Verismus von SchoKoMuff (Von hungrigen Herzen und Schlittenfahrten ohne Schnee) ================================================================================ Kapitel 1: Mio - Von ertrinkenden Socken ---------------------------------------- I. Mio - Von ertrinkenden Socken …nasse Schuhe, der scheißkalte Regen klatschte ihm ins Gesicht. Aber er hatte es nicht eilig. Lieber ging er den Umweg beim Bäcker vorbei, verlangsamte seine Schritte vor dem Schaufenster und hoffte, dass ein Kunde den Laden verlassen würde. Die Zicke hinterm Tresen kannte ihn schon. Einmal war sie sogar heraus gekommen, um ihn zu verjagen. Er verschrecke die Kunden mit seinem schlampigen Aussehen, schon klar. …hoffte, die Tür mit ihrer alten Schelle würde aufschwingen, ein Schwall warmer, duftender Luft ihn streifen und den stumpfen Hass in ihm für ein paar Sekunden betäuben. Nasse Socken, der scheißkalte Regen prasselte auf seine Kapuze. Er hatte den Schal weit hoch, über die vom Schnupfen rote Nase, die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht gezogen. Er konnte Jacken nicht ausstehen. Sein Magen knurrte als er in den hellen Lichtkegel trat, der aus dem Fenster fiel. Er ignorierte es, ging weiter. Kein Kunde, nur giftige Blicke aus zu schwarz geschminkten Augen, die ihn genau beobachteten. Ihm war kalt. Wäre der Regen nicht, mutmaßte er träge, hätte ihn wohl sein Atem, bläuliche Nebelfratze, aus der Luft gegrüßt. Um die Ecke, matschig, der Schulhof war schon leer, es hatte längst zur ersten Stunde geklingelt. PLATSCH. Pfütze, seine Socken ertranken. Nein, Moment, er hatte sich geirrt. Da waren noch Schüler in der Pausenhalle, standen in Gruppen, lachten, kreischten, johlten. Schneller. Er überquerte den seinen Socken Konkurrenz machenden Schulhof, trat tropfend durch die pseudomoderne, längst renovierungsbedürftige Zweiflügeltür. Der linke Glasflügel, mit Riss, wie zum Hohn geschlossen, strafte pünktliche Schülermassen mit Schlangestehen im Regen. Er war nicht pünktlich. Er konnte es fühlen, trotz der Kälte trat ihm der Schweiß auf die Stirn und er riss im Laufen die Kapuze vom Kopf. Wirres, dunkles Haar, an den vorlauten Spitzen klitschnass, kringelte sich und kitzelte ihn an der vom Heulen roten Nase. Er senkte den Kopf, bahnte sich in Rekordgeschwindigkeit seinen Weg. Kein bekanntes Gesicht, hätte er an einen geglaubt, wäre er Gott für diesen Umstand dankbar gewesen. Schneller, schneller, er konnte es schon sehen. Und riechen. Seine Zuflucht, sein Versteck – die Schultoilette, keimverseuchter Sichtschutz vor der Welt. Die Schülermassen drängten sich dicht und ragten vor ihm auf. Ein schweißiger Irrgarten aus Armen, Schultern und… Autsch! – Ellenbogen. Er war nass, seine Socken machten ein saftiges Geräusch in den löchrigen Chucks. Er konnte es fühlen, schon wich ihm das Blut aus dem Gesicht, rauschte ihm gleichzeitig in den Ohren. Nein! Noch nicht, warte noch einen Augenblick! Da, ein bekanntes Gesicht, verdammt, schnell weiter. Er rannte jetzt fast, zwang sich schwer atmend langsamer zu gehen. Unauffälliger, aber zu spät. „Hey, Zwerg!“ Eine hämische Stimme hinter ihm. Weiter, noch ein paar Schritte. Halt durch. Die Luft ging ihm aus, er spürte den Kloß im Hals, fühlte die nach ihm greifende Hand in seinem Rücken… und schloss die Toilettentür hinter sich. Auf halbem Weg zu einer der Kabinen fing er an zu taumeln, stolperte, rappelte sich auf und verriegelte die Tür. Gerade noch rechtzeitig. Keuchend und hustend lehnte sich Mio schwer gegen den Kunststoff und ließ seiner Panik freien Lauf. Sein Atem raste, stockte, raste wieder und er krampfte die zitternden Hände in sein Haar. Warum? Warum musste es immer wieder so kommen? Warum war er so schwach? Jeden Morgen. Immer wieder Hetzjagd vor dem Nichts, vor sich selbst, vor ihnen. Vor dem Nichts. Jeden Morgen. Immer wieder. t.b.c. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)