Verismus von SchoKoMuff (Von hungrigen Herzen und Schlittenfahrten ohne Schnee) ================================================================================ Kapitel 9: Mio - Von fremden Welten und zimtfarbenen Zukunftsträumen -------------------------------------------------------------------- IX. Mio - Von fremden Welten und zimtfarbenen Zukunftsträumen Ein Regentropfen fiel aus seinem nassen Haar und kitzelte ihn an der Nase. Abwesend wischte er sich mit dem Handrücken durch das Gesicht, ohne sein Gegenüber aus den Augen zu lassen. Was zum Teufel machte der denn hier? Nun, offensichtlich wohnte sein Mitschüler in dieser Gegend, die, wie Mio angesäuert feststellte, nicht die schlechteste war. Ein gut gepflegter Vorgarten reihte sich an den nächsten und spießige Briefkästen kündeten von ach so glücklichen Familien. Widerwärtig. Und unglaublich beneidenswert. Er hätte viel dafür gegeben, für dieses kitschige Klischee der heilen Familie. „Was?!“, motzte er drauf los, weil ihm spontan nichts Besseres einfiel. Was sollte er auch sagen? Eine Bemerkung über das Scheißwetter machen, dem Jungen zu seinem beschissenen Glück gratulieren, ein normales Leben zu führen?? Oder ihn einfach ignorieren und so tun, als sei er nicht Zeuge einer unglaublichen Demütigung Mios geworden?! Die grünen Augen, die ihm schon in der Schule so unangenehm aufgefallen waren, musterten ihn langsam von Kopf bis Fuß. Na toll. Das schrie ja geradezu nach einem weiteren dummen Kommentar. „Willst du mit reinkommen?“ Er hatte eine erstaunlich tiefe Stimme, das war Mio vorher gar nicht aufgefallen. Äh, Moment. Wie bitte? Verwirrt starrte er sein Gegenüber an. „Findest du das etwa witzig?!“, fauchte er zurück. So ein Arsch, nur weil jemand wie er vermutlich nicht für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste… „Nein. Im Gegenteil. Aber du bist tropfnass und es ist kalt.“ Der kühle Blick der grünen Augen wandte sich ab, als sein Mitschüler die Tür aufschloss. War das wirklich sein Ernst? Mio bezweifelte es. Wieso sollte sich dieser Kerl auch nur einen Scheißdreck um seine Gesundheit scheren? „Was ist jetzt?“ Der Junge, dessen Namen er gar nicht kannte, wie ihm in genau diesem Moment bewusst wurde, stand in der geöffneten Tür und sah ihn auffordernd an. Ja, was jetzt? Wie angewurzelt stand Mio da, auf der regennassen Auffahrt zu diesem eklig wunderbar normalen Haus. Vor einer geöffneten Tür zu einer anderen Welt. Einer Welt, in die er nicht gehörte. Langsam schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. „Nein. Das ist nicht meine Welt.“ In diesem Augenblick fühlte sich Mio, als laste ein Gewicht auf ihm, ein Schatten, den er nicht zuordnen konnte. Aber er war schwerer als alles, was sich dieser Junge in seiner hellen, normalen Welt vorstellen konnte. Da war er sich sicher. Er versuchte nicht, Mio aufzuhalten und irgendwie war ihm dieser dankbar dafür. Jemand wie er, der sich Juliens Gang in den Weg stellte, um einem Idioten zu helfen, obwohl er ihn gar nicht kannte… so jemand, dachte Mio, sollte nicht mit ihm in Berührung kommen. Seine helle, gesunde, heile, normale Welt durfte nicht mit der seinen kollidieren. „Mia hübsch?“ Seine Schwester zeigte mit ihrer winzigen Hand auf ihr Haar. „Ja, Mia ist sehr hübsch.“, bestätigte er lächelnd und streichelte über die weichen Locken. Das war sie wirklich, überlegte Mio, während er zusah, wie Mia sich in ihrem hellblauen Kleid vor dem alten Wandspiegel drehte. Sie sah aus wie ihre Mutter. Sie hatte die gleichen meerblauen Augen, die gleichen zimtfarbenen Korkenzieherlocken, die ihr immer locker um die rundlichen Wangen fielen. Und das gleiche, offene, ehrliche Lachen. Noch, ja. Mio lehnte sich an die Wand und dachte über die Zukunft seiner kleinen Schwester nach. Wenn er wollte, dass sie nicht geprägt durch die Alkoholexzesse und Wutausbrüche ihres Vaters war, würde er Mia sehr bald aus seiner Reichweite bringen müssen. Raus aus diesem Haus, weg von der Vergangenheit, die schon so lange nichts anderes mehr war als ein weiterer dieser düsteren Schatten, die überall in den Ecken des Hauses zu hocken schienen. Lauernde Schatten, die grienend auf ihre Chance warteten. Einen unbedachten Moment, wenn er unaufmerksam war und seine Deckung fallen ließ. Noch ein Jahr, dann war er achtzehn. Und wenn sich auch nur die allerkleinste Möglichkeit bot, würde er mit Mia verschwinden. Er war sich nicht einmal sicher, ob ihr Vater ihre Abwesenheit überhaupt bemerken würde. Seine Schwester war dazu übergegangen, ein schäbiges Puzzle zu malträtieren. Er hatte Angst, dass sie zu wenig gefördert wurde, zu wenig Aufmerksamkeit bekam. Aber was sollte er machen? Er war einfach nur froh, sie fast nie mit ihrem Vater alleine lassen zu müssen, auch wenn das hieß, dass sie vielleicht zu abhängig von ihrem Bruder wurde. Die Geburt seiner Tochter hatte Peter Katz kalt gelassen. Wenn überhaupt, hatte er Mia als eine weitere finanzielle Belastung registriert, aber Mio glaubte kaum, dass sein Vater auch nur wusste, wie sie aussah. Hatte er sie jemals wirklich angesehen? Clara Katz, ihre Mutter, hätte überlebt, wenn sie einer Abtreibung zugestimmt hätte. Aber das hatte sie nicht gewollt. Bereitwillig hatte Clara der Risikoschwangerschaft zugestimmt, hatte akzeptiert, dass sie die Geburt ihrer Tochter vermutlich nicht überleben würde. Aber ihr Mann war anderer Meinung gewesen. Und mit Claras Tod war mehr gestorben als nur eine Mutter und Ehefrau. t.b.c. Jomio ftw! öuö' Edit: Wer hat Lust, mir Charabilder zu kriggeln? OwO Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)