Der Weg ist das Ziel von Atem ================================================================================ Kapitel 1: ~Sommerwichteln 2008~ -------------------------------- Projekt: Sommerwichteln inkl. Challenge des KaRe-FF-Zirkels http://animexx.onlinewelten.com/community.php/KaiXRay_FFZirkel/beschreibung/ Wichtelopfer: KeiraX Wörter, die verwendet wurden: Schwimmflügel, depressiv, erkältet, Brooklyn, Eiscafe, Puma, Kaffee, Bahn, Verbundenheit, weiße Lederhandschuhe (= alle XD) Genre/Warnung: Humor?, Angst?, Fluff? Romantik?! Disclaimer: Nichts von alledem gehört mir. Ich verdiene kein Geld… allein die Idee ist von mir… blabla~ das Übliche halt… Autorenkommentar: Das Schreiben hat mir sehr viel Spaß bereitet… noch viel mehr allerdings das Planen dieses Werkes. Aufgrund (schräger) Umstände war ich leider nicht in der Lage, alles mit einzubringen, was ich wollte. Und ich hoffe natürlich, dass es meinem Wichtelopfer ein wenig gefallen hat! Über alles weitere weiß KeiraX bereits bescheid und was noch „kommen“ wird, wird die Zukunft bringen XD… (hoffentlich). ~*~ Der Weg ist das Ziel ~*~ Ein Klingeln durchbrach die nächtliche Stille. „J-jaa?....“ „…“ „Hallo?... Ist da jemand?“ „…“ Tut-tut-tut-tut. Rei seufzte, während er einen weiteren dreckigen Teller auf sein Tablett aufschlichtete. Eine neue Nacht, in der er nicht durchgeschlafen hatte… nicht konnte… daran gehindert wurde… Das ging jetzt schon seit einigen Tagen so. Fast immer um die gleiche Uhrzeit läutete sein Telefon und niemand war dran. Meldete sich zumindest nicht. „Na?“ lachte eine helle Mädchenstimme. „Hat dich deine Freundin wieder einmal nicht schlafen lassen?“ „Mathilda….“, grollte Rei spielend seine Kollegin an, woraufhin diese nur noch lauter und heller lachte. „In Ordnung… dein –Freund-. Dass du auch immer so pingelig sein musst“, grinste das rosahaarige Mädchen vergnügt und nahm Rei das Tablett mit schmutzigem Geschirr ab. Balancierte es geschickt zwischen den kleinen Tischen hindurch in die Küche. „Du bist unmöglich, weißt du das?“ folgte Rei ihr. „Wieso?“ „Du machst jeden Tag den gleichen Scherz mit mir. Mathi, das nervt gewaltig“, seufzte der Chinese. Daraufhin wurde er einmal kurz und kräftig umarmt. „Ja, ich weiß. Ich versuche nur, dich ein wenig aufzuheitern.“ „Das ist nett… von dir. Wenn du keine Hintergedanken hättest, Kleines“, funkelte er und kniff ihr in ihre Seite. „Ich?! NIE im Leben“, lachte Mathilda und griff sich die Kaffeekanne. Sie lief an ihm vorbei, blieb jedoch in der Tür stehen wie angewurzelt. „Weißt du… du solltest die Polizei verständigen.“ „Ich habe aber keine Beweise oder ähnliches. Was soll ich denen erzählen? Dass ich einen heimlichen Verehrer habe?“ „Oder Verehrerin…“ „MATHI?!?!“ Lachend eilte das Mädchen zur wartenden Kundschaft, um sie mit frischem Kaffee zu versorgen. „Das war doch extrem geil, oder? Wie Jolie sich hat fallen lassen, wie die U-Bahn in den Tunnel eingefahren ist… so gelenkig. Hast du das gesehen, Boris?“ „Ja, hab ich, Yuriy. Sie ist eine gute Schauspielerin.“ „Gut? Gut?!“ Es war nun an Boris am Besten erst gar nichts zu erwidern, wenn er sich vor einem Redeschwall seines Freundes schützen wollte. Dieser ließ sich aber auch gar nicht mehr einbremsen und baute sich vor der kleinen Gruppe von Freunden auf. Demonstrierte eindrucksvoll, wieso er diese Frau so toll fand. „So elegant… so grazil….“, schwärmte der Rothaarige und ruderte mit den Armen, ahmte die Bewegungen nach. „Bo-chan, du hast ja keine Ahnung. So eine Schauspielerin gibt es nur einmal in tausend Jahren. Und jetzt ist definitiv ihre Ära!“ Boris erwiderte erneut nichts darauf. Er schlang lediglich einen Arm um seine Schultern und hinderte seinen Freund somit daran, einen vorbeigehenden Passanten niederzustrecken. Lachend schmiegte sich Yuriy an ihn, sog tief den vertrauten Geruch auf. Die Gruppe von Freunden stand nahe bei ihnen. Alle mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Sie alle hatten an dem Abend eine Menge Spaß gehabt. Viel zu selten waren die Momente in denen man einfach abschalten und mit guten Freunden etwas unternehmen konnte. Umso mehr wurden diese seltenen Gelegenheiten geschätzt und genossen. „Willst du nicht zu Hause anrufen und fragen, wie es Rin geht?“ erkundigt sich Boris bei Mao. Jeder von ihnen wusste, wie übervorsichtig die Chinesin war, wenn es um ihre Tochter ging. Sie war ihr ein und alles. War mit Leib und Seele Hausfrau, während ihr Mann Rai eine recht angesehene Position in einer chinesischen Handelsfirma inne hatte und ihnen ein angenehmes Leben ermöglichte. „Ich glaube, dass ist nicht nötig. Hiromi hat sie sicherlich im Griff“, lächelte die Rosahaarige und hakte sich bei ihrem Mann unter. „Also ich weiß nicht. Mit Makoto zusammen, trau ich ihnen keinen Meter weit. Die hecken doch ständig was aus und warten doch nur auf eine Gelegenheit zuzuschlagen“, warf Yuriy ein und fing sich prompt den bösen Blick ein. „Du hast doch keine Ahnung!“ „Ach hab ich nicht? Kannst du dich noch daran erinnern, wie mir dein Prachtexemplar von Tochter mit Edding einen Schnurrbart aufgemalt hat, während ich im Garten ein Nickerchen gehalten habe?“ „Das hat Rin nie gemacht!“ „Aber sie hatte den Edding!“ „Den hat man ihr sicher untergeschoben. Nur, damit Makoto in einem guten Licht steht“, kam prompt die Retourkutsche. „Und Rin hat sich freiwillig die Finger schwarz angemalt?“ schmollte der Russe nun. Rai machte sich bereit, dazwischen zu gehen, sollten die beiden aufeinander losgehen. Mao war eindeutig nahe daran für ihre Tochter zu morden. Rai hatte ihr beruhigend die Hand auf ihren linken Oberarm gelegt. Boris stand währenddessen gelassen daneben. Vielleicht war ihm die Situation völlig egal, oder aber, er lachte sich innerlich kaputt über ihr Verhalten. Zumindest aber amüsierte er sich. Nach außen hin ließ er sich auf keinen Fall etwas anmerken. Machte aber auch keine Anstalten, seinen Freund daran zu hindern, auf die Chinesin loszugehen, wenn er das wirklich vorhatte, was er nicht glaubte. Inzwischen waren sie einfach viel zu gut befreundet. Rei stand mitten drin. Seine Hände hatte er wegen der aufgekommenen abendlichen Kälte tief in seine Jackentaschen vergraben, und lächelte. Kein allzu großes Lippenkräuseln, aber es war deutlich als eines zu erkennen. Er mochte seine Freunde. Er würde sie gegen nichts auf der Welt eintauschen wollen… Dennoch… auch wenn es niemand von ihnen je auch nur mit einem Wort angedeutet hätte, kam sich der Chinese wie das fünfte Rad am Wagen vor. Er hätte auch gern jemanden, an den er sich lehnen konnte. Eine starke Schulter bzw. jemanden, der die Einsamkeit nicht mehr ganz so einsam machte. Durch die Vorkommnisse in der Vergangenheit war er in einer seiner vielen schwachen Minuten so am Verzweifeln, sodass er dachte, er würde nie mehr ähnliche Gefühle für jemanden entwickeln können. Er fand sich einfach nicht dazu in der Lage, von Altem abzulassen und sich Neuem zuzuwenden. Und das seit 10 Jahren… lächerlich, oder? Alle in Reis Umfeld gaben sich die erdenklichste Mühe, solche Gedanken der Einsamkeit nicht aufkommen zu lassen. Und selbst der Schwarzhaarige gab sich große Mühe. Jedoch… in solchen Momenten, in denen sie zusammen waren und es sich die glücklichen Beziehungen der anderen nicht mehr leugnen ließen, kamen die dunklen Gedanken und Ängste zurück, ließen sich nur noch schwer unterdrücken. Brachen an die Oberfläche, obwohl man sie wohl überlegt in den tiefen seines Bewusstseins zu vergraben versuchte. Eine unwirkliche, irgendwie unangenehme Stille, hatte sich über die Gruppe von jungen Menschen gelegt. Er wusste nicht mehr, was es gewesen war, was ihn aus seinen Gedanken zurückgeholt hatte. Aber als er die bedrückten Gesichter sah, blinzelte er überrascht. „Was habt ihr denn, Leute? Hab ich was verpasst?“ „Nein, Rei. Ganz und gar nicht. Es ist nur…“, druckste Rai herum. Fand nicht so die rechten Worte, die jetzt eigentlich angebracht wären. Boris Blick lag auf dem schwarzhaarigen Chinesen, während Maos und Yuriys Gesicht ein trauriges Lächeln zierte. Rei hatte absolut keine Lust, sich damit „schon wieder“ auseinanderzusetzen. Der Abend hatte so viel versprechend begonnen. „Wollt ihr noch auf einen Kaffee mitkommen? Mathi hat die Abendschicht und könnte uns noch einen Frischen aufsetzen“, schlug er vor und versuchte so das Thema zu wechseln. Auffordernd glücklich blickte er die Runde, entdeckte jedoch kaum Zustimmung. „Wir müssen nach Hause“, antwortet Mao ihm zuerst. „Wir wollen Hiromi nicht noch länger warten lassen. Außerdem muss Rai morgen früh zu einem wichtigen Meeting in die Firma.“ „Und wir haben auch noch etwas ganz wichtiges vor“, schloss sich Yuriy an. Fragend zog Rei eine seiner Augenbauen nach oben, woraufhin sich die Gesichtsfarbe des Rothaarigen änderte. „Staubkörner zählen… du weißt schon….“ Der Schwarzhaarige lächelte. Ja, er verstand schon. Details wollte er dann lieber doch nicht hören. „In Ordnung. Dann wünsch ich euch eine gute Nacht.“ „Sollen wir dich nicht im Auto mitnehmen?“ bot Rai an. „Es ist für uns kein Umweg.“ Doch Rei schüttelte daraufhin nur mit dem Kopf. „Ich fahre lieber mit der Bahn. Ich muss auch noch im Convenient Store vorbei. Ich habe keine Milch mehr.“ Rai zögerte noch einen Moment, beließ es aber dabei, als er von Mao einen sachten Stoß bekam. „In Ordnung, wenn du es so möchtest….“ Nichts darauf erwidernd, winkte ihnen der Langhaarige noch einmal zu und drehte sich dann um und machte sich auf den Weg zur nahe gelegenen Bahnstation. Die Hände wieder tief in den eigenen Jackentaschen vergraben, sich gegen die abendliche Kälte schützend. Sie hatten noch nicht einmal ganz November. Aber der Winter wollte dieses Jahr schon früher Einzug halten. So hatte es zumindest den Anschein. Leichter Nebel hatte sich in die Straßen Tokyos gezogen. Legte sich wie eine dichte Suppe über den Asphalt. Warme Luftströme aus den unterirdischen Abwasserkanälen stiegen bei den Kanaldeckeln empor und verliehen dem Ganzen ein recht gruseliges Ambiente. Um diese Uhrzeit waren kaum noch Menschen auf den Straßen. Bald würde die letzte Bahn fahren und dann war es an den Putzkräften, die Stationen wieder auf Vordermann zu bringen für den nächsten Tag. Rei überlegte, ob er nicht schon einmal daheim anrufen sollte, damit sich Brooklyn keine Sorgen um ihn machte. Der Orangehaarige hätte ihn gern begleitet, wäre ihm nicht einer seiner Nachhilfeschützlinge mit einem Notfall dazwischen gekommen. Hatte ihn so lange am Telefon angefleht, bis dieser sich erbarmt und zugestimmt hatte, sich mit ihm zu treffen. Der Chinese hatte sein Mobiltelefon schon in der Hand, als er Schritte in seiner Umgebung hörte. Kurz wunderte er sich. Er war doch schon die ganze Zeit alleine auf der Straße. Woher kamen dann die Geräusche? Oder war das vielleicht nur das Echo seiner eigenen Schuhe? Er klappte sein Telefon auf und klickte sich durch sein Telefonverzeichnis, als er erneut die Geräusche hörte. Stirnrunzelnd verlangsamte er seine Schritte nicht, begann aber wachsamer auf seine Umgebung zu achten… und tatsächlich. Da waren sie. Ähnlich seinem Tempo angepasst. Allerdings schwerer als seine eigenen und bei genauerem Hinhören leicht zu erkennen. Wie mit dem Durchsickern dieser Tatsache in seine Gedanken, nahm die Panik überhand. Medienberichte von Entführungen, Morden, Vergewaltigung rasten durch seinen Kopf, verursachten einen dünnen Schweißfilm auf seiner Stirn. Es war nicht so, als ob er sich nicht wehren könnte, er war durchtrainiert wie eh und je, aber der Gedanke, dass er eventuell als nächstes Opfer in den Medien auftauchen würde, versetzte ihn in Panik. Dann fielen ihm wieder die nächtlichen Anrufer ein und plötzlich machte in ihm etwas Klick. Er begann zu laufen. Von einem Moment auf den anderen hatte er nur noch einen schwerwiegenden Gedanken: Weg! So schnell und irgendwie möglich an einen sicheren Ort zu gelangen. Auf die Schritte hinter ihm achtete er schon gar nicht mehr, er hörte nur noch das Blut in seinen Ohren rauschen. Erleichterung durchströmte den Chinesen, als er um die Ecke bog und die vertraute Anschrift der Bahnstation erkannte. Mobilisierte alle Kräfte, die ihm noch zur Verfügung standen und spurtete auf die Treppen zu, die unter die Erde führten. Gerade als er nach dem Geländer greifen wollte und sich daran machte, die Stufen hinunterzueilen, prallte er gegen eine Person und riss sie mit sich zu Boden. Erneut überkam ihn Panik als ihn zwei Hände an den Schultern packten und ihn versuchten, festzuhalten. Wie hatte es der Kerl nur geschafft vor ihm an der Station zu sein? Vor allem… wie hatte er wissen können, dass er dorthin wollte. Die Gedanken rasten nur so durch ihn hindurch, dass er nichts mehr um sich herum wahrnehmen konnte. „Rei! Rei!! Verdammt noch mal, REI!!“ wurde er hart durchgeschüttelt. Nur langsam sickerte sein Name in sein Bewusstsein. Augenblicklich hielt er inne und blinzelte die Person verwirrt an. Ein orangefarbener Haarschopf kam in sein Blickfeld und auf einmal fiel jegliche Anspannung von ihm, als hätte jemand ihm eine schwere Last von den Schultern genommen. „Brook!“ „Rei! Verflucht nochmal. Was ist hier los?!“ „Brook… Brook…“, Rei brachte einfach nicht mehr hinaus. Hatte sich in den Mantel seines Freundes gekrallt und zitterte wie Espenlaub, als dieser ihn zögerlich, dann aber fest umarmte und an sich drückte. „Rei… komm. Steh‘ auf. Es ist schon viel zu kalt, um auf dem Boden zu sitzen. Außerdem ist es hier nass“, versuchte der Amerikaner den Schwarzhaarigen dazu zu bekommen, sich aufzurichten. „Brook. Ich wurde… verfolgt“, stotterte Rei und sah sich hektisch in alle Richtungen nach seinem Verfolger um. Allerdings waren die Straßen wie leergefegt. Hinter einigen wenigen Fenstern brannte noch Licht. Der Nebel bewegte sich langsam über den Asphalt. „Es ist aber niemand hier.“ „Aber… er war da. Brook ich halluziniere nicht!“ fauchte Rei ungehalten und bedachte seinen Freund mit einem vorwurfsvollem Blick, während dieser in hoch und in eine Umarmung zog. Skeptisch suchte Brooklyn die Umgebung nach einem menschlichen Zeichen ab. Jedoch ohne Erfolg. „Selbst wenn. Nun ist er weg“, flüsterte er und fuhr dem Kleineren kurz durchs Haar. „Was machst du überhaupt hier? Ich dachte, du müsstest Nachhilfe geben.“ „Wir sind eher fertig geworden. Heute war Yuu nicht so begriffsstutzig wie sonst und wir waren nach drei Stunden mit dem Stoff durch“, fuhr Brook fort und brachte Rei somit zum Lachen. „So dachte ich bei mir… holst du deinen Schatz ab und fahrt gemeinsam nach Hause, wenn du ihn schon versetzt hast.“ Erntete daraufhin einen spielerischen Schlag gegen den Oberarm. „In Ordnung. Ich bin froh, dass du hier bist“, seufzte Rei. „Bring mich nach Hause.“ „Nichts lieber als das“, antwortete der Amerikaner, legte einen Arm um seine Schultern und führte ihn hinunter zur Bahnstation. Nicht bemerkend, wie sich im Schatten eines großen Hochhauses etwas bewegte. „JA?!“ fauchte eine brummige Stimme ins Telefon, dessen Klingeln ihn aus den Gedanken gerissen hatte. „Guten Tag! Hier spricht ihre Sekretärin, die sie so einfach im Stich gelassen haben. Haben sie vergessen, dass sie heute einen wichtigen Termin haben?“ antwortete eine nicht minder aufgebrachte Stimme am anderen Ende der Leitung. „Takashima ist nicht so wichtig. Ich habe Leute, die sich darum kümmern können. Veranlassen sie das. Ich sehe nicht wo das Problem liegt“, antwortete die Person gelassen. Eine mit weißen Handschuhen bezogene Hand spielte mit dem Hörerkabel und wickelte es um einen Finger. „A-Aber…“, stotterte sie. „Es liegt in ihrem Verantwortungsbereich, dass alles reibungslos verläuft. Das Projekt steht kurz vor dem Abschluss. Das ist ein Meilenstein in ihrer Karriere. Sie können doch nicht alles so leichtfertig aufs Spiel setzen und einfach so verschwinden. Es hat mich Stunden gekostet, sie ausfindig zu machen.“ „Gute Arbeit“, grinste er süffisant. „Ich wusste, warum ich gerade sie eingestellt habe. Veranlassen sie alles weitere. Dazu brauchen sie mich nicht.“ „Aber Herr-!“ Tut-tut-tut-tut. „Hattest du eigentlich in der letzten Zeit noch solche Anrufe von diesem Perversen?“ Rei schüttelte den Kopf und nahm die Salatschüssel vom Tisch, um sie in die Küche zu tragen. „Nein. Seltsamerweise war Funkstille.“ „Du siehst auch schon viel besser aus“, stellte Boris fest und faltete seine Serviette. „Ich bin ausgeschlafen“, lächelte der Schwarzhaarige und setzte sich wieder zu seinen Freunden. „Ich hoffe, dass bleibt auch so. Vielleicht hat er ein neues -Lustobjekt- gefunden.“ „Boah, hör auf!“ verlangte Yuriy. „Mir stellen sich alle Nackenhaare auf!“ Der Chinese lachte. „Schon gut. Wollt ihr noch etwas Nachtisch?“ „Ja wieso nicht. Wird später sowieso wieder abtrainiert“, grinste der Rothaarige und bekam daraufhin von Boris einen Fußtritt unter dem Tisch. Inzwischen hatte Rei schon das Eis aus dem Kühlschrank genommen und teilte großzügig aus. „Hey! Wofür war denn das?!“ empörte sich Yuriy und versuchte nun seinerseits den anderen mit einem Hieb zu beschenken. „Das ist für deine Insensibilität Gefühlen anderer gegenüber!“ „Ich hab doch gar nichts getan, verflixt noch mal. Rei versteht das schon richtig… außerdem bin ich überhaupt nicht unsensibel. Du hast doch keine Ahnung!“ „…“ Boris Schweigen war Antwort genug, was Yuriy noch mehr in Rage versetzte. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand anderer über ihn Recht behielt. Und noch viel schlimmer war es, wenn es sein eigener Geliebter war. Es zeugte nur davon, wie gut der andere ihn kannte und er nichts verheimlichen konnte. Der Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht und so griff er zu seinem letzten, wenn auch schwachen, Trumpf. „Du bist ein Ekel, Boris. Jetzt geht es Rei sicherlich erst recht schlecht, wo du ihn doch direkt mit der Nase hast drauf stoßen müssen“, beschwerte er sich. Versuchte, von seiner Ehre zu retten, was noch zu retten war. Der Größere lächelte nur traurig, als Rei das Tablett mit den Dessertschüsseln zwischen ihnen auf dem Tisch abstellte. „Hört auf, euch zu streiten. Das kann ja niemand mit anhören.“ „Es… Rei, es tut mir leid“, seufzte der Rothaarige. Drehte und zwirbelte dabei die Serviette zwischen seinen Händen. Plötzlich schämte er sich. Und das nicht zu knapp. Entschuldigend sah er zuerst den Chinesen und dann seinen Freund an. Reden mochte zwar einfach sein, sich zu entschuldigen dagegen um vieles schwerer. Das wussten die Anwesenden alle und so wurde stillschweigend beschlossen, das Thema ruhen zu lassen, als ein lautes Poltern aus dem Vorzimmer erklang und alle zusammenzucken ließ. „So ein verfluchter…!“ Verlegen räusperte sich der Schwarzhaarige einmal. „Ähm… ich schätze Brooklyn ist zu Hause.“ Ein Klirren, dicht gefolgt von einem metallischen Kratzen und einem lauten Rumms, stolperte der Amerikaner ins Wohnzimmer und verhedderte sich dabei beinahe noch im Teppich. „Guten Abend allerseits. Oh… ihr seid schon fertig mit Essen. Dabei hab ich mich so beeilt“, erklärte Brooklyn enttäuscht und ließ die Schultern hängen. Die Aktentasche ließ er dabei einfach auf den Boden fallen und machte ein langes Gesicht, welches den Chinesen allerdings ziemlich zu erheitern schien. „Keine Sorge. Deine Portion steht im Kühlschrank. Wir konnten doch nicht wissen, dass du es früher schaffst.“ „Ihr könnt mir gratulieren!“ „Wozu“, wollte Yuriy neugierig wissen und leckte seinen Löffel mit Eis ab. „Ein neuer Schüler auf meiner immerwährenden und ständig wachsenden Liste des Erfolges!!“ Die Augenbrauen der Anwesenden wanderten nach oben. Fragende Blicke wurden ausgetauscht. Gedanklich überlegte man, ob man ihren Freund nicht für verrückt erklären sollte. „Jetzt schaut doch nicht so drein, Leute! Einliefern könnt ihr mich das nächste Mal. Heute wird gefeiert!!“ frohlockte der Orangehaarige und zog eine Flasche Champagner aus seiner Tasche. „Woher hast du denn die her? Hast du einen heimlichen Sponsor?“ „Nein, Boris. Wie ich bereits sagte… meine Erfolgsliste ist heute um eine Zeile länger geworden.“ „Heißt das?“ „Ja, Rei… das heißt Yuu hat seine Prüfung mit Leichtigkeit bestanden! Diesen edlen Tropfen hat er mir heute zum Geschenk gemacht. Und da ich ja ein liebevoller und sozialer-…“, ein Räuspern seitens Boris, „-Mensch bin. Danke Boris…. Wollte ich meine Freude mit euch teilen!“ „Das ist ja wundervoll“, jubelte Rei. „Ich hole die Gläser.“ Die Uhr stand kurz vor Mitternacht, als die Flasche ihren letzten Tropfen preisgab. Vier Freunde saßen auf dem großen Sofa und unterhielten sich lachend über die verschiedensten Dinge. In der letzten Viertelstunde hatte Yuriy damit begonnen, peinliche, aber zumeist lustige Anekdoten aus der Vergangenheit zum Besten zu geben, was bei den anderen für allgemeine Erheiterung sorgte. Die zwei Russen wechselten sich bei den Pointen ab. Hatten sie doch wohl die meiste Zeit von allen miteinander verbracht. Währenddessen saß Rei an Brooklyn gelehnt, mit seinem Kopf auf seiner Schulter und hörte aufmerksam zu. Auch wenn diese Geschichten bereits einige Male erzählt worden waren, so war es doch immer wieder aufs Neue schön, in Erinnerungen zu schwelgen. Von den gemeinsamen Kämpfen in den Turnieren damals, bis hin zu Geschichten aus der Abtei… von allem war etwas dabei. Bis die Themen begannen, ein wenig in Richtung Gürtellinie abzuwandern. „Wisst ihr noch, damals? Als Takao Hiromi den Antrag gemacht hat? Er hat hunderte von langstieligen, roten Rosen bestellt… nur um dann festzustellen, dass sie allergisch drauf reagiert hat“, prustete Yuriy und klopfte sich auf den Oberschenkel. Daran konnten sie sich alle noch gut erinnern. Max hatte Hiromi in die Notaufnahme gebracht, weil ihr Freund zu geschockt war, um dies zu tun. „Armer Max. Für ihn war diese Zeit auch nicht gerade einfach“, murmelte Rei. „Wenn Kai hier gewesen wäre, wäre dass das gefundene Fressen für ihn gewesen“, grinste Brook und drückte kurz die Schulter des Chinesen. Augenblicklich war es still in der Wohngemeinschaft der beiden Freunde. Man hätte eine Stecknadel fallen hören, wenn man es gewollt hätte. Yuriy schnappt hörbar nach Luft, während Boris einfach so war wie immer… gelassen und emotional unbeteiligt. Es dauerte nur wenige Augenblicke bis Brooklyn seinen Fehler bemerkte. Sein Gesichtsausdruck wechselte blitzschnell von heiter, amüsiert in tief betrübt. „Das hätte ich jetzt vielleicht nicht sagen sollen….“ Die bloße Erwähnung von Kais Namen löste einen Emotionsschub im Chinesen aus, der ihm beinahe die Tränen in die Augen steigen ließ. ~*~Flashback~*~ „Jetzt zier dich doch nicht so. Du weißt, was der Arzt gesagt hat! Mindestens zwei Wochen Krankenhausaufenthalt, wenn du dir nicht endlich helfen lässt und deine Medizin nimmst, wie ein ganz normaler Mensch!“ „Hmpf!“ „Ich habe mich bereit erklärt, dich zu pflegen. Aber das auch nur, weil du dummer Sturkopf die anderen nicht in deine Nähe lässt und ich nicht will, dass du… dass du…“, ging der Rest seiner Predigt in Schluckauf unter. Der Chinese wurde selten wütend. Aber wenn er es doch einmal wurde, dann so richtig. Halbe Sachen kannte er wohl nicht und genau das war es wohl, was Kai zum Grinsen brachte. Auch wenn er sogleich wieder bereute, denn ein Hustenanfall der Sonderklasse befiel ihn und ließ ihn nach wenigen Momenten erschöpft und geschwächt nach Luft schnappen. Die Augen geschlossen sank Kai zurück in sein Kissen und entspannte sich nur langsam wieder. „Du hast ja recht“, krächzte er. Schaffte es aber nicht, seinem Teamkamerad in die Augen zu blicken. Viel zu lange hatte er sich gegen alles gewehrt, was ihm hätte helfen können. Sein Stolz so groß, wie eine uneinnehmbare Festung. Ein Bollwerk aus düsteren Zeiten, stark und unverwüstlich, den rauen Zeiten standhaltend. Der Arzt hatte sich das einige Zeit mit angesehen. Vielleicht hatte er auch einfach darauf gehofft, dass sich der Russe selbst von der Erkältung erholen würde. Sich selbst regenerierte und wieder zu Kräften kam. Aber als sich der Zustand des Russen immer weiter verschlechterte als sich zu verbessern, sah Doktor Kawashima keinen anderen Ausweg mehr und stand schon, mit dem Mobiltelefon in der Hand den Krankenwagen rufend, als Rei ihn davon abhielt. Kai war mit Erwähnung des Krankenhauses noch bleicher, ja schon beinahe grün im Gesicht geworden, sodass er grummelnd klein beigab und versprach, sich helfen zu lassen. Mit einer kleinen Ausnahme… er akzeptierte die Hilfe nur, wenn sie von dem schwarzhaarigen Chinesen kam. Er wollte die Gesichter seiner Teammitglieder nicht sehen. Der Spott der anderen ist nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Ihre Wohnung hatte zwar dicke Wände, aber so schalldicht waren sie dann auch wieder nicht, als das der Graublauhaarige die Witze, die die anderen im Wohnzimmer über ihn rissen, nicht hätte hören können. Das war mitunter der Hauptgrund, wieso er nur Rei bei sich haben wollte. Dieser hatte sich nämlich aus den Scherzen der anderen gänzlich herausgehalten. Zumindest hatte er nicht mitgemacht. Das war Grund genug für ihn, ihm dem Schwarzhaarigen vertrauen zu können. Zumindest ein wenig… Und nun standen bzw. saßen sie sich gegenüber. Bernsteinfarbene Augen funkelten den Russen wütend an, als er einen erneuten Hustanfall erlitt und sich mit der Hand krampfhaft in sein T-Shirt krallte. Augenblicklich war Rei an seiner Seite und reichte ihm eine Tasse heißen Tee und strich ihm beruhigend über den Rücken. „Es wird bald besser. Du wirst sehen, die Medizin wirkt bald“, murmelte er leise, ohne in seinem Tun inne zu halten. Erst als sich der Russe wieder an sein Kissen lehnen wollte, stoppte er und seufzte. „Ich habe dir ein Erkältungsbad eingelassen. Ich überziehe in der Zwischenzeit dein Bett neu. Dann geht es dir sicherlich gleich besser.“ Rei hatte aufmunternd klingen wollen und Kai wusste das sehr wohl zu schätzen. Sie hatten schon immer eine gewisse Verbundenheit zwischen sich gehabt. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Gesellschaft des anderen war angenehm, ohne aufdringlich oder nervend zu wirken. Und irgendwann war diese Verbundenheit in Anziehung übergegangen… Der Chinese hatte Kai ins Badezimmer geholfen, überprüfte die Temperatur des Wassers und fügte die Badezusätze aus der Apotheke hinzu. Gemischt mit einigen chinesischen Kräutern, die er noch aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Danach richtete er sich auf und blickte den Graublauhaarigen auffordernd an. „Was?!“ wollte dieser auch sogleich wissen. Die normale Schärfe seiner Stimme durch die Erkältung belegt und kratzig. „Na, ausziehen. Du kannst doch nicht mit deinen Sachen in die Badewanne.“ „Das schaff ich von jetzt an auch alleine. Du kannst draußen warten…“, wurde Kai gegen Ende immer leiser. Und wäre das Fieber nicht gewesen, hätte Rei unter Umständen die leichte Röte auf seinen Wangen erkennen können. „Draußen kann ich dir aber nicht helfen“, grinste der Schwarzhaarige leicht und machte sich daran, seinen Teamleader aus dem Oberteil zu schälen, welches vom Schweiß ein wenig an seiner Haut klebte. „Rei…“ Als sich der Kleinere von beiden an die Hose machte, versuchte Kai ihn aufzuhalten. „Schon in Ordnung. Ich schau’ dir schon nichts ab“, lächelte er weiter und zog ihm die Jogginghose von den Beinen. Ging dabei ein wenig in die Knie und half ihm aus den Hosenbeinen zu steigen. Die ganzen Klamotten wanderten sofort zur Schmutzwäsche, während der Russe ein wenig verloren in der Mitte des Badezimmers stand und den Zustand der Nacktheit zu ignorieren versuchte. „Das Wasser sollte warm genug sein. Ich hoffe, es ist dir nicht zu heiß“, lenkte Rei ihn ab und griff nach seinem Oberarm, führte ihn zur Badewanne und half ihm, hineinzuklettern. Ein wenig wackliger auf den Beinen, als es sich der Russe vorgestellt hatte, griff er nach Reis Hand und hielt sich fest, während er versuchte, sich im Langsitz ins Wasser zu setzen. Immer einen skeptischen Blick riskierend, ob dieser nicht auf seine Körpermitte blickte. Doch dieser war viel zu sehr damit beschäftigt Kais Gewicht halten zu können, als sich auch nur irgendwie von „Körperteilen“ ablenken zu lassen. Der Graublauhaarige griff nach dem Wannenrand, um sich abzustützen und rutschte prompt auf der nassen Oberfläche aus, sackte mit einem lauten Platschen komplett ins Wasser und ging für einen Moment unter. Leichtes Entsetzen machte sich in ihm breit, als er merkte, dass er Rei mit sich ins Wasser gezogen hatte. Dieser hing mit dem Oberkörper über dem Wannenrand und war selbst von oben bis unten durchnässt, als Kai die kleine Überschwemmung verursacht hatte. Der Chinese blickte erschrocken drein. Nasse Strähnen hingen ihm ins Gesicht. Um keinen Deut besser als der Graublauhaarige. „Ent… schuldige…“, brachte er gerade noch hinaus. „K-kein… Problem… es ist… ja nur… Wasser“, stotterte Rei und ließ seinen Blick über Kais Gesicht wandern. Blieb schlussendlich an den von Wasser glänzenden Lippen hängen. Und dies war der Beginn… bzw. der Anfang vom Ende… ~*~Flashback End~*~ „Das ist ja richtig romantisch“, knuffte Brooklyn den kleineren Chinesen, nachdem dieser mit seiner Geschichte geendet hatte. Eigentlich wollte er die Vergangenheit für sich behalten. Es reichte ihm völlig, wenn Yuriy und Boris bescheid wussten. Denn irgendjemandem musste er sich damals anvertrauen, sonst wäre er ausgerastet. „Es freut mich, einmal die komplette Geschichte zu hören. Bisher hast du dich ja immer hartnäckig geweigert, Rei.“ „Es müssen nicht alle darüber bescheid wissen. Das wäre nicht in Kais Sinn gewesen.“ „Wieso?“ Der Chinese seufzte. „Er hatte furchtbare Angst… vor den Reaktionen anderer.“ Ungläubig blinzelte Brooklyn. Das waren ganz neue Seiten, die er da zu sehen bekam. Die anderen anwesenden Russen hörten schweigend zu. Yuriy entkam ab und an ein Seufzen. Er wusste neben Rei am Besten über seinen langjährigen Freund bescheid. Aber selbst –wie- das alles passiert ist, hatte ihn zutiefst überrascht. Und er dachte, er kannte den Graublauhaarigen. „Hattet ihr denn eine richtige Beziehung?“ wollte Brooklyn weiter wissen. Inzwischen hatten sie sich alle auf den Sofas im Wohnzimmer niedergelassen. Mit neuen Getränken und kleinen Knabbereien, mit denen sie der Chinese versorgt hatte, während er seine Geschichte erzählt hatte. „Wenn man das so nennen kann…“, fuhr der Schwarzhaarige fort und knabberte an einer Salzstange. „Wie soll ich das verstehen?“ fragte er und blickte fragend in die Runde. Erntete aber nur einen gleichgültigen Gesichtsausdruck von Boris und einen betrübt bis traurigen Blick von Yuriy. „Er hat nie gesagt, dass er mich liebt, wenn du es genau wissen willst“, fuhr Rei seinen Mitbewohner an. Bereute seinen Ausbruch jedoch sofort wieder, als er leise fortfuhr. „Man kann es als Techtelmechtel bezeichnen… oder vielleicht nicht mal als das. Es durfte niemand etwas davon wissen.“ „Oh…“ „Es kam ein wenig gelegen, dass wir uns zumeist ein Zimmer geteilt haben, weil niemand mit Kai gemeinsam im gleichen Raum schlafen wollte. Aber das war es auch schon. Kai war nach einiger Zeit richtig paranoid. Er hat hinter jeder Ecke, in jedem Schatten jemanden vermutet, der uns beobachtet.“ „Oh… mein… Gott… Das hätte ich ihm nie zugetraut. Er hat doch so ein enormes Ego. Sein Selbstbewusstsein…“ „Nach außen hin hat das jeder, der die Abtei lebend verlassen hatte“, mischte sich Yuriy ein, betonte das Ende seines Satzes besonders. Machte damit klar, dass bei weitem nicht jeder Biovolt überlebt hatte. Er reagierte noch immer so, wenn jemand seinen „Bruder“ ins falsche Licht rückte. Das Verhältnis ging schon bald tiefer als Blut zwei Menschen verbinden konnte. „Entschuldige… so hab’ ich das nicht gemeint…“ „Hmpf… schon gut.“ „Irgendwann war er dann einfach weg…“, fuhr Rei fort und beendete die kleine Auseinandersetzung. Lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Wie meinen?“ wunderte sich Brooklyn. „So, wie ich es sage. Von einem Tag auf den anderen war er weg. Verschwunden. Als hätte der Erdboden ihn verschluckt… Nicht einmal einen Abschiedsbrief hat er hinterlassen…“ „Rei…“ „Ich weiß bis heute nicht, ob wir eine Beziehung hatten“, lächelte der Schwarzhaarige traurig und versuchte tapfer das Lächeln aufrecht zu erhalten. Leicht lehnte er sich gegen Brooklyn, welcher sofort einen Arm um seine Schulter legte und ihn wärmend an sich drückte. Es waren keinerlei Worte mehr notwendig. Brooklyn verstand sofort die Tragweite der Situation und hatte genug Einfühlungsvermögen nicht noch mehr nachzuhaken. Irgendwie war nachvollziehbar, warum Rei sich vor einer Beziehung scheute… „Hast du die Croissants aus dem Lager geholt?“ schrie Rei in die Küche, wo er Mathilda vermutete, während er eine neue Bestellung zusammensuchte. Heute war es stressiger als sonst. Die Unterstützung für die Frühschicht war nicht zur Arbeit erschienen. Hatte sich krank gemeldet. Somit mussten sie alleine zu recht kommen und waren… schlicht ein wenig überfordert. Der Chinese balancierte geschickt das Tablett mit den Getränken an ihren Bestimmungsort, nahm auf den Rückweg drei neue Bestellungen entgegen. Steckte sich den Stift hinters Ohr und machte sich daran, die wartenden Kunden von der Straße zu bedienen. Mathilda rauschte an ihm vorbei, schnappte sich seinen Block mit den darauf notierten Speisen und Getränken. Hinterließ dabei eine leichte Spur ihres Parfums in der Luft. Rei lächelte und stellte die zwei Cappuccino auf den Tresen und kassierte das Geld dafür. Hektisches Treiben störte ihn nicht besonders. Er mochte es, wenn viel zu tun war und man sich keine Gedanken über Belanglosigkeiten zu machen brauchte. „Einen Latte Macchiato zum Mitnehmen. Mit besonders viel Milchschaum, bitte.“ „Kommt sofort!“ summte der Schwarzhaarige. Als er das fertige Getränk auf den Tresen stellte, fielen ihm zuerst die weißen Handschuhe des Kunden auf. Verwundert runzelte er die Stirn. Das waren keine, die man trug, wenn es draußen kalt war. Sie waren aus dünnem Stoff und ziemlich edel, soweit er das erkennen konnte. Langsam wanderte sein Blick nach oben. Über einen teuren Anzug in dem ein sichtlich gut gebauter Mann steckte, weiter hinauf… bis er das Gesicht des Kunden erkannte… Mit einem erschrockenem Laut und weit aufgerissenen Augen stolperte er rückwärts gegen die Arbeitsplatte. Riss dabei eine der Kaffeekannen zu Boden, die mit einem lauten Klirren zerschellte. Lenkte damit Mathildas Aufmerksamkeit auf sich, die gerade einem jungen Pärchen das Wechselgeld aushändigte. „Kai…“ „Ich bin wieder zu Hause! Was gibt es zu essen?“ flötete Brooklyn und streifte sich den Mantel von den Schultern. Ließ beiläufig seinen Wohnungsschlüssel auf die Anrichte fallen und schlüpfte in die Hausschuhe, die der Chinese für ihn bereitgestellt hatte. Dabei bemerkte er auch das fremde Paar Schuhe, welche neben der Tür abgestellt worden war. Ein kurzer Blick auf die Garderobe bestätigte seine Vermutung. Rei hatte Besuch. Außer er war in den letzten Stunden enorm gewachsen, hatte zwei Schuhgrößen zugelegt und ziemlich breite Schultern bekommen. Beziehungsweise hätte er eine Bank überfallen müssen, um sich SO einen Mantel leisten zu können. „Rei? Wer ist denn bei dir?“ Keine Antwort. Nur leise Musik drang aus ihrem Wohnzimmer. Anscheinend konnte er ihn nicht hören, da die Tür geschlossen war. Tief seufzte Brooklyn auf. Er mochte keine Überraschungen… Plötzlich ging die Tür auf und ein überraschter Rei stand vor ihm. „Brook! Du bist früh dran“, strahlte ihn der Chinese an und umarmte ihn stürmisch. „Du bist ja ganz kalt. Komm rein, wir haben Besuch“, fuhr Rei fort und zog ihn ins Wohnzimmer. Leise lachend ließ Brooklyn alles mit sich geschehen und blieb regelrecht wie festgefroren im Türrahmen stehen, als er die Person auf dem Sofa erkannte. „Kai…“ „Brooklyn“, erwiderte der Angesprochene im gleichen Ton und erhob sich. „Er stand heut einfach im Cafe und hat sich einen Kaffee zum Mitnehmen bestellt. Einen Kinderkaffee… er hat schon früher kein Koffein gemocht“, kicherte der Schwarzhaarige über die Erinnerung an früher und stellte Kekse auf den Tisch. Ließ sich anschließend wieder auf dem Sofa direkt neben dem Russen nieder und klopfte ein wenig zögerlich neben sich, um Brooklyn zu deuten, er solle sich auch setzen. Doch keiner der beiden bewegte sich auch nur einen Millimeter vom Platz. „Ich glaube, es ist besser ich gehe jetzt. Brooklyn, schön dich wieder gesehen zu haben. Rei, wir sehen uns dann morgen“, sagte Kai und deutete eine Verbeugung an, bevor er sich auf ins Vorzimmer machte und sich ankleidete. Brooklyn bedeutete seinem Mitbewohner, dass er ihren Besuch noch hinausbrachte und ging dem Russen nach. Beobachtete ihn dabei, wie er sich den Schal umband. Nun fielen auch ihm die weißen Handschuhe auf und runzelte die Stirn. „Bist du unter die Adeligen gegangen?“ wollte er wissen. „Nein. Ich bin nur vermögend geworden“, antwortete der Graublauhaarige und öffnete die Tür. „Danke, dass du so gut auf ihn aufpasst“, flüsterte er noch, bevor er in die kalte Nacht verschwand. Dabei hatte er es nicht einmal geschafft, Brooklyn in die Augen zu blicken. Hielt seinen Blick stur gesenkt. „Keine Ursache“, murmelte der Amerikaner perplex, was Kai jedoch nicht mehr hören konnte. Dann verschloss er sorgfältig die Eingangstür und ging zurück zu Rei, der immer noch im Wohnzimmer auf ihn wartete. „Du bist also wieder in der Stadt.“ „Jap.“ „Es ist lange her.“ „Jap.“ „Was treibt dich her. Ich dachte, in Russland scheffelst du das große Geld.“ „Ich habe meine Gründe, Yuriy. Schön auch dich wieder zu hören.“ „Jaja… du hättest zumindest bescheid geben können“, brummte der Rothaarige in den Hörer. „Dafür melde ich mich ja jetzt bei dir.“ „Warst du bei ihm?“ „Ja. Es geht ihm gut, soweit ich das beurteilen konnte.“ „Du urteilst falsch, Westentaschencasanova“, grummelte Yuriy verstimmt. „Wie kannst du es wagen, auch nur etwas über seinen Zustand zu äußern. Nach all den Jahren…“ „Lass gut sein. Du kennst die Gründe. Daran hat sich bis heute nichts geändert.“ „Wieso bist du dann hier?“ „Auch dafür habe ich meine Gründe.“ „Wie immer sprichst du in Rätseln, Kai. Lass mich dir einen gut gemeinten Rat geben…“ „Ich höre…“ „Pass von nun genau auf, was du tust. Rei hat sehr gute Freunde, die auf ihn aufpassen und denen er viel bedeutet.“ Und Kai verstand. „Ich weiß.“ „Dann ist ja gut. Ich wünsche dir eine gute Nacht“, erwiderte Yuriy noch, bevor er auflegte und somit das Gespräch beendete. Sachte löste Boris die verkrampfte Hand Yuriys vom Hörer und führte sie an seine Lippen. „Vielleicht ist er doch noch zur Besinnung gekommen und begleicht die Schulden seiner Vergangenheit“, mutmaßte er und küsste dabei sanft den Handrücken. „Das glaubst du doch wohl selber nicht“, lächelte der Rothaarige und strich durch seine Haare. „Hiwatari hat den größten Sturkopf den ich je bei einem Menschen gesehen hab. Und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er dabei seinen eigenen Großvater noch bei weitem übertrifft.“ „Sag so etwas nicht. Wir müssen sowieso abwarten. Wir werden früh genug erfahren, was er vorhat. Lass uns zu Bett gehen, Kleiner.“ Ohne auf eine Antwort des Rothaarigen zu warten, zog er ihn in eine Umarmung, hob ihn hoch und trug ihn in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Die nächsten Tage zählte Rei zu den wohl Schönsten, die er seit langem erlebt hatte. Anfänglich war er sehr über die Rückkehr Kais überrascht gewesen. In den Medien wurde nichts über seinen Aufenthalt in Japan berichtet, was ihm verdeutlichte, dass er wohl auf eigene Faust gekommen war. Er hatte somit keine geschäftlichen Gründe gehabt, sich nach Tokyo zu begeben. Und dennoch… er war nicht misstrauisch, aber eine gesunde Portion Skepsis erlaubte er sich schon. Immerhin waren die letzten zehn Jahre nicht gerade spurlos an ihm vorübergegangen. Und er konnte sich noch sehr gut an die Schmerzen erinnern, die er erlitten hatte. An die Probleme, die er mit seiner depressiven Stimmung bei seinen Freunden angerichtet hatte. Für ihre Unterstützung würde er ihnen auch auf ewig dankbar sein. Kai lud ihn zu teuren Essen ein. Chauffierte ihn in seiner nachtschwarzen Limousine durch die Stadt und erfüllte ihm jeden auch nur erdenklichen Wunsch. Rei ließ alles mit sich geschehen und genoss die Aufmerksamkeiten. Er hatte sich ein paar Tage von der Arbeit frei genommen und besuchte mit Kai zusammen einige alte Orte, an denen sie früher viel Zeit verbracht hatten. Zum Beispiel die Stelle am Strand, an der sie immer trainiert hatten. Wo der Russe sie damals hatte stundenlang im Kreis laufen lassen und sie nach schier endloser Zeit im Sand zusammenbrachen. Alles in allem hatten sie eine schöne Zeit miteinander verbracht. Rei hatte keine Fragen gestellt. Nicht darüber, warum er ständig in Geschäftskleidung unterwegs war, oder warum er ständig diese weißen Handschuhe trug. Irgendwie vertraute er darauf, dass er schon bald den Grund dafür erfahren würde. Und auch diesmal sollte er Recht behalten. Sie waren zu einer Anhöhe gefahren, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Es war Reis letzter freier Tag und auch Kai musste sich bald seinen Geschäften widmen. Aber noch wollten beide nicht darüber nachdenken. Saßen auf einer Bank nah bei den Klippen und sahen den Möwen zu, wie sie hoch über dem Wasser flogen. Immer auf der Suche nach etwas Fressbarem. „Rei…“ „Ja?“ antwortete der Chinese, nahm seinen Blick jedoch nicht vom Ozean. „Kannst du dir denken, wieso ich nach Japan gekommen bin?“ „Sollte ich das denn?“ „Ich hatte es gehofft…“ „Du stellst dir das ziemlich einfach vor, nicht wahr, Kai?“ fragte Rei, ließ seinen Gegenüber aber nicht zu Wort kommen. „Was erwartest du denn von mir? Dass ich dich mit offenen Armen empfange, nach all den Jahren? Dass ich vielleicht einfach vergesse, was geschehen ist und so tue, als wenn nie etwas gewesen wäre? Herrgott noch mal… ich weiß nicht mal, was damals zwischen uns gewesen ist! Also woher soll ich wissen, warum du plötzlich beschlossen hast, wieder bei mir aufzutauchen…“ Betreten sah der Graublauhaarige zu Boden. „Ich habe gehört, du hast einen Sohn…“, fuhr der Chinese fort. „Herzlichen Glückwunsch,… auch wenn es einige Jahre zu spät ist.“ „Danke“, lächelte Kai. „Sein Name ist Gou. Er ist ebenfalls mit mir hier in Japan.“ „Wo ist seine Mutter?“ „Beim Tennislehrer und sich eine Nachhilfestunde im Einzel geben lassen, nehme ich an“, erwiderte er trocken. „Oh… war er denn kein Wunschkind?“ „Für mich schon. Gou ist für mich mitunter das Wichtigste auf der Welt… neben dir“, antwortete Kai todernst und blickte dem Schwarzhaarigen tief in die Augen, was ihn erröten ließ. „Warum bist du damals dann einfach gegangen?“ Leise lachte Kai, was Rei irritiert und ein wenig wütend aufblicken ließ. „Hat Yuriy denn nie mit dir darüber gesprochen?“ „Worüber?“ „Er ist wirklich loyal“, schmunzelte der Graublauhaarige mehr zu sich selber, „und dass, obwohl er doch so gerne redet…“ Dabei blickte er direkt in die bernsteinfarbenen Augen seines Gegenübers. „Ein Grund war der, dass der Gesundheitszustand meines Großvaters sich damals extrem verschlechtert und mich regelrecht zwang, nach Russland zurück zu kehren. Es war ja nicht so, als dass ich besonders scharf darauf war, Biovolt zu übernehmen und somit in die Fußstapfen von Voltaire zu schlüpfen, aber er hatte mich in der Hand… er kennt meine größte Schwäche…“ „Die da wäre? Was könnte man gegen einen Hiwatari als Waffe einsetzen?“ Kai lächelte… Er hatte Reis Scharfsinn schon immer bewundert und… geliebt. „Dich“, erwiderte er einfach und wartete in Ruhe die Reaktion ab. „Wie bitte?“ „Also nicht direkt dich… ich weiß nicht, wie er damals davon erfahren hat… von uns erfahren hat. Ich weiß es genauer gesagt bis heute nicht, wie er es angestellt hat. Aber ich bin nun lange genug in dieser Branche tätig, um zu wissen, dass es immer Mittel und Wege gibt, das zu bekommen was man will. Koste es was es wolle… und wenn man dafür über Leichen gehen muss. Dieses Handwerk hat mein Großvater besonders gut beherrscht…“ „Was hatten wir denn damals?“ unterbrach Rei den Russen. „War es für dich eine Spielerei… oder vielleicht eine Affäre? Du bist einfach verschwunden. Ohne einen Hinweis oder eine Nachricht… bist du dir überhaupt bewusst, was du damit angerichtet hast?“ „Es ist mir nicht leicht gefallen, dass musst du mir glauben, Rei.“ „Du kannst dir sicherlich denken, dass ich da so meine Zweifel habe!“ „Natürlich. Ich will auch nicht, dass du mir vergibst. Dich darum zu bitten, ist zu viel verlangt. Ich möchte nur, dass du mir zuhörst… und mich vielleicht… irgendwann verstehen kannst, wieso ich es getan habe, so wie ich es getan habe…“ Kai faltete seine Hände im Schoß. „Wieso trägst du die?“ fragte Rei. Irgendwie schien es ihm die passende Gelegenheit danach zu fragen. Die unangenehme Situation zwischen ihnen zu überbrücken und ein wenig aufzulockern. Verwundert hob der Graublauhaarige seine Hände und betrachtete sie von allen Seiten. „Zu einem großen Teil als Selbstschutz. Ich trage sie, seitdem ich das Unternehmen von meinem Großvater übernommen habe. Solange ich arbeitete, trug ich sie. Ich hatte somit immer das Gefühl, nicht schmutzig zu werden. Zu Hause habe ich sie abgestreift und somit alles verbannt, was nicht mit aus dem Büro genommen werden sollte.“ Rei nickte. Das konnte er verstehen. „Und wieso trägst du sie jetzt auch? Ist das… etwa… auch Arbeit für dich?“ fragte er zögerlich weiter. „Nein“, lachte Kai leise. „Ich brauche nur etwas zum Festhalten, sonst würde ich schreiend davon laufen, weil ich viel zu viel Angst habe, schwitzige Hände zu bekommen.“ „Spinner!“ lachte der Schwarzhaarige. Kai erwiderte das Lachen und zog sich langsam die weißen Handschuhe aus. „Du hast Recht. Hier brauche ich sie wirklich nicht“, fuhr er fort und ließ sie in seinen Manteltaschen verschwinden. „Um zum Thema zurückzukommen… was Voltaire gegen mich in der Hand hatte… und auch noch immer hat…“ Der augenblickliche Stimmungsumschwung ließ auch Rei wieder ernst werden und wandte sich seinem Gegenüber zu. Wartete geduldig darauf, dass dieser fortfuhr. „Wir hätten das damals doch zusammen durchstehen können…“ Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zum Überhören. „Ich war feige… so furchtbar feige. Nach außen hin war mir immer egal, was andere über mich gedacht haben. Bis zu einem gewissen Grad, war es das wirklich… aber diese Sache zwischen uns… die war so anders. Und so ernst… ich wollte sie nicht verlieren. Und als dann Voltaire plötzlich Kontakt zu mir aufnahm und mir offenbarte, dass er alles wüsste und wenn ich nicht zurück nach Russland kommen würde, er damit an die Öffentlichkeit ginge… Ich hatte furchtbare Angst davor, wenn alle von uns wüssten. Von mir wüssten… dass ich schwul bin…“, er machte eine Pause, um tief Luft zu holen. Rei erkannte, wie schwer es ihm fiel darüber zu reden und legte seine Hand auf die des Russen und ermutigte ihn so, weiter zu reden. „Er hat mir Bilder und Videos von uns zukommen lassen… in wirklich, teils kompromittierenden Positionen… du weißt schon… Es hat mich einfach in Panik versetzt. Ich hatte Angst um dich, um mich… und ich muss gestehen, damals dachte ich zuerst an meinen verdammten Stolz und dann erst an dich. Was ich furchtbar bereut habe, als Voltaire mich dazu zwang eine Frau zu heiraten. Aber ich hatte keine Wahl. Ich konnte nicht mehr zurück und so habe ich mich meinem Schicksal ergeben. Habe versucht mit der Situation zu leben, was zeitweise auch recht gut gelungen ist. Sonst wäre Gou wohl nie geboren worden… dennoch… irgendwann habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich habe Zuflucht in heimlichen Affären gesucht. Hatte dabei immer dich vor Augen. Dass ich schon dachte, ich würde verrückt werden… Ich habe dann auch versucht mit dir Kontakt aufzunehmen, ich hatte schon so oft deine Nummer gewählt, mich dann aber nie getraut ein Wort zu sagen…“ „Moment!“ unterbrach Rei ihn. „Das warst du?! Der Stalker? Ich meine, der der immer spät in der Nacht angerufen und einfach wieder aufgelegt hat?“ „Das war wohl ich… das stimmt“; gab Kai geknickt zu. Dafür erntete er einen Hieb gegen seinen linken Oberarm. „Au! Hey, wofür war das denn jetzt?!“ „Na, wofür wohl?! Du hast mir damit eine Heidenangst eingejagt. Ich dachte, ein perverser Irrer verfolgt mich… aber… sag mir jetzt nicht, dass du mir auch auf der Straße gefolgt bist…“ „Doch… das war zu der Zeit, wo ich all meinen Mut zusammengekratzt hatte und einfach nach Japan gekommen bin. Ich habe drüben alles liegen und stehen lassen. Meine Sekretärin ist ausgerastet, weil ich einen Milliardenvertrag habe platzen lassen, wegen meiner spontanen Abreise… Aber dann habe ich dich mit Brooklyn gesehen… wie vertraut ihr miteinander umgegangen seid. Und da wurde mir bewusst, dass auch bei dir die Zeit nicht stehen geblieben ist. Ich hätte es nur allzu gut verstanden, wenn du dir mit ihm eine Zukunft aufgebaut hättest…“ Rei ließ den Kopf in den Nacken fallen und stieß die Luft aus. Er hätte niemals daran gedacht, dass Kai der anonyme Anrufer sein hätte können. Nicht einmal im Entferntesten… Ein lautes Klingeln durchbrach ihr Gespräch. Wütend holte Kai sein Mobiltelefon und zischte ein „ich hoffe, es ist wichtig!“ hinein. Rei konnte eine nicht weniger aufgebrachte Frauenstimme am anderen Ende der Leitung ausmachen. Mehr konnte er nicht verstehen. Schon allein, da sie in Russisch sprach. Seltsamerweise sprach Kai weiter in Japanisch mit ihr. Wahrscheinlich aus Höflichkeit ihm gegenüber. „Kann das nicht warten? Ich bin mitten in einer wichtigen Besprechung!... Ja… Ok, sagen sie ihm, dass ich in einer halben Stunde für eine Videokonferenz zur Verfügung stehe“, beendete er barsch das Telefonat und ließ das Gerät wieder in seiner Manteltasche verschwinden. „Ich muss los…“, seufzte der Russe und blickte Rei entschuldigend an. „Bitte lass dir alles durch den Kopf gehen. Ich bin bereit mich vor allen zu outen… wenn du mich denn noch willst. Ich werde dir in den nächsten Tagen noch etwas vorbeibringen lassen. Schau es dir an… außerdem musst du mir noch viel mehr erzählen… zum Beispiel vom Vaterglück des Pumas. Hätte nie gedacht, dass Rai mit Mao so eine wunderschöne Tochter bekommen würde. Rin ist wirklich außergewöhnlich…“ „Woher weißt du davon?“ „Ich war zwar in Russland, aber nie wirklich von dir entfernt. Ich habe mich auf dem Laufenden gehalten.“ „Wie…“ „Es gibt Mittel und Wege“, zwinkerte der Graublauhaarige bevor er fortfuhr. „Vor allem sieht sie dir furchtbar ähnlich…“ Augenblicklich lief Rei tomatenrot an. „Ich… ich…“ „Schon gut“, schmunzelte Kai. „Dein Geheimnis ist bei mir sicher, schon seit damals. Du kannst es mir beim nächsten Mal erzählen. Ich bringe dich noch schnell nach Hause. Ich habe leider keine Zeit mehr“, antwortete er und half dem Schwarzhaarigen auf, küsste kurz seinen Handrücken und geleitete ihn zur bereits wartenden Limousine. Und Kai hielt sein Wort. Nur einige wenige Tage später stand plötzlich ein Eilkurier im Cafe und brachte einen Schuhkarton mit einer roten Schleife drauf. Mathilda zog ihn noch damit auf, weshalb sein Verehrer ihm denn Schuhe schenkte. Dass sei doch so was von unmodern, hatte sie noch gelacht, bevor Rei das nasse Geschirrtuch nach ihr warf… und auch traf. Nach Feierabend und einem gemeinsamen Abendessen mit Brooklyn, saß er in seinem Zimmer auf seinem Bett und öffnete die Schachtel. Zum Vorschein kamen unzählige Briefe. Zu Stapeln gebunden und sogar nach Jahren sortiert. Einige hatten Briefmarken drauf, andere waren in noch nicht zugeklebten Kuverts verstaut. Es war deutlich zu erkennen, dass einige bereits sehr alt waren. Sie waren abgegriffen und deutlich vergilbt. Obenauf hatte ein schlichter weißer Zettel gelegen. In sauberer Handschrift stand darauf zu lesen… Dir Rei, meiner Liebe, Ich hoffe, du kannst mir glauben, wenn du dies hier gelesen hast. Das sind all jene Briefe, die ich dir in den Jahren geschrieben habe. Doch hatte ich nie den Mut, sie wirklich abzuschicken. Es gab Zeiten, da stand ich mit dem frankierten Umschlag bereits am Briefkasten… doch das letzte Quäntchen Stärke hat mir dann doch gefehlt. Bitte lies sie aufmerksam durch… vielleicht kannst du mich dann verstehen. Wenn du möchtest, kannst du mich im Hotel zu den vier Jahreszeiten finden. Meine Zimmernummer ist 444. Ich habe dieses Zimmer absichtlich gewählt, in der Hoffnung, dass mir diese Zahl Glück bringt. Ich warte auf dich. In Liebe Kai Und Rei hatte sie gelesen… jeden einzelnen Brief, der sich in der Schachtel befand. Er hatte die Nacht durchgemacht, hatte nur einmal eine kurze Pause einlegen müssen als er auf die Toilette musste, hatte sich dann aber sofort wieder in sein Bett verzogen, um Kais Briefe weiter zu lesen. Als er in den frühen Morgenstunden damit fertig war, hatte er eine halbe Tempobox mit Taschentüchern aufgebraucht. Er blickte kurz auf die Uhr und stürmte los. Machte im Badezimmer halt, um sich frisch zu machen und lief los… er wusste nicht genau, wo dieses Hotel lag. Aber er hatte so eine Vermutung… Atemlos klopfte er an die Tür mit der Nummer 444. Vielleicht hätte er sich doch einfach anmelden sollen. Vielleicht war gar nicht da. Vielleicht war das Ganze doch keine so gute Idee gewesen. Doch bevor ihn der Mut zur Gänze verließ, wurde die Tür geöffnet und ein verschlafener Russe stand vor ihm. „Rei…“ „Kai…“ „Heißt das…?“ Eifrig nickte der Chinese und fiel ihm um den Hals. Überrumpelt stolperte Kai mit seiner süßen Last zurück in sein Zimmer, bevor er ihn von sich aus in eine feste Umarmung zog. So schnell würde er ihn nicht mehr loslassen. „Wir stehen das gemeinsam durch“, begann der Chinese. „Du wirst sehen. Wenn erst einmal alle bescheid wissen, ist alles halb so schlimm. Ich werde nicht dein Schwimmreifen sein, der dich über Wasser hält, aber ich werde deine Schwimmflügel sein. Die dich auf deinem Weg begleiten und unterstützen“, flüsterte der Schwarzhaarige und drängte sich dabei noch näher an Kai. Dieser hatte ihm aufmerksam zugehört und schloss seine Arme noch fester um ihn. „Danke“, hauchte er. Er konnte sich noch später darüber ärgern, dass er nicht schon früher zu ihm gekommen war. ~*~ Ende ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)