Aftermath von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Sie nahm Anlauf, drehte sich und sprang. Und wieder verpatzte sie es und fiel hin. „Was ist nur mit ihr los?“, fragte sich ihr Coach Takashima. Er verzweifelte langsam, denn ihre Trainingseinheiten wurden immer schlechter und schlechter, dabei war sie in Turin bei den Olympischen Winterspielen unglaublich gut gewesen. Sie hatte gestrahlt und was war nun? Ihr Blick war völlig leer und sie fuhr seelenlos über das Eis. Takashima wusste nicht, was er tun sollte. Und wieder stürzte sie bei der Ausführung eines dreifachen Lutz. Daraufhin verließ sie ohne ein Wort die Halle und ließ ihren Coach einfach stehen. „Was ist nur los…“, fragte sich dieser erneut und seufzte. „Gar nichts!“, fauchte sie abends am Esstisch, als Takashima sie darauf ansprach. „Aber, Tazusa…“ „Ich geh schlafen!“, sagte sie nur, stand auf und ging. „Das geht nun schon eine Woche so…“, seufzte ihr Coach. „Sie hat auch mit den Selbstgesprächen aufgehört.“, bemerkte ihre kleine Schwester Yoko. „Ob es wegen Turin ist? Immerhin hat sie knapp die Medaille verpasst.“, fragte sich Takashima laut. „Wer weiß...“, erwiderte Yoko und zuckte mit den Schultern. Tazusa ließ sich auf ihr Bett fallen und blickte abwesend ihren Zimmerspiegel an. Ihre violetten Haare waren etwas zerzaust und ihr Gesicht hatte noch nie so schrecklich ausgesehen. Das war jedenfalls nicht die Tazusa, die Besitzerin von Schönheit im Wert von 10 Milliarden Dollar war. Es war eine deprimierte und einsame Eiskunstläuferin, die seit einer Woche zwar ihre Privatsphäre zurück hatte, dafür aber jemand wichtigen verloren hatte. „Pete…“, murmelte sie und vergrub ihr Gesicht in ihrem Kopfkissen. Sie hätte niemals geahnt, dass ihr so einsam sein würde, wenn sie nicht mehr von dem kanadischen Geist besessen war. Nun war er schon seit einer Woche nicht mehr da. Keine freundliche Begrüßung am Morgen. Keine Witzeleien und Seitenhiebe. Tazusa fühlte sich einfach nur noch leer. „Pete…komm zurück!“, sagte sie verzweifelt, während sie die Decke anstarrte. „Ich…ich werde auch nie wieder Tomaten essen, nur um dich zu quälen! Versprochen! Ich werde dich auch nie wieder einen Parasiten nennen! Also bitte, komm zu mir zurück!“, flehte sie. Natürlich wusste sie, dass dies nicht möglich war. Es hatte von Anfang an nicht in seiner Macht gestanden und die hundert Tage, die sie zusammen hatten, waren alles, was ihnen gegeben worden war. Doch es war viel zu wenig Zeit gewesen. Es hätte ihr nichts ausgemacht, wenn er für den Rest ihres Lebens bei ihr gewesen wäre. Auch wenn sie nur seine Stimme hören konnte, es hatte ihr gereicht. Es würde ihr immer noch reichen. „Tazu-nee?“, meldete sich plötzlich ihre kleine Schwester, die an der halb geöffneten Zimmertür stand. „…“ Tazusa blickte weiter Richtung Decke. „Mika-san ist hier.“, sagte sie. „…“ „Ich…schicke sie einfach rauf, okay?“ „…“ Yoko seufzte und schloss die Tür. Sie sagte der Klassenkameradin bescheid, die kurz darauf das Zimmer vorsichtig betrat und sich zu Tazusa setzte. Diese schien sie nicht wahrgenommen zu haben und starrte immer noch mit ihrem leeren Blick zur Decke. „Ähm, wie geht es dir, Tazusa?“, fragte Mika. „…“ Die Gefragte reagierte jedoch nicht. „Du solltest wieder zur Schule gehen.“ „…“ „Weißt du, wir haben…“, „Verschwinde.“, murmelte Tazusa ohne den Blick von der Decke abzuwenden. „Aber…“, wollte Mika widersprechen. „LASS MICH ALLEIN!“, schrie Tazusa plötzlich. „O-okay.“, erwiderte Mika und verließ das Zimmer eilig aber besorgt. „Lasst mich doch alle in Ruhe…“, sagte Tazusa noch, bevor sie langsam einschlief. Mitten in der Nacht wurde sie wach. Sie war schweißgebadet und atmete schwer. Wieder hatte sie vom Abschied geträumt. Vom letzten Mal, als sie Petes Stimme gehört hatte. Doch in ihrem Traum brach das Eis des Sees unter ihr und sie fiel in eine pechschwarze, kalte Finsternis ohne Licht und Hoffnung. Dann wachte sie jedes Mal auf. Sie setzte sich auf und blickte in dem dunklen Raum umher. Schwach drang das Licht des Vollmondes ins Zimmer und tauchte alles in unterschiedliche Grautöne. Tazusa beruhigte sich langsam wieder und ihre Augenlieder begannen schwer zu werden. „Ich…kann nicht…mehr…“, murmelte sie stockend. Ihre Augen wurden feucht und eine Träne rann langsam ihre linke Wange herab. „PETE!“, schrie sie und fing an zu schluchzen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte heftig. Sie konnte es einfach nicht mehr zurückhalten. „Verabschiede mich mit einem Lächeln.“, hörte sie plötzlich Pete sagen. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und blickte wild umher. Schließlich wurde ihr klar, dass sie sich nur an seine letzten Worte erinnert hatte. Er war nach wie vor nicht da. Er würde auch nicht da sein, egal wie lange sie auch warten würde. Aber er könnte auch nicht zurück zu ihr, selbst wenn er es wollte. Das war ihr klar. „Was mache ich hier eigentlich?“, fragte sie sich. Pete hätte nicht gewollt, dass sie seinetwegen so leidet. Er hätte gewollt, dass sie lächelt und weiterhin Spaß am Eiskunstlauf hatte. Sie begriff nun langsam, wie wichtig seine letzten Worte doch für sie waren. Sie würde wieder lächeln. Und sei es nur, um den Schmerz in ihrem Herzen zu verschleiern. Doch konnte sie das auch wirklich? War sie dafür stark genug? „Tazusa Sakurano, die 10-Milliarden-Schönheit, schafft das locker!“, versuchte sie sich selbst anzuspornen. „Aber…“, sagte sie und gähnte. „…jetzt muss ich erstmal schlafen…“ Am nächsten Tag war sie zur Überraschung ihres Coachs und ihrer kleinen Schwester ziemlich gut gelaunt und absolvierte ihre Trainingseinheit ohne Fehler. Doch bereits am Abend dieses Samstages war sie wieder so wie vorher. Sie saß am Esstisch und hatte wieder diesen leeren Blick, während sie abwesend in ihrem Essen herumstocherte. „Tazusa!“, sprach der Coach sie ernst an. „...“ Sie blickte ihn an. „Komm endlich darüber hinweg!“ „Hm?“, machte sie nur. „Es hatte halt nicht sein wollen, aber das Leben geht weiter! Also reiß dich endlich zusammen!“, redete er weiter auf sie ein. „Das ist unmöglich!“, erwiderte sie und ihr Gesicht war plötzlich voller Trauer. „Ich kann das einfach nicht…“ „Dass du keine Medaille geholt hast, ist doch kein Weltuntergang.“, bemerkte der Coach. „Medaille?“, wiederholte sie und erkannte nun, dass er von etwas ganz anderem sprach. „Wen interessiert schon diese blöde Medaille?!“, fauchte sie. Der Sonntag brachte auch keine Änderung in ihrem Verhalten. Sie schien von Sekunde zu Sekunde depressiver und mittlerweile antwortete sie einfach gar nicht mehr, wenn sie etwas gefragt wurde. Weder der Coach noch ihre kleine Schwester konnten zu ihr durchdringen. Sie saß einfach nur apathisch auf ihrem Bett und starrte Löcher in die Luft. « Wenn es einen Gott gibt…warum ist er dann so grausam? Warum hat er Pete überhaupt geschickt? Was sollte diese Frist von hundert Tagen? Warum konnte er nicht bleiben? Warum? Was sollte das alles? Was nur? Wenn es einen Gott gibt…bemerkt er dann überhaupt mein Leiden? Hat er überhaupt eine Ahnung davon, was er mir angetan hat? Wenn es einen Gott gibt…dann sollte er mir Pete zurückgeben! Egal in welcher Form! Hauptsache ich kann wieder mit ihm reden und Zeit verbringen…Wenn es doch nur einen Gott gibt… » dachte sie verzweifelt. Am nächsten Morgen wachte sie ziemlich früh auf. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. Irgendwie fühlte sie sich seltsam erfrischt. Sie wusste zwar, dass sie etwas geträumt hatte, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern. War der Traum Grund für ihre gute Verfassung? Sie sprang aus dem Bett und streckte sich. Sie erkannte sich kaum wieder, als sie sich im Spiegel betrachtete. „Ach du scheiße…“, fluchte sie und machte sich sofort auf den Weg zum Bad. Mit ihrem Aussehen zufrieden ging sie frühstücken. Sie wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grund war sie sehr gut gelaunt. Nachdem sie gegessen hatte, schnappte sie sich ihre Schultasche und verließ das Anwesen. Der Weg zur Schule war nicht allzu lang, aber sie genoss die frische Luft und die warmen Strahlen der erst vor kurzem aufgegangenen Sonne. Sie ignorierte die Reporter, die sich am Schultor gesammelt hatten und auf sie warteten und ging unbeirrt zu ihrem Klassenzimmer. „Guten Morgen, Tazusa!“, begrüßte ihre Freundin Mika sie. „Morgen.“, erwiderte sie und packte alles aus, was sie für die erste Stunde brauchen würde. „Bist du endlich darüber hinweg?“, fragte sie. „Worüber?“ „Na, Turin natürlich.“ „Ach so, klar, schon lange.“, antwortete sie. Mika sah sie verwundert an. „Ist was?“ „N-nein, schon gut.“ « Ich kann ihn zwar nicht vergessen…aber ich muss weiterleben. Um meinetwillen…und um seinetwillen. » dachte Tazusa und versuchte, wie schon den ganzen Morgen, einfach nicht mehr daran zu denken. „Ach, du weißt es ja noch gar nicht.“, sagte Mika plötzlich. „Was denn?“, wollte Tazusa wissen. „Wir haben seit einer Woche einen Austauschschüler!“, erzählte sie. „Aha.“ „Das scheint dich ja nicht besonders zu interessieren.“ „Was soll daran auch interessant sein? Austauschschüler hatten wir doch schon oft.“, erwiderte Tazusa. „Aber noch keinen aus Kanada.“, bemerkte Mika. Tazusa wurde plötzlich hellhörig. „A-aus Kanada?“, fragte sie und konnte es kaum fassen. « Unmöglich! Das kann doch nicht sein… » versuchte sie das Ganze realistisch zu sehen. „Ja, aber er soll schon früher in Japan gelebt haben. Ich habe zwar noch nicht viel mit ihm gesprochen, aber er hat erzählt, dass er vor dem Wechsel drei Monate im Koma gelegen hatte.“, erzählte Mika weiter. „Und warum?“ Tazusa konnte es einfach nicht glauben. « Das kann nur ein Zufall sein, weil Pete…Pete war doch schon tot! » „Er war Kunstflieger und hatte einen schlimmen Unfall.“ « Nein, das kann nicht….das ist unmöglich! Unmöglich! Pete ist tot! Er kann es unmöglich sein! » dachte Tazusa nur. Auch wenn sie es glauben wollte, so sprach doch einiges dagegen, dass es wirklich Pete sein konnte. „Wie…wie heißt er?“, fragte Tazusa schließlich um endlich Sicherheit zu haben. „Pete Pumps!“, hörte sie jemanden sagen. Sie drehte sich instinktiv um und konnte ihren Augen nicht trauen. Sie hatte Pete zwar noch nie gesehen, doch sie wusste sofort, dass er es war. Seine blauen Augen und seine blonden Haaren, dieser hinterlistige Gesichtsausdruck, diese Körperhaltung. Kein Zweifel, das war tatsächlich Pete. „P-p-pete…“, stammelte Tazusa völlig von Sinnen. „Du bist…nicht tot?“ „Tja, sorry, das war damals wohl eine falsche Annahme von mir gewesen…“, sagte er verlegen. „Annahme? Das war nur eine Annahme gewesen? Du wusstest also gar nicht, ob du tot warst?“, wurde Tazusa wütend. „Wenn ich nur eine Tomate hätte…“, knurrte sie. „Sorry.“, entschuldigte er sich erneut. „Aber…“, sagte Tazusa und sah ihn an. Ihre Augen begannen zu Tränen. „…ich habe dich vermisst.“, gestand sie und näherte sich ihm. Schließlich umarmte sie ihn einfach, was ihn und den Rest der Klasse ziemlich überraschte. Die Klasse hatte sowieso nicht die geringste Ahnung, worüber die beiden eigentlich sprachen. Es dauerte eine Weile, bis sich Tazusa wieder von ihm löste. „Du…du machst mich ganz verlegen…“, murmelte Pete mit gerötetem Gesicht. „Ich hatte es damals erst aussprechen können, als du schon weg warst…“, erzählte Tazusa. „Hm, was?“, fragte Pete, der keine Ahnung zu haben schien. „Du hast es also wirklich nicht mehr mitbekommen.“ „Was denn?“ „Ich…äh…ich…“, versuchte sie, etwas zu sagen. „Ich liebe dich!“ Bevor Pete reagieren oder irgendwas erwidern konnte, hatte sie ihn bereits geküsst. Es herrschte plötzlich völlige Stille im Klassenraum. Niemand verstand, was da eigentlich gerade vor sich gegangen ist, vor allem Mika, die beste Freundin von Tazusa, konnte es nicht wirklich fassen. „Willkommen zurück.“, sagte Tazusa danach. „Tazusa…“, murmelte er nur geschockt. „Jetzt starr mich nicht so an. Ich hatte meinen Teil der Abmachung ja nicht einhalten können, weil du als Geist schließlich keinen Körper hattest.“, erklärte sie. „Moment, das heißt, der Kuss von gerade war nur…“ „Genau! Was denn sonst, du perverser kanadischer Parasit?“ „Als ob ich freiwillig diese ganzen Erfahrungen gemacht hätte.“, erwiderte er. „Willst du damit etwa sagen, dass es dir bei mir nicht gefallen hat?“, fauchte sie. „Natürlich nicht! Du musstest ja ständig Tomaten in dich reinstopfen!“, giftete er zurück. „Das war nur, weil du nie deinen Mund halten konntest!“ So ging es noch eine Weile weiter, bis der Lehrer kam und die beiden zum Schulleiter schickte. Zur Strafe mussten sie den Klassendienst für die nächsten Wochen übernehmen, doch das machte ihnen im Grunde nichts aus. Schließlich waren sie endlich wieder zusammen und auch wenn sie sich sehr häufig stritten, so gab es da doch dieses unsichtbare Band zwischen ihnen, das selbst der vermeintliche Tod nicht hatte lösen können. Oder war Tazusa vielleicht erhört und ihr Wunsch gewährt worden? Letztendlich war es egal. Für sie zählte nur, dass Pete wieder da war. Und da er nun kein Geist mehr war, sah es auch nicht mehr nach Selbstgesprächen aus, wenn sie sich mit ihm unterhielt. Copyright 2008 by Dunno Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)