterhielten, so wie jetzt einfach nur durch die bereits geschlossene Stadt schlenderten oder uns so wie auf Narutos Geburtstags-Party unterhielten. Ich wollte nur in Sasukes Nähe sein, seiner Stimme lauschen und in sein schönes Gesicht blicken. „So, so vor ein paar Tagen hast du noch behauptet, Geballer hängt dir bis zum Hals raus und auf einmal bist du froh, dass der Film ausschließlich aus Krach bestand.“, er schien belustigt, weshalb ich mein Hirn durchforstete, welche brauchbare Erklärung ich ihm liefern könnte. „Hey, ein bisschen Action tat dem Film ganz gut.“ Sasuke lachte. Er lachte so laut, dass ich ihn verdattert anstarrte und stehen blieb. Die Blicke fremder Leute hafteten auf uns, doch das störte mich nicht. Viel mehr sah ich auf den brüllenden Jungen an meiner Seite. Energisch stemmte ich die Hände in die Hüfte und wollte wissen: „Was ist daran bitte schön so lustig?“ Sasuke bemühte sich, sich zu beherrschen. „Du bist seltsam, Sakura!“ Seltsam? Warum war ich seltsam? Nur weil ich meine Meinung geändert hatte? Ich zuckte mit den Schultern und setzte den Weg zum Hauptbahnhof fort. „Dann sind Politiker verrückt, denn die ändern mehr als nur einmal ihre Meinung.“ „Hey!“, Sasuke legte eine Hand auf meine Schulter und mir war, als würde die Stelle, die er berührt hatte, brennen. „Seltsam ist doch immer noch besser als…“, er suchte nach dem richtigen Wort, weshalb ich aushalf. „… langweilig!“ Er nickte und bestätigte: „Richtig, immer noch besser als langweilig.“ Ich konnte nicht anders und musste grinsen, was ihn aus dem Konzept zu bringen schien. Also erbarmte ich mich und ärgerte ihn ein wenig. „Genau, das Wort scheint perfekt für dich zu passen.“ Deutlich sichtbar zuckte seine rechte Augenbraue, wahrscheinlich wusste er nicht, ob ich sarkastisch war oder meine Worte tatsächlich ernst meinte. Sollte er es am besten selbst herausfinden. „Okay… wie genau definierst du langweilig?“ Ich versuchte ihn ein wenig hinzuhalten, indem ich den Kopf schief legte und nachdachte. „Weiß nicht… kannst du irgendetwas besonders gut?“ Natürlich kannte ich die Antwort, schließlich war das Guthaben meines Handys nicht umsonst aufgebraucht und Sasuke enttäuschte mich in diesem Punkt auch nicht. „Fußball!“ Gelassen winkte ich ab. „Natürlich und 30. 000 andere Jungen in deinem Alter ebenfalls. Nichts Besonderes.“, deshalb die Langeweile, setze ich in Gedanken hinzu und grinste noch eine Spur breiter. Doch plötzlich und ohne Vorwarnung blieb Sasuke stehen und beugte sich ein wenig zu mir runter. Seine überraschende Selbstsicherheit warf mich ein wenig aus dem Konzept, denn wieder huschte ein zartes, leichtes Lächeln über seine Lippen. Und zum ersten Mal war ich ihm nahe genug, sodass ich erkennen konnte, was sein Lächeln so besonders machte. Die Antwort war einfach, fast schon simpel. Seine Augen strahlten mit, wenn er lächelte. „Soll ich dir zeigen, was ich wirklich gut kann, ohne dass du es bestreiten kannst?“ Ich sah ihn herausfordernd an und bemerkte, dass unsere Nasenspitzen sich dabei fast berührten. „Nur zu, Langweiler.“ Sekunden verstrichen und dann passierte das Unfassbare. Er wagte es doch tatsächlich, mich zu küssen. Weiche, warme Lippen legten sich auf meine und sie verschmolzen miteinander. Meine Knie wurden weich und drohten einzuknicken, doch Sasuke hielt mich fest und drückte mich so ein Stück an sich. Wie von selbst legten sich meine Hände auf seine Schultern und fanden so Halt. Ich musste ohne Widerworte eingestehen, dass er, abgesehen von Fußballspielen, auch Küssen wirklich gut konnte. Er machte aus dieser einfachen Geste einen kostbaren, nahezu unglaublich wertvollen Augenblick. Der Kuss wurde leidenschaftlicher und für mich schien die Zeit stehen zu bleiben. Eine bislang unbekannte Wärme kroch an mir hoch und verbreitete sich bis in meine Haarspitzen. An diesem Abend küsste ich den Jungen, der mir einmal so wichtig sein sollte, dass ich mich für ihn selbst belog. Bis heute bin ich in meinem Leben immer zu meiner Behinderung gestanden und war selbstbewusst mit ihr umgegangen. Solange bis ich Sasuke traf. Er machte etwas mit mir, was ich bis heute nicht erklären kann. Nur wegen ihm log ich, dass es mir in der Seele wehtat, doch in diesem Augenblick konnte ich nicht anders. Sasuke fragte mich einmal, warum ich meine Haare nie zusammen trug. Ich antwortete, dass er mich mit zusammengebundenen Haaren hässlich finden würde. Er hatte nur gelacht, mir die Haare zerzaust und sich wieder seinem Kaffee gewidmet. Er hatte es als einen Witz aufgefasst, doch für mich war dieser Scherz brutaler Ernst gewesen. Ich wusste, sobald er die harte Realität, in der ich mich bewegte, mitbekommen würde... ja... dann würde er handeln wie alle anderen Mensch auch. Und ich wäre wieder alleine. Zu sehr liebte ich ihn, als dass ich das Risiko eingehen wollte, ihm meine andere Seite, welche tief in mir steckte, zu offenbaren. Einmal, als er mich fragte, wie ich Hinata und Sai kennen gelernt hätte, log ich erneut. Seine abfällige Bemerkung gegenüber meinen Freunden, hätte mir zeigen müssen, dass dieser Junge es nicht wert war, dass ich versucht mich von Menschen zu distanzieren, mit denen ich schon mehrere Jahre eng befreundet war und die mir in schlechten Zeiten oft zur Seite gestanden hatten. Nach Sasukes Meinung, sollte Hinata grundsätzlich Lautsprache sprechen und auf die Gebärdensprache verzichten. Denn die Art und Weise, wie sie kommunizierte, ist auffällig und nach Sasuke peinlich. Es würde aussehen, wäre sie geistig nicht ganz da und die komischen Laute, die Sai manchmal von sich gab, wenn er sich aufregte sollten verboten werden. Schließlich würde man die beiden so, niemals irgendwo mit hinnehmen können, da sie in Gefahr liefen einem zu blamieren. Wir lebten in zwei verschiedenen Welten. Uns trennte eine Line, eine unsichtbare Mauer, die sich nur durch sehr viel Zeit, Vertrauen und Geduld einreißen ließe. Ich bezweifelte, dass Sasuke es je schaffen würde, das Wunder zu vollbringen, dass ich mich so wie ich bin, von ihm geliebt fühlte. Ich wollte auch gar nicht wissen, ob er in der Lage war, mit meinem wirklichen Wesen umzugehen. Es ist egoistisch, ihm etwas vorzuspielen, doch es ist die einzige Möglichkeit, die ich sehe, um ihn weiterhin um mich zu haben. Dafür nehme ich gerne all die Anstrengung in Kauf, die es mir einbringt, wenn ich mit ihm zusammen bin. Sind wir auf eine Party, so habe ich Mühe, immer mitzukommen. Nach einem Stadionbesuch trommeln mir noch Stunden später die Ohren, denn ich wage es in seiner Anwesenheit nicht, meine Hörgeräte heimlich auszumachen, sodass ich den Lärm nur noch gedämpft und leise vernahm. Dem Telefon ging ich so gut ich konnte aus dem Weg, jedes Mal fiel mir eine neue Ausrede ein, doch mir war bewusst, dass ich nicht ewig so weitermachen konnte. Einzig und alleine dies zählte. Gerne dachte ich an meinen ersten Kuss von Sasuke zurück, denn es folgten weitere, dazu kamen zärtliche Berührungen und einzigartige, wunderbare kleine Momente, die ich nicht in Worten fassen kann. Ich glaube, der wohl wunderbarste Moment war für mich der, als Sasuke in meinem Zimmer meine Kamera entdeckte. Ehrfürchtig hatte er mich angesehen und gefragt, was mein Lieblingsobjekt war. Die Antwort war einfach gewesen. Ich mochte das träumerische, geheimnisvolle und doch melancholische. Es war die perfekte Mischung aus Harmonie und Leben. Sasuke hatte meine Antwort nicht ganz verstanden, nur ein leichtes Lächeln war über sein Gesicht gehuscht. Ein Lächeln, das mehr als tausend Worte sagte. Mit Naruto hatte ich bereits eine heftige Diskussion geführt. Er verlangte von mir, dass ich Sasuke genauso ehrlich gegenüberstand, wie er mir. Ich konnte es verstehen, schließlich hatte niemand gerne Geheimnisse vor seinem besten Freund. Narutos Worte hallten in meinem Kopf wider. Wütend hatte er mir vorgeworfen, ich würde Sasuke an der Nase herumführen, schließlich sei Schwerhörigkeit nicht wie Mongolismus schon von Weitem erkennbar. Meinen Einwand, ich wäre trotzdem ein Krüppel, den man gerne links liegen ließe, ließ er nicht gelten. Mittlerweile glaube ich zu wissen, woher Narutos soziale Einstellung kommt. Der Junge wollte eine Ausbildung zum Krankenpfleger machen und war durch ein Praktikum mit allen möglichen Arten von Hilfsmaterialien vertraut. Vom Rollstuhl zum Laufstock bis zum Rollator. Für ihn waren Hörgeräte nichts anders, eine selten realistische Ansicht. Ich fragte mich seitdem, warum Naruto nicht erst als Zivi eine Art Zivildienst leisten wollte, bevor er sich sein Leben lang dem Krankenhaus widmete. Mein Gedankengang bezüglich meines neuen Freundes wurde unterbrochen Jemand zupfte an meinem Ärmel und mit einem Mal befand ich mich wieder in der Realität. Ich war von meinen Gedanken abgekommen und brauchte nun ein paar Sekunden um zu realisieren, dass ich noch immer mit Tenten beim Hörgerätakustiker verweilte. Ich hatte mich mit ihr getroffen und in der Stadt war mir schließlich eingefallen, dass ich dringend neue Batterien brauchte. Nachdem ich sie gekauft hatte, traten wir auf die Straße und meine brünette Freundin warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Entschuldige Sakura, ich… los. Sai wartet… mich. «, ihre Augen leuchteten und ich seufzte. Der Schnee wurde dichter und die Flocken, die Richtung Erde segelten, nahmen kein Ende. Die Vorweihnachtszeit war in vollem Gange und wurde durch den vielen Schnee versüßt. Wenn das so weiter ging, dann würde ich bald bis zur Hüfte im Schnee stecken. »Wann sagst du mir… mit dir und Sai was läuft? « Tenten warf ihr langes, brünettes Haar nach hinten und grinste schelmisch. »Dann… er… über seinen Schatten gesprungen… und was passiert…, was … Bedeutung beimessen… « Na dann prost, denn ehe Sai ein vernünftiges Wort oder gar eine Heldentat springen lässt, bin ich eine Oma im stolzen Alter von 75 Jahren. Ich kannte meinen besten Kumpel und wusste, dass er bis jetzt zwar schon eine Menge Freundinnen gehabt hatte, aber keine war bis jetzt gut genug für die magischen drei Worte oder seine Eltern gewesen. Tenten hauchte mir frohen Mutes rechts und links ein Küsschen auf die Wange, ehe sie zu ihrem Date abzischte. Eine Weile sah ich ihr nach, bis etwas in meinem Ohr zu tuten begann. Sofort zog ich mir die Mütze vom Kopf, um besser an mein rechtes Hörgerät zu kommen. Ich strich meine Haare hinter das Ohr und klemmte mir die Mütze unter den Arm. In einer Hand hielt ich mein Gerät und mit der anderen angelte ich nach einer Batteriepalette. Was hasste ich es, wenn die Batterien alle gingen! Dieser dämliche Tut-Ton würde mich noch einmal um den Verstand bringen, denn jedes Mal wenn er sich bemerkbar machte erinnerte er mich an meinen letzten Hörtest. Nichts war schlimmer, als mit Kopfhörer und Knöpfchen in der Hand darauf zu warten dass man ein Geräusch vernahm, wenn andere die daneben saßen sich schon die Ohren zuhielten, da sie den Krach nicht ertragen konnten. Nach einer halben Ewigkeit hatte ich es geschafft, die winzige Batterie rein und raus zu fummeln. Gerade als ich das Hörgerät einsetzen wollte, erstarrte ich, meine Augen weiteten sich und alles in mir gefror zu Eis. Nein! Ich drehte mich nach rechts und blickte in Sasukes fassungsloses Gesicht. Unablässig sah er auf mein Hörgerät, welches ich noch immer in meiner Hand hielt und Richtung Ohr führte. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, ehe ich eine weitere Regung bei ihm ausmachen konnte, obwohl nicht mehr, als ein paar Sekunden vergangen sein konnten. Sein ungläubiges Gesicht verwandelte sich in eine Maske. Kälte fuhr durch meine Glieder und ich versuchte etwas zu sagen, als ich bemerkte, dass sich seine Augen verdunkelten. „S-Sasuke…“, ich rankte nach Worten. „Was für ein Zufall dich hier zu treffen, machst du Weihnachtseinkäufe?“ „Spar dir das Geplärr!“ Es war wie ein Schlag ins Gesicht, sofort blieb ich stehen und bemerkte, dass er einen Schritt zurückgegangen war. Herablassend sah er auf mich herunter, all seine Freundlichkeit, die ich bis jetzt zu spüren bekommen hatte, war verschwunden. Seine strahlenden Augen, in die ich mich verliebt hatte, betrachteten mich nur noch mit Abscheu. „I-Ich kann dir das erklären, bitte Sasuke können wir nicht-!“, ich versuchte ihn zu berühren, doch er schlug meine Hand weg. „Reden?“, spuckte er mir entgegen. „Worüber? Das du eine taubstumme Tussi bist?“ WUMM! Der Boden unter meinen Füßen teilte sich. Etwas in mir zerbrach in tausend Teile. Ich konnte förmlich spüren, wie etwas sehr Wertvolles zu meinen Füßen zersplitterte. In Scherben, die sich nicht mehr zueinander fügen lassen würden. Während mein Herz für einen Moment aussetzte, um dann zerstört zu werden, tat ich etwas, was ich schon viel eher hätte tun sollen. Diese paar Sekunden reichten aus, um mir etwas Wichtiges klar zu machen. Ich hatte Zeit an einen Mistkerl verschwendet, der mich wie den letzten Dreck behandeln würde, sobald er mich richtig kennen lernen würde. Egal wie sehr ich mich bemühen würde, egal wie sehr ich versuchen würde, mich anzupassen, egal wie oft ich mich selbst verleugnen würde, niemals würde ich die Mauer zwischen Sasuke und mir einreißen können. Der Fehler lag nicht bei mir und meinen Hörgeräten, sondern einzig und alleine bei ihm. Denn solange er nicht nach einem Ziegelstein greifen würde, so lange würde ich verzweifelt alleine und umsonst kämpfen. Meine Hand schellte nach oben und bevor ich realisierte, was ich tat, hatte ich ihn auch schon geohrfeigt. Tränen der ohnmächtigen Wut stiegen in mir auf. Noch nie hatte ich mich so schlecht gefühlt. So erniedrigt und gedemütigt. „Wie kannst du es wagen!“, flüsterte ich und ballte meine linke Hand zur Faust, während Sasuke sich die Wange hielt. „WIE KANNST DU ES WAGEN, DU IGNORANTER ARSCH!“, meine Stimme überschlug sich. Überrascht blieben einige Passanten stehen, doch Sasuke schienen meine Worte nicht zu berühren. Noch immer sah er mich angewidert an, fast als wäre ich seiner nicht würdig und ein Stück Dreck. „Was denn?“, Sasukes Gesicht wurde gehässig. „Kannst du es nicht vertragen, wenn dir jemand die Wahrheit sagt?“ Ich spürte, dass ich rot anlief vor Zorn. Bleib ruhig Sakura, versuchte ich mir selbst einzureden, doch innerlich bebte ich. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, mit welcher Kraft ich es fertig brachte zu lächeln und ihm genau das zu sagen, was ich dachte. „Wie kannst du es wagen, über etwas zu urteilen, wovon du keine Ahnung hast! Du weißt doch noch nicht einmal, was taubstumm wirklich bedeutet. Für dich ist jeder Behinderte eine Schande für deine Augen! Weißt du, wie man Menschen wie dich nennt? Asoziale Schweine!“, eine Träne rollte über meine Wange und ich wendete mich von ihm ab. Ich wollte nur noch weg von ihm. Wie hatte ich annehmen können, dass Sasuke anders war, als die Hörenden Jungen, die ich bis jetzt kennengelernt hatte? War ich wirklich so naiv, das zu glauben? Tränen verschleierten meine Sicht, blind rannte ich über die Straße und versuchte den Schmerz in meiner Brust zu unterdrücken. Warum tat er das? Glaubte er, ich hätte ausgesucht schwerhörig zu sein? Das glaubte er doch wohl selbst nicht! Ich stürzte, konnte mich jedoch gerade noch rechtzeitig halten und stolperte ungeschickt ein paar Meter weiter. Der Schnee wurde heftiger, doch das nahm ich in diesen Moment gar nicht wahr. Ich rannte zu der Verkehrsinsel und wischte mir mit den Ärmeln über die Augen. „SAKURA!“ Wie auf Kommando blieb ich stehen und das keine Sekunde zu spät. Ein paar Zentimeter vor meiner Nase rauschte eine Straßenbahn vorbei. Geschockt drehte ich mich um. Warum hatte ich sie nicht gehört, aber meinen Namen schon? Wie in Trance starrte ich Sasuke an, sein Gesichtsausdruck war zuerst panisch, dann entspannten sich seine Züge und er wollte etwas sagen. Genau in diesem Moment drehte er ruckartig den Kopf nach links und- Die Welt um mich herum versank in Chaos. Ein Auto erfasste ihn. Er war mir nachgelaufen, um mich aufzuhalten, vor Erleichterung, dass ich ihn gehört hatte, war er stehen geblieben und vergaß dabei, dass er auf einer Straße stand. Der rote Corsa schaffte es auf der glatten Fahrbahn nicht mehr rechtzeitig zu bremsen. Vor meinen Augen knallte Sasuke in die Windschutzscheibe, rollte von der Motorhaube und wurde auf die Straße geschleudert. Die Menschen um mich herum kreischten auf und rannten auf ihn zu, um ihm zu helfen. Doch ich stand noch immer unbewegt an derselben Stelle und starrte auf den am Boden liegenden Jungen. Der Schnee segelte weiter auf den Boden und bedeckte die Straßen mit einer weißen Flutwelle. Alles sah so wunderbar friedlich aus, doch ich wusste, dass unter dieser Fassade noch immer derselbe Alltag lag. Der Alltag, der mich einholte, doch nichts desto trotz sah ich immer wieder das Gesicht des Jungen vor meinem geistigen Auge, in den ich mich verliebt hatte und der mich spüren ließ, wie sehr er Menschen mit einer Behinderung verabscheute. Doch dann wurde das Bild verschwommener und ich dachte an den Augenblick, als sich seine panische Miene in Erleichterung umwandelte und er mir etwas sagen wollte, Worte die ich wahrscheinlich nie zu hören bekommen würde. Ich dachte an seine wunderschönen dunklen Augen, die in diesem einzigen Moment nicht herablassend oder gar angewidert auf mich heruntersahen, sondern ihren Glanz wiedererlangt hatten, der mich so bezaubert hatte. Knapp drei Wochen hatte Sasuke im Saint-Joseph-Klinikum verbracht. Ich wusste nicht genau, was ihm passiert war, denn in diesen drei Wochen stand ich vier Mal vor seiner Zimmertür, doch immer wieder hatte mich der Mut verlassen. Hatte er mir nicht all zu deutlich gesagt, was er von mir hielt? Der pochende Schmerz in meiner Brust, wenn ich an ihn zurückdachte, machte die Sache nicht viel erträglicher. Ich versuchte mein Leben weiter zu leben, ging wie jeden Morgen zur Schule, setzte stets eine heitere Mine auf und versuchte wie immer zu sein. Doch genau dies ging nach hinten los. Immer wieder wurde ich von Hinata gefragt, ob ich die SMS von ihr bekommen hätte. Meine Antwort war immer die gleiche. Nein… ich lud seit jenem Vorfall mein Handy nicht mehr auf. Der Akku war leer und mein geliebtes Nokia lag regungslos auf meinem Schreibtisch und genau dort würde es auch noch ziemlich lange bleiben. Ich hatte keine Lust, nach der Schule mit meinen Freunden in Kontakt zu treten. Auch meinen Computer mied ich. Stattdessen zog ich lieber ziellos mit meiner Canon durch die Gegend und suchte nach einem geeigneten Motiv. In ein paar Wochen würde ein Wettbewerb starten und ich wollte unbedingt noch ein Bild einschicken. Die Zeit wurde knapp, doch ich war mir sicher, noch etwas zu finden, was ich ruhigen Gewissens einreichen konnte. ~ „Sakura, würdest du bitte einen Moment warten?“ Ich hatte meine Schultasche bereits gepackt und wollte gerade hinter meinen sechs Klassenkameraden hinterher stürmen, als mich mein Klassenlehrer zurückhielt. Überrascht setzte ich mich wieder und stülpte mir meine Mütze über. „Ja, Kakashi-sensei?“ Mein Lehrer musterte mich wachsam und klappte sein Englischbuch zu, dann setzte er sich auf das Pult und sprach: „Kann es sein, dass du Probleme hast?“ Verblüfft sah ich ihn an und er sprach weiter, dabei zierte noch immer ein sanftes Lächeln seine Lippen. „In letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass du mit deinen Gedanken oft ganz woanders bist, als in meinem Unterricht.“ „Tut mir leid.“ „Nein, das braucht es nicht. Ich hätte nur gerne gewusst, warum.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist nichts Sensei, wirklich!“, Kakashi-sensei hatte noch nie lange nachgebohrt, es war nicht seine Art. Und manchmal war dies wirklich ein weiser Zug von ihm. Er nickte und ich schritt Richtung Tür, doch bevor ich nach der Türklinke greifen konnte, blieb ich automatisch stehen. „Sensei?“ Er drehte sich zu mir um und signalisierte mir somit, dass ich seine vollste Aufmerksamkeit hatte. Es viel mir nicht leicht, jedoch schaffte ich es zögernd die richtigen Worte zu finden. „Hatten Sie schon einmal das Gefühl, jemand der ihnen wichtig ist, lebe in einer anderen Welt… deren Grenze Sie nicht überschreiten können?“, er sah mich stumm an und ich bemerkte, welche Peinlichkeit ich von mir gegeben hatte. „Vergessen Sie es! War eine dumme Frage!“ „Ja, ich weiß, was du meinst.“, er sah kurz auf das Englischbuch in seinen Händen und mir wurde klar, dass mein Sensei es ernst meinte. „Als ich 16 war, brachte meine Schwester ihren neuen Freund mit nach Hause. Er war gehörlos und konnte nur schlecht sprechen. Meine Schwester und meine Eltern verstanden ihn, doch ich konnte versuchen was ich wollte, nie verstand ich auf Anhieb, was er meinte. Ich begann ihn zu hassen, denn er war so anders als ich, nicht normal, wie ich es damals noch definierte. Er sollte dahin zurück, wo er herkam.“, Kakashi-sensei lächelte, obwohl die Worte hart gewählt waren. „Später erkannte ich, dass es sich bei meiner Reaktion um Angst gehandelt hatte. Angst vor etwas Unbekanntem, etwas anderem und fremdem.“ Ich sah zu Boden und schluckte hart. Angst vor etwas fremdem… natürlich hatte ich mir meine Gedanken gemacht, warum Sasuke so herzlos und ablehnend reagiert hatte. Doch Angst war mir dabei nie in den Sinn gekommen. Die Antwort war so simpel und klar, dass ich mich schämte, nicht selbst darauf gekommen zu sein. Doch das schlimmste für mich war, dass ich ihn sogar verstehen konnte. Ich sah auf, etwas in meinem Inneren hatte sich verändert. „Kakashi-sensei?“ „Ja?“ „Danke!“ Dann rannte ich. Ich rannte einfach drauf los und wusste genau, wohin mich mein Weg führen würde. Wenn ich heute Abend nach Hause kam, würde ich mein Handy sofort aufladen, mich bei meinen Freunden melden und dem Trübsal den Kampf ansagen. Ganz egal, wie der Tag heute ausgehen mochte. Während ich durch die Straßen rannte, die Straßenbahn hinter mir ließ und schließlich durch eine unbekannte Gegend irrte. Mein Atem ging heftig und ich suchte die Straßenschilder ab. Mein schwerer Rucksack mitsamt den Schulbüchern zog an meinen Schultern, doch ich wollte mich nicht davon abhalten lassen, ihn aufzusuchen. Den Jungen, der meine Welt aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Von Hinata wusste ich seit ein paar Tagen, dass Sasuke wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war und seitdem zu Hause weilte. Ich musste mit ihm reden, über das, was passiert war und über das, was ihn dazu bewogen hatte, mir derart heftige Worte an den Kopf zu werfen. Wenn er mich hasste, weil ich in seinen Augen als behinderter Mensch nichts wert war, dann würde ich gehen und ihn für immer vergessen. Doch wenn seine Reaktion pure Unsicherheit gewesen war, dann würde ich ihm helfen, seine Berührungsangst gegenüber etwas anderem, behindertem zu überwinden. Vor einem großen, prachtvollen Haus blieb ich stehen und warf einen Blick auf den Hausnamen. Das Uchiha-Anwesen. Ich wusste ja, dass Sasuke aus einer vornehmen Familie kam, aber dass er aus solch einer gut betuchten Familie kam, hatte ich nicht geahnt. Ein wenig verunsichert schritt ich durch den Vorgarten und klingelte an der Haustür. Meine Hände waren verschwitzt und ich hoffte, dass ich ruhig bleiben würde. Ich konnte überhaupt nicht einschätzen, wie Sasuke reagieren würde, wenn er mich sehen würde. Zumal ich nicht den Mut aufgebracht hatte, ihn zumindest im Krankenhaus zu besuchen, eine einfache Tür hatte uns voneinander getrennt. Doch jetzt würde ich das letzte Hindernis hinter mir lassen. Eine hübsche schwarzhaarige Frau, die höchst wahrscheinlich Sasukes Mutter war, öffnete mir und bat mich herein. In knappen Worten erklärte sie mir den Weg zu ihrem jüngsten Sohn und entschuldigte sich, dass sie sich leider nicht mit mir austauschen könne, da Besuch sie im Wohnzimmer erwarte. Sie nahm mir Mantel und Schultasche ab und verschwand wieder. Also tappte ich mich alleine durch das unheimlich große Haus. Dabei legte ich mir schon einmal die Worte zurecht, die ich gleich sagen wollte. Vor der besagten Tür blieb ich stehen. Noch einmal holte ich tief Luft, bevor ich an der Tür klopfte und sie kurz darauf öffnete. Zuerst fiel mein Blick auf das riesige Fenster, das einen fantastischen Ausblick auf den großen Garten aufwies, dann bemerkte ich den großen Schreibtisch, das breite Bett und eine so genannte Fernsehecke. Das Zimmer gefiel mir gut, es war hell und liebevoll eingerichtet. Ich setzte gerade den ersten Schritt nach vorne, als eine schlecht gelaunte Stimme sprach: „Verschwinde Mom, ich habe keinen Hunger.“ Ich zuckte zusammen und sah mich erschrocken um, da ich die Stimme nicht orten konnte. Sasuke klang genervt, doch seinen Aufenthaltsort konnte ich nicht ausmachen. Ein wenig verwirrt setzte ich ein paar Schritte weiter ins Zimmer und suchte nach schwarzen Haaren. „Verdammt ich habe gesagt, dass ich-!“ Ich zuckte zusammen und riss meinen Kopf nach links. Sasuke wirkte verblüfft mich zu sehen, doch ich selbst war mehr geschockt, als in irgendeiner Weise überrascht. Ein weißer Verband verdeckte Sasukes Stirn, wahrscheinlich die Folgen einer Kopfverletzung. Das große Pflaster auf seiner Wange stoppte die Blutung des tiefen Schnittes, den die Windschutzscheibe seinem Gesicht zugefügt hatte. Was hatte ich erwartet? Dass seine Verletzungen von einem Tag auf den anderen heilen würden? Wie naiv ich mal wieder gewesen war. Sasuke erhob sich von der Eck-Couch, auf der er bis eben noch gelegen hatte und kam auf mich zu. Er schien nicht so recht zu wissen, was er sagen sollte, zu sehr hatte ich ihn überrumpelt. Also lag es an mir den ersten Schritt zu machen. Ich holte tief Luft und verknotete meine Finger miteinander. „Ich weiß, dass du mich nicht sehen willst.“, sprach ich leise und blickte ihm dabei geradewegs ins Gesicht, denn würde ich wegsehen, so wäre es nur ein Zeichen der Schwäche und schwach war ich nicht. Schwach… ich war stark und hatte nichts mehr zu verbergen oder zu verlieren. „Aber ich bin hier, weil ich mit dir reden muss.“ Sasuke wollte einen Schritt auf mich zugehen, doch ich hob die Hände und trat sofort einen Schritt zurück. „Nein, bitte bleib, wo du bist.“, sofort tat er das worum ich ihn bat und ich ließ die Hände sinken. Ich wollte nicht, dass er es mir durch seine Nähe noch schwerer machen würde. Nervös strich ich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und sprach: „Seit dem Vorfall vor ein paar Wochen hatte ich genug Zeit zum nachdenken. Mir ist klar geworden, dass es falsch war, dass ich dir verschwiegen habe, dass ich hörgeschädigt bin, ich war nicht ganz fair dir gegenüber.“, ich bemerkte, dass sich sein Blick zum Boden senkte und er die Hände in der Jeanshose vergrub. „Allerdings stellte ich mir gleichzeitig die Frage, ob es etwas geändert hätte. Deswegen frage ich dich jetzt Sasuke, wenn du von Anfang an gewusst hättest, dass ich eine taubstumme Schlampe bin, wie du es definierst, wärst du dann jemals mit mir ausgegangen? Oder hättest du mich auf Narutos Party so schnell wie möglich abserviert? Antworte ehrlich!“ Er seufzte tief und sah mich an, dabei bemerkte ich, dass dunkle Schatten unter seinen Augen lagen. „Ganz ehrlich?“, ich nickte und er sprach weiter. „Ich weiß es nicht. Keine Ahnung Sakura und weißt du, ich will mir diese Frage auch nicht stellen.“ Ich verstand und etwas in mir verkrampfte sich. „Schon klar… ja…“, ich lächelte gezwungen, was mir sichtlich schwer fiel. „Nein, nicht klar!“, fiel mir Sasuke scharf ins Wort und sah mich ernst an. „Ich habe mich wie das letzte Arschloch benommen, Sakura!“ Ich blinzelte und ging automatisch noch einen Schritt zurück, wobei ich gegen die Tür stieß. „B-Bitte?“ „Ich weiß nicht, was an jenem Tag in mich gefahren ist, doch als ich sah, dass du…“, er suchte nach den richtigen Worten und mit einem Mal erkannte ich seine Unsicherheit, die er die ganze Zeit versuchte in den Griff zu bekommen. Immer wieder strich er sich durch die schwarzen Haare oder zupfte an dem Verband seiner rechten Hand. „Dass du Hörgeräte trägst und Hinata nicht unähnlich bist. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Überleg mal, wie ungerecht ich Hinata und Sai gegenüber war, als ich glaubte ihnen weismachen zu müssen, dass sie in der Gesellschaft auffallen würden und somit einen peinlichen Status hätten. Das ich dich damit einbeziehe, ist mir im Traum nicht klar gewesen, denn mir ist ja noch nicht einmal aufgefallen, dass du genauso ein Handicap hast, wie sie.“, ohne dass ich es bemerkt hatte, war er mir näher getreten. „Es gab genug Anhaltspunkte und ich habe sie alle übersehen.“ Ich schwieg dazu. In der Tat im Nachhinein gab es wirklich genug Dinge, die mich verraten hätten, doch Sasuke hatte trotzdem nie etwas bemerkt. „Du solltest es ja auch nicht merken.“ Er lächelte schwach und ich kam nicht drum herum, es zu erwidern. „Sasuke… warum hast du so abweisend reagiert, als du bemerkt hast, dass ich nicht richtig hören kann?“ Erneut seufzte er tief und fing an mit den Händen Gesten zu formulieren. „Ich will dich nicht verletzten Sakura, was ich eh schon gemacht habe.“, ergänzte er nüchtern. „Aber in diesem Moment, als mir klar wurde, dass du anders bist als ich, du die Welt um dich herum anders wahrnimmst, es war als würde ich dich nicht kennen. Und eine Grenze hatte sich zwischen uns gesetzt.“ Ich schluckte leicht, denn er meinte genau die Grenze, die ich die ganze Wochen gespürt hatte, die Grenze, die mich daran gehindert hatte, ehrlich zu Sasuke zu sein. „Irgendwie hatte ich Angst.“ Es waren die gleichen Worte wie bei Kakashi-sensei und doch hatten sie dieses Mal für mich eine ganz andere Bedeutung. Eine Bedeutung die sehr viel tiefer ging. Ich hob den Kopf und sprach: „Willst du gegen diese Angst ankämpfen?“, meine Stimme klang sehr viel leiser, als ich es beabsichtigt hatte, denn Sasuke stand kaum noch einen Schritt entfernt von mir. Ich konnte die tiefe seiner Augen sehen, atmete seinen Duft ein und musste den Impuls unterdrücken, mit meiner Hand an seiner verletzten Wange entlang zu streichen. „Ja.“, sein Atem streifte mein Gesicht und ich bekam eine Gänsehaut. „Aber ich möchte, dass du mir dabei hilfst. Denn ich möchte… auch diese Seite an dir… kennenlernen.“, seine Worte waren so leise, dass ich ihn kaum verstanden hatte. Doch in diesem Moment wurde mir der unglaublich große Sieg bewusst. Es war ein Sieg gegen Sasukes Angst und ich glaubte fest daran, wenn er es wirklich wollte und die andere Seite an mir wirklich eines Tages akzeptieren konnte, dann konnten die anfänglichen Gefühle, die sich zwischen uns entwickelt hatten, an Tiefe gewinnen, die uns beiden noch vollkommen fremd war. Ich spürte, wie Sasukes raue und große Hand meine berührte. Zärtlich strichen seine Fingerkuppen zuerst über meine Handfläche, ganz so, als müssten sie zuerst ein vollkommen unbekanntes Land erkunden. Diese eine zärtliche Geste ließ mich lächeln. Wie sehr hatte ich mich nach seiner Nähe gesehnt? Die Antwort war einfach, zu lange. Ich bemerkte, dass sich nun auch seine andere Hand um meine schloss und sah direkt in sein wunderschönes Gesicht. Die Verletzungen taten seiner Ausstrahlung keinen Abbruch. Sasuke lächelte, als er bemerkte, dass auch ich auf unsere verhakten Hände gestarrt hatte und nun sein Gesicht gemustert hatte. „Vielleicht sollten wir aufhören, einander anzustarren.“, grinste ich und der Vorschlag schien meinem Gegenüber zu gefallen, denn Sasukes Gesicht näherte sich dem meinem. Vorsichtig, fast schon zögernd legten sich seine Lippen auf die meinen. Sie waren für seine Verhältnisse unnatürlich warm und ich schmeckte den Geschmack von Pfefferminztee und musste erneut grinsen. Vorsichtig löste ich den Kuss, auch wenn ich spürte, dass er eigentlich vorgehabt hatte, ihn zu vertiefen. „Sasuke?“, er gab ein knurrendes Geräusch von sich. „Könntest du das nächste Mal vielleicht Vanille- oder Früchtetee trinken?“ Er lachte und legte seine Stirn an meine. „Machen wir ein Kompromiss, ich lasse mich auf Hagebuttentee ein und du hörst auf, diese widerlichen Erdbeerkaugummis zu kauen.“ Ich hob kritisch eine Augenbraue und wollte gerade etwas erwidern, als er meinen Widerspruch mit einem weiteren Kuss erstickte und mich gegen die Tür drückte. Okay, setzte ich in Gedanken hinzu, ich verzichte auf Erdbeerkaugummi, aber Kirsche dürfte dann ja wohl erlaubt sein. ~ „Spielst du etwa Geige?“, ich konnte es nicht fassen, als ich das Musikinstrument auf Sasukes Schreibtisch bemerkte. Wir hatten uns auf die Couch geworfen und Sasuke schloss die Augen. „Ja, ein bisschen. Meine Mom hat mich vor einigen Jahren dazu genötigt.“, er schien es nicht sonderlich zu mögen, auf ein paar Fäden herumzusägen. Doch das war mir in diesem Moment vollkommen egal. „Kannst du darauf auch tiefe Töne spielen?“, wollte ich begierig wissen und er nickte verwirrt. Warum ausgerechnet tiefe Töne, würde ich ihm später erklären, doch jetzt wollte ich nur eins. Er sollte mir etwas vorspielen. „Bitte Sasuke, kannst du für mich ein Stück mit tiefen Tönen spielen?“, vielleicht würde ich dann endlich einmal hören, wie sich die Geige anhörte. Nur widerwillig erhob er sich und stellte sich samt der Geige ans Fenster. „Aber wehe du lachst!“ Ich versicherte, dass kein Laut über meine Lippen kommen würde und Sasuke setzte misstrauisch zum ersten Akkord an. Dabei schloss er die Augen. Sofort setzte ich mich ruckartig auf und lauschte den tiefen, seidigen Tönen. Nie hätte ich geglaubt, dass eine Geige so schön, so vollkommen und so anders klingen würde, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich sah in Sasukes Gesicht und begriff das Bild, welches sich mir bot. Schön war kein Begriff mehr, der es auch nur ansatzweise beschrieb. Die Geige wirkte an ihm seltsam harmonisch, als wenn sie eine Einheit wären. Wie von selbst ging ich zu seinem Regal und griff zu der Kamera die sich dort befand. Ein Blick durch die Linse und ein kleiner Abdruck sorgten dafür, dass ich diesen einzigartigen Augenblick für immer festhalten konnte. Die ersten Töne einer Geige, die mein Gehör erreichten hielt ich auf einem Bild fest. Ein Bild, welches ich an einen Wettbewerb schicken würde. Es zeigte meinen ganz persönlichen Moment, der es mir erlaubte, einen Teil von Sasukes Welt zu begreifen, zu verstehen, zu sehen und vor allem zu hören. Acht Wochen später bekam ich eine Rückmeldung dieses Wettbewerbes und man erklärte mir, dass ich den dritten Platz für mich alleine beanspruchen konnte. ~ »Das ich… glaube ich… sehe! «, Tenten lachte laut und einige Passanten auf dem Bahnsteig drehten sich erschrocken nach ihr um. Ich stand mit einigen Schulkameradinnen am Hauptbahnhof und in wenigen Minuten würden wir mit dem Zug zum größten Basketballturnier des Landes fahren, das jedes Jahr kurz vor den Sommerferien ansteht. Na ja zumindest das größte Basketballturnier unter den hörgeschädigten Schulen und ich habe seit der fünften Klasse die Ehre, meine Schule vertreten zu dürfen. Allerdings hatte ich dieses Jahr die Nacht vorher bei Sasuke verbracht und meine Sportschuhe bei ihm vergessen. Ich hoffte in diesen Minuten wirklich, dass er es noch rechtzeitig hierher schaffen würde, denn sonst hätte ich ein klitzekleines Problemchen. Und ich wollte mein Geld wahrlich nicht für gute Sportschuhe, die ich ein einziges Mal tragen würde, aus dem Fenster schmeißen. »Sakura! Ich habe… Typen einmal gesehen und ich kenne ihn… besser… du! Diese Sorte Kerl… niemals quer durch die Stadt schlängeln nur… vergesslichen Perle Sportschuhe, ich betone Sportschuhe … bringen! « In der Tat. Tenten hatte Sasuke wirklich nur einmal getroffen und zwar auf unserem Schulfest. Sie mochten sich nicht, woran wohl an allererster Stelle ihre Leidenschaft für verschiedene Fußballmannschaften schuld war. »Du… bescheuert, Sasuke mit Sai auf eine Stufe zu stellen… keine faire Art! «, empörte sich Hinata und fuchtelte wie wild vor meinem Gesicht mit ihren Händen rum. Narutos Einfluss hatte sich in den letzten Monaten stark bemerkbar gemacht. Aus meiner schüchternen Freundin war ein selbstbewusstes Mädchen geworden, das mittlerweile keine Probleme mehr damit hatte auch einmal Fehler bei der Aussprache zu machen. Ich verdrehte die Augen und überreichte Sai meine Sporttasche, damit er sie für mich im Zug verstauen konnte. Auch er sah, um welches heikle Thema es ging und warf mir einen genervten Blick zu. Ich bedankte mich und versuchte die kleine Meinungsverschiedenheit meiner Freundinnen zu beenden. »Ich wette mit dir um 10 Mäuse… Sasuke kommt! « »Hinata! «, jetzt reichte es aber. » Seit wann benutzt du Umgangssprache? « Sie zuckte mit den Schultern und Tenten ging auf das Angebot der Schwarzhaarigen ein. Manchmal hasste ich meine Freundinnen für solche Aktionen. Ich wendete mich von ihnen ab und strich eine widerspenstige Haarsträhne aus meinem Gesicht, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. Die warme Sonne schien mir ins Gesicht und ich sah durch die Menschenmenge. Ein Lächeln huschte über meine Lippen, als ich meinen Freund erkannte. Hinter mir grinste Hinata zufrieden und verlangte ihr Geld von Tenten, eigentlich hätte ich die Knete jetzt einkassiert, aber die Tatsache, dass Sasuke tatsächlich gekommen war, lenkte mich in diesem Moment ab. Ich rannte ihm entgegen und riss ihn in meine Arme. „Danke! Danke! Danke!“, bei jeden Wort drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange. Sasuke stöhnte und versuchte mich beschämt ein wenig zur Seite zu schieben. „Ja, ist schon gut, hier sind sie.“, er reichte mir meine schwarzen Nikes und nickte über meine Schulter. „Darf ich fragen, warum Waschmopp Hinata Geld gibt?“ Ich musste kichern, denn Waschmopp war weiß Gott noch die hübscheste Bezeichnung, die Sasuke für Tenten übrig hatte. „Sie haben darum gewettet, ob du kommst oder nicht.“ Sofort zierte ein gehässiges Grinsen sein Gesicht und ich wusste, dass er sich darüber freute, dass Ten Geld verlor. „Hol dir die Knete, sie gehört mir!“ Ich gab ihm einen leichten Rippenstoß. „Männer!“ Er griff nach meiner Hand und begleitete mich bis zum Zug. Dort angekommen scheuchte uns Kakashi-sensei in den Zug, dabei bemerkte ich, dass er Sasuke einen kurzen Blick zuwarf und zufrieden lächelte. „Also, ich muss los.“, ich wollte gerade in den Zug einsteigen, als er mich am Arm fasste und mir einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen drückte. Jedes mal aufs Neue überraschte mich seine stürmische und besitzergreifende Art, was jedoch nicht hieß, dass ich sie nicht begrüßte. Im Gegenteil, ich liebte sie. „Komm mir ja nicht ohne Pokal wieder.“, sprach Sasuke, als er den Kuss löste und mich in den Zug steigen ließ. Am liebsten hätte ich ihm die Zunge rausgestreckt, doch ich verlieh meiner Antwort Ausdruck, indem ich gekonnt die Augen rollte. Schnell suchte ich meinen Platz zwischen Hinata, Tenten und Sai, damit ich das Fenster öffnen konnte. Doch das alte Ding klemmte, was ja bei einem klapprigen RE auch nicht anders zu erwarten war. „Verdammt!“, entfuhr es mir. Mein wütendes Gesicht ließ Sasuke überheblich grinsen. Er schien sich köstlich über meine Anstrengungen zu amüsieren. Ich seufzte, eigentlich wollte ich ihn bitten mich nach dem Turnier in zwei Tagen am Bahnhof abzuholen, doch das würde ich jetzt per Handy machen müssen. Ich kramte mein heißgeliebtes Spielzeug aus meiner Hosentasche und zeigte drauf, damit Sasuke wusste, dass ich ihm jeden Moment eine SMS schreiben würde, allerdings reagierte mein Freund nicht, sondern starrte mich nur an. Ich stutze und lächelte, dieses Mal zeigte ich um einiges deutlicher auf mein Handy, doch er rührte sich immer noch nicht. Was war los mit ihm? Warum sah er mich so ernst an? Plötzlich zuckte Sasuke zusammen und ich vermutete, dass der Schaffner gepfiffen hatte. Und dann geschah etwas, was ich niemals vergessen würde. Langsam und unsicher hob Sasuke seine Hände. Zuerst wusste ich nicht was er bezwecken wollte, doch dann erkannte ich die Zeichen die er versuchte zu formen. Es war das allererste Mal, dass Sasuke die Gebärdensprache vor meinen Augen benutzte. An seinem Blick sah ich, dass es ihm unangenehm war, vor meinen Freunden zu zeigen, was er mir nicht sagen konnte. Der Zug setzte sich in Bewegung und er verschwand aus meinem Blickfeld. Vollkommen neben mir starrte ich noch immer aus dem Fenster. Erst als Hinata sanft meinen Arm berührte, wurde mir bewusst, dass Sasuke die Angst, die ihn oft unsicher wirken ließ hinter sich gelassen hatte. Noch vor einigen Monaten hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass einmal der Tag kommen würde, an dem ein hörender Junge mir in meiner Sprache etwas sagen würde, was zig tausende sich täglich nur so ins Ohr flüsterten. Nie hatte es Sasuke gewagt, es den zig Tausenden gleich zu tun. Seine Gefühle hatte er immer in Gesten ausgedrückt, Worte waren seiner Meinung nach vergänglich. Jedoch schien er heute seine Meinung geändert zu haben. Ein unglaublich schönes Gefühl machte sich in mir breit und mir wurde klar, dass es sich so anfühlen musste, wenn man das größte Glück gefunden hatte, das man sich wünschen konnte. Diese drei kleinen Zeichen, die Sasuke gerade vor meinen Augen gebärdet hatte, waren für mich dieselben Worte, die zig tausend Menschen sich täglich ins Ohr flüsterten. Der kleine Unterschied bestand lediglich darin, dass Sasuke nicht mit den Lippen flüsterte, sondern mit seinen Händen. Ganz zaghaft und still, hatten mich drei kleine Worte durch eine Glaswand erreicht. Eine Wand, die zuerst unsere Grenze symbolisierte und schließlich mit vereinter Kraft eingerissen worden war. »Ich liebe dich. « Dies war der Beginn unserer ganz eigenen, ungewöhnlichen kleinen Romanze ohne eine unsichtbare Mauer, die unsere Welten trennte, denn wir hatten eine Zwischenwelt für uns erschaffen. ~ * The End * ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)